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Library of
Princeton Universitu.
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The (Finhtn Cight Fibrarn
of
Économics.
nr.
JAHRBÜCHER
FÜR
NATIONALÖKONOMIE UND STATISTIK.
GEGRÜNDET VON
BRUNO HILDEBRAND.
HERAUSGEGEBEN VON
DR J CONRAD,
PROF. IN HALLE A. 8.,
IN VERBINDUNG MIT
Dr. EDG. LOENING, uno DR. W. LEXIS,
PROF. IN HALLE A. 8., PROF. IN GÓTTINGEN.
I. FOLGE. 25. BAND,
ERSTE FOLGE, BAND I—XXXIV; ZWEITE FOLGE, BAND XXXV—LV
ODER NEUE FOLGE, BAND I—XXI; DRITTE FOLGE, BAND LXXX (III. FOLGE,
BAND XXV).
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHER.
1903.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
(RECAP)
Di
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b
Inhalt d. XXV. Bd. Dritte Folge (LXXX).
I. Abhandlungen.
Biermann, W. Ed., W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. S. 50.
Bourouill, J. Baron d’Aulnis de, Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas.
S. 323.
Brodnitz, Georg, Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. S. 433.
Hampke, Thilo, Die deutschen Handwerkerorganisationen. Eine statistische Studie.
S. 577.
Heyn, Otto, Kritische Erórterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in
Spanien. S. 721.
Kulischer, Josef, Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. S. 145, 289.
Pabst, F.. Die Besteuerung de: unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden
(Konjunkturgewinnsteuer). S. 350.
Pistor, Ernst, Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. S. 455.
Warschauer, Otto, Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. S. 1.
Wolf, Julius, Studien zur Fleischteuerung 1902. S. 193.
II. Nationalókonomische Gesetzgebung.
Wissowa, Felix, Die wirtschaftliche Gesetzgebung des Deutschen Reiches im Jahre
1902. S. 473.
Derselbe, Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreich-Ungarns im Jahre 1901.
S. 779.
III. Miszellen.
Altmann, S. P., Arbeitsnachweis und Arbeitslosenversicherung auf der Versammlung
deutscher Arbeitsnachweise vom 9. bis 11. Oktober 1902. S. 514.
Brodnitz, G., Beiträge zur englischen Betriebsstatistik. S. 393.
Bunzel, Julius, Das neue ungarische Auswanderungsgesetz. S. 793.
Davidson, E., Die Bevölkerung Ruflands. S. 671.
Dix, Arthur, Ledigenheime. S. 489.
Eulenburg, F., Das Alter der deutschen Universitütsprofessoren. S. 65.
Grabein, Das Genossenschaftswesen im europäischen Weinbau. S. 661.
Harms, Bernhard, Die holländische Berufszihlung von 1899. S. 530.
v. Heckel, Max, Die Hauptergebnisse der Veranlagung der Einkommen- und der
Ergänzungssteuer in Preußen. S. 799.
Levy, Hermann, Landwirtschaftlicher Export in England. S. 398.
Liefmann, Robert, Die kontradiktorischen Verhandlungen über deutsche Kartelle.
S. 638.
Lifschitz, F., Die Methodik der Wirtschaftswissenschaft bei Johann Heinrich von
Thünen. S. 812.
Pudor, Heinrich, Die landwirtschaftlichen Syndikate Italiens. S. 383.
Weber, Adolf, Ueber die gegenwärtige Lage der Landwirtschaft und die agrarische
Bewegung in Italien. S. 232.
Westergaard, Harald, Ein paar Bemerkungen betreffend die Lehre von der Morta-
lität. S. 251.
Wiedenfeld, Kurt, Die deutschen Kleinbahnen im Jahre 1901. 8. 652.
Zimmermann, F. W. R., Die Bewegung für Bildung eines ständigen statistischen
Zentralamtes für die Vereinigten Staaten von Nordamerika. S. 372.
IV Inhalt.
Literatur.
Acta Borussia. Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert,
herausgegeben von der königlichen Akademie der Wissenschaften. Getreidehandels-
politik. Zweiter Band: Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung
Brandenburg-Preußens bis 1740. Darstellung und statistische Beilagen von W. Naudé.
Akten bearbeitet von G. Schmoller und W. Naudé. (Theo Sommerlad.) S. 827.
Arbeitszeit-Verlängerungen (Ueberstunden) im Jahre 1901 in fabrikmäßigen Betrieben.
Berichte des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handelsministerium. (Georg
Brodnitz.) S. 267.
Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt
Charlottenburg für das Verwaltungsjahr 1901. (Mendelson.) S. 276.
Berkholz, Leo, Die Wirkung der Handelsverträge auf Landwirtschaft, Weinbau und
Gewerbe in Elsaß-Lothringen. Mit einer Vorbemerkung von Prof. Dr. C. J. Fuchs.
Mit Tabellen. (Dr. Leuckfeld.) S. 544.
Berndt, Wilhelm, Die Konkurrenzverhältnisse auf dem Weltmarkte. (G. Brodnitz.)
S. 411.
Blink, H., Geschiedenis van den Boerenstand en den Landbouw in Nederland. 1. Deel.
(G. Hesselink.) S. 102.
Bollettino dell? Emigrazione, herausgegeben vom Ministero degli Affari Esteri (R. Com-
missariato dell’ Emigrazione). (G. Brodnitz. S. 826.
Borgius, W., Jahrbuch des Handelsvertragsvereins für das Jahr 1901. (A. Emming-
haus.) 8. 554.
Bornhak, Die deutsche Sozialgesetzgebung. 4. Auflage. (A. Hesse.) 8. 705.
Brandt, Otto, Studien zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte der Stadt Düssel-
dorf im 19. Jahrhundert. (J. Pierstorff.) S. 98.
Brants, Victor, La petite industrie contemporaine. (F. Eulenburg.) S 404.
Brodnitz, Georg, Vergleichende Studien über Betriebsstatistik und Betriebsformen
der englischen Textilindustrie. (F. Eulenburg.) S. 279.
Buxton, Sydney, Mr. Gladstone as chancellor of the Exchequer. (Alfred Manes.)
S. 116.
Byng, G., Protection. The Views of a Manufacturer. (Georg Brodnitz.) S. 104.
Byng, G., Fiscal Problems of To-Day. An answer to arguments of Free Traders.
(Georg Brodnitz.) S. 104.
Ca ’eanny (Nur immer hübsch langsam !). Ein Kapitel aus der modernen Gewerkschafts-
politik von W. G. H. von Reiswitz. (Georg Brodnitz.) S. 561.
Calwer, Richard, Handel und Wandel. Jahresberichte über den Wirtschafts- und
Arbeitsmarkt. Jahrg. 1900. (J. Wernicke.) S. 101.
Davis, Andrew Me. Farland, Currency and Banking in the Province of the Massa-
ehusetts-Bay. (Brodnitz.) S. 559.
Delbrück, Hygiene des Alkoholismus. (Heilbronner). S. 125.
Die Diskontogesellschaft 1851 bis 1901. (J. C.) 8. 838.
Dreydorff, Rud., Ein deutsches Reichsarbeitsamt, Geschichte und Organisation der
Arbeiterstatistik im In- und Ausland. (Dockow.) S. 120.
Drucksachen des Beirats für Arbeiterstatistik. Verhandlungen Nr. 1: Protokolle über
Verhandlungen des Beirats für Arbeiterstatistik vom 22. Oktober 1902. (Dochow.)
S. 843.
First Report of the Departmental Committee appointed to inquire into the Ventilation
of Factories and Workshops. (G. Brodnitz.) S. 849.
Gensel, Julius, Der deutsche Handelstag in seiner Entwickelung und Tätigkeit,
1861—1901. (A. Emminghaus.) S. 409.
Grunzel, Josef, Ueber Kartelle. (Robert Liefmann.) S 107.
Haacke, Heinrich, Handel und Industrie der Provinz Sachsen 1889—1899 unter dem
Einflusse der deutschen Handelspolitik. 45. Stück der Münchener volkswirtschaftlichen
Studien. (J. Wernicke.) S. 110.
Haarmann, A., Das Eisenbahngleis. Kritischer Teil. (R. van der Borght.) S. 269.
Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands. Herausgegeben im Auftrage des „Deut-
schen Verbandes für das kaufmännische Unterriehtswesen“. Bd. 1. (J. Wernicke.)
S. 93.
Handwörterbuch der Schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung.
Inhalt. V
Herausgegeben von N. Reichesberg, Professor an der Universität Bern. (G. Brodnitz.)
S. 821.
Die Herabsetzung der Arbeitszeit für Frauen und Erhóhung des Schutzalters für jugend-
liche Arbeiter in Fabriken. Schriften der Gesellschaft für soziale Reform. Heraus-
gegeben vom Vorstande. Heft 7 u. 8. (Dochow.) S. 122.
Hoppe, Die Tatsachen über den Alkohol. 2. Aufl. (Heilbronner.) S. 128.
Huber, F. C., Deutschland als Industriestaat. (J. Wernicke.) S. 91.
Huber, F. C, Die Kartelle. Ihre Bedeutung für die Sozial-, Zoll- und Wirtschafts-
politik. (Robert Liefmann.) S. 699.
Jörgens, Max, Finanzielle Trustgesellschaften. Münchener volkswirtschaftliche
Studien, hrsg. von Lujo Brentano und Walther Lotz. 54. Stück. (Adolf
Weber.) S. 702.
Katalog der Bibliothek der Gehestiftung zu Dresden. 1. Band. 2. Auflage. Unter-
abteilung II. Land- und Forstwirtschaft, Bergbau und Industrie. (J. C.) S. 712.
Kleinwächter, Friedrieh, Lehrbuch der Nationalökonomie. (W. Hasbach.)
S. 685.
Kohn, Albert, Unsere erste Wohnungs-Enquête. (G. Brodnitz.) S. 563.
Kollmann, Paul, Statistische Beschreibung der Gemeinden des Fürstentums Lübeck.
(J. C) S. 848.
Lehmann, Bodo, Bodenkredit und Hypothekenbanken. (Berthold Breslauer.)
S. 271.
Lieven, Fürst Maximilian, Die Arbeiterverhältnisse des Großgrundbesitzes in Kur-
land. I. Abt., 1. Bd., Lief. 1—4. (Carl Grünberg.) S. 132. _
Manes, Alfred, Die Haftpflichtversicherung, ihre Geschichte, wirtschaftliche Be-
deutung und Technik, insbesondere in Deutschland. (H. Bleicher.) S. 414.
Menzel, Adolf, Die Kartelle und die Rechtsordnung. (Robert Liefmann.) S. 265.
Meyer, Hans, Die Eisenbahnen im tropischen Afrika. Eine kolonialwirtschaftliche
Studie. Mit einer Eisenbahnkarte von Afrika. (G. K. Anton.) S. 552.
Mitteilungen über den Niederrheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau. (J. C.) S. 694.
Moltke, O., Graf, Nordamerika. Beiträge zum Verständnis seiner Wirtschaft und
Politik; (Ernst von Halle.) S. 823.
Morgenstern, Hugo, Gesindewesen und Gesinderecht in Oesterreich. I. Teil.
Geschichtlicher Ueberblick. Statistik und wirtschaftliche Lage des Gesindes. (Mit-
teilungen des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handelsministerium. 3. Heft.)
(W. Kühler.) S. 839.
Neurath, Wilhelm, Gemeinverstündliche nationalökonomische Vortrüge; geschicht-
liche und letzte eigene Forschungen; herausgegeben von Dr. Edmund O. von Lipp-
mann. (v. Sehullern.) S. 257.
Oelsner, Ludwig, Volkswirtschaftskunde. Ein Leitfaden für Schulen und zum
Selbstunterricht. (Karl Diehl.) 258.
Oppel, O., Die Baumwolle nach Geschichte, Anbau, Verarbeitung und Handel, sowie
nach ihrer Stellung im Volksleben und in der Staatswirtschaft. (Ernst Roth.)
S. 95.
Oesterreichisches Städtebuch. Statistische Berichte von größeren österreichischen Städten.
Herausgegeben durch die k. k. statistische Zentralkommission. Jahrgang 9. (J. C.)
S. 710.
Report on Railway Labor in the United States. (G. Brodnitz. S. 845.
Rivista Italiana di Sociologia. 6. Jahrgang, Heft 2/3. (G. Brodnitz. S. 137.
Salomon, Alice, Soziale Frauenpflichten. (E. C.) S. 563.
Die Schiffsbauindustrie in Deutschland und im Auslande. Tjard Schwarz und Ernst
von Halle. Bd. 1 u. 2. (J. C.) S. 834.
Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit. Heft 57 und 58.
(G. Brodnitz.) S. 562.
Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltütigkeit. 60. Heft: Die
Erweiterung des Handarbeitsunterrichts für nicht vollsinnige und verkrüppelte
Personen, von T. Chr. Hansen. (G. Brodnitz.) S. 845.
v. Schulz, M. und Behrens, Franz, Die Rechtsverhültnisse im Gärtnergewerbe.
Referate, dem Ausschusse der Gesellschaft für soziale Reform in der Sitzung vom
6. Mai 1902 erstattet. (A. Elster.) S. 564.
Seligmann, Edwin R. A., The Economic Interpretation of History. (Georg
Brodnitz.) S. 94.
VI Inhalt.
Silbergleit, Heinrich, Magdeburgs Industrie, Handwerk und Handel und deren
gewerbliche Steuerkraft. Im Auftrage des Magistrats der Stadt Magdeburg bearbeitet.
(M. Mendelson.) S. 691.
Soudek, Richard, Die deutschen Arbeitersekretariate. Volkswirtschaftliche und wirt-
schaftsgeschichtliche Abhandlungen, herausgegeben von W. Stieda. (Dochow.) 8. 842.
Soziale Verwaltung in Oesterreich am Ende des 19. Jahrhunderts. Aus Anlaß der Welt-
ausstellung Paris 1900 mit Unterstützung durch die hohen k. k. Ministerien des
Innern, des Handels und des Ackerbaues, sowie durch das k. k. Generalkommissariat
für die Weltausstellung Paris 1900, herausgegeben vom Spezialkomitee für Sozial-
ökonomie, Hygiene und öffentliches Hilfswesen. 2 Bde. (A. Hesse.) S. 706.
Speck, E. Handelsgeschichte des Altertums. Zweiter Band: Die Griechen. (Theo
Sommerlad.) S. 824.
Stephani, K. G., Der älteste deutsche Wohnbau und seine Einrichtung. Baugeschicht-
liche Studien auf Grund der Erdfunde, Artefakte, Baureste, Münzbilder, Miniaturen
und Schriftquellen. 1. Band: Der deutsche Wohnbau und seine Einrichtung von der
Urzeit bis zum Ende der Merowingerherrschaft. (G. v. Below.) S. 260.
Stuart, Verryn C. A., Die niederländische Berufszählung von 1899. S. 682.
Stumpfe, E., Polenfrage mit Ansiedelungekommission. (M. C.) S. 264.
Tillinghast, Joseph Alexander, The Negro in Africa and America. (G. Brod-
nitz.) S. 549.
Troeltsch, Walter, Ueber die neuesten Veränderungen im deutschen Wirtschaftsleben.
(J. Wernicke.) S. 111.
Uebersicht der gesamten staats- und rechtswissenschaftlichen Literatur des Jahres 1900.
Zusammengestellt von Otto Mühlbrecht. 33. Jahrg. (W. Kühler). S. 137.
Uebersicht der gesamten staats- und rechtswissenschaftlichen Literatur des Jahres 1901,
zusammengestellt von Otto Mühlbrecht. Jahrgang 34. Dasselbe für 1902. Jahrgang 35.
(W. Kühler.) 8. 851.
Untersuchungen über die Heimarbeit der Frauen in Dresden. Heft 1 der Schriften der
Dresdener Gesellschaft für soziale Reform. (E. C.) S. 696.
Veröffentlichungen des deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft. Herausgegeben
von Dr. phil. und jur. Alfred Manes, Generalsekretär des Vereins. Heft 1: Be-
richt über die am 12. Dezember 1902 abgehaltene wissenschaftliche Mitgliederver-
sammlung des Vereins. (H. Bleicher.) S. 418.
Die Verwaltung der Stadt Essen im 19. Jahrhundert. (J. C.) S. 693.
Vigelius, Carl, Handbuch für Sparkassen. (Fritz Schneider.) S. 558.
Voßberg-Rekow, Die Zolltariffrage und ihre Begründung. Im Auftrage der Zentral-
stelle für Vorbereitung von Handelsverträgen. (A. Emminghaus.) S. 555.
Wasserrab, Karl, Sozialwissenschaft und soziale Frage. Eine Untersuchung des
Begriffs sozial und seiner Hauptanwendungen. (A. Hesse.) S. 684.
Wiedfeldt, Genossenschaftliche Getreideverwertung im Königreich Sachsen. Eine
agrarpolitische Untersuchung. (W. Wygodzinski.) S. 410.
Zur ältesten Wirtschafts- und Sozialgeschichte Böhmens. (Felix Rachfahl) S. 81.
Wright, Carroll D., L'évolution industrielle des États-Unis. Traduit par F. Lepelletier.
Avec une préface de E. Levasseur, Membre de l'Institut. (Josef Grunzel) S. 689.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Herausgegeben vom Deutschen
Verein für Versicherungswissenschaft. Schriftleitung: früher Rechtsanwalt Ad. Rüdiger,
jetzt Dr. phil. et jur. Alfred Manes. Bd. I und II. (Gottfr. Leuckfeld.) S. 117.
Zimmermann, E., Das Wechselstempelsteuergesetz vom 10. Juni 1869 nebst den Aus-
führungsbestimmungen des Bundesrates vom 8. März 1901. Mit Erlüuterungen. (A.
Elster.) S. 557.
Zoepfl, Gottfried, Nationalökonomie der technischen Betriebskraft. Erstes Buch:
Grundlegung. (F. Albrecht.) S. 254.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des
Auslandes. $S. 91. 254. 401. 544. 684. 821.
Die periodische Presse des Auslandes. s. 139. 283. 428. 569. 713. 853.
Die periodische Presse Deutschlands. S. 142, 237. 431. 574. 718. 856.
Volkswirtschaftliche Chronik. S. 461. 515 (1). 45. 83. 139. 183.
Otto Warschauer, Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 1
Nachdruck verboten,
I.
Die Reservefonds der deutschen Aktien-
gesellschaften.
Von
Prof. Dr. Otto Warschauer Berlin.
Jedes Wirtschaftssubjekt hat nach der jeweiligen Entwickelungs-
tendenz von Angebot und Nachfrage mit Verhältnissen zu rechnen,
die dem Wechsel der Einflüsse unterliegen und den Charakter der
Vergänglichkeit sowie der Unberechenbarkeit in sich tragen. Die
Rückwirkung dieser Faktoren auf die individuelle Lage des Produ-
zenten ist vielfach bedeutungsvoll. Die Gleichmäßigkeit des Schaffens
kann gehemmt, das Sicherheitsgefühl gefährdet und bei sprungweise
auftretenden Anormalitäten auch der Boden unterwühlt werden, auf
dem die gesamte Existenz des Wirtschaftssubjektes ruht. Gegen
derartige Eventualitäten sich vorzeitig zu schützen, ist ein Gebot
der Selbsterhaltung. So werden namentlich im geschäftlichen Leben
gegen bestimmte Vorgänge, die durchschnittlich den Charakter der
Unberechenbarkeit in sich tragen, Kautelen geschaffen, die als eine
Art Rückversicherung gelten und mit dem Ausdruck „Reserven“ zu
bezeichnen sind.
Unter „Reserven“ in wirtschaftlicher Beziehung sind Rücklagen
kapitalistischer Wertobjekte zu verstehen, deren endgiltige Verwen-
dung bestimmten Sicherheitszwecken zu dienen hat und der Zukunft
überlassen bleibt. Wohl ist es möglich, daß sich derartige Kapital-
ansammlungen aus der Beschränkung des Konsums oder der Ab-
zweigung von dem eigentlichen Stammvermögen bilden; diese Ent-
stehungsursachen jedoch wirken ausnahmsweise und nur die schaffende
Tätigkeit, die Produktion, ist der Nährboden, dem die Reserve
durchschnittlich zu entspringen pflegt. Je größer sich diese letztere
gestaltet und je ergiebiger sie in finanzieller Beziehung ist, in desto
höherem Maße entsteht die Möglichkeit, dem Gewinn bestimmte
Quoten zu entnehmen, die als Rücklage betrachtet werden, um Ge-
fahren zu begegnen oder Ausgaben zu ermöglichen, welche die
Gegenwart nicht kennt, mit denen jedoch eventuell die Zukunft zu
rechnen hat.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 1
2 Otto Warschauer,
Die durch jene Rücklagen zu verfolgenden Sicherheitszwecke
treten in doppelter Form auf. Mit jeder wirtschaftlichen Unter-
nehmung ist die Gefahr des Verlustes verknüpft. Selbstverständlich
wird dieselbe häufig durch individuelle Untüchtigkeit gleichviel
welcher Art bedingt, aber der Verlust kann auch durch die Ungunst
der Konjunktur oder durch sonstige widrige Verhältnisse hervor-
gerufen werden, deren Eintritt schwer vorauszusehen war oder nicht
auf das direkte Verschulden des Produzenten zurückzuführen ist.
Derartige Verluste schleunigst zu decken, ist vielfach nötig, um das
Gleichgewicht der produzierenden Kräfte, sowie das Prinzip der wirt-
schaftlichen Kontinuität zu wahren. Diesem Zwecke, d. h. der
Deckung zukünftiger Verluste dient zuvörderst und all-
gemein die aufzuspeichernde Reserve.
Sie hat jedoch vielfach noch eine zweite Aufgabe zu verfolgen,
die von einer anders gearteten Voraussetzung ausgeht. In jeder
rationell gehandhabten Wirtschaft haben sich selbstverständlich etats-
mäßig die Ausgaben in einem den Einnahmen stetig proportionalem
Verhältnis zu bewegen. Diese Regel wird grundsätzlich ungestraft
nicht umgangen werden können. Es treten jedoch auch Ausgaben
mit gebieterischer Notwendigkeit auf, die durch die Jahreseinnahmen
nicht saldiert werden können und deren Ausfall entweder die
Existenz eines an sich lebensfähigen Betriebes gefährden, oder
diesen letzteren dauernd auf ein untergeordnetes Niveau der Pro-
duktion beschränken würde. Der Fabrikant z. B. wird stetig Art
und Alter der Maschinen berücksichtigen müssen und bei den
dauernden Fortschritten der Technik mit eventuellen, später unab-
weisbaren Neuanschaffungen zu rechnen haben, die durch die direkten
Jahreseinnahmen schwer oder nur mit großen Opfern gedeckt werden
können. Achnlich liegen die Verhältnisse in der Landwirtschaft be-
züglich der jeweilig erforderlichen Meliorationen. Für derartige, der
Zukunft dienende Zwecke ist die Möglichkeit der allmählichen
Deckung durch jährlich vorzunehmende, in Quoten abzuzweigende
Rücklagen gegeben, deren Gesamtbetrag die Erreichung des ge-
steckten Zieles gestattet, ohne das Gleichgewicht des Etats zu ge-
fährden. Demgemäß dient die Reserve nicht nur zur Deckung für
eventuell spätere Verluste, sondern auch zur Deckung zu-
künftiger Ausgaben, die in bestimmter Höhe und für be-
stimmte Zwecke eintreten und für deren endgültige Befriedigung
vorzeitige Maßnahmen getroffen werden.
Jeder Reservefonds wird seiner eigentlichen Bestimmung nur
unter konsequenter Innehaltung zweier Grundsätze gerecht zu werden
vermögen. Wenn die für die Sicherheitszwecke reservierten Kapital-
quoten mit anderen Vermögensbestandteilen verschmolzen werden,
schwindet einerseits die Klarheit des Ueberblicks, Illusionen werden
erzeugt, die häufig zum Selbstbetrug führen und andererseits wird
vielfach die Möglichkeit geraubt sein, im Augenblicke des eigentlichen
Bedarfes das erforderliche Kapital zur freien Verfügung zu haben.
Der Reservefonds gleichviel welcher Art und für welche Wirtschaft
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 3
er bestimmt sein mag, wird daher nur dem Zwecke seiner Errichtung
genügen, wenn die Vermögensmasse, aus der er sich zusammen-
setzt, dauernd getrennt ist von den sonstigen Vermögensobjekten,
die dem Sparenden zu eigen sind. Die von den übrigen Besitzes-
titeln getrennte Vermögensmasse darf ferner nicht Werte enthalten,
deren Veräußerung nur bedingungsweise möglich ist, sondern, um
der leitenden Idee tatsächlich gerecht zu werden, sind die zur
Deckung zukünftiger Verluste oder Ausgaben bestimmten und zurück-
„legten Kapitalien derartig anzulegen, daß sie eventuell sofort in
baar umgesetzt werden können, um dem Bedarf des Augenblicks zu
entsprechen.
Eine von derartigen Grundsätzen geleitete Ansammlung von
Reserven ist von hoher volkswirtschaftlicher Bedeutung. Sie fördert
nicht nur den Trieb des Sparens, jenes subjektiv berechtigte Streben
nach dauernder Sicherung der Existenz; sie entspringt auch der
Vorsicht, die als Teilerscheinung des Gesamthandelns einen Rück-
schluß auf das Wirtschaftsgebahren des Einzelnen zuläßt. So wird
der Reservefonds in dem Kausalitätsverhältnis seiner Begründung
und der Art seiner Entwickelung vielfach ein ungetrübter Spiegel
sich sonst verschleiernder Vorgänge des Erwerbslebens. Je mehr
ferner für bestimmte Eventualitäten der Zukunft zurückgelegt ist,
desto befestigter wird der Unterbau jedes Betriebes. Nicht die
Möglichkeit vereinzelter hoher Jahresgewinne allein, auch nicht die
Tatsache eines gesicherten Absatzgebietes erzeugt namentlich für
kaufmännische Unternehmungen die ungeschwächte Lebenskraft; erst
die Reserven, die sich jährlich bilden und allmählich verdichten,
führen zu jener finanziellen Stärke und Widerstandsfähigkeit, die
der Ungunst der Verhältnisse zu trotzen vermag. So erfolgen
überall, wo ein volles Verständnis für die möglichen Eigenheiten
des Verkehrs obwaltet, gleichzeitig Kapitalorganisationen für die
Zwecke des Reservefonds. Jedes Einzelunternehmen, das eine
breitere wirtschaftliche Unterlage gewonnen hat, wird sich der Idee
seiner Verwirklichung nähern. Leichter durchführbar ist er für die
offene Handelsgesellschaft, in der sich vielfach im Gegensatz
zu dem Einzelunternehmen größeres Kapital mit höherer Intelligenz
paart, und für die Aktiengesellschaft!), in der gegenwärtig der
Sg ft
1) Bezüglich der Litteratur über die Reservefonds der Aktien-
gesellschaften vergl. namentlich Veit Simon, Die Bilanz der Aktiengesellschaften
und der Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1899, S. 223ff.; Neukamp, Der Reserve-
fonds der Kommanditgesellschaft auf Aktien und der Aktiengesellschaften in der „Zeit-
schrift für das gesamte Handelsrecht“ 38. Bd., S. 10ff.; Staub, Kommentar zum
Handelsgesetzbuch 1900, S. 804 ff.; Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 1900, S. 651 ff. ;
Vossbe rg, Die Katastrophe in unseren Aktienunternehmungen und die Gesetzgebung
über deren Reservefonds in: „Die Gegenwart‘, 1901, No. 38/39. Anlagen zu den
Verhandlu ngen des Deutschen Reichstags, 5. Legislaturperiode, 4. Session,
1884, Aktenstück No. 21, S. 305ff, Aktenstück No. 128, S. 1021 und 1042. „Ab-
*onderun gen der Reserve der Aktiengesellschaften in: ,Der deutsche
Oekonomist“, 1901, 19. Jahrg, No. 993; Adolf Weber, Depositenbanken und
Spekulationsbanken 1902, S. 2221f., 282.
1*
4 Otto Warschauer,
Schwerpunkt der gewerblichen Produktion ruht und deren Ausbau
sich namentlich in Deutschland immer mehr mit der gesamten
handelspolitischen Entwicklung der Nation verquickt, ist er als eine
selbstverständliche, mit der Organisation und Existenz dieser Unter-
nehmungsform eng verknüpfte Einrichtung zu bezeichnen. Die
Aktiengesellschaft findet die Möglichkeit ihrer Existenz nur durch
die Assoziation großer Kapitalien, welche zur Nutzbarmachung
Dritten überlassen werden. Diese letzteren, die Verwalter fremden
Gutes, haben demgemäß nicht nur die wirtschaftliche Aufgabe,
sondern auch die sittliche Verpflichtung, für die anvertrauten
Kapitalien nach jeder Richtung die Grundsätze bewährter kauf-
männischer Taktik zu handhaben; so ist für die Aktiengesellschaften
die Ansammlung von Reserven eine durch Sitte, Gewohnheit und
Gesetz anerkannte und unabweisbare Notwendigkeit geworden.
Für die Entwicklung der Reservefonds der deutschen
Aktiengesellschaften ist in wirtschaftlicher und rechtlicher
Beziehung eine Reihe von Erscheinungen festzuhalten. Der
Auf- und Ausbau der leitenden Idee verknüpft sich mit der sich
stetig steigernden Werbefähigkeit des beweglichen Kapitals, dem
Umschwung, der sich auf dem deutschen Geldmarkt der letzten
30 Jahre vollzogen hat, der damit verbundenen Ausbreitung des
Aktienswesens und dem durch die genannten Faktoren bedingten
Wechsel kaufmännischer Anschauungen. Aus den Jahresgewinnen
der Aktiengesellschaften wurden ursprünglich bestimmte Quoten
zurückgelegt, weniger um eventuellen Gefahren und Ausgaben der
Zukunft zu begegnen, als um hierdurch eine allmähliche Mehrung
der Betriebskapitalien ohne direkten Apell an die Aktionäre zu er-
möglichen. Es wurden ferner Reserven zu dem Zwecke gebildet,
um im Falle eines dringenden vorübergehend auftretenden Bedarfes
die erforderlichen Mittel zur Verfügung zu haben, ohne den Rein-
gewinn eines einzelnen Geschäftsjahres hierfür wesentlich beanspruchen
zu müssen. Dieser Erkenntnis entsprang allmählich das Bestreben,
durch Rücklagen allgemein vorzeitige Deckung für außergewöhnliche
Ausgaben aller Arten zu schaffen, welche der Betrieb eines Unter-
nehmens vorübergehend etwa erheischen könnte. Bei dem Auf-
schwung, welchen der Aktienverkehr namentlich in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts an den deutschen Börsen nahm, machte
sich auch seitens verschiedener Verwaltungsorgane der Wunsch
geltend, eine annähernde Gleichmäßigkeit der Rentabilität den
Aktionären zu sichern. So entstanden Dividendenergänzungsfonds.
Aus den Gewinnen guter Geschäftsjahre erfolgten vielfach Rücklagen
um ungenügender Kapitalverzinsung der Zukunft zu entgehen und
den Kurs der Aktien nicht zu großen, den Kredit des Unternehmens
gefährdenden Reduktionen auszusetzen. Grundlegend ` aber wurde
endlich die Auffassung, daß es einerseits nicht durchweg ratsam sei,
entstandene Einzelverluste von dem Reingewinn des diesbezüglichen
Geschäftsjahres abzuziehen, sondern sich empfehle, die Möglichkeit
ihrer Deckung durch vorzeitige Maßnahmen herbeizuführen und daß
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 5
es andererseits geboten erscheine, dauernd mit der vollen Eventualität
einer durch die Ungunst besonderer Verhältnisse herbeigeführten
Minderung des eigentlichen Betriebskapitals zu rechnen. Namentlich
dieser letzteren Erkenntnis entsprang die Errichtung von Reserve-
fonds zur lediglichen Beseitigung einer etwa entstehenden Unter-
bilanz, um bei Eintritt von Kalamitäten die betroffene Unter-
nehmung vor der Gefahr des völligen Zusammenbruches schützen zu
können.
Neben dieser durch den Wechsel und Fortschritt der ökonomi-
schen Auffassungsweise bedingten Entwicklung ist die rechtliche
Ausbildung des Reservefonds in Betracht zu ziehen, die sich erst
in jüngerer Zeit vollzogen hat. Ursprünglich herrschte für die An-
sammlung derartiger Rücklagen allein das Prinzip der Freiwilligkeit
vor. Es wurde den einzelnen Aktiengesellschaften überlassen, die
Eigenart ihres Bedarfes zu erkennen und je hiernach Bestimmungen
bezüglich der Reserven zu treffen. Eine gesetzliche Intervention zu
Gunsten der kapitalistischen Kollektivinteressen erschien nicht ge-
boten und der Einfluß freihändlerischen Wirtschaftsempfindens machte
sich intellektuell auch auf diesem Gebiete geltend. Solange die
Meinung vorherrschte, daß die Machtsphäre des Staates in wirt-
schaftlichen Dingen möglichst zu begrenzen sei, war daher die Er-
richtung von Reservefonds dem lediglichen Belieben der betreffenden
Verwaltungsorgane überlassen. Nachdem jedoch die Erkenntnis sich
wiederum Bahn gebrochen, daß das Gesamtwohl durch individua-
listische Maßnahmen nicht genügend geschützt sei, äußerte sich die
Rückwirkung dieser Auffassungsweise auch in Bezug auf die Errich-
tung von Reservefonds. Das ursprüngliche und alleinige Prinzip
der Freiwilligkeit wurde daher durch den Zwang und die Intervention
des Gesetzes ergänzt. So entstand das Aktiengesetz vom Jahre 1884,
das einerseits vorschrieb, für welche Zwecke Rücklagen unbedingt
zu erfolgen haben und das andererseits den Exekutivorganen der
Aktiengesellschaften freistellte, die allgemeinen Bestimmungen für
Sonderzwecke selbständig oder durch Generalversammlungsbeschluß,
d. h. statutarisch zu erweitern.
Die gegenwärtig entscheidenden Bestimmungen), die sich an
das erwähnte Gesetz anlehnen, berücksichtigen daher nicht die ver-
schiedenartigen, bereits vorgeführten, die Mehrung des Betriebs-
kapitals, die Dividendenergünzung und die unvorhergesehenen Aus-
gaben und Einzelverluste betreffenden ökonomischen Entwickelungs-
phasen, sondern verfolgen nur das eine Ziel, entstandene Bilanzverluste,
d.h. diejenigen Verluste, welche das eigentliche Betriebskapital, das
Kapitalvermögen einer Gesellschaft tatsächlich erlitten hat, eventuell
zu decken. Der gesetzliche Reservefonds ist daher lediglich zur
Deckung der Unterbilanz bestimmt und Einzelverluste, wie sie aus dem
Kontokorrentverkehr, aus Kursrückgängen, Konsortialbeteiligungen,
der Preisminderung der Lagerbestände, Veruntreuungen u. s. w. hervor-
1) Vgl. Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 $ 262.
6 Otto Warschauer,
gehen können, sind zunächst von dem Jahresgewinn in Abzug zu
bringen. Erst wenn hierfür die Möglichkeit geschwunden und durch
die erlittenen Verluste eine Minderung des Betriebskapitals tat-
sächlich erfolgt ist, hat der Reservefonds nach Maßgabe der in ihm
enthaltenen Kapitalmassen zu funktionieren.
Der Erreichung dieses Zieles dienen drei qualitativ sich
scheidende Mittel. Die eventuelle Deckung der Unterbilanz soll
zuvörderst durch bestimmte Quoten, welche dem Reingewinn guter
Geschäftsjahre zu entnehmen sind, gedeckt werden. Von den dies-
bezüglichen Jahreserträgnissen sind hierfür 5 Proz. in Ansatz zu
bringen. Diese Mindestgrenze kann zwar überschritten werden, der
durch das Gesetz bedingte Durchschnittssatz jedoch wird allgemein
festgehalten und Ausnahmen von der Regel treten nur vereinzelt
auf. Die zur Zeit bestehenden gesetzlichen Bestimmungen gehen
fernerhin von der Voraussetzung aus, daß ein auf Grundlage dieser
Einnahme konstruierter Reservefonds sich nicht stetig proportional
den eventuell günstigen Jahreserträgnissen zu entwickeln habe,
sondern auf einen festen Höchstbetrag zu begrenzen sei. Demgemäß
sind die vorgeschriebenen 5 Proz. nur so lange für die Zwecke der
Reserven abzuzweigen, bis diese letzteren 10 Proz. des Grundkapitals
oder den im Gesellschaftsvertrage bestimmten höheren Teil desselben
erreicht haben. Auch dieser Satz wird durchschnittlich nur selten
überschritten. Sobald daher die vorgeschriebenen 10 Proz. sich
angesammelt haben, entfällt allgemein jeder weitere gesetzliche
Zwang einen Teil der Reinerträge für die Zwecke der Rücklagen
zu verwenden.
Die zweite für die Bildung von Reserven bestimmte Einnahme-
quelle entspringt der berechtigten Annahme, daß die vorübergehende
Gunst der Konjunktur oder die Verwertung von Sachverhältnissen,
welche in der Entwickelung des Unternehmens wurzeln und mit der
Tradition desselben verknüpft sind, nicht durchweg und allein einem
einzelnen Geschäftsjahre zu Gute kommen sollen, sondern möglichst
gleichmäßig auf die Zukunft zu übertragen seien. Es ist eine be-
kannte Thatsache, daß die Erhöhung des Grundkapitals einer Aktien-
gesellschaft, namentlich bei günstiger Lage des Geldmarktes und
wenn ein Aufschwung des betreffenden Unternehmens oder der all-
gemeinen Produktionsverhältnisse nachweisbar ist, ohne Schwierigkeit
durchgeführt werden kann. Je fundierter nun das betreffende Unter-
nehmen ist, je höher und gleichmäßiger sich seine Dividenden ge-
staltet und je länger sich die leitenden Verwaltungsorgane ver-
trauenswürdig erwiesen haben, desto entgegenkommender zeigt sich
für die Aufnahme neuer Betriebsmittel der Kapitalmarkt. Dieses
Sachverhältnis äußert sich nicht nur durch eine schnelle Ueberweisung
der diesbezüglichen Beträge seitens der bisherigen oder neu zu ge-
winnenden Aktionäre, sondern es wird auch meistenteils seitens der
Kreditbegehrenden geschäftskundig bei der Festsetzung des Emissions-
kurses verwertet, zu welchem die jungen Aktien den alten Aktionären
angeboten oder direkt dem Börsenverkehr zugeführt werden. Gerade
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 7
die Verhältnisse der jüngeren Vergangenheit zeigen, daß für be-
stimmte Arten industrieller Unternehmungen bei der Begebung neuer
Aktien Kursaufschläge erzielt worden sind, die vielfach 100 Proz.
des geforderten Betriebskapitals erreichten oder überstiegen. Somit
wurde nicht nur der beabsichtigte Zweck der Kapitalserhöhung leicht
erreicht, sondern es wurden auch gleichzeitig außergewöhnlich große,
den hohen Agiosätzen entspringende Gewinne erzielt. Wenn nun
auch dieselben allgemein nicht durchweg den betreffenden Aktien-
gesellschaften, sondern in mehr oder minder größeren Prozentsätzen
den Emissionshäusern oder Konsortien zufließen, so haben doch
selbstverständlich die Verwaltungsorgane jedes gut geleiteten Unter-
nehmens das finanzielle Interesse dieses letzteren bei der Bewertung
des Bezugsrechtes zu wahren verstanden, oder sie wären hierzu ver-
pfichtet gewesen. Ist nun die Möglichkeit gegeben, derartige Ge-
winne zu Gunsten eines einzelnen Geschäftsjahres zu verwenden, so
können leicht Gefahren mannigfacher Art heraufbeschworen werden.
Eine Ungleichheit der Dividenden würde vorübergehend eintreten,
welche den Kurs der Aktien zum Spielball der Agiotage machen
und ernstliche Aktionäre abschrecken würde, derartige Anlagewerte
zu dauerndem Besitze zu behalten; andererseits würde der im nächst-
folgenden Geschäftsjähre entstehende unvermeidliche Rückgang der
Dividende leicht bei oberflächlicher Beurteilung der Sachlage nicht
auf den entscheidenden Bestimmungsgrund des nunmehr fehlenden
Agiogewinnes, sondern vielfach auf eine Verschlechterung des eigent-
lichen Geschäftsverkehrs zurückgeführt werden und diese irrtümliche
Voraussetzung kann leicht eine Minderung des Kredits und des Ab-
satzes bedingen. Alle diese eventuellen Verhältnisse und Mißstände
hat die neuere Aktiengesetzgebung berücksichtigt, indem sie die
Rechtsnorm aufstellte, daß Agiogewinne, welche bei der Begebung
junger Aktien erzielt werden, zur Deckung eines aus der Bilanz sich
ergebenden Verlustes in den Reservefonds einzustellen sind. Die
erforderlichen Rücklagen werden daher nicht nur durch die 5-proz.
Jahresquote vom Reingewinn, sondern auch durch die vorerwähnte
Maßnahme ermöglicht, die geeignet ist, den Accumulationsprozeß der
Reservefondskapitalien zu beschleunigen. Hierzu gehört auch die Be-
stimmung bezüglich des Aufgeldes, das nicht nur bei der Begebung
Junger Aktien, sondern auch bei der erstmaligen kursmäßigen Ver-
wertung der ursprünglichen Betriebskapitalien nach Errichtung einer
Gesellschaft erzielt wird. Allerdings treten derartige Stärkungsmittel
der Reserven nur selten auf, denn entweder wahren sich die Vor-
besitzer eines Unternehmens bei Umwandlung desselben in eine
Aktiengesellschaft das Vorrecht, die zu emittierenden Aktien zum
Parikurse zu beziehen oder Neugründungen entstehen, bei denen die
Agiosätze wegen der erst aufzuweisenden Rentabilität naturgemäß
begrenzt sind. Für beide Eventualitäten sichern sich übrigens durch-
schnittlich die Emissionshäuser und Konsortien als Ersatz für das
übernommene Risiko den Löwenanteil an dem geforderten Aufgeld.
8 Otto Warschauer,
Auch durch eine dritte Möglichkeit soll der Reservefonds finanziell
gestärkt werden. Zur Deckung von Geschäftsverlusten werden häufig
von den Aktionären Zuzahlungen gefordert, welche das Grundkapital
der Gesellschaft nicht erhöhen. Für diese Zwecke werden Vorzugs-
aktien mit einer festen Dividende geschaffen, für welche eine even-
tuelle Nachzahlungspflicht aus späteren Jahresgewinnen vorgeschrieben
ist. Diese Vorzugsaktien nehmen an der Superdividende teil und
haben Vorrechte bei der Liquidation des Unternehmens. Die hierfür
empfangenen Barbeträge dienen zuvörderst zur Deckung des Defizits;
häufig jedoch entstehen durch dieselben auch Ueberschüsse, die für
die Gewinnverteilung des nächstlaufenden Geschäftsjahres nicht zu
verwenden, sondern dem gesetzlichen Reservefonds zuzuweisen sind.
Von entscheidender Bedeutung für die Zwecke des letzteren ist diese
Bestimmung nicht; sachlich jedoch ist sie berechtigt, weil sie die
unzweckmäßige Verwendung eines meistenteils zufällig entstehenden
Geschäftsgewinnes verhindert.
Das Gesetz versucht endlich den Charakter der Reserve inner-
halb der gesamten Vermögensmasse einer Aktiengesellschaft zu
präzisieren. Die Reserve ist ziffermäßig in der Jahresbilanz auf-
zuführen, sie ist selbstverständlich Eigentum der Gesellschaft und
bildet ein für dieselbe verwertbares Aktivum; den gesetzlichen Be-
stimmungen !) gemäß jedoch ist sie Gläubigerin und daher bilanzmäßig
den Passiven zuzuzählen.
II.
Die durch das Aktiengesetz vom Jahre 1884 erstmalig vor-
geschriebenen Reserven der deutschen Aktiengesellschaften werden
eine um so größere allgemeine finanzielle Bedeutung erhalten,
je länger die diesbezüglichen Aufspeicherungen erfolgen. Sie bilden
jedoch bereits in der Gegenwart eine Kapitalsmasse, die einen nicht
unwesentlichen Prozentsatz des Nationalvermögens darstellt.
Die folgenden Zusammenstellungen bezwecken, einen annähern-
den Ueberblick über die bereits angesammelten Beträge zu geben.
Hierfür sind bestimmte Typen oder Gruppen gebildet, die zuvörderst
alle diejenigen Erwerbszweige umfassen, in denen im Gegensatz zu
den sonstigen Formen der geschäftlichen "Unternehmungen die Aktien-
gesellschaft vorherrschend ist.
Es sind demgemäß in Betracht zu ziehen:
I. Eisenbahnaktien.
II. Bankaktien.
III. Versicherungsgesellschaften.
IV. Berg- und Hüttenwerke.
V. Brauereien.
VI. Elektrizitätsgesellschaften.
VII. Maschinen-, Metallwaren- und Eisenbahn-
bedarfsfabriken.
1) Vergl. Handelsgesetzbuch 8 261, 5
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 9
VIII. Papierfabriken.
IX. Transportgesellschaften.
X. Textilfabriken.
XI. Gummifabriken.
XII. Chemische Fabriken.
XIII. Zuckerfabriken.
. XIV. Cement- und Chamottefabriken, sowie endlich
XV. Verschiedene Unternehmungen,
welche in die einzelnen Gruppen, bezw. Produktionszweige nicht
hineingereiht werden können, die jedoch von nicht zu unterschätzen-
der industrieller Bedeutung sind. Es sei ferner hervorgehoben, daß
für die einzelnen Gruppen nicht sämtliche diesbezügliche, zur Zeit
existierende Aktiengesellschaften aufgeführt worden sind, denn einer-
seits würde dies den durch die Verhältnisse bedingten Raum weit
überschreiten, und andererseits wäre es auch zwecklos, denn die
Tendenz der Ziffern, bezw. die große finanzielle Tragweite, welche
die Reservefonds sowohl in ihrer Gesamtheit gegenüber dem National-
vermögen, als auch in ihrem Verhältnis gegenüber dem Einzelunter-
nehmen haben, kann durch Vorführung der hervorragendsten Er-
scheinungen der Einzelgruppen genau erkannt werden. Demgemäß
sind in diesen letzteren nur diejenigen Aktiengesellschaften aufgeführt,
die innerhalb der betreffenden Produktionssphäre eine wirtschaftlich
bemerkenswerte Stelle sich errungen haben. Unter Berücksichtigung
dieser Verhältnisse sind die folgenden Zusammenstellungen, die das
Geschäftsjahr 1901 bezw. 1900/1901!) betreffen, aufzunehmen.
(Siehe Tabellen auf S. 10, 11, 12, 13 u. 14.)
Bei sämtlichen vorgeführten Gruppen ist für die einzelnen
Unternehmungen zuvörderst das Jahr der Errichtung in Be-
tracht zu ziehen. Es ist selbstverständlich, daß die Höhe der Reserve-
fonds durchschnittlich durch die Dauer des Unternehmens bedingt
ist, denn je älter dasselbe ist, desto leichter wird es, sowohl den ge-
setzlich vorgeschriebenen Prozentsatz der Reserven zu erreichen, als
auch gleichgeartete Sonderziele zu verfolgen.
Zweitens ist die Höhe des Aktienkapitales von ent-
scheidender Bedeutung, denn je größer dasselbe ist, eine desto höhere
Wahrscheinlichkeit der Gewinneingänge ist vorhanden. Hier übrigens
ergiebt sich auch die innere Begründung der gesetzlichen Bestimmung,
Agiogewinne dem Reservefonds zuzuführen, denn durch die Aus-
gabe junger Aktien wächst das Betriebskapital und demgemäß die
Pflicht einer Steigerung der Rücklagen. Es wäre daher ungerecht, im
geeigneten Augenblick dieser Pflicht nicht zu gedenken und die erzielten
Gewinne, wie bereits früher hervorgehoben, statt zur Mehrung der Reser-
ven zur vorübergehenden Erhöhung der Dividenden zu verwenden.
1) Bei Abschluß der vorliegenden Studie lagen die Berichte derjenigen Aktien-
gesellschaften, deren Geschäftsjahr sich nicht mit dem Kalenderjahr deckt, für 1901/02
abgeschlossen noch nicht vor. Für diejenigen Unternehmungen jedoch, die, wie die
Schuckert-Gesellschaft und die Deutsche Genossenschaftsbank nachweislich in der jüngsten
Zeit eine wesentliche Verringerung ihrer Reserven haben eintreten lassen müssen, sind
auch die neueren Ziffern aufgeführt.
10 Otto Warschauer,
Sn
| Kapital-
Thr Aktien- | bezw. ge- | Spezial- Eesen?
Errich- kapital | setzliche | reserven | Daer g
| Reserven S
tung |
M. M. | M. | M.
I. Eisenbahnaktien.
Dortmund-Enschede 1872 | 30 000 000 300000 | 4 189 837| 4 489 837
Lübeck-Büchener 1850 | 20790000 | 2079000 | 2874817| 4 953 817
Ludwigshafen-Bexbach 1838 | 19986857 | 1094 105 756 428! 1 850 534
Marienburg-Mlawka 1872 | 32881 874 360000 | 2076 890| 2436 890
Ostpreußische Südbahn 1863 | 27000000 | 3520457 | 5 584 162, 9 104 620
II. Bankaktien.
Bayrische Notenbank 1875 | 7500000 | 2800941 | 1464. 700| 4 265 641
Bergisch Märkische Bank 1871 | 50000000 |11446 209 | 4524 362|15 970 571
Berliner Bank 1889 | 42000000 | 3135 171 | 3135 171
Berliner Handelsgesellschaft 1856 | 90000000 |21 300000 | 3 500 000 24 800 ooo
Berliner Kassenverein 1850 9000000 | 1 350 000 100 000| I 450 000
Breslauer Diskontobank 1870 | 50000000 985 000 985 ooo
Breslauer Wechslerbank 1871 | 12000000 | 1200 000 285 000 1 485 000
Commerz- und Diskontobank 1870 | 50000000 | 6000000 | 1050 258 7 050 258
Bank für Handel und Industrie | 1853 | 105 000 000 |12 718611 10192 897/22 911 508
Deutsche Bank 1870 | 150000000 |28 243 535 21 099 110 49 342 646
Deutsche Reichsbank 1875 | 150000 000 |44 639 256 | 3065 200 47 704 457
Deutsche Effekten- u. Wechsel-
bank 1872 | 30000000 | 2 334 582 2 334 582
Deutsche Genossenschaftsbank 1864 | 36000000 | 4670000!) 4 670 000
Diskontogesellschaft 1851 | 130000000 |18 974027 |19 500 000 38 474 028
Dresdner Bank 1872 | 130 000 000 |34 000 000 34 000 000
Hamburger Hypothekenbank 1871 | 21000000 | 6000000 | 1630497| 7 630 497
Leipziger Kreditanstalt 1856 | 75 000000 |24 141 990 | 6 302 007/30 443 997
Mitteldeutsche Kreditbank 1856 | 45000000 | 3415899 | 1250000| 4 665 899
Nationalbank für Deutschland 1881 | 60000000 | 9500000 ` 9 500 000
Preußische Bodenkredit-Aktien- |
bank 1868 | 30000000 | 6000000 | I 500 000! 7 500 000
Preußische Central-Bodenkredit-
Aktienbank 1870 | 28799760 | 1879097 | 3 859 298| 5 738 396
Preußische Pfandbriefbank 1862 | 18000000 | 2 000 000 849 800| 2 849 800
Rheinische Hypothekenbank 1871 | 16580400 | 4 000 000 600 244 4 600 244
Sächsische Bank 1865 | 30000000 | 6.060 242 523 224| 6 583 466
Schaafhausenscher-Bankverein 1848 | 100 000 000 |17 549087 | 2 500 000 20 049 087
Schlesischer Bankverein 1856 | 27 000000 | 2700000 | 4 300 000, 7 000 000
Schlesische Bodenkredit-Aktien-
bank 1871 | 15000000 | 2250000 | 1 825 000) 4075 000
IH. Versiche
Aachen-Münchener Feuerversich. | 1825
Berliner Feuerversicherung 1812 |
Berliner Hagel-Assekuranz 1832
Berliner Lebensversicherung 1836
Colonia-Feuerversicherung 1839
Coneordia-Lebensversicherung 1853
rungsgesellschaften.
9000000?) 900000
6 000 000), 600 000
3 000 000?) 27 561
3000000?) 208 258
9 000 000?) 4.000 000
30 000 000 °); 3 000 000
7 044 110| 7 944 110
I 005 175| 1665 175
312 343| 339 904
2496 152| 2704 410
5 099 990| 9 099 990
2078 799| 5 078 799
1) Durch GeneralversammlungsbesehluB vom 16. September 1902 ist der Reserve-
fonds wegen der notwendig gewordenen Abschreibungen u. s. w. auf 2 000 000 M. re-
duziert worden.
2) 20 Proz. Einzahlung.
wows oson =-
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 11
Kapital-
galz Aktien- bezw. ge- | Spezial- ar
Errich kapital setzliche | reserven c
EAE Reserven 1994
tung
| M. M. M. M.
Germania-Lebensversicherung 1857 9 000 000 !) 900 000 | 2 899 893 | 3 799 893
Leipziger Feuerversicherung 1819 3 000 000 | 3000 000 | 1 419 788 | 4 419 788
Magdeburger Feuerversicherung | 1844 | 15000 000!)| 1158861 5 107 926 | 6 266 787
Magdeburger Lebensversiche-
rung 1855 | 6000000')| 592958 | 238305| 831 263
Preußische Lebensversicherung | 1865 | 3000000!) 300 000 | 250447| 550447
Schlesische Feuerversicherung 1848 9 000 000 !) 900 000 | 1 414 266 | 2 314 266
IV. Berg- und Hüttenwerke.
Aschersleben, Kaliwerke 1889 | 12 000 000 862 873 799 715 | 1662 589
Bismarckhütte 1872 | 6 000000 1 500 000 | 1040000 2 540 000
Bliesenbach 1895 5 500 000 214 076 | 214076
Bochumer Gußstahl 1854 | 25 200 000 6 200 125 860 000 | 7 060 125
Concordia-Bergbau 1890 8 000 000 2 278 002 696 066 | 2 974 068
Consolidation Schalke 1889 | 16 000 000 1 600 000 | 4 249 729 | 5 849 729
Donnersmarekhütte 1872 | 10.092 600 724 052 402 326 | 1 126 378
Dortmunder Union 1872 | 42 000 000 I 168932 | 1568 294 | 2 737 226
Eschweiler Bergwerk 1834 | 15 000 000 3 000 000 562 934 | 3 562 934
Gelsenkirchner Bergwerk 1873 | 54 000 000 9033 714 |5 400000 14 433 714
Harpener Bergwerk 1856 | 52000000 | 18293 344 | 3 638 242 |21 931 586
Hasper Eisenwerk 1894 | 3000000 300 000 57048| 357048
Hörder Hütten 1843 | 27 028 ooo 1475973 | 1 088 936 | 2 564 909
Kattowitzer Bergbau 1889 | 22000 000 3 206 224 450 000 | 3 656 224
Kiher Bergwerksverein 1849 | 6000000 1470000 | 641964 | 2111 964
Köniz Wilhelm 1872 6 900 000 690 000 | 1 300 666 | 1 990 666
Königs- und Laurahütte 1871 | 27 000 000 5 400 000 | 823 000 | 6 223 000
Nordstern 1873 | 16 999 200 1 565 000 | 377 731| 1942 731
Oberschlesische Eisenindustrie 1887 | 25 200 000 4 091 067 346 859 | 4 437 926
Phönix-Bergwerke 1853 | 30 000 000 5056701 | 2 200000 | 7 256 701
Rheinische Stahlwerke 1870 | 27 000 000 4 940 000 | 400000 | 5 340 000
Riebeck'sche Montanwerke 1883 | 12 000 000 I 857 257 509 978 | 2 367 235
Sächsische Gußstahlfabrik 1863 | 30 000 000 1490000 | 480000, 1 970 000
Schalker Gruben 1889 | 3.000 000 I 164 125 I 164 125
Sehlesische Zinkhütten 1853 | 23 529 000 4819473 |2352900 | 7 172 373
Westfälische Drahtindustrie 1872 | 7999 800 800 000 | 116625 | 916625
V. Brauereien.
Böhmisches Brauhaus 1870 | 3 300 000 660 000 55000| 715 000
Friedrichshöhe (Patzenhofer) 1871 | 5670000 | 1050000 155 208 | 1 205 208
ipziger Bierbrauerei (Riebeck
& Co.) 1887 | 4 000 000 400 000 | 210000 610 000
Lindener Aktienbrauerei 1871 3 024 000 773 872 280 000 | 1 053 872
Pfefferberg 1887 | 2800000 226 010 202000, 428010
Reichelbráu 1895 | 3750000 197 268 | 300000| 497 268
Schultheiß 1871 | 11 709 000 5 930 475 47 760 5978235
Vereinsbrauerei Rixdorf 1872 | 4 000 000 653611 8000| 661611
Weißbier Landré 1872 | 1650000 | 145233 | 11242| 156475
VI. Elektrizitätsgesellschaften.
Akkumulatorenfabrik 1890 6 250 000 I 250 000 | 1 520 939 | 2 770 938
Allgem. Elektrizitätsgesellschaft | 1883 | 60000000 | 22 027 622 | 7 973 378 |30 000 ooo
1) 20 Proz. Einzahlung.
12
Otto Warschauer,
| Kapital
Jahr Aktien- bezw. ge- | Spezial- SIR
der kapital setzliche | reserven | 1901
Errich- Reserven
tung Mo © M M. M.
Berliner Elektrizititswerke 1884 | 25200000 | 1114393 |1133 230 | 2 247 623
Gesellschaft für elektrische |
Unternehmungen 1894 | 30 000 000 860 869 750000 | 1610869
Lahmeyer 1892 | 10000000 | 2414 337 686 728 | 3 101 065
Schuckert & Co. 1893 | 42000000 |16 711 993!) 5 154 065 21 866 058
Siemens & Halske 1897 | 54 500000 | 9611 163 618 834 10 229 997
Union 1892 | 24 000 000 | 2430 244 400 000 | 2 830 244
VII. Maschinen-, Metallwaren- und Eisenbahnbedarfsfabriken.
Archimedes 1875 I 500 000 150 000 398 462| 548462
Berlin-Anhalter Maschinenfabrik | 1872 4 500 000 658 286 803 978, 1 402 264
ChemnitzerWerkzeugmaschinen- |
fabrik (Zimmermann) 1871 5 400 000 540 000 244605 784605
Dürrkopp, Bielefelder Maschinen | 1889 3 000 000 | 1 288 900 I 761 100 3 050 000
Eckert, landw. Maschinen 1871 3 600 000 216 716 237 245, 453 961
Federstahlindustrie (Cassel) 1886 1 500 000 300 000 303694 603694
Freund, Maschinen 1871 1 800 000 360 000 246 767, 606767
Górlitzer Eisenbahnmaterial
(Lüders) 1869 2 142 600 350 000 135 000! 485 000
Görlitzer Maschinen 1872 2 400 000 488 187 164 687| 652874
Ilallesche Maschinen 1872 1 800 000 837 539 300 000! 1 137 539
Hannoversche Maschinen 1871 4 643 100 630000 | 1900 000| 2 530 000
Hartmann-Maschinen 1870 | 12000000 | 2601846 | 1 622 295! 4 224 141
Linke, Breslauer Wagenbau 1871 6 600 ooo 577 77 500 000! 1077 775
Loewe & Co. 1869 7 500000 | 6251899 | 1 248 101| 7 500 000
Orenstein & Koppel 1897 8 000 000 970 795 557 793) 1 528 588
Sächsische Webestuhlfabrik
Schönherr 1872 3 000 000 308 652 525000 | 923652
Sangerhüuser Maschinen 1573 2100000 | 2038 000 540 000, 2 578 000
Schwartzkopff 1570 | 10800000 | 4 934 396 197 391, 5 131787
Sentker 1871 1 560 000 368 395 150 177| 518572
Stettiner Maschinenbau Vulkan | 1857 | 10000000 | 1100000 | 10601510) 2701510
Zeitzer Maschinen 1871 1 824 000 908 560 109 750| 1018 310
VIII. Papierfabriken.
Alfeld-Gronau 1872 1 590 000 167 136 50310! 217 446
Aschaffenburger 1872 3 000 000 900 000 131 800 1031 800
Berliner Pappenfabrik 1872 1 800 000 95 975 6000! 101 975
Cróllwitzer 1871 I 350 000 | 293 791 788 909| 1 082 700
Varziner 1890 1 000 000 100 000 322000, 422000
IX. Transportgesellschaften.
Allgemeine Berliner Omnibus- | 1865 3300000 | 548000 272700| 820700
gesellschaft |
Allg. Lokal- und Straßenbahn | 1881 15 000000 | 2589455 | 2254 249) 4 843 704
Breslauer Straßenbahn 1876 6 500000 | 511902 336055) 847 957
Große Berliner Straßenbahn 1871 | 85 785 000 | 5 640 977 |19 209 034|24 850 031
llamburger Straßenbahn 1866 | 21000000 | 2 967 485 916 564| 3 884 049
1) Bei der Sehuckert-Gesellschaft sind laut Geschäftsbericht für 1901,02
dem Reservefonds zur Deckung der Unterbilunz M. 15 399 316 entnommen worden, so
daß sich derselbe am 31. März 1902 nur auf M. 1312 677 bezifferte.
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 13
Kapital
Jahr Aktien- bezw. ge- | Special- | Gesamt-
der kapital setzliche | reserven | reserven
Errich- Reserven
de. | M. M. M. M.
Hamburg-Amerika Paketfahrt 1847 | 80000000 | 8234829 12577 670.20 812 499
Norddeutscher Lloyd 1857 | 80000000 | 3 665 230 nm 473 914/20 139 144
X. Textilfabriken.
Braunschweiger Jute 1868 | 3000000 433 565 491 123| 924 688
Bremer Wollkämmerei 1883 4 000 000 119 350 750000! 869 350
Coneordia Spinnerei 1888 3 000 000 300 000 156426, 456426
Deutsche Jutespinnerei 1872 2 296 800 350 000 242 217| 592217
Mechanische Weberei Sorau 1886 I 500 000 150000 | 60000| 210000
Mechanische Weberei Zittau 1871 1 200 000 120 000 181 140| 301 140
Nordd. Wollkämmerei 1884 9175000 | 1301906 | 356940| 1 658 846
Schlesische Leinwand Kramsta | 1871 7 500 000 750000 | 150000) 900000
Stöhr, Kammgarnspinnerei 1580 7900000 | 2525000 | 250000! 2 775 000
XI Gummifabriken.
Harburg-Wiener 1872 6000000 | 3101 865 | 375 250| 3477 115
Norddeutsche Gummifabrik 1871 I 207 000 125 506 | 24000| 149 506
Schwanitz 1874 830 000 83 000 28403| 111403
Vereinigte Berlin - Frankfurter |
Gummiwarenfabriken 1883 1 800 000 211313 43497| 254710
XII. Chemische Fabriken.
Akt.-Ges, für Anilinfabrikation | 1873 7 000000 | 1955870 ı 348561) 2 304 431
Anglo-Kontinentale Guano 1883 | 16 000 000 142000 | 500000 642 000
Elberfelder Farben 1881 I4000000 | 5415 884 | 3850000, 5 765 884
Höchster Farbwerke 1579 | 17000000 | 5560000 3072875 8632875
Leopoldshall 1872 | 11 300 400 455 146 559312) 1014458
Mileh & Co. 1859 2 850 000 285 000 125 000, 410 000
Schering 1871 5 000 000 | 1138 398 675 471| 1813 869
Union 1872 5040000 | 1008 000 474731) 1482731
XIII. Zuckerfabriken.
Fraustadt 1880 | 1800000 180 000 90 000! 270.000
Glauziger 1872 4 500 000 377 325 100 000| 477325
Köhlmann 1871 1 800 000 360 000 100 000) 460 000
Körbisdorf 1872 2 700 000 270 000 203 755) 473755
Kruschwitz 1880 2 484 000 341398 | 1087 360| 1 428 758
Rositzer 1882 5 500 000 689241 | 1088 523| 1 777 764
XIV. Cement- und Chamottefabriken.
Adler 1880 | 4000000 | 2 970 000 60 000! 3 030 000
Alsen 1854 8000000 | 1186153 619 711) 1 805 864
Obersehlesische Chamottefabrik | 1858 I 750 000 175 000 131306 306 306
Oppelner Cement 1872 3 000 000 | 300 000 300 000| 600 000
Portland-Cement Fabrik
Hemmoor 1882 5 400 000 | 1509 172 350 225| 1 859 397
Schlesische Portland-Cement 1872 3 750 000 722 800 237 509| 960 309
Stettin-Bredower Portland- 1854 1 200 000 120 000 68 782 188 782
Cement
Stettiner Chamottefabrik Didier | 1872 9 250000 | 1804029 | 1183 656) 2 987 685
14 Otto Warschauer,
|
Kapital-
Aktien- | bezw. ge- | Spezial- re
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: apital — ' setzliche | reserven
Errich- | à 1901
Reserven
tung |
M. | M. M. M.
XV. Verschiedene Unternehmungen.
Deutsche Gasglühlicht 1892 2404000 | 240400 240 400
Deutsche Waffen 1889 | 15000000 | 3729855 1 000 000! 4729855
Porzellanfabrik Kahla 1888 2 100000 | 737 701 | 10 000 747 701
Porzellanfabrik Königszelt 1886 1600000 | 160 000 | 164 327 324 327
Rheinisch-Westfälische Industrie | 1871 1 500 000 240 000 239000, 479000
Siemens Glasindustrie 1888 9 000 000 865 159 114 602 979 761
Waldhof. Zellstofffabrik 1884 9 000 000 3051423 |2303919| 5355 342
. Die Kapital- bezw. gesetzlichen Reserven, die auch
unter der Bezeichnung Reservefonds I, Bilanzreservefonds, All-
gemeine Reserve in den Geschäftsberichten aufgeführt werden, dienen,
wie aus den gegebenen Ausführungen ersichtlich ist, lediglich
der Deckung einer eventuellen Unterbilanz. Da jedoch hierdurch
die Idee der Reserven für die wirtschaftlichen Interessen nicht
voll erfüllt wird, oder bei lingerer Dauer des Unternehmens und
genügender Rentabilität desselben die gesetzlich vorgeschriebene
Summe im Laufe einer bestimmten Frist voll erreicht ist, werden
vorsichtig und umsichtig handelnde Verwaltungsorgane der Aktien-
gesellschaften veranlaßt, häufig, namentlich bei günstiger Konjunktur
und demgemäßen Gewinnerträgnissen nicht nur den Formalitäten
des Gesetzes zu genügen, sondern im Interesse der von ihnen ge-
leiteten Unternehmung neben der Unterbilanzreserve Spezial-
reserven zu schaffen. Diese Sonderreserven sind von den Prinzip
der Freiwilligkeit geleitet. Teilweise entstanden sie, wie dies durch
den historischen Aufbau des Reservefonds erklärlich ist, vor den
Unterbilanzreserven und dienen dem vorgeschriebenen Zwecke. Sie
treten auf und werden bezeichnet z. B. als außerordentliche Reserven,
Fonds für diverse Risiken, Konto-Korrent-Reserven, Deleredere-Konto,
Reserven zur Verfügung der Verwaltung, für zweifelhafte Forde-
rungen, außergewöhnliche Bedürfnisse, Erneuerungsfonds, Dividenden-
ergänzungsfonds, Baureserven, Sonderrücklagen, zusätzliche Rück-
stellungen, angreifbare Reserve, fakultative Reserve, Extrareserve,
Dispositionsfonds, Freiwillige Reserve, Reservefonds II, Reservefonds B,
C u. s. w. Hierzu gehören auch die eventuell jährlich bilanzmäßig
vorzunehmenden Gewinnvorträge, die als Spezial-Dividenden-Reserve-
fonds für das nächste Geschäftsjahr bezeichnet, oder zur Deckung der
in der gleichen Periode eventuell entstehenden Verluste verwendet
werden können. Im übrigen ist die Höhe der Spezialreserven vielfach
aus den Bilanzen nicht erkennbar. Wenn z. B. Banken ihre Immobilien
oder große industrielle Unternehmungen Patente auf minimale Be-
träge abschreiben, so tritt auch hier das Prinzip der Reserven, wenn
auch verschleiert in Kraft. Je umfangreicher nun die gesamten
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 15
Spezialreserven auftreten, je dezentralisiertere Zwecke sie verfolgen,
je stärker sie prozentual dem gesamten Aktienkapital gegenüber sind,
desto gefestigter, lebenskräftiger und widerstandsfähiger wird das be-
treffende Unternehmen.
Die Summe der Kapital- und Spezialreserven bildet die Ge-
samtreserve; sie hat für die allgemeine Bewertung des Gesell-
schaftvermögens entscheidende Bedeutung und gewährt unter Berück-
sichtigung der eventuell möglichen, später genau zu erörtenden
Mißbräuche in vielfacher Beziehung einen für den Aktionär und die
allgemeine Beurteilung des betreffenden Unternehmens verwendbaren
und zuverlässigen Maßstab. Wo, wie dies leider bei einzelnen Aktien-
gesellschaften der Fall ist, Kapital- und Spezialreserven nicht ge-
trennt aufgeführt werden, ist der diesbezügliche Betrag bei den
Kapitalreserven aufgeführt; für die allgemeine Beurteilung des be-
treffenden Unternehmens jedoch ist nur die Ziffer der Gesamtreserven
in Betracht zu ziehen.
Es würde leicht zu Trugschlüssen verleiten, wollte man die vor-
geführten Summen einheitlich auffassen. Um objektiv die Sachlage
voll zu erkennen, muß daher einerseits die Eigenart der bedingenden
Verhältnisse, bezw. das Risiko der Unternehmung und die damit
verbundene Gefahr einer etwa eintretenden Unterbilanz in Betracht
gezogen werden und andererseits sind namentlich für einzelne Gruppen
die besonders markanten Erscheinungen bezüglich des Charakters
der Reserven herauszuschälen.
Die deutschen Eisenbahnaktien gehören zu den ältesten
Kategorien des Effektenmarktes, denn mit ihnen begann die eigent-
liche Entwickelung des Aktienwesens in Deutschland. Nachdem je-
doch ihr Verstaatlichungsprozeß in den meisten deutschen Bundes-
staaten durchgeführt ist, haben sie für den Börsenverkehr der Gegen-
wart keine entscheidende Bedeutung mehr. Die Umsätze in ihnen
dürften sich auch in der Zukunft dauernd nicht heben, weil entweder
die gegenwärtig noch bestehenden größeren Privatbahnen, wie z. B.
die Dortmund-Enscheder und Lübeck-Büchener-Eisenbahn, das
Schicksal der anderen gleichgearteten großen Unternehmungen teilen
werden oder die der Verstaatlichung nicht anheimfallenden Bahnen
mehr oder weniger lokale Tendenzen verfolgen und ein lebhaftes
Interesse des Kapitalisten nicht zu erregen vermögen. Durch die
lange Dauer ihrer Existenz sind bei der Mehrzahl der zur Zeit
noch bestehenden Privatbahnen die gesetzlich vorgeschriebenen
Rücklagen meistenteils bereits erreicht. Die Gefahr der Unter-
bilanz hat diese Bahnen nur ganz ausnahmsweise bedroht und die
vorhandenen Reserven dienen vielfach mehr zur Zierde wie zum
Schutz. Bei einzelnen der aufgeführten Unternehmungen sind, wie
aus der Zusammenstellung ersichtlich ist, stattliche Spezialreserven
angesammelt und sobald die Stunde der Verstaatlichung endgültig
naht, werden daher die betreffenden Verwaltungsorgane genügenden
Ersatz hierfür zu fordern berechtigt sein. Aehnlich liegen die Ver-
hältnisse bei den Transportgesellschaften, von denen einzelne
16 Otto Warschauer,
mit der Eventualität der Verstadtlichung rechnen können, und in
denen sich gleichfalls teilweise sehr große Gesamtreserven angesammelt
haben.
In höherem Maße wie bei den Eisenbahnaktien und Transport-
gesellschaften ist nach Eigenart der geschäftlichen Transaktionen und
den damit verknüpften Risiken die Gefahr der Unterbilanz für die
Deutschen Bankaktien gegeben. Die einzelnen Banken scheiden
sich in Effekten-, Hypotheken- und Zettelbanken und auch hier ist
durchschnittlich das Jahr der Errichtung von entscheidender Be-
deutung für die Höhe der Reserven. Bei den Effektenbanken,
die bekanntlich ursprünglich in der Form der Credits mobiliers auf-
traten, differiert dasselbe wesentlich und namentlich zwei Phasen der
Entwickelung sind für sie festzuhalten. Zuvörderst ist diejenige
Periode in Betracht zu ziehen, in der sich langsam und allmählich
die Idee der Kapitalassoziation in der Form der Aktiengesellschaften
Bahn brach. Diese Periode setzt ungefähr in der Mitte des 19. Jahr-
hunderts ein und reicht bis zum Jahre 1870. Die zweite Phase
beginnt mit der Gründung des Deutschen Reiches. Einerseits
werden durch das gewaltige, politische Ereignis die Produktivkräfte
der Nation in höherem Maße wie bisher entfacht, andererseits ent-
faltete sich nach Beseitigung des die Entwickelung der Aktiengesell-
schaften bisher lähmenden Konzessionssystems eine neue, dem
gesteigerten Bedarf entsprechende Organisation des Kredites, die
zur wesentlichen Ausbreitung der Effektenbanken beiträgt. Je mehr
sich nun Deutschland zum Industriestaat entwickelte, in desto
höherem Maße wächst das Operationsgebiet der letzteren. Durch
Fusionen und Erhöhungen der Betriebskapitalien steigerte sich ihr
Einfluß und ihre Leistungsfähigkeit. So werden sie namentlich im
letzten Jahrzehnt des vertlossenen Jahrhunderts für den gesamten
Wirtschaftsverkehr Deutschlands von immer entscheidenderer Be-
deutung und entwickeln sich vielfach nicht nur zu finanziellen,
sondern auch sozialen Mächten.
Auf diesem Niveau bewegen sich in der Gegenwart namentlich
die großen Berliner Effektenbanken, welche die Gunst der Konjunktur
und Entwickelung jeweilig voll auszunutzen verstanden haben und
die das allgemeine Vertrauen sieh nicht nur durch Umsicht und
Intelligenz ihrer Leiter, sondern auch durch stete Wahrung jener
Soliditätsgrundsätze erworben haben, die auch bei dem Aufbau und
der Verwertung der Reserven zum Ausdruck zu kommen haben.
Die von ihnen hierbei gehandhabte Politik, mag sie die Kapital-
oder Spezialreserven betreffen, hat drei erfreuliche Erzeugnisse ge-
zeitigt. Sie befähigt die betreffenden Institute teilweise der Ungunst
der Konjunktur zu trotzen, sie ermöglicht zweitens die annähernd
gleichmäßige Erfüllung der volkswirtschaftlichen Aufgaben, welche
sich nach Eigenart der Verhältnisse nunmehr dauernd mit ihrer
Existenz verknüpft, und sie gewährt endlich vielfach den Aktionären
das Gefühl einer berechtigten Sicherheit. In diesem Sinne sei
namentlich auf die Gesamtreserven der Diskontogesellschaft, der
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 17
Berliner Handelsgesellschaft und der Deutschen Bank hingewiesen 11.
Namentlich die Reserven dieser letzteren Bank, die fast 20 Jahre
später wie die Diskontogesellschaft errichtet wurde, bildet eine statt-
liche Kapitalkraft und liefert den beredten Beweis von dem Geiste
der Solidität, der dauernd dieses Institut beseelt.
In dem Banne und der Gefolgschaft der großen Berliner Effekten-
banken stehen durch Fusion oder Verwaltungsunion vielfach Provinzial-
institute, die von gleichen Grundsätzen wie die Mutterinstitute auch
in Bezug auf die Reserven geleitet werden. Die übrigen aufgeführten
Effektenbanken, die zu den hervorragendsten Deutschlands gehören,
haben in ihrer Reservefondspolitik zu Klagen nie Veranlassung ge-
geben. In welcher Form sich jedoch die Verwaltung der Reserven
auf dem Verwaltungswege abspielt, entzieht sich bei ihnen, wie bei
den großen Berliner Effektenbanken der Beurteilung.
Von den Hypothekenbanken sind nur diejenigen aufgeführt,
die sich seit einer Reihe von Jahren bewährt haben ?). Der bei der
Anhäufung der Reservekapitalien hierbei bekundete Ordnungssinn
dürfte vielfach wohl auch auf die anderen Gebiete der Geschäftsthätigkeit
übertragen worden und die treibende Ursache gewesen sein, jene
gefahrvollen Transaktionen zu meiden, die, wie die jüngste Ver-
gangenheit leider lehrt, bei vielen gleichgearteten Unternehmungen
zu Zahlungsverlegenheiten, Zusammenbrüchen und Sanierungs-
prozessen geführt haben. Auch von den zur Zeit in Deutschland
bestehenden Zettelbanken sind nur die Deutsche Reichsbank, die
Bayrische Notenbank und die Sächsische Bank aufgeführt, da die übrigen
Institute einen mehr oder minder begrenzten Wirkungskreis haben und
für die Dauer sich schwerlich halten dürften. Im allgemeinen ist bei
den Zettelbanken im Gegensatz zu den Hypotheken- und Effektenbanken
das Risiko ein begrenztes, da die Gesetzgebung die Art der mög-
lichen Geschäfte vorgeschrieben hat, spekulative Transaktionen fast
ausgeschlossen sind und demgemäß die Gefahr der Unterbilanz sich
wesentlich mindert. Interessant dürfte übrigens auch an dieser Stelle
der Hinweis sein, daß die Gesamtreserven der Deutschen Reichsbank
diejenigen der Deutschen Bank nicht völlig erreicht haben.
Aelter wie die Bank- und Eisenbahnaktien sind die Ver-
sicherungsaktien, doch haben sie für die direkten Interessen
des Geldmarktes und den Börsenverkehr nur eine untergeordnete
Bedeutung. Der Umstand, daß die Aktien als Namenspapiere cir-
kulieren, ihre Uebertragung von der Genehmigung der Verwaltungs-
1) Es bezifferte sich das Verhältnis der Gesamtreserven zum Betriebskapital für
das Geschäftsjahr 1900 nach Adolf Weber, a. a. O. 8. 223 z. B.
bei der Deutschen Bank auf 32 Proz.
» » Diskontogesellschaft 5 28556
» » Berliner Handelsgesellschaft „ 27,6 ,,
2) Die Reserven betrugen bei allen deutschen Hypothekenbanken nach dem
„Deutschen Oekonomist*, 1902, No. 1026:
1893 93,18 Mill. M.
1901 242260. iw- m
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 2
18 Otto Warschauer,
organe abhängig gemacht wird, der individuelle Besitz meistens im
Höchstmaße nicht überschritten werden kann und die Aktionäre für
die Erfüllung ihrer Verpflichtungen Solawechsel zu geben haben,
begrenzt naturgemäß die Umsätze in derartigen Wertpapieren. Die
für sie angelegten Reserven haben einen eigenartigen Charakter.
Als eigentliches Betriebskapital dienen die einlaufenden Jahres-
prämien, demgemäß ist das Aktienkapital, das meistenteils nur mit
20 Proz. eingezahlt ist, bereits ein Sicherheitsfonds, der als Reserve
dient und der eigentliche Reservefonds kann nur als gesteigertes
Garantiemittel bezeichnet werden, das die Aktionäre vor der Er-
höhung ihrer Verpflichtungen schützt.
Die Berg- und Hüttenwerke sind großen Schwankungen
der Konjunktur ausgesetzt. Die älteren Unternehmungen haben
durchschnittlich mit der Gefahr der Unterbilanz nur ausnahmsweise
zu rechnen gehabt, vielfach den gesetzlich vorgeschriebenen Satz der
Kapitalreserven bereits erreicht und durch Errichtung kapitalkräftiger
Specialreserven möglichen Gefahren der Zukunft vorgebeugt. Die
jüngeren Unternehmungen sind von gleichen Grundsätzen nicht
durchweg beseelt gewesen. Die sie leitenden Verwaltungsorgane
hätten daher besser gethan, bei der Hochflut der Konjunktur nicht
allzu hohe Dividenden auszuschütten, sondern einen Teil der Ueber-
schüsse zur Sicherung des Unternehmens für die Errichtung von
Specialreserven der verschiedenartigsten Zwecke zu bestimmen.
Einem gleichen Wechsel der Konjunktur wie die Berg- und
Hüttenwerke sind die Brauereien nicht ausgesetzt. Die einmal
erworbene Kundschaft der großen diesbezüglichen Aktiengesellschaften
ist vielfach konservativ, der Absatz berechenbar, spekulative Momente
entfallen durchschnittlich oder sind nicht von entscheidender Be-
deutung und die Gefahr der Unterbilanz ist daher bei ihnen selten
auf das Risiko des Unternehmens zurückzuführen.
Alle diejenigen großindustriellen Unternehmungen, die sich durch
die Technik und mit derselben entwickelt haben, sehen nach Lage
der Verhältnisse in Deutschland auf eine relativ kurze Vergangenheit
zurück. Die Voraussetzung wäre daher begründet, daß Kapital- und
Spezialreserven bei ihnen sich noch im Anfang der Entwickelung
befinden. Die großen Elektrizitätsgesellschaften jedoch
haben vielfach die Gunst der Konjunktur zur inneren Festigung der
Unternehmungen benutzt und somit eine gleiche Reservefondspolitik
wie die großen Berliner Effektenbanken getrieben !). Viele der kleinen
Unternehmungen jedoch versuchten durch hohe Dividenden zu blenden,
sich den Anschein eines großen gesicherten Wirkungskreises zu geben
und haben in diesem nicht berechtigten Bestreben leider den Spezial-
reserven eine nicht genügende Aufmerksamkeit gewidmet. Die
Maschinen-, Metallwaren- und Eisenbahnbedarfs-
1) Namentlich sei hierbei auf die Verhältnisse der Allgemeinen Elektrizitäts-
gesellschaft hingewiesen, deren Reserven bereits am 30. Juni 1901 die volle Hälfte des
Grundkapitals erreicht hatten.
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Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 19
Fabriken mögen die mannigfachen Phasen ihrer häufig stürmischen
Entwickelung nur durch frühzeitig angesammelte Spezialreserven
überwunden haben‘), und ein Gleiches gilt für viele der übrigen in
den einzelnen Gruppen aufgeführten Unternehmungen.
Lehrreich und interessant ist es nun, zu sehen, welche Reserve-
Ziffern diejenigen hervorragenden Aktiengesellschaften aufweisen, die
in der jüngsten Zeit ihre Zahlungen einstellten oder ernstlich ge-
fährdet waren.
Reservefonds der hervorragendsten falliten oder
geführdeten Unternehmungen:
Jahr der f R Gesamtreserven
Errichtung) Aruienkapital| 000 bezw. 1899
Allgemeine Deutsche Kleinbahngesellschaft 1893 7 500 000 1 467 632
Aktiengesellschaft für Grundbesitz 1883 4 000 000 891 099
Deutsche Grundschuldbank 1886 10 000 000 1334505
Dresdener Kreditanstalt 1856 20 000 000 3 950 000
Elektrizitätswerke Kummer 1894 | 10 000 000 3 162 514
Immobilienverkehrsbank 1890 | 500 000 100 000
Heilbronner Gewerbebank 1890 3 000 000 430 000
Kasseler Trebertrocknungsgesellschaft 1889 12 000 000 16 671 007
Leipziger Bank 1839 48 ooo ooo 16 473 200
Mecklenburg-Strelitzsche Hypothekenbank 1896 12 000 000 1 800 000
Nauheimer säurefeste Produkte 1891 6 000 000 3 343 425
Pommersche Hypothekenaktienbank 1866 | 15 000 000 6 152 000
Preußische Hypothekenaktienbank 1864 | 21 000 000 3 934 228
Rhederei vereinigter Schiffer 1888 2 000 000 214 022
Rheinische Bank 1897 10 000 000 I 000 000
Spar- und Vorschußbank in Dresden. 1897 | 1000000 300 000
Wagenbauanstalt Busch, Hamburg 1896 | 3500000 194 104
Die aufgeführten Ziffern betreffen das letzte, vor der Krisis zu
verzeichnende Geschäftsjahr und berücksichtigen nur die Gesamt-
reserven, da für den genannten Zweck die Scheidung zwischen Kapital-
und Spezialreserven praktisch bedeutungslos ist. Im allgemeinen
kann man sich hierbei der Erkenntnis nicht verschließen, daß die
vorgeschriebene Kapitalreserve zur Deckung der Unterbilanz nicht
genügte und daß auch die etwaigen Spezialreserven nicht vermochten,
der Gefahr des Augenblicks vorzubeugen, den Zusammenbruch des
Unternehmens zu verhüten und Aktionäre sowie Gläubiger vor
Schaden zu schützen. Die betreffenden Gesellschaften würden sicher-
lich dasselbe Geschick gehabt haben, auch wenn sie keine Reserve
besessen hätten und die leitende Idee, welche zur Errichtung von
Reserven geführt, hat sich in den gegebenen Fällen als völlig wirkungs-
los erwiesen. Allerdings hätten nun niemals genug Reserven ange-
sammelt werden können, um dem durch den Leichtsinn der Ver-
waltungsorgane verursachten Untergange eines Unternehmens vorzu-
1) Bei der Aktiengesellschaft Ludwig Loewe & Co. betrug 1901 der gesamte
Reservefonds 100 Proz. des Betriebskapitals und die Sangerhäuser Maschinenfabrik über-
holte sogar diesen Prozentsatz.
2*
20 Otto Warschauer,
beugen, bei den genannten Aktiengesellschaften jedoch sind Ver-
hältnisse grell zu Tage getreten, die als höchst bedenkliche zu be-
zeichnen sind und auf deren Gefährlichkeit später noch allgemein
hingewiesen werden wird. Die bei den Elektrizitätswerken Kummer,
der Preußischen Hypothekenaktienbank, der Pommerschen Hypotheken-
aktienbank, der Leipziger Bank, der Kasseler Trebertrocknung-
gesellschaft, der Nauheimer säurefeste Produkte A.-G. u. s. w. als
Reserven aufgeführten großen Beträge waren nicht eine flüssige, leicht
realisierbare Masse, sondern immobil und weisen fast durchweg den
Charakter von Buchoperationen auf. Hier ist ersichtlich, was sich
anderweitig sehr häufig hinter den Kulissen abspielt und diese Er-
kenntnis sollte zu der nicht durch eine vorübergehende Ungunst der
Konjunktur, sondern durch die Eigenart dauernder Tatsachen be-
dingten Ueberzeugung führen, daß der Reservefonds einer Aktien-
gesellschaft keine Buchoperation sein darf, sondern daß seine Lebens-
fähigkeit in der Sicherheit, sowie Beweglichkeit seiner Anlagewerte
zu bestehen hat.
III.
Die gegenwärtige Organisation der Reservefonds der deutschen
Aktiengesellschaften weist Mißstände auf, die sich zuvörderst
mit der durch das Gesetz vorgeschriebenen Kapitalreserve ver-
knüpfen und vielfach bedenklicher Natur sind. Hier wirkt die
Ueberlieferung der Vergangenheit und ein zähes Festhalten an dem
Gedanken nach, der ursprünglich zur Aufnahme der Reserven führte.
Auch in der Gegenwart wird vielfach noch mit dem Begriff des Re-
servefonds nicht die Idee einer Deckung der Unterbilanz verbunden,
sondern die betreffenden Rücklagen werden hauptsächlich als ein ge-
eignetes Mittel zur Mehrung des werbenden Betriebskapitals be-
trachtet und dem Scharmützel des Erwerbes zugeführt. In diesem
Sinne erfolgte vielfach ihre Anlage und Verwertung. Gewiß ergeben
sich hierdurch Vorteile. Die Reserven als Produktionsmittel erhöhen
das Betriebskapital, ohne es zu belasten; sie beanspruchen keinen
äußerlich erkennbaren Lohn, ermöglichen eine Steigerung des Unter-
nehmergewinnes, partizipieren nicht an der Dividende und tragen
vielfach, namentlich bei gut geleiteten Unternehmungen, zu einer
gleichartigen, durch die Ungunst der Konjunktur nicht beeinflußten
Rentabilität bei. Diese allgemeinen Vorteile sind nun zwar, obwohl
sie teilweise ein nicht zuverlässiges Bild von der Rentabilität des
eigentlichen Betriebskapitals geben, von nicht zu unterschätzender
Bedeutung, andererseits verblasst durch eine derartige Manipulation
die leitende Idee des Gesetzes, das vermittelst des Reservefonds
nicht Gewinne zu erzielen, sondern etwaige Unterbilanzen zu decken
bezweckt.
Auch nach anderer Richtung wird das leitende Prinzip vielfach
durchlöchert. Die Reservefonds werden nicht nur zu Gunsten der
Betriebskapitalien ausgenutzt, sondern sie dienen auch häufig zur
direkten Organisation und Erleichterung des Kredits. Der Anreiz
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Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 21
hierzu ist leicht erklärlich. Jede Kreditgewähr, die durch die Mittel
Dritter ermöglicht wird, ist mit Kosten verknüpft und der Wunsch,
diese zu vermeiden, kann namentlich in Anbetracht des Umstandes,
daß vielfach, wie später nachgewiesen werden wird, für die Zwecke
der Reservefonds Kapitalmassen sich anstauen, die ihrer eigentlichen
Bestimmung bezüglich einer zu deckenden Unterbilanz nie zugeführt
werden, durchaus berechtigt erscheinen. Braucht eine Aktiengesell-
schaft vorübergehend Kredit und besitzt sie eine mehr oder minder
starke Reserve, so liegt daher die Versuchung sehr nahe, Kredite
nicht bei Dritten zu suchen, sondern die für die Reserve disponible
Kapitalmasse dem genannten Zwecke zuzuführen. So wird der Re-
servefonds vielfach nicht nur Produktionsmittel, sondern auch Kredit-
werkzeug und funktioniert als solcher in Zeiten vorübergehenden
Kapitalbedarfes. Durch eine derartige Verwendung jedoch oder durch
jede anderweitige Vermischung der Reserven mit dem Betriebskapital,
werden diese letzteren nicht nur ihrer eigentlichen Bestimmungs-
sphäre entrückt, sondern auch die bedenkliche Eventualität kann ein-
treten, daß die Deckung einer tatsächlich entstandenen Unterbilanz
vereitelt wird, weil die hierfür bestimmten Kapitalien bereits ander-
weitigen Zwecken gedient haben und im Augenblicke der Gefahr
nicht vorhanden sind oder mobil gemacht werden können.
Doch nicht nur für die direkte Organisation des Kredits werden
die Reserven vielfach beansprucht und verwendet; sie dienen auch
deichgearteten Zwecken in indirekter Beziehung. Dies erfolgt z. B.
häufig bezüglich der auszuzahlenden Dividenden. Die von den Ver-
waltungsorganen festgesetzte Dividende ist vielfach Bilanzdividende;
sie ist zwar verdient und entspricht auch dem tatsächlichen Jahres-
reinertrage des betreffenden Unternehmens, aber ihre Auszahlung
kann sich nicht immer glatt vollziehen, da die Barmittel hierfür
fehlen. Zur Deckung derselben wird daher nicht nur Kredit bean-
sprucht, sondern auch die in den Reservefonds ruhenden Kapitalien
werden, zumal wenn die Gefahr der Unterbilanz nicht vorliegt,
vorübergehend für den genannten Zweck verwertet und die spätere
Rückzahlung erfolgt bei geeigneter Gelegenheit. Eine derartige
Transaktion kann nicht als eine ungesetzliche oder strafbare bezeichnet
werden, aber im Falle der Gefahr haben zwar die Aktionäre positive
oder fiktive Dividenden erhalten, die Möglichkeit einer Deckung der
Unterbilanz jedoch wird auch hierdurch wesentlich gemindert.
Achnlich liegen die Verhältnisse, wenn bei dem häufig ein-
tretenden Mangel an Spezialreserven der gesetzliche Reservefonds für
die Zwecke von Neuanschaffungen, die kostspielig sind und aus den
Jahreserträgnissen nicht bestritten werden können, vorübergehend
Verwendung findet. Der Betrag für den Ankauf einer Maschine z. B.
kann den vorhandenen Rücklagen entnommen werden und durch
jährliche Abschreibungen denselben wieder zufließen. Häufig erfolgt
dies auch ohne jedes Risiko für den Reservefonds und das betreffende
Unternehmen sichert sich ökonomische Vorteile. Ein diesbezügliches
Verfahren könnte daher als empfehlenswert bezeichnet werden. Dies
22 Otto Warschauer,
ist jedoch nicht immer der Fall, denn treten durch unvorhergesehene
Verhältnisse Krisen ein, so ist selbstverständlich z. B. eine Maschine
nicht geeignet, die entstandene Unterbilanz zu decken.
Ist sonach die Verwendung der für den Reservefonds bestimmten
Kapitalien vielfach eine dem Zwecke seiner eigentlichen Bestimmung
widersprechende und ergibt sich somit die Schlußfolgerung, daß der
Reservefonds als solcher häufig ganz andere Ziele verfolgt, als er zu
verfolgen verpflichtet ist, so herrschen auch in Bezug auf die Ver-
anlagung der Rücklagen vielfach ungesunde Verhältnisse vor.
Als vor Erlaß des Aktiengesetzes vom Jahre 1884 und der neueren
handelsgesetzlichen Bestimmungen die Organisation des Reservefonds
zum Gegenstand eingehender Untersuchungen seitens der gesetz-
gebenden Faktoren gemacht wurde, ist auch die Frage angeregt worden,
ob es nicht im allgemeinen Interesse läge, fest verzinsliche, der
Spekulation und den Fluktuationen der Kurse nur in geringem Maße
unterworfene Anlagewerte für die Zwecke der Reserven zu bestimmen.
Damals jedoch siegte die Anschauung, daß es dem Geiste und Be-
darf der Zeit entsprechender sei, volle Freiheit der Bewegung zu
gewähren, und daß demgemäß jede Aktiengesellschaft dem gesetz-
lichen Reservefonds diejenigen Werte zuführen dürfe, die nach der
Ansicht der Verwaltungsorgane hierfür geeignet seien.
Es wäre nun ganz selbstverständlich und entspräche den Voraus-
setzungen der Logik und der kaufmännischen Vorsicht, wenn für die
Reservefonds der Aktiengesellschaften, die zur Deckung der Unter-
bilanz bestimmt sind, nur diejenigen Werte gewählt würden, welche
den unbedingten Charakter der Sicherheit aufweisen. Leider jedoch
ist dies nicht durchweg der Fall, denn häufig setzen sich die Reserven
aus Werten fragwürdiger Natur zusammen. Es werden in den dies-
bezüglichen Fonds z. B. dubiose Forderungen hineingestopft, die zwar
nicht unter allen Umständen dem Friedhof des Gewinn- und Verlust-
kontos zugeführt zu werden brauchen, deren Eingang jedoch späteren
Zeiten vorbehalten bleiben muß. Vielfach hat der Reservefonds auch,
namentlich bei den Effektenbanken, unplazierte Emissionen solange
zu verdauen, bis ein Wechsel der Konjunktur die Begebung der
Effekten möglich macht. Teilweise werden ihm auch unausgetragene
Konsortialbeteiligungen überwiesen, die zwar Anlagezwecken dienen
und Verzinsung gewähren, deren Realisierung jedoch ausgeschlossen
oder mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist. Auch Hypotheken
werden den Reservefonds einverleibt. Grundsätzlich ist die Idee
nicht anfechtbar; sind aber die Hypotheken nicht erststellig, sondern
z. B. aus Sicherheitseintragungen für sonst entfallende Forderungen
des Warenverkehrs entstanden, oder sind sie zu langfristig und
demgemäß für längere Zeit unkündbar, so fehlt dem Reservefonds
jene Schwungkraft der Bewegung, deren er zu seiner Entwickelung
bedarf.
Somit treten in der inneren Organisation der Reservefonds zwei
markante Mißstände auf. Einerseits dienen die für die Rücklagen
bestimmten Kapitalien vielfach nicht dem eigentlichen Zwecke ihrer
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Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 23
Bestimmung; der Reservefonds figuriert zwar äußerlich auf der
Passivseite der Bilanz, tatsächlich jedoch bildet er einen aktiven, der
Kontrolle entzogenen Bestandteil des Produktivkapitals. Andererseits
gleichen die Reserven häufig Schatten, die nicht aufgefangen werden
können, sie sind von rechts nach links schiebbare Buchoperationen,
deren Funktion für den vorgeschriebenen Zweck im Augenblick der
Gefahr fast vollständig versagt.
Mit diesen inneren organischen Mißständen verknüpfen sich
Mängel, die direkt den gesetzlichen Bestimmungen entspringen.
Das Gesetz rechnet in einer fast übertrieben vorsichtigen Weise
lediglich mit der Eventualität einer Unterbilanz, die, wie die Ver-
hältnisse lehren, glücklicherweise nur zu den Ausnahmen zählt.
Gewiß wirkten bei der alleinigen Berücksichtigung der Unterbilanz
berechtigte Entscheidungsgründe mit. Der Einzelverlust eines Unter-
nehmens wird zuvörderst in eine feste Proportion zu den gesamten
Einnahmequellen und erst in zweiter Linie zu dem Betriebskapital
gesetzt. Hierdurch ist eine vorzeitige Schwächung der bereits ange-
sammelten Reserven verhindert, die Möglichkeit einer Ausschüttung
wberechtigt hoher Dividenden gemindert, das Pflichtbewußtsein ge-
stärkt und die Solidität gehoben. Andererseits aber führt diese
Bestimmung zu einer unnatürlichen Begrenzung; sie hemmt die
Leichtigkeit der Entschlüsse und sie führt, da sie die Ausnahme zur
Regel stempelt, zu einer Verkrümmung der die Entwickelung des
Reservefonds leitenden Idee.
Ein anderer Mißstand besteht in der Begrenzung des Höchst-
satzes der für die Zwecke der etwaigen Unterbilanz zu reservierenden
Summe. Es ist erwiesen, daß, wenn einzelne Aktiengesellschaften
durch die Ungunst der Verhältnisse oder durch schlechte Geschäfts-
führung einen Teil des Betriebskapitals verloren hatten, die von dem
Gesetz hiergegen vorgeschriebene Kapitalansammlung sich durch-
schnittlich als ungenügend herausstellte. Der erlittene Verlust war
meistenteils bei weitem größer, als die vorhandene Reserve und die
vorgeschriebenen 10 Proz. vermochten nur selten das betreffende
Unternehmen vor verhängnisvollen Katastrophen zu schützen. Der
Kapitalreservefonds hat daher, selbst wenn er kraft seiner inneren
Organisation funktionsfähig war, in einer wirklich erfolgreichen, von
dern Gesetz beabsichtigten Weise nur selten zu funktionieren vermocht.
Bei dem Mangel von Spezialreserven muß ferner ein Mißstand
auftreten, welcher die Einseitigkeit der gesetzlichen Bestimmungen
kennzeichnet. Die genaue Beobachtung dieser letzteren verhindert
namentlich die Deckung außergewöhnlicher Verluste, soweit nicht
das Betriebskapital in Frage kommt. Die Möglichkeit ist daher vor-
handen, daß eine Aktiengesellschaft zwar einen dem Gesetz ent-
sprechenden Reservefonds besitzt, andererseits jedoch, weil derselbe
nur für die Deckung der Unterbilanz verwendet werden darf, zur
Deckung anderweitiger Verluste Opfer bringen muß, die schließlich
unter Umständen eine eigentliche Unterbilanz erzeugen können.
Ferner hat jede Aktiengesellschaft zur Deckung des aus der
24 Otto Warschauer.
Bilanz sich ergebenden Verlustes von dem jährlichen Reingewinn
mindestens den zwanzigsten Teil dem Reservefonds solange zuzu-
führen, bis dieser letztere den zehnten oder den im Gesellschafts-
vertrage bestimmten höheren Teil des Grundkapitals nicht über-
schreitet. Die finanzielle Bedeutung dieser Quoten steigert sich
demgemäß proportional der Höhe des Betriebskapitals. Beziffert sich
dasselbe z. B. bei einer Bank auf 150 Mill. M., so werden allmäh-
lich 15 Mill. M. für den vorgeschriebenen Zweck absorbiert. Die
Gefahr der Unterbilanz jedoch ist, wie bereits früher hervorgehoben
und wie aus der Statistik des Aktienwesens nachweisbar, eine relativ
begrenzte und mindert sich durchschnittlich um so mehr, je breiter
die finanzielle Unterlage ist, auf der das betreffende Unternehmen
ruht. Den gesetzlichen Vorschriften gemäß stauen sich demgemäß
in relativ kurzer Zeit für die Zwecke der Kapitalreserven häufig be-
deutende Beträge an, die eine endgültige, dem Gesetz entsprechende
Verwendung nicht finden. Entweder werden daher zur Vermeidung der
Kapitalvergeudung die Reserven, wie bereits hervorgehoben, dem
Betriebe zugeführt, oder vorzeitige Kapitalkristallisationen erfolgen,
welche die Güterproduktion schädigen. Beide Eventualitäten sind
bedenklich.
Der Anlauf endlich, der zur gesetzlichen Präzision der Gesamt-
reserven genommen ist, erzeugt keine befriedigenden Resultate.
Einerseits hat zwar jede Aktiengesellschaft, wie bereits hervorgehoben,
die Pflicht, die Summe ihrer Reserven stets in der Jahresbilanz auf-
zuführen, es entfällt jedoch der Spezifikationszwang für die Anlagen
und Verschleierungen sind daher leicht möglich, die vielfach den
Wert der aufgeführten Ziffern vollständig illusorisch gestalten.
Andererseits sollen die sich allmählich aufspeichernden Rücklagen
zwar ein einheitliches Ganzes bilden, das mit den übrigen Besitztiteln
der Gesellschaft nicht zu verquicken ist, mit Recht wird, um der
Reserve die im (reschäftsinteresse gebotene Isolierung zu sichern,
eine Scheidung der Vermögensobjekte der Gesellschaft als nötig be-
‚trachtet, aber die greifbaren Mittel für die konkrete Durchführung
dieser sehr berechtigten Idee unterläßt das Gesetz aufzuführen.
IV.
Ueberschaut man die Vergangenheit von 1884 an, die wirt-
schaftlichen Krisen, die seither aufgetreten sind, die Sanierungs-
prozesse von Aktiengesellschaften, welche namentlich in der jüngeren
Zeit vielfach eingeleitet werden mußten, so kann man sich der Er-
kenntnis schwer verschließen, daß die gegenwärtigen Gesetzes-
bestimmungen bezüglich der Reservefonds der Eigenart des deutschen
Wirtschaftslebens nicht mehr genügen und daß Reformen geboten
erscheinen.
Zuvörderst ist der Wortlaut des Gesetzes!) unklar gehalten.
Einerseits sind Zweifel aufgetaucht, ob, wenn die vorgeschriebenen
1) Vgl. Handelsgesetzbuch $ 261, namentlich Passus 1 und 2.
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 25
10 Proz. des Grundkapitals durch die 5-proz. Jahresquote bereits
erreicht sind, auch fernerhin noch die durch die Begebung junger
Aktien erzielten Agiogewinne in den Reservefonds zu fließen haben.
Andererseits bedarf es juristischer Interpretation, ob, wenn durch Agio-
gewinne die 10 Proz. des Grundkapitals für die Kapitalreserve bereits
gedeckt sind, auch fernerhin noch 5 Proz. vom Jahresgewinn für
den genannten Zweck dauernd zurückgelegt werden müssen. Eine
Textänderung der diesbezüglichen Bestimmungen, bezw. eine klare,
Zweifel und Bedenken ausschließende Fassungsweise der diesbezüg-
lichen Bestimmungen ist daher geboten.
Neben dieser formellen Neuerung erscheint es auch im Interesse
der deutschen Industrie und der derselben zugeführten Kapital-
massen, welche einen so wesentlichen Bestandteil des National-
vermögens bilden, nötig, daß die Reservefonds in der Zukunft die
erentuell verschiedenen Geschäftsrisiken mehr wie bisher berück-
sichtigen, handlicher sich gestalten, dem Mißbrauch entzogen werden
und sicherer funktionieren. Hierfür ist zuvörderst eine Erweite-
rung und Scheidung der Zwecke erforderlich, welche die
Reserven allgemein zu verfolgen haben. Auch in der Zukunft muß
selbstverständlich die Gefahr, sowie die Möglichkeit einer Deckung der
Unterbilanz in Betracht gezogen werden. Diese Gefahr ist jedoch,
wie bereits hervorgehoben, durchschnittlich bei den hervorragenden
Kreditinstituten und den kapitalkrüftigen, grofien industriellen Unter-
nehmungen, die seit längerer Zeit bestehen, relativ gering, denn
außerordentliche Geschäftsverluste werden bei ihnen leichter durch
Spezialreserven gedeckt oder mit den Gewinnerträgnissen, die auch
schlechte Geschäftsjahre aufzuweisen pflegen, beglichen. Anders
jedoch liegen die Verhältnisse bei denjenigen Aktiengesellschaften,
die ein kleines Betriebskapital haben, durchschnittlich geringere Ge-
winne erzielen, auf ein kurzes Alter der Errichtung zurückblicken,
keine Gelegenheit finden, genügende Spezialreserven zu bilden,
Kapitalverluste daher schwerer zu ertragen vermögen und bei ent-
stehender Unterbilanz in ihrer Existenz tatsächlich gefährdet sind.
Für alle derartigen Unternehmungen ist die Kapitalreserve unent-
behrlich. Die allgemeine Tendenz des Gesetzes hat sich daher
durchweg bewährt und ist grundsätzlich beizubehalten. Neben der
Unterbilanzreserve jedoch, die nach Lage der Verhältnisse nur
einseitig zu funktionieren vermag, ist auch die Eventualität aller
jener Gefahren und Verluste in Betracht zu ziehen, deren Deckung
nur durch Spezialreserven ermöglicht werden kann. Was
demgemäß bisher dem freien Belieben der Verwaltungsorgane zu-
stand und deswegen vielfach unterblieb, sollte zukünftig zu einer
allgemeinen Bestimmung umgestaltet werden. Bei einem dies-
bezüglichen Ausbau des Gesetzes wären jedoch nur diejenigen
Spezialreserven in Betracht zu ziehen, deren Existenz im Sicherheits-
Interesse einer jeden Aktiengesellschaft liegt. Hierzu gehört zu-
vörderst die Kontokorrentreserve. Die Mehrzahl der ent-
Standenen Verluste sind, da alle Schuldner selbstverständlich im
26 Otto Warschauer,
Kontokorrent aufgeführt werden, Kontokorrentverluste und wird dies-
bezüglichen widrigen Eventualitäten durch unumgängliche Sicherheits-
maßregeln begegnet, so dürfte jedes Unternehmen innerlich gefestigt
und in der Lage sein, Gefahren zu trotzen. Ein gleiches gilt von
der Bestandreserve. Bei den verschiedenartigen industriellen
Unternehmungen handelt es sich hierbei um Rohmaterialien, Halb-
und Ganzfabrikate, die der schwankenden Konjunktur unterworfen
sind und deren An- und Verkauf daher leicht unverschuldete Ver-
luste erzeugen kann. Bei den Geld- und Kreditinstituten sind die
unvermeidlichen Kursverluste des Effektenbestandes häufig gefahr-
drohend und ihre Wirkungen auf die Gesamtlage des Unternehmens
dürften durch vorzeitige Rücklagen begrenzt werden können.
Neben den Kontokorrent- und Bestandreserven kommen selbst-
verständlich nach Eigenart der Verhältnisse bei allen Aktiengesell-
schaften die verschiedenartigsten anderweitigen Reserven in Betracht,
die z. B. zur Deckung der Wert- und Preisdifferenz eines Gegen-
standes, für Neuanschaffungen, Dividendenergänzung, Bauten, Wohl-
fahrtseinrichtungen u. s. w. bestimmt sind. Hier jedoch ist eine
gesetzlich vorgeschriebene Intervention nicht ratsam und den Ver-
waltungsorganen muß es freistehen, den Bedarf rechtzeitig zu er-
kennen und entscheidende Maßnahmen hierfür zu treffen.
Die durch die Verhältnisse gebotene Scheidung und Ergänzung
der Reserven sollte die Gesetzgebung fördern. Die einmal erlassene
Bestimmung, vom jährlichen Reingewinn 5 Proz. für Rücklagen zu
verwenden, ist festzuhalten. Daß aber diese 5 Proz. lediglich und
allein zur Deckung einer eventuellen Unterbilanz verwendet werden
sollen, führt, wie erwiesen, vielfach zu Kapitalbildungen über Bedarf.
Es dürfte daher empfehlenswert sein, den einmal normierten Satz
derartig zu spalten, daß 2 Proz. für die Zwecke der Unterbilanz und
3 Proz. für Errichtung der Kontokorrent- und Bestandreserve ver-
wendet werden.
Auch für die Kapitalfixierung der Reserven kann der früher
vorgeführten Gründe wegen eine Aenderung geboten erscheinen.
Wie hervorgehoben, fließen vom jährlichen Reingewinn 5 Proz. dem
Reservefonds solange zu, bis derselbe durchschnittlich 10 Proz. des
Betriebskapitals erreicht hat. Es liegt jedoch kein stichhaltiger
Grund vor, gerade diesen Prozentsatz als zweckentsprechend zu be-
trachten. Tritt die Gefahr der Unterbilanz ein, so genügen, wie
bereits erwähnt, die vorgeschriebenen 10 Proz. nur ausnahmsweise
zur Deckung der Verluste; andererseits aber halten viele Aktien-
gesellschaften an dem gesetzlich normierten und als zulässig erach-
teten Prozentsatz fest, Spezialreserven entfallen oder werden nicht
in genügendem Maße geschaffen und übergroße Dividenden kommen,
ohne Innehaltung der die Zukunft sichernden Kautelen, eventuell zur
Verteilung. Dieser Höchstbetrag von nur 10 Proz. für die Zwecke
der Reserven ist daher anfechtbar. Da, wo die Gesetzgebung das
direkte Recht der Intervention bisher hatte, ist er teilweise auch
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 27
überschritten worden’), und es dürfte allgemein für alle Aktien-
gesellschaften empfehlenswert sein, für die Zwecke der eventuellen
Unterbilanz von dem jährlichen Reinertrag unter gleichzeitiger Zu-
wendung der durch die Begebung junger Aktien erzielten Agio-
gewinne dem Kapitalreservefonds solange jährlich und dauernd
2 Proz. zuzuführen, bis derselbe die volle Höhe des Betriebskapitals
erreicht hat. Wenn ferner das gleiche Verfahren auch bei den für
die Zwecke der gesetzlichen Spezialreserve abzuzweigenden drei-
prozentigen Jahresquoten gehandhabt wird, dürfte für die Mehrzahl
aller Aktiengesellschaften — und um diese kann es sich hier nur han-
den — eine Unterlage geschaffen sein, die geeignet ist, Krisen er-
flgreich zu überwinden.
Um dieses sehr erstrebenswerte Ziel zu erreichen, ist jedoch
ncht nur eine Aenderung des bisherigen Maximalsatzes, sondern
ach die Liquidität, bezw. die Mobilisierbarkeit der
Reserven geboten. Zwei Gesichtspunkte sollten hierbei dauernd
festgehalten werden. Einerseits sind die für die Rücklagen be-
stimmten Kapitalien in Werten anzulegen, die schnell und möglichst
ohne Verluste realisierbar, greifbar vorhanden sind, nicht buch-
operativen Manipulationen dienen und demgemäß die Möglichkeit der
Liquidität in sich bergen; zweitens sollten prinzipiell die für die
Reserven angesammelten Kapitalien in sicheren Werten Anlage
finden. Gewiß wäre es unberechtigt, die Verzinsung der Rücklagen
vollständig zu vernachlässigen, denn der Vorwurf unkaufmännischen
Handelns würde mit Recht hiergegen erhoben werden können. Vor
alem aber muß das Sicherheitsprinzip gewahrt und demgemäß der
Grundgedanke festgehalten werden, daß Reserven zu schaffen sind,
nicht um den Unternehmergewinn zu steigern und hohe Zinserträg-
nisse zu erzielen, sondern lediglich um Ausgaben zu bestreiten und
tatsächliche Verluste zu decken. Leider ist in der Gegenwart viel-
fach dieser Gesichtspunkt konsequent nicht festgehalten. Der Be-
stimmungsgrund der Reserven wird mit der Möglichkeit ihrer all-
gemeinen Nutzbarmachung verwechselt und demgemäß der Reserve-
fonds als ein Amboß betrachtet, der volle Kapitalfunken erzeugen soll.
Realisierbarkeit und möglichste Sicherheit der Anlagewerte sind
die Prinzipien, die in Bezug auf die erforderliche Liquidität der
Reserven zu befolgen sind. Für diese Zwecke müssen dem Geld-
markt diejenigen Werte entnommen werden, die ihrer inneren Sub-
stanz nach am meisten den gegebenen Voraussetzungen entsprechen.
Drei allgemeine Kategorien sind hierfür zuvörderst in Betracht
zu ziehen. Möglichst ein Dritteil der sich ansammelnden Kapitalien
sollte in Staatspapieren oder gleichgearteten Effekten angelegt
werden. Selbstverständlich sind für diese Zwecke die Schuldver-
schreibungen aller Staaten ohne Unterschied nicht in Betracht zu
1) Für die Deutsche Reichsbank z. B. besteht nach $ 24 Abs. 2 des Bankgesetzes
vom 14. März 1875 die Bestimmung, von dem Mehrbetrage der zuvörderst den Aktionären
zu zahlenden 3'/, Proz. Dividende 20 Proz. dem Reservefonds zu überweisen, solange
derselbe nicht 25 Proz. des Grundkapitals beträgt. Achnlichen Bestimmungen unterliegen
nach $ 44 Abs. 2 des genannten Gesetzes die deutschen Privatnotenbanken.
28 Otto Warschauer,
ziehen. Die Nationen, deren Wirtschaftsinteressen denjenigen Deutsch-
lands zu fern liegen oder welche durch die Eigenart ihrer politischen
Verhältnisse keine genügende Gewähr der Sicherheit geben, eignen
sich für die Spar- und Reservezwecke der Aktiengesellschaften nicht.
Demgemäß sind die Staaten, je nach der Art ihrer bisherigen Lei-
Stungsfähigkeit und Pflichterfüllung, nach der Wirtschaftssphäre, die
ihrer zukünftigen finanz-politischen Entwickelung zu scheiden. Ar-
gentinien, Bulgarien, Chile, China, Griechenland, Mexiko, Serbien,
Türkei sind nicht Staaten, welche die Möglichkeit unbedingter Sicher-
heit für Kapitalanlagen gewähren. Ihre Entwickelung war eine un-
gleichmäßige und vielfach stürmische, die von ihnen emittierten An-
leihen sind durchschnittlich großen Kursfluktuationen ausgesetzt und
daher, obwohl sie die stete Möglichkeit der Realisierung in sich
werden, denen die deutsche Reichsbank den Stempel der unbedingten
Sicherheit für die Zwecke des Lombardverkehrs verleiht. Es gehören
hierzu zuvörderst die vom Reiche oder den deutschen Bundesstaaten
emittierten Anleihen, gleichgeartete Effekten, wie die Landrentenbriefe,
die Obligationen bestimmter Pfandbriefämter, die Pfandbriefe der
Hypothekenbanken auf Aktien, welche unbedingte Sicherheit gewühren !),
ferner die dem inneren Werte nach ühnelnden deutschen Eisenbahn-
stammaktien, Stammprioritütsaktien und Prioritütsobligationen, welche
den gleichen Voraussetzungen, wie die aufgeführten Rentenpapiere
entsprechen?) und daher von der Reichsbank gleich jenen mit drei
Viertel des Kurswertes beliehen werden. Aber auch da, wo die
Beleihungsgrenze der Reichsbank mit nur 50 Proz. des Kurswertes
gezogen ist, sollten die betreffenden Fonds für die Anlagezwecke der
Reserven nicht ausgeschlossen sein. Die Bonds der Vereinigten
Staaten von Amerika, die Obligationen der schweizerischen Eid-
genossenschaft, österreichische und russische Staatsrentenanleihen.
die Schuldverschreibungen Norwegens, Schwedens und Ungarns, die
xS
Prioritütsobligationen italienischer und russischer Eisenbahnen, welche
eine direkte staatliche Zinsgarantie genießen, entsprechen den ge-
nannten V oraussetzungen.
Ganz auszuschalten hierfür sollten jedoch diejenigen Effekten
sein, die in ihrer Rentabilitit von der Gunst oder Ungunst der Kon-
junktur in entscheidendem Maße getragen werden, demgemäß heftigen
Kursschwankungen unterliegen und einen ausgesprochen spekulativen
Charakter haben. Ganz im Gegensatz zu dem in der Praxis vielfach
gehandhabten Verfahren dürften daher Industriepapiere, gleichviel
welcher Art, grundsätzlich für die Reservefondskapitalien der deut-
schen Aktiengesellschaften nicht in Betracht gezogen werden,
1) Vgl. Allgemeine Bestimmungen über den Geschäftsverkehr mit der Reichsbank,
1896, S. 36,
2) a. a. O. S. 38/39.
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften.
Es bezifferte sich der Jahresultimokurs z. B.:
———————————————————————— ——
29
1893 | 1894 | 1895 | 1896 | 1897 | 1898 | 1899 | 1900 | 1901 | 1902
Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz. | Proz.
fir Bochumer Gußstahlaktien 128,10|140,60|149,40|166,50| 204,75 229,— 260,30 175,30] 174,—|179,10
, Consolidation Schalkeaktien |163,10|173,80|204,—|248,75|290,—|306,80/402,90 339,751302,50|353,—
„Gelsenkirchener Bergwerks-
aktien 145,50|167,—|171,— \170,90|192,10|191,—|198,25/180,75/170,40| 179,90
„ Hapener Bergwerksaktien — [136,50 146,30|167,80/176,30/194,30|178,60/202,30|168,40/157,40|169,30
, Hörder Hüttenaktien 73,15| 99,60 132,— 133,25 174,90 225,— 126,—| 96,25|110,—
„ König Wilhelmaktien 158,—1184,75|211,—|248,—|318,— 291,50 355,—|245,—|245,—|262,50
„ Laurshütteaktien 112,—|121,75|142,— | 163,80|184,40 217,— |253,50|194,30 185,80|211,75
„ Phinixaktien 117,—|146,10|166,25|178,— 188,60 176,—183,10/147,75|129,60|123,90
, &hdker Grubenaktien 113,60) 140,80|146,75|228,90|286,90 353,— 588, —|3 15,— 286, —|345,—
„ ShultheiBaktien 227,—|249,—|267,25|279,40/278,50 269,25|252,40|219,80|]212,10 223, —
„Allgmeine Elektrizitäts-Ge-
selschaftsaktien 139,75|205,25|226,75,253,—1278,25 284,25 255,90 195,75/178,80/180,75
, Schuckert & Co.-Aktien 173,—|213,—|259,—]259,90/240,—|227,60|167,75|100,60| 79,50
„Berlin-Anhalter Maschinen-
aktien 121,— 131,50|130,—|153,25|194,— 223,50 225,50] 195,— 182,25|198,75
„ Freund Maschinenaktien 220,25 228,—|233,— 261,—|219,— 385,10 425,—1362,—|295,—|285,—
„ Gürlizer Maschinenaktien 115,25|162,75|189,50|226,60|192,75|198,— 213,50|184,50|148,90|152,60
» Hannoversche Maschinenaktien|123,25|132,50|123,80|220,10|267,—|322,—380,—|316,—|316,—]|281,50
| s De & Co.-Aktien 260,—|366,—|328,75|421,—|465,— 47 1,50|411,—|345,—258,—|246,—
„ Schwartzkopff Maschinen -
aktien 222,50]237,— 240,50 |241,— 262,50 232,75 228,— 198,—/178,—|198,75
| „ Stettiner Vulkanaktien 134,25|140,75|147,50|169,70|187,25|225,50 258,50|211,—|195,—]|216,—
| € Grobe Berliner StraBenbahn-
| aktien 240,30|279,80/325,—|352,50|474,— 344, — |229, — |215,—|190,50/200,50
» llanburg-Amerikanische Pa- |
ketfahrtaktien 101,10| 82,40/107,20|135,— 113,40 124,75|129, — [131,75 108,40| 98,90
„ Norddeutsche Lloydaktien 112,90| 87,90! 99,75|112,10)112,—|115,40|123,60 119,75/105,— | 96,—
„ Anilinfabrikationaktien 180,50|210,— 216,25|229,50|255,— 275,50/276,— |224,— 229,10 242,—
» Elberfelder Farbenaktien 248,25/303,25/319,50|349,60|354,15/325,25|316,—|310,— |300,80|345,50
! o» Höchster Farbwerkeaktien ` [360,50|443,— 443,—\450,— 431,50|406,—|353,—|338,—|360,—
EE Alsen Cementaktien 180,—|239,— 263,25 316,—|309,75|221,—|177,75|201,50
+ (himottefabrik Didieraktien |207,—|253,— 221,50 |298,—389,50/437,— 412,— 323,25 259,25|263,50
» Deutsche Gasglühliehtaktien [363,— |457,— 736,—|753,—|691,— 420,—|320,—|495,— 342,— 230,—
» wn — Waïfenfabrikaktien 221,—/337,—|345,—357,15]370,—|293,—]180,— 165, — |193,—
» Siemens Glasindustrieaktien |164,50|188,— | 195,— |209,75|224,50/247,50|251,60 254,— 239,75|253,50
D |
Diese Kursstatistik, welche die hervorragendsten, in den letzten
10 Jahren oder seit ihrer Einführung an der Berliner Börse ge-
handelten Industrieaktien aufführt, gibt ein untrügliches Bild von
dem Schwanken des Besitzes, dem die Inhaber derartiger Werte
durchschnittlich ausgesetzt sind. Neben den scharfen Kursfluktuationen
ist aber auch der Mißstand in Betracht zu ziehen, daß Industrie-
aktien häufig und namentlich bei Krisen schwer, nur mit großen
Verlusten oder gar nicht zu begeben sind. Ist der Reservefonds in
kotierten oder was z. B. bei Banken häufig der Fall sein dürfte, in
unkotierten und noch nicht begebenen Industriepapieren angelegt,
so dürfte im Augenblicke der Gefahr die Möglichkeit der Deckung
einer Unterbilanz fast vollständig ausgeschlossen oder mit großen
Verlusten verknüpft sein. Die Ausscheidung von Industriepapieren
30 Otto Warschauer,
erscheint daher für die Zwecke der Reservefonds unter allen Um-
ständen geboten, und bei solider Handhabung des Geschäftsverkehrs
können hierfür nur bestimmte, oben charakterisierte Effektenkategorien
zulässig erscheinen.
Neben den Staatspapieren und gleichgearteten Fonds sind die
zum Privatdiskont gehandelten Wechsel zu den sichersten
Kapitalsanlagen zu zählen. Bei der Qualität derartiger Wechsel
sind Verluste fast gänzlich ausgeschlossen und die Verzinsung ist
durchaus nicht als eine niedrige zu bezeichnen. Es betrug der
Privatdiskont an der Berliner Börse durchschnittlich im Jahre
1882 3,89 Proz. 1887 2,30 Proz. 1892 1,80 Proz. 1897 3,08 Proz.
1883 3,08 „ 1888 211 „ 1893: . 34T y 1898 3,56 ,
1884 2,90 ,, 1889 2,68 „ 1894 1,74 ,, 1899 4,45 „
1885 2,85 ,, 1890 3,78 ,„ 1895 2:01 ` 1900 4,41 „
1886 2,16 ,, 1891 3,02 „ 1896 53,04 , 1901 3,06 ,„
Demgemäß ist in den letzten 20 Jahren eine durchschnittliche
Verzinsung dieser Anlagewerte von fast 3 Proz. erzielt worden, und
es ist sehr fraglich, ob für den genannten Zeitraum die Mehrzahl
der deutschen Aktiengesellschaften in der vielfach minderwertigen
Art ihrer Reserven durchschnittlich eine gleich hohe Rentabilität auf-
weisen. Hierzu kommt, daß die zum Privatdiskont gehandelten
Wechsel täglich begeben werden können und daß somit die stete
Möglichkeit vorhanden ist, die Reserven zu realisieren, wenn die
Notwendigkeit des Augenblicks hierzu drängt.
Vielfach den Privatdiskonten ähneln die von den Staaten
emittierten Schatzanweisungen, welche die wirtschaftlichen
Funktionen teils von Wechseln, teils von Anleihen haben und bei
dieser Doppelqualifikation für die Zwecke des Reservefonds sehr ge-
eignet erscheinen. Schatzanweisungen sind entweder, wenn der staat-
liche Schuldner durch Vermögensbesitz und Zahlungsfähigkeit eine
direkte und genügende Gewähr für die übernommene Verpflichtung
zu geben vermag, unfundiert oder sie werden fundiert, d. h. später
fällige Zölle, Steuern u. s. w., deren Eingang mit Sicherheit voraus-
zusehen ist, dienen als Unterlage der kontrahierten Schuld. Schatz-
anweisungen eignen sich aber auch deswegen besonders zur Anlage
für die Reservefondskapitalien, weil sie dem gegebenen Zweck ihrer
Existenz gemäß vielfach mit einer mehr oder weniger kurz bemessenen
Zirkulationsdauer ausgestattet werden. In der jüngeren Zeit belief
sich die diesbezügliche Maximalfrist auf 4—5 Jahre!) und früher war
der Fälligkeitstermin durchschnittlich kürzer bemessen. Preußen
z. B. hat häufig bei vorübergehendem Bedarf Schatzanweisungen für
3, 6 und 12 Monate emittiert und es ist leicht möglich, daß dieser
ehemals vielfach beliebte Modus der Rückzahlung auch in der Zu-
kunft wieder aufgenommen werden wird.
1) Die auf Grund der Gesetze vom 30. März und 1. Juni 1900 emittierten deutschen
Schatzanweisungen sind z. B. für die Zeit vom 1. April 1904 bis 1. Juli 1905 rück-
zahlbar, die 1899 emittierten rumänischen Schatzanweisungen spätestens Ende des Jahres
1904 in bar einzulósen.
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 31
Diese Schatzanweisungen, die börsenmäßig entweder fest ver-
zinslich und mit Coupons ausgestattet zum Kurse oder zum jeweiligen
Privatdiskont gehandelt werden, ermöglichen eine Nutzbarmachung
des öffentlichen Kredits, die für den Schuldner sehr vorteilhaft ist.
Sie gewähren ihm die Möglichkeit, vorübergehenden Bedarf relativ
billig zu decken, bei niedrigem Privatdiskont die Abundanz des
Geldmarktes zu verwerten und die Emission langlaufender Anleihen
in demjenigen Augenblicke vorzunehmen, der nach Lage der Börsen-
verhältnisse hierfür am geeignetsten erscheint. Geschickt geleitete
Finanzverwaltungen der Staaten werden sich diese Vorteile selten
entgehen lassen und es wird daher immer eine genügende Anzahl
von Schatzanweisungen zirkulieren. Auch ein tatsächlicher Mangel
an Privatdiskonten dürfte sich kaum jemals einstellen, denn die In-
dustrie in dem naturgemäßen Bestreben nach Verbilligung des Kre-
dits oder der Geldhandel in dem Verlangen nach bequemer Be-
schaffung der Betriebskapitalien werden im eigensten Interesse stets
bemüht sein, die Nachfrage in dem diesbezüglichen Wechselverkehr
zu befriedigen. Anlagematerial wird daher in den seltensten Fällen
fehlen und die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften dürften
der Voraussetzung der Liquidität und Sicherheit entsprechen, wenn
die für die genannten Zwecke disponiblen Kapitalien nicht nur in
Staatspapieren, sondern zu einem ferneren Dritteil in Privatdiskonten
und Schatzanweisungen plaziert werden würden.
Eine je größere Dezentralisation der Veranlagung gegeben ist,
desto geringer wird ihr Risiko und die Gefahr des Kapitalverlustes.
Es ist nun zwar schwerlich anzunehmen, daß Staatspapiere, Privat-
diskonten und Schatzanweisungen bei fachkundiger und sorgfältiger
Auswahl den gegebenen Voraussetzungen der Reserven namentlich
in Bezug auf die zu wahrende Sicherheit nicht entsprechen, aber
mit dieser, wenn auch äußerst selten auftretenden Eventualität ist
doch zu rechnen und hierfür die Vielfältigkeit der Erscheinungen
auszunutzen, welche der Geldmarkt aufweist. Diesem Zwecke ent-
spricht in letzter Linie die objektive Nutzbarmachung des Hypotkekar-
kredits. Ländlicher und städtischer Grund und Boden wird stets zu
denjenigen Elementen des Nationalvermögens zu zählen sein, die sich
durch Stetigkeit und substanzielle Zähigkeit auszeichnen. Deswegen
geben sie, wenn auch ihre Mobilisierung vielfach erschwert ist, die
Gewähr einer verschärften Sicherheit des Besitzes. Grundrenten und
Mietsskalen ferner können nach Lage der Verhältnisse zwar sinken,
aber für die Dauer und im Durchschnitt werden sie nur ausnahms-
weise vollständig verschwinden. Die auf den Immobiliarbesitz aus-
gestellten Schulddokumente sind daher für die allgemeinen Zwecke
der Kapitalsanlage sehr geeignet. Allerdings ist auch hierfür Scharf-
blick, Einsicht in die Markt- und Sachverhältnisse, sowie dauernde
Vorsicht geboten. Denn einerseits treten, namentlich in den größeren
Städten in bestimmten, durch die jeweilige Ueberproduktion be-
dingten Perioden, Baukrisen auf, welche eine Gefährdung oder Wert-
minderung des Hypotkekarbesitzes vielfach hervorrufen ; andererseits
32> U Otto Warschauer,
differieren auch in normalen Zeiten bekanntermaßen die verschiedenen
Hypothekenkategorien wesentlich voneinander. Für die gegebenen
Zwecke der Reservefondskapitalien können daher nur mündelsichere,
erststellige Hypotheken und auch diese nur unter bestimmten Voraus-
setzungen in Betracht kommen. Der eingeräumte Hypothekar-
kredit darf sich nicht auf zu lange Fristen erstrecken, sondern hat
sich auf einen nicht zu hoch zu bemessenden Mindestzeitraum zu be-
schränken. Demgemäß sollte die Rückzahlung der Hypothekenvaluta
auf einen höchstens 3-jührigen Fälligkeitstermin begrenzt sein, denn
in diesem Falle ist stets die Möglichkeit gegeben, die erforderliche
Liquidität der Rücklagen durch Veräußerung oder vorübergehende
Verpfändung der diesbezüglichen Wertobjekte zu wahren.
Die Anlage der Reserven in Hypothekenpfandbriefen ist nicht
empfehlenswert. Das Vorgehen der preußischen Regierung, die all-
gemeine Mündelsicherheit der Hypothekenpfandbriefe zu beanstanden,
hat sich leider durch die Ereignisse der jüngsten Zeit als berechtigt
erwiesen. Es ist sehr schwierig, die Unterlagen der ausgegebenen
Pfandbriefe auf ihren Feingehalt zu prüfen und, wie die Erfahrung
lehrt, unmöglich, die Hypothekenaktienbanken vor leichtsinniger Ge-
schäftsgebahrung der Direktionen zu schützen. Hierzu kommt noch
der von keinem Fachkenner zu leugnende Mißstand, daß Hypotheken-
fandbriefe zwar sehr schnell erworben, aber vielfach nur, namentlich
in größeren Beträgen, mit sehr großen Schwierigkeiten wieder ab-
gestoßen werden können. Die Gesamtheit dieser Bestimmungsgründe
muß zu der Erkenntnis führen, daß die diesbezüglichen Schuldver-
schreibungen weder die Möglichkeit des Kapitalverlustes auf ein ge-
ringes Mindestmaß beschränken noch als Sicherheitswerte ersten
Ranges durchschnittlich bezeichnet werden können. Es dürfte daher
empfehlenswert sein, die Rücklagen der Aktiengesellschaften tunlichst
zwar zu einem Dritteil in erststelligen, relativ kurzfristigen, mündel-
sicheren Hypotheken anzulegen, die Pfandbriefe der Hypotheken-
aktienbanken jedoch, insofern sie nicht zu den von der Reichsbank als
erstklassig beliehenen Wertpapieren gehören, für den genannten
Zweck auszuschließen.
Die Liquidität der Reserven wird durch die direkte Art ihrer
Veranlagung und Bewertung bedingt. Hierbei treten jedoch nicht
nur Verhältnisse und Mißstände ein, auf die bereits früher hingewiesen
ist, sondern die aufgespeicherten und sich ablagernden Werte dienen
vielfach auch vorübergehenden Lombardtransaktionen, welche zwar
im Interesse des allgemeinen Geschäftsbetriebes liegen mögen, aber
mit dem genannten Zwecke der Reserven, namentlich soweit es sich
um eventuelle Tilgung und Minderung der Unterbilanz handelt, in
gar keiner Beziehung stehen. Wer lombardiert, wird Schuldner una
hat nicht mehr die freie Verfügung über seinen Besitz. Wenn die
diesbezügliche Dispositionsbefugnis fällt und damit die Möglichkeit
schwindet, bestimmte Kapitalien für fest bestimmte Zwecke zu ver-
wenden, verflüchtigt sich die Idee des Reservefonds. Demgemäß
sollten Lombardierungen der Rücklagen nur für den gesetzlich
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 33
vorgeschriebenen Zweck dieser letzteren, nicht aber für alle beliebigen
Geschäftsbedürfnisse statthaft sein.
Unterbilanz- und Spezialreserven dürften im großen und ganzen
bezüglich der Veranlagung und Liquidität gleiche Ziele zu verfolgen
haben, doch ist es zweifelsohne auch geboten, die Eigenart der
Spezialreserven gesondert zu berücksichtigen. Zuvörderst ist die
Vermôgensanlage jeder Spezialreserve, sofern dieselbe nicht Konto-
korrent- oder Bestandreserve ist, dem freien Belieben der Ver-
waltungsorgane zu überlassen. Andererseits ist aber auch der Ge-
danke festzuhalten, daß namentlich für die oben präzisierten
Spezialreserven und zuvörderst, wenn es sich um die Zwecke der
Kontokorrentreserve handelt, die sofortige Deckung der entstandenen
Verluste wünschenswert ist. Hierfür müssen bis zu einer gewissen,
selbst eng gesteckten, doch tatsächlich gezogenen Grenze Barmittel
bereit gehalten und, um der Gefahr der Versuchung zu entgehen,
möglichst an gesicherter dritter Stelle, gegen tägliche Kündigung
z. B. bei der Reichsbank deponiert werden. Es dürften zwar im
letzteren Falle Zinsverluste entstehen, aber das Sicherheitsbewußtsein
aller Beteiligten wird wesentlich hierdurch gesteigert werden und
namentlich kleinere Aktiengesellschaften dürften bei derartigen
Kautelen in kritischen Augenblicken vor Verlegenheiten geschützt sein.
Die gebotene Liquidität oder die mit nur geringem Risiko ver-
bundene Umsatzfähigkeit der Reserven ist ferner, abgesehen von der
Art ihrer Veranlagung, nur unter Innehaltung einer bestimmten
Voraussetzung und Regel möglich. Die durch Gesetz oder Statut
sich ansammelnden Rücklagen werden durchschnittlich den Zweck
ihrer Bestimmung nur dann zu erfüllen vermögen, wenn sie eine
zesonderte Verwaltung haben und ein einheitliches, für sich
abgeschlossenes Ganze bilden. Sowie die diesbezüglichen Beträge
mit anderen, für die geschäftlichen Zwecke eines Unternehmens
zirkulierenden Kapitalien, gleichviel in welcher Form, verschmolzen
werden, verblaßt die sie leitende Idee und an Stelle der gebotenen
Solidität und Sicherheit tritt vielfach eine bedenkliche Desorganisation,
die häufig nicht nur Verwirrung, sondern auch Selbstbetrug der
Sparenden erzeugt. Bei objektiver Betrachtungsweise erscheint dies
ganz selbstverständlich. In den primitivsten Formen der Hauswirt-
schaft ergibt sich die Notwendigkeit einer strengen Scheidung von
Spar- und Betriebskapital. Wenn ein Privatmann die für die Re-
serven bestimmten Kapitalien mit denjenigen Summen verschmilzt,
welche geschäftlichen Zwecken dienen sollen oder in Gegenständen
angelegt, die nur einen Affektionswert, sowie eine nicht genügende
Realisationsfähigkeit besitzen, wird die Rücklage selten im gegebenen
Augenblick den Zweck ihrer Bestimmung zu erfüllen vermögen.
Aehnliche Verhältnisse rufen bei jeder Aktiengesellschaft eine dies-
bezügliche Wirkung hervor, und es sollte daher bei dieser und jeder
anderen Form der geschäftlichen Unternehmung grundsätzlich der
Gedanke festgehalten werden, daß die gleichviel für welche Zwecke
sich ansammelnden Reserven streng und namentlich vom Betriebs-
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 3
34 Otto Warschauer,
kapital des betreffenden Unternehmens zu sondern sind. Ist dies
nicht der Fall, fließen die Reserven in die Kanäle des Betriebs-
kapitals, so teilen sie alle Gefahren, denen das letztere ausgesetzt
ist und verlieren dadurch vollständig den sie bestimmenden Charakter.
Betriebskapital und Reservefonds sind zwei Faktoren, die miteinander
eigentlich gar nichts zu tun und zu teilen haben. Wenn die Be-
hauptung aufgestellt wird. daß die für die Rücklagen bestimmten
Kapitalien allgemein eine im finanziellen Interesse des Unternehmens
liegende Verwendung finden müssen und daß es unpraktisch und
unkaufmännisch gedacht und gehandelt sei, derartige Beträge als
stille Reserven ruhen zu lassen, so sollte doch hierbei nicht über-
sehen werden, daß, wenn die z. B. nach den gegenwärtigen Gesetzes-
bestimmungen für die eventuelle Unterbilanz vom Reingewinn jährlich
abzuzweigenden 5 Proz. nicht abgezweigt zu werden brauchten,
höchst wahrscheinlich die diesbezüglichen Beträge vielfach zur Er-
höhung der Dividenden bestimmt werden und den Aktionären zu-
ließen würden. Für die Zukunft des betreffenden Unternehmens
kämen sie daher durchschnittlich gar nicht mehr in Betracht, und
die Möglichkeit, sie zur Förderung des Betriebes zu verwenden,
wäre vielfach vollständig ausgeschlossen. Die Kapitalien, welche
Reservezwecken (dienen, sind für die eigentlichen Geschäftszwecke
des Unternehmens abgestorben ; es sind bis einer gewissen Grenze
tote Kapitalsquoten, welche die Möglichkeit der Auferstehung nur
dann finden sollen, sobald der Augenblick bestimmter, im voraus
gekennzeichneter Gefahren und Ausgaben naht.
Wenn die Notwendigkeit einer gesonderten Verwaltung der
Reserven anerkannt ist, so sind auch alle Konsequenzen zu ziehen,
die sich mit dieser Forderung verknüpfen. Reservefonds und Unter-
nehmergewiun bewegen sich vielfach in einer falsch konstruierten
Proportion. Der letztere soll zwar die Kapitalhöhe des ersteren
bedingen, aber es liegt kein überzeugender (Grund vor, die Höhe
der Dividende in ein Reziprozitätsverhältnis zu der Ergiebig-
keit der Reserven zu stellen. Wenn dieser Fall eintritt, entsteht
ein Mißverhältnis doppelter Art. Die Aktionäre erhalten vielfach ein
falsches Bild von der wirklichen Rentabilität des betreffenden Unter-
nehmens, weil sie die den Reserven entspringenden Zins- und Ge-
winnquoten nicht zu erkennen vermögen und die Dividendenziffer
auf den Umsatz und den damit verbundenen Nutzen zurückführen.
Andererseits schwindet unter der gegebenen Voraussetzung die gewiß
berechtigte Möglichkeit, eine Steigerung der Rücklagen durch sich
selbst und in sich selbst herbeizuführen. Die durch die besondere
Verwaltung des Reservefonds erzielten Zinsen sollten daher nicht
auf Gewinn- und Verlustkonto des betreffenden Unternehmens über-
tragen und mit dem jährlichen, dem eigentlichen Geschäftsverkehr
entspringenden Reinertrag verschmolzen, sondern separat gebucht,
und zur Stärkung eines als nötig und erweiterungsfähig anerkannten
ökonomischen Prinzips direkt demjenigen Fonds übertragen werden,
auf die sie ihr Ursprung hinweist.
Die Rerservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 35
Gleichartig liegen die Verhältnisse bei den eventuellen Kurs-
vewinnen, welche bei guter und geschickter Verwaltung der Reserven,
namentlich sofern dieselben in sicheren Staatspapieren angelegt sind,
eintreten können, Kursverluste der Reserven, die gleichfalls häufig
durch die Fluktuationen des Geldmarktes entstehen, belasten selbst-
verständlich das Kapitalkonto der Reserven. Kursgewinne jedoch,
wie sie z. B. beim Umtausch, durch Auslosung der betreffenden
Wertpapiere u. s. w. möglich sind, werden vielfach dem allgemeinen
Gewinnkonto der betreffenden Unternehmungen zugeführt. Hierdurch
entsteht eine, das leitende Prinzip schädigende Ungerechtigkeit. Ist
ler Reservefonds ein für sich abgeschlossenes Ganze, ein Apparat,
der nur für bestimmte Zwecke zu funktionieren hat und der mit den
ibrigen Geschäftszweigen in keiner direkten Beziehung steht, so
sollten ihm auch die durch die gesonderte Verwaltung erzielten Kurs-
gewinne nicht entzogen werden.
Gegen die gebotene Scheidung des Betriebs- vom Reservekapital
und die gesonderte Verwaltung dieses letzteren, werden zweifelsohne
Bedenken erhoben werden, die teils allgemeiner Natur sind, teils in
der berechtigten Interessensphäre der Industriegesellschaften oder
Banken zu liegen scheinen. Zuvörderst wird das zähe Festhalten
an der Vergangenheit, jenes konservative Empfinden, das sich nicht
nur im politischen Leben, sondern häufig auch für viele Wirtschafts-
erscheinungen äußert, das Mißvergnügen, an dem anscheinend be-
währten Alten zu rütteln, zum Widerspruch gegen die gemachten
Vorschläge treiben. Aus Bequemlichkeitsrücksichten, subjektiven
Opportunitätsgründen oder in tatsächlicher Unkenntnis der gegebenen
Verhältnisse wird sicherlich darauf hingewiesen werden, daß sich die
Mehrzahl der Aktiengesellschaften an die bestehenden Bestimmungen
gewöhnt, von der Tradition sich nicht zu trennen vermöge, daß das
Alte sich durchweg bewährt habe und Neuerungen irgend welcher
Art bezüglich der Organisation der Reserven weder nötig noch durch-
führbar seien. Derartige Einwürfe jedoch sind nach Lage der Ver-
hältnisse abzuwehren. Dem Prinzip der Trägheit darf namentlich in
wirtschaftlicher Beziehnng nicht Folge geleistet werden. In jedem
Flus der Erscheinungen treten stetig neue Wellen auf, die eigene
Kreise bilden und soziale sowie finanzpolitische Reformen werden
stets nur durch Abstoßung der welken Gebilde durchgeführt werden
können. Wer in den Schacht der Reserven hineinschaut, wird
vielfach düstere und verschleierte Positionen erblicken und das
Bessere sollte nie abgelehnt werden, weil es, wenn auch nur äußerlich,
als Feind des Guten erscheint.
Es dürfte auch die Behauptung aufgestellt werden, daß die ge-
forderten Reformen, namentlich wenn die Reserven nur für die
Zwecke ihrer eigentlichen Bestimmung und nicht für den vorübergehen-
den allgemeinen Geschäftsbedarf lombardiert werden dürfen, zu einer
wesentlichen Verteuerung des Kredits führen würden. Aber auch
dieser Einwand, so überzeugend er äußerlich erscheinen mag, ent-
behrt der inneren Begründung oder kann nur zu Gunsten kleiner
Ek
36 Otto Warschauer,
Aktiengesellschaften, deren Operationsgebiet, Geschäftsrenommée und
Kredit beschränkt ist, geltend gemacht werden. Die Mehrzahl aller
Aktiengesellschaften, die leistungsfähig sind, gut und kaufmännisch
geleitet werden, dürfte sich vorübergehend den erforderlichen Kredit
durch eine direkte Bankierverbindung, durch erhöhte Wechsel-
diskontierung bei der Reichsbank, durch Nutzbarmachung des Privat-
diskonts u. s. w. bei weitem schneller, reichlicher und billiger ver-
schaffen, als wenn sie das zu verfolgende Ziel durch Lombardierung
der Reserven zu erreichen sucht.
Mit Recht wird ferner den empfohlenen Vorschlägen entgegen-
gehalten werden können, daß die gesonderte Verwaltung der Reserven
eine Erweiterung der Geschäftsbeziehungen und den diesbezüglichen
inneren Ausbau des Unternehmens erschwert. Diese Eventualität
wäre jedoch tatsächlich nicht bedauerlich, denn wenn eine Erweiterung
des wirtschaftlichen Wirkungskreises einer Aktiengesellschaft und
eine Steigerung und Ausnutzung der geschäftlichen Beziehungen der-
selben geboten erscheint, so kann lediglich hierfür die Erhöhung
des Betriebskapitals als geeignetes Mittel bezeichnet werden. Den
Reservefonds für diese, ihm so vollständig fernliegenden Zwecke zu
beanspruchen und zu verwerten, ist sachlich durchweg unbegründet.
Auch liefern die Tatsachen den Beweis, daß dieser Einwand eine
praktische Bedeutung nicht beanspruchen kann. Die großen Berliner
Effektenbanken z. B. besaßen stets relativ starke Kapital- und Spezial-
reserven, sowie sich jedoch der Betrieb ausdehnte, mußte natur-
gemäß schon deswegen zu einer Erhöhung des Grundkapitals ge-
schritten werden, weil die vorhandenen Reserven den gegebenen
Zwecken nicht genügten. Gleichartig liegen die Verhältnisse bei
allen größeren Aktiengesellschaften, welche gewerbliche Ziele ver-
folgen, und die Befürchtung, daß durch die gesonderte Verwaltung
der Reserven der eigentliche Geschäftsbetrieb der Unternehmungen
leiden oder die Möglichkeit ihrer Ausdehnung hierdurch unter-
bunden werden könnte, beruht auf einer sachlich durchaus nicht
genügend motivierten Voraussetzung. Jene Finanzpolitik, welche
das Reich bezüglich des Kriegsschatzes bisher verfolgt hat, sollte
auch für die Aktiengesellschaften als die grundsätzlich richtige an-
gesehen werden. Auch der deutsche Kriegsschatz ist nichts anderes
wie ein Reservefonds. Hätte man ihn nicht von den übrigen Eigen-
tumstiteln des Reiches geschieden und sich von dem Gedanken leiten
lassen, dem Reiche Zinsertrügnisse zu sichern oder vorübergehende
Etatsschwierigkeiten zu mindern, so würden zweifelsohne diese Ziele
erreicht worden sein. Die im Reichsschatze ruhenden Kapitalien
sind jedoch lediglich zur Bereitschaft derjenigen Beträge bestimmt,
die beim Ausbruch eines Krieges sofort gedeckt werden müssen und
wäre statt der 30-jährigen Friedenszeit, welche das Reich glücklicher-
weise nach seiner Errichtung zu verzeichnen hat, eine Periode
dauernder oder vorübergehender Kriege eingetreten, so würden bei
unsachgemäßer Verwaltung des Kriegsschatzes finanzielle Widrig-
keiten eingetreten sein, die in nationaler Beziehung hätten verhängnis-
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 37
voll werden müssen. Auch der Reservefonds der Aktiengesellschaften
ist in vielfacher Beziehung nichts anderes als ein Kriegsschatz. Un-
erwartete Ereignisse können eine Unterbilanz schaffen, sämtliche
Kontokorrentbeziehungen auf ihren Feingehalt und die Dauer ihrer
Zuverlässigkeit zu prüfen, ist selbst bei großer Vorsicht äußerst
schwierig und die Eigenart der Konjunktur kann unvorhergesehene
Verluste zeitigen, deren sofortige Deckung für die weitere Ent-
wickelung des Unternehmens eine Existenznotwendigkeit ist. In
richtiger Erkenntnis dieser Sachlage sind daher auch die Reserve-
a Da möglichst mobil und in gesonderter Verwaltung zu
alten.
Mit der gebotenen Liquidität und gesonderten Verwaltung ver-
bindet sich endlich eine dritte Forderung, deren Notwendigkeit
schwer geleugnet werden kann und die in der Vermeidung jeder
Anonymität der Anlagewerte des Reservefonds, bezw. in dem zu
wahrenden Prinzip der Publizität ruht. Aktionären und
Gläubigern eines jeden Unternehmens sollte die Gelegenheit gegeben
sein, sich volle Klarheit zu verschaffen, welche tatsächlichen Werte
die Reservefonds enthalten und ob diese letzteren demgemäß die
Fähigkeit besitzen, dem Zwecke ihrer Bestimmung im gegebenen
Augenblick zu genügen. Gegen diese Forderung kann nur in sub-
jektiver oder tendenziöser Absicht und im Bewußtsein der schlechten
Sache Widerspruch erhoben werden. Der gleiche Grund, welcher
Banken und großindustrielle Aktienunternehmungen veranlaßt, in
ihren jährlichen Geschäftsberichten einen Ueberblick über die in ihrem
Besitz befindlichen Effekten zu geben, sollte entscheidend auch für
die Publikationen der Reservefondsbestände sein. Denn ebenso, wie
es zur Beruhigung des Aktionärs beiträgt, zu erfahren, wie geartet
der jeweilige Effektenbestand ist, ebenso wird sein Sicherheits-
bewußtsein gestärkt werden, wenn er sich zu überzeugen vermag,
daß der Reservefonds in Werten angelegt ist, die keinen spekulativen
Charakter haben, schnell realisierbar und demgemäß geeignet sind,
in kritischer Zeit das Unternehmen über Wasser zu halten oder
schlechte Perioden erfolgreich zu überwinden. Diejenigen Aktien-
gesellschaften, welche ihre Reserven zweckentsprechend und solide
veranlagen und verwerten, können keine zwingende Veranlassung
haben, das Visier der Oeffentlichkeit gegenüber nicht zu lüften.
Leider jedoch verhüllt sich die Mehrzahl von ihnen mit dem Schleier
der Anonymität und das Prinzip der Publizität wird nur ganz aus-
nahmsweise gewahrt. Das Ausland zeichnet sich hierbei gegenüber
dem Inland vorteilhaft aus. Die Oesterreichisch-Ungarische Bank
z. B. giebt in ihren Geschäftsberichten !) genau an, in welcher Weise
die Reserven verwaltet werden. Die deutschen Zettelbanken jedoch
sind leider diesem Beispiele nicht gefolgt?), und ein gleiches Ver-
1) Vergl. z. B. Geschäftsbericht 1902, S. 19.
2) Die Frankfurter Bank führte bis zum Jahre 1891 genau die Effekten des
Reservefonds auf; seit jener Zeit jedoch bis zu ihrer jüngst erfolgten Umwandlung in
eine Depositenbank hat sie von dem früher bewährten Verfahren Abstand genommen.
38 Otto Warschauer,
fahren belieben durchschnittlich alle Effektenbanken und sonstigen
Aktiengesellschaften. Es werden in den Jahresberichten lediglich die
Kapitalbeträge aufgeführt, die Gesamtwerte ihrer Zusammensetzung
jedoch verschwiegen. Welchen tatsächlichen Zwecken der Reserve-
fonds - dient, ist für die Außenstehenden unersichtlich und bezüglich
der Veranlagung der betreffenden Kapitalien tappen demgemäß Aktio-
näre und Gläubiger vollständig im Dunkeln. Daß dieser Prozeß der
Verschleierung vielfach bedenklich ist, bedarf keiner weiteren Er-
örterung. Im allgemeinen Interesse erscheint es daher unbedingt
nötig, daß in jedem Jahresbericht einer deutschen Aktiengesellschaft
nicht nur die nackte Kapitalziffer der Rücklagen aufgeführt, sondern
daß ganz genau angegeben wird, welche tatsächlichen Werte der
Reservefonds aufweist und wie die diesbezüglichen Einkaufskurse
oder sonstigen Gestehungspreise derselben sind.
Die sämtlichen bezüglich der Umgestaltung der Reserven ge-
machten Vorschlüge, welche die Kapitalfixierung, die Notwendigkeit
einer Doppelreserve, deren Veranlagung und gesonderte Verwaltung,
sowie die erforderliche Publizitätspflicht umfassen, dürfte eine wesent-
liche, die Solidität fördernde Aenderung in der inneren Organisation
der Aktiengesellschaften herbeiführen. Die Gebilde jedoch, die vor-
banden sind, und welche die Vergangenheit geschaffen hat, lassen
sich sofort und gewaltsam nicht umformen. Bei einem diesbezüg-
lichen Versuch würde mit Recht der Vorwurf erhoben werden kónnen,
daß das Gute, welches die Neuerungen bezwecken, geringfügiger
anzuschlagen sei, wie die Mißstände, welche eine zu schnelle Be-
seitigung der bestehenden Verhältnisse hervorrufen müßte. Das
Wirtschaftsleben einer jeden Nation, in seiner Gesamtheit und für
alle Einzelheiten muß möglichst vor jeder sprunghaften Entwickelung
geschützt sein. Aus dem, was die Vergangenheit geschatfen, haben
sich langsam und allmählich die Formationen der Zukunft heraus-
zuschülen. Im Interesse der zu wahrenden Kontinuitit und um
unnütze Katastrophen für einzelne Aktiengesellschaften zu vermeiden,
erscheint es daher unbedingt nótig, den vorgeschriebenen Reformen
die Móglichkeit der zeitlichen Reife zu teil werden zu lassen und
für ihre endgültige Durchführung Uebergangsbestimmungen
zu erlassen.
Wie sich nun einmal die diesbezüglichen Verhältnisse entwickelt
haben, ist bei der Mehrzahl der deutschen Aktiengesellschaften die
leitende Idee, namentlich in Bezug auf die Deckung der Unterbilanz
vielfach verwischt. Die sich ansammelnden Reserven dienen zu-
vörderst der indirekten Mehrung des Betriebskapitals oder enthalten
Werte, deren verlustlose Realisierung nur unter strikter Innehaltung
äußerst vorsichtiger und kaufmännisch-diplomatischer Maßnahmen
möglich ist. Hat eine Aktiengesellschaft für den ersteren Zweck den
größeren Teil ihrer Reserven verwendet, so dürfte nicht anderes übrig
bleiben, als im gegebenen Augenblick bei einer günstigen Lage des
Geldmarktes durch Ausgabe junger Aktien die Reservefondskapitalien
von ihrer bisherigen falschen Bestimmung abzulösen und die auf
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 39
diesem Wege erhaltenen Mittel zur sachgemäßen Veranlagung der
Rücklagen zu verwerten. Setzt sich der Reservefonds aus Werten
spekulativer und zweifelhafter Natur zusammen, enthält er z.- B.
Industriepapiere, deren Kursfluktuationen häufig nicht allein durch
die Lage des diesbezüglichen Unternehmens, sondern auch durch die
Art, bezw. Ungunst der Börsenverhältnisse bedingt sind, so ist es
unbedingt geboten, eine allmähliche, dem Bedarf des Unternehmens
entsprechende, nach der Art der Konjunktur sich richtende Ab-
stoßung der Bestände vorzunehmen und Zwangsverkäufe möglichst
zu vermeiden. Wer der Dauer ungünstiger Konjunkturen zu trotzen
vermag, bleibt von Verlusten verschont. Auch die Möglichkeit des
Umtausches fragwürdig erscheinender Effekten in Wertpapiere, die
minder gefährdet oder für die Zukunft chancenreicher gelten können,
ist in Betracht zu ziehen, denn durch derartig vorsichtig und fach-
kundig geleitete Transaktionen ist häufig die Möglichkeit gegeben,
Verluste schneller, wie durch beharrliches Festhalten an dem ur-
sprünglichen Besitz einzuholen.
Bereits in früheren Zeiten hatte für eine bestimmte Art von
Aktiengesellschaften eine veränderte Veranlagung der Reserven zu
erfolgen. Nach Erlaß des Reichsbankgesetzes wurden einzelne der
deutschen Privatnotenbanken darauf hingewiesen, daß ein Teil ihres
Effektenbesitzes zur ferneren Veranlagung der Reserven nicht ge-
eignet erscheinen könne und daß demgemäß Aenderungen zu erfolgen
hätten. Dieselben vollzogen sich ohne Schwierigkeiten!) und die
Möglichkeit, Reformen in größerem Stile durchzuführen, erscheint
daher durchaus nicht ausgeschlossen. Wegen der aufgeführten
Gründe und Verhältnisse jedoch ist es erforderlich, daß die zu
treffenden Bestimmungen, denen zufolge namentlich die Veranlagung
der Reserven und ihre gesonderte Verwaltung in der empfohlenen
Weise zu handhaben ist, erst von einem bestimmten Termine
an in Kraft treten. Demgemäß hätten sämtliche bisherigen Kapital-
reserven Spezialreserven zu werden, die solange als Pfand für die
neu zu schaffenden Rücklagen zu haften haben, bis diese letzteren
den bisher vorhandenen, bezw. gesetzlich vorgeschriebenen Satz von
10 Prozent des Betriebskapitals erreicht haben. Solange die von
einem bestimmten Zeitpunkt an für die Zwecke der Unterbilanz sich
neu bildenden Rücklagen diesen Satz nicht erreicht haben, würden
in der Jahresbilanz bis auf weiteres zwei Posten aufzuführen sein,
von denen der eine als „Aeltere Reserve“, der andere als „Ge-
setzliche Reserve* zu bezeichnen ist. Sowie die Haftpflicht er-
lischt, kónnen je nach Ermessen der diesbezüglichen Verwaltungs-
organe die älteren Reserven zur Abstofung etwa emittierter Obli-
gationen oder aufgenommener Hypotheken verwendet, in Dividenden-
ergänzungsfonds umgestaltet oder ausgebaut werden, als erweitertes
Betriebskapital dienen, bei Fusionen und sonstigen Angliederungs-
prozessen zur Vermeidung der Ausgabe junger Aktien u. s. w. ver-
1) Vergl. z. B. Geschäftsbericht der Badischen Bank 1875, S. 2.
40 Otto Warschauer,
wertet werden. Jeder gewaltsame Uebergang ist somit vermieden
und die Möglichkeit, die Reserven zu dem zu gestalten, was sie tat-
sächlich sein sollten, gegeben.
Können demgemäß diese letzteren nach Ablauf eines bestimmten
Termins in allen Einzelheiten so umgebildet werden, wie es dem
Grundsatz der Solidität entspricht, so erscheint es auch erwägens-
wert, ob die Kontrolle der Reserven fernerhin nicht Organen
oder Persönlichkeiten zu übertragen sei, welche kein direktes Ge-
schäftsinteresse mit dem betreffenden Unternehmen verbindet und
für welche daher die Unbefangenheit des Urteils ermöglicht ist. Der
Gedanke liegt sehr nahe, hierfür besondere Staatskommissare zu er-
nennen, die Organisation des Staatskommissariats jedoch hat sich, wie
bekannt, nicht allseitig bewährt. Die Börsenkommissare können in
den seltensten Fällen diejenigen Fachkenntnisse besitzen, die zur Aus-
übung ihrer Funktionen erforderlich sind und hängen in ihren Ent-
scheidungen vielfach von der Sachkenntnis und intellektuell von dem
Urteil derjenigen ab, die sie zu kontrollieren berufen werden. Der
Hypothekenkommissar hat sich, wie leider die Erfahrung lehrt, gleich-
falls nicht durchweg bewährt und ob er dies überhaupt in der
Zukunft, selbst bei Ergänzung der bisherigen reichsgesetzlichen
Bestimmungen, zu tun in der Lage sein dürfte, ist bei dem kom-
plizierten Geschäftsgange, welchen das Hypothekenwesen hat und
bei der Schwierigkeit, ein treffendes Urteil über die so mannigfach
auftretenden und von so vielen Einzelheiten bestimmten, der Generali-
sierung schwer zugänglichen Wertverhältnissen des Grundbesitzes sich
zu bilden, sehr fraglich. Anders geartet jedoch ist diejenige Kontrolle.
welche sich auf die Reservefonds zu erstrecken hätte. Hier ist die
Sachkenntnis nach Lage der Verhältnisse eine begrenzte, die Ueber-
sicht leichter und die Mühe geringer, weil es sich grundsätzlich nur
darum handeln kann, genau zu prüfen und zu erkennen, ob die
Veranlagung der Rücklagen vorschriftsmäßig erfolgt ist und die
sonstigen Bestimmungen streng innegehalten sind. Staatliche Bank-
inspektoren, die eine derartige Tätigkeit nicht nebenamtlich, sondern
im Hauptberuf auszuüben hätten und denen z. B. die Aktiengesell-
schaften je einer oder mehrerer Provinzen lediglich für diesen einen
Zweck zu unterstellen wären, könnten die betreffende Tätigkeit leicht
und zuverlässig aufnehmen. Noch näher aber liegt der Gedanke,
die Kontrolle der Reserven «demjenigen Reichsbankdirektorium zu
übertragen, in dessen Distrikt die betreffende Aktiengesellschaft
domiziliert ist. Jeder Reichsbankdirektor ist nach Lage der Ver-
hältnisse kommissarisch veranlagt; er hat den Vorzug der Objek-
tivität, zeichnet sich durchschnittlich durch Sachkenntnis aus, steht
den zu kontrollierenden Aktiengesellschaften geschäftlich nicht fremd
gegenüber, kennt ihre Entwickelung und wird beruflich dazu gedrängt,
die Fluktuationen des Geldmarktes zu verfolgen, sowie Arten und
Qualitätsdifferenzen der Wertpapiere genau zu scheiden.
Wenn somit durch Verwertung der diesbezüglichen Persönlich -
keiten für die aufgeführten Kontrollzwecke eine positive Sicherheit
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 41
geschaffen wird, die nicht durchweg vorhanden ist, sobald die be-
treffende Tätigkeit lediglich den Verwaltungsorganen einer Aktien-
gesellschaft überlassen bleibt, so besteht auch eine sehr hohe Wahr-
scheinlichkeit, daß Kontraventionsfälle der gegebenen Bestimmungen
nur ausnahmsweise vorkommen und sich auf ein Mindestmaß be-
schränken würden. Der Eventualität ihres Eintrittes jedoch sollte
auch strafrechtlich derartig vorgebeugt werden, daß auch auf sie
der Paragraph 312!) des allgemeinen Handelsgesetzbuches Anwen-
dung findet.
V.
Wieist die Durchführung der empfohlenen Vorschläge
zu ermöglichen ?
Die Scheidung der Unterbilanz- und Spezialreserven, d. h. die
Bestimmung, daß für den ersteren Zweck 2 Proz., für den letzteren
3 Proz. jährlich vom Reingewinn abgeführt werden sollen und daß
demgemäß eine gegen die bisherige Organisation der 5-proz. Quote
differierende Dispositionsbefugnis geschaffen wird, läßt sich unschwer
durch eine Erweiterung der zur Zeit bestehenden Gesetzesbestim-
mungen herbeiführen. Anders geartet jedoch ist die Beantwortung
der Frage, in welcher Art die Durchführung der gedachten Vor-
schläge, soweit sie sich auf die Liquidität der Rücklagen, deren ge-
sonderte Verwaltung und Publizität beziehen, in einer für das Rechts-
bewußtsein und den wirtschaftlichen Bedarf der Nation geeigneten
Form zu erfolgen habe. Zwei Fälle sind hierbei in Betracht zu
ziehen. Zuvörderst handeit es sich um das Prinzip der Freiwillig-
keit, d. h. um die Möglichkeit, die Initiative für die gebotenen
Reformen denjenigen zu überlassen, die als Verwaltungsorgane oder
Aktionäre einer Aktiengesellschaft in erster Linie zur Wahrung all-
gemeiner und eigener Geschäftsinteressen berufen sind. Dieser Ge-
danke wird grundsätzlich stets sympathisch erscheinen müssen. Je
mehr das Individuum intellektuell in der Lage ist, des Schutzes,
der Unterstützung und der Intervention Dritter, sei es des Staates
oder Privater, zu entbehren, ein desto markanteres Zeichen seiner
Reife, Leistungsfähigkeit, des berechtigten Selbstbewußtseins und
seines selbständigen Denkens und Handelns ist gegeben. Der Zwang,
in die Bahn des Rechten gewiesen zn werden, wird für eine große
Anzahl werktätiger Menschen stets bedenklich sein, und für die
wirtschaftliche Entwickelung einer jeden Nation ist es in hohem
Maße wünschenswert, daß das intellektuelle Empfinden die Richt-
schnur des Handelns bildet, oder aber daß durch die direkte Initia-
tive der Beteiligten diejenigen Maßnahmen getroffen werden, welche
das Wohl der Gesamtheit zu fördern geeignet erscheinen können.
Diese Gewähr der Freiwilligkeit, so erstrebenswert sie allgemein
1) „Mitglieder des Vorstandes oder Aufsichtsrats oder Liquidatoren werden, wenn
sie absichtlich zum Nachteil der Gesellschaft handeln, mit Gefängnis und zugleich mit
Geldstrafe bis zu 20 000 M. bestraft.‘
42 Otto Warschauer,
auch ist, darf jedoch nicht zum wirtschaftlichen Absolutismus oder
zum ökonomischen Anarchismus führen und es fragt sich, ob für
eine solide Organisation und Handhabung der Reserven einer Aktien-
gesellschaft dieser Weg zu dem gewünschten Ziele führt.
Die Durchführung der vorgeschlagenen Reformen wäre auf
statutarischem Wege den Aktiengesellschaften wohl möglich. Ihre
Verwaltungsorgane jedoch werden sich hierzu durchschnittlich schwer
entschließen, weil hierdurch ihre Dispositionsbefugnis begrenzt
wird und sie werden dieselben vielfach als unpraktisch und undurch-
führbar bezeichnen, weil sie ihnen unbequem sind. Nun ist es auch
denkbar, die diesbezügliche Initiative direkt der Generalversammlung
zu überlasseu, d. h. dem Aktionär nahe zu legen, diejenigen Maß-
nahmen einzuleiten, welche zur Wahrung seiner eigenen Sicherheit
dienen kónnen.
In der jüngeren Zeit hat man sich nicht nur mit der Reorgani-
sation des Aufsichtsratswesens, dessen Mißstände unleugbar sind,
beschäftigt, oder versucht, auf die gebotene Minderung der Direktorial-
gewalten hinzuweisen, sondern es ist auch nach anderer Richtung ein
neues Schlagwort gefallen. Man spricht nicht nur von den Rechten,
sondern vielfach auch von den Pflichten des Aktionärs. Der
Aktionür wird mehr wie bisher in den Vordergrund der Begeben-
heiten gestellt und es wird behauptet, daß, wenn er durchschnittlich
mit mehr Pflichtbewußtsein gegen sich selbst erfüllt wäre und mehr
auf die Wahrung seiner eignen Rechte sehen würde, der Eintritt
so trauriger Ereignisse, wie sie leider der Aktienmarkt Deutschlands
in der jüngeren Zeit zu verzeichnen hat, zukünftig erschwert werden
dürfte. Nun läßt es sich freilich nicht leugnen, daß namentlich bei
der Anlage von Kapitalien in Industriepapieren vielfach Naivitüt,
Leichtsinn und Gutgläubigkeit herrscht; wer jedoch das Verhältnis
des Aktionürs zu der Gesamtheit seiner Interessensphüre oder
gegenüber den Verwaltungsorganen eines Aktienunternehmens objektiv
und doch kritisch betrachtet, wird sich der Erkenntnis kaum ver-
schließen können, daß eine Erweiterung seiner sogenannten Pflichten
wohl verlangt, aber schwer oder nicht allgemein durchgeführt werden
kann. So wird z. B. die Anwesenheit des Aktionürs in der General-
versammlung zur persönlichen Geltendmachung seiner Rechte und
zur Verhinderung seiner Vergewaltigung als unbedingt nótig hingestellt.
Anscheinend wird auch diese Forderung als vollständig berechtigt
gelten müssen, sie grundsützlich zu realisieren, ist jedoch ausge-
schlossen. Nicht jeder Aktionär kann jeder Generalversammlung
beiwohnen. Wer z. B. in Konstanz wohnt und 3000 Mark Königs-
berger Vereinsbank-Aktien besitzt, Berufspflichten nachzugehen hat
oder wenig begütert ist und im Interesse seiner Selbsterhaltun g
Sparsamkeitsrücksichten ausüben muß, kann unmöglich für die
Zwecke der Generalversammlung Deutschland durchqueren. Der
reiche Kapitalist andererseits, der, wie dies häufig der Fall ist, für
die Zwecke seiner Vermögensverwaltung die verschiedensten Aktien-
gesellschaften zu verwerten sucht, hätte, wenn er der vorgeschrie-
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 43
benen Pflicht nachkommen und allen diesbezüglichen ordentlichen
und außerordentlichen Generalversammlungen beiwohnen wollte,
wahrscheinlich den größten Teil seines Lebens im Eisenbahnwagen
zuzubringen. Nun könnte behauptet werden, daß der Aktionär im
Falle der persönlichen Verhinderung zur Wahrung seiner Rechte für
die Zwecke der Generalversammlung seine Aktien an dritter Stelle
zu deponieren habe und daß dadurch wenigstens der Cliquenwirt-
schaft mit Erfolg entgegengearbeitet werden könnte. Doch auch
dieser Einwand ist prinzipiell nicht haltbar, denn derjenige, der das
diesbezügliche Aktiendepot erhält, vertritt meistenteils gleichfalls
Sonderinteressen und kann als objektiver Interpret der Interessen
anderer nur ausnahmsweise betrachtet werden.
Bei allen diesbezüglichen und gleichgearteten Forderungen wird
übrigens ein wirtschaftliches Moment von großer Bedeutung unter-
schätzt. Der Aufschwung, der in jüngerer Zeit zu Gunsten des
Aktienverkehrs zu verzeichnen ist, ist auf die große Beteiligung aller
besitzenden Elemente der Nation zurückzuführen. Es giebt in
Deutschland gegenwärtig wenig Kreise der bürgerlichen Gesellschaft,
welche nicht Aktienbesitz aufzuweisen haben. Ein großer Prozent-
satz des Nationalvermögens wird vielleicht weniger für die Zwecke der
Spekulation, als wegen der gebotenen höheren Verzinsung in Industrie-
papieren angelegt und dieser Faktor bedingt sehr entscheidend die
großen Umsätze, die sich zeitweise an den Börsen vollziehen. Wird
nun der Aktionär gedrängt, persönlich zur Generalversammlung zu
erscheinen, oder für die Zwecke der letzteren an dritter Stelle seine
Aktien zu deponieren, so schwindet die vielfach gebotene Anonymität
seines Besitzes, die bei der Anlage in Rententiteln durchweg gewahrt
ist. Die Person des Aktionärs würde in den Vordergrund gedrängt
und jene individuelle Reserve, die bei vielen Kapitalanlagen aus
sozialen oder merkantilen Gründen geboten ist, dürfte hierdurch er-
schwert werden. Ein gleiches Verhältnis müßte auch eintreten,
wenn statt der bisher üblichen Inhaberpapiere Namenpapiere zirku-
lierten. Die Eintragung in das Schuldbuch der Aktiengesellschaften
würde den Namen des Besitzers der Oeffentlichkeit zuführen und
viele Kapitalisten veranlassen, ihre mobilen Vermögenswerte dem
Rentenmarkte zu überweisen und der direkten wirtschaftlichen Pro-
duktion, wie sie durch die Aktiengesellschaften ermöglicht wird, zu
entziehen. Dies wäre nicht nur im Interesse der betreffenden Er-
werbsgesellschaften, sondern auch, da die großkapitalistische Produk-
tionsweise für den Inlandsbedarf und gegenüber der Konkurrenz,
sowie der Leistungsfähigkeit des Auslandes gegenwärtig als die
allein bedingende hingestellt. werden muß, im Interesse der deut-
schen Volkswirtschaft sehr bedauerlich. Die Pflichten des Aktionärs
kónnen daher unmóglich schematisiert werden und die konkreten
Verhültnisse, wie sie zur Zeit bestehen, dürften sich dauernd halten,
d. h. der Aktionür wird den Generalversammlungen der Aktien-
gesellschaften nur insoweit beiwohnen, als dies seine eigentlichen
Berufspflichten gestatten und für seine sonstige Lebenslage nicht
44 Otto Warschaner.
mit Umständen und Unbequemlichkeiten irgend welcher Art ver-
knüpft ist.
Nun nehme man aber den Fall an, daß der Aktionär in die
Generalversammlung kommt und den Vorschlag macht, der Reserve-
fonds solle in Zukunft möglichst liquide gehalten, gesondert ver-
waltet und beim Abschluß der Jahresbilanz nicht nur ziffernmäßig.
sondern auch in seinen effektiven Bestandswerten aufgeführt werden.
Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Verwaltungsorgane vieler
Aktiengesellschaften diesen Vorschlägen gegenüber sich oppositionell
verhalten und ihre Durchführung zu vereiteln suchen würden, um
auch fernerweit in ihrer Dispositionsbefugnis nicht gehindert zu
sein. Ebenso wie jede Aenderung des Aufsichtsratswesens, sobald
sie sich gegen die subjektiven Interessen der Verwaltungsorgane
richtet, die Möglichkeit der Durchführung durch Generalversammlungs-
beschluß kaum finden dürfte, ebenso kann jeder andere Vorschlag,
der auf die Initiative der Aktionäre zurückzuführen ist und auf
gleichen Voraussetzungen beruht, leicht abgelehnt werden. Die
Verwaltungsorgane in ihrer Gesamtheit oder die individuellen Ele-
mente ihrer Zusammensetzung, die meistenteils recht begütert sind,
dürften stets in der Lage sein, durch vorübergehenden Ankauf der
Aktien, sowie durch die direkte Unterstützung der ihnen nahe-
stehenden, gleiche Tendenzen verfolgenden und eine systematische
Defensivpolitik fördernden Finanzgruppen sich die für die Zwecke
der Generalversammlung erforderliche Stimmenmehrheit zu ver-
schaffen und nur denjenigen Anträgen Beschlußfähigkeit zu verleihen,
die ihrer Interessensphäre oder den von ihnen als richtig hinge-
stellten Zielen entsprechend erscheinen. So kann unschwer in jeder
Generalversammlung jeder Aktionär vergewaltigt werden, und es
dürfte daher mit positiver Sicherheit angenommen werden können,
daß die vorgeschlagenen, die Reserven der Aktiengesellschaften be-
treffenden Reformen, insofern sie lediglich in das freiwillige Belieben
der direkt Beteiligten gestellt sind, die Möglichkeit der Ausführung
nie finden werden. So erstrebenswert es auch erscheinen mag, jeden
zum Schöpfer seines eigenen Glückes zu machen und die individuellen
Produktionskräfte auf das Maß der eigenen Leistungsfähigkeit zu
stellen, oder aber den Eingriff äußerer Gewalten in die Wirtschafts-
sphäre des Einzelnen möglichst zu vermeiden, so wird doch stets
die Durchführung bestimmter Forderungen nur durch die Inter-
vention des Staates ermöglicht werden können, welcher die Aufgabe
und Verpflichtung hat, nicht das individuelle Interesse einzelner
zum Gegenstande seiner Fürsorge zu machen, sondern das Gemein-
wohl zu fördern. Es bleibt daher, wenn die Reserven der deutschen
Aktiengesellschaften in diejenigen Bahnen hineingebracht werden
sollen, die nach Lage der Verhältnisse als die normalen zu be-
zeichnen sind, nichts anderes übrig, als die vorhandenen Mißstände
durch Umbildung des $ 262 des Handelsgesetzbuches zu beseitigen.
Die hierbei zu überwindenden Schwierigkeiten dürften nicht
unterschätzt werden. Die öffentliche Meinung in Deutschland
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 45
erscheint zur Zeit wenig disponiert, auf dem Gebiete des Aktien-
wesens Reformen zu begünstigen, welche durch die entscheidende
Macht des Gesetzes Lebenskraft erhalten können. Die traurigen
Erfahrungen der Vergangenheit, die vielfachen Fehler, die auf mannig-
fachen Gebieten der Wirtschaftsgesetzgebung begangen worden sind,
haben leider Zweifel an der Notwendigkeit oder günstigen Wirkung
einer diesbezüglichen Intervention des Staates hervorgerufen. Es
ist ferner nicht allein die Unsicherheit der wirtschaftlichen Zustände,
in welcher sich zur Zeit das deutsche Erwerbsleben befindet, auch
nicht die Erkenntnis, daß jede volkswirtschaftliche Neubildung oder
Umbildung die Schwierigkeit der Gütererzeugung erhöht, es ist
namentlich das Börsengesetz, welches durch die Ungefügigkeit
seiner Konstruktion, durch die ihm anhaftende Unfähigkeit, die Re-
gungen des Geldverkehrs genau zu erkennen, oder aber weil es
Bestimmungen getroffen und Zustände geschaffen hat, welche für
Handel und Verkehr vielfach eine entsittlichende Wirkung ausüben,
es ist dieses Börsengesetz mit allen seinen Vorläufern, mit den
Folgen, die es gezeitigt. mit der Schwierigkeit seiner Beseitigung
oder Verbesserung, mit der störenden Zähigkeit seiner Existenz, das
wesentlich dazu beiträgt und beigetragen hat, jenes tiefe Mißtrauen
zu erzeugen. Es wirkt in der Gegenwart so abschreckend, daß jeder
Versuch, auch andere Gebiete der Volkswirtschaft gesetzgeberisch zu
beackern oder umzupflügen, vielfach grundsätzlich abgelehnt wird.
Hierzu kommt das Verhalten der Reichsregierung; auch
sie dürfte sich vollkommen klar darüber geworden sein, welche un-
vorhergesehenen und verhängnisvollen Folgen das Börsengesetz ge-
zeitigt hat. Noch einmal die Geister zu entfachen, noch einmal der
großen Gefahr ausgesetzt zu sein, das Gute zu wollen, aber nicht
erreichen zu können und das Schlechte zu verdammen, aber indirekt
doch zu fördern, dieses sehr bedenkliche Risiko zwingt die Regierung,
das äußerste Maß von Vorsicht bei Erlaß neuer Wirtschaftsgesetze
zu bekunden und lieber auf Neuerungen zu verzichten, als die so
zart besaiteten Gebilde der Industrie oder die leicht erregbaren
Wellen des Geldmarktes wiederum stürmischen Fluktuationen aus-
zusetzen. Auch die Regierung dürfte daher im gegenwärtigen Augen-
blick kein Verlangen haben, durch ein Gesetz den Aufbau der
nötigen Reformen vorzunehmen, sondern sie wird sicherlich den be-
telligten Organen überlassen, dasjenige freiwillig zu tun, was im
Interesse ihrer Selbsterhaltung geboten erscheint. Hierzu kommt
das Verhalten der Presse; sie verschließt sich nicht der Erkenntnis,
daß die gegenwärtige Organisation der Reserven große Mißstände
aufweist, und daß die höhere Wahrung der Soliditätsprinzipien zwei-
felsohne große allgemeine Vorteile bieten würde, aber auch sie scheut
sich vielfach, eine diesbezügliche Initiative zu fördern, die nicht den
Kreisen der direkt beteiligten Individuen entspringt. Es ist nicht
nur der Unmut über das Börsengesetz, der hierzu treibt. Auch die
von verschiedenen Parteiorganen stetig vertretene Ansicht, daß die
Gewähr der individuellen Freiheit die Möglichkeit des größten per-
46 Otto Warschauer,
sönlichen Wohlbefindens bietet, führt vielfach zu der grundsätzlichen
Forderung, einer möglichsten Begrenzung jeder staatlichen Intervention
in Wirtschaftsangelegenheiten. Aus diesem Grunde dürften gesetz-
liche Neuerungen, welche die Reservefonds der Aktiengesellschaften
betreffen, seitens eines sehr hervorragenden und einflußreichen Teiles
der Presse, ganz abgesehen von dem finanziellen Abhängigkeits-
verhältnis, in welchem sich viele Zeitungen gegenüber den Aktien-
gesellschaften befinden, nur ausnahmsweise unterstützt und gefördert
werden. Auch eine anders geartete Schwierigkeit ist in Betracht zu
ziehen. Es ist leider häufig der Mißstand aufgetreten, daß bei Ge-
bieten des Erwerbslebens, für welche Reformen geboten erschienen,
die eigentlichen Fachkundigen nicht diejenige aktive Stellung-
nahme bekundet haben, die für das Gesamtwohl nötig gewesen wäre.
Sie haben vielfach geschwiegen, in der Opposition gegen die Neuerung,
die sie vermeintlich schädigen könnte, unterlassen, der Regierung
oder dem Parlamente die nötigen Aufschlüsse im geeigneten Augen-
blick zu geben und gehofft, durch Ignorierung der Tatsachen oder
Leugnen der Mißstände die Durchführung von Reformen unterbinden
zu können. Diese eigenartige Opportunitätspolitik hat sich jedoch
vielfach gerächt. Parteien und Individuen, die der Haß gegen das
mobile Kapital leitet oder die kein genügendes Verständnis für die
Regungen und den Bedarf von Handel und Industrie besitzen, haben
sich der diesbezüglichen Materie bemächtigt und Vorschläge gemacht
und durchzuführen verstanden, die volkswirtschaftlich bedenklich
waren. Auf diese treibende Ursache müssen vielfach gesetzgeberische
Bestimmungen zurückgeführt werden, die zum Gegenteil ihres eigent-
lichen Zweckes führten. Mit der Börsensteuer z. B. sollte das mobile
Großkapital getroffen werden, der eigentliche Leidtragende jedoch ist
der Minderbegüterte, den die Steuer tatsächlich belästigt und der
durch ihre Existenz im Besitzwechsel und in der Ausnutzung der
Konjunktur auf dem Geldmarkt gehemmt wird. Der diesbezügliche
Versuch der Gesetzgebung gegenüber dem Großkapital, das die Steuer
vielfach mit Leichtigkeit abwälzt, ist mißglückt; man wollte Löwen
töten und fängt Fliegen. Aehnlich liegt das Verhältnis bei den
Kartellen und Syndikaten. Auch hier wirkt das Schweigen der be-
teiligten Kreise in hohem Maße schädigend und auch hier liegt die
große Gefahr vor, daß in dem einzuleitenden Versuch wiederum
nicht das Richtige getroffen werden wird, weil die diesbezüglichen
Interessenten nicht mit derjenigen Offenheit vorgehen, die nach Lage
der Verhältnisse geboten wäre.
Dieser allgemeine Mißstand führt zu einer Forderung für den
vorliegenden Fall. Die Initiative zu den nötigen Neuerungen auf
dem Gebiete des Aktienwesens sollte im Interesse der gesamten
deutschen Industrie nicht, wie dies häufig bei ähnlichen Veranlassungen
der Fall gewesen, von Elementen ausgehen, die, gleichviel aus welchem
Grunde, dem mobilen Kapital feindlich oder unfreundlich gegenüber-
stehen, sondern von denjenigen Körperschaften ergriffen werden,
die wie die Handelskammern und Börsenkollegien genügende Sach-
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 47
kenntnis besitzen und als kompetente Vertreter von Handel und In-
dustrie berufen sind, die Lösung wirtschaftlicher Probleme anzu-
bahnen. Für die Erledigung der erörterten Frage bezüglich der
Reserven der Aktiengesellschaften wäre dies von sehr großer Be-
deutung. Der von den Fachkundigen erhobene Einwand, daß das
Bestehende gut und daher jede weitere Erörterung unnütz sei, sollte
fallen gelassen oder das hierbei vielfach beobachtete Stillschweigen,
diese negative Behandlung einer aktuellen Frage, fernerhin ver-
schwinden.
Aber auch dem allgemeinen Mißbehagen bezüglich des Erlasses
neuer Wirtschaftsgesetze darf im Interesse des Verkehrs und des
öffentlichen Wohles nicht zu weit nachgegangen werden, denn die
neuere Wirtschaftsgesetzgebung des Deutschen Reiches hat doch auch
Tatsachen zu verzeichnen, welche den gehegten Erwartungen voll
entsprochen und zu dem gewünschten Ziele geführt haben. Hierzu
gehört z. D. das Depotgesetz. Es hat wesentlich dazu beigetragen,
Klarheit über bisher getrübte Verhältnisse zu schaffen; es hat die
Grundsätze der Solidität geschärft, die Möglichkeit der Unterschla-
sungen gemindert und das Sicherheitsbewußtsein der Deponenten
gehoben. Derartige Vorteile wären auf dem Wege der freien privaten
Vereinbarung nie erzielt worden und gerade dieses Depotgesetz kann
als Beweis für die Behauptung gelten, daß eine geeignete Staats-
intervention sehr wohl wirtschaftliche Mißstände zu beseitigen oder
Maßnahmen zu treffen vermag, welche das Gesamtwohl fördern. So
erscheint es nötig. auch dem Reservefonds jene gesetzliche Festigung
zu geben, die er bisher entbehrt hat und welche für die fernere Ent-
wickelung des Aktienwesens, sowie für die vielfachen nationalen Wirt-
schaftsinteressen, welche sich mit demselben verknüpfen, geboten ist.
Für diese Zwecke wäre demgemäß eine Umgestaltung des
x262 des Handelsgesetzbuches vom 10. Mai 1897 nötig
und vielleicht dürfte es sich unter Innehaltung der früher erwähnten
UebergangsLestimmungen empfehlen, dem diesbezüglichen Para-
graphen folgende neue Fassung zu geben:
„Jede Aktiengesellschaft ist verpflichtet, Rücklagen zu machen,
die zur Deckung einer etwa entstandenen Unterbilanz (Kapital-
reserve), sowie zur Deckung derjenigen Verluste bestimmt sind,
welche durch den Kontokorrentverkehr oder die Realisierung von
Beständen (Spezialreserven) entstehen können.
In diesen Reservefonds sind, solange derselbe nicht die volle
Höhe des Betriebskapitals erreicht hat, einzustellen:
1) 5 Proz. von dem jährlichen Reingewinn; 2 Proz. hiervon
haben der Deckung der Unterbilanz, 3 Proz. den Spezialreserven zu
dienen;
2) Agiogewinne, welche sich bei der erstmaligen Begebung der
Aktien oder durch die Erhöhung des Betriebskapitals nach Abzug
der hiermit verbundenen Kosten zu Gunsten der Gesellschaft ergeben:
3) der Betrag von Zuzahlungen. die ohne Erhöhung des Grund-
48 Otto Warschauer,
kapitals von Aktionären gegen Gewährung von Vorzugsrechten für
ihre Aktien geleistet werden, soweit nicht eine Verwendung dieser
Zahlungen zu außerordentlichen Abschreibungen oder zur Deckung
außerordentlicher Verluste beschlossen wird.
Die ad 2 und 3 bezeichneten Beträge sind zuvörderst für die
Kapitalreserve und erst in zweiter Linie für die Spezialreserve zu
verwenden. Wenn der Reservefonds die volle Höhe des Betriebs-
kapitals erreicht hat, ist die Verwendung der Agiogewinne dem Er-
ınessen der Verwaltungsorgane zu überlassen.
Die den Reservefonds zuzuführenden Kapitalien müssen in
a) Staatspapieren, welche bei der Reichsbank lombardfähig sind,
b) börsenmäßig gehandelten Qualitätswechseln,
c) erststelligen, mündelsicheren, einen dreijährigen Fälligkeits-
termin durchschnittlich nicht überschreitenden Hypotheken angelegt
werden, oder aber mindestens
d) die Möglichkeit einer leichten Realisierbarkeit bei Sicherung
des Kapitals und der Zinsen besitzen.
Die angesammelten Rücklagen sollen lediglich dem vorgeschrie-
benen Zwecke dienen. Sie haben eine gesonderte, von den sonstigen
Erwerbs- und Kreditzwecken des Unternehmens sich scheidende Ver-
waltung zu erhalten und sind in dem Jahresbericht nominell nach Art
ihrer Veranlagung und unter Angabe des Einkaufs- bezw. Gestehungs-
preises aufzuführen.
Die Kontrolle der Bestände steht dem Leiter der an dem Domizil
der Aktiengesellschaft fungierenden oder derselben nächst benach-
barten Reichsbankstelle zu.
Für Kontraventionsfälle der gegebenen Bestimmungen gilt $ 312
des Allgemeinen Handelsgesetzbuches.*
Gewiß wird eine derartige Umgestaltung der bisherigen gesetz-
lichen Bestimmungen die Dispositionsbefugnis der Verwaltungsorgane
für die Zwecke der Reservefonds mindern und gewiß soll nochmals
nicht in Abrede gestellt werden, daß jeder Eingriff in die privat-
wirtschaftliche Macht- und Betriebssphäre seitens Dritter und nament-
lich des Staates störend wirkt und von Mißständen begleitet sein
kann. Andererseits aber muß doch stets im objektiven Interesse der
Volkswirtschaft der Gedanke festgehalten werden, daß für das Wirt-
schaftsleben der gesamten Nation die Aktiengesellschaften von immer
entscheidenderer Bedeutung werden, dali mit ihnen sich das finanzielle
Wohl und Wehe vieler verknüpft und daß demgemäß für alle Zweige
ihrer Geschäftsführung die Grundsätze der äußersten Soliditüt dauernd
zu wahren sind.
Das Aktiengesetz vom Jahre 1354, sowie die diesbezüglichen
neueren Bestimmungen des Handelsgesetzbuches haben zweifelsohne
den Verkehr gefördert und die Moral gehoben. Das Gesetz jedoch
deckte nur die Erfahrungen der Vergangenheit, denn was die Zu-
kunft bringen konnte, war mit Sicherheit nieht vorauszusehen. In
der jüngeren Zeit haben sich nun Wandlungen in der deutschen
Industrie vollzogen, wie sie in den früheren Phasen ihrer Entwicke-
Die Reservefonds der deutschen Aktiengesellschaften. 49
lung nie zu konstatieren waren. Die individuellen Bedürfnisse stiegen
und erheischten erhóhte Befriedigung, der nationale Wohlstand hob
sich und trieb zur Beschleunigung des Gütererzeugungsprozesses,
durch die Potenzierung der Produktivkrüfte nüherte sich Deutschland
immer mehr der Peripherie des Industriestaates, und die hohe
Stellung, welche nach einem siegreichen Kampfe das neu errichtete
Reich im Kreise der Völker errungen hatte, mußte allmählich im
Selbsterhaltungstriebe der Nation zur Ausbildung einer Weltmachts-
politik auch in wirtschaftlicher Beziehung führen. Die Durchführung
dieser neuen Aufgaben war vielfach nur durch jene bedeutungsvolle
Assoziation des Grofikapitals móglich, wie sie sich zuvórderst in den
Aktiengesellschaften abspiegelt. Für alle diese Verhältnisse ergab sich
nun zwar bereits seit längerer Zeit die Möglichkeit der Erscheinung,
die endgültige Tatsache jedoch hat sich erst nach Erlafi des Aktien-
gesetzes vom Jahre 1884 vollzogen.
In der Werdeperiode des neuen Handelsgesetzbuches, sowie in
jener Zeit, welche dem definitiven Gesetze folgte, haben sich fernerhin
erst in markanter Weise die Wirkungen der Handelsvertrüge ge-
äußert, die vielfach zu einem erneuten Aufschwung der Industrie
führten. Wenn nun auch in der Gegenwart leider ein Niedergang
der Produktion zu verzeichnen ist und Unklarheit über die zukünftigeu
Handelsbeziehungen Deutschlands zum Ausland herrscht, so kann
doch mit Sicherheit die Hoffnung festgehalten werden, daß dasjenige,
was in der Vergangenheit mit Mühe errungen, erfolgreich auch in
der Zukunft festgehalten werden wird.
Ein Wirtschaftsgesetz darf nicht dem rocher de bronce gleichen,
es muß die Fähigkeit der Umgestaltung besitzen und von dem Geiste
der Zeit beseelt sein, deren Bedarf es zu decken bestimmt ist. Und
wenn die industrielle Entwickelung der deutschen Nation und der
wirtschaftliche Aus- und Aufbau, der sich dauernd in ihr vollzieht,
die Notwendigkeit einer Revision des Aktiengesetzes ergeben
haben wird, dann dürfte eine Umgestaltung nicht nur des Aufsichts-
ratswesens, sondern auch der Reserven angebahnt werden, damit
beide Institutionen in höherem Maße wie bisher dem eigentlichen
Zwecke ihrer Bestimmung entsprechen.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX.. 4
50 W. Ed. Biermann,
Nachdruck verboten.
II.
W. Wundt und die Logik der Sozial-
wissensehaft.
Dr. W. Ed. Biermann (Bonn).
Motto: „Die soziale Geschichte ist eine
Geschichte von Zwecken.“ R. Stammler,
Die Lehre von dem richtigen Rechte. 1902,
S. 610.
Inhaltsübersicht.
Wundts Bedeutung im allgemeinen: S. 50. Die Klassifikation der Einzelwissen-
schaften: S. 51. Der Begriff der Geisteswissenschaften: 8. 53. Die psychische Kausalität
und ihre Gesetze: 8. 53. Das Wesen geisteswissenschaftlicher Gesetze: S. 54. Unter-
schied der historischen und sozialen Gesetze von den Naturgesetzen: S. 55. Bedenken:
S. 56. Dilthey: S. 56. Bedenken: S. 57. Stammler als grundlegender Erkenntnis-
theoretiker für die Sozialwissenschaft: S. 58. Kritik der historischen und sozialen Ge-
setze Wundts: 8. 58. Das ökonomische Prinzip: S. 62. Die soziale Geschichte, eine
Geschichte von Zwecken: S. 61. Das Telos als ordnendes Prinzip für die Sozialwissen-
schaft: S. 63.
Am 16. August vorigen Jahres hat Wilhelm Wundt seinen
10. Geburtstag gefeiert, von einer zahlreichen Schar treuer Schüler
umgeben, und auch von seinen wissenschaftlichen Gegnern als ein
gewaltiger, immens vielseitiger Denker anerkannt, der fast alle Ge-
biete der Philosophie neu bearbeitet und reich mit fruchtbaren Ge-
danken ausgestattet hat. Wundts große. Verdienste sind von be-
rufener Seite auf das eingehendste gewürdigt worden. Wir besitzen
nicht nur zahlreiche Aufsátze über seine philosophischen Anschauungen,
sondern seit kurzer Zeit auch zwei treffliche, ausführlichere Mono-
graphien !), von denen die eine bereits in zweiter Auflage erschienen
ist und davon zeugt, daß eine „Einführung“ in die gewaltigen Werke
des Meisters einem dringenden Bedürfnisse entsprach. Wenn man
nun in den meisten Würdigungen, die dem großen Gelehrten zu
1) Kónig, Wundt, Seine Philosophie u. Psychologie. Stuttgart 1901, 2. Aufl.
1902. Eisler, Wundts Philosophie und Psychologie. Leipzig 1902.
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 51
seinem Ehrentage dargebracht wurden, lesen kann, er sei vor allem
als Altmeister der experimentellen Psychologie anzusehen, so ist das
gewiß begründet, aber es will mir scheinen, als ob man den tief-
sinnigen, voluntaristischen Metaphysiker und scharfsinnigen Erkenntnis-
theoretiker Wundt zu sehr in den Hintergrund treten lasse. Wenn
ich Wundts überragende Bedeutung mit wenigen Worten andeuten
darf, so meine ich, man müsse ihn nicht nur als grofien Psychologen
(als solcher ist er der berufene Fortsetzer Fechners und Webers,
aber nicht nur „Ordner“, sondern auch „Erfinder“, um die Gobineau-
sche Einteilung der Genies anzuwenden), sondern auch als Metho-
dologen der Wissenschaften feiern. Für diese methodologischen
Untersuchungen sind ihm alle Wissenschaften zu Danke verpflichtet.
Das große Verdienst, das sich nun Wundt speziell um die Logik
der Geisteswissenschaften erworben hat, ist meines Erachtens das, daß
er in scharfsinniger Weise die Verschiedenheit der geisteswissenschaft-
lichen Methode von der naturwissenschaftlichen dargetan hat. Man
hat ja oft darüber geklagt, daß „Natur“ und „Geist“ nicht als Ein-
heit angesehen würden, aber wie die neuere Entwickelung gelehrt
hat, mit Unrecht. Wie der naturwissenschaftliche Dogmatismus in
der Philosophie als erkenntnistheoretisch unmöglich erwiesen ist (be-
sonders charakteristisch ist die Zurückweisung Haeckels durch Erich
Adickes, Kant contra Haeckel, Berlin 1901) und sein letztes Wieder-
aufblühen in Haeckels „Welträtseln“ trotz seines großen änßeren Er-
folges philosophisch eine Null bedeutet, so ist man in den letzten
Jahrzehnten nach dem Ansturm derjenigen soziologischen Litteratur,
die sich einer biologischen Methode bediente und gewiß in ihrer Art
bedeutende Werke, wie Schäffles „Bau und Leben des sozialen
Körpers“ hervorgebracht hat, wieder zu einer scharfen Unterschei-
dung der geisteswissenschaftlichen von der naturwissenschaftlichen
Methode gelangt. Drei Männer sind hier vor allem zu nennen, die
als Methodologen der Geisteswissenschaften grundlegende Werke ge-
schaffen haben, Wundt, Dilthey und Stammler. Diese
Gruppierung mag auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, es
wird jedoch aus der folgenden Betrachtung hervorgehen, daß sie
sich speziell für die Wissenschaft, die uns hier angeht, die National-
ökonomie, wohl rechtfertigen lassen dürfte. Denn um die „Logik
der Nationalökonomie“, um mit Wundt zu sprechen, soll es sich
hier handeln. Ich möchte aber vorausschicken, daß diese kurze
Abhandlung nur als Versuch oder gleichsam als Skizze aufgefaßt
werden will.
Es bleibt Wundts großes Verdienst, in seiner „Logik“ (2. Aufl.
1893—95) den Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissen-
schaften fest begründet zu haben. Bevor wir uns aber seinen für
die Geisteswissenschaften und speziell für die historischen und sozialen
Wissenschaften maßgebenden Prinzipien zuwenden können, wird es nötig
sein, einen Blick auf die Klassifikation der Einzelwissen-
schaften überhaupt zu werfen, wie sie Wundt vorgenommen hat.
4*
52 W. Ed. Biermann,
(Ueber die Einteilung der Wissenschaften, Philos. Studien V, 1889.
Einleitung in die Philosophie, Leipzig 1901.)
Wundt scheidet zunächt die Wissenschaften in formale und
reale. Zu den ersteren gehören die reine Mathematik, zu den
letzteren die Erfahrungswissenschaften. Man hat sich oft darüber
gewundert, daß Wundt die Mathematik von den Naturwissenschaften
abgesondert hat, aber er hat es meines Erachtens mit gutem Grunde
getan. Es besteht nämlich zwischen der Mathematik und allen
übrigen Wissenschaften der tiefgreifende Unterschied, daß diese an die
„Erfahrung, an wirkliche, in der Erfahrung gegebene oder mindestens
in ihr mögliche und daher vermutete oder vorauszusehende Tat-
sachen gebunden sind* (Einleitung, S. 63), während das bei der
Mathematik keineswegs der Fall ist. Sie ist an eine empirische
Wirklichkeit nicht gebunden, sondern „jede Begriffsbildung, die einer
mathematischen Behandlung zugänglich ist, bleibt für sie ein wissen-
schaftliches Problem, gleichgültig ob eine solche Begriffsbildung
unmittelbar auf Grund bestimmter Gegenstünde und ihrer Eigen-
schaften ausgeführt wurde oder ob sie keiner irgendwie móglichen
empirischen Tatsache entspricht (a. a. O., S. 64). Der Unterschied
ergibt sich aus dem Charakter der mathematischen Begriffsbildung,
die lediglich gewisse „formale Eigenschaften der Objekte heraus-
greift und von dem gesamten realen Inhalt der so gewonnenen
Formen abstrahiert* (a. a. O., S. 64). Die Erfahrungswissenschaften
zerfallen ihrerseits in die Natur- und Geisteswissenschaften.
Beide lassen sich wieder in je drei Gruppen teilen nach überein-
stimmenden Gesichtspunkten: Erstens bilden gewisse, nach ihren
übereinstimmenden Merkmalen verbundene Vorgünge und zweitens
bestimmte Degriffe von Gegenstünden oder von Erzeugnissen,
die einen gegenstündlichen Charakter haben, das „Substrat der
Forschung“, und drittens beschäftigen sich einige Wissenschaften
mitder Entstehung und Entwickelung der Natur- und Geistes-
produkte. Nach diesen verschiedenen Aufgaben bezeichnet Wundt
die Wissenschaften der ersten Gruppe alsdie phänomenologischen,
die der zweiten als die systematischen und die der dritten als
die genetischen.
Wie nun die einzelnen Wissenschaften nach diesem principium
divisionis sich gruppieren, erhellt aus dem folgenden Schema:
Formale Reale
Wissenschaften Wissenschaften
re, Naturwissenschaften Geisteswissenschaften
pentes, RE DER EEE LEE E eg,
Phünome- Genetische Systema- Phänome- Genetische Systema-
nologische (Kosmolo- tische nologische (Geschich- tische
(Physik, gie, Geo- (Minera- (Psycho- te) (System,
Chemie, logie, Ent- logie, logie) Rechts-
Physiolo- wicklungs- system. wissen-
gie) geschichte Botanik u. schaft, Na-
der Orga- Zoologie tionalöko-
nismen) u. s. w.) nomie)
(Cf. Einleitung, S. 76.)
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 53
Heftige Angriffe sind gegen den Begriff der „Geistes wissenschaften“
gemacht worden, der nicht ohne weiteres dem der Naturwissen-
schaften gegenübergestellt werden dürfe. So schreibt — um einen
der schärfsten Gegner jenes Begriffes herauszugreifen — Windel-
band (Geschichte und Naturwissenschaft 2. Aufl, 1900, 8. 3ff.,
auch zitiert bei Wundt, Einleitung, S. 74): „Natur und Geist, das
ist ein sachlicher Gegensatz, der jetzt nicht mehr als so sicher ünd
selbstverständlich anerkannt werden kann.“ Die Psychologie ist
„ihrem Gegenstande nach nur als Geisteswissenschaft und in ge-
wissem Sinne als die Grundlage aller übrigen zu charakterisieren ;
ihr ganzes Verfahren aber, ihr methodisches Gebahren ist vom An-
fang bis zum Ende dasjenige der Naturwissenschaften.“ Ich meine,
auch hier zeigt sich wieder der allgemeine Unwille gegen die Trennung
von „Geist“ und „Körper“. Man vergißt dabei jedoch, daß eine
Gegenüberstellung von Geistes- und Naturwissenschaften etwas
fundamental anderes bedeuten will, als eine Befürwortung jener
Trennung von „Geist“ und „Körper“. Jene will die Natur-
erscheinungen von den geistigen Erscheinungen unter-
scheiden und „schließt dennoch“ — wie Wundt treffend bemerkt
(a. a. O., S. 71) — „keineswegs aus, daß uns beiderlei Erscheinungen
an einem und demselben sinnlichen Substrate gegeben sind“. Sie
erinnert nur daran, „daß sie, mögen sie auch noch so sehr in-
einander eingreifen und sich wechselseitig beeinflussen, doch zu-
reichend verschiedene Merkmale darbieten, um zu einer Scheidung
der Gebiete Anlaß zu geben“. So läßt sich der Begriff der „Geistes-
wissenschaften“ wohl rechtfertigen.
Besonders charakteristisch für Wundts Auffassung von dem Wesen
der Geisteswissenschaften ist seine Wertung der Psychologie.
Als „Wissenschaft von den allgemeingültigen Formen unmittelbarer
menschlicher Erfahrung und ihrer gesetzmäßigen Verknüpfung“ ist
sie die Grundlage der Geisteswissenschaften und nicht
nur ein Teil der Naturwissenschaften, wie viele Gegner Wundts
annehmen !). In den Geisteswissenschaften gibt es ebenso Gesetze,
wie in den Naturwissenschaften, nur mit dem Unterschiede, daß jene
rein psychologischer Natur sind. Diese Anerkennung von
geisteswissenschaftlichen und — wie wir später sehen werden —
speziell historischen und sozialen „Gesetzen“ läßt sich nur aus
der „psychischen Kausalität“, die bei Wundt eine große Rolle
spielt, und ihren „Gesetzen“ erklären. Wundt fordert eine psychische
Kausalität, weil er ein entschiedener Vertreter des psychologischen
Parallelismus ist und somit eine kausale Ableitung der seelischen
Vorgänge aus körperlichen für unrichtig erachtet?) Während die
materialistische Psychologie alle im Bewußtsein vorkommenden Ver-
bindungen dem Schema der „Assoziation“ unterzuordnen vermag,
1) Cf. Eisler, a. a. O., S. 38.
2) Cf. zu dem folgenden: Wundts Grundriß der Psychologie, 5. Aufl. 1902,
8. 393ff. Eisler, a. a. O., S. 51ff. und König, a. a. O., S. 120ff.
54 W. Ed. Biermann,
geht Wundt von psychologischen Beziehungsgesetzen aus,
die ich hier nur insoweit. darstellen kann, als es zum Verständnis
der historisch-sozialen Gesetze, die aus jenen abgeleitet werden,
erforderlich erscheint. Das erste Beziehungsgesetz entsteht aus dem
Prinzip der „chöpferischen Synthese“ (Gesetz der psychischen
Resultanten). Dies Gesetz findet seinen Ausdruck in der Tatsache,
daß „jedes psychische Gebilde Eigenschaften zeigt, die zwar, nach-
dem sie gegeben sind, aus den Eigenschaften seiner Elemente be-
griffen werden können, die aber gleichwohl keineswegs als die bloße
Summe der Eigenschaften der Elemente anzusehen sind" (Grundriß,
S. 593). Die schüpferische Synthese läßt sich durch alle Erschei-
nungen des Seelenlebens hindurch verfolgen und zeigt vor allem
deutlich, daß für Wundt die psychische Kausalität absolut ver-
schieden von der Naturkausalität ist. In dieser muß stets das
Zusammengesetzte mit der Summe seiner Teile identisch sein,
während durch die psychische Kausalität stets ganz neue Schöpfungen
entstehen. Das zweite Gesetz stimmt überein mit dem „Prinzip der
beziehenden Analyse‘ (Gesetz der psychischen Relationen). Jeder
einzelne psychische Inhalt „empfängt seine Bedeutung durch die
Beziehungen, in denen er zu anderen psychischen Inhalten steht“.
Das wichtigste psychische Relationsgesetz ist das bekannte Weber-
sche Gesetz, das „psychische Größen nach ihrem relativen Werte
vergleicht“ (a. a. O., S. 308). Das dritte Gesetz entspringt dem
„Pr inzip der K ontrastver stärkung“ (Gesetz der psychischen
Kontraste). Auch dieses Gesetz zeigt durch die Einräumung der
Möglichkeit, daß sich entgegengesetzte Kräfte verstärken können,
deutlich, daß es keine Analogie in der physischen Welt zu dieser
rein psychischen Kausalität gibt.
Welches sind nun die Merkmale eines geisteswissenschaft-
lichen Gesetzes? Wundt führt drei Merkmale an: (Logik,
2. Aufl. II, 2, S. 133 ff.).
1) Das (resetz bezeichnet überall „einen regelmäßigen Zusammen-
hang logisch selbständiger Tatsachen“.
2) Dieser Zusammenhang muß „entweder direkt oder indirekt
auf ein kausales oder auf ein logisches Verhältnis hinweisen“.
3) Es muß „jedem Gesetz ein heuristischer Wert für die Sub-
sumtion neuer Tatsachen zukommen“. „Das Gesetz soll nicht bloß
zusammenfassen, was tatsächlich gegeben ist, sondern es soll auch
„die entsprechende Zusammenfassung künftig zu beobachtender Tat-
sachen ermöglichen.“
Aus diesen drei Kriterien eines „Gesetzes“ geht deutlich hervor,
daß viele sog. „Gesetze“ diesen Namen gar nicht verdienen. Ich
erinnere nur an die zahlreichen „statistischen (Gesetzer, die nach
Wundt nur den Wert von Beschreibungen haben, da es sich bei
ihnen „nicht um einen Zusammenhang zwischen logisch selb-
ständigen, unterscheidbaren Tatsachen handelt!) Alle geistes-
1) Cf. König, a. a. O., S. 157.
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 55
wissenschaftlichen Gesetze, also auch die historischen-sozialen
Gesetze, denen jetzt allein unsere Aufmerksamkeit gilt, unterscheiden
sich nun von den Naturgesetzen im wesentlichen. Der Unterschied
besteht nämlich für Wundt in zweifacher Hinsicht (Logik, II, 2,
S. 382ff.; König, a. a. O., S. 158ff.):
1) Kein historisches oder soziales Gesetz besitzt eine aus-
nahmslose Gültigkeit.
2) Die geschichtlichen und sozialen Gesetze sind durchgehend
rein empirischer Natur. Solche Gesetze „können nur Anwen-
dungen der allgemeinen psychologischen Prinzipien auf die besonderen
Bedingungen der geschichtlichen und sozialen Entwickelung sein“
(Logik, II, 2, S. 385). Da es sich demnach für Wundt nur um
solche historische und soziale ,Gesetze* handeln kann, in denen es
auf eine psychologische Motivation ankommt, stellt er drei seinen
psychologischen Beziehungsgesetzen, der „schöpferischen Synthese*,
„beziehenden Analyse“ und ,Kontrastverstürkung^ entsprechende
historisch-soziale Beziehungsgesetze auf und bezeichnet
sie als die Gesetze der ,Resultanten*, „Relationen“ und
„Kontraste“. Nach dem Gesetze der Resultanten ist „jeder
einzelne in einem engeren oder umfassenderen Begriff zu ver-
bindende Inhalt der Geschichte, besteht er nun in einem konkreten
geschichtlichen Ereignis, in einer historischen Persönlichkeit oder in
einem historisch gewordenen Kulturzustand, die resultierende Wirkung
aus einer Mehrheit geschichtlicher Bedingungen“ (Logik, II, 2, S. 408).
Das Gesetz der Relationen bedeutet, daß „jeder geschichtliche Inhalt,
der den Charakter eines zusammengesetzten, aber vermöge irgend
welcher geistiger Beziehungen einheitlichen Ganzen hat, aus Faktoren
von verwandtem, geistigem Charakter besteht; und zwar ist diese
Verwandtschaft namentlich auch zwischen solchen Faktoren vorhanden,
die ganz und gar verschiedenen Richtungen des geistigen Lebens
angehören“ (a. a. O., S. 410). Durch das Gesetz der Resultante
entdeckte — wie Wundt als Beispiele anführt — Jakob Burkhardt
den Individualismus als Grundprinzip der Renaissancezeit, durch das
der Relationen entstanden Rankes „leitende Tendenzen": und Taines
Theorie des „Milieu“. — Die große Bedeutung des dritten Gesetzes,
desjenigen der Kontraste, „besteht darin, daß es alle die geschicht-
lichen Veränderungen beherrscht, die nicht in der Weiterentwickelung
und fortschreitenden Differenzierung in gegebener Richtung, sondern
in der Erzeugung qualitativ neuer Erscheinungen bestehen“ (a. a. O.,
S. 414). :
Für Wundt unterscheiden sich die sozialen „Gesetze“ im
wesentlichen nur dadurch von den historischen, daß jene sich
zunächst auf das Gleichzeitige, also auf die Faktoren eines
gegebenen Zustandes beziehen (a. a. O., S. 616) und daß sie sich
ferner, namentlich die Relationen und Kontraste, im Gegensatz zu
der streng kausalen Verknüpfung der historischen Gesetze, sehr
hàufig zu Wechselwirkungen gestalten (a. a. O., S. 617). In
geistvoller Weise erläutert Wundt gleichsam als Schulbeispiele für
56 W. Ed. Biermann,
seine drei sozialen Gesetze das Malthusische Bevölkerungsgesetz
(S. 617ff.), das Marxsche Gesetz des Mehrwertes (S. 620ff.) und
das Gesetz der ökonomischen Krisen (S. 624 ff.).
So geistreich nun die Klassifikation Wundts auch sein mag, so
imponierend die durch analoge Verknüpfung der historischen, sozialen
Gesetze mit den psychologischen Beziehungsgesetzen gewahrte Har-
monie des ganzen Lehrgebäudes auch erscheint '), und so sehr auch
Wundt einerseits durch das Prinzip der Wechselwirkung, anderer-
seits durch die scharfe Scheidung sozialer-historischer Gesetze von
den Naturgesetzen das Kriterium einer strengen Kausalität für ein
„Gesetz“ der ersteren Art abzuschwächen sucht, so bedenklich er-
scheint mir doch die Annäherung an die naturwissenschaftlichen
Methoden zu sein, die sich mit der Anerkennung von „Gesetzen“
für das historische und soziale Geschehen vollzogen hat?) Es will
mir scheinen, als ob diejenige Eigenart der philosophischen Denk-
weise Wundts, die uns auf anderen Gebieten als ein besonderer Vor-
zug entgegentritt, nämlich die ruhige und leidenschaftslose Ver-
mittelung zwischen scheinbar heterogenen und unversöhnlichen
Prinzipien 21. den scharfsinnigen Denker hier zu allzu großen Kon-
zessionen gegen das kausale Prinzip der Naturwissenschaften ge-
führt hat. Es wäre nach unserem Dafürhalten richtiger gewesen,
wenn er eine schärfere und reinlichere Scheidung zwischen Natur-
und Geisteswissenschaften vorgenommen und das „Gesetz“ jeden-
falls aus dem historischen und sozialen Geschehen eliminiert hätte.
Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft sind eben, wie wir im Lauf
der Darstellung noch sehen werden, methodologisch unversöhn-
liche Gegensätze! Wir werden unsere Bedenken gegen Wundts
historische und soziale Gesetze im folgenden noch näher zu be-
gründen haben, wollen aber zunächst untersuchen, ob uns mit den
Prinzipien Diltheys und Stammlers besser gedient ist und ob sie
uns nicht die Waffen für eine Kritik jener Gesetze liefern können.
Folgerichtiger als Wundt geht meines Erachtens Wilhelm Dilthey
vor mit seiner strengen Scheidung zwischen naturwissenschaftlichen und
geisteswissenschaftlichen Methoden und der konsequenten Ablehnung
einer gegenseitigen Verquickung (Einleitung in die Geisteswissen-
1) Eine ähnliche Harmonie des Systems findet sich bei Herbart, dessen fünf
„soziale Ideen“ der beseelten Gesellschaft, des Kultursystems, der Verwaltungssystems,
der Rechtsgesellschaft und des Lohnsystems aus seinen fünf ethischen Ideen der inneren
Freiheit, Vollkommenheit, des Wohlwollens, des Rechts, der Sittlichkeit abgeleitet
werden.
2) Von Wundt stark beeinflußt sind Karl Lamprecht und Paul Barth,
die in ihrer Annäherung an naturwissenschaftliche Methoden noch weiter gehen. Ebenso
zum Kompromiß geneigt ist Lu. Stein, der freilich keine sozialen „Gesetze“, sondern
nur „Rhythmen“ des sozialen Geschehens gelten läßt (Wesen u. Aufgabe der Sozio-
logie, Berlin 1898, S. 12), aber mit seiner „immanenten Teleologie“ des sozialen Ge-
schehens keineswegs Finalität anerkennt (a. a. O., S. 28). Es fehlt ihm die reinliche,
klare Scheidung zwischen causa und telos, wie wir sie bei Stammler finden.
3) Ich erinnere an den „Ideal- Realismus“ Wundts in erkenntnistheoretischen
und metaphysischen Fragen und seine Behandlung des Zweckbegriffes in der
Naturwissenschaft.
mmm
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 57
schaften, Bd. 1, 1883). Diese Ablehnung gründet sich bei ihm vor
allem darauf, daß die Natur für uns nicht von innen heraus ver-
ständlich ist. und nicht innerlich mitempfunden werden kann, wie
die Tatsachen der Gesellschaft‘). In Diltheys Grundlegung wird
eben der große Reichtum des Singulären anerkannt, der sich in den
Geisteswissenschaften findet, im Gegensatze zu dem mehr Generellen
der Naturwissenschaften. Jedoch geht er nicht so weit wie Rickert
(Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Bd. 1, 1896),
kurzweg das Individuelle für den Gegenstand der Geschichte zu er-
klären ?). Mag nun Dilthey in seiner scharfen Ablehnung einer zu-
sammenfassenden Gesellschaftswissenschaft auch zu weit gegangen
sein?) — was ich übrigens nicht glaube, da auch ich eine Erkenntnis
des Ganzen der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit für un-
möglich erachte — so bleibt ihm doch das Verdienst, die Unver-
sóhnlichkeit naturwissenschaftlicher Methoden mit denen der Geistes-
wissenschaften, also auch der Sozialwissenschaft, auf das schürfste
begründet zu haben. Aber auch er hat uns noch nicht die feste
Grundlage für unsere Wissenschaft geliefert, und zwar aus zwei
Gründen nicht:
1) Wenn Dilthey die Gesellschaftswissenschaften im allgemeinen
als die Lehre von den natürlichen Massen- und Wechselwirkungen
des menschlichen Trieblebens unter dem Einflusse des Zusammen-
lebens vieler bezeichnet‘) (die beste bis jetzt gegebene Definition,
meint Gothein, a. a. O., S. 207!), vergißt er, daß eine konkrete
Rechtsordnung die Grundbasis überhaupt für eine soziale Gemein-
schaft bildet und die ,Massen- und Wechselwirkungen des mensch-
lichen Trieblebens* uns nationalókonomisch nur insoweit interessieren
können, als sie sich in einer äußerlich geregelten, sozialen Ge-
meinschaft zeigen 5). Ein;bloBes „Zusammenleben vieler“ ist keine
1) Vergl. auch E. Gothein, Gesellschaft und Gesellschaftsbegrifi, Handwörter-
buch der Staatswissenschaften, 2. Aufl., IV, Jena 1900, S. 2101. und die treffenden Worte
von G. Tarde über ,Analogien' (Les lois sociales. Paris 1897, S. 48), ferner Lu.
Stein, a. a. O., S. 13 und Vierkandt, G. Tarde und die Bestrebungen der Sozio-
logie. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, II, 1899, S. 560 ff.
2) Aehnlich aueh Windelband, a. a. O. und Max Lehmann, Geschichte und
Naturwissenschaft. Zeitschr. für Kulturgesch., I, 1893, S. 245 ff.
Absolut falsch ist es, wenn Gumplowiez (Grundriß der Soziologie 1855), die
Darstel'ung des Individuellen lediglich als die Aufgabe der Kunst erachtet. Ebenso un-
richtig und einseitig K. Lamprecht (Die Kernpunkte der geschichtswissenschaftlichen
Erörterungen der Gegenwart. Zeitschr. f. Sozialw., II, 1899, S. 11.)
3) Cf. P. Barth, Die Philosophie der Geschichte als Soziologie, I, 1897,
S. 364 ff.
Eine ungeheure Uebertreibung ist es jedenfalls, wenn Th. Achelis die Sozio-
logie für berufen erachtet, die Philosophie zu ,regenieren*. (Zeitschr. für Sozialw., II,
3, 1899.) Simmel (Ueber soziale Differenzierung. Leipzig 1890, S. 17) hält die
Einheit des Gesellschaftswesens für mystisch und lehnt darum soziale Gesetzmäßig-
keiten ab.
4j Ebenso Rümelin (Ueber den Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschafts-
lehre, 1888 ; Reden und Aufsätze, 3. Folge 1894) für den die „Triebe die einzigen
bewegenden Kräfte in der empfindenden Welt“ sind (a. a. O., S. 267.)
5) Darum ist meines Erachtens auch die Definition Simmels unzureichend,
„die Gesellschaft ist eine Gruppe sich gegenseitig psychisch beeinflussender Wesen.‘
(Ueber soziale Differenzierung, Leipzig 1890, S. 14.)
DS W. Ed. Biermann,
volkswirtschaftliche Erscheinung, sondern, um mit Stammler zu
sprechen, lediglich eine ,natürlich-technische* Wirtschaft, es
sei denn, daß die „vielen“ durch bloße „Konvention“ mit ein-
ander verbunden wären). Eine Volkswirtschaft in diesem letzteren
Sinne gibt es aber überhaupt nicht.
2) Dilthey hat in seiner „Einleitung“ wohl eine beschreibende
und analytische Psychologie geliefert, aber nicht eine — Er-
kenntnistlieorie ?).
Eine solche und zwar eine für die Sozialwissenschaft ge-
radezu grundlegende Erkenntnistheorie hat uns erst Rudolf
Stammiler in seinen beiden großen Werken „Wirtschaft und Recht
nach der materialistischen Geschichtsauffassung* (1896) und der
„Lehre von dem richtigen Rechte: (1902) geliefert?). Er hat uns
mit unerbittlicher Logik gezeigt, daß „die äußere Regel die logische
Verbindung der sozialen Einsicht ist und in diesem Sinne die
Form der Gesellschaft.“ Es ist falsch, soziale Regel und zusammen-
stimmendes Verhalten einander gegenüberzustellen. Das richtige
Verhältnis ist vielmehr das von Bedingung und von Bestimm-
barem. Beide sind unzertrennlich als Gegenstand sozialer Be-
griffe, die ja für unsere Wissenschaft allein in Betracht kommen.
Der eigentümliche Charakter des sozialen Geschehens besteht
darin, daß Zwecke aufgestellt werden. „Die soziale Geschichte ist
eine Geschichte von Zwecken!" Gesetze natürlichen Geschehens
kann es hier nicht geben, da das menschliche Zusammenwirken stets
Mittel zu einem bestimmten Zwecke ist. Da ein soziales Ein-
greifen des Staates auch stets auf Erreichung von Zielen gerichtet
ist, so kann man ihn nicht als bloßen „Geburtshelfer“ auffassen, wie
es die materialistische Geschichtsauffassung falscherweise tut, denn
es handelt sich bei einer sozialen Betrachtung nicht um kausales
Werden!
Wir sind jetzt endlich zu der für eine Betrachtung der Logik
unserer Wissenschaft unentbehrlichen, erkenntnistheoretischen
Grundlage gelangt, um nun eine kritische Sonde an die historischen-
sozialen Gesetze Wundts legen zu können, zu denen wir nun-
mehr zurückkehren. Die Waffen zu dieser Kritik liefern uns die Er-
gebnisse Stammlers, der sich selbst übrigens — soweit ich sehen
kann — mit Wundt nicht gründlich auseinandergesetzt hat:
1) Ein „Gesetz“ kann keine Ausnahmen haben. Wo ein „Gesetz“
vorhanden ist, muß mit absoluter Bestimmtheit aus dem Vorhanden-
1) Die Konventionsregel gilt nach ihrem eigenen Sinne lediglich zufolge
der Einwilligung des Unterstellten“ (Wirtschaft und Recht, S. 129).
Eine solche durch Konventionalregel gestützte Organisation ist nach Sohm die kirch-
liche (Handbuch des Kirchenrechtes, Bd. I, 15902). Die ,natürlich-technische Wirt-
schaft“ Stammlers läßt sich etwa vergleichen mit der Stufe der „Gemeinschaft“ bei
Toennies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Leipzig 1887.
2) So auch Gothein, a. a. O., S. 210.
3) Eine kurze Darstellung seiner Lehre findet sich in seinem in der Gehe-
Stiftung zu Dresden gehaltenen Vortrage, Die GesetzmüDigkeit in Recht und Volks-
wirtschaft‘, 1902,
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 59
sein gewisser Ursachen auf gewisse Wirkungen geschlossen werden
können !). Darum haben die Wundtschen „Gesetze“, die Ausnahmen
zulassen und deren Kausalität oft von einer Wechselwirkung abge-
löst wird, höchstens den Wert von „Tendenzen“, die aber in ihrer
„gesetzmäßigen“ Erscheinung keinen Wert haben, da sie ganz ab-
hingig von der Rechtsordnung sind, von der die soziale Gemein-
schaft beherrscht wird. Eine solche Bedeutung von „Tendenzen“
haben auch die vielen nationalökonomischen „Gesetze lediglich.
Sie sind in keiner Weise streng kausal bedingt. Wir wollen das an
einigen Beispielen näher nachzuweisen suchen. Hinsichtlich des
Malthusischen Gesetzes ist es mir stets unfaßbar gewesen,
wie man von ihm als von einem ökonomischen Gesetze hat
reden können. Es liegen meines Erachtens doch nur physiologische
und natürlich-technische Tendenzen vor, die mit der Sozialwissen-
schaft an sich gar nichts zu schaffen haben. Das „Gesetz vom ab-
nehmenden Bodenertrage“ ist gewiß richtig, und die Einwände von
Oppenheimer, Oncken u. a. sind in keiner Weise stichhaltig.
Aber dieses Gesetz ist ein Naturgesetz, das mit sozialer Ge-
setzmäßigkeit nicht das Geringste zu schaffen hat. Und die rein
physiologische Fortpflanzungsmöglichkeit interessiert uns ganz
allein, wenn wir sie an einer sozialen durch eine ganz bestimmte
konkrete Rechtsordnung geleiteten Gemeinschaft prüfen. Es zeigt
sich alsdann deutlich, daß alle Bevölkerungstendenzen lediglich von
der Rechtsordnung abhängen. Diehl (a. a. O. S. 99) hat mit
Recht darauf hingewiesen, daß jene Tendenzen ganz verschiedene
sein können, je nach der Regelung der Privateigentumsordnung,
nach der Gesetzgebung über großes und kleines Grundeigentum und
nach anderem mehr. Welchen günstigen Einfluß dürfte z. B. die
Arbeiterschutzgesetzgebung in dieser Hinsicht gehabt haben! Je
mehr eine soziale Klasse oder Berufsschicht volkswirtschaftlich durch
Selbst- oder Staatshilfe gehoben wird, je mehr sich ihr standard of
life erhöht, um so stärker wird sie auch in ihrer populationistischen
Tendenz durch rein psychische Faktoren bestimmt. Und daß
dıese Faktoren gar nicht berücksichtigt werden, die natürlich wieder
ganz von einer bestimmten, formalen Gestaltung des Wirtschafts-
lebens abhängig sind, das ist meines Erachtens der Hauptmangel
des Malthusischen Gesetzes! In der Wertung dieser psychischen
Faktoren möchte ich mich der von Wolf, Pohle u. a. vorgenommenen
Rektifikation der Oppenheimerschen Thesen anschließen, in der Rich-
tung, daß in Kulturstaaten?) jedenfalls nur von einem Zurück-
1) Ganz ähnlich Diehl, Ueber die nationalökonomischen Lehrbücher von
Wagner, Schmoller, Dietzel und Philippovich, mit besonderer Rücksicht auf die Me-
thedenfrage in der Sozialwissenschaft. Conrads Jahrb., 3. Folge, Bd. 24, Juli 1902,
der einzige Nationalökonom, der sieh bisher entschieden auf Stammler’schen Boden ge-
stellt hat! So scharfsinnig A. Wagners Betrachtung über „Volkswirtschaft und
Recht“ auch ist, es fehlt ihr die feste erkenntnistheoretische Grundlage. Cf. auch Max
Lehmann, a. a. O. der historische Gesetze leugnet, weil ihnen die empirische Aus-
nahmslosigkeit fehle.
2) Die Nichtgeltung des Malthus, Gesetzes auch für Naturvölker behauptet Rich.
Lasch, Zeitschr. f. Sozialwissenschaft, V, 2—4, 1902,
60 W. Ed. Biermann,
bleiben der „Tendenz“ hinter der „Potenz“ gesprochen werden
kann. Das zeigt sich deutlich an der Abnahme der Geburts-
ziffer in den wichtigsten Kulturlündern! !)
Somit kann nicht genug vor voreiliger Formulierung von volks-
wirtschaftlichen „Gesetzen“ und dergleichen gewarnt werden. Es
sei mir gestattet, dies noch an einem erst jüngst wieder viel venti-
lierten Beispiele zeigen zu dürfen. Thünen, Dietzel und in
jüngster Zeit Arthur Schulz haben hinsichtlich der Bewegung von
Kornpreis und Arbeitslohn eine sogenannte Konträrtheorie for-
muliert. Es ist ja gleich, ob sie nur als Kausalfaktor angesehen
werden will — wie Schulz?) meint — oder als ein „Gesetz“.
Jedenfalls handelt es sich darum, von gewissen Ursachen auf ge-
wisse Wirkungen schließen zu wollen. Diehls Verdienst bleibt es,
in richtiger, erkenntnistheoretischer Selbstbescheidung nachgewiesen
zu haben, daß man irgend eine gesetzmäßige Tendenz hier nicht
nachweisen kann, daß ebensogut die Paralleltheorie richtig
sein könne und tatsächlich auch schon richtig gewesen ist. Es
hängt ja auch das Verhältnis von Arbeitslohn und Kornpreis zweifel-
los von dem formalen Rahmen des konkreten Wirtschaftslebens ab
— wenn ich mich so ausdrücken darf. Wenn sich zeigen würde,
daß tatsächlich das Verhältnis von Kornpreis und Arbeitslohn sich
in einer für den letzteren ungünstigen Weise gestalten könne, nun,
so kann ja durch ein „Streben nach dem richtigen Rechte“, d. h.
hier durch eine zweckmäßige Gestaltung der Sozialreform, vor allem
durch Förderung der Arbeiterkoalitionen, das Verhältnis wieder rek-
tifiziert werden. Das bedeutet eben ein teleologisches Beherrschen
des sozialen Geschehens! Wenn die Konträrtheorie Recht behalten
sollte, so wären gewiß die Grundsätze des „Achtens“ und der
„Teilnahme“, um mit Stammler (Lehre vom richtigen Rechte,
S. 208 ff.) zu sprechen, die das richtige Recht beherrschen sollen,
verletzt. Und ein Streben nach dem richtigen Rechte müßte irgend-
wie dieses falsche Verhältnis aufheben. Jene Konträrtheorie ist nun
überhaupt untrennbar von der sogenannten Arbeitsproduktivi-
täts-Lohntheorie, die in Deutschland ebenfalls besonders
Thünen, Dietzel und jüngst Arthur Schulz verfochten haben.
Daß auch diese eine falsche Anwendung des Kausalprinzips auf
das soziale Geschehen ist, liegt auf der Hand. Denn das Wirt-
schaftsleben wird nicht automatisch-schematisch geregelt durch
zwingende Kausalfaktoren, sondern es wird von dem Streben nach
Verwirklichung gewisser Zwecke, von dem Streben nach einem so-
zialen Ideal beherrscht). Das Verhältnis zwischen Unternehmer
und Arbeiter ist in jeder Beziehung durch Kampf und Macht charakte-
1) €f. von Fircks, Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik, 1898, S. 151.
2) Kornzoll, Kornpreis und Arbeitslohn. Ein Beitrag zur Handelspolitik und zur
Lehre vom Arbeitslohn. Leipzig 1902, S. 125.
3) In diesem Sinne ist es richtig, wenn Zitelmann (Der Materialismus und die
Gesehiehtssehreibung. Preuß. Jahrb., Bd. 37, 1876) die Geschichte als eine „Verwirk-
lichung von Ideen‘ bezeichnet.
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 61
risiert, aber nicht durch eine naturgesetzliche Regelung ihres Ver-
hältuisses. Beide streben nach dem richtigen Recht, freilich in oft
ganz verschiedener Richtung. Es ist die Aufgabe des Staates, be-
sorgt zu sein, daß die Grundsätze der Teilnahme und des Achtens,
um mich wieder der rechtsphilosophischen Ausdrücke Stammlers zu
bedienen, zu ihrem Rechte gelangen.
Ich glaube, genügend an diesen drei Beispielen — dem Mal-
thusischen Bevólkerungsgesetz, der Konträrtheorie und der Produk-
tivitätslohntheorie — gezeigt zu haben, daß das Wirtschaftsleben
nimmermehr von „Gesetzen“, seien sie auch in ihrer strengen Kausali-
tät modifiziert, beherrscht werden kann, sondern daß lediglich gewisse
Tendenzen sich aufweisen lassen, die aber von der formalen Ge-
staltung des Wirtschaftslebens abhängig sind und somit unter dem
Zeichen des Zweckes stehen.
2) Trotzdem die „Gesetze“ Wundts den Namen streng kausal
bedingter Gesetze nicht verdienen, sind sie bei sozialen Erschei-
nungen nicht anwendbar. Denn für diese gibt es kein kausales
Werden irgendwelcher Art, sondern nur ein zweckmäßiges Ge-
schehen. Die sozialen Gemeinschaften sind Zweckgemeinschaften.
Sie erscheinen unter der Bedingung äußerer Regelung, einer be-
stimmten Rechtsordnung, nach deren „warum“ nicht gefragt werden
kann, wohl aber nach deren „wozu“. Hier rächt es sich eben, daß
Wundt nicht scharf genug erkenntnistheoretisch geschieden hat.
Denn erkenntnistheoretisch ist für uns das Recht, die Form, in der
die sozialen Zustände uns erscheinen und für uns erkennbar sind.
Wie kann es eine Kausalität des Werdens bei sozialem Geschehen
geben, das.nur in einer bestimmten, rechtlichen Regelung möglich
ist und sich mit dieser verändert! Wenn das Recht sich verändert,
so geschieht es doch nicht kausal, sondern es geschieht als Ausfluß
des Strebens nach dem richtigen Rechte, kurzum es geschieht stets
teleologisch! Das Telos ist der Herrscher im sozialen Ge-
schehen, nicht die Kausa!
3) Auch noch durch eine andere Betrachtung läßt sich meines Er-
achtens nachweisen, warum es keine sozialen „Gesetze“ geben kann,
auch nicht die Wundts, so gemildert ihre Kausalität auch erscheint.
Ich meine, man kann es an dem Problem der Willensfreiheit
zeigen. Fast alle bedeutenden Philosophen der Neuzeit vertreten
den Determinismus, wenn auch in verschiedenen Gestaltungen !).
Wenn eine soziale Gemeinschaft eine Gemeinschaft von äußerlich
geregelten, frei wollenden Menschen ist (cf. das Schema Stammlers,
Lehre von dem richtigen Rechte, S. 200), so bedeutet das in deter-
ministischer Fassung, die mir als die allein richtige erscheint: die
1) Ich rechne auch den „intelligiblen Indeterminismus“ Kants, Schopenhauers,
Kuno Fischers und Euckens für den Zweck, den ich hier verfolge, zum Determinismus,
desgleichen den „indeterministischen Determinismus'* Sigwarts und Wundts, ef. Müffel-
mann, Das Problem der Willensfreiheit in der neuesten Philosophie. Leipzig 1902,
S, s5ff. Diese Schrift stellt in übersichtlicher Weise die Gedanken der verschiedenen
Forscher über unser Problem zusammen und kritisiert sie nicht ohne Scharfsinn.
62 W. Ed. Biermann,
Menschen handeln durch ihr Wesen determiniert, sie handeln mit
einer Freiheit, die „innere Notwendigkeit“ ist (Schleiermacher) oder,
um die scharfe Formulierung Theodor Lipps (Die ethischen Grund-
fragen, 1899, S. 245) anzuwenden: ihre Freiheit ist „Bedingtheit
durch die wollende Persönlichkeit“. Wenn nun jeder in seinem
Handeln kausal bedingt ist, wie kann es da eine allgemeine
Kausalität des sozialen Geschehens geben! Das ist doch logisch
undenkbar! Es müßte ja die Kausalität des Einzelnen durch die
Kausalitit der Gesamtheit aufgehoben werden können!). Das ist
nicht möglich ?). Nicht durch eine ihrer singulären Kausalität gleich-
sam hypostasierte allgemeine Kausalität vollzieht sich das scziale
Geschehen der Menschen), sondern es vollzieht sich teleologisch
und wird von Zielen beherrscht, deren ideales Endziel das mit
dem sozialen Ideal übereinstimmende „richtige Recht“ ist*). Und
doch scheint es hier einen Ausweg zu geben, der eine allgemeine
Kausalität des sozialen Geschehens zuließe, ich meine die Lehre vom
„ökonomischen Prinzip“, die besonders Adolf Wagner aus-
gebaut hat. Wenn tatsächlich alle Menschen von dem ökonomischen
Prinzip kausal beherrscht wären, dann wäre eine allgewaltige Not-
wendigkeit des sozialen (reschehens denkbar. Das ist aber nicht
der Fall. Das ökonomische Prinzip ist kein allgemein menschliches
Prinzip), sondern hängt ganz von der bestimmten, konkreten Rechts-
ordnung ab, die ihm in seiner strikten Verwirklichung sogar hinder-
lich sein kann. Ferner ist das ökonomische Prinzip kein kausales
Prinzip, da es ja nach Wagner darin besteht, „freiwillig“ lohnende
Arbeit etc. zu verrichten (Wirtschaft und Recht, S. 154)°). Wenn’
1) Darum erscheint es mir auch nicht richtig, wenn Lamprecht behauptet,
daß der Mensch als soziales Wesen unter der Herrschaft des Kausalprinzips steht,
ef. z. B. seinen Aufsatz: Eine Wendung im geschichtswissenschaftlichen Streit, Zu-
kunft, Bd. 18, 1897, I, S. 23 ff.
2) Daß ein strenger Determinismus dennoch die Kausalität für historisches
oder soziales Geschehen ablehnen muß, zeigt auch G. von Below, die neue hist.
Methode. (Histor. Z., 81, S. 193ff.) cf. auch Lu. Stein, a. a. O. S. 35, der mit Recht
einen „fatalistischen soz. Determinismus“ ablehnt und: Rachfahl, Preuß. Jahrb., 84,
S. 547 ff.)
3) Wenn Hinneberg (Die philosophischen Grundlagen der Geschichtswissen-
schaften. Histor. Zeitschr., 63, N. F., 27, 1889) meint, daß eine Wissenschaft ohne
Gesetzmäßigkeit nicht möglich sei (ähnlich übrigens Schulz, a. a. O., S. 112), so ist
das durchaus falsch. Es ist im Gegenteil meines Erachtens bedeutend wissenschaft-
licher, in kritischer Selbstbescheidung Gesetze zu leugnen, wo sie ihrer Natur nach
unverkennbar sind, als sie anzunehmen. Darum ist für uns der Begriff der Gesetz-
mäßigkeit auch nicht „das Kriterium der Wissenschaft im eminenten Sinne wie für
Goldfriedrieh, Die histor. Ideenlehre in Deutschland. Berlin 1902, S. 540.
4) Wenn M. Lehmann, a. a. O. sagt, daß in der Natur Notwendigkeit und in
der Geschichte Freiheit herrsche, so ist das keine richtige und klare Gegenüberstellung.
Nicht Freiheit, sondern das Telos herrscht in der Geschichte!
5) So auch Diehl, a. a. O., S. 92.
6) Bedeutend vorsichtiger geht Dietzel (Theoretische Sozialökonomie, I, 1895,
S. 78 ff, ef. auch Beiträge zur Methodik, Conrads Jahrb. IX) vor, der an die Stelle
der Abstraktionen aus dem Egoismus die Prämisse des „Wirtschaftsmenschen
(des „economical man“ nach J. St. Mill!) setzt. Mit diesem abstrakten Wirtschafts-
menschen ist uns aber auch nicht gedient. Viele Erscheinungen des sozialen Geschehens
W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft. 63
Paul Barth (a. a. O., S. 314ff.) nun Stammler entgegenhält, daß
das ökonomische Prinzip eine sehr reale Kraft ist, so ist daran zu
erinnern, daß diese „reale Kraft" ganz abhängig von der äußerlichen
Regelung ist, in deren Form das soziale Geschehen sich vollzieht.
Wenn Barth ausführt, daß „im Kolonat der späteren römischen Kaiser-
zeit das wesentliche Merkmal, die glebae adscriptio, durch Gewohn-
heit, jedenfalls infolge der allgemeinen wirtschaftlichen Lage ent-
standen, und erst ein Jahrhundert später rechtlich festgelegt sei“,
so hat er damit keinen Gegenbeweis gegen Stammler vorgebracht.
Denn was Barth „Gewohnheit“ nennt, das ist für Stammler eben
„Recht“, hat es doch auch ohne die gesetzliche Festlegung zwangs-
weise Geltung gehabt (Wirtschaft und Recht, S. 129). Jene Ent-
stehung des unfreien Kolonats war auch ein „Zwangsversuch zum
Richtigen“ (Lehre vom richtigen Rechte, S. 29), um die damalige
Landarbeiterfrage zu lösen.
So ergibt sich als Resultat unserer Betrachtung, daß die soziale
Geschichte eine „Geschichte von Zwecken" ist (Lehre von dem
richtigen Rechte, S. 610) und darum nicht von einer Kausalität
beherrscht werden kann. Sombart hat unrecht, wenn er glaubt,
die freie Wahl zwischen causa und telos bei der Entscheidung für
ein ordnendes Prinzip zu haben. Es handelt sich nicht um eine
freie Wahl!!) Denn „letzte Ursachen“, auf die Sombart (Der
moderne Kapitalismus, I, 1902, S. XIII) die Einzelphünomene
sozialen Geschehens zurückführen will, gibt es gar nicht. Stammler
(Lehre vom richtigen Rechte, S. 611) führt mit Recht aus, daß solches
gerade dem Kausalitütsgesetze widersprechen würde, nach welchem
jede Ursache selbst wieder Wirkung einer anderen Ursache sein
muß. Darum ist das gewaltige und gewiß imponierende Werk
Sombarts eine Konstruktion, aber keine Geschichte sozialen Ge-
schehens, ebenso wie Marx’ „Kapital“. Denn in der Geschichte des
sozialen Lebens, die eine solche des menschlichen Zusammen wirkens
ist, handelt es sich stets um die Frage von Mitteln, die zu gewissen
Zwecken ergriffen werden (Lehre vom richtigen Rechte, S. 612).
Das ordnende Prinzip für die Sozialwissenschaft ist darum das des
Telos, da das soziale Geschehen auf eine richtige Gestaltung des
Wollens gerichtet ist (a. a. O., S. 617). Somit ist auch eine
Uebertragung der naturwissenschaftlichen Methode auf die der Sozial-
wissenschaft unzulässig ! ?)
lassen sich überhaupt nur dadurch erklären, daß keine „Wirtschaftsmenschen‘“, sondern
im Gegenteil von ganz anderen Motiven als dem der Wirtschaftlichkeit beherrschte
Menschen gehandelt haben, cf. auch Diehl, a. a. O., S. 124 ff.)
1) Darum ist es auch nicht zutreffend, wenn Vierkandt (Naturvölker und
Kulturvölker, Leipzig 1896, S. 465) behauptet, daß die kausale und die teleologische
Denkweise „nicht im Verhältnis der prinzipiellen Ausschließung, sondern viel-
mehr im Verhältnis der Ergänzungsbedürftigkeit“ ständen. Das trifft jeden-
falls für die sozialen und historischen Wissenschaften nicht zu. Ebenso fehlt eine rein-
liche Scheidung der beiden Prinzipien bei Gumplowiez (a. a. O9) der unter seinen
zehn, für physische, geistige und soziale Erscheinungen geltenden Gesetzen sowohl
das der Kausalität als auch das der allgemeinen Zweckmäßigkeit anführt.
2) Cf. auch die vorzügliche Abhandlung von Albert Hesse, Der Begriff der
64 W. Ed. Biermann, W. Wundt und die Logik der Sozialwissenschaft.
Wenn wir zum Schlusse resumieren, so ergibt sich, daß die er-
kenntnistheoretische Grundlage für unsere , Wissenschaft des sozialen
Geschehens“ in dem Verhältnis von „Wirtschaft und Recht* zu finden
ist, wie sie uns Stammler mit dem „ganzen bestrickenden Zauber
seines quellklaren Denkens“ (Sombart) entwickelt hat. So wertvoll
auch Wundts „Logik der Volkswirtschaftslehre* durch die Fülle
anregender Gesichtspunkte ist, so wichtig die scharfe Scheidung
zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, die Dilthey vorgenommen
hat — es fehlt ihnen die erkenntnistheoretische Schärfe und damit
die Ablehnung jeder Kausalität für die soziale Wissenschaft, der mit
kausaler Erwägung, wenn sie auch noch so sehr verbrämt erscheint,
wie es bei Wundt der Fall ist, nicht gedient ist.
Ludwig Stein hat es mit Recht ausgesprochen, daß uns noch
immer eine grundlegende, sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dem Sozialismus fehlt!) Daß eine solche nur unter Zugrunde-
legung des finalen Prinzips?) fruchtbar sein kann, hat uns
Stammler erwiesen. Denn: „Soziale Geschichte ist eine Ge-
schichte von Zwecken!“
Abgeschlossen: Anfang Oktober 1902.
Gesellschaft in Herbert Spencers Soziologie (Conrads Jahrb. III. F., XXI, 1901,
S. 737 ff.) Zweckgedanke und Bewultseinslosigkeit stehen miteinander im unlöslichen
Widerspruch. Denn Zweck und Bewußtsein beherrschen die Gesellschaft. Darum ist
die Gesellschaft kein Organismus, weil zwischen den nieht mit Bewußtsein begabten
Bestandteilen eines solchen ausschließlich kausale Beziehungen stattfinden können (s. be-
sonders a. a. O., S. 776).
1) Die soziale Frage im Lichte der Philosophie. Stuttgart 1897, S. 434.
2) Es ist übrigens interessant zu sehen, daß immer mehr auch für die Natur-
forschung eine Ergänzung des rein mechanischen kausalen Prinzips durch das teleo-
logische von bedeutenden Naturforschern gefordert wird. Charakteristisch für dieses Be-
streben sind die Dominantentheorie Reinckes („Die Welt als Tat“, 1899, 2. Aufl. 1901,
und „Einleitung in die theoretische Biologie“, Berlin 1901), sowie die energetische Lehre
Ostwalds (Vorlesungen über Naturphilosophie. Leipzig 1902). Falsch ist es übrigens.
wenn Reincke Wundt die Annahme einer objektiven Zweckmäßigkeit zuschreibt.
Wundts „Heterogenie der Zwecke“ leugnet ja gerade eine objektive Teleo-
logie, die Reincke dagegen für absolut nötig hält, ef. auch den Aufsatz über Reincke
von Arthur Drews, Preuß. Jahrb., 110, 1. Okt. 1902.
Miszellen. 65
Nachdruck verboten.
Miszellen.
I.
Das Alter der deutschen Universitätsprofessoren.
Von Privatdozent Dr. F. Eulenburg (Leipzig).
Vorbemerkung. Der akademische Unterricht in der Statistik muß seiner
Natur nach in mehrfacher Hinsicht von dem anderer Fächer abweichen. Die rein
theoretischen Vorlesungen haben darum ihr Mißliches, weil letzthin von der Vor-
führung eines Zahlenmateriales nicht Abstand genommen werden kann, das auf die
Dauer ermüdet und seine Einprägbarkeit für Laien bald verliert. Die Gefahr
der Langweiligkeit ist nun einmal hierbei sehr stark vorhanden, die von dem
Studium mehr abschreckt als anzieht. Und doch ist eine Unterweisung bei der
zunehmenden Bedeutung der Statistik für Wissenschaft und Verwaltung unent-
bebrlich. Aber auch die seminaristischen Uebungen müssen ein anderes Gepräge
erhalten als in anderen staatswissenschaftlichen Fächern. Es liegt das daran, daß
die Statistik vor allem auch eine technisch-methodische Disziplin ist, die gelernt sein
will und ohne deren Beherrschung der statistische Unterricht zwecklos erscheint.
Die Form, die sonst wohl in Seminaren üblich ist, daß Referate über andere Bücher
erstattet werden, reicht in diesem Falle allein kaum aus: einmal weil es hierbei gar
nicht so sehr auf das eine oder andere fertige Resultat ankommt; sodann aber weil
zur Voraussetzung ebenfalls die Kenntnis des Materiales und der Methoden dient,
wenn anders nicht das Referieren ohne statistische Erfahrung unfruchtbar bleiben
soll. Zu selbständigen Arbeiten bietet sich aber im Anfange noch weniger Ge-
legenheit. Es scheint daher hier weit mehr die Aufgabe zu sein, die Studierenden
mit den Methoden selbst vertraut zu machen, um dadurch die Möglichkeit späterer
Anwendung zu gewährleisten und die Lektüre statistischer Werke und Darstellungen
vorzubereiten. ie Unterweisung wird also im ganzen mehr derjenigen in den
mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern sich nähern müssen.
, Es kann indes die Frage sein, ob die Verbindung des statistischen Seminars
Mit einem amtlichen Bureau oder die völlige Eingliederung in den Universitäts-
interricht empfehlenswerter sei. Jene erstere Verbindung, die bekanntlich Ernst
ngel in seinem berühmten Seminar befolste, ist ja überhaupt nur an den wenigen
"Dversititen möglich, wo ein staatliches oder städtisches statistisches Amt existiert
(Berlin, Breslau, Kiel, Königsberg, Leipzig, München, Straßburg, Prag, Wien,
Ucht, Der Vorzug besteht in dem Vorhandensein großer Materialien, der ge-
ägneten Formulare, Fragebogen, Zühlpapiere — kurz des ganzen statistischen
Apparate, Andererseits aber scheint die Angliederung des Unterrichtes an die
Mversitit darum empfehlenswert, weil gerade diese Personalunion des Staats-
Wissenschaftlers und des Statistikers von besonderer Bedeutung ist und für die Aus-
ildun der Lernenden bessere Anregung bieten kann als die des statistischen
Verwaltungsbeamten, Man wird es im Gegenteil für wünschenswert halten, daß
jeder Nationalókonom sich im allgemeinen mit den statistischen Methoden vertraut
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 5
-——
66 Miszellen.
macht, damit er den Veröffentlichungen und deren Benutzung kritisch gegenüber-
treten kann. Ein kleiner statistischer Apparat, wie er für die Universitätszwecke
erforderlich ist, läßt sich zudem unschwer beschaffen und regelmäßig ergänzen.
Es ist daher auch, soweit ich sehe, der statistische Unterricht jetzt meistens ein
rein akademischer geblieben.
An der Leipziger Universität ist die Einrichtung getroffen, daß außer den
theoretischen Vorlesungen mit Zustimmung der Direktion der Vereinigten Staats-
wissenschaftlichen Seminare der Verfasser etwa alle 2 Semester selbständig einen
praktisch-statistischen Kursus abhält. Eine größere Teilnehmerzahl ist dabei gar
nicht erwünscht; etwa 8—12 möchte als das Normale anzusehen sein. Es wird dabei
das Hauptgewicht darauf gelegt, die Studierenden mit den Methoden und der
Technik selbst vertraut zu machen, sowie ihr kritisches Verständnis der Zahlen
auszubilden und zu schärfen. Zu Grunde gelegt wird in einem bestimmten
Turnus die Bevölkerungs-, Moral-, Wirtschafts- und Sozialstatistik. Der methodo-
logische Gang ist der, daß zunächst das Urmaterial, aus dem die statistischen Angaben
rewonnen werden, vorgeführt und besprochen wird; dann folgt die Gewinnun
er Tabellen und die Kombination der überhaupt möglichen Fragen, endlich
werden Relativberechnungen und Bearbeitungen, sowie graphische Darstellungen
behandelt. Es wird auf diese Weise der logische Gang der ganzen statistischen
Arbeit wiederholt bis zur Anwendung der Wahrkehainichkeitsrachnung: Es hat
sich dabei als sehr praktisch herausgestellt, daneben gleichzeitig auch eine wirk-
liche statistische Arbeit vorzunehmen: in der Form, daß jedem Mitglied ein
bestimmter Teil der Gesamtaufgabe zufällt. Dadurch erhalten die Teilnehmer
zugleich einen Einblick in die technische Handhabung der Methoden und lernen
so selbst Resultate gewinnen und verwerten. Es hat sich gezeigt, daß auf diese
Weise das Interesse der Teilnehmer dauernd gefesselt wird, indem jeder an dem
Gelingen des Resultates unmittelbar interessiert ist. — Auf diese Weise ist im
Sommersemester 1902 unter Leitung des Verfassers das Material für die vorliegende
Abhandlung gewonnen und zu Tabellen aufbereitet worden.
I. Das Alter der deutschen Universitätsprofessoren
ist zum ersten Male von Et. Laspeyres im Jahre 1876 behandelt worden !).
Seitdem ist meines Wissens eine neuere Untersuchung darüber nicht
mehr erschienen; eine Wiederholung des nun 25 Jahre zurückliegenden
Versuches ist also erwünscht. Wie bei meinem Vorgänger, sind auch
diesmal außer den reichsdeutschen Universitäten diejenigen Oesterreichs
und der Schweiz, soweit die Sprache deutsch ist, mit herangezogen
worden: es rechtfertigt sich das schon aus dem Grunde, weil zwischen
diesen Universitäten ja ein vollkommener Austausch der Lehrkräfte
stattfindet. Die Gesamtzahl der Universitäten belief sich danach auf 29,
da Dorpat, das Laspeyres noch mit herangezogen hatte, inzwischen fast
ganz russifiziert ist. — Es sind 2 Jahre behandelt worden, wobei aus
mehr äußeren Gründen das Wintersemester 1890/91 und das 1901/02
gewählt wurde: dadurch ist es möglich, die eingetretenen Veränderungen
zu beobachten und auf ihre Ursachen zurückzuführen; Laspeyres hatte
die Wintersemester 1870/71 und 1875/76 benutzt. Die Untersuchung
konnte nur auf die ordentlichen Professoren ausgedehnt werden, da für
den übrigen Lehrkörper das Material nicht hinreichend vorlag. Es ist
das darum zu bedauern: einmal weil ein großer Teil der außerordent-
lichen Professoren einen Lehrauftrag hat und von Rechts wegen
1) Etienne Laspeyres, Das Alter der deutschen Professoren. Ein Beitrag zur
Universitätsstatistik und Universitätspolitik (Deutsche Zeit- und Streitfragen, Heft 24).
Berlin 1876.
Miszellen. 61
dazugehórt, sodann weil gerade auch das Alter der übrigen meist
jüngeren Dozenten interessiert hätte. Aber einstweilen mußten wir uns
mit den Ordinarien begnügen.
Die Angaben sind sämtlich F. Aschersons Deutschem Universitäts-
kalender entnommen. Wo dieser versagte, wurde Kürschners Litteratur-
kalender herangezogen, um die fehlenden Daten zu vervollständigen.
Für Bern, Czernowitz, Innsbruck und Prag, wo die Lücken besonders
groß waren, verdanke ich die Ergänzung der Freundlichkeit dortiger
Kollegen, die mir die betr. Nachrichten verschafften. Es ist dadurch
möglich geworden, die Lücken sehr zu beschränken: es fehlen im ganzen
nur 2—3 Proz. aller Angaben, während bei Laspeyres die Fehlenden
doch fast ein volles Fünftel ausmachten. Unsere Ermittelungen sind
also ungleich genauer und vollständiger: das Gesamtresultat wird durch
diese geringen Ausfälle kaum beeinflußt. (Höchstens in Erlangen und
Würzburg, wo je 5 Angaben fehlen, könnte vielleicht eine kleine Ver-
schiebung eintreten, die aber jedenfalls auch nur unbedeutend ist.) Noch
in einem anderen Punkte ist Laspeyres wesentlich ungenauer gewesen:
es sind nämlich im. folgenden von vornherein die lesenden von den
nichtlesenden Professoren geschieden, was früher nicht geschehen war.
Nur die ersteren haben aber für unsere Untersuchung Wert; bei den
letzteren handelt es sich um Universitätslehrer, die entweder schon eremi-
tiert sind oder aus anderen Gründen ihre Vorlesungstätigkeit eingestellt
haben, für uns also gar nicht in Betracht kommen. Sie machen beide
Male gegen 4 Proz. aller Ordinarien aus. Es belief sich sonach die
Gesamtzahl der ordentlichen Professoren zu Beginn des Wintersemesters
1890/91 1901/02
Lesende mit Alters- 1288 1429
Niehtlesende angaben 57 | 61
Lesende | ohne Alters- 50 (= 3,7 Proz.) 33 (= 2,3 Proz.)
Nichtlesende | angaben 2 5
Ueberhaupt 1397 1528
(1875/76 waren es, einschließlich Dorpats mit 40 Ordinarien, 1299, von
denen aber nur 1056 untersucht werden konnten.)
. Die Bearbeitung geschah in der Weise, daß für jeden Professor
ein besonderes Zählblättchen angefertigt wurde, auf dem Name, Fakultät,
Geburtstag und -jahr, sowie ev. „nichtlesend“ notiert wurden. Dadurch
lien sich die notwendigen Kombinationen durch Legen der Zähl-
blättchen mit Leichtigkeit erreichen; auch wurde dafür Sorge getragen,
daß eine hinreichende Kontrolle des Verfahrens stattfand. Die Alters-
angaben sind genau berechnet und jedesmal auf den 1. Oktober 1901
bez. 1890 bezogen, während Laspeyres nur das Geburtsjahr im ganzen
genommen hatte. ;
IL Das Durchschnittsalter. a) Betrachten wir zunächst die
Gesamtheit der Universitäten, d. h. natürlich nur die lesenden Professoren,
80 betrug ihr Durchschnittsalter 53,4 Jahre. Es hat sich in dem letzten
Jahrzehnt um fast ganze 2 Jahre erhöht, da es 1891 sich nur auf
9l'|, Jahre belief. Ein genauer Vergleich mit den Ziffern für 1870
p*
68 Miszellen.
und 1875 ist nicht gut möglich, da damals die nichtlesenden Professoren
mitgerechnet sind; dabei kamen 52,8 Jahre heraus. Tun wir dasselbe
für unsere beiden Ermittelungen, wofür uns ja das Material zur Ver-
fügung stand, so kommen 54,1 bezw. für 1890 52,5 Jahre heraus. Es
geht so viel daraus hervor, daß das Durchschnittsalter in dem ganzen
Zeitraum gestiegen ist. Wir werden nachher zu entscheiden haben, ob
die jüngeren Altersklassen so viel verloren oder die hóheren so viel ge-
wonnen haben. |
Einen bemerkenswerten Unterschied wird man außerdem noch nach
der Staatsangehörigkeit der Universitäten wahrnehmen können. Es
zeigt sich nämlich, daß die 10 preußischen Universitäten das höchste, die
3 schweizerischen das niedrigste Durchschnittsalter haben: jene zu 54,5,
diese zu 51,8 Jahren; die 11 übrigen deutschen Universitäten weisen
53,2, die 5 österreichischen 52,3 Jahre auf. In dem früheren Zeitpunkt
(1890) ist zwar auch hier überall der Durchschnitt niedriger, aber im
übrigen zeigt sich dieselbe Reihenfolge der Länder. Die absoluten
Zahlen, um die es sich dabei handelt, sind doch zu groß, als daß es
bloßer Zufall sein könnte, zumal auch schon für die 70er Jahre sich ein
ähnliches Resultat herausgestellt hatte.
b) Fassen wir die einzelnen Universitäten ins Auge, so sind
allerdings die Abweichungen von jenem Gesamtmittel sehr beträcht-
lich. Die durchschnittliche Altersdifferenz betrug nämlich zwischen der
„ältesten“ und der „jüngsten“ Universität, um diesen kurzen Ausdruck
zu gebrauchen, beide Male etwa 10 Jahre, und zwar war sie 1890 noch
größer als 1901 (11,6 bezw. 10,7 Jahre). Die Reihenfolge der Uni-
versitäten, nach dem Durchschnittsalter der ordentlichen Professoren ge-
ordnet (S. 74) hat dabei eine Aenderung erfahren. Im allgemeinen haben
die größeren Universitäten ein höheres Durchschnittsalter als die kleineren,
wenn auch diese Gesetzmäßigkeit nicht durchweg gilt Zu einem ähn-
lichen Ergebnis war auch Laspeyres (S. 27) gelangt. Aber der Grund
dafür ist sicher nicht, wie er es angiebt, darin zu suchen, daß die
Studenten die Universitäten aufsuchen, wo die berühmtesten Namen
sind — das ist doch höchstens bei einem kleinen Bruchteil der Stu-
dierenden das ausschlaggehende Moment. Sondern umgekehrt werden
an die größeren Universitäten vorwiegend solche Lehrer berufen, die
bereits anderwärts sich bewährt haben: sei es weil dort die Ehre und
der Erfolg größer, oder weil die Gehälter und Einnahmen höhere sind.
Die große Universität ist ja der Abschluß in der akademischen
Hierarchie. Wenn Wien eine scheinbare Ausnahme bez. des Durch-
schnittsalters macht, so liegt das daran, daß hier die Professoren mit
70 Jahren pensioniert werden, mithin höhere Altersklassen gar nicht
existieren können. — Zu unterst stehen dem Alter nach die kleineren
Universitäten: beide Male Gießen, Czernowitz und Erlangen. Es ist er-
klärlich, daß jüngere Professoren meist hier beginnen und dann allmählich
an größere Universitäten kommen; ist es doch die einzige Beförderung,
die ihnen offen steht. Während aber 1890 noch bei 13 Universi-
täten das Durchschnittsalter unter 50 Jahre lag, ist es gegenwärtig nur
noch bei 4 der Fall. Für die Einzelheiten sei auf Tabelle I verwiesen.
Miszellen.
Tabelle I.
69
Alter der ordentlichen Professoren an den Universitäten
Zahl der Studierenden
deutscher Zunge Wintersemester 1901/02
Durchschnittsalter 1890 | Durchschnittsalter 1901
e | = 5 a E £ E
5 SIS E 5 |£ SEE |
Universitäten & | 8 E E % | 8 E ul LS ES KE SN 2 =
=|213!:/312|%2|/3|2!/5|2|2:2|3|3|2
= | © 3 d "Bi: $ d = ei =
213 d rg £23 | E 2b mt
E | z = ge
Berlin 56,8! 56,5) 58,5! 57,71 57,5| 56,7 57,5 62,1 58,2) 58,:| 366 2393| 1254| 2844| 6857
Bonn 534, 53,3| 54,4| 52,7, 53,2| 52,9, 55,8 61,5| 56,3| 50,8] 354 | 579| 233| 905| 2071
Breslau 60,3! 49,7: 53,71 53,6 54,6] 53,1| 54,5 53,1 50,6| 51,9] 332| 585| 229| 607| 1753
Erlangen 44,3 50,1| 51,8| 45,5| 47,2] 50,0| 40,8 52,2 48,6| 48,7] 155 303 344, 202| 1004
Freiburg 56,9) 49,2 46,7! 45,4| 48,3] 54,4| 43,6, 50,8 50,5| 51,4| 211 351 409| 350| 1321
| |
Gießen 41,7 37,7| 49,5 48,3| 46,2] 46,2| 39,0 50,4 40,3, 48,0] 63| 249| 328| 307| 947
Göttingen 54.5. 54,3 51,8) 50,8 51,8] 54,9) 54,6, 50,9 51,1) 51,9| 116| 424 162! 636| 1338
Greifswald 43,8! 46,8 54,3 49,2| 49,1] 56,4| 48,7 48,2, 52,7| 51,6] 111 182 210 214 72
Halle 52,9) 44,2 56,3 49,7) 50,91 50,2! 48,9 54,1| 55,9) 54,7] 360! 425 192| 748| 1731
Heidelberg 49,9 53,6] 51,31 51,9) 51,8[ 50,8, 59,1 57,2 53,2] 54,9] 45| 350| 248, 628| 1271
| neu |
Jena 58,1 50,1 47,2 47,8| 49,1| 64,9| 55,9 58,2 52,9 56,0] 39| 195| 141| 323| 698
Kiel 48,1 39,3| 52,0 50,6! 49,2] 47,8) 50,7 55,» 52,2 52,1] 44 190| 347| 237| $18
Kinissberg 53,5, 52,5, 49,9 49,8 50,5 55,1, 51,6 55,1, 61,0 58,5] 89 299° 207| 316 911
Leipzig 56,4, 59.3) 53,6| 56,5 56,4[ 60,1) 58,0 58,5 53,51 55,5| 262 | 1210, 587| 1689| 3748
Marburg 44,0 48,3, 49,7 47,2 47,6| 49,0| 48,3 54,5, 51,7 51,4] 91| 318| 203| 473| 1085
| | |
München 54,7 58,2 61,7 56,6! 57,8] 60,6! 56,0 58,3 56,7 57,5] 175 1483 1301, 1244| 4 203
Munster $21 — | — 155,254) 52,8) | — 593 57,4] 342 — | — | 447| 789
Bh 54,8 36,7| 51,8) 47,4 47,0] 63,3 43,2! 51,9 50,6 51,6| 36! 97j 139| 280| 552
Straßburg 45,6! Sie 54,6, 50,4) 51,21 50,2| 52,8 56,2 54,1 53,7| 69 317 292 455| 1133
Tübingen 53,3 58,1/45,8 51,6) 52,2] 51,9) 48,91 53,2 52,3 52,4] 405, 400! 242| 258| 1371
Wurzburg 55,3 45,3 51,2 53,5| 51,8[53,8 40,3 55,9 47,4 50,8] 117, 321| KS 267| 1194
| |
| I
Czernowitz 45,7 PP — PR 46,2|53,1] 46,0 — ‘48,6 48,5| 37 364 8 61 470
Dru 50,1, 52,6! 49,8| 47,2/ 49,4] 55,5) 57,6, 50,5 53,1 53,2] 91| 774| 312, 176| 1353
Innshruck 55,6 54,6) 40,6 49,7) 50,3| 51,8| 49,2! 47,2 50,1 40,6270)! (300)| (180) (200)| (950)
Prag 54,3. 40,0 41,6 51,1 47,9] 58,3 48,1 54,1 50,6 51,7] (40) (590)| (230) (200)| (1060)
Wien 51,9' 51,1] 53,1, 54,1] 53,1] 53,6| 51,6 56,4' 54,6 54,1] 316 3024| 1142 1284| 5766
| PAN, | |
Bel 547 43,3) 53,2| 45,2] 48,9] 52,5| 544) 53,4 40,9 51,1] 42 44| 147 296 529
Bern 506,0, 50,9 53,3! 57,2) 54,0] 55.4| 50,»| 57,5 409,0 52,4| 31 209| 509 415| 1164
Zürich 59,1 57,0 43,3 45,11 48,51 56,5| 52.4 50,6 48,9 51,0] 13 112| 291 254 670
Urberhaupt 52,7 50,7, 51,7 51,2| 51,5 54,2 51,6 54,8 53,1) 53,4/4628 |16 154 |10 382 |16 316 | 47 480
10 preußische Univ. | 53,0! 50,8! 53,7 51,8 52,1] 53,4 53,0! 55,4 54,9 5452211 | 5 305 | 3043| 742718076
11 übrige deutsche „[51,8 52,21 51,8 51,4| 51,7] 5458 51,0 55,6 50,2! 53,2|1577. 5342| 4520| 6003 17 442
` Serréichische „| 52,0] 50,3, 48,0 50,8 50.1| 54,0 50,8 53,1 52,2] 52,3] 754 5052, 1872, 1921| 9599
3 schweizerische — 56,4, 50,8, 50,0 48,4, 50,51 55,0 52,2 53,9 49,0) 51,8 86 365| 947| 905] 2303
ihr
Teilen wir die Universitäten in 2 Gruppen (S. 7H), je nachdem
Alter über oder unter dem Gesamtdurchschnitt liegt, so sind die Frequenz-
ziffern der beiden Gruppen 30 891 und 17109, verhalten sich also wie
70 Miszellen.
178:100, obwohl die untere Reihe 17, die obere aber nur 12 Uni-
versitäten enthält; die größeren geben hier eben den Ausschlag 1).
Die Wechselwirkung zwischen Alter der ordentlichen
Professoren und Frequenz der Universitäten gelangt also
zu einem deutlichen Ausdruck. Und ebenso gehören gerade zu den
nichtpreußischen deutschen Universitäten viele kleinere, so daß sich
daraus schon die vorhin erwähnte Abweichung nach der Staatsangehörig-
keit erklären dürfte. Die kleinen schweizerischen Universitäten, deren
Gesamtheit am niedrigsten stand, rangieren etwa auf einer Stufe mit den
gleichgroßen deutschen Universitäten, bilden also keine besondere Aus-
nahme.
c) Aber wichtiger noch als die Gesamtheit ist das Alter der ein-
zelnen Fakultäten, das hierin ebenfalls erhebliche Unterschiede
aufweist. Es stellte sich nämlich für sämtliche Fakultäten der Durch-
schnitt am 1. Oktober 1901 /bexw. 1. Oktober 1890)
in der theologischen Fakultät bei 201 (184) Professoren auf 54,2 (52,7) Jahre,
» » juristischen P „ 226 (211) e a Ste UT) p
» » medizinischen " » 295 (274) ki s 94, GOLD a
» » philosophischen „m 707 (644) „ LS in
Die Juristen sind danach am jüngsten, die Mediziner am
ältesten, während vor 10 Jahren, ebenso wie 1875, dies noch die
Theologen waren. Sodann zeigt sich auch hier, daß die Professoren in
allen 4 Fakultäten durchgängig jetzt ein höheres Alter haben als noch
vor 10 Jahren. Da die Zahl der Philosophieprofessoren allein fast schon
so groß ist, wie die der 3 anderen Fakultäten zusammen, so erklärt es
sich, daß sie ausschlaggebend sind für die Altersverhältnisse der Gesamt-
heit wie auch der einzelnen Universitäten.
Am auffallendsten ist die Zunahme im Alter der Mediziner. Es
kann dies an etwas Doppeltem liegen: einmal sind gerade hier eine
Reihe berühmter Namen, die auf ein hohes Alter sehen und dabei noch
aktiv sind. Sodann ist bei ihnen die Ernennung zum Ordinarius
darum hinausgeschoben, weil die Konkurrenz in der medizinischen
Fakultät eine außerordentlich starke ist. Denn nirgends ist die Zahl
der Extraordinarien und Privatdozenten im Verhältnis zu der der
Ordinarien größer wie bei den Medizinern. Es liegt das daran, daß
die Assistenzärzte aus den Kliniken, sowie viele private Spezialisten
für besondere Fächer sich gern habilitieren und dadurch die Zahl
der Anwärter vermehren; das zeigt sich besonders in den größeren
Städten mit vielen Krankenhäusern, aber auch an kleineren Universi-
täten ist der Nachwuchs sehr stark. Ich glaube, daß dieser letztere
Umstand allein schon ausreicht, um die Hinausschiebung des Alters
bei den medizinischen Professoren zu erklären. Gerade umgekehrt liegt
1) Die Zahlen in Klammern bedeuten die Rangordnung nach dem Alter von 1890,
Wie man sieht, hat sieh bei einigen bezüglich ihrer Stellung ein Wechsel vollzogen:
Breslau ist aus der oberen in die untere. Reihe gerückt ; ebenso Tübingen, Göttingen,
Würzburg — ihr Durchschnittsalter hat sich also verjüngt. Umgekehrt sind Königsberg,
Halle, Jena, Graz in die obere Reihe gelangt — ihr Durchschnitt hat sich also erhöht.
Miszellen. 71
die Sache bei den Juristen: hier ist der Nachwuchs an Extraordinarien
und Privatdozenten sehr gering, so daß es sich einfach erklärt, wenn
ihr Ernennungsalter heute am niedrigsten ist und ihre Gesamtheit den
Durchschnitt weit hinter sich läßt 1).
1) Die absoluten Zahlen für die Fakultäten der einzelnen Universi-
täten (Tabelle I) werden allerdings etwas klein, so daß hier bereits ein
einzelner Professor zuweilen das Durchschnittsalter wesentlich verändern,
ein abnorm alter es herauf-, ein sehr junger es herabsetzen kann.
Darum begnügen wir uns mit wenigen Bemerkungen. Zunächst die
theologische Fakultät. Laspeyres hatte ihr Durchschnittsalter
am höchsten gefunden, nämlich zu 55 Jahren; dasselbe war auch noch
1890 der Fall, während sie gegenwärtig von den Medizinern übertroffen
werden. Immerhin muß ein Durchschnittsalter von 54 Jahren recht
hoch erscheinen.
Verfolgt man die einzelnen Universitäten, so finden wir hier
— anders wie bei der Gesamtheit — die stärkeren theologischen
Fakultäten öfter unter den „jüngeren“, so daß sogar die Gesamt-
frequenz der letzteren größer ist als die der „älteren“. Nur bei 3 Uni-
versitáten blieb das Durchschnittsalter unter 50 Jahre (Marburg, Kiel,
Gießen), während 4mal der Durchschnitt sogar über 60 Jahre hinaus-
geht (Jena, Rostock, München, Leipzig) Der Unterschied zwischen dem
Maximum und Minimum der ersten und letzten Universität beträgt
18,7 Jahre, ebensoviel wie vor 10 Jahren zwischen den damaligen
Extremen Breslau und Gießen.
2) Es war bereits gesagt, daß die juristische Fakultät im
Durchschnitt die jüngste ist: allerdings war das nicht überall der Fall,
sondern zur Hälfte haben andere Fakultäten ein jüngeres Durchschnitts-
alter. Aber immerhin zeigt keine andere so oft ein relativ so niedriges
Alter als die Juristen. (Die Theologen und Philosophen sind nur je
ömal, die Philosophen nur 3mal die jüngsten.) Als Ursache für diese
Erscheinung glaubten wir den verhältnismäßig geringen Nachwuchs unter
den Juristen angeben zu sollen, der es ermöglicht, ein Ordinariat schon
in jüngeren Jahren zu erreichen.
Ueber 60 Jahre war im Durchschnitt überhaupt keine Fakultät
mehr alt, die älteste zählte nur 59 Jahre. Unter 50 Jahre hatten da-
gegen 12 Fakultäten; darunter sogar eine (Gießen) mit durchschnittlich
nur 39 Jahren! Der Unterschied zwischen den beiden Extremen betrug
danach 20 Jahre, gegenüber 22 Jahren im.Wintersemester 1890. Auch
bei den Juristen war übrigens die Mehrzahl der Fakultäten im Durch-
schnitt älter geworden, nur 7 hatten sich verjüngt (Erlangen, Freiburg,
1) Bezüglich der. Staatsangehórigkeit treten allerdings noch einige bemerkenswerte
Unterschiede auf. Preußen hat nur in der juristischen und philosophischen Fakultät die
ältesten Lehrkörper; in der Theologie zeigt vielmehr die Schweiz, unter den Medizinern
das übrige Deutschland das höchste Durchschnittsalter. Die theologischen Professoren
sind sogar durchschnittlich in Preußen am jüngsten, die juristischen und medizinischen
in Oesterreich und nur die philosophischen in der Schweiz, wo doch der Gesamtdurch-
schnitt sich am niedrigsten herausstellte.
72 Miszellen.
Königsberg, Leipzig, München, Tübingen, Innsbruck und Zürich). Aber
auch hier zeigt sich wiederum, daß die größeren Fakultäten dieälteren
Professoren haben. In Berlin und Wien allein studieren zusammen schon
über ein Drittel und mit München und Leipzig weit über die Hälfte
aller Jurabeflissenen. Es verdient übrigens hervorgehoben zu werden,
daß die schweizerischen Universitäten verhältnismäßig alte juristische
Professoren aufweisen,
3) Wir hatten bereits gesagt, warum bei der medizinischen
Fakultät sich heute das höchste Alter zeigt und warum der Durch-
schnitt im ganzen sich so erheblich gegen früher hinausgeschoben hat:
vor allem hat die Konkurrenz unter den Auszulesenden stark zuge-
nommen und darum die Wartezeit verlängert. Nur an 5 Universitäten
sind die medizinischen Professoren im Durchschnitt jünger geworden
(Breslau, Göttingen, Greifswald, Halle und München), während sonst
zum Teil eine beträchtliche Erhöhung des Alters stattgefunden hat.
Bei den Medizinern tritt der Zusammenhang zwischen Professoren-
alter und Fakultätsfrequenz ebenfalls deutlich zutage: Es hätten näm-
lich die „oberen“ Universitäten im Verhältnis zu den „unteren“ 219 : 100
Studenten. Ueber 60 Jahre ist das Professorenalter im Durchschnitt
an 2 Universitäten (Berlin und Bonn), unter 50 Jahre ebenfalls an 2
(Greifswald und Innsbruck). Uebrigens gehören auch gerade bei den
Medizinern noch einige „Außerordentliche“ zu dem vollkommenen Lehr-
körper, so daß hier die offizielle Trenuung im Grunde am wenigsten
stichhaltig ist. Daher kommt es wohl, daß die Zahl der Ordinarien
sich nur ganz unerheblich vermehrt hat, nämlich nur um 7,4 Proz.
trotz der großen Spezialisierung der Fächer, die gerade hier ein-
getreten ist.
4) Dagegen hat in der philosophischen Fakultät die Zahl
der Ordinarien ziemlich beträchtlich zugenommen, nämlich um 11,4 Proz.
Sie fallen numerisch am bedeutendsten ins Gewicht und bestimmen
letzthin das Gesamtmittel. Ihnen ist es vor alleın zu verdanken, daß
das Durchschnittsalter sich um 2 Jahre hinausgeschoben hat. Denn
nur bei 4 Universitäten (Breslau, Leipzig, Würzburg und Prag) ist eine
Verringerung zu bemerken: dagegen ist anderwärts die Zunahme eine
sehr erhebliche gewesen. Wenn davon aber die größten Universitäten
nur wenig betrotten sind (Berlin, München, Wien) oder sogar einen
Rückgang auiweisen (Leipzig), so liegt das wohl daran, daß gerade in
der philosophischen Fakultät eine größere Anzahl von neuen Profes-
suren eingerichtet sind, die mit jüngeren Kräften besetzt sind.
Leider hat sich bisher eine Scheidung in mathematisch-natur-
wissenschaftliche und philosophisch-historische Fächer nicht vornehmen
lassen, obwohl sie für unsere Frage von Bedeutung gewesen wäre,
Auch so ist bemerkenswert, daß nur 11 Fakultäten über, dagegen 18
unter dem Gesamtmittel bleiben. Trotzdem ist das Verhältnis der
Frequenz in den beiden Reihen wie 194: 100, so daß also gerade die
größeren philosophischen Fakultäten auch den älteren Lehrkörper haben.
Ueber 60 Jahre sind im Durchschnitt die Professoren nur in Königsberg
Miszellen. 173
gewesen; unter 50 Jahren immerhin in 8 (die drei schweizerischen:
Basel, Bern, Zürich; die beiden österreichischen: Innsbruck und Czerno-
witz; und die drei deutschen: Gießen, Erlangen und Würzburg). Es
ist jedenfalls nicht zufällig, daß darunter 5 nichtreichsdeutsche Univer-
sitäten sich befinden. Die schweizerischen Hochschulen vor allem
werden vielfach von deutschen Professoren als Zwischenstaffel betrachtet;
sie nehmen in jungen Jahren die Professur an und kehren dann später oft
nach Deutschland zurück. In der Schweiz selbst wird dieser Umstand,
der ja zum guten Teil mit den geringeren dortigen Besoldungsverhält-
nissen zusammenhängt, unliebsam empfunden. Die schweizerischen philo-
sophischen Fakultäten teilen aber hierin nur das Schicksal der anderen
kleinen Universitäten überhaupt.
5) Es ist bereits hervorgehoben, daß die Trennung der Professoren
in ordentliche und außerordentliche im Grunde vielfach eine willkürliche
und zufällige ist. Namentlich die „Extraordinarien mit Lehrauftrag“
unterscheiden sich nur formal von den Ordinarien, indem ihr Grund-
gehalt geringer und ihre akademischen Rechte kleiner sind. Aber es
gibt Fächer, die hinreichend wichtig und doch an einigen Universitäten
nur durch einen Extraordinarius besetzt sind, wie z. B. Geographie,
neuere Literaturgeschichte, aber auch theoretische Physik, Kinder-
krankheiten u. s. f. Es hängt das zum Teil von der Neuheit des Faches,
der örtlichen Wichtigkeit des Gegenstandes, der Tradition der betr.
Hochschule, den verfügbaren Mitteln für Einrichtung eines Institutes und
ähnlichen mehr zufälligen Momenten ab und wechselt an den verschiedenen
Universitäten. Auch verwischt die Einrichtung von persönlichen Pro-
fessuren den inneren Unterschied fast völlig. Es würde sich also
rechtfertigen, wenigstens einen Teil der Extraordinarien, soweit sie
nämlich einen Lehrauftrag haben, mit in den Kreis unserer Be-
trachtungen zu ziehen, um ein Bild des ganzen amtlichen akademischen
Lehrkörpers zu gewinnen. Es mußte aber aus äußeren Schwierigkeiten
davon Abstand genommen werden. Betrachten wir daher endlich die
Universitäten daraufhin, welche von ihnen in den einzelnen Fakultäten
ein über- (+) und welche ein unter- (—) durchschnittliches Alter auf-
weisen, so zeigt sich die folgende Gruppierung:
(Siche Tabelle auf S. 74.)
Danach haben an 4 Universitäten alle Fakultäten ein überdurch-
schnittliches Alter der Ordinarien: Berlin, Königsberg, München,
Leipzig. Es sind zunächst die drei größten deutschen Hochschulen, die als
ein tatsächlicher Abschluß der akademischen Beförderung gelten können,
und dann die eine östliche, bei der ein Wechsel und eine Ersetzung
der Ordinariate offenbar nur langsam vor sich geht. Das sind mithin
die wirklich „alten“ Universitäten. 1875/76 fand Laspeyres (S. 20)
dasselbe Resultat für Göttingen, Berlin und Leipzig. An sechs weiteren
Hochschulen sind jetzt immerhin bei 3 Fakultäten die Professoren von
überdurehschnittlichem Alter; und zwar bleibt in Bonn, Heidelberg,
Wien und Strafburg nur die theologische, in Jena die philosophische und
in Graz die medizinische Fakultät zurück. — Bei 5 Universitäten stehen
74 Miszellen.
Obere Reihe Untere Reihe
bac , 8 Si n z
sel.5l4528 88:8 8542
EIERE EIEFIEEIER:
1. Berlin (2) ++ | + + 13. Tübingen (9) pts, le =
2. Königsberg (15) | + + + + 14. Bern (4) + — | +
3. Münster (6) + 0 0 + 15. Kiel (15) -— — + —
4. München (4) + + + + 16. Breslau (3) = | #4 |= | —
5. Bonn (7) — |+ | + ' 17. Göttingen (20) | + | + | — | —
6. Jena (20) + + + — 18. Basel (21) — + = | —
7. Leipzig (3) + + + | + 119. Prag (22) + qe
8. Heidelberg (11) | — | + | + | + [29% Greifswald (2) | + | — | — | —
9. Halle (44) + 1— | — | + |21. Rostock (24) L Zn
10. Wien (9) — + + + 122. Marburg (26) — | — =
11. Straßburg (13) | — | + + + |23. Freiburg (23) + — + —
12. Graz (17) + | + | — | + [24 Zürich (22 + pa p | 2e
25. Würzburg (12) I — | — | + | —
26. Innsbruck (16) | — | — | — | —
27. Erlangen (27) | | = | —
98. Czernowitz (25) | — | — 0 ke
29. Gießen (29) sl le
dagegen sämtliche Mittel unter ihrem Durchschnitt: Tübingen, Marburg,
Innsbruck, Erlangen und Gießen. Es sind zum Teil die kleinsten Hoch-
schulen, zum Teil auch solche, bei denen ein Wechsel besonders häufig
eintritt: wir dürfen sie als die eigentlich „jungen“ bezeichnen }).
Die Wichtigkeit der einzelnen Fakultäten ist eben verschieden und es
scheint sich eine gewisse leichtere Arbeitsteilung auch innerhalb der
Universitäten vollzogen zu haben.
III. Die einzelnen Altersklassen. Das Durchschnittsalter
besagt über die wirkliche Alterszusammensetzung nur sehr wenig: es
kann namentlich, soweit die einzelnen Fakultäten in Betracht kommen, aus
ganz heterogenen Elementen sich zusammensetzen. Es ist darum not-
wendig, auch den Altersaufbau der Professoren überhaupt kennen zu
lernen. Diese Arbeit ließ sich mit Hilfe der Methode der Zählblättchen
an unserem Materiale unschwer vornehmen und ist von den Seminar-
mitgliedern ebenfalls ausgeführt worden: das ist in Tabelle II für den
1. Oktober 1901 und teilweise auch für den gleichen Termin 1890 ge-
schehen. Es wird allerdings kaum angängig sein, hier sehr weit teilen
zu wollen, da sonst die Zahlen zu klein werden. Wir werden uns damit
begnügen, einmal die Fakultäten in ihrer Gesamtheit und sodann die
einzelnen Universitäten als Einheiten zu behandeln, lassen aber die
weiteren Einzelheiten hier unberücksichtigt. Folgende Uebersicht ergibt
sich dabei:
1) 1875 gehörte zu den letzteren außer Czernowitz noch Prag, Innsbruck und
Straßburg, das damals erst neu gegründet war. Uebrigens liegen in Czernowitz die
Dinge darum besonders, weil hier überhaupt die Lehrbefugnis nur 35 Jahre be-
tragen kann.
Miszellen. 75
Von je 100 Professoren standen in einem Alter von
am 1. Oktober 1890 | am 1. Oktober 1901
Jahren | Theo- | Ju- | Medi- | Philo-| Ge | Theo- | Ju- |Medi- | Philo-| Ge
logen | risten | ziner |sophen| fus logen | risten | ziner |sophen jou
unter 30 — 1,9 — 0,2 0,4 — 0,9 — — 0,1
31—35 3,3 6,6 0,7 3,9 3,6 0,5 4,9 1,0 1,1 1,6
36—40 12,0 | 13,3 | 10,6 | 12,8 | 12,2 9,0 | 11,9 5,4 9,0 8,7
41—45 16,3 11,4 18,2 16,9 16,2 13,4 14,6 10,8 16,1 14,4
46—50 12,5 | 13,3 | 21,5 | 19,5 | 18,0 | 17,9 17,8 | 19,3 | 17,4 | 17,9
51—55 20,1 18,5 14,9 17,1 17,3 20,4 12,8 | 22,1 I7j1 18,3
56—60 12,5 | 14,2 | 16,8 9,5 | 12,2 9,9 12,8 | 12,9 | 15,6 | 13,8
61—65 8,2 ,5 8,8 8,9 87 | 15,9 | 13,7 | 12,3 | 13,4 | 13,6
66—70 9 | 4,7 | 4,1 5,2 | 5,5 | 80 | 6,6 | 11,2 | 6,2 | 7,6
11—75 2,7 7,6 2,9 3,9 4,1 3,0 3,6 2,4 2,1 2,5
16—80 2,7 — 1,1 1,5 1,3 2,0 | — 1,4 1,4 1,3
81—85 0,5 — 0,4 Ou 0,5 — 0,4 0,6 —- 0,2
Es zeigt sich, daß am 1. Oktober 1901 unter 30 Jahren überhaupt
nu noch 2 ordentliche Professoren (je 1 Jurist in Tübingen und Bern)
waren, während es 1890 doch immerhin noch 5 gewesen. Rechnet man
die jüngeren Altersklassen bis 45, die mittleren zu 46—60, die höheren
zu 60—70 Jahren: so entfallen im ganzen 1/, (25 Proz.) auf die
jüngeren, die Hälfte (50 Proz.) auf die mittleren und !/, (21 Proz.)
auf die höheren Altersklassen. Ueber 70 Jahre waren im ganzen nur
57 lesende Professoren, d. s. 4 Proz., wobei allerdings zu berücksichtigen
bleibt, daß in Oesterreich mit 70 Jahren zwangsweise die Pensionierung
erfolgt. — Unter 40 Jahre befanden sich der zehnte Teil (10,4 Proz.),
über 60 der vierte (25,2 Proz.), während Laspeyres für 1875/76 (S. 29)
beide Gruppen wesentlich stärker besetzt gefunden hatte (nämlich zu
19 bez. 30 Proz.).
Von der obigen Alterszusammensetzung zeigen allerdings die ein-
zelnen Fakultäten manche charakteristische Abweichungen, auf die bereits
vorher bei der Untersuchung des Durchschnittsalters geschlossen werden
konnte In der theologischen Fakultät sind die höheren Alters-
klassen stärker besetzt; bei den Medizinern die jüngeren ganz erheblich
schwächer (nur 17 Proz. unter 45 Jahren), hingegen bei den Juristen
gerade wiederum die jüngeren sehr stark (32 Proz.) und die mittleren
sehr schwach (44 Proz. gegen 55 Proz. der Mediziner): die Juristen
und Mediziner bilden auch hier die Extreme. Und es bestätigt sich
also, daß die Juristen gegenwärtig früh in ein Ordinariat gelangen,
die Mediziner dagegen verhältnismäßig sehr spät. Entsprechend ist
auch bei den Juristen das Jahrfünft von 46—50 relativ am stärksten
besetzt; bei den 3 anderen Fakultäten und der Gesamtheit fällt das
Maximum erst zwischen 51—55 Jahre. Es ist ja auch verständlich,
dal um den „Zentralwert“ sich die stürkste Besetzung der Altersklassen
gruppieren muß. Das höhere Durchschnittsalter der Mediziner kommt
also wesentlich durch die schwache Besetzung der jüngeren und dem-
entsprechend starke Besetzung der mittleren Altersklassen zu stande,
76 Miszellen.
aber nicht etwa durch einen besonders großen Anteil, den die Ueber-
70-jährigen ausmachen! Diese letzteren sind in der theologischen Fa-
kultät am zahlreichsten (5 Proz.) und in der philosophischen am ge-
ringsten (3,5 Proz.) vertreten. Und es ist zu beachten, daß durchaus
ein Parallelismus zwischen den Ueber-7O-jährigen und denen zwischen
60—70 besteht:
Theologen Juristen Mediziner Philosophen Gesamtheit
60 — 70-jährige 23,9 20,3 23,5 19,6 21,2
Ueber-70 „n 5,0 4,0 4,4 3,5 4,0
Es bleibt zu untersuchen, ob tatsächlich verschiedene Lebens-
verhältnisse vorliegen oder ob etwa die höheren bezw. geringeren Ein-
nahmen von Einfluß darauf sind, in welchem Alter die Pensionierung
nachgesucht wird; auffällig bleibt die unterdurchschnittliche Besetzung
der oberen Altersklassen‘ bei den Philosophen.
b) Ein Vergleich mit anderen Bernfen scheint wenig ertragreich
und würde nur die ganz abweichenden Verhältnisse der ordentlichen
Universitätsprofessoren, die sich mit anderen akademischen Beamten
wegen der Besonderheit des Zuganges und der Rekrutierung gar nicht
vergleichen lassen, von neuem ergeben. Ihre Alterspyramide zeigt eine
ganz abnorme Form, die sich eben aus der besonderen Art ihrer Aus-
lese erklärt.
Gegenüber dem Jahre 1890 sind freilich beträchtliche Verschiebungen
in der Alterszusammensetzung eingetreten. Wir hatten ja schon vor-
dem gefunden, daß das Durchschnittsalter sich gegen früher um 2 Jahre
hinausgeschoben hat. Jetzt sehen wir auch, woher das kommt. Die
jungen Altersklassen waren damals ganz ungleich stärker besetzt als
heute (32,4 Proz. gegen 24,5 Proz. unter 45 Jahren) und dementsprechend
die Mitte und das hohe Alter schwächer: besonders die alten Jahres-
klassen zwischen 60—70 waren wesentlich geringer vertreten (14,2 Proz.
gegen 21,2 Proz.) Das Maximum entfiel daher auch entsprechend schon
auf das Jahrfünft 46—50, während es sich jetzt auf das nächste ver-
schoben hat. Aber andererseits ist es sehr zu beachten, daß die Ueber-
70-jährigen damals einen weit größeren Anteil ausge-
macht als heute: also kann nicht etwa deren stärkere Vertretung
die Erhöhung des Gesamtdurchschnittes erklären (76 Personen bezw.
6 Proz. gegen 57 Personen bezw. 4 Proz.! Wir kennen einstweilen
die Sterblichkeitsverhältnisse nicht, um die Sache ganz einwandsfrei zu
erklären. Da aber kaum anzunehmen ist, daß die Professoren jetzt ın
diesem Punkte ungünstiger dastehen werden, so scheint nur die Er-
klärung möglich, daß die Neigung, sich pensionieren zu lassen oder die
Vorlesungstätigkeit früher einzustellen, entsprechend größer geworden
ist. Man kann vermuten, daß dies mit der Verbesserung der Gehalts-
verhältnisse zusammenhängt. Denn eine durchgängige Verjüngung des
Lehrkörpers hat sonst eben nicht Platz gegriffen, sondern ganz das
Gegenteil. Von den einzelnen Fakultäten zeigt besonders die medizinische
einen wesentlich veränderten Altersaufbau, indem die jüngeren Alters-
klassen 1890 ganz ungleich stärker besetzt waren (29,5 Proz. gegen
Miszellen, 77
172 Proz.!) Wir haben ja oben die Gründe auseinandergesetzt, die
dies bewirkt haben können und die vor allem in der größeren Kon-
kurrenz der Anwärter zu suchen sind.
Das Gesamtergebnis ist demnach: wesentliche Hinausschiebung
des Ernennungsalters, dadurch Verlegung des Maximums vom Ende der
40er auf den Anfang der bOer Jahre; entsprechend jetzt stärkere Be-
setzung der mittleren und höheren Altersklassen auf Kosten der jüngeren
und der Ueber-70-jührigen. Die Zusammensetzung der medizinischen
Fakultät hat sich am meisten geändert. Aber auch die übrigen Fakul-
täten haben doch in diesen 11 Jahren schon ein wesentlich anderes
Aussehen erhalten, wie vordem gezeigt ist.
c) Es lohnt sich aber, noch einen Blick auf die älteren Jahrgänge
über 60 Jahre zu werfen. Ihre Gesamtzahl beträgt 359, die sich so
verteilen, daß 194 zwischen 61—65, 108 zwischen 66—70 und 57 über
70 Jahre alt sind. Am zahlreichsten sind diese hohen Altersklassen
vertreten in München (27 von 67), Bonn (24 von 63), Berlin (35 von 87)
und Heidelberg (16 von 42); am geringsten in Gießen (4 von 41),
Innsbruck (4 von 50) und Erlangen (3 von 31). Die Ueber-70-jährigen
fehlen gänzlich in Oesterreich wegen der dortigen Pensionierungs-
bestimmungen; an den reichsdeutschen Universitäten nur in Erlangen,
Göttingen, Marburg, Straßburg, außerdem in Basel. In Berlin lehren
noch 8, in München 7, in Bonn 5 Professoren über 70 Jahre. Aber es
kann gar kein Zweifel sein, daß gerade diese höchsten Altersklassen
gegen früher auch absolut erheblich abgenommen haben. Denn 1890
betrug die Zahl dieser lesenden Greise noch 78 (Berlin 11, Breslau 8,
Leipzig 7, Zürich 7, München 6, Göttingen 5). Die Angaben bei
Laspeyres sind nicht ganz vergleichbar. Er fand (S. 30) für 1875/76
in ganzen 117 Ordinarii über 70 Jahre, von denen aber 22 nicht mehr
lasen oder pensioniert waren: der Anteil nach deren Abzug würde dem-
nach 9 Proz. ausmachen gegen nur 4 Proz. in der Gegenwart.
Betrachten wir endlich noch die nichtlesenden Professoren, so
betrug deren Zahl an den 24 deutschen und schweizerischen Universitäten
zusammen 61, das sind 5 Proz. aller Ordinarien überhaupt. Es sind
natürlich vor allem solche Professoren, die sich wegen ihres Alters haben
pensionieren lassen; nur wenige waren aus anderen Gründen vorzeitig
beurlaubt oder konnten sonst nicht lesen. Das Durchschnittsalter dieser
„Nichtlesenden“ war natürlich ungleich höher, nämlich zu 72 Jahren.
Wesentliche Unterschiede mit 1890 sind nicht zu bemerken gewesen.
Mit dem letzten Punkte hängt die strittige Frage der Pensionierung
der Universitätsprofessoren überhaupt zusammen. Sie unterscheiden
sich ja darin von allen anderen Beamten, daß es bei ihnen keine eigent-
liche Pensionierung, sondern nur „Entbindung von der Vorlesungspflicht“
gibt. Nur in Oesterreich ist eine Altersgrenze von 70 Jahren für die
Verwaltung der Professur vorgesehen. Diese gesetzliche Festlegung
der Altersgrenze wird von Paulsen (Die deutschen Universitäten
und das Universitätsstudium. S. 97) ebenfalls „als die angemessenste
Auskunft“ befürwortet, da im ganzen angenommen werden dürfe, daß
bei diesem Alter Kraft und Trieb zur Ausübung der akademischen
18 Miszellen.
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Tabelle II. Die ordentlichen Professoren nach Altersklassen am 1. Oktober 1901 (bezw. 1890).
19
Miszellen.
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80 Miszellen. j
Lehrtätigkeit erschöpft oder nicht mehr weit von der Grenze der Er-
schöpfung seien. Und es sei besser diese Grenze allgemein zu regeln,
als dem Einzelnen das Urteil über den Zeitpunkt zu überlassen. Man
wird aber hier unterscheiden müssen: einmal das Recht des Professors
eventuell die Vorlesungstätigkeit einstellen zu dürfen und andererseits die
Pflicht das Lehramt aufzugeben. Es möchte an sich zweckmäßig sein,
den Professor hier mit anderen Beamten gleichzustellen, d. h. mit
65 Jahren ihm das Recht zu geben, in den Ruhestand zu treten; damit
würde dem Staate die Nötigung auferlegt, eventuell von diesem Zeitpunkt
an für einen Ersatz zu sorgen. Das Ruhegehalt würde sich dann eben-
falls nach den Bestimmungen der Beamtenbesoldung richten müssen.
Andererseits wird es aber die Pflicht des Universitätslehrers sein
müssen, mit 70 Jahren das Lehramt aufzugeben: damit würde für den
Staat die Nötigung eintreten, unter allen Umständen die Professur neu
zu besetzen. Dafür wäre dem Professor das volle Gehalt zu gewähren,
Daneben muß es ihm gestattet werden, wenn Kraft und Neigung es zu-
lassen, die Vorlesungstätigkeit weiter fortzusetzen und nach Belieben zu
lesen. Nur ist er dann nicht mehr der amtlich Beauftragte, sondern liest
mehr Kraft seines Namens und seines Rufes. Damit ist sowohl den
Interessen der Studierenden als auch des Lehrkörpers wie der Pro-
fessoren gedient. Dieser Vorschlag war bereits von Laspeyres gemacht
worden und deckt sich wohl auch mit der Anschauung von Paulsen.
Er möchte darum auch jetzt noch der zweckmäligste sein.
Literatur. 81
Nachdruck verboten.
Literatur.
I.
Zur ältesten Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bóhmens.
Von Felix Rachfahl,
Die älteste Wirtschafts- und Sozialgeschichte Böhmens ist in der
jüngsten Zeit in Böhmen selbst mehrfach der Gegenstand eingehender
Untersuchung gewesen. In seiner Geschichte Böhmens hat ihr Bach-
mann, ein gründlicher Kenner dieser Materie, mehrere ausführliche
Kapitel gewidmet!); im Anschlusse daran hat Werunsky einen sehr
lesenswerten Essai publiziert?) Schon vorher hatte über dasselbe Thema
Lippert in einem besonderen zweibändigen Werke gehandelt, das freilich
in wichtigen Punkten zu kritischem Widerspruche herausforderte 3).
Nunmehr ist diese Litteratur durch eine aus der Feder des Prager
Juristen Schreuer stammende gróflere Abhandlung über die Verfassungs-
geschichte der böhmischen Urzeit bereichert worden 4).
Es ist der Zweck der Schrift Schreuers, die in der Chronik des
Prager Domkapitulars Kosmas wiedergegebene böhmische Stammessage
daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihr eine positive Kenntnis be-
treffend die ältesten Verfassungseinrichtungen des tschechischen Volkes
gewinnen läßt. Auf die Erforschung der Zustände hat somit der Autor
seinen Blick in erster Reihe gerichtet, und wir können diesem Stand-
punkte unsere Billigung nicht versagen; denn wenn sich aus der Sagen-
überlieferung ein gewisser historischer Kern herausschälen läßt, dann
noch immer eher hinsichtlich der Zustände wie der Personen. Selbst
in dieser Beschränkung ist die Aufgabe freilich noch schwierig genug.
Um methodisch vorzugehen, darf man zunächst offenbar nur solche Züge
der Sage gelten lassen, für deren dereinstige Existenz noch andere
Momente sprechen: beglaubigte Nachrichten aus schriftlichen Quellen;
Reste jener alten Verhältnisse, die sich bis in spätere Zeiten erhalten
1) Adolf Bachmann, Gesch. Böhmens. Erster Band. Gotha 1899.
2) Emil Werunsky, Böhmens sozialpolitische Entwickelung in vorhussitischer
Zeit. Neue Jahrb. f. d. klass. Altertum, Gesch. u.s. w., 1901, I, S. 433 ff.
3) Julius Lippert, Sozialgeschichte Bóhmens. Bd. I: Die slavische Zeit, 1896
(vergl. meine Rezension in der Historischen Zeitschrift, Bd. 78, S. 141 ff.); Bd. II: Der
soziale Einfluß der christlich-kirchlichen Organisationen und der deutschen Kolonisation,
1898 (vergl. ebenda, Bd. 83, S. 510 ff.).
4) Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagenzeit. Von
Hans Schreuer, Professor an der deutschen Universität Prag. Leipzig, Verlag von
Duncker und Humblot, 1902. 8°. XXII + 108. A. u. d. T.: Staats- und sozialwissen-
schaftliche Forschungen, herausgegeben von Gustav Schmoller, Bd. 22, Heft 4.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 6
82 Literatur.
haben; Analogien, die sich bei Völkern auf gleicher Entwickelungs-
stufe, insbesondere bei solchen von naher Verwandtschaft, finden lassen.
Allen anderen Bestandteilen der Sage wird man mit der größten
Vorsicht und Kritik begegnen müssen und sie zum mindesten nur
insofern annehmen dürfen, als sie nicht dem widersprechen, was wir
als tatsächliche und gesicherte Kenntnis der Urzustände betrachten
dürfen. Dazu kommt noch ein anderer Uebelstand: das in der Sage
enthaltene Material ist seiner Natur nach unbestimmt und vieldeutig;
man muß, um überhaupt zu Ergebnissen zu gelangen, viel hinein inter-
pretieren, und dabei ist die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß man des
Guten zu viel tue.
Die Schrift Schreuers ist ein dankenswerter Beitrag zum Verständ-
nisse der böhmischen Ursage und zur Kenntnis der altböhmischen Ver-
fassungsgeschichte. Es finden sich in ihr viele lehrreiche und treffende
Bemerkungen und Ausführungen, und das Ganze ist sorgfältig durch-
dacht und ausgearbeitet. Die Natur des Stoffes bringt es freilich mit
sich, daß der Autor nicht in allen Punkten auf Zustimmung wird rechnen
dürfen. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß er in der
Verwertung der Sage an einigen Stellen zu weit gegangen ist; wir
werden eben darauf im folgenden noch mehrfach zurückkommen. Um
auf Grund der Sage zu bestimmten Resultaten zu gelangen, preßt er
mitunter die Erzählungen und Ausdrücke der Sage allzusehr, so daß
das Bild, das er gewinnt, wenngleich es im großen und ganzen richtig
sein mag, doch im einzelnen mit manchen Zügen ausgestattet ist, an
deren historischer Realität man begründete Zweifel erheben darf.
Mit einer Kritik und Datierung der Sage beginnt Schreuer seine
Untersuchungen. Seine Kritik scheint mir, um es von vornherein zu
bemerken, nicht radikal genug; wir können uns freilich in diesem
Zusammenhange auf eine nähere Begründung dieses Urteils nicht ein-
lassen und müssen uns auf die Bemerkung beschränken, daß wir den
Standpunkt, den Bachmann!) in der Beurteilung der böhmischen Volks-
sage eingenommen hat, für den richtigen halten. Schreuer protestiert
dagegen, daß man die Schilderung des Kosmas vom goldenen Zeitalter
einfach deshalb ad acta lege, weil sie zum großen Teile aus anderen
Schriftstellern, Regino, Boëtius und Justinus, entlehnt sei. Demgegen-
über hält Schreuer es nicht für ausgeschlossen, daß trotz seiner Be-
nutzung dieser Autoren Kosmas „doch wirklich auch eine entsprechende
Tradition gehabt hat, auf die er sich ja wiederholt beruft“. Indessen
muß er zugeben: „Im ungünstigsten Falle erscheint aber die Dar-
stellung vom goldenen Zeitalter als eine Hypothese des Chronisten, die
. ihre gute Berechtigung bat.“ Nun ist zuzugeben, daß in der in
Frage stehenden Schilderung des Kosmas sich Züge finden, die er nicht
aus der Literatur entlehnt hat, sondern die ohne Zweifel aus der Volks-
überlieferung geschöpft sind. Es handelt sich dabei natürlich um
Reminiszenzen an die Geschichte der Urzeit; ob aber dazu die Vor-
stellung vom „goldenen Zeitalter“ selbst gehört, oder ob Kosmas diese
1) Bachmann, a. a, O. S. 112 ff,
Literatur. 83
aus seinen Vorlagen entnommen und damit die Stammessage verflochten
hat, ist eine Frage, für deren Beantwortung uns jeglicher sicherer
Anhaltspunkt fehlt. Auf S. 20 spricht Schreuer davon, daß „das goldene
Zeitalter noch rein slavische Verhältnisse unter awarischem Drucke“
gezeigt habe; mir scheint es, als ob der von den Awaren ausgeübte
Druck die Qualität dieses „goldenen Zeitalters“ mindestens sehr be-
einträchtigt haben müßte, und relative Friedfertigkeit und „Eigentums-
loigkeit^ genügen noch nicht, um einer derartigen „Hypothese“ des
Kosmas, wie die „Existenz“ eines „goldenen Zeitalters“ ist, „ihre gute
Berechtigung“ zu verleihen.
Sehr ansprechend ist der Versuch Schreuers (S. 11 ff), mit Hilfe
der von Kosmas gegebenen Stammtafel, die Boriwoj mit Przemysl ver-
knüpft, den Inhalt der bóhmischen Stammessage zu datieren. Er kommt
auf diesem Wege zum Ergebnisse, daß Przemysl, der sagenhafte Gemahl
der sagenhaften Lubossa und Ahnherr des nach ihm benannten alten
böhmischen Kónigsgeschlechts, mit dem unter dem Namen Samo be-
kannten fränkischen Kaufmanne, der ein großes Reich bei den Slaven
dieser Gegenden gründete, identisch sei. Es ist das eine Vermutung,
die sehr bestechend erscheint, und zu deren Gunsten eben der Umstand
spricht, daß Samo der Stifter der ersten umfassenden staatlichen Organi-
sation in jenen Gebieten ist: denn in der böhmischen Stammessage tritt
Przemysl als der eigentliche Organisator des staatlichen Lebens und
der fürstlichen Gewalt (Schreuer, S. 74 und besonders S. 84 f) auf.
Immerhin glaube ich, und das liegt ja eben an der Eigenart des Stoffes,
daß der Beweis nicht so zwingend ist, daß das Ergebnis (Samo —
Przemysl) keinerlei Anfechtungen mehr ausgesetzt wäre. Schreuer führt
uter anderen (S. 16 f) als Stütze für seine Hypothese an, daß man
sogar den Namen des Samo aus der Erzählung des Kosmas herauslesen
köme: denn das slavische Samo bedeute solus, und gerade diese Qualität
liebe Kosmas bei seinem Przemysl besonders hervorzuheben (I, 6: ,te
solum nobis in dominum eligimus“; I, 8: jure . . . solus cum sola
Lobussa dictavit^). Hier preßt Schreuer unzweifelhaft den Wortlaut der
Quelle, um aus ihr das herauszulesen, was er in ihr finden will. Schon die
Wendung „solus cum sola Lobussa“ spricht keineswegs dafür, daß Kosmas
mit dem Worte solus hier den Sinn verbunden hat, den Schreuer ihm zu-
schreibt. Zu erwägen ist auch, daß Samo ein fränkischer Kaufmann war,
während der Przemysl der Sage als ein slavischer Bauer geschildert wird;
dieser Unterschied scheint denn doch nicht gerade für die Identität beider
Männer zu sprechen. Wir finden bei einer anderen westslavischen
Völkerschaft, bei den Polen, eine Sage, die, was gerade das in ihr ent-
haltene spezifisch-bäuerliche Element betrifft, mit der Przemyslsage
weitgehende Analogien aufweist, nämlich die vom Bauern Piast, der
gleichfalls als der Stammvater der regierenden Dynastie genannt wird.
Das erwähnte agrarisch-bäuerliche Element spielt in den Sagen über
die Entstehung der Dynastien und in dem alten Zeremoniell beim
Regierungsantritte der Herrscher bei den West- und Südslaven eine so
wichtige Rolle, daß mir die Przemyslsage doch noch einer anderen
Deutung bedürftig erscheint, als einer einfachen Reduktion auf die
6*
84 Literatur.
Persönlichkeit Samos, dessen Herrschaftsbereich übrigens auch weit
umfassender war, als der des Przemysl. Wie die böhmische Stammes-
sage dazu kommen konnte, aus einem deutschen Kaufmanne einen
slavischen Bauern zu machen, müßte zum mindesten erklärt werden.
Wie sehr Schreuer die Angaben der Chronisten in seinem Sinne dreht
und preßt, dafür noch ein Beispiel aus der Geschichte Samos. Es wird
(bei Fredegar) erzählt, Samo habe eine Menge slavischer Frauen gehabt;
darauf begründet Schreuer (S. 47) die Hypothese, daß Samo sein Reich
durch Heiraten à la Przemysl-Lobussa erweitert habe!
Ueberhaupt geht Schreuer, anstatt lediglich das rein Zuständliche
aus dem Sageuinhalte herauszuheben, allzusehr darauf aus, das in ihr
enthaltene persönliche Element zu retten. Nicht nur bezüglich der
späteren Gestalten der Sage, wie betreffend Przemysl, Krak, Lubossa,
vermutet er einen historischen Kern, sondern sogar hinsichtlich der
Persönlichkeit des mythischen Stammvaters, des Bohemus oder Czech,
unter dem die Einwanderung erfolgt sein soll. Er meint nämlich, soviel
gehe aus der Sage mindestens hervor, daß die Einwanderung unter
einem Führer erfolgt sei; denn das Volk, so führt er aus, würde für
einen Vorgang dieser Art einen „Hauptakteur“ zu erdichten schwerlich
die Neigung gehabt haben, wenn diese Neigung „nicht — wenigstens
ideell — einen historischen Grund hätte, wenn sie nicht auf wirklichen
Erfahrungen beruhen würde“. Mit solchen Argumenten kann man jede
sagenhafte Ueberlieferung in die Sphäre beglaubigter historischer Tradition
rücken: wohl oder übel werden wir uns hier mit einem non ignoramus
begnügen müssen.
Die Ansichten Schreuers über die älteste Organisation des böhmischen
Volkes stimmen im wesentlichen mit denen überein, die ich früher über
die Urzustände bei den Westslaven im allgemeinen entwickelt habe 1).
Auch Schreuer nimmt an, daß über der Familie die Sippe, darüber
wieder der Gau oder Stamm (plewe) und endlich die Völkerschaft
(civitas) gestanden habe. Er hebt selbst (S. 70, Anm. 6) die hierin
zwischen ihm und mir herrschende Uebereinstimmung hervor, bemerkt
jedoch, ich hätte bei der Sippe „unrichtig von einem matriachalen
Gentilverbande“ gesprochen. In Wahrheit habe ich an der zitierten
Stelle unter Hinweis auf Leist, Schrader und Delbrück selbst betont,
daß von einer Existenz matriachaler Organisationsformen schon bei dem
indogermanischen Urvolk zur Zeit seiner Trennung nicht mehr die Rede
sein könne. Allerdings habe ich dabei der Meinung Ausdruck gegeben,
nicht ohne weiteres sei die Möglichkeit von der Hand zu weisen, daß
die Sippverbände ursprünglich in noch weiter zurückliegender Zeit
einen derartigen Charakter gehabt haben könnten; weit entfernt jedoch
bin ich, wie aus dem ganzen Zusammenhange hervorgeht, davon ge-
wesen, dies etwa gar für die slavischen Sippschaften für die Zeit des
Eintretens der Slaven in die Geschichte zu behaupten.
Wenn ich auch, wie bereits erwähnt, mit diesem Kapitel Schreuers
in den Grundzügen einer und derselben Ansicht bin, so doch nicht
1) Rachfahl, Die Organisation der Gesamtstaatsverwaltuug Schlesiens vor dem
30-jährigen Kriege. Leipzig 1894, S. 8.
es - -
Literatur. 85
immer in den Einzelheiten. Bereits in dem Abschnitte über die Familie
erscheint mir manches problematisch. Der Raub der BoZena durch den
Herzog Udalrich (S. 37) kann z. B. schwerlich als eine ,Raubehe* in
des Wortes technischer Bedeutung bezeichnet werden. Es handelt sich
doch hier nur um einen vereinzelten Fall des Raubes einer Ehefrau,
nicht aber um Frauenraub im Sinne einer universellen Form der Ehe-
schließung nach Recht und Sitte. Die relative Selbständigkeit der Frau
und eine ihr gebührende Unabhängigkeit der Rechtsstellung aus dem
Umstande zu schließen, daß Lubossa selbst den Gatten wählt und nach
geschlossener Ehe nicht hinter ihm verschwindet, ist sehr gewagt. Denn
selbst angenommen, daß gerade diese Momente der Sage historisch be-
gründet seien, so ist doch noch immer die Frage, ob und inwieweit man
solche Einzelvorgänge innerhalb der fürstlichen Familie ohne weiteres
zum Range allgemein beim Volke herrschender Zustände erheben darf.
Als einen ferneren Beweis für die Selbständigkeit der Frau in der Ur-
zeit führt Schreuer (S. 41 ff.) die bei Kosmas enthaltene Amazonensage
an. Ich halte seinen Versuch, „eine Lanze für sie zu brechen“, für
milglückt. Selbst wenn die Nachrichten über die „Amazonenzustände“
bei den Finnen richtig wären, so wäre damit noch kein Analogieschluß
auf die Existenz gleicher Verhältnisse in Böhmen gegeben, und auch
hier wieder ist der Umstand, daß Lobussa ihren Gemahl sich selbst
aussucht, in nicht höherem Grade beweiskräftig, als die vollends in der
Luft schwebenden Ausführungen Schreuers darüber, daß „erst der
deutschrechtliche Zug des Przemysl-samonischen Zeitalters ein strammeres
Männerrecht begründete“. Das sind Phantasien, die jeglicher realen
Basis ermangeln.
Sehr gering schätzt Schreuer die sogenannte , Hauskommunion* für
die alte böhmische Verfassung ein, und zwar mit Recht; eher hat er
dieser Hypothese, der insbesondere Meitzen zum Opfer gefallen ist,
noch zu große Zugeständnisse gemacht, so z. B. (S. 77) in der Be-
merkung über den Fürsten Tyro, der „in friedlichem Anschlusse, viel-
leicht sogar in Hauskommunion mit dem Tschechenfürsten gelebt habe“.
Schärferen Widerspruch muß ich gegen Schreuers Auslassungen über
die Sippe erheben. Gerade hier geht er in der Verwertung der Sage
viel zu weit. Mit Recht spricht er sich aus für die Identität der
böhmischen Sippe mit dem südslavischen brastvo; dagegen schließt er
sich dem Widerspruche gegen die Gleichsetzung des brastvo mit der
polnischen opole an, indem er dagegen anführt, daß diese, wie schon
der Name besage, ein lokaler Verband gewesen sei. Nun sind aber
Lokalverband und Sippverband keinesweg so sehr Gegensätze, wie
Schreuer annimmt. Die ursprünglich auf dem genealogischen Zusammen-
hang beruhende deutsche Sippe geht ja auch schließlich, wie man weiß,
in den räumlichen Verband der vieini über. Wir haben Nachrichten
über die opole erst aus der Zeit der endgiltigen festen Niederlassung;
die Sippe ist eben damals bereits zur opole, d. h. zum Verbande der
eircumsedentes oder vicini, geworden; wird doch in den Urkunden opole
lateinisch direkt durch das Wort vicinia wiedergegeben. Schon Roepell !)
1) Roeppell. Geschichte Polens. 1840, I, S. 86.
86 Literatur.
hat vermutet, daß die opole ein in die Urzeit hinaufreichender Verband
sei; wir wüßten auch in der Tat nicht, wo wir in späterer Zeit die
westslavische Sippe zu suchen hätten, wenn nicht in der opole der
Polen und in der osada der Böhmen. Die gemeinsame Erlegung des
Wergeldes ist die Funktion der opole, und dadurch wird ihr Charakter
als Sippverband außer allen Zweifel gestellt. Erklärt doch Schreuer
(S. 69) selbst: „Die Gesamtbürgschaft erscheint als verdinglichte Sippen-
haftung.“ Er ist also im Grunde durchaus unserer Auffassung, oder
zum mindesten weisen die Konsequenzen seiner eigenen Ausführungen
darauf hin.
Aus der bei Kosmas niedergelegten Stammessage läßt sich aller-
dings die Existenz der Sippe in Böhmen kaum beweisen. Das fühlt
auch Schreuer. Der Umstand, „daß Kosmas dieses Gebilde für sein
goldenes Zeitalter überhaupt nicht erwähnt“, verleitet ihn (S. 54) sogar
zum Urteile, daß für die Sagenzeit die Funktionen der Sippe „bedeutend
abzuschwächen seien“, und daß „besonders im goldenen Zeitalter die
Sippenorganisation sehr bröcklig gewesen sein müsse“. Er fügt hinzu:
„Solche Verhältnisse entsprechen aber auch nach neueren Forschungen
vollständig dem Zuschnitt des Hirtenlebens, wie es das goldene Zeitalter
aufweist“, indem er sich dabei auf eine Stelle des Buches von Große
über die Formen der Familie und der Wirtschaft (S. 132) beruft. Nun
müssen wir zunächst in Abrede stellen, daß die Böhmen jemals als
„Hirten“ in dem Sinne zu bezeichnen waren, wie ihn Große bei der
von Schreuer zitierten Stelle im Auge hat; nach der Großeschen Klassi-
fikation müßte man sie vielmehr für jene Zeit ais niedere Ackerbauer
ansehen. Im übrigen beweist das argumentum ex silentio, d. h. das
Schweigen des Kosmas über diesen Punkt, nicht das Geringste. Wenn
Kosmas und die Stammessage auch nichts von Sippschaftsverbänden be-
richten, so geht daraus doch noch nicht hervor, daß solche nicht
existierten oder nur eine sehr geringe Bedeutung hatten. Auch Schreuer
nimmt ja z. B. S. 27 an, daß freie Sippschaften gemeinsam Land okku-
pierten und den Wald ausbrannten, wodurch eine Art genossenschaft-
licher Feldmark geschatfen worden sei. Also schreibt doch auch er
schon für die Urzeit, oder um mich seines Ausdruckes zu bedienen, für
das „goldene Zeitalter“ den Sippen ursprünglich einen markgenossen-
schaftlichen Charakter zu; da davon in späterer Zeit nichts mehr zu
merken ist, müßte sich somit den Sippschaftsverband in der folgenden Ent-
wickelung eher abgeschwächt als verstärkt baben. Und noch andere
Gründe, die wir hier nicht näher erörtern können, machen diesen Entwicke-
lungsgang in der Tat wahrscheinlicher, als den umgekehrten. l
Alle die Stellen, sowohl aus Kosmas als auch anderen Quellen, die
Schreuer (S. 52 ff.) für die Existenz von Sippschaften in der alt-
tschechischen Zeit anführt, sind von problematischer Beweiskraft. Es ist
wohl in den bei Schreuer zitierten Stellen aus Kosmas, Canaparius,
Monach. Sazaw., sowie aus dem jus Conradi die Rede von parentes,
generatio, genus, gens, cognatio, proximi heredes; ob diese Ausdrücke
aber auf die Sippen der eigentlich volksmäligen Organisation zu be-
ziehen sind, ist mehr als die Fraxe. Es handelt sich, insoweit ich es
beurteilen kann, in diesen Fällen um Adelsgeschlechter, vorzugsweise
Literatur. 87
Geschlechter der alten Gaufürsten, und die haben mit den Sippen, in
denen das Gros der Bevölkerung zusammengefaßt war, nichts in der
Weise zu tun, daß sie einfach als Belege für deren Funktionen in der
historischen Zeit herangezogen werden könnten. Um solche große Adels-
geschlechter handelt es sich bei den Rivalen der Przemysliden, den
Slawniks und den Wrschowetzen, ebenso bei der gens Muncia und der
gons Tepca bei Kosmas I, 42. Von diesen letzten beiden wird gesagt:
„His urbes et populum ad regendum committas“; man sieht daraus, daß
diese gentes über den populus hervorragten. Die Witwe Pribizlawa,
auf deren cognatio Schreuer (S. 54, Anm. 15) hinweist, ist eine adlige
Grundherrin, und im jus Conradi ist lediglich davon die Rede, daß in
Ermangelung von Söhnen und Töchtern die hereditas auf die proximi
heredes übergehen soll, wobei durchaus nicht gesagt ist, daß als solche
die Sippe zu betrachten ist. Noch unzulässiger ist es, Vorgänge in der
regierenden Familie als Belege für die Funktionen und Geschichte der
volksmäligen Sippe heranzuziehen. Das tut Schreuer (S. 55), indem er
in Hinblicke darauf, daß im 11. Jahrhundert Wladowej von Polen, der
Sohn der böhmischen Prinzessin Doubrawka, die Herrschaft erlangte,
davon spricht, daß bei den Böhmen „der prinzipielle agnatische Cha-
rakter der Sippe mehrfach zurückgetreten sei“. Es bedarf keiner
uäheren Erörterung, daß derartige Thronfolgestreitigkeiten für das an-
gebliche Ringen des agnatischen und cognatischen Prinzips in der volks-
mäligen Sippenordnung nichts beweisen. Wie willkürlich Schreuer in
dieser Hinsicht vorgeht, erhellt daraus, daß er aus der Sage von der
Beratung Lobussas mit ihren Schwestern, ehe sie Przemysl zum Gemahle
erkieste, die Folgerung zieht, daß „auch schon in der Sagenzeit die Sippe
eine gewichtige Rolle spielte“ ! !
Das Kapitel, das sich mit den Wirtschaftsverhältnissen der Urzeit
beschäftigt, enthält eine Reihe richtiger und beachtenswerter Bemerkungen,
die das Problem der altböhmischen Wirtschaftsgeschichte zu fördern ge-
eignet sind. Sehr richtig ist (S. 23) die Negation des Körnerbaues,
wodurch die Peiskerschen Phantasien einer intensiven Pflugwirtschaft
in der altböhmischen Zeit in das gebührende Licht gesetzt werden,
ebenso die Erklärung des tributum pacis (S. 30 ff). Schreuer kommt
ebenda) zum Ergebnisse (wir halten es allerdings für verfehlt, diesen
Zustand als eine aus der angeblichen „Viehzüchterzeit“ herstammende
Entwiekelungsphase zu bezeichnen), es scheine, daß die Gaufürsten und
an ihrer Spitze das Herrscherhaus „den Grund und Boden... in seiner
Gesamtheit als ihr Eigentum zu betrachten geneigt waren und daran
mindestens eine Art Obereigentum zu behaupten wußten“. Es nähert
sich diese Ansicht dem, was sich über die Verhältnisse des Grund-
besitzes bei dem zweiten westslavischen Hauptvolke, bei den Polen,
konstatieren läßt. Hier besaßen die bäuerlichen Volksgenossen ihre
Grundstücke so, daß als der Eigentümer der Herrscher angesehen werden
mul, während den Bauern nur eine in dessen Belieben gestellte Nutzung
gebührte. Sogar die Tendenz zu einer Beschränkung des Besitzes der
Adligen durch den Herrscher ist (S. 33 ff.) bemerkbar. Das Problem
der Existenz von Gremeindewäldern, das Schreuer (S. 34 fi.) streift, be-
darf noch näherer Untersuchung. Ob die Dörfer, deren Namen die
88 Literatur,
patronymische Endung ic führt, als „freie Sippdürfer“ zu betrachten
sind (vgl. z. B. S. 29 und 33), ist doch nicht so sicher. In Polen haben
die Opolen, d. h. unserer Auffassung zufolge, die Sippschaften nicht je
in einem Dorfe gesessen, sondern in mehreren Dörfern verteilt; dennoch
finden wir auch hier Dörfer mit patronymischen Endungen. Es giebt
sogar Dörfer mit patronymischer Endung des Namens, die nicht, wenn
der Ausdruck erlaubt ist, auf altem Volkslande lagen, d. h. von Opole =
Bauern bewohnt, sondern auf herzoglichem Boden durch Rodung seitens
Unfreier des Herzogs neu angelegt waren; das Heinrichauer Gründungs-
buch gibt dafür Belege!). Schreuer zieht (a. O.) eine Urkunde aus dem
13. Jahrhundert heran, die seines Erachtens „deutlich den Uebergang vom
freien, gesippten Bauern in die Untertänigkeit zeigt“. Es handelt sich
dabei um eine Urkunde, in der der Abt von Ostrow den Bauern des
Dorfes Porezic die Genehmigung zu Veräußerung eines Grundstückes
gibt. Aber daß Porezic ursprünglich ein „freies Sippdorf“ ist, ist
lediglich eine Annnahme Schreuers auf Grund der patronymischen
Namensendung, und das scheint mir denn doch noch nicht zur Genüge
beweiskräftig. Der Abt erteilt seine Zustimmung sicherlich als Grund-
herr; wie er zu dieser Stellung gelangt ist, bleibe dahingestellt; die
Notwendigkeit seines Konsenses beweist jedenfalls, daß jene Bauern nicht
auf freiem Eigen saßen. Ob es ein solches nach Schreuers eigenen Aus-
führungen seit der Ausbildung der fürstlichen Gewalt wohl überhaupt
gegeben hat? Die Möglichkeit liegt immerhin vor, daß das Kloster
die Grundherrschaft über das Dorf entweder eigener kolonisatorischer
Tätigkeit auf ihm von vornherein gehörigen Terrain oder auch landes-
herrlicher Schenkung verdankt; eben deshalb ist die betreffende Ur-
kunde kein sicherer Beweis „für den Uebergang freier, gesippter Bauern
in die Untertänigkeit“.
Zum Schlusse noch einige Bemerkungen über einen Punkt, der
zwar nicht in das Gebiet der ältesten böhmischen Geschichte gehört,
den wir hier aber deshalb berühren können, weil Schreuer selbst ihn
heranzieht. Er erklärt, die älteste Organisation der wirtschaftlichen
Verhältnisse bei den Böhmen weise gewisse Aehnlichkeiten mit denen
der Germanen zur Zeit Cäsars auf: später stelle sich dagegen eine
Divergenz ein, da bei den Slaven nicht ein derartiger Fortschritt hin-
sichtlich der Entwickelung des genossenschaftlichen Prinzipes statt-
gefunden habe, wie er sich für die Germanen aus dem 26. Kapitel der
Germania des Tacitus ergebe. Im Zusammenhange damit gibt er (S. 28,
Anm. 34; vgl. dazu seine früheren Ausführungen in der Zeitschrift der
Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Bd. 19, Germ. Abt, S. 172 f)
eine Interpretation dieses Kapitels folgenden Wortlautes: ,1) agri.. ab
universis . . occupantur, ein Stück Landes wird von der Gesamtheit
behufs Landwirtschaft in Angriff genommen, also z. B. ausgebrannt.
2) Daraufhin wird es verteilt, mox secundum dignationem partiuntur.
3) Auf den verteilten agri erfolgt nun seitens der Losbesitzer das arva
mutare, so daß immer ein Stück des Loses brach bleibt.“
1) Vergl. z. B. daselbst S. 40: Glambo —- Glambowiez.
Literatur. 89
Schreuer bemerkt dazu, er gehe bei seiner Stellung zu diesem
Kapitel aus „von der regelrechten stylistischen Interpretation des Tacitus
und stimme „in der Hauptsache“ mit den neuerdings veröffentlichten
Ausführungen Müllenhotfs !) überein“. Beides darf billigerweise be-
zweifelt werden. Die Schreuersche Interpretation ist keineswegs „sty-
listisch regelrecht“ und weicht auch von der Müllenhoffs durchaus ab.
Denn sie läßt in ihrem ersten Teile den Ausdruck in vices, den Müller-
hoff mit guten Gründen (S. 365) verteidigt, fallen; Schreuer ist vielmehr
(vergl. Zeitschr. der Sayigny-Stiftung a. a. O. S. 172) geneigt, ab
universis vicinis oder ab universis vicis zu lesen. Nur unter der Vor-
aussetzung, daß die Lesart in vices unhaltbar sei, könnte die Auslegung
Schreuers als „stylistisch regelrecht“ anerkannt werden; diese Voraus-
setzung aber trifft nicht zu. Wäre schon hier eine Differenz zwischen
Schreuer und Müllenhoff zu konstatieren, so weiterhin eine zweite in
der Deutung des ersten Wortes der Stelle: „agri“. Nach Schreuer ist
unter agri das gesamte für den Ackerbau bestimmte Land zu verstehen,
nicht aber so nach Müllenhoff: bei ihm bedeutet ager das ganze Land,
„das unter den Pflug genommen werden könnte“, agri im Eingange
des Passus aber nur bestimmte Teilstücke des ager, z. B. das Norder-,
Süder-, Oster- oder Westerfeld; indem Müllenhoff an dem Ausdrucke
in vices festhält, bezieht er ihn nun auf den innerhalb eines längeren
Zeitraumes erfolgenden Wechsel zwischen diesen Teilstücken des ager:
es wird z. B. einige Jahre das Norderfeld unter jährlichem Wechsel der arva,
d.h. des jeweiligen Pfluglandes, beackert, oder auch vielleicht Norder- und
Süderfeld zugleich ; wenn der Boden dann erschöpft ist, so wird das Norder-
feld, falls es allein derart benutzt wurde, daß auf ihm der jährliche Wechsel
der arva stattfand, mit dem Süderfelde, falls Norder- und Süderfeld
zugleich in dieser Weise in Gebrauch waren, Norder- und Süderfeld
nit dem Oster- und Westerfelde vertauscht. „Stylistisch regelrechter“
ist unzweifelhaft die Müllenhoffsche Erklärung; sie leidet aber anderer-
seits daran, daß die Existenz solcher Teilstücke des ager, eines Norder-
us. w. Feldes, eine sonst quellenmäflig durchaus nicht beweisbare Ver-
mutung ist; es wird uns zugemutet, ihre Existenz und den angeblich
auf ihnen sich vollziehenden Wechsel lediglich aus dem Ausdrucke in
vices herauszulesen: das ist das alte System kunstvoller Interpretation
und nicht minder kunstvoller Aufeinanderbeziehung der einzelnen Aus-
drücke des Tacitus, das nur einen Fehler hat, daß man nämlich auf
diesem Wege niemals zu einem Ergebnisse gelangt, das man als über-
zeugend, geschweige denn als zwingend betrachten kônnte?). Auch von
1) Müllenhoff, Deutsche Altertumskunde, Bd. 4, 1900, S. 363 ff.
2) In Rücksicht darauf und auf Grund einer eingehenden quellenkritischen Analyse
der Stelle des Tacitus bin ich (in dieser Zeitschrift, Bd. 74, S. 177 ff.) dazu gelangt,
dieser den selbständigen Quellenwert abzusprechen und sie als ein Exzerpt aus Cäsars
Ausführungen über den Ackerbau bei den Germanen zu erklären. Dagegen haben sich
neuerdings Hübner in seiner Besprechung des neuen Bandes von Müllenhoff (Zeitschr,
der Savigny-Stiftung für Rechtsgesch. Germ. Abt. 21, S. 251 ff.) und Wittich („Die
Frage der Freibauern“, ebd., 22, S. 257 Anm. 2) ausgesprochen. Beide begnügen
sich damit, meine quellenkritische Analyse „nieht überzeugend" zu finden, ohne doch
den Versuch zu machen, eine bestimmte Lücke oder einen bestimmten Fehler in meiner
90 Literatur,
der Schreuerschen Auslegung kann dies nicht gesagt werden, und
so sind denn seine Bemerkungen über die anfängliche Aehnlichkeit
und die darauf folgende Abweichung zwischen der germanischen und
slavischen Wirtschaltsverfassung in der Urzeit mit Vorsicht aufzunehmen.
Wenngleich wir in einer Reihe von Punkten, zumal was die Ver-
wertung des Sageninhaltes anbelangt, nicht mit Schreuer übereinstimmen,
so ist seine Schrift doch unzweifelhaft eine beachtenswerte Vorarbeit
für eine künftige Darstellung der altböhmischen Verfassungsgeschichte.
Notwendig ist eine solche jedenfalls; die unerläßliche Vorbedingung
dafür ist freilich eine vollständige und kritische Ausgabe des alt-
böhmischen Urkundenschatzes, und ob diese Voraussetzung sobald in
Erfüllung gehen wird, steht dahin.
Argumentation zu konstatieren. Hübner verweist weiterhin auf die Ausführungen
Müllenhoffs (IV, S. 31 ff.), daß im allgemeinen Tacitus eine höhere Glaubwürdigkeit
verdiene als Cäsar, sowie auf dessen Interpretation von Kapitel 26 der Germania. Nun
bin ich der Ansicht, die ich hier freilich. nicht näher begründen kann, daß Müllenhoff,
was sein Allgemeinurteil betrifft, in der Kritik Cäsars zu weit geht und Tacitus über-
schätzt; aber selbst wenn er darin recht haben sollte, so wäre doch dadureh für die
spezielle Frage betreffend das 26. Kapitel noch nichts entschieden. Müllenhoffs Dar-
lezungen über dieses Kapitel können um so weniger als maßgebend für den heutigen
Stand der Forschung gelten, als sie ihrer zeitlichen Entstehung zufolge schon Jahrzehnte
zurückliegen, und als Müllenhoff selbst in seinen Ansichten mehrfach geschwankt hat.
Erklärt doch der Herausgeber Roediger (S. 370), daß die Formulierung des Textes hier
von ihm herrühre, und daß er dabei „den jüngeren Müllerhoff gegen den älteren in
Schutz genommen habe“. Daß das betreffende Kapitel Müllenhoffs veraltet ist, dafür
zeugt die vergleichende Heranzichung (S. 371 f.) der Ansichten Haxthausens über den
russischen mir und der Trierschen Gehöferschaften. Das vornehmste Argument, das
Hübner und Wittich gegen mich vorbringen, besteht darin, daß meine Ansicht ein
Attentat gegen die schriftstellerische Größe des Tacitus bedeute. „Es liegt in soleher
Auffassung", so sagt Hübner, „ein Mangel an Verständnis für die Größe des Tacitus,
für seinen schriftstellerischen Rang, der eine richtige Verwendung seiner Nachrichten
unmöglich macht.“ Und in demselben Sinne äußert Wittich: „Warum sollen wir dem
Schriftsteller, dem wir ein einzigartiges, in manchen Zügen noch heute zutreffendes Bild
deutschen Lebens verdanken, gerade in diesem wichtigen Punkte, wo er doch ein im
ganzen durchaus glaubhaftes Bild giebt [??], gar keinen Glauben schenken?“ — Bei
solchen Aeußerungen handelt es sich weniger um Argumente, als um Gefühlseindrücke,
zumal da trotz Müllenhoff das letzte Wort in der ganzen Germaniafrage noch nicht ge-
sprochen ist. Wittich schließt seine Erörterungen gegen mich mit den Worten: „Meiner
Ansicht nach werden die Nachrichten des Tacitus über den Ackerbau der Germanen
trotz der abfälligen Beurteilung Rachfahls nach wie vor die Grundlage und den Aus-
gangspunkt für alle Untersuchungen bilden.“ Ich kann darauf nur erwidern: Monströs
und unklar wird der Passus des Tacitus über die germanische Agrarverfassung immer
bleiben, ob man ihn nun, wie ich, als Lesefrüchte aus Cäsar, oder als originale
Schilderung ansehen wird, und im letzteren Falle wird „nach wie vor“ jedermann das
daraus lesen, was ihm behagt. Das beste Beispiel bietet dafür Wittich selbst: liest er
doch aus eben dieser Stelle, indem er, einen Gegensatz zwischen universi und cultores
statuierend, jene als Eigentümer resp. Grundherren, diese als grundhörige Zinsleute er-
klärt, eine Bestätigung seiner grundherrlichen Theorie heraus! Auch in der 4. Auflage
von Schröders Rechtsgeschichte S. 56, Anm. 4 findet sich gegen meine Auffussung
zwar ein heftiger Widerspruch unter Berufung auf Tacitus als den „größten Geschichts-
schreiber Germaniens“ [sie!], aber keine Widerlegung.
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——
D
Uebersieht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 91
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Huber, F. C., Deutschland als Industriestaat. Stuttgart 1901.
Die Handelsvertrags- und Zollpolitiklitteratur der letzten Jahre ist
bereits außerordentlich stark angeschwollen. Wir haben allein aus den
Jahren 1900—1902 mehr als 60 Arbeiten bekannterer volkswirtschaft-
licher Autoren gezählt. Naturgemäß zerfallen diese sämtlichen Schriften
in drei Hauptkategorien, in die hochschutzzöllnerischen, die antihoch-
schutzzöllnerischen und die mehr oder weniger in der Mitte liegenden.
Bezeichnenderweise gibt es nur wenig namhafte Volkswirte, die sich
offen zu dem Standpunkt völliger Handelsfreiheit und gegen alle Schutz-
zölle bekennen. Die meisten freihändlerisch gesinnten oder angehauchten
Volkswirte sind schon zufrieden, wenn der jetzige status quo der Zölle
erhalten bleibt, die für Brotgetreide den doch immerhin nicht ganz un-
beträchtlichen Satz von ca. 30 Proz. des Preises erreichen. Das ist
ein sehr erheblicher Schutz der nationalen Arbeit. Männer, die einen
Schutzzoll bis zu einem Drittel des Preises der betreffenden Waren zu
bewilligen geneigt sind, sind denn doch wohl alles andere als „Vater-
landsfeinde, die die Geschäfte des Auslandes besorgen“, sie sind ja
eigentlich gar nicht Freihändler im strengen Wortsinne, sondern sie
legen nur das Hauptgewicht auf die „Selbsthilfe“, im Gegensatz zu dem
übermäßigen Verlangen nach „Staatshilfe“ — also doch gewiß ein sehr
gesunder Standpunkt.
Der Kernpunkt der Frage liegt in letzter Linie in dem Problem
beschlossen: Ist das Hochschutzzollsystem ein geeignetes
Rüstzeug für die Zukunft Deutschlands, die bekanntlich
auf dem Wasser liegen, d. h. in der friedlichen Eroberung der Welt
durch deutsche Geistes- und industrielle Erzeugnisse bestehen soll?
Reit sich Industrialisierung und Weltpolitik einerseits und gegen-
seitige Absperrung durch hohe Schutzzölle andererseits zusammen?
Oder liegt es etwa gar im wahren Interesse Deutschlands und seiner
Landwirtschaft, die Industrialisierung aufzuhalten, ist es besser, vom
Industriestaat wieder zum Agrarstaat zurückzukehren ?
Das sind Fragen, mit denen sich Huber eingehend beschäftigt. Er
kommt, wie nicht anders zu erwarten, auf Grund umfangreichen
Statistischen Materials zu dem Schluß, daß Deutschlands Industrialisierung,
` e mm
BIT
92 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
namentlich im Westen und einzelnen anderen Industriezentren, bereits
zu weit fortgeschritten ist, als daß man zur alten merkantilistischen
Absperrungs- und Gewaltpolitik, zum reinen Agrarstaat, zurückkehren
könnte. Auch für die Landwirtschaft bedeute die Industrialisierung die
einzige und dauernde Hilfe. Nicht industrielle Abrüstung, sondern
Industrialisierung des Ostens! Keine Absperrungspolitik, sondern immer
innigere Verflechtung mit dem Weltmarkt, die auch zugleich eine der
stärksten Garantien für den Weltfrieden bildet! — Hubers Buch ist
weniger als Streitschrift angelegt; seine Bestimmung ist vielmehr eine
Klärung und Aufhellung dieser oben angedeuteten Probleme durch
Herbeibringung eines reichen Tatsachenmaterials. Mit dem festen Blick
auf das große Ganze geht Huber unbeirrt auf das „Endziel“ der Ent-
wickelung los, als welches er den Industriestaat erkannt hat. Auf die
Einzelheiten des wogenden Kampfes, insbesondere die streitige Zoll-
höhe der einzelnen Artikel, läßt er sich daher nicht ein. Aber die ganze
Konsequenz seiner Ausführungen ist die Verwerfung hoher Zölle und
die Herstellung eines möglichst erleichterten internationalen Waren-
austausches.
Namentlich eine Frage, die erst nach dem Erscheinen des Huber-
schen Buches in den Vordergrund der Diskussion gerückt ist, ist es,
die die Freunde und Verehrer von Prof. Huber gern von ihm be-
antwortet gesehen hätten: Ist in Anbetracht der riesenhaft anschwellen-
den industriellen Produktion Amerikas und seiner außerordentlichen und
stetig zunehmenden Produktionsverbilligung eine Verteuerung der
Produktion, wie sie hohe Schutzzólle, namentlich Lebensmittelzölle,
im Gefolge haben müssen, oder vielmehr umgekehrt eine Verbilligung
der Produktion und der Produktionsmittel in Deutschland
am Platze? Das ist unseres Erachtens der Brennpunkt des ganzen
Zoll- und Handelsvertragstreites. Wenn die Konkurrenzländer, nament-
lich die Vereinigten Staaten von Amerika, unterstützt durch eminente
Hilfskräfte, wie auch durch höchste Ausbildung der Arbeitsteilung und
Spezialisierung und weitgehendste maschinelle Ausrüstung, auf eine
stetige Verbilligung der Produktion unter gleichzeitiger Steige-
rung der Löhne und Verbesserung der Lebensverhältnisse der arbeiten-
den Bevölkerung hinwirken, kann da für den Praktiker eine künstliche
Erhaltuug teuerer Produktionsformen, die Vergeudung von Arbeit und
Kapital, ernstlich noch diskutierbar sein? Die einzige Möglichkeit
für Europa, von dem stetig stärker werdenden Wettbewerb der
von der Natur so verschwenderisch ausgestatteten Vereinigten Staaten
nicht erdrückt zu werden, ist daher — abgesehen von einer möglichst
nahen Zollvereinigung der europäischen Staaten — die möglichste Ver-
billigung und ökonomische Gestaltung der Produktion auf alle Weise,
womit aber eine künstliche Verteuerung aller Preise und Produktions-
mittel, insbesondere des Grund und Bodens, nicht vereinbar wäre. Die
künstliche Verteuerung unserer Produktion durch übermäßige Schutz-
zölle, namentlich auf Lebensmittel, wird Amerikas wirtschaftliche und
politische Suprematie nur beschleunigen. Unsere Hauptkonkurrenten,
die Vereinigten Staaten von Amerika und England, haben entweder
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 93
keine!) Lebensmittelzölle, oder sie werden doch, wie in den Vereinigten
Staaten — als Exportland — nicht wirksam, und in Frankreich geht der
ganz überwiegende Teil des Weizens bekanntlich zollfrei ein. Möge
man bei uns über diese wichtige Frage, von deren richtiger Lösung
unserer Ueberzeugung nach Deutschlands Zukunft zum großen Teil ab-
hängt, nicht leichtherzig hinweg gehen! J. Wernicke.
Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands. Her-
ausgegeben im Auftrage des „Deutschen Verbandes für das kaufmänn-
ische Unterrichtswesen“. Bd. 1. Leipzig 1901.
Ein vorwiegend nicht von theoretischen Gelehrten, sondern von
wissenschaftlich durchgebildeten Praktikern geschriebenes Handbuch
für den Unterricht an den höheren kaufmännischen Schulen! Mit
einiger Spannung wird mancher das Buch in die Hand genommen
haben, noch dazu, da es gegenüber den bisherigen Hand- und Lehr-
büchern der Nationalökonomie etwas Neues bieten will, einen ergänzen-
den Teil zu den bisher üblichen beiden Teilen, dem theoretischen und
dem praktischen, eben die Wirtschaftskunde.
Ursprünglich war die Absicht, mit der Herausgabe dieses Hand-
buches eine bestehende Lücke für den sogenannten handelsgeographischen
Unterricht auszufüllen. Es sollte ein systematisches Hand- und Lehr-
buch der Handelsgeographie werden. Bei der Weiterverfolgung dieser
Idee stieß man aber bald auf die größten Hindernisse, da es sich her-
ausstellte, daß die dazu erforderlichen litterarischen Vorarbeiten größten-
teils noch fehlten.
Aus diesem Grunde mußte die ursprüngliche Idee zunächst fallen
gelassen und vorerst in einer Reihe von Einzelmonographien der große
und meistens noch nicht bearbeitete Stoff zusammengetragen werden.
Vor allen Dingen aber mußte man sich erst über die Bestimmung
und Abgrenzung des Stoffes klar werden, Der Gegenstand der Dar-
stellungen sollte die praktische Seite des Wirtschaftslebens, die kon-
kreten Grundlagen der Volkswirtschaft sein, die man in den Kreisen
der Handelsschulen mit dem allerdings nicht zutreffenden, weil nur von
einem einzigen Teile des Stoffes entnommenen, Namen „Handels- oder
Wirtschaftsgeographie“ belegt. Der Name , Wirtschaftskunde“ dagegen
trifft den Kern der Sache, denn es handelt sich hierbei um die Be-
schreibung der einzelnen Elemente der Volkswirtschaft, wie der geo-
graphischen, geologischen, klimatischen, pflanzlichen, tierischen und Be-
völkerungsverhältnisse; ferner der einzelnen Zweige der Volkswirtschaft,
der einzelnen Gewerbe und Erwerbszweige in ihrem Verhältnis zuein-
ander und in ihrer geschichtlichen Entwickelung. Es ist ungefähr das-
selbe Stoffgebiet, dessen Aussonderung aus den beiden üblichen Teilen
der Nationalökonomie und dessen Erweiterung und Vertiefung seit
Jahren bereits die österreichische Schule unter dem aus der Natur-
1) England hat bekanntlich im vorigen Jahre einen niedrigen Finanzzoll für Ge-
treide ete, eingeführt, der zugleich auch als Kompensationsobjekt gegenüber den Kolonien
dienen soll. D, O
— Bü À ——n Ga — ?M— —— eee
94 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wissenschaft entnommenen Namen der wirtschaftlichen Morphologie ver-
langt hat. Da indes dieses Wort sich nicht durch Wohlklang ausge-
zeichnet und andererseits auch eigentlich eine weit engere Bedeutung
hat — Gestaltenkunde — so ist die Bezeichnung ,Wirtschaftskunde*
ibm weit vorzuziehen und als durchaus glücklich gewählt anzuerkennen.
Der vorliegende I. Band mit einem Vorwort von Regierungsrat
Dr. Stegemann, Braunschweig, und einer Einleitung von Dr. Lehmann,
Aachen, enthält zunächst eine allgemeine Beschreibung des Landes nach
seiner Lage, Bodenbeschattenheit, seinem natürlichen Reichtum und
seinen Vorbedingungen für Landwirtschaft, Industrie und Handel; und
sodann eine Darstellung der Bevölkerungsverhältnisse des Deutschen
Reichs nach örtlicher Verteilung, sozialem Aufbau und allgemeinen Er-
werbsverhältnissen.
Auf Einzelheiten in den verschiedenen Abhandlungen einzugehen,
müssen wir uns an dieser Stelle versagen. Dagegen können wir mit
lebhafter Befriedigung das Gesamturteil fällen, daß, soweit der I. Band
das erkennen läßt, das Handbuch sein ihm gestecktes Ziel erreichen
wird. Die Grundelemente der Volkswirtschaft sind im I. Band mit
Geschick, Klarheit und Ausführlichkeit zur Darstellung gelangt; jeder
Lehrer der Wirtschaftswissenschaften wird dieses Handbuch mit Vor-
teil für seine Vorträge benutzen können. J. Wernicke.
Seligman, Edwin R. A, The Economie Interpretation of History.
New York and London (Macmillan) 1902. 166 SS.
Das Buch ist eine Zusammenfassung von Artikeln, die der Vert.
im Political Science Quarterly hatte erscheinen lassen. Der Titel ist
etwas irreführend, indem der Leser an das gleichbenannte Buch Thorold
Rogers erinnert wird und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen er-
wartet. Seligman dagegen beschäftigt sich mit der materialistischen
Geschichtsauttassung, die er auf das richtige Maß zurückgeführt wissen
will, d. h. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse, jedoch
mit voller Anerkennung der übrigen Faktoren der geschichtlichen Ent-
wickelung. Verf. giebt eine historische Darstellung und Kritik der
materialistischen Geschichtsauttassung. Beides ist um so nötiger, als
außerhalb Deutschlands die Kenntnis derselben sehr mangelhaft ist und
Marx’ bei uns längst bekannte Theorien dort noch immer neu „ent-
deckt“ werden, wofür Verf. interessante Belege gibt. Leider ist die Be-
handlung des Stoffes nicht gleichmälig. Die ersten beiden Kapitel, die
sich mit den Vorläufern Marx’ in der materialistischen Geschichts-
auffassung beschäftigen, sind etwas kurz gehalten. Doch entschädigt
hierfür das Folgende durch große Klarheit und Anschaulichkeit. Ein
besonderer Vorzug ist die gleichmäßige Beherrschung der englisch-
amerikanischen wie der deutschen Literatur.
Halle a. S. Georg Brodnitz.
Abhandlungen, volkswirtschaftliche, der Badischen Hochschulen, herausgeg. von
Carl Joh. Fuchs, Karl Rathgen, Gerh. v. Schulze-Gävernitz, Max Weber. Bd. VI,
Heft 3. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1902. gr. 8. (Inhalt: Arth. Blaustein, Die Ent-
stehung der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung im deutschen Sattlergewerbe. VI—
159 SS. mit Tabellen. M. 3,60.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 95
Gierke, O., Das Wesen der menschlichen Verbände. Rede, bei Antritt des Rekto-
rats am 15. X. 1902 gehalten. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. 36 SS.
X. 1—.
Lahn, J. J. O., Der Kreislauf des Geldes und der Mechanismus des Soziallebens.
Mit einem Vorwort von (Prof.) Adolf Wagner. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht,
1902, gr. 8. Mit einer Karte in Farbendruck, geb. M. 6.—.
Sammlung nationalókonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissen-
schaftlichen Seminars zu Halle a/S., herausgeg. von (Prof.) Joh. Conrad. XXXV. Bd.
Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. (Inhalt: Voye, Ernst, Ueber die Höhe der verschiedenen
Zinsarten und ihre wechselseitige Abhängigkeit. Die Entwickelung des Zinsfußes in
Preußen von 1807 bis 1900, 95 SS.)
Anseele, Ed., La coopération et le socialisme, Gand, Société cooptrative „Volks-
drukkerij“, 1902. 12. 29 pag. fr. 0,50.
Lassalle, Ferd., Discours et pamphlets, trad. de l'allemand, par Dave et Rémy.
Paris, Giard & Brière, 1903. 8. 364 pag. fr. 3,50.
MeaeBb, A. A., Hero oxuarb ;keuuunrb orb coniauuMa? Stuttgart, J. H. W.
Dietz Nachf., 1903. gr. 8. 23 pp. (Was haben die Frauen vom Sozialismus? von
A. A. Issaieff.)
de Amicis, Ugo, L’anormalitä dell’ altruismo. Torino-Ciriè, tip. R. Streglio
& C, 1902. 8. 17 pp. 1. 0,50.
Desehanel, Paolo, Il socialismo agrario. Traduzione. Torino, fratelli Bocca,
1902, 8. 120 pp. 1. 2.—.
Nebbia, P., Il trionfo del socialismo. Cronistoria d'un compagno. Milano, tip.
A. Koschitz & C., 1902. 12. 63 pp. 1. 0,50. :
Scorpio, B. (avvocato), Dello Stato nella storia, nella dottrina nelle funzioni.
Santamaria C. V., tip. F. Cavotta, 1902. 8. 1109 pp. 1. 10.—. (Indice: Introduzione.
— Indagini critiche: Stato autoritario monarchico ; Stato politarchieo. — Stato democratico,
— Stato demagogieo. — Stato anarchico e nihilistico. — Stato idenlistico ed utupistico,
— Stato. transattivo e moderno, — Stato socialistico. — Dello Stato funzionale auto-
ritario.)
Zorli, Alberto, Primi principi di economia sociale descrittiva e teoretica. To-
rino, fratelli Bocca, 1902. 8. 347 pp. 1. 3.—.
Treub, M. W. F., Het wijsgeerig-economisch stelsel van Karl Marx. Deel I.
Amsterdam, Scheltema & Holkema, 1902. 8. fl. 11.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Oppel, O., Die Baumwolle nach Geschichte, Anbau, Verarbeitung
und Handel, sowie nach ihrer Stellung im Volksleben und in der Staats-
wirtschaft. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1902. gr. 8°. XV, 745 SS.
Mit 236 Karten u. Abbild.
Das Werk ist im Auftrage der Bremer Baumwollbörse zur Eróff-
nung ihres Monumentalbaues in dieser Handelsstadt geschrieben und
muß selbst als ein gewichtiger Denkstein der Handelsgeschichte be-
zeichnet werden. Verf. hatte auf seiner wirtschaftsgeographischen Reise
durch die Vereinigten Staaten 1808 gerade der Baumwolle besondere
Aulmerksamkeit gewidmet und hat nach seiner Rückkehr wohl die ge-
samte Literatur über die Baumwolle in sein Buch hineingearbeitet.
In zwei große Abteilungen ist der Stoff geschieden, einen allge-
meinen und einen lünderkundigen Teil.
Das erste Kapitel gibt eine Geschichte der Baumwolle im Ueber-
blick, ihm folgt die Beschreibung der Baumwolle als Pflanze, in Anbau
wie Ernte; nun wird die Entwickelung und Beschaffenheit der Daum-
wolliaser vorgeführt, wir werden mit den Nebenprodukten des Gewächses
bekannt gemacht, es schließt sich der Handel mit der Rohbaumwolle
— ET EEE dh das >,
e — De
—
96 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
an, die Verarbeitung der Baumwolle füllt das siebente Kapitel, der
Handel mit den Fabikraten folgt naturgemäß. Die Baumwolle im Völker-
leben und in der Staatswirtschaft beschließt diesen allgemeinen Teil.
Als Hauptmomente seien aus demselben folgende Punkte mitgeteilt.
Die Baumwolle vermag auf eine fast 3000-jährige Geschichte zurückzu-
blicken. Als Ursprungsland der Baumwollkultur ist aller Wahrschein-
lichkeit nach Indien anzusehen; ebendaselbst wurden die Fasern wohl
auch zuerst verarbeitet. So zweifelhaft auch die Verhältnisse für die
älteren Epochen sich gestalten mögen, so geht doch aus den Ueber-
lieferungen und Nachrichten mit Bestimmtheit hervor, daß noch in den
letzten Jahrhunderten der vorchristlichen Aera die Baumwolle bis an
die Gestade des Mittelmeeres gelangt war. Die Araber verbreiteten
vor allem Anbau wie Verarbeitung der Baumwolle. In China war sicher-
lich dieser Faserstoff in verhältnismäßig früher Zeit bekannt, wenn auch
der Anbau erst viel später einsetzte.
Höchst interessant sind die Märchen des Mittelalters vom soge-
nannten Pflanzenschaf oder der Schafspflanze; diesen Barometz dachte
man sich als ein doppellebiges Wesen, das zugleich ein wirkliches Tier
und eine Pflanze sei; er galt als die Frucht eines Baumes, der aus
einem Samen wie dem einer Melone oder eines Kürbis entstünde; bei
der Reife springt die Frucht auf und zeigt ein kleines Lamm, welches
dann geschoren wird.
Der Ausgangspunkt für die Verbreitung der Baumwolle nach West-
und Nordeuropa ist Italien mit seinem Genua und Venedig anzusehen;
in Deutschland finden wir die Verarbeitung der Baumwolle bereits zu
Anfang des 14. Jahrhunderts erwähnt; von Ulm aus kam die Barchent-
weberei nach Augsburg, Chemnitz, Plauen; auch die rheinischen Städte
verarbeiteten damals bereits die Baumwolle. Sicher war ausgangs des
Mittelalters und bei Beginn der Neuzeit Deutschland das wichtigste
Land Europas für die Verarbeitung der Baumwolle wie des Handels mit
daraus gefertigten Stoffen. Seitdem hat sich England dieses Geschäfts-
zweiges bemächtigt.
Die Entdeckung Amerikas war für die Baumwolle von höchster
Bedeutung, nicht sowohl dadurch, daß man die Pflanze und Fabrikate
aus derselben bereits vorfand, sondern vielmehr, weil sie hier die größte
Verbreitung erhielt und darin ihr Ursprungsland Indien bald bei weitem
übertraf; freilich vollzog sich dieser Umschwung der Verhältnisse aller-
dings erst im Laufe des 19. Jahrhunderts.
In England wurde dann im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Saeculums
die mechanische Weberei erfunden, mil der Einführung der Dampfkraft
riß Großbritannien die Leitung der Baumwollenverarbeitung an sich und
damit begann für Albion die Aera seiner industriellen wie kommerziellen
Weltmacht. Jetzt ist wohl Australien der einzigste Erdteil, wo die
Maschinenarbeit auf dem Gebiete der Baumwollenverarbeitung fremd
ist, da kürzlich auch in Aegypten eine große Spinnerei gebaut wurde.
Die Baumwolle gehört zu den malvenähnlichen Gewächsen; bota-
nisch heißt sie Gossypium; sie ist, wie alle Kulturgewächse, ungemein
varietätenreich. Selbstverständlich haben die Unterarten ungleichen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 97
Wert. Während die einen Gelehrten es bis zu 58 Formen bringen,
nimmt man andererseits 5 Grundarten an mit mancherlei Variierungen.
Die Baumwolle braucht zum Gedeihen Sonne, viel Wärme und tiefen
Boden, ohne Steine und Felsen; schroffe Temperaturgänge sind ihr
schädlich. Ihr bestes Fortkommen findet sie in denjenigen Flachländern,
welche während der im Durchschnitt 6 Monate dauernden Wachstums-
zeit eine mittlere Wärme von 18—26° C, keine anhaltende Regenzeit,
wohl aber ausreichende Feuchtigkeit besitzen. Auf der nördlichen Erd-
hälfte bildet im allgemeinen der 40. Breitengrad die Nordgrenze des
Baumwollenbaues; in Europa dringt er ein gutes Stück nördlicher
vr. Auf der südlichen Hemisphäre endet die Gossypium-Kultur viel
früher.
Die zum Anbau der Baumwolle benutzten Bodenflächen lassen sich
zahlengemäß nicht genau angeben. Immerhin erfahren wir, daß bei-
spielsweise 1900/1901 in den Vereinigten Staaten als höchsten Betrag
bisher 10 Millionen ha mit Gossypium bestanden waren, d. h. eine
Fläche, welche Bayern, Württemberg nebst dem Großherzogtum Hessen
glechkommt. Als Maximum für Britisch-Ostindien werden 7 Millionen
ha verzeichnet, für Aegypten beträgt die Zahl nur 540000 ha, Japan
ist mit 60 Mille beteiligt und Russisch-Asien soll 200000 aufweisen.
Als Maximalziffern rechnet Oppel 18000000 ha heraus, als Mittelzahl
will er etwa 16 Mille betrachtet wissen.
Aebnlich ergeht es mit den Ernteerträgen. Eine Zusammenstellung
der Mittelzahlen für 1891—99 ergibt 3260,8 Millionen Kilo, welche
sich folgendermaßen verteilen:
Vereinigte Staaten 62,5 Proz. Japan 0,4 Proz.
Ostindien 16,8 5 Persien 69^ 5
China 259! 5 Peru 0,1 »
Aegypten 73 » Cochinchina 0,06 ,,
Uebriges Afrika SC. e Australien 0,06 »
Russisches Asien Lg 26 Griechenland 0,04 »
Mexiko 19 5 Columbien 0,02 „
Brasilien QU ` Le Italien 0,02 „
Türkei DA Westindien 0:01: z
Die mittleren Erträge kommen nach zwei Richtungen in Betracht:
einmal handelt es sich darum, festzustellen, wieviel Saatbaumwolle auf
einer bestimmten Fläche gewonnen wird, dann aber, wieviel Fasern ein
bestimmtes Quantum Saatbaumwolle liefert. Namentlich die erste Ziffer
ist starken Schwankungen unterworfen. In den Vereinigten Staaten
rechnet man einen Mittelwert von 183 Pfd. Ertrag für den Acre heraus,
Louisiana lieferte mit 373 Pfd. den höchsten Jahresertrag, Alabama mit
110 den niedrigsten.
Noch in den ersten 3 Jahrhunderten der Neuzeit war der Baum-
wollenhandel nicht groß; neben Zucker, Seide, Gewürzen nahm die
Baumwolle eine bescheidene Stellung ein. Die gesamte durch den da-
maligen Handel bewegte Menge dürfte nicht viel mehr als 60 Millionen
Pid. oder 300000 heutige amerikanische Ballen betragen haben im Werte
von etwa 72 Mille Mark. Seit 1800 hatte England unter den Einfuhr-
ländern den ersten Rang erreicht und ständig behauptet. Sein Import
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). ti
98 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
zeigte ein stetiges und fast gleichmülliges Wachsen. 1835 wurde die
erste Million Ballen erreicht, 17 Jahre später die zweite, und 1860 bereits
die dritte erzielt.
Von der Gesamtausfuhr entfielen auf:
die Ver. Staaten Brasilien Mittelmeer Westindien Ostindien
Proz. Proz. Proz. Proz. Proz.
1835 70,0 13,1 4,0 2,1 10,8
1852 76,0 6,1 8,1 0,5 4,3
1860 76,8 3,0 3,2 0,3 16,7
Neuerdings — der amerikanische Bürgerkrieg hatte manche Verände-
rungen im Baumwollenhandel wie im Anbau dieser Pflanze gezeitigt —
haben fast alle europäischen Länder Fortschritte in der Baumwolleneinfuhr
gemacht. Der gesamte Mehrbedarf, wenn man 1890/91 und 1899/1900
miteinander vergleicht, wird für das festländische Europa zu 336 000 000
Pfd. beziffert! Der Bedarf der modernen Industrie an Baumwolle wird
auf 13,86 Millionen Ballen zu 500 Pfd. netto geschätzt. Man hat be-
rechnet, daß gegenwärtig in jeder Woche über 133 Millionen Pfd. ver-
sponnen werden, das gibt täglich über 22 Millionen Pfd.
Leider können wir auf Einzelheiten nicht näher eingehen, nur noch
einige Worte über die Baumwolle in der Staatswirtschaft hinzuzufügen.
Der Rohstoff unterliegt außer in Rußland in Europa keinem Ein-
gangszoll; mit Ausnahme von England werden aber alle daraus herge-
stellten Erzeugnisse beim Eingang besteuert. Spanien verlangt nächst
Rußland die höchsten Sätze.
Folgende Tabelle mag einen Einblick in die Zölle geben bei
100 kg:
Glatte rohe Bedruckte
Garn Seeche Spitzen
M. M. M. M.
Spanien 203,30 258,20 274,75 929,30
Rußland 90,90 394,10 505,55 2745,45
Oesterreich-Ungarn 23,80 54,40 102,00 382,50
Italien 22,70 50,95 99,15 481,45
Frankreich 19,30 66,10 94,80 344,25
Deutschland 15,30 68,00 102,00 297,50
Noch mancherlei ließe sich hier anführen, doch ist der zugeteilte
Raum zu Ende: aber allseitig sei das Werk empfohlen, der National-
ökonom wie der Statistiker, der Kaufmann wie der Privatmann wird
viel aus dem Buche lernen können. Ernst Roth.
Brandt, Otto, Studien zur Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte
der Stadt Düsseldorf im 19. Jahrhundert. Düsseldorf 1902. VI, 435 SS.
Die unter vorstehendem Titel veröffentlichte Schrift des Geschäfts-
führers der Düsseldorfer Handelskammer verdankt ihre Entstehung einem
im Mai 1901 erteilten städtischen Auftrage, welcher auf die Darstellung
der Geschichte der Düsseldorfer Stadtverwaltung in den letzten 30 Jahren
abzielte. Wenn der Verf. anfangs Bedenken getragen hatte, als ein der
städtischen Verwaltung Fernstehender den Auftrag zu übernehmen, so
hat er durch die Art, wie er sich seiner entledigte, das geschenkte Ver-
trauen in vollem Maße gerechtfertigt. Die Leistung verdient um so mehr
|
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 99
Anerkennung, als die für die Ausführung gesetzte einjährige Frist über-
aus kurz bemessen war, besonders wenn man berücksichtigt, daß die
erforderliche Muße einer reichlich bemessenen Berufsarbeit abgerungen
werden mußte. Es ist begreiflich, daß unter solchen Umständen der
Verf. keine erschöpfende, alle Zweige gleichmäßig berücksichtigende
Darstellung bieten konnte, vielmehr sich damit begnügen mußte, seinen
Gegenstand in großen Umrissen zu zeichnen und wenn er auch alles
berührte, doch nur einigen Verwaltungszweigen eine eingehende Dar-
stellung angedeihen lassen konnte. Die Rücksicht auf diese Umstände
war es auch, die ihn bestimmte, für seine Arbeit den bescheideneren
Titel „Studien“ zu wählen.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in dem verwaltungsgeschichtlichen
Teile, dem fast zwei Drittel des Anfanges gewidmet sind. Um für das
Verständnis der Verwaltungsgeschichte die notwendige Grundlage zu
gewinnen, ist eine Darstellung der Wirtschaftsgeschichte Düsseldorfs
seit Anfang des 19. Jahrhunderts vorausgeschickt. Ausgehend von den
Zuständen der Stadt zu Anfang des 19. Jahrhunderts, wo sie nur erst
12000 Einwohner zählte und in wirtschaftlicher Beziehung weit zu-
rückstand hinter so mancher Nachbarstadt, der sie gegenwärtig eben-
bürtig ist, schildert der Verf. die Entwickelung des Verkehrs, ins-
besondere die Rheinschiffahrtsverhältnisse, denen vor dem Aufkommen
der Eisenbahnen eine ausschlaggebende Bedeutung zukam, sowie den später
einsetzenden Eisenbahnverkehr, auch das Post- und Telegraphenwesen,
alles mit besonderer Rücksicht auf den Anteil Düsseldorfs. In gleicher
Weise entwirft er ein Bild von dem allmählichen Aufblühen von
Handel und Industrie in Stadt und Umgegend und von ihrer eigen-
artigen Gestaltung. Der Schluss des wirtschaftsgeschichtlichen Teiles ist
der Erörterung der zukünftigen Aufgaben Düsselsdorfs auf dem Gebiete
der Wirtschaftspolitik gewidmet, wobei besonders des Kampfes zwischen
Eisenbahn und Wasserstraße gedacht wird und seiner Bedeutung für
die Verhältnisse der Stadt. Von den neuen Kanälen des Westens er-
wartet der Vert, um dies hier zu bemerken, für diese nur nachteilige
Folgen, ohne im übrigen diesen Wasserstraßen und ihrer allgemeinen
Bedeutung damit zu nahe treten zu wollen.
Der anschließende verwaltungsgeschichtliche Teil wird eingeleitet
durch eine Schilderung der Bevölkerungsentwickelung während des
ganzen 19. Jahrhunderts, während er im übrigen sich auf die 30 Jahre,
1870—1900, beschränkt. Zu den eingehender behandelten Verwaltungs-
zweigen gehört vor allem derjenige, welcher sich auf die Bebauung des
Bodens bezieht. Außer durch eine Statistik der Boden- und Häuser-
preise und ihrer Bewegung, ist er besonders interessant durch eine
Darstellung der vorgeschrittenen städtischen Boden- und Baupolitik.
Der seit 1895 eingeführten, nach dem Wert des Objekts bemessenen
Immobilienumsatzsteuer ist neuerdings die Umwandlung der vom Staat
überwiesenen Grund- und Gebäudesteuer in eine Grundsteuer vom ge-
meinen Wert hinzugetreten, welche bebaute wie unbebaute Grundstücke
gleichmäßig trifft und der Stadt nicht nur einen Anteil an der Grund-
wertsteigerung sichert, sondern die auch auf die Grundstücksbesiter einen
ré
TE (nt
100 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Druck ausüben läßt, ihre Ländereien nicht aus Spekulationsrücksichten
der Bebauung länger zu entziehen. Ein nach dem Vorgange Frank-
furts a. M. gebildeter Grundstücksfonds gewährt die Mittel zu fort-
gesetztem Grundstückserwerb über das augenblickliche Bedürfnis hinaus,
vermöge dessen die Stadt sich nicht nur unmittelbaren Anteil an der
Wertsteigerung des Bodens, sondern auch größeren Einfluß auf die
. Bodenverwendung sichert. Zur Zeit besitzt nach mäßiger Schätzung
die Stadt bereits für 10 Mill. M. Grundvermögen, das nicht für be-
stimmte Gemeindezwecke in Anspruch genommen ist. Im Anschluß
hieran finden wir behandelt: Bauplan, Bauordnung, die in Düsseldorf
im wesentlichen dem Zonensystem entspricht, sowie die Wohnungspolizei.
Letztere ist für den ganzen Regierungsbezirk einheitlich geregelt, wäh-
rend die Ausführung der Bestimmungen in der Stadt einer besonderen
Wohnungskommission obliegt, welche in schonender Beseitigung un-
geeigneter Wohnungen sich überaus nützlich betätigt. Ergänzt wird
die Tätigkeit der Kommission durch die Bemühungen eines Wohnungs-
fürsorgevereins, der den Verlegenheiten der Mieter durch Geldvorschüsse,
Beschaffung von Betten etc. abzuhelfen sucht.
Aber auch die Bautätigkeit selbst fördert die Stadtverwaltung und
zwar durch Gewährung von Baugeldern und Hypotheken an einzelne
Unternehmer und -Genossenschaften ein Vorgehen, dessen Berechtigung
und Zweckmäligkeit der Verf. in eingehender Weise erörtert. Die bezüg-
lichen Geschäfte besorgt ein in der jüngsten Zeit der Geldknappheit errich-
tetes Hypothekenamt. Die Beleihung erstreckt sich bis zu 60 Proz. des
Wertes. Den Bau von Wohnungen hat die Stadt selbst bisher nur als
Verwalterin der Adersstiftung betrieben, deren Kapital zur Hälfte für die
Errichtung von Arbeiterwohnungen bestimmt ist, wie denn auch die Miets-
erträgnisse wieder in dieser Richtung verwendet werden müssen. Ergänzt
wird diese Gemeindetätigkeit durch die Wirksamkeit dreier Baugenossen-
schaften.
Das umfangreichste Kapitel ist dem Haushalt der Stadt gewidmet.
Die weitgehendste Behandlung erfährt dabei das System und die Ent-
wickelung der städtischen Steuern und ihrer Erträgnisse. Letztere er-
geben, dem gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwunge entsprechend, ein
geradezu glänzendes Bild. Unter den zahlreichen übrigen Abschnitten
seien, da es unmöglich ist, in einem kurzen Referate dem mannigfaltigen
Inhalte des Buches gerecht zu werden, nur diejenigen noch hervor-
gehoben, welche den Schlacht- und Viehhof, das Armenwesen und die
Krankenpflege behandeln, am nachdrücklichsten jedoch das umfang-
reiche Kapitel über das Schulwesen. Ueberall hier begnügt sich der
Verf. nicht mit der Schilderung der tatsächlichen Verhältnisse, viel-
mehr entwickelt er zugleich in prägnanter Kürze die Gesichtspunkte,
welche für die Beurteilung der Tatsachen und die späteren Entwicke-
lungsmöglichkeiten maßgebend sind. Somit sind die Ausführungen meist
nicht rein historischen, sondern zugleich historisch-politischen Charakters,
und mit Genugtuung erkennt man, wie sehr er über die umfassende,
wissenschaftliche Bildung verfügt, welche die erfolgreiche Behandlung
so mannigfacher Materien zur Voraussetzung hat. Dies bringt auch
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 101
das Schlußkapitel zum Ausdruck, in welchem die Natur und Aufgaben
der Gemeindepolitik im allgemeinen und insbesondere das Verhältnis
zwischen Staat und Gemeinde näher erörtert wird. Der leichte und
flüssige Stil trägt weiter dazu bei, daß sich für jeden, der überhaupt
dem Kommunalleben Interesse entgegenbringt, die Lektüre sich zu
einer überaus fesselnden gestaltet.
Wenn der Verf. es beklagt, daß man der Bedeutung der Gemeinde-
verwaltung und ihrer Geschichte in der Wissenschaft der National-
ökonomie bisher noch nicht genügend Rechnung getragen habe, so wird
man dieser Klage die Berechtigung nicht absprechen können. Er weiß
aber auch, daß eine vollkommene Darstellung der städtischen Wirtschaft
und ihrer Geschichte, welche überdies auf Vergleichung basiert sein
müßte, nicht von heute auf morgen entstehen kann. Betont er doch
selbst, daß ihr die Monographien einzelner Verwaltungszweige vorangehen
müsse, und daß die Darstellung der kommunalen Verwaltungsverhältnisse
eine bisher erst vereinzelt durchgeführte Ordnung der städtischen Archive
nach wissenschaftlichen Grundsätzen zur Voraussetzung habe.
Um die internationale vergleichende Durchforschung der Städte-
verwaltung praktisch zu gestalten, empfiehlt er den deutschen Groß-
städten die gemeinsame Gründung einer nach einem festen Programm
arbeitenden Studiengesellschaft, welche bewährte Gemeindebeamte auf
Reisen schickte. Auch diese im Vorwort enthaltenen Ausführungen
beweisen ebenso, wie die ganze Darstellung, daß der Verf, wenn er
auch nur die Geschichte einer Kommune schrieb, nicht in dem Rahmen
enger lokalgeschichtlicher Auffassung sich bewegte, sondern das Einzelne
in einem größeren und allgemeinen Zusammenhange auffaßte. Sein Buch
on somit auch außerhalb des Düsseldorfer Bannkreises Leser zu
nden.
Jena. J. Pierstorff.
Calwer, Richard, Handel und Wandel, Jahresberichte über
den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt. Jahrgang 1900. Akademischer
Verlag für soziale Wissenschaften Berlin-Bern.
Das Bedürfnis weiter Kreise nach einem wirtschaftlichen Jahrbuch,
das mehr bietet als ein bloßes Sammelsurium von allerlei wirtschaftlichen
Vorkommnissen innerhalb eines Jahres, läßt sich nicht leugnen. Die
Jahresberichte des inzwischen verstorbenen Redakteurs der National-
zeitung Basch, die in ihrer Art vorzüglich waren, boten aber nur eine
sehr gedrängte zusammenfassende Uebersicht ohne tiefer in das Detail
einzugehen. Ein alle Seiten der Volks- und Weltwirtschaft erfassender
Jahresbericht hatte bisher gefehlt, das Bnch von R. Calwer füllt daher
ohne Frage eine bestehende Lücke aus. Dasselbe bietet auch keines-
wegs nur eine „tote“ Uebersicht über die wirtschaftlichen Jahres-
ereignisse, sondern der Verfasser fühlt die wirtschaftlichen Pulse schlagen
und weiß die Haupttriebfedern und springenden Punkte der Entwickelung
aufzuspüren. Dabei geht Calwer, wie man zunächst vermuten möchte,
keineswegs einseitig von seinem Parteistandpunkt aus, sondern er unter-
sucht den Fluß der Dinge mit dem kritischen Auge des Sozialforschers
102 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
vom wissenschaftlichen Standpunkte aus und widmet insbesondere den
Brennpunkten des Wirtschaftsjahres 1900 eingehende Betrachtungen.
So untersucht er zunächst die Ursache des im April 1900 deutlich zu
Tage getretenen wirtschaftlichen Umschwungs, die er, wie das ja bei
den meisten natürlich verlaufenden Krisen der Fall ist, in dem Zurück-
bleiben der Konsumkraft hinter der rapide entwickelten Produktivkraft
findet (er nimmt das Verhältnis beider gegenüber 1895 mit 6 Proz.:
88,5 Proz. an). Auf eine nähere Untersuchung der speziellen Faktoren
und Ursachen dieses Mißverhältnisses von Produktion und Konsumtion
läßt sich Calwer dabei leider nicht ein, obwohl es doch, wie gesagt,
keinem Zweifel unterliegt, daß jede nicht durch außergewöhnliche Ur-
sachen, wie Mißernten, Kriege, Geldkalamitäten etc. hervorgerufene Krisis
auf irgendwelche größere oder geringere Absatzstockungen bestimmter
Produktionszweige zurückzuführen ist. Diese speziellen Nachweise er-
bringt Calwer leider nicht, trotzdem sie für unsere jetzige Krisis
nicht so schwer zu finden waren. Des weiteren wäre es bei diesem
Thema interessant gewesen, zu untersuchen, inwieweit die durch die
starke Nachfrage und — auch zum guten Teil — durch die Kartelle
und Syndikate hochgetriebenen Preise in Verbindung mit dem teuren
Geldstande lähmend auf die Unternehmungslust eingewirkt und dadurch
der Krisis vorgearbeitet und sie verstärkt haben.
Der ziffermäßige Vergleich der angewachsenen Produktiv- und
Konsumkraft dürfte übrigens ein vergeblicher und mißglückter Versuch
sein, da er sich auf zu unsicheren und zahlenmäßig nicht feststellbaren
Faktoren aufbaut. Namentlich ein Hauptmoment hat Calwer bei der
Gegenüberstellung der Produktion und des Konsums außer acht ge-
lassen, das ist der Umstand, daß gerade die Industrien, die am meisten
ihre Produktion ausgedehnt haben, die Eisen- und Kohlen-, sowie die
elektrische Industrie, großenteils nicht für den unmittelbaren Konsum
arbeiten, sondern Produktiv- und Betriebsmittel liefern, deren Anschaffung
vielfach auf dem Wege des Kredits geschieht. — Bei der Uebersicht über
die Weltgetreideproduktion ist die Dürftigkeit der benutzten Quellen
beklagenswert, obwohl doch dieselben seit Jahren ziemlich reichlich
fließen, es sei nur an die Statistiken der englischen, amerikanischen
und französischen Fachblätter, an die Uebersichten des ungarischen
Ackerbauministeriums und des russischen Finanzministeriums, an das
große Werk des österreichischen Ackerbauministeriums „Das Getreide
im Weltverkehr“, Wien 1900, erinnert.
Ferner fällt die sehr günstige Beurteilung der Kornhausgenossen-
schaften auf, deren sehr wenig befriedigende Leistungen dem Sachkenner
schon im Jahre 1900 kein Geheimnis mehr waren, deren Fiasko aber
jetzt eine kaum noch zu bezweifelnde Tatsache ist. Es genügt, auf die
überaus traurigen Ergebnisse des Hallenser Kornhauses, des bedeutendsten
seiner Art, hinzuweisen. J. Wernicke.
Blink, H., Geschiedenis van den Boerenstand en den Landbouw
in Nederland, 1. Deel, te Groningen bij J. B. Wolters, 1902.
Der Verfasser des vorliegenden Werkes, der in der niederlän-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 103
dischen wissenschaftlichen Litteratur durch frühere Arbeiten, besonders
auf dem Gebiete der Erdkunde!) eines wohlverdienten Ansehens sich
erfreut, hat es unternommen, eine wesentliche Lücke in der ökonomi-
schen Litteratur Hollands auszufüllen.
Während der Bearbeitung seines Werkes: „Nederland en zijne
Bewoners“, fiel es Blink auf, wie wenig im großen ganzen die Ent-
wickelung der Zustände auf dem Lande und die des Bauernstandes
erforscht ist. Seine geographischen Untersuchungen veranlaßten den
Verfasser, viel Material zu sammeln, das er in seinem hier vorliegenden
Werke in vorzüglicher Weise ausgearbeitet hat.
Soweit sich aus diesem ersten Teil ein Urteil fällen läßt, haben
wir eg hier mit einer wertvollen, durch Gründlichkeit und Klarheit aus-
gezeichneten Arbeit zu thun.
Der Titel des vorliegenden Buches läßt weniger erwarten als es
wirklich bietet. Der Autor hat seinem Thema an manchen Stellen?)
geographische Beschreibungen als Basis gegeben, welche die Kenntnis
der Zustände wesentlich fördern.
Nicht nur Nationalökonomen und Wirtschaftshistoriker, sondern
auch Geographen werden diese Arbeit nur mit Dank annehmen können.
Das Werk wird in den beiden ersten Abteilungen eingeleitet durch
einen geschichtlichen Rückblick (S. 1—42), welcher bis in die alt-
testamentliche Zeit zurückgreift. Der 3. Auschnitt (S. 43—62) führt
us in den niederländischen Gauen und in der Römerzeit herum.
Hieran reiht sich in den Abschnitten IV (S. 63—82), V (S. 83—105)
und VI (S. 106—111) die Beschreibung der Zustände unter den Franken,
den Karolingern und darnach der Zeit bis zum 10. Jahrhundert.
Vor dem 12. Jahrhundert waren die Agrarverhältnisse in den Gegen-
den, welche das heutige Holland und Belgien ausmachen, nicht ver-
schieden von denen des übrigen Nord- und West-Europa. Nach dieser
Zeit entstehen Abweichungen, welche nach und nach durch die Ver-
schiedenheit der geschichtlichen Entwickelung zu völlig eigenartigen
Zuständen führen.
Während der Verf. sich in den bis jetzt besprochenen Abschnitten
öfters an die deutschen Quellen hält, kommen in den folgenden seine
eigenen Forschungen mehr zur Geltung und giebt er uns einen klaren
Einblick in die sich allmählich lokalisierenden Zustände.
Während die Abschnitte VII (S. 119—133) und VIII (S. 134—164)
die niederländischen Agrar- und Bauernverhältnisse und die Entwicke-
lung der Stände bis zum 14. Jahrhundert behandeln, umfaßt der IX. Ab-
schnitt (S. 165— 208) die weitere Entwickelung bis zum 16. Jahrhundert.
Der Grundbesitz von Kirchen und Klöstern und deren Einfluß auf
die Landwirtschaft füllt den X. Abschnitt (S. 208—231).
1) Nederland en zijne Bewoners, 1892. — Tegenwoordige Staat van Nederland,
1897. — Bewoners der vreemde Werelddeelen, 1898—1900. — Een blik op de Ontwik-
kelingsgeschiedenis van Amsterdam, 1900. — Studien over Nederzettingen in Nederland,
01.
2) S. 47—48; 50—55 ; 63—66 ; 287—321.
104 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die Abgaben und Steuern, welche im Mittelalter mit dem Besitz
oder Gebrauch von Grund und Boden verbunden waren, werden im
XI. Abschnitt (S. 234—275) behandelt; während die rechtliche Natur
und die Geschichte der Zehnten ihrer großen Bedeutung wegen im
XII. Abschnitt (S. 276—288) besonders besprochen werden.
Zum Schluß dieses ersten Teiles giebt uns der Verfasser noch einige
Blütter aus der Geschichte des Bodens in den Niederlanden: Boden-
verlust in früheren Zeiten (S. 289—306), Bodengewinne durch Ein-
deichung und Trockenlegung (S. 306—321) und Entstehung der Ver-
eine zur Wasserregulierung (Waterschappen) (S. 321—340).
Mit Interesse sehen wir dem IL Teil der vorliegenden Schrift,
welche einen ehrenvollen Platz unter Blinks Werken beanspruchen
kann, entgegen und hoffen dann auf einzelne Punkte noch näher ein-
gehen zu kónnen.
Möge, wie der Verfasser in seiner Vorrede sagt, seine Arbeit An-
regung geben zum eingehenderen Studium verschiedener Fragen, die
bis jetzt noch zu wenig aufgeklàrt sind.
Halle a/S. Juli 1902. G. Hesselink.
Byng, G., Protection. The Views of a Manufacturer. London
(Eyre & Spottiswood) 1901. 255 SS.
Byng, G., Fiscal Problems of To-Day. An answer to arguments
of Free Traders. Fortnightly Review, September 1902.
Byngs Schriften nehmen keinen wissenschaftlichen Wert für sich
in Anspruch, sie sind von einem Praktiker für Männer des praktischen
Lebens verfaßt. Sie nehmen aber die Aufmerksamkeit als bedeutsames
Zeichen der Zeit in Anspruch, denn sie lassen erkennen, wie sehr die
in England herrschenden wirtschaftspolitischen Anschauungen doch schon
erschüttert sind. Byng verlangt in jeder Beziehung einen erhöhten
staatlichen Schutz: Verbesserung der Patentgesetze zum Schutze eng-
lischer Erfindungen, Verstaatlichung der Eisenbahnen zur Herabsetzung
der Tarife, vor allem aber Aenderung der Handelspolitik im Sinne
eines wirksamen Industrie- und Agrarschutzes. Rohprodukte sollen
zwar prinzipiell zollfrei bleiben, wohl aber soll z. B. die Einfuhr von
Eiern erschwert werden, damit England nicht weiter jährlich 5 Mill. £
dafür dem Auslande zu zahlen brauche. Man sieht, daß Byng in seinen
Forderungen nicht nur über Williams’ „Made in Germany“, sondern auch
weit über die bisherigen englischen Schutzzöllner von der Richtung
Howard Vincents hinausgeht.
Mit Recht hält er seinen Gegnern vor, daß sie Neues nicht mehr
zu schaffen wüßten. Seit 1890 sei kein freihändlerisches Buch mehr
erschienen und auch ihr Vorgehen bei der diesjährigen Einführung der
Kornzölle sei nicht von Bedeutung gewesen. Allerdings ist auch Byngs
eigene Argumentation nicht immer einwandsfrei. So ist gleich auf der
ersten Seite seines Buches die Annahme bestimmter Perioden, in denen
der Freihandel England nütze oder schade, durchaus willkürlich. Ebenso
sind seine Ausführungen (S. 130) über die Unproduktivität des Handels
und der Schiffahrt kurzsichtig und falsch; auch seine in der Fortnightly
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 105
Rew. S. 465 vorgenommene Zusammenwertung von direkten Steuern
und Produktionskosten beruht auf oft widerlegten Voraussetzungen.
Von solchen Einzelheiten abgesehen, wird aber jeder Byngs Schriften
mit Interesse lesen, der sich über die augenblicklichen englischen An-
schauungen ein vollständiges Bild machen will.
Halle a. S. Georg Brodnitz.
Agrar-, Zoll- und Handelsfragen, brennende. Bearbeitet und herausgeg. von Herm.
Egner (k. württemb. Zollinspekt.) u. Karl Schuemacher (Revisor bei großh. bad. Zoll-
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Bahrfeldt, E. und A. Mieck, Der Hacksilberfund von Alexanderhof. Prenz-
lau, A, Mieck, 1902. gr. 8. 31 SS. mit Abbildgn. u. 2 Taf. M. 2.—. (Aus Mittei-
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Leipzig, S. Hirzel, 1902. gr. 8. (A. u. d. T.: Die Chroniken der niedersächsischen
Städte. Lübeck. Bd. III. Inhalt: Der sogen. Rufusehronik U. Teil von 1395—1430.
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Medinger, W., Wirtschaftsgeschichte der Domäne Lobositz. Auf Grund von
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Sehanz, Moritz, Westafrika. Berlin, W. Süsserott, 1903. gr. 8. IV—415 SS.
geb. M. 7,50. (Aus dem Inhalt: Portugiesisch Westafrika: (Verwaltung; Handel; Schiff-
fahrt; Bankwesen.) — Portugiesisch Guinea: (Verwaltung und Handel; Plantagenbetrieb).
— Spanisch Westafrika: (Geschichte und Verwaltung; Schiffahrt.) — Kanarische Inseln:
(Produktion und Handel). — Fernando Po und Annobom: (Verwaltungen und Pflanzungen).
— Liberia. — Französisch Westafrika: (Zollwesen; Landkonzessionen ` Verkehrsmittel).
— Senegal: (Verkehrsmittel; Handel ; Industrie; Bergbau und Plantagenbau). — Fran-
zösisch Guinea. — Elfenbeinküste: (Verkehrsmittel; Handel; Bergbau). — Dahome. —
Franz. Kongo. — Englisch Westafrika: (Verkehrsmittel; Handel). — Gambia. — Sierra
Leone. — Goldküste: (Verkehrsmittel; Handel; das Gold). — Lagos. — Nigeria. —
Der unabhängige Kongostaat. — Deutsch-Westafrika. — Togo. — Kamerun — Deutsch-
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Schwalb, Hans (Hauptm.), Römische Villa bei Pola. Wien, A. Hölder, 1902.
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Trauer, Eduard, Chronik des Dorfes Marieney im Vogtland bis zur Einführung
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1 Plan. M. 2,40,
ane si tr nn nn nn
106 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
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gr. in-8. XXII—336 pp. fr. 5.—. (Table des matières: Le droit. — La sociabilité, —
L’unit& sociale, la personnalité. — La personnalité sociale. — Classification des sociétés.
— Les sociétés volontaires. — Les sociétés naturelles. — Les sociétés necessaires. —
Le domaine publie matériel et économique, le capital de la nation. Le sol. — Domaine
publie intellectuel et moral. — Institutions sociales. — Le protectionisme. — Inventions
et découvertes. — Le mariage. — Le principe de population. — Le paupérisme. — Le
commerce. — La valeur et le prix des choses. — La monnaie. — Le parasitisme social.
— La mainmorte. — La religion. — La politique négativiste.)
Skarzynki, Louis, L’aleool et son histoire en Russie. Etude économique et
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Staats- und Fondsforste, sowie Waldfläche der Schweiz, ete.)
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P. Parey, 1903. 12. geb. u. br. M. 2,50. (Aus dem Inhalt des II. Teils: Die bakte-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 107
riellen Hilfsmittel zur Erhaltung und Vermehrung der in der Wirtschaft umlaufenden
Stickstoffvorräte, von (Prof.) Th. Remy. — Die neueste Gesetzgebung auf dem Gebiete
des Landwirtschaftsrechts, von (MinistDirekt.) Hermes. — Landwirtschaftliche Genossen-
schaftsverbände. — Landwirtschaftliche Unterrichtsanstalten.)
Schier, R. (OFürster), Aus Wald und Heide. Schilderungen aus deutschen Forsten.
Dresden, C. Heinrich, 1902. gr. 8. 115 SS. mit Abbildgn. kart. M. 3.—.
Schramm, C. (Direktor der schweizerischen Hagelversicherungsgesellschaft), Der
Hagelschaden. Praktische Anleitung zur sachgemäßen Beurteilung und Regulierung
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Seligo, A., Die Fischgewässer der Provinz Westpreußen, in kurzer Darstellung
bearbeitet. Danzig, L. Saunier, 1902. gr. 8. VI—193 SS. kart. M. 2,50.
Verhandlungen des 18. österreichischen Forstkongresses 1902. Wien, W. Frick,
1902. gr. 8. III—121 SS. M. 2.—.
Weineck (landw. Kreisschuldir., Prof.), Die Bedeutung. der Brache für den neu-
zeitlichen landwirtschaftlichen Betrieb. Leipzig, H. Voigt, 1902. gr. 8. IV—20 SS.
M. 0,60.
Westpreußisches Güteradreßbuch. Stettin, Paul Niekammer, 1903. 4. XX—
210 SS. M. 9.—. (Ein Verzeichnis sämtlicher Güter mit Angabe der Gutseigenschaft,
des Grundsteuerreinertrages, der Gesamtfläche und des Flücheninhalts der einzelnen
Kulturen, des Viehbestandes, aller industriellen Anlagen und der Angabe der Besitzer, etc.)
Wirz, Jak., Die Getreideproduktion und Brotversorgung der Schweiz. Solothurn,
A. Lüthy, 1902. gr. 8. VIII—175 SS. mit 1 graph. Darstellung u. 7 Taf. in quer-
Folio. M. 3.—. (Promotionsschrift.)
Collet, Octave J. A., L'étain. Etude minière et politique sur les états fédérés
malais. Bruxelles, Falk fils; s. d. (1902). 8. 196 pag., avec grav. et une carte en
couleurs hors texte. fr. 5.—.
Damseaux (prof. à l'Institut agricole de l'Etat), Manuel d’agrieulture générale.
3' édition. Paris, Guillaumin & C*, 1902. 12. 450 pag. fr. 5,60. (Table des matières:
Le sol arable. — Mise en valeur du sol et améliorations. Assainissement. Irrigations.
— Préparation du sol. — La fumure. — Les semailles. — Soins d'entretien pendant la
eroissance des plantes. — Récolte des produits. — Conservation des produits.)
du Plessis de Grenédan, J. (prof. à l'Ecole supérieure d’agrieulture d'Angers),
Géographie agricole de la France et du monde. Paris, Masson & C", 1903. gr. in-8.
XX—424 pag. av. 118 figur. et cartes dans le texte. fr. 7.—.
Rayneri, Ch., Le crédit agricole par l'association coopérative. 3* édition. Paris,
Guillaumin & C'°, 1902. 8. 149 pag. fr. 1,50.
Message from the President of the United States, transmitting a report of the
Secretary of Agriculture in relation to the forests, rivers, and mountains of the Southern
Appalachian region. Washington, Government Printing Office, 1902. Imp. in 8. 210 pp.
with 78 plates.
Ware, L. S., Cattle feeding with sugar beets, sugar, molasses, and sugar beet
residuum, Philadelphia, Phil. Book C°, 1902. 8. 23; 389 pp., illustr., cloth. $ 2,50.
Williams, Gardner F. (General Manager of De Beers consolidated mines),
The diamond mines of South Africa; some account of their rise and development.
London, P. S. King & Son, 1902. gr. 8. Illustrated. 42/.—.
Hjort, J., Fiskeri og hvalfanget in det norlige Norge. Bergen, J. Grieg, 1902.
8. kr. 1,50,
5. Gewerbe und Industrie.
Grunzel, Josef, Ueber Kartelle. Leipzig, Duncker & Humblot,
1902. VIIL und 330 SS. |
In Oesterreich wird gegenwärtig die Kartellfrage vielleicht noch
eingehender als bei uns in Deutschland diskutiert, und besonders die
Versuche einer gesetzlichen Regelung haben auch eine große Litteratur
daselbst hervorgerufen. Zusammenfassende Darstellnngen der ganzen
Kartellfrage unter Berücksichtigung des Materials sind jedoch, abgesehen
von Kleinwächters grundlegendem, aber größtenteils veraltetem Buche
-—— em u
108 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
bisher von dort nicht geboten worden. Diese Lücke füllt das oben
genannte Buch Grunzels in glücklicher Weise aus, indem es vorwiegend
auf den österreichischen Verhältnissen basiert. In der umfassenden
Darbietung des österreichischen Materials beruht der Hauptwert des
Buches. Zwar geht Grunzel auch an eine neue Revision der theoretischen
Grundlagen des Kartellwesens. Aber man wird kaum behaupten können,
daß seine Ausführungen in dieser Hinsicht viel Neues und Richtiges
enthalten. Das gilt gleich für die Auseinandersetzung über den Begriff
des Kartells. Er erklärt (S. 6), der Fehler, den die meisten gemacht
hätten, sei, daß sie den täglichen Sprachgebrauch des Wortes nicht
genügend beachtet hätten. Es versteht sich aber von selbst, daß wenn
dieser klar und unzweideutig wäre, die Erörterungen über den Begriff
„Kartell“ längst geschlossen wären. Denn es handelt sich hier nicht
mehr um die Erkenntnis der Erscheinung als solcher, sondern um die
zweckmäligste Namenergebung. Das Neue, was nun Grunzel über den
Begriff des Kartells sagt, besteht erstens darin, daß er ihn in Zusammen-
hang mit dem Begriff des Unternehmers bringt, was aber bekanntlich
schon längst geschehen ist (vgl. meine „Unternehmerverbände‘“), zweitens
aber darin, daß er den monopolistischen Charakter der Kartelle leugnet.
Letzteres ist der verbreitete Irrtum, daß ein Monopol nur dann vor-
handen sei, wenn alle Unternehmungen vereinigt sind, die Konkurrenz
absolut ausgeschlossen ist. Es ist nun richtig, daß die Lehre von den
Monopolen noch recht unvollkommen ist, aber das muß sich doch jeder
Beobachter der heutigen Verhältnisse selbst aus den Tatsachen ableiten
können, daß ein monopolistischer Zustand auch dann vorhanden ist,
wenn es zwar Konkurrenten giebt, aber ihre Zahl und ihr Angebots-
quantum so gering ist, daß der weitaus größte Teil der Nachfrage seine
Befriedigung ausschließlich durch einen einzigen Anbieter finden kann.
Grunzels Definition lautet (S. 12): Ein Kartell ist eine auf dem Wege
freien Uebereinkommens geschaffene Vereinigung von selbständigen
Unternehmungen mit gleicher Interessengemeinschaft (!), zum
Zwecke gemeinsamer Regelung der Produktion und des Absatzes. Das
ist aber natürlich viel zu weit, denn danach wäre es schon ein Kartell,
wenn zwei Kohlenzechen, wie es mehrfach vorkommt, gemeinsamen
Verkauf ihrer Produkte vereinbaren, oder überhaupt eine Firma den
Verkauf der Produkte einer anderen mit übernimmt.
Weiter behandelt Grunzel im ersten Abschnitt die Ursachen und
Voraussetzungen der Kartellbildung. Hier, wie überhaupt in dem ganzen
Buche, stoßen wir mehrfach auf ganz unnötige polemische Erörterungen,
so wenn er (S. 25f.) die Beobachtung, daß Kartelle oft in Zeiten
steigender Konjunktur zustande kommen, einer irrigen Deduktion, nicht
einer Beobachtung der Tatsachen zuschreibt, aber selbst mit einer lang-
atmigen Deduktion die nun einmal nicht aus der Welt zu schaffende
„Tatsache“, die durch zahlreiche Beispiele belegt werden kann, weg-
disputieren will.
Der zweite Abschnitt bringt die Klassifikation der Kartelle. Hier
begeht Grunzel wieder den Fehler, daß er einerseits die sog. Konditionen-
kartelle, andererseits alle Abnehmerverbände mit zn den Kartellen rechnet.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 109
Da diese aber ganz anders zu beurteilen sind als die eigentlichen Kartelle,
so kommt es, daß seine Urteile über „Kartelle“ in Wirklichkeit sich
nur auf einen Teil der zu seinem Begriff Kartell gehörenden Organisationen
beziehen. Er verletzt damit die erste Forderung, die an eine wissen-
schaftliche Arbeit zu stellen ist und deren Erfüllung viel wichtiger ist
als die, seine Bezeichnungen dem Sprachgebrauch anzupassen, nämlich
die Forderung, daß die Bezeichnungen bei der Definition und bei Ur-
teilen übereinstimmen müssen.
Auch Grunzel glaubt wieder eine neue Einteilung der Kartelle auf-
stellen zu müssen. Ich kann im Rahmen eines Referates nicht näher
darauf eingehen, möchte nur bei dieser Gelegenheit betonen, daß ich an
der von mir gegebenen Einteilung vollständig festhalte und die Ein-
wendungen Schäffles, Pohles und endlich auch Grunzels nicht als
berechtigt anerkennen kann. Denn diese Einteilung, die sich übrigens
aus allgemeinen theoretischen Erörterungen über das Wesen der Monopole
ergibt, hat mir bisher noch in keinem Fall versagt, in dem es sich
darum handelte, eine Klassifikation von Kartellvereinbarungen vorzu-
nehmen.
Grunzel unterscheidet bei den Kontingentierungskartellen drei Arten:
Kontingentierung der Produktion, des Absatzes und des Gewinnes und
glaubt, daß sich diese Einteilung „von der in der Litteratur üblichen
sehr unterscheidet“. (S. 68.) Tatsächlich aber verwechselt er wieder
Gewinnverteilungs- und Auftragsverteilungs- oder, wie er es nennt, Ver-
kaufskartell. Er kann nicht einsehen, daß das Kohlensyndikat den Zechen
gar nichts abkauft und daher auch eigentlich kein Kapital gebrauchte,
da, wie er selbst bemerkt, alle Regiekosten durch Umlage erhoben
werden. Etwas ganz anderes ist es aber, wenn ein besonderes Organ
den Mitgliedern die ganze Produktion abkauft. Dies kommt heute in
verschiedenen Formen vor (z. B. Vereinigte Glasfabriken in Dresden)
und ein solches Kartell nähert sich umsomehr dem Ring in meiner Auf-
fassung, je mehr neben den Kartellmitgliedern an dem Ein- und Ver-
kaufsorgan auch fremde Personen beteiligt sind.
Der dritte Abschnitt behandelt „die wirtschaftlichen Rückwirkungen
der Kartelle“. Er ist der kürzeste des ganzen Buches, während er der
längste sein müßte. Denn die Wirkungen der Kartelle sind heute so
mannigfach, daß man darüber allein ein Buch schreiben könnte, und
Grunzel hätte hier Gelegenheit gehabt, eigene Beobachtungen über die
nenere Entwickelung des Kartellwesens zu bringen. Aber der ganze
Abschnitt zählt überhaupt nur 29 Seiten und behandelt nur noch ein-
mal die schon in der früheren Litteratur oft erórterten Fragen. Keine
einzige neue Beobachtung, das Ganze besteht nur aus Polemik gegen
die Beobachtungen anderer. Ich hätte hier mehrfach Veranlassung,
unrichtige Behauptungen zu widerlegen und gegen einseitige Dar-
stellungen fremder Anschauungen zu protestieren (z. B. gegen die Be-
hauptungen auf S. 119 und 120), will es jedoch unterlassen, auf Einzel-
heiten einzugehen, da es für ein Referat genügt, hervorzuheben, daß
der Grundcharakter des Buches in der Polemik nicht in der Darstellung
neuer Beobachtungen liegt.
110 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der vierte und letzte Abschnitt des allgemeinen Teils darf als der
beste bezeichnet werden. Er behandelt die staatliche Regelung des
Kartellwesens, zwar auch hier ohne neue Gedanken, sondern nur zu den
bisher gemachten Vorschlägen Stellung nehmend; aber er enthält viel
tatsächliches Material, österreichische Gerichtsentscheidungen, ausländische
Gesetzgebung, z. B. die die Kartelle betreffende Bestimmung des
kanadischen Zolltarifs, einen Abdruck der beiden österreichischen Ent-
würfe u. dgl. Grunzel verhält sich fast allen Vorschlägen gegenüber
ablehnend und verlangt nur Oeffentlichkeit im Wege der Registrierung
und Kontrolle.
Ein sehr umfangreicher zweiter Teil enthält dann eine Uebersicht
der gegenwärtigen Kartellbewegung. Er ist entschieden der wertvollste
des Buches und zwar deswegen, weil er, wenigstens was Oesterreich an-
betrifft, das Tatsachenmaterial in größerem Umfang darbietet, als man
es sich sonst leicht verschaffen könnte. Dagegen kann ich dem Grunzel-
schen Selbstlob von der „Fülle der beschafften neuen Daten und Ge-
sichtspunkte“, die er von der Kartellbewegung des Auslandes beigebracht
habe (S. 289), ebensowenig zustimmen wie der Behauptung: „Das ge-
wonnene Resultat ist schon deshalb überraschend, weil ich Kartelle aus
Ländern vorführen kann, die als kartellfrei gelten.“ Denn die Mit-
teilungen über Deutschland sind recht unzureichend, zumal deshalb, weil
Grunzel eben nur eine „Uebersicht der gegenwärtigen Kartell-
bewegung“ giebt, dieselbe nur etwa in den letzten zwei Jahren näher
verfolgt hat. Die Nachrichten über die Kartellbewegung in anderen
Ländern sind aber vollständiger schon bei de Rousiers (Frankreich),
Macrosty (England) und in dem amerikanischen Consular Report on
trusts and trade combinations in Europe publiziert. Immerhin muß
die Zusammenbringung des zerstreuten Materials als ein Verdienst be-
zeichnet und die darauf verwandte Mühe voll anerkannt werden.
Robert Liefmann.
Haacke, Heinrich, Handel und Industrie der Provinz Sachsen
1859— 1899 unter dem Einflusse der deutschen Handelspolitik. 45. Stück
der Münchener volkswirtschaftlichen Studien. Stuttgart 1901.
Der Verfasser hat sich gewiß große Mühe gegeben, um die ihm
gestellte Aufgabe zu lösen. Aber in dieser Form war sie nicht lösbar,
es konnte zum wenigsten nichts Rechtes dabei herauskommen. Ein
derartiger Ausschnitt aus dem Wirtschaftsleben einer Provinz müßte,
wenn er zu befriedigenden Resultaten führen will, tiefgründig angelegt
sein; er müßte zunächst eine historische Entwickelung der wirtschaft-
lichen Hauptfaktoren der betreffenden Provinz geben und sodann bei
der Schilderung der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit weit mehr
ins einzelne gehen. Insbesondere hätte der Verfasser unseres Er-
achtens die Besonderheiten der einzelnen Industriesitze der Provinz
Sachsen charakterisieren und uns auch mit einigen Haupttrügern, d. h.
hervorragenden Industrie- und Handelsbetrieben bekannt machen müssen.
So hätte dann das alles zu einem lebensvollen Gesamtbilde verflochten
werden können — allerdings, und das ist zuzugeben, wäre das eine
|
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 111
sehr schwierige und langwierige Arbeit gewesen, die dann aber auch
von grundlegendem Werte gewesen wäre.
In der jetzigen Gestalt indes ist die vorliegende Arbeit in der
Hauptsache eine kurze Zusammenstellung aus den einzelnen Handels-
kammerberichten, in einem knappen Rahmen der gleichzeitigen deutschen
Wirtschaftsgeschichte. Die Einteilung in 3 Perioden, 1889— 1891,
1892—1893, 1894—1899, reißt bei einer Darstellung von 152 Seiten
den Stoff zu sehr auseinander und wirkt schließlich ermüdend. Zudem
beschränkt sich der Verfasser nach einem jedesmaligen kurzen Gesamt-
überblick auf die Schilderung der Lage der 4 Hauptindustrien in jeder
Periode, der Zuckerindustrie, des Braunkohlenbergbaues, der Maschinen-
industrie und der Textilindustrie. Die unausbleibliche Folge davon ist
die da die Darstellung zu mechanisch, eintónig und schleppend wird.
Ein großer Teil der Reflexionen bezieht sich ferner auf die bekannten
Vorginge auf dem Weltmarkt, die in verhältnismäßig viel zu großer
Breite zur Darstellung gelangen, während die besonderen wirtschaftlichen
Verhältnisse der Provinz Sachsen dabei viel zu kurz kommen. Der be-
deutende Handel der Provinz Sachsen findet — abgesehen von dem
Außenhandel — überhaupt keinen Platz in dem Buche. Gerade solche
Seiten des wirtschaftlichen Lebens, wie der Getreidehandel, die Korn-
häuser, besonders das Hallesche, die Mühlenindustrie, die Salzwirkerei
in Halle, der Warenhandel, die Warenhäuser, die Konsumvereins-
bewegung, würden — in geeigneter Darstellung — weit mehr Interesse
erweckt haben, als z. B. die breiten Schilderungen des Zuckerexports
und der Braunkohlenindustrie, die dem Fachmann nichts Neues zu bieten
vermögen.
Alles in allem möchten wir von der Wiederholung derartiger
Arbeiten entschieden abraten, wenn sie nicht die eigentlichen wirt-
schaftlichen Fäden und Triebfedern zu erfassen und in der Darstellung
mit Fleisch und Blut zu umkleiden vermögen. Das Stoffgebiet, an dem
sich junge Autoren mit mehr Erfolg versuchen können, ist ja doch so
aulerordentlich weit. J. Wernicke.
Troeltsch, Walter, Ueber die neuesten Veränderungen im
deutschen Wirtschaftsleben. Stuttgart 1899.
Diese fünf Vorträge, Ende 1898 im Stuttgarter Landesgewerbe-
museum vor dem kaufmännischen und Handelsverein gehalten, machen,
wie der Verfasser im Vorwort sagt, keinen Anspruch darauf, dem Fach-
mann viel Neues zu bringen, sie wollen in der Hauptsache für Nicht-
fachleute ein kurzes Orientierungsmittel über die moderne wirtschaft-
liche Entwickelung bieten. Gleichwohl enthält das Werkchen mancherlei
treffliche Gedanken und Urteile.
So wird der Verfasser den historischen Verdiensten des wirtschaft-
lichen Liberalismus, dem wir die Bauernbefreiung, die Verkehrsfreiheit,
die Gewerbefreiheit, die Freizügigkeit verdanken, in anerkennenswerter
Weise gerecht. Er betont die Notwendigkeit, die Selbsthilfe, die Selbst-
verantwortlichkeit des Einzelnen wieder mehr zur Geltung zu bringen,
da leider ein Rückgang des individuellen Verantwortlichkeitsgefühls zu
konstatieren sei.
112 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Aus dieser sehr gesunden Grundanschauung heraus bekennt sich
Troeltsch als ein Anhänger der modernen Wirtschaftsentwickelung, wenn
er auch keineswegs ihre Gefahren und Nachteile, namentlich die Schatten-
seiten des Kapitalismus, verkennt.
Als bestes Gegenmittel dagegen empfiehlt Troeltsch für die Arbeiter
das freie Koalitionsrecht, während er unseres Erachtens die Kartelle
und ihre Bestrebungen etwas zu günstig und optimistisch beurteilt. Be-
züglich der landwirtschaftlichen Streitfragen nimmt Troeltsch die Be-
hauptungen von der geringen Rentabilität der Landwirtschaft zu gut-
gläubig hin. Er führt sie in erster Linie auf den Rückgang der
wichtigsten landwirtschaftlichen Preise zurück — was aber in dieser
Allgemeinheit nicht zutrifft; Butter, Eier, Milch, Fleisch, Gemüse, Obst,
Heu, Hülsenfrüchte etc. sind im Preise weit höher wie früher; in der
Hauptsache steht eigentlich nur Weizen und teilweise Roggen niedriger
wie früher — und sodann auf die ungesunde Bodenpreisbildung, worin
er durchaus recht hat. Von den Getreideabsatzgenossenschaften ver-
spricht er sich nicht viel, und er hat mit dieser Ansicht leider recht
behalten. Wenn, wie gesagt, Troeltsch auch in etwas zu weitgehender
Weise einen landwirtschaftlichen Notstand anerkennt, so erklärt er sich
doch entschieden gegen die Erhöhung der Getreidezölle, die in ihrer
jetzigen Höhe zur Erhaltung der Landwirtschaft völlig ausreichten.
Troeltsch tritt für Hebung des Exports, für Handelsverträge und für
möglichste Erweiterung des Inlandsabsatzes, so durch Hebung der
Löhne, Verbilligung des Warenabsatzes durch Warenhäuser und Konsum-
vereine und Ermäßigung der Gütertarife und der Verbrauchssteuern ein.
In eine solche rationelle Wirtschaftspolitik paßt selbstverständlich
nicht die Hemmung der Entwickelung der Warenhäuser etc. durch
hohe strafartige Sondersteuern, die Troeltsch sehr richtig einen „Mib-
brauch der Steuergewalt“ nennt. Ein Recht auf Existenz hat
nach Troeltsch nur derjenige Betrieb, der es versteht,
sich anzupassen an die nimmer ruhende Bewegung im
Wirtschaftsleben.
Alles in allem verdient dieses kleine, gesunde Anschauungen ent-
haltende Werk es, von den sogenannten „Mittelstandspolitikern“ eifrig
studiert zu werden. J. Wernicke.
Arbeitertaschenbuch für das Jahr 1903 Herausgeg. von den Verbänden
katholischer Arbeitervereine West- und Süddeutschlands. Berlin, Verlag der Germania,
1902. 8. 212 SS.
Burk, H. A., Der Centralverband deutscher Industrieller 1876 bis 1901. I. Band.
Berlin, Druck Deutscher Verlag, 1902. gr. 8.
Hasse, Herm., Die allgemeine Elektrizitätsgesellschaft und ihre wirtschaftliche
Bedeutung. Monographie eines technischen Großbetriebes. Heidelberg, K. Winter,
1902. gr. 8. 97 SS. M. 1,50.
Imle, Fanny, Die Arbeitslosenunterstützung in den deutschen Gewerkschaften.
Nach Angaben der Gewerkschaftsvorstände bearbeitet. Berlin, Verlag der sozialistischen
Monatshefte, 1903. gr. 8. 51 SS. M. 0,75.
Jahrbuch der deutschen Braunkohlen- und Steinkohlenindustrie, 1903. Jahrg. III.
Herausgeg. unter Mitwirkung des deutschen Braunkohlenindustrievereins. 2 Teile.
Halle a/S., Wilh. Knapp, 1903. gr. 8. XVI—168 u. 136 SS. reb. M. 6.—. (Teil II
[160 SS.]: Deutsche Braunkohlenstatistik.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 113
Jastrow, J. (Privdoz., Univ. Berlin, StadtR., Charlottenburg), Sozialpolitik und
Verwaltungswissenschaft. Aufsätze und Abhandlungen. Band I. Arbeitsmarkt und Arbeits-
nachweis, Gewerbegerichte und Einigungsämter, Berlin, G. Reimer, 1902. gr. 8. XIV—
548858. M. 10.—.
Kerp, Heinr., Methodisches Lehrbuch einer — begründend — vergleichenden
Erdkunde. Bd. I: Die deutschen Landschaften: (Das Deutsche Reich und die Schweiz.
Trier, Fr. Lintz, 1902. gr. 8. VIII—368 SS. M. 3,80. (Aus dem Inhalt: Aus dem
Wirtschafts- und Kulturleben der Menschen: Das Uhrengewerbe auf der Schweiz; Die
Geigenverfertigunz in Mittenwald; Der Holzhandel des Schwarzwaldes; Der Tabakbau
und seine Geschichte; Der Weinbau im Neckarlande; Das Achatgewerbe des südlichen
Hunsrück; Die Bimssandsteinverfertigung ; Die Tongewinnung und das Töpfergewerbe
des Westerwaldes ; Die Industrien von Elberfeld und Barmen in früherer Zeit; Die
Spielwarenindustrie des Thüringer- und Frankenwaldes; Weberei und Spinnerei in den
Sudetentälern und im Sudetenvorlande; Der Grünberger Weinbau; Berlin als Industrie-
stadt; Die Geschichte des Hopfenbaues Die Geschichte der Krefelder Seidenindustrie.
— Siedelungskunde: Lage und Bedeutung von Städten; Besiedelungsweise. — etc.)
Oeser, Rud., Wie stellen wir uns zu den Kartellen oder Syndikaten ? Vortrag,
gehalten auf dem 22. Parteitag der deutschen Volkspartei am 21. IX. 1902. Frank-
fut a M., J. D. Sauerländer, 1902. gr. 8. 29 SS. M. 0,60.
Oppel, A. (Prof., Bremen), Die Baumwolle nach Geschichte, Anbau, Verarbeitung
und Handel, sowie nach ihrer Stellung im Volksleben und in der Staatswirtschaft. Im
Auftrage und mit Unterstützung der Bremer Baumwollbórse bearbeitet und herausgeg.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. XV—745 SS. Mit 236 Karten u. Abbildgn.
geb. M. 20.—.
Pieper, Aug. und Helene Simon, Die Herabsetzung der Arbeitszeit für
Frauen und die Erhöhung des Schutzalters für jugendliche Arbeiter in Fabriken. Referate.
Nebst einem Bericht über die Generalversammlung der Gesellschaft für soziale Reform
in Köln. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. 164 SS. M. 1.—. (Schriften der Gesellschaft
für soziale Reform. Herausgeg. von dem Vorstande. Heft 7 u. 8.)
Textilindustrie, die deutsche, im Besitze von Aktiengesellschaften. Statisti-
sches Jahrbuch über die Vermögensverhältnisse und Geschäftsergebnisse derselben im
Betriebsjahre 1901/1902. 6. vollständig umgearbeitete Aufl. Leipzig, Verlag für Börsen-
und Finanzliteratur, A.-G., 1902. Lex.-8. XI—187 SS., geb. M. 5.—. (Bringt auch
Angaben über die jährliche Produktion, sowie über die Zahl der Spindeln und Kraft-
stüble der einzelnen Betriebe.)
Timm, Joh., Aus dem Entwickelungsgang der deutschen Gewerkschaftsbewegung.
Mit einem Nachwort von L. Sinzheimer über: die Stellung der oberen Klassen und
der Wissenschaft zu den Gewerkschaften. 2. Aufl. München, E. Reinhardt, 1902. gr. 8.
98 M. 1.—.
Untersuehungen über die Heimarbeit der Frauen. Dresden, O. V. Bóhmert,
1902, 8. 41 SS. (Schriften der Dresdener Gesellschaft für soziale Reform, Heft 1.)
Wendlandt, W. (Generalsekretär), Das Kartellwesen. Referat, gehalten am 9. X.
1902 auf der Generalversammlung des Bundes der Industriellen zu Berlin. o. O. u. J.
(Berlin, 1902). 8. 16 SS.
Annuaire des établissements belges métallurgiques, aciéries, ferronneries, char-
bonnages et l'industrie en général, pour 1902. Liége, 45, rue des Guillemins, 1902. 8.
XII—948 et 18 pag.; toile. fr. 7,50.
Borderaux de salaires pour diverses catégories d'ouvriers en 1900 et 1901. Paris,
Berger-Levrault & Ci, 1902. gr. in-8. 257 pag. fr. 3,50. (Publication du Ministère
du commerce, Office du travail.)
Husson, F. (conseiller honoraire de la chambre syndicale des entrepreneurs de
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Paulet, G. (directeur de l'assurance et de la prévoyance sociales), Rapports aux
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 8
114 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
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Pelloutier, Fernand (secrétaire général de la fédération des bourses du travail
de France), Histoire des bourses du travail. Origine. Institutions. Avenir. Paris,
Schleicher frères & C^, 1902. 12. Ouvrage posthume, avec le portrait de l’auteur.
fr. 3,50. (Table des matieres: Notice biographique, par V. Dave. — Préface, par G.
Sorel. — Après la commune. — Les partis ouvriers et les syndicats. — Naissance des
bourses du travail. Historique des bourses du travail. — Comment se crée une
bourse du travail. — 3 ues des bourses du travail. — Le comité fédéral des bourses
du travail. — Conjonctures sur l'avenir des bourses du travail. — Documents et an-
nexes: Projet de loi sur les retraites ouvrières. Rapport sur les travaux du Comité
fédéral pendant l'exercice 1900—1901. Projet de loi sur la règlementation des grèves
et de V’arbitrage obligatoire, Rapport sur les travaux du Comité fédéral pendant lexer-
vice 1900—1901. — ete.)
Verhaegen, P., Les industries à domicile en Belgique. Tome IV. et V.: La
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(Düsseldorf). — The overheating of mild steel, by E. Heyn (Charlottenburg). — Iron
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The industrial situation. — The citizen and the workingman. — The citizen and the
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Gummersbach, Lennep, Remscheid, Wipperfürth und die Bürgermeistereien Kronenberg,
Heiligenhaus, Velbert, Wülfrath 1901. Teil III. Gummersbach, Druck von Fr. Luyken,
1902. gr. 8. 95; VI SS.
Jahresbericht über die Staatseisenbahnen und die Bodenseedampfschiffahrt im
Großherzogtum Baden für das Jahr 1901. Herausgeg. von der Generaldirektion der
badischen Staatseisenbahnen, zugleich als Fortsetzung der vorangegangenen Jahrgünge
61. Naehweisung über den Betrieb der großh. badischen Staatseisenbahnen und der
unter Stautsverwaltung stehenden badischen Privateisenbahnen. Karlsruhe, Ch. Fr. Müller,
1902. 4. 80 SS. mit zahlreichen Tabellen und graphischen Anlagen.
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Rumänien, seine Handelspolitik und sein Handel 1890—1900. Mit besonderer
chtigung der deutsch-rumänischen Handelsbeziehungen. Altenburg, O. Bonde,
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Neisser, E. J. (wissenschaftl. Hilfsarbeiter der Handelskammer zu Potsdam),
Die wirtschaftliche Lage und Leistungsfäbigkeit von Handel, Gewerbe und Industrie
im Bezirke der Handelskammer zu Potsdam (in seinem Umfange bis zum Jahre 1901).
Bearbeitet im Auftrage der Handelskammer auf Grund amtlichen und privaten statisti-
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3 Karto- und 3 Diagrammen.
Sammlung von Schriften zur Kanalfrage N° 1-—3. Hannover 1902, 8. (Inhalt:
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 115
vin 2: Der Mittellandkanal als Bindeglied einer einheitlichen Wasserwirtschaft
Nordwestdeutschlands, nebst einer Uebersichtskarte von (Ingenieur) Humann. — N° 3.
Weser — im zukünftigen deutschen Schiffahrtsstraßennetz, von Victor Kurs.)
Segelhandbuch für die Nordsee. I. Teil. Heft 3: Deutsche Bucht der Nordsee.
Dinische Küste von Hanstholm bis zur deutsch-dänischen Grenze mit dem Lim Fjord.
Holländische Küste von der Ems bis Terschelling. 5. Aufl. Berlin, Dietrich Reimer,
1902, gr. 8. XX—373 SS. mit 2 Taf. geb. M. 4.—.
Zolger, Ivan, Das kommerzielle Bildungswesen in England. Wien, Alfr. Holder,
1903. gr. 8. VII—215 SS. M. 5,20. (A. u. d. T.: Das kommerzielle Bildungswesen
der europäischen und außereuropäischen Staaten, von Fr. Diabac u. J. Zolger. Bd. I.)
Chambre de commerce de Verviers. Rapport général sur la situation du com-
mere et de l'industrie de l'arrondissement de Verviers pendant l'année 1901. Verviers,
impr. Aug. Nicolet, 1902. 8. 122 pag.
Congrès, le, international du commerce et de l’industrie d’Ostende, 1902. Comptes-
rendus analytiques des séances réunis par Alb. Bouchery, (secrétaire du Congrès) ete.
Ostende, impr. A. Bouchery, 1902. 8. 104 pag. fr. 20.—.
Congrès, I", du Sud-Ouest navigable tenu à Bordeaux les 12, 13 et 14 juin
1902. Compte rendu des travaux. Paris, L. Mulo, 1902. gr. in-8. fr. 5.—.
Coudert, Ant. (avocat à la Cour d’appel de Paris), Le livre du brocanteur et
du négociant en chiffons. Paris, Arth. Rousseau, 1902. 8. fr. 3,50.
Mazoyer, Rigaux et Galliot (ingénieurs en chef des ponts et chaussées) et
Claise (ingénieur des ponts ete.), La navigation intérieure, rivières et canaux. Paris,
E, Bernard & C'*, 1902. gr. in-8. 226 pag. et atlas de 18 planches in-Folio. M. 20.—.
Philbert, V., De la liberté du commerce dans les traités de commerce. Paris,
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Réelamation de l'administration des douanes concernant un droit d'importation.
La Rochelle, impr. Masson & Or, 1902. 8. 15 pag.
Marvin, W. L., American merchant marine: its history and romance from 1660
101902. London, Low, 1902. 8. 462 pp. 8/.6.
Morgan, Ben H. (Engineering Trades Commissioner) The engineering trades.
London, P. S. King & Son, 1902. 8. With reproductions of numerous special plans,
drawings and photographs. 15/.—. (Contents chapters on: Condition of trade. — Methods
of business. — The shipping question. — Preferential tarifis. — Prices. — Gold mines
and mining machinery. — Coal and coal burning and mining machinery. ete. etc.)
Pogson, C. Ambrose, Germany and its trade. London & New York, Harper
& Brothers, 1903. gr. 8. XVI—174 pp. with map, cloth. 3/.6. (Contents: The German
empire of to-day; its geography, climate, and government. — Population. — Natural
resources and wealth of Germany. — Currency, weights and measures, banks and
banking. — Railways, tramways and waterways. — German harbours and shipping. —
Imperial and national revenues, expenditure, and debts. — Post-office, telegraphs and
telephones. — Imports and exports. — German commercial policy and the German
m — Commercial education in Germany. — Lists of German consulates in the British
Empire.)
Tables showing the progress of British merchant shipping to 1901. London, 1902,
Folio. 1/.—. Parl. pap. (Contents: Tonnage of British vessels and foreign vessels, 1840—
1901. — Rates of wages of seamen. — Persons employed. — Nationality of crews. —
Suez Canal traffic. — Vessels on the register of the United Kingdom, the principal
British possessions, and foreign countries, classified according to tonnage.)
Movimento della navigazione nel 1901. Roma, stabilimento Calzone-Villa, 1902.
Roy. in-Folio. XXVI—1192 pp. (Pubblieazione del Ministero delle finanze, Direzione
generale delle gabelle.)
7. Finanzwesen.
Uebersicht der Reichsausgaben und -Einnahmen für das Rechnungsjahr 1901.
Berlin, 1902, Roy.-4. 630 SS. (Reichstagsvorlage, 10. Legislaturperiode, II. Session
1900/1903. N° 780 vom 29. XI. 02.)
Wernicke, J., Die Sonderumsatzsteuern im Lichte der Gewerbefreiheit und Ge-
Werbeordnung sowie der allgemeinen Rechts- und Steuerprinzipien. Berlin, J. Gutten-
tag, 1902. gr. 8. IV—63 SS. M. 0,80.
HS
116 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Neymarek, Alfred, Finances contemporaines. I. Trente années financières
1872—1901. Paris, Guillaumin & C^, 1902. 8. 539 pag. fr. 7,50. (Table des matières:
1872. L'année des trois milliards. — 1873. L'année de la libération du territoire. —
1874. La rente 5°, au pair. — 1875. L'année des surprises. — 1876. L'année des
inquiétudes. — 1877. L'année des crises. — 1878. L'année de l'exposition. — 1879.
L'année des syndicats. — 1880. L'année des déerets. — 1881. L'année de la spécu-
lation. — 1889. L'année du krach. — 1883. L'année de !’inquietude. — 1884. L'année
de la crise. — 1885. L'année de la liquidation. — 1886. L'année de la reprise des
affaires. — 1887. L'année de surmenage. — 1888. L'année des équivoques. — 1889.
L'année du centenaire. — 1890. Militarisme, protectionnisme, socialisme. — 1891. Une
année d'avertissements, — 1892. Rente 3°/, au pair, dynamite et Panama. — 1893.
La lutte des classes. — 1894. L'année noire. — 1895. L'année de déceptions et de
spéeulation. — 1596. L'année des discussions fiscales. — 1897. L'année de l'alliance.
— 1898. Pessimisme exagéré. — 1899. Une année d'affaires et de profits. — 1900.
La dernière année d'un siècle. — 1901. Une année de fléchissement et de liquidation.)
du Velay, A. Essai sur l'histoire financière de la Turquie depuis le règne du
sultan Mahmoud II jusqu'à nos jour. Paris, Arth. Rousseau, 1902. 8. 722 pag.
fr. 20.—.
Colli, C., L'imposta progessiva. Milano, stamp. editr. Lombarda di Mondaini,
1902. 12. 46 pp.
Note sul dazio di consumo in Napoli. Napoli, tip. F. Giovannini & figli, 1902.
4. 16 pp.
8. Geld-, Bank., Kredit- und Versicherungswesen.
Buxton, Sydney, Mr. Gladstone as chancellor of the Exche-
quer. A study. London 1901. VIII u. 197 SS. Geb. 5 sh.
Neben einem vorwiegend für den englischen Politiker wertvollen,
bereits in neun Auflagen erschienenen „Handbook to political questions“,
hat Sydney Buxton ein in Deutschland viel zu wenig beachtetes zwei-
bändiges Werk 1888 unter dem Titel „Finance and politics, an histo-
rical study“ veröffentlicht, eine treffliche, stoffreiche Finanzgeschichte
Englands für den Zeitraum von 1783—1885, die sich durch eine Fülle
litterarischer Quellennachweise, Vollständigkeit und Zuverlässigkeit in
der Benutzung der Materialien auszeichnet, Vorzüge, die man anderen,
bekannteren englischen Finanzwerken, insbesondere der weit über Ge-
bühr geschätzten lückenreichen Steuergeschichte von Dowell, durchaus
nicht nachrühmen kann.
Buxton’s Studie über Gladstone’s Finanzpolitik giebt im Vergleich
zu seinem größeren Werke nicht viel Neues. Sie kann aber auf alle
Fälle als eine übersichtliche Darstellung der englischen Finanzverhält-
nisse für die Zeit von 1853—1883 bezeichnet werden. Der Verfasser
besitzt die Eigenschaft, die er bei Gladstone bewundert, das trockene
Zahlenmaterial der Budgets, Abrechnungen und Steuergesetze in an-
ziehender und fesselnder Weise zum Vortrag zu bringen, selbst in hohem
Maße, so daß man seine Studie auch da, wo sie schon von ihm im
früheren Werk Gesagtes wiederholt, gerne liest. He was never, for one
single minute — so sagt Buxton von Gladstone — dry or dull. Und
das gilt auch für den Verfasser. Dazu kommt, daß die Finanzepoche
Gladstone neben denen eines Pitt und eines Peel zu den interessantesten
und wichtigsten in England gehört.
1809 geboren, seit 1832 im Parlament, 1841 von Peel in die
Regierung berufen, hat Gladstone 10 Jahre als Chancellor of the Exche-
quer (Ende 1852 bis Anfang 55, Mitte 1859 bis Ende 66), à Jahre
als Premierminister und Leiter der Finanzen (August 1873 bis Februar
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 117
1874, April 1880 bis April 83) und 11 Jahre (Ende 1868 bis August 1873,
April 1883 bis Juli 1885, Januar bis Juli 1886, August 1892 bis Mitte 1894)
als Premierminister ohne das Finanzportefeuille seinen entscheidenden
Einfluß auf Englands Finanzen ausgeübt, ein Zeitraum, wie er seit Pitt,
welchem 18 Jahre lang das Finanzministerium unterstanden hatte, keinem
englischen Finanzminister mehr beschieden war. — Das parlamentarische
Regierungsprinzip trübt leicht das Urteil über einen großen Minister.
Auch auf Gladstone’s Verdienste als Finanzminister ist ein Schatten
gebreitet, den allerdings nicht seine Finanzleistungen, sondern seine
allgemeine Politik veranlaßt hat. Während die Finanzpolitik eines
Pit und eines Peel eine „hand-to-mouth finance“ war, war die
Gladstones auf Erfahrung und Wissen gegründet und häufig hat
er in seinen Parlamentsreden seine oft originellen Finanzideen ent-
wickelt. Aber der Druck der Verhältnisse nötigte ihn manchmal zu
einem Verzicht auf die Verwirklichung seiner Pläne. So war Gladstone
ein Gegner der Einkommensteuer und dreimal hat er den Versuch ihrer
Beseitigung unternehmen wollen. Er schätzte sie zwar als „an engine
of gigantic power for great national purposes“, aber nur als eine außer-
ordentliche Maßregel, als eine „war tax“ wollte er sie haben. Allein
‚Mr. Gladstones dream has been to destroy the tax, his fiscal work
bas resulted in making it perpetual.“ (Finance and politics, I, S. 194.)
Eine andere direkte Steuer, die succession duty, wurde 1853 von ihm
eingeführt, „the first considerable new tax that had been created since
the great war“, eine Steuer, wie sie Pitt schon 1796 geplant hatte
und die, wie die von Miquel beabsichtigte Erbschaftssteuer, eine Ergän-
zung zur Besteuerung des fundierten Einkommens bilden sollte. Diese
Steuer entsprach allerdings in ihrem Ergebnis nicht den Erwartungen
und ist neben dem von Gladstone versuchten Schema zur Zinsreduktion
für die Staatsschuld als Mißgriff zu bezeichnen. Um so erfolgreicher
waren Gladstone's sonstige zahlreiche Reformen, von denen wir nur an
die folgenden erinnern wollen: die endgiltige und völlige Reinigung
des alten und die Herstellung des vollkommen freihändlerischen Tarifs;
die Reduktion zahlreicher Abgaben, insbesondere auf Thee und für die
Feuerversicherung; die Beseitigung anderer insbesondere für Papier und
Zucker, die Reform der Stempelsteuer durch Einführung der Penny-
marke als Erhebungsform; die Reform der Biersteuer, der Erhebung
der Einkommensteuer, der Finanzkontrolle u. s. w. Wenn wir schließ-
lich anführen, daß zwischen 1852 und 1882 Steuern im Betrag von
53 Mill £ auferlegt, solche im Betrag von 721/, Mill. £ aber be-
seitigt wurden, und daß trotz des Nachlasses dieser 20 Mill. £ die
„tax revenu“ dennoch um 70 Mill. £ höher war, so erhellt schon hier-
aus, daß Gladstone’s Finanzpolitik einer Betrachtung würdig ist.
Berlin. Alfred Manes.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissen-
schaft. Herausgegeben vom deutschen Verein für Versicherungswissen-
schaft. Schriftleitung: früher Rechtsanwalt Ad. Rüdiger jetzt
Dr. phil. et jur Alfred Manes. Band I und II. Berlin (E. S.
Mittler u. Sohn) 1901/02 (Preis pro Band, 4 Hefte) 9 M.
118 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der am 26. September 1899 gegründete deutsche Verein für Ver-
sicherungswissenschaft, welcher an die Stelle des durch die Aufstellung
der aus den Erfahrungen 23 deutscher Lebensversicherungsgesellschaften
hervorgegangenen deutschen Sterblichkeitstafeln bekannten Kollegiums
für Lebensversicherungswissenschaft trat, hat den Zweck, die Versiche-
rungswissenschaft zu fördern. Unter Versicherungswissenschaft werden
nach $ 1 der Satzungen des Vereins „sowohl die rechts- und wirt-
schaftswissenschaftlichen wie die mathematischen und naturwissen-
schaftlichen Wissenszweige verstanden, deren Bestand und Fortbildung
dem Versicherungswesen dienlich sind“. Die Zahl der Mitglieder be-
trägt bereits 100 körperschaftliche und über 400 persönliche, darunter
die bedeutendsten deutschen Versicherungsgesellschaften und Vertreter
der Versicherungswissenschait. — Die vom Vereine herausgegebene,
nunmehr den 3. Jahrgang beginnende „Zeitschrift für die gesamte
Versicherungswissenschaft", ist, dem Zweck des Vereins entsprechend,
allen Versicherungszweigen ohne Unterschied, ob es sich um Privat-
versicherungsanstalten oder Staatsanstalten oder staatlich geleitete An-
stalten handelt, gewidmet; sie will aber, wie der Herausgeber in
einem einleitenden Artikel des 1. Jahrganges „das Versicherungswesen,
sein Zustand und seine Stellung in Wirtschaft, Gesetzgebung und Wissen-
schaft“ sagt, nur der Wissenschaft dienen und wird darum „einerseits
der freien Forschung keine Schranken setzen, andererseits von jedem
Hinübergreifen in die Sphäre nichtwissenschaftlicher Interessenvertre-
tung sich fernhalten“. Diesem Grundsatz ist die Zeitschrift, wie aus
dem reichen Inhalt der beiden ersten Bände ersichtlich ist, treu ge-
blieben. Sie enthält eine ganze Reihe größerer wissenschaftlicher Arbeiten,
daneben kurze Abrisse, deren Inhalt sich auf alle Zweige der privaten
und öffentlichen Versicherung erstreckt, behandelt rechtswissenschaft-
liche, historische, volkswirtschaftliche, statistische, mathematische und
andere versicherungstechnische Fragen , und zwar nicht lediglich aus
der Feder von Akademikern, sondern zum größten Teil aus den Federn
von Versicherungspraktikern. Eine Zusammenstellung der einschlägigen
Rechtsprechung wird von Zeit zu Zeit vom Herausgeber beigegeben.
— Das jüngst ausgegebene 4. Heft des 2. Bandes enthält folgende
Abhandlungen: 1) Ueber die Haftpflichtversicherung von Personen in
Vertrauensstellungen. Referate, gehalten im preußischen Versicherungs-
beirat von den Herren: Generaldirektor Dr. jur. F. Hahn-Magedeburg
und Geh. Hofrat Th. Klauss-Karlsruhe. 2) Zur juristischen Natur der
Kollektivunfall- und Haftpflichtversicherung. Von A. v. Weinreich.
3) Die Haltung des Reeders Dritten gegenüber für Verschulden der
Schiffsbesatzung bei der Schleppschiffahrt nach deutschem Recht. Von
Dr. P. Brüders. 4) Die Wertung der Familiengeschichte gegenüber
der Lungenschwindsucht. Von Stabsarzt a. D. Dr. Gollmer-Gotha. 5) Der
Begritf „Privatversicherungsunternehmung“. Von Rechtsanw. Dr. Fuld-
Mainz. 6) Die wirtschaftliche Bedeutung und Wirkung der Glieder-
taxe in der Unfallversicherung. Von A. Kleeberg, Prokurist der Vers.-
A.G. „Securitas“-Berlin. 7) Die Volksversicherung und ihre Fortbildung.
Von Dr. V. Peters. 8) Die Versicherung in den Niederlanden im Jahre
1901. Von Dr. W. Blink Schuurmann, Rechtsanwalt in Amsterdam. —
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 119
Dem vorliegenden Heft ist ein Ergänzungsheft folgenden Inhalts bei-
gegeben: 1) Der Entwurf zu einem schweizerischen Bundesgesetz über
den Versicherungsvertrag. Mit Einleitung und Erläuterungen von A.
Rüdiger. Nebst einem Anhang, enthaltend: a) Berechnung des Abzugs
som Deckungskapital beim Rückkauf einer Lebensversicherung, nach
Sprague. b) Der Schweizerische Bundesratsbeschluß vom 9. Mai 1902,
betr. Chomageversicherung, und dessen Begründung. 2) Vorschläge zur
Aenderung der gesetzlichen Vorschriften, betr. die Haftung der Reeder,
von Justizrat Boyens in Leipzig. Beide hier behandelten Fragen können
angesichts der bevorstehenden Regelung der privatrechtlichen Seite
der Versicherungsgesetzgebung für das Deutsche Reich einerseits und
der von den Hansestädten ausgehenden Bewegung zu Gunsten refor-
matorischen Vorgehens im Seeversicherungswesen andererseits zur Zeit
besonderes Interesse beanspruchen. — Da es bis jetzt außer dem in
Wien erscheinenden Ehrenzweig'schen Assekuranzjahrbuche in Deutsch-
land kaum eine umfassendere, den Anforderungen der Wissenschaft ge-
nügende, Parteiinteressen nicht dienende Versicherungszeitschrift giebt,
so ist die vorliegende Zeitschrift, die einem tatsächlich fühlbar ge-
wordenen Bedürfnisse ihre Entstehung verdankt, angethan, eine be-
deutende Lücke in der wissenschattlichen Fachlitteratur auszufüllen.
Wenn sie weiter in der bis jetzt betätigten Weise die erforderliche
Objektivität zu wahren versteht, wird sie nicht nur dauernd für
jeden Versicherungspraktiker und -theoriker ein unentbehrliches Hilfs-
mittel sein und bleiben, sondern auch für weitere Kreise, wie Volks-
wirte und Staatsrechtler, ganz besonders auch für den großen Kreis
der Versicherungsnehmer von hohem Interesse sein.
Gottfr. Leuckfeld.
Assekuranzjahrbuch. Begründet von A. Ehrenzweig. Herausgeg. von der
„Oesterr. Versicherungszeitung“. Jahrg. XXIV. Wien, Manz, 1903. gr. 8. IV—442 SS.
geb. M. 9.—. (Aus dem Inhalt: Treu und Glauben im Versicherungsverkehr, von Jos.
Zalud. — Zur Frage der Exekutionsfreiheit der Lebensversicherungspolizen, von Rud.
Hauensehild. — Die rechtliche Natur des Rückkaufs und der Beleihung der Polize in
der Lebensversicherung auf den Todesfall, von P. Moldenhauer. — Das italienische Ge-
setz über die Aufteilungs-(Tontinen-)Unternehmungen, von (Prof. Ul. Gobbi, — Be-
trachtungen über die Verletzung der Anzeigepflicht im Versicherungs- und insbesondere
im Rückversicherungsvertrage, von (Prof.) Arn. Bruschettini. — Risikoprämie und Spar-
prämie bei Lebensversicherungen auf eine Person, von (Prof. L. v. Bortkiewiez. —
Nach Maßgabe der rechnungsmäßigen Sterblichkeit steigende Renten, von K. Dizler. —
Vergleichung von Mittelwerten, von Corneille L. Landré. — Untersuchungen über die
Sterblichkeit der minderwertigen Leben in Skandinavien und Finland, von Hans Tise-
lius, — ete.
Bericht des Vorstandes über die Verwaltung der Landesversicherungsanstalt Elsaß-
Lothringen für das Jahr 1901. o. O. u. J. (Straßburg, im Oktober 1902). 4. 36 SS.
Crüger, Hans (Verbandsanwalt der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften), Handel und Genossenschaftswesen. Berlin, L. Simion, 1902. gr. 8. 36 SS.
M. 1.—. (Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 192.)
Gesehüftsberieht des Vorstandes der Versicherungsanstalt Württemberg für
die Jahre 1897—1901. Stuttgart, Druck der Stuttgarter Vereinsbuchdruckerei, 1902.
gr. Folio. 82 SS.
Götze, E. und P. Schindler, Taschenkalender zum Gebrauche der Handhabung der
Arbeiteryersicherungsgesetze. Jahrg. XV: 1903. 2 Teile. Berlin, Liebel’sche Buchhdlg.,
1902, 12. geb. M. 9.—. (Inhalt: Teil I. Unfallversicherung; Teil II. Invalidenversiche-
rung, Krankenversicherung, Ortsübliche Tagelöhne, etc.)
120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
v. Knebel-Doeberitz (GehORegR.), Hugo und (RegR.) Herm. Broecker,
Das private Versicherungswesen in Preußen. II. Bd.: Das Sterbekassenwesen in Preußen.
2. Aufl. Berlin, G. S. Mittler & Sohn, 1902. gr. 8. XI—92 SS. mit Tab. M. 3,50.
Mitteilungen über den 43, allgemeinen Genossenschaftstag der auf Selbsthilfe
beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften zu Bad Kreuznach vom
3. bis 6. IX. 1902. Herausgeg. von Hans Crüger (Verbandsanwalt). Berlin, J. Guttentag,
1902. gr. 8. VI—449 SS.
Müller, Neander, Differenztheorie und Börsengeschäfte. Aus den Gesichts-
punkten der Praxis beleuchtet auf Grund der gegenwärtigen Rechtsprechung des Reichs-
gerichts. 3. Aufl. Berlin, Frz. Siemenroth, 1903. gr. 8. 50 SS. M. 1.—.
Reichau, Wern., Die Kommanditgesellschaft auf Aktien und der ,,rechtsfühige
Verein“. Berlin, Struppe & Winckler, 1903. gr. 8. VI—72 SS. M. 2.—.
Sehouten, P., Die Prinzipien der Lebensversicherungsmathematik. Aus dem
Holländischen übs. von T. Chr. F. Reach. Vorwort von Corn. L. Landré. Jena,
G. Fischer, 1903. gr. 8. VIII—159 SS. M. 4,50.
Bailly, eP. (chef du contentieux à la compagnie d'assurances „le Monde“), De la
clause à ordr dans les polices d'assurances sur la vie et maritimes. Tome I". Lons-
le-Saunier, impr. Rubat du Mine & C", 1902. 8. 291 pag. fr. 10.—.
Banking almanack and directory, 1903. London, Waterlow, 1902. 8. 15/.—.
Fricke, W. A., The law and distribution of surplus of life insurance companies,
New York, Hooper & Underwood, 1902. 8. 84 pp. S 1.—.
Report of proceedings at NI Congress (of the International Co-operative Alliance)
held at Manchester, 21* to 25" July, 1902. London, King & Son, 1902. 8. 445 pp.
with 21 portraits and diagrams. 6/.—. (Contents: Rules, organization, and composition
of the Congress. — Reports on co-operation and profit sharing in various countries. —
Proceedings of the Congress, reports and resolutions adopted. — Papers read on: The
housing problem; Land settlement ; Co-operations in the United States; Co-operators and
peace; Co-operators and arbitration, ete. — International co-operative exhibition, ete.)
Warren, H., Story of the Bank of England: a bistory of English banking and
sketeh of money market. London, Jordan, 1902. 8. 258 pp. 3/.6.
Margini, Silvio, Il mutuo a scala mobile d'interesse ed il mutuo e l'assicura-
zione sulla vita. Verona, R. Cabianea, 1902. 12. 31 pp. l. 1.—.
de Lieme, N., De „centrale werkgevers risibank* hare verkeerde organisatie en
onvoldoend gedekte obligatieleening. 's Gravenhage, Passage-boekhandel, 1902. gr. 8.
19 blz. fl. 0,15.
9. Soziale Frage.
Dreydorff, Rud, Ein deutsches Reichsarbeitsamt. Geschichte
und Organisation der Arbeiterstatistik im In- und Ausland. Leipzig
(Jàh & Schunke) 1902.
Die vorliegende Arbeit ist das dritte Heft der von Professor
Stieda herausgegebenen volkswirtschaftlichen und wirtschaftsgeschicht-
lichen Abhandlungen. Im ersten Abschnitt werden Begriff und Auf-
gaben der Arbeiterstatistik, ihre Arten und ihre Notwendigkeit be-
stimmt. Die Arbeiterstatistik soll über die Lage der Arbeiter in der
Form von Zahlen einen erschöpfenden Aufschluß gewähren, sie soll zur
Gewinnung eines Bildes von der materiellen und sozialen Lage der Ar-
beiter führen. Es wird hervorgehoben, daß eine streng statistische Be-
handlung aller damit zusammenhängenden Materien als unmöglich zu
bezeichnen ist, und daß die Arbeiterstatistik von der allgemeinen Sta-
tistik, speziell von der Sozialstatistik, nicht getrennt zu behandeln ist.
Die erste Aufgabe der Arbeiterstatistik ist die zahlenmüfige Ermitte-
lung aller derjenigen Verhältnisse, in denen der Arbeiter als handeln-
des oder leidendes Subjekt selbst der Beobachtung zugänglich ist.
Reichen zu diesem Zweck die statistischen Untersuchungen nicht aus,
so sind andere Methoden heranzuziehen, es müssen „eventuell sogar
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 121
wegen der praktischen Unerreichbarkeit der Elemente einzelner Massen-
erscheinungen die Elemente anderer für jene symptomatischen Massen
als Quelle der Erkenntnis benutzt werden (Symptomstatistik).“ Das
ausführliche Programm, welches der Verfasser als Grundlage empfiehlt,
unfait: Lebensgestaltung der Arbeiter, Lebensweise und Lebenshaltung
— zur letzteren werden als Unterabteilungen aufgeführt: Das Budget,
die Arbeit (Arbeitsart, Arbeitszeit, Arbeitslohn u. s. w.) und der Ar-
beiter in sozialer Beziehung gegenüber der Gesamtheit, und als Glied
einer besonderen sozialen Gruppe (Organisation). Die Arbeiterstatistik
wirde demnach alle Gebiete der Statistik berühren, ihre Durchführung
kan nur durch den Staat erfolgen. Die Notwendigkeit liegt hierfür
darin, daß der Staat alle Verhältnisse, die ein öffentliches Interesse
haben, kennen soll, und daß er nur dann nachdrücklich helfen kann,
wenn er alle Schäden hinreichend kennt. Ferner kann er dadurch,
nach völliger Klarstellung der fraglichen Verhältnisse, sie einer sach-
gemäßen Diskussion unterwerfen und damit Gefahren vorbeugen, die
entstehen könnten.
Auf den Inhalt des zweiten Abschnittes, der eine Darstellung von
Leistungen des Auslandes auf dem Gebiete der Arbeiterstatistik bringt,
kann hier nicht näher eingegangen werden. Es werden behandelt: die
Vereinigten Staaten von Nordamerika, England, Frankreich, Belgien,
Schweiz und Oesterreich. Dreydorff übt an den Einrichtungen dieser
Staaten, die Deutschland auf diesem Gebiete voraus sind, eine abfällige
Kritik. Darauf hinweisen möchte ich hier, daß im Dezember 1901 die
italienische Regierung der Deputiertenkammer einen Entwurf, betreffend
die Schaffung eines Arbeitsamtes, vorlegte. Deputiertenkammer und
Senat haben den Entwurf angenommen. Darin ist die Errichtung eines
Arbeitsamtes und eines höheren Arbeitsrates vorgesehen. Ersteres ist
dem Ministerium für Handel, Gewerbe und Ackerbau angeschlossen, letz-
terer ist als Beirat des Arbeitsamtes gedacht. Auch die spanische Re-
gierung hat bereits einen Entwurf der Deputiertenkammer unterbreitet,
der beifällig aufgenommen ist.
Was hat nun Deutschland zur Pflege der Arbeiterstatistik getan ?
Zum Zweck der Ermittelung der Klagen, die gegen die Gewerbeordnung
erhoben waren, wurde 1875 eine Erhebung über die Verhältnisse der Ge-
sellen, Lehrlinge und Fabrikarbeiter veranstaltet. Das Ergebnis war nicht
übermälig wertvoll. Desgleichen lieferte eine Untersuchung über die
Frauen- und Kinderarbeit nur dürftiges Material. Dann folgten Er-
mittelungen über die Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen in der Wäsche-
fabrikation und der Konfektionsbranche und Erhebungen über die Be-
schäftigung gewerblicher Arbeiter an Sonn- und Feiertagen. Im Jahre
1897 ersuchte der Reichskanzler die Bundesstaaten, Erhebungen über
die Beschäftigung von Kindern anzustellen, weil die Angaben der Ge-
werbeaufsichtsbeamten im Jahre 1896 zu erheblich von denen der Be-
rufszählung des Jahres 1895 abwichen. Bei ungleichmäliger Durch-
führung konnten diese Erhebungen nur mangelhafte Gesamtresultate
ergeben. Im Jahre 1892 begann dann die Tätigkeit der Kommission
für Arbeiterstatistik; am 13. März laufenden Jahres hielt sie ihre
22. und letzte Sitzung ab. Sie hat Untersuchungen angestellt über
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122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien, über die Arbeitszeit
etc. im Handelsgewerbe, über die Arbeitsverhältnisse in der Kleider-
und Wäschekonfektion, in Getreidemühlen und über die Verhältnisse
der in Gast- und Schankwirtschaften beschäftigten Personen.
An anderweitigen Veröffentlichungen des Reiches werden noch an-
geführt die amtlichen Mitteilungen aus den Berichten der Gewerbe-
aufsichtsbeamten, denen man den Vorwurf mangelnder Objektivität nicht
erspart hat, die Statistik der Strikes und Aussperrungen, die Volks-,
Berufs- und Gewerbezählungen und die Arbeiterversicherungsstatistik.
Dreydorffs Urteil geht dahin, daß das, was Deutschland amtlicherseits
auf dem Gebiete der Arbeiterstatistik geleistet hat, dürftig ist. Auch
die arbeitsstatistischen Leistungen von Organen der Arbeiterinteressen-
vertretungen könnten keinerlei Ersatz bieten für den Mangel einer um-
fassenden Reichsarbeiterstatistik.
Um dem Mangel an einer Organisation der Arbeiterstatistik in
Deutschland abzuhelfen, hat es an Vorschlägen nicht gefehlt; dabei
gehen die Ansichten auseinander, ob man die Pflege der Arbeiterstatistik
— unter der Voraussetzung, daß sich die Bildung eines Arbeitsamtes
in absehbarer Zeit nicht verwirklichen lasse — dem kaiserlich-statistischen
Amte oder dem Reichsversicherungsamt übertragen soll. Von positiven
Vorschlägen, die darauf hinzielen, ein selbständiges Organ für die Ar-
beiterstatistik zu schaffen, sind der Schönbergsche vom Jahre 1871, der
Antrag der sozialdemokratischen Partei vom Jahre 1899 und die Leit-
sätze der „Gesellschaft für soziale Reform“ vom Jahre 1901, näher be-
leuchtet.
Den Schluß der Dreydorffschen Arbeit bildet ein aus 15 Paragraphen
bestehender „Gesetzentwurf, betreffend die Gründung eines arbeits-
statistischen Reichsamts (Reichsarbeitsamts)“. Dieses erhält die Aufgabe,
arbeitsstatistische Daten zu sammeln, zu verarbeiten und periodisch zu
veröffentlichen. Es wird die Errichtung von Arbeitsämtern für jeden
höheren Verwaltungsbezirk jedes Bundesstaates vorgeschlagen; als
Zentralbehörde ist ein dem Reichsamt des Innern unterstelltes Arbeits-
amt vorgesehen, dem ein Beirat zugeteilt wird, der sich aus dem Leiter
des Reichsamtes als Vorsitzenden und aus je einem Vertreter der übrigen
Reichsämter und aus 30 weiteren Mitgliedern zusammensetzt, von denen
je ein Drittel Arbeitgeber, Arbeitnehmer nnd fachmännisch gebildete
Personen sein sollen. Die einzelnen Arbeitsümter erhalten auch je einen
Beirat von 12 Personen.
Auch wer dem Dreydorffschen „Gesetzentwurf“, in dem die vor-
erwähnten Vorschläge berücksichtigt sind, nicht unbedingt zustimmen
kann, wird dem Buche seinen Wert nicht absprechen.
Seebach. Dochow.
Die Herabsetzung der Arbeitszeit für Frauen und
Erhöhung des Schutzalters für jugendliche Arbeiter in
Fabriken. Schriften der Gesellschaft für soziale Reform. Heraus-
gegeben vom Vorstande. Heft 7 u. 8. Jena (G. Fischer) 1902.
Das vorliegende Doppelheft der Schriften der Gesellschaft für soziale
Reform enthält Referate von Dr. August Pieper-M.Gladbach und von
a xx rm
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 123
Helene Simon-Berlin nebst einem Bericht über die erste Generalver-
sammlung der Gesellschaft in Köln.
Pieper behandelt die Notwendigkeit und Zweckmäligkeit des Zehn-
stundentages für Arbeiterinnen. Er weist darauf hin, wie von den ver-
schiedensten Seiten nachdrücklich auf einen zehnstündigen Arbeitstag
für Arbeiterinnen hingearbeitet werde. Als Gründe dafür macht er in
erster Linie die Notwendigkeit des Schutzes der Gesundheit geltend.
Die Frau wird in ihrer Gesundheit durch gewerbliche Arbeit weit leichter
geschädigt als der Mann; sie ist zudem, wenn sie ein Hauswesen zu
besorgen hat, durch diese Nebenbeschäftigung noch erheblich mehr be-
lastet. Als gleich wichtig werden die Gefahren bezeichnet, die aus
überlanger Arbeitszeit für die geistig-sittlichen Interessen der Arbeite-
rinnen erwachsen. Zudem mache die lange Arbeitszeit früher erwerbs-
wfähig; mit überlanger Arbeitszeit seien meistens auch niedrige Löhne
verbunden. Die Industrie habe ein Interesse an der verkürzten Ar-
beitszeit, weil sie sich dadurch ihre Arbeiter leistungsfähiger erhalten
kann. Desgleichen Staat und Gesellschaft; für beide hängt viel davon
ab, ob die Arbeiterinnen eine gesunde und leistungsfähige Nachkommen-
schaft erziehen können. Nur bei genügend freier Zeit kann der Arbeiter
an den Kulturgütern hinreichend Anteil nehmen.
Im zweiten Kapitel wird das Vordringen des Zehnstundentages in
den Industriestaaten erörtert. Auf Grund des vorliegenden Materials
erklärt Pieper die Frage der gesetzlichen Feststellung eines zehnstün-
dign Maximalarbeitstages für erwachsene Arbeiterinnen in Deutschland
für spruchreif. Die Angaben über die außerordentlichen Staaten be-
weisen, daß Deutschland, wenn es den Zehnstundentag für Arbeiterinnen
allgemein zur Durchführung bringt, „eine Entwickelungstendenz unter-
stützt, die sich in jenen Industrieländern am kräftigsten durchgesetzt
hat, die auf dem Weltmarkte den größten Vorsprung gewonnen haben.“
Im dritten Kapitel finden sich Untersuchungen über die Wirkung
des Zehnstundentages auf die Produktion. Pieper kommt zu dem Schluß,
daß eine Schädigung der Industrie oder der Arbeiter nicht eingetreten
ist. Eine Entlassung von Arbeiterinnen und ihre Verdrängung in die
Hausindustrie sei nicht zu befürchten, ebensowenig werde eine ungün-
stige Beeinflussung der Arbeitsbedingungen der männlichen Arbeiter
und eine Beeinträchtigung der Konkurrenzfähigkeit der Industrie er-
folgen. Piepers Vorschläge zielen auf eine Abänderung der Gewerbe-
ordnung 8 137 Abs. 2 ab, die, wie folgt, lautet: „Die Beschäftigung
von Arbeiterinnen über 16 Jahren darf die Dauer von 10 Stunden täg-
lich, an den Vorabenden der Sonn- und Festtage von 9 Stunden nicht
überschreiten.“ Die gegenwärtige, ungünstige Lage der Industrie sei
gerade geeignet, die Durchführung eines gesetzlichen Zehnstundentages
zu ermöglichen. Mit der Einschränkung der täglichen Arbeitszeit ist
naturgemäß auch eine Abänderung der Bestimmungen für die Ueberzeit-
arbeit zu verbinden. Pieper weist die Einwände, die gegen einen vor-
zeitigen Arbeitsschluß an Vorabenden von Sonn- und Festtagen geltend
gemacht werden zurück und tritt ein für eine Abänderung der Gewerbe-
ordnung $ 137 Abs, 1 und $ 138a Abs. 5 dahingehend, daß an diesem
Tage nicht mehr nach 41/, Uhr nachmittags (statt 5!/,) gearbeitet
124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
werden soll, und daß eine Ueberzeitarbeit nach 7!/, Uhr nicht mehr
gestattet sein darf. Unter nachdrücklichem Hinweis auf die Notwen-
digkeit einer genügend langen Mittagspause schlägt Pieper eine Ab-
änderung des $ 137 Abs. 3 vor, wonach bestimmt wird, daß eine min-
destens 11/,-stündige Mittagspause den Arbeitern gewährt werden mul,
falls die Arbeiter nicht in geheimer Abstimmung durch Arbeitsbeschluß
sich für eine einstündige Mittagspause erklären. Die Bestimmungen für
Wöchnerinnen sind dahin abzuändern, daß sie während 6 Wochen nach
ihrer Niederkunít überhaupt nicht und während der folgenden 2 Wochen
nur dann beschäftigt werden dürfen, wenn das Zeugnis eines appro-
bierten Arztes dies für zulässig hält.
Helene Simon stellt in ihrem Korreferat die Forderung auf, daß
Arbeiterinnen täglich nur 10 Stunden innerhalb der Zeit von 6 Uhr
vormittags und 6 Uhr abends, oder 7 Uhr und 7 Uhr, oder 8 Uhr und
8 Uhr beschäftigt werden dürfen; an den Vorabenden der Sonn- und
Festtage soll nur 8 Stunden gearbeitet werden; eine Beschäftigung
nach 4 Uhr nachmittags darf nicht erfolgen. Zwischen der Arbeits-
zeit sind 2 Stunden als Pausen zu gewähren, davon eine mindestens
11/,-stündige Mittagspause.
Ausnahmen von der gesetzlichen Arbeitszeit sind móglichst zu be-
schränken. Falls dies gegenwärtig nicht durchführbar ist, ist $ 138a
und 8 139a Abs. 4 der Gewerbeordnung zu streichen, und die weib-
lichen Arbeiter sind den jugendlichen nach $ 139a Abs. 3 und Ab-
schnitt 4 gleichzustellen.
In einem zweiten Abschnitt über die Erhöhung des Schutzalters
jugendlicher Arbeiter tritt die Korreferentin für ein Verbot der Arbeit
von Kindern unter 14 Jahren und für eine Erhöhung des Schutzalters
der Jugendlichen in den Fabriken von 16 auf 18 Jahre ein.
Beide Referate waren für die erste Generalversammlung der Gesell-
schaft für soziale Reform erstattet, dieam 22. September vergangenen Jahres
in Köln unter dem Vorsitze des Staatsministers Freiherrn von Berlepsch
stattfand. Aus der Einleitungsrede des Vorsitzenden und dem Geschäfts-
bericht des Generalsekretärs ist zu erwähnen, daß sich die Gesellschaft
im Jahre 1901 in Berlin konstituierte und laut Satzungen zur Aufgabe
stellte, erstens durch Aufklärung in Wort und Schrift die soziale Reform
auf dem Gebiete der Lohnarbeiterfrage in Deutschland zu fördern. Als
wesentliche Bestandteile dieser Reform erachtet sie: den weiteren Ausbau
der Gesetzgebung im Interesse der Arbeiterklasse und die Förderung
der Bestrebungen der Arbeiter, in Berufsvereinen und Genossenschaften
ihre Lage zu verbessern. Ferner wollte sie als deutsche Sektion der
Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz deren Be-
strebungen mit allen Kräften unterstützen.
Inwieweit die Gesellschaft im ersten Jahre ihres Bestehens ihrer
Aufgabe gerecht geworden ist, ist aus dem in Köln erstatteten Bericht
zu ersehen. Die Internationale Vereinigung wurde in jeder Weise unter-
stützt, hauptsächlich dadurch, daß es den Bemühungen des Vorstandes
gelang, die Beteiligung des Reichs und der Einzelstaaten an den Be-
strebungen zu erwirken, die in der Gewährung einer Subvention und
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 195
der Delegation von Regierungsvertretern zur Delegiertenversammlung
der internationalen Vereinigung in Köln zum Ausdruck kam.
In einer Reihe von Ausschußsitzungen sind wichtige Fragen an
der Hand von Referaten erörtert, so die Errichtung eines Reichsarbeits-
antes, die Verleihung von Korporationsrechten an die Arbeiterberufs-
vereine und deren Befreiung von den Vorschriften der Gesetze über
das Recht der politischen Vereine und die Teilnahme von Frauen an
sozialpolitischen Bestrebungen. Im Auftrage der Gesellschaft verfaßte
Professor Dr. Tönnies eine Schrift „Vereins- und Versammlungsrecht
wider die Koalitionsfreiheit^ (Heft 5 der Schriften) Zur Diskussion
stand die Frage der Regelung der Arbeitsverhältnisse in gewerblichen
Gärtnereien, und man sprach sich dahin aus, daß die in Kunst, Zier-
und Handelsgärtnereien beschäftigten Arbeiter den Bedingungen der
Gewerbeordnung zu unterstellen seien. Ferner wurde die Forderung
nach Verschärfung und weitere Ausdehnung der Bundesratsverordnung
über den Schutz der Angestellten in Gast- und Schankwirtschaften er-
hoben. Die Referate und Resolutionen sind in den Schriften der Gesell-
schaft enthalten. Es gehören ihr über 1000 Mitglieder an, darunter
130 Korporationen; auch haben sich schon mehrere Ortsgruppen ge-
bildet, die teilweise eine rege Tätigkeit entfalten. Mit Hilfe von Reichs-
tagsabgeordneten der Zentrumspartei, der nationalliberalen Fraktion und
der Freisinnigen Vereinigung, die dem Ausschuß der Gesellschaft für
soziale Reform angehören, sind gemeinsam und teilweise mit Erfolg
eine Anzahl sozialpolitischer Anträge eingebracht worden.
Die Gesellschaft für soziale Reform kann mit Genugtuung auf das
erste Jahr ihres Bestehens zurückblicken.
Seebach. Dochow.
Delbrück, Hygiene des Alkoholismus. Jena, (Gustav Fischer) 1901.
Die lesenswerte und, was besonders hervorgehoben sei, leicht lesbare
Abhandlung bildet einen Abschnitt des von Weyl herausgegebenen
Handbuches der Hygiene. Verfasser verkennt die Schwierigkeiten, die
der Darstellung des Alkoholismus heutigen Tages noch entgegenstehen,
nicht, und er will deshalb seine Darstellung auch nur als kurze Skizze
des Standes der Sache aufgefaßt wissen. Man wird anerkennen müssen,
daß diese Skizze mit Sicherheit gezeichnet und gerade wegen der
kritischen Würdigung des Materiales als wertvolles Orientierungsmittel
zu brauchen ist.
Verfasser bespricht zunächst die Ursachen des Alkoholismus; er
vergißt nicht, dabei auch der Fehlerquellen zu gedenken, die namentlich
dem statistischen Material — z. B. bezüglich des Alkoholkonsums —
anhaften. Von Interesse und sicher überraschend ist der Schluß, zu
dem ihn eine kritische Würdigung der Verbrauchsziffern geführt hat,
daß zur Zeit die Schnapsländer die mäßigen, die Wein- und Bierländer
die unmäßigen sind. Auch wenn man die Berechtigung dieser Folgerung
nicht in vollem Umfang anerkennen will, erscheint des Verfassers Warnung
vor Unterschätzung der aus dem Bierkonsum drohenden Gefahren doch
beachtenswert. Die sozialen und individuellen Ursachen des Alkohol-
konsums finden gebührende Berücksichtigung.
126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
In letzter Linie wird die Trinksitte für den zunehmenden
Alkoholmißbrauch verantwortlich gemacht; Verfasser identifiziert aber
hier vielleicht zu sehr den da und dort bestehenden, sicher ebenso be-
klagens- wie bekämpfenswerten Zwang zum Alkoholgenuß mit der
Gewohnheit, und der Kampf, den er gegen die Trinksitte führt, gilt in
Wirklichkeit dem Trinkzwang.
Die aus dem Alkoholismus resultierenden Schädlichkeiten auf ge-
sundheitlichem und sozialem Gebiete sind knapp, übersichtlich und mit
erfreulicher Vorsicht und Zurückhaltung in der Verwertung von Zahlen
dargestellt.
Einen breiten Raum nimmt entsprechend der Anlage des Gesamt-
werkes das Kapitel über die Bekämpfung des Alkoholismus ein.
Einigermaßen auffallend in einem der Hygiene gewidmeten Buche
mag es erscheinen, daß der erste Abschnitt dieses Kapitels der Be-
handlung der Trunksucht gewidmet ist; die Erklärung liefert zum Teil
die Stellung des Autors als Psychiater, dem natürlich die Behandlung
der ausgebrochenen Krankheit als tägliche Aufgabe am nächsten liegt,
zum viel größeren Teil entspricht die Voranstellung des im engeren
Sinne therapeutischen Teils der in der ganzen Antialkoholbewegung viel
mehr, als gemeinhin angenommen und zugegeben wird, vorherrschenden
Neigung, die Einwirkung auf das Einzelindividuum in ihrer Wertig-
keit bezüglich des Gesamterfolges zu überschätzen. Daher wohl auch
die nach des Ref. Anschauung etwas zu optimistische Beurteilung, die
die Wirksamkeit der Abstinenzvereine durch den Verfasser erfährt. Daß
ihre Wirksamkeit hinter den Erwartungen, die die Darstellung des
Verfassers erwecken muss, zurückbleiben, ergibt sich aus seiner
eigenen späteren Notiz, daß die Zahl der Abstinenten in der Schweiz,
deren Verhältnisse Verfasser aus eigener Anschauung und tätiger Mit-
arbeit kennt, im Vergleich zu England und den skandinavischen Ländern
noch minimal ist; dabei erfreut sich die Schweiz einer regen, von
berufenster Seite organisierten und mit Feuereifer geleiteten Vereins-
tätigkeit, die noch dazu in den lokalen Verhältnissen eines kleinen
Landes besonders günstigen Boden findet.
Die zwangsweise Unterbringung von Trinkern will Verfasser auf
die unheilbaren, dauernder Detention bedürftigen Trinker beschränkt
wissen; die heilbaren sollen freiwillig sich in Anstalten begeben, die
Verfasser der privaten Initiative vorbehalten will. Ref. möchte auf
Grund eigener Erfahrungen bezweifeln, ob die Zahl der Trinker, die
von der so gebotenen Heilungsmöglichkeit Gebrauch machen werden,
irgend erheblich sein wird. Es genüge zur Begründung dieser Zweifel da-
rauf hinzuweisen, daß die spärlichen bis jetzt bestehenden Trinkerasyle, wie
ein vor kurzem erlassenes Rundschreiben zu Gunsten der Berliner An-
stalt lehrt, über mangelnde Frequenz zu klagen haben. Beizupflichten
ist dem Verfasser darin, daß die Hoffnungen, die man auf die Trinker-
entmündigung nach Inkrafttreten des B.G.B. gesetzt, sich nicht erfüllt
haben. Nach den Erfahrungen des Ref. wird von der Maßregel über-
haupt nur ein verschwindender Gebrauch gemacht. Glaubt man also
schon durch die zwangsweise Anstaltsbehandlung der Säufer Erfolge
erzielen zu können, so muß dieser Zwang auf weniger umständlichem
—
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 127
Wege geübt werden können. Im übrigen steht Verfasser auch den
Heilerfolgen, die durch die Anstalten erzielt werden, erfreulicherweise
nicht kritiklos gegenüber.
Aus einer historischen Uebersicht über die Antialkoholbewegung
verdient besondere Beachtung, was Verfasser über die glänzend be-
gonnene und jäh beendete ältere deutsche Bewegung sagt. Von gesetz-
geberischen Maßnahmen verspricht sich Verfasser nicht allzuviel; seine
kritischen Bemerkuugen über die vieltach so hoch angeschlagenen
Wirkungen des Gotenburger Systems und der Prohibition sind jedenfalls
geeignet, übertriebene Erwartungen von vornherein zu dämpfen.
Die wesentlichsten Gesichtspunkte scheint dem Ref. ein kurzes
„andere Maßregeln“ überschriebenes Kapitel zu enthalten; bezüglich der
alkoholfreien Ersatzgetränke ist dem Verfasser voll beizustimmen; das
beste derselben ist Wasser; alle wein- und bier- ähnlichen derartigen
Produkte sind nach des Ref. Ansicht absolut entbehrlich und nur ge-
eignet, die falsche und gerade von den Abstinenzlern zu bekämpfende
Vorstellung weiter zu nähren, als ob Geselligkeit ohne wenigstens alkohol-
äbnliche Getränke unmöglich wäre. Nach des Ref. Ansicht verdanken
diese Ersatzgetränke ebenso wie die unzähligen künstlichen Nähr- und
Heilmittel, die eine rege Industrie immer erneut auf den Markt bringt,
den Bedürfnissen der Konsumenten ihre Existenz viel weniger als den
Bedürfnissen der Produzenten.
Den übrigen Maßnahmen, die in dem Kapitel kurz gestreift werden,
hätte Ref. in Anbetracht ihrer Wichigkeit eine etwas ausführlichere
Darstellung gewünscht; gerade in dem Streben nach Befriedigung der
hier ganz kurz erhobenen Forderungen bietet sich der praktischen
Tätigkeit des einzelnen wie der Vereine ohne gesetzgeberische oder
propagandistische Vorarbeit ein ergiebiges Feld.
Wenn dann immer weitere Kreise durch die Bereitstellung von
Wärmehallen, Kaffeehäusern, Klubs, Speisehäusern ohne Alkoholzwang,
durch bessere Wohnungen und dergleichen von dem Zwang oder Be-
dürfnis nach Erholung im Wirtshaus befreit werden, so wird sich die-
jenige Umstimmung der öffentlichen Meinung über den Alkohol, die
der Verfasser als Vorbedingung für alles weitere Tun betrachtet,
als Wirkung ganz von selbst ergeben, und die Streiter im Kampfe
haben zudem den Gewinn, daß sie durch den Hinweis auf positive
Leistungen den Mut der noch abseits Stehenden zur Mitarbeit zu ent-
fachen vermögen.
Als letztes Ziel gilt dem Verfasser die allgemeine Abstinenz, und
er glaubt, daß dieselbe noch eher erreichbar wäre als die allgemeine
Mäßigkeit. Vorläufig bescheidet er sich allerdings mit einer Forderung,
die man als ebenso maßvoll und berechtigt, wie auch nach des Ref.
Erfahrungen erfüllbar ansehen darf: der Befreiung vom Trinkzwang,
der Berechtigung jedes einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er trinken
wil oder nicht: also wenn man will, statt der von den Fanatikern ge-
forderten von den Vereins- oder Logenbrüdern übernommenen Pflicht
der Abstinenz das von der Gesellschaft dem einzelnen zuzuerkennende
Recht der Enthaltsamkeit. Nach der Ansicht des Verfassers wäre auch
die Anerkennung dieses Rechtes noch in weite Ferne gerückt. Nach
128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
den Erfahrungen, die Ref. persönlich in fast zehnjähriger Uebung der
Abstinenz gemacht, ist der Abstinenzler friedlicher Duldung und An-
erkennung seines guten Rechtes in Gesellschaft von Alkoholfreunden
auch jetzt schon sicher, wenn er — unbeschadet des Rechtes und der
Pflicht, nach Kräften Aufklärung am rechten Orte zu schaffen —
die Freiheit der Bestimmung, die er selbst beansprucht, gegebenen Falles
auch anderen zubilligt. Wenn aber Verfasser gar behauptet, der
Vegetarianer stoße in Gesellschaft viel weniger an als der Alkoholabstinent,
so ist das sicher eine der Uebertreibungen, wie sie gerade im Kampfe
gegen den Alkohol vielfach unterschlüpfen, von denen aber der Ver-
fasser seine gerade darum so wertvolle Darstellung sonst dankenswerter-
weise freigehalten hat. Heilbronner.
Hoppe, Die Tatsachen über den Alkohol. 2. Autlage. Berlin
(S. Calvary & Co.) 1901.
Das Werk, das nach relativ sehr kurzer Frist eine 2. Auflage er-
lebt hat, soll in erster Linie ein Repertorium bilden, in dem jeder für
die Alkoholfrage sich Interessierende diejenigen Tatsachen zu finden
vermag, die bisher über den Alkohol bekannt geworden sind.
Man wird dem Verfasser rückhaltlose Bewunderung zollen dürfen
für die Bewältigung der Riesenarbeit, das aus zahllosen, zum Teil ganz
versteckten Quellen fließende Material zu sammeln — noch dazu unter
äußeren Verhältnissen, die der Erledigung solcher Arbeit keineswegs
günstig gewesen zu sein scheinen.
Nach eingehenden Mitteilungen über die Verbreitung des Alkohol-
konsums in den verschiedenen Kulturländern, denen sich eine Be-
sprechung des Aufwandes für alkoholische Getränke anschließt, folgt
zunächst eine Darstellung der Herstellung und Zusammensetzung der
alkoholischen Getränke und ihrer physiologischen Wirkung, wobei die
bekannten Versuche der Heidelberger Schule eingehend gewürdigt
werden.
Im Hauptteil des Buches entwirft Verfasser dann, fast ausschließ-
lich auf Grund einer Zusammenstellung des literarisch niedergelegten
Materials, gelegentlich auch eigene Beobachtungen aus seiner psychia-
trischen Tätigkeit heranziehend, ein erschreckendes Bild der durch die
Alkoholseuche angerichteten Verheerungen.
In größeren Abschnitten schildert er zunächst die durch den Alkohol
gesetzten Schädigungen der einzelnen Organe, unter denen die Erkran-
kungen des Zentralnervensystems begreiflicherweise den weitesten Raum
einnehmen, den Einfluß des Alkohols auf die Morbidität (insbesondere
die Verminderung der Resistenz gegen Infektionskrankheiten) und die
Beziehungen des Alkoholismus zur Mortalität. Den Beziehungen zwischen
Alkohol und Geisteskrankheiten ist ebenso wie denen zwischen Alkohol
und Kriminalität je ein besonderes Kapitel gewidmet. Nach einer aus-
führlichen Erörterung der Beziehungen zwischen Alkohol und Pauperis-
mus und der neueren, auch der experimentellen Forschungen über die
deletären Wirkungen des elterlichen Alkoholismus auf die Descendenz
schließt eine Darstellung der Verbreitung der Trinksitten und der Trunk-
sucht, von der ganz besonders die Mitteilungen über die schweren Folgen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129
des Alkoholkonsums der Kinder und Heranwachsenden allgemeinste
Verbreitung verdienten, das inhalt- und umfangreiche Werk ab.
Dasselbe wird zweifellos seiner Bestimmung, Material zu liefern,
das ebenso zu eigener Belehrung wie auch als Material im Kampfe
gegen den Alkohol dienlich ist, durchaus gerecht, ganz besonders liefert
ein reichliches Tabellenwerk am Schlusse des Bandes in nuce ein schätz-
bares Material an Daten und Zahlen.
Auf Einzelheiten einzugehen, erscheint bei der Menge des bei-
gebrachten Materiales unmöglich, um so mehr als der Verfasser seine
Person und seine persönlichen Ansichten durchaus zurücktreten läßt.
Trotz dieser Zurückhaltung muß die Lektüre des Buches zu dem
Schlusse führen, daß der Verfasser zu den Alkoholgegnern strengster
Observanz gehört: für ihn ist (S. 41) der giftige Alkohol einfach ein
Analogon der Zerfallsprodukte, welche bei der Zersetzung der Eiweiß-
stoffe durch die Fäulnisbakterien entstehen.
Wenn sich gegen die Darstellung des Verfassers Bedenken erheben
lassen, so gelten dieselben nicht dem verdienstlichen Werke als solchem,
sondern der ganzen Richtung, die durch dasselbe gekennzeichnet wird;
es erscheint aber dem Ref. angezeigt, diese sich aufdrängenden Be-
denken hier auszusprechen, auf die Gefahr hin, daß ihm von seiten der
rübrigen Vertreter der Totalabstinenz der Vorwurf der Rückständigkeit
gemacht werde.
Verf. erkennt irgendwelche Berechtigung des Alkoholkonsums nicht
an, und er stützt sich dabei auf die oben erwähnten Ergebnisse der
Exprimentaluntersuchungen, die als solche sicher nicht angezweifelt
werden sollen; es verdient aber nach Ansicht des Ref. doch ausge-
sprochen zu werden, daß sich die psychischen Leistungen nicht er-
schöpfen in dem, was solcher experimenteller Prüfung zugänglich ist;
wem Auswendiglernen, Addieren, Assoziationen auf Reizworte im Ex-
periment geschädigt werden, und wenn sogar überhaupt jede intensive
geistige (wie körperliche) Tätigkeit unter dem Einflusse des Alkohols
weniger gut von statten geht, so ist damit noch nicht erwiesen, daß
jede Art psychischen Geschehens in gleicher Weise ungünstig be-
einflußtt wird; und selbst wenn dies der Fall sein sollte — Ref. ist
geneigt, es anzunehmen, sieht aber keine Móglichkeit, diese Frage exakt
zu beantworten — bliebe noch zu beweisen, daß die durch mäßigen
Alkoholgenuß gesetzte Dauerschädigung tatsächlich so groß ist, daß die
Forderung der Totalabstinenz auch für all diejenigen berechtigt wäre,
die jetzt im gelegentlichen oder regelmäßigen Genuß Erholung und subj ek -
tive Anregung finden. Den Ergebnissen der Experimentaluntersuchungen,
die in diesem Sinne sprechen, steht doch eine Erfahrung gegenüber, die
nicht ohne weiteres vernachlässigt werden darf: daß die große Mehrzahl
auch derjenigen Menschen, die auf den verschiedensten Gebieten mehr
als Durchschnittliches geleistet haben, im Sinne des Laboratoriums-
versuches als chronische Alkoholisten anzusprechen wären. Wie schwer
sich die Ergebnisse solcher Versuche auf die Praxis übertragen lassen,
erhellt aus nichts so deutlich, als aus dem gleichfalls von der Heidel-
berger Schule geführten Nachweis, daß auch ein zweistündiger Spazier-
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 9
me -— ©
130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gang die experimenteller Prüfung zugänglichen psychischen Leistungen
nicht bessert, sondern und sogar recht nachhaltig verschlechtert. Trotz-
dem wird niemand das Spazierengehen als schädlich grundsätzlich ver-
bieten. \
Ein anderes Bedenken des Ref. richtet sich gegen die Heran-
ziehung einzelner Fälle, die der Verf. da und dort zur Illustration ein-
schaltet; zum großen Teil handelt es sich um kasuistische Mitteilungen
ganz seltener Vorkommnisse, deren Deutung an sich nicht immer unan-
fechtbar ist und die, trotzdem den Ergebnissen umfangreicher Ermittelungen
ohne weiteres an die Seite gestellt, geeignet sind, dem Laien, für den
das Buch doch mitbestimmt ist, ein zwar propagandistisch wirksames,
in Wirklichkeit aber verzerrtes Bild der tatsächlichen Verhältnisse zu
liefern.
Auch sonst erscheint das Material, mit dem der Verf. arbeitet,
nicht immer durchaus einwandfrei; wie weit die sonstigen statistischen
Mitteilungen Anspruch auf unbedingte Verlässigkeit machen, entzieht
sich dem Urteil des Ref.; er möchte aber doch, von den Erfahrungen
seines speziellen Berufes ausgehend, darauf hinweisen, daß die Zahlen,
die z. B. das Verhältnis zwischen Alkohol und Morbidität speziell be-
züglich der psychischen Erkrankungen ausdrücken sollen, so ohne
weiteres doch nicht die wirklichen Verhältnisse wiedergeben. Daß dem
Alkohol (nicht nur der Trunksucht, sondern auch unter ungünstigen
Verhältnissen dem mäligen Konsum) ein erhebliches Kontingent
der psychischen Erkrankungen zur Last zu legen ist, wird kein Er-
fahrener bestreiten; die immensen Ziffern, die die Prozentzahlen der
Säufer unter den aufgenommenen Geisteskranken, namentlich in den
großstädtischen Irrenanstalten, darstellen, geben aber doch ein zu
schwarzes Bild; um die Verhältnisse richtig zu würdigen, muß man
wissen, daß diese Säufer in den Anstalten zum großen Teil nur ganz
vorübergehend untergebracht sind; ein richtiges Bild ergäbe sich also
nur dann, wenn statt des Prozentverhältnisses unter den Aufnahmen
dasselbe Verhältnis unter dem Bestande oder noch besser unter der
Gesamtzahl konsumierter Verpflegungstage bestimmt würde. Auch dann
bleibt noch dem subjektiven Ermessen ein weiter Spielraum bezüglich
der Annahme der alkoholischen Genese der einzelnen Erkrankungen:
Beweis dafür, daß von zwei sächsischen Landesanstalten (S. 201) im
gleichen Jahre die eine 8, die andere aber 27 Proz. Säufer unter ihren
Aufnahmen hatte; wenn nicht besondere Umstände, die dann eben
kenntlich gemacht sein müßten, wirksam sind, so kann die Differenz
nur der Ausdruck subjektiver Meinungsverschiedenheiten sein. Die
Frage wird namentlich dann praktisch wichtig, wenn der Versuch ge-
macht wird — wie es des öfteren geschehen — aus der Zu- und Ab-
nahme der Frequenz der Irrenanstalten oder der Potatoren in den An-
stalten Schlüsse auf die Wirksamkeit der antialkoholischen Bestrebungen
zu ziehen; ganz abgesehen von anderen Einflüssen darf auch nicht ver-
gessen werden, daß mit der zunehmenden Einführung von Irren-
abteilungen bei den Krankenhäusern die Alkoholisten aus den eigent-
lichen Irrenanstalten, deren Zahlen den Statistiken zumeist zu Grunde
gelegt werden, mehr und mehr verschwinden, während andererseits die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 131
städtischen Anstalten eine unverhältnismäßig große Anzahl „geistes-
kranker Säufer“ — vielfach allerdings nur schwer Betrunkener — auf-
nehmen.
Alle derartigen Momente müßten gewürdigt werden, wenn die Zahlen
mehr als propagandistische Zwecke erfüllen sollten; daß nackte Ziffern
auch in anderem Sinne gedeutet werden können, als es der Verf. tut,
beweist das bekannte, etwas ältere Buch Grotjahns, dessen Auffassung
der Verf. wieder gelegentlich kritisiert.
Analoge Bedenken hätte Ref. noch nach manch anderer Richtung
bezüglich der medizinischen Kapitel, namentlich der Zahlen über die
Entartung der Alkoholikerfamilien, zu erheben; der Verdacht muß sich
aufdràngen, daß die Kritik auch an anderen Zahlen mit gleichem Rechte
einsetzen würde.
Die Erklàrung liegt nahe: die ganze Alkoholfrage wird zu sehr
isoliert von anderen Phänomenen behandelt, und die Neigung, bei jeder
Koinzidenz von Alkoholmißbrauch und anderen unerfreulichen Erschei-
nungen ohne weiteres den Alkohol als Ursache, alles andere als Folge
anzusehen, ist allmählich übermächtig geworden; nur so erscheint es
verständlich, daß Kindersterblichkeit, Totgeburten, ja Rachitis und
Tuberkulose in der Deszendenz ohne weiteres dem degenerativen Einfluß
der väterlichen Unmäßigkeit zur Last gelegt werden konnten, und daß
man zuletzt bei ?/, aller in Nervenanstalten untergebrachten Männer
den Alkohol als ursächliches Moment anschuldigte.
Ein Hinweis auf diese Mängel, an denen ein großer Teil aller ein-
schlägigen Arbeiten krankt, erscheint nicht nur aus wissenschaftlichen
Gründen gerechtfertigt, sondern auch aus eminent praktischen durchaus
nötig. Daß die Feinde der Antialkoholbewegung gerade an derartigen
Stellen einsetzen und aus einzelnen Uebertreibungen für ihre Zwecke
Kapital schlagen, erscheint dem Ref. noch der geringere Schaden; die
Gefahren des Alkohols und die Notwendigkeit des Kampfes gegen den-
selben werden ernstlich kaum mehr in Zweifel gezogen werden können.
Viel ernster erscheint eine andere Gefahr: der Kampf gegen die
aus dem Alkoholismus drohende Gefahr erfordert eine tätige Mitarbeit
der weitesten und breitesten Kreise: es darf nicht verkannt und ver-
schwiegen werden, daß die Art und Weise, namentlich die zu Ueber-
treibungen neigende, laute, propagandistische Form, in der der Kampf
von vielen Seiten geführt wird, vielfachen Anstoß in den Kreisen derer
erregt, die den Zielen selbst sympathisch gegenüberstehen, und daß so
der Sache Kräfte entzogen werden, die sich zu stiller Arbeit gerne zur
Verfügung stellen würden. Es ist ganz bezeichnend, daß der verdiente
deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke sich vor kurzem
der übereifrigen Freunde der Antialkoholbewegung — der Total-
abstinenzler — recht energisch zu wehren Gelegenheit nehmen multe.
Noch eine weitere Gefahr erwächst aus der Auffassung der Alkohol-
frage, wie sie sich in dem Hoppeschen Buche widerspiegelt. Die Maß-
nahmen, die zur Abwendung von Mißständen getroffen werden, sollen au
den Schäden einsetzen, die als Ursache der Mifstünde erachtet werden.
Gewinnt, wie es manchmal fast scheinen möchte, eine Richtung die
de
132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslande
Oberhand, die einseitig im Alkoholismus die Wurzel aller Uebel sieht,
so erhebt sich die schwere Gefahr, daß die Abwehrmafregeln in ebenso
einseitiger Richtung getroffen werden; es erscheint nötig, zeitig zu
warnen, um späteren schweren, aber unausbleiblichen Enttäuschungen
vorzubeugen, und es wäre auf alle Fälle zu wünschen, daß sich ein Autor
fände, der mit demselben Eifer, mit dem Hoppe alle möglichen Folgen
des Alkoholmißbrauchs zusammengestellt, allen möglichen Ursachen
desselben nachginge. Heilbronner.
Lieven, Fürst Maximilian, Die Arbeiterverhältnisse des Groß-
grundbesitzes in Kurland. I. Abt., I. Bd., Lief. 1—4. Mitau, bei
J. F. Steffenhagen und Sohn, 1900/1901. Fol. 199 SS.
Der auch in Kurland — wenngleich örtlich differenziert — immer
häufigere und empfindlichere Mangel an landwirtschaftlichen Arbeits-
kräften hat im Jahre 1898 eine Untersuchung der Ursachen dieser Er-
scheinung durch die Kurländische ökonomische Gesellschaft in Gang
gebracht. Hierbei stieß man jedoch sofort auf unüberwindliche Schwie-
rigkeiten, da es an jeder verläßlichen statistischen Grundlage fehlte.
Diese nun im Interesse „einer gründlichen Beurteilung der augenblick-
lichen Lage der in der Landwirtschaft des Großgrundbesitzes beschäf-
tigten Arbeitskräfte und zwar speziell im Hinblick auf den Arbeiter-
mangel und seine Gründe“ zu beschaffen, übernahm der Verf. Er ver-
anstaltete zu diesem Zwecke im Frühjahr 1899 eine Privatenquete, die
dann noch zur Ausfüllung von nachträglich zu Tage getretenen Lücken
des ursprünglichen Fragebogens durch eine Nachenquete bezw. im Wege
der Privatkorrespondenz ergänzt wurde.
Untersuchungsobjekt bildeten: das Verhältnis der vorhan-
denen zu den erforderlichen Knechten, d.h. „allen ständigen
für die Feldwirtschaft direkt von der Gutsverwaltung jährlich engagierten
Arbeitskräften gegen vorher bemessene Löhnung“ mit Ausschluß also
alles speziellen Dienstpersonals; Dienstzeit, Nationalität und
Geburtsort der Knechte; die Arbeitsverhältnisse; die
Lage und die Locopreise; die Lohnverhältnisse der De-
putatknechte, d. h. derjenigen, die „alle Arbeitstage des Jahres
der Gutsverwaltung zu leisten haben und daher auch so gestellt sind,
daß ihre Art der Löhnung keinen Aufwand an eigener Zeit von ihnen
beansprucht“; die Lohnverhältnisse der Landknechte, denen
im Gegensatz zu den „Deputatknechten“ „ein großer Teil ihrer Arbeits-
zeit zwecks Erwerbung ihres Lohnes zur Verfügung gestellt werden
mul“; die Lohnverhältnisse der Tagelóhner.
Das vom Verf. gesammelte Material, das sich auf etwa 80 Proz,
des gesamten kurländischen Großgrundbesitzes bezieht, also ziemlich
vollständig ist, gelangt nun — nach den 10 Kreisen des Landes ge-
ordnet — in dem vorstehend angezeigten Werke zur Darstellung. Dies
geschieht derart, daß die oben erwähnten untersuchten Verhältnisse zu-
nächst gesondert in tabellarischen Uebersichten vorgeführt werden.
Hierzu aber treten, um tiefere Einsicht zu ermöglichen, am Schlusse
eines jeden Abschnittes: eine Anzahl von Kontraktkopien; eine kurze
Zusammenfassung der dem Verf. über die Verhältnisse jedes Kreises
E
Uebersicht über die nenesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 133
zugegangenen Meinungsäußerungen; ein Bericht über etwa im Kreise
oder auf einzelnen Gütern vorhandene besondere Einrichtungen, resp.
auch Kopien der Statuten, Rechenschaftsberichte etc.
Vorläufig liegt nur die Bearbeitung des Materials für die Kreise
Windau, Goldingen, Talsen und Tuckum vor. Für die 6 anderen steht
sie — hoffentlich nicht mehr lange — noch aus.
Diese Anzeige bezweckt nur, vorläufig auf die sehr wertvolle und
für die Erkenntnis der ländlichen Arbeitsverfassung in Kurland ungemein
wichtige Publikation aufmerksam zu machen. Eine eingehende und
systematische Würdigung ihrer Ergebnisse behält sich Ref. für den
Zeitpunkt vor, da sie vollständig vorliegen.
Wien. , Carl Grünberg.
Detmer, H. (OBibliothekar), Bilder aus den religiösen und sozialen Unruhen in
Münster während des 16. Jahrhunderts. I. Johann v. Leiden. Seine Persönlichkeit
Ce seine Stellung im münsterschen Reiche. Münster, Coppenrath, 1903. gr. 8. 71 SS.
. 1,25,
Frauenbewegung, die, in der Schweiz. 6 Vorträge, veranstaltet durch die
Pestalozzigesellschaft. Zürich, Th. Schröter, 1902. gr. 8. 107 SS. M. 1,20.
Kolleck, Georg und Frz. Ziegler, Private Wohlfahrtspflege für Fabrik-
arbeiter, Beamte und ihre Familien im organischen Zusammenhang mit der sozialen
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Bruer & C°, 1902. gr. 8. XII—285 SS. u. Anhang 184 SS. M.3—. (Herausgeg. vom
Bergischen Verein für Gemeinwohl.)
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Verlag „Die Fackel“, 1902. 8. 24 SS. M. 0,40. P
Parent-Duchatelet, Die Prostitution in Paris. Eine sozial-hygienische Studie.
Bearbeitet und bis auf die neueste Zeit fortgeführt von G. Montanus, D' med. Frei-
burg i. B., 1903. gr. 8. VIII —262 SS. M. 4,50.
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Schorer, Hans, Die Wohltätigkeitsstiftungen Bayerns. Mit einem namentlichen
Verzeichnis von an 6500 Wohltätigkeitsstiftungen, nebst Angabe von Zweck, Begrenzung,
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und 62, Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. (Inhalt. Heft 61: Silbergleit,
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tember 1902 in Kolmar. 143—XX SS. M. 3,40.
Stade, Reinh., Gefüngnisbilder. Kritische Blütter aus dem Strafvollzuge. Leipzig,
Dörffling & Franke, 1902. gr. 8. VII—361 SS. M. 4.—. (Aus dem Inhalt: Arbeit
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jahr 1901. Ebd. 1902. Folio. 143 SS.
Jahrbuch, politisches, der schweizerischen Eidgenossenschaft. Jahrg. XVI: 1902,
Herausgeg. von (Prof.) C. Hilty. Bern, K. J. Wyss, 1902. 8. VII—708 SS. M. 9.—.
(Aus dem Inhalt: Die Zukunft der Schweiz, vom Herausgeber. — Das Ende der
Helvetik (1801—1802), von Joh. Strickler. — Ueber die Entstehung der Artikel XI
u. XII der schweizerischen Bundesverfassung, vom Herausgeber.
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Getränke tun, Mölln, L. Alwart, 1902, gr. 8. 91 SS. M! 1,50.
Marcuse, H. (Rechtsanw. beim k. Landgericht I Berlin), Die Verfassung des König-
reichs Serbien vom 6. IV. 1901. Berlin, Freier Verlag, 1902. gr. 8. 42 SS. M.1.—.,
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Berlin, Alex. Duncker, 1903. gr. 8. 428 SS. M. 5.—.
Osnabrück. — Bericht über die Verwaltung und die Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Osnabrück für das Rechnungsjahr 1901. Osnabrück, Druck von A, Liesecke,
1902. 4. 139 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 135
Rehm, Herm. (Prof., Erlangen), Quellensammlung zum Staats- und Verwaltungs-
recht des Königreichs Bayern. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903. gr. 8. XIV—382 SS.
M. 6,50. (A. u. d. T.: Quellensammlungen zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht.
Hrsg. von (Prof.) H. Triepel, Bd. VI.)
v. Roëll, P. (kgl. LandR. z. D.) und Georg Epstein, Bismarcks Staatsrecht.
Die Stellungnahme des Fürsten Otto v. Bismarck zu den wichtigsten Fragen des deut-
schen und preußischen Staatsrechts. Nach amtlichen, privaten und zeitgenössischen
Quellen bearbeitet und herausgeg. Berlin, Ferd. Dümmler, 1903. gr. 8. VI—488 SS,
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Verlag, 1903. gr. 8. 157 SS. M. 2.—.
Tezner, Fr. (Prof), Die landesfürstliche Verwaltungsrechtspflege in Oesterreich
vom Ausgang des 15. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Heft 2. Wien, A. Höl-
der, 1902, gr. 8. 179 SS. M. 3.—.
Uebersicht über den Betrieb der öffentlichen Schlachthäuser und Roßschlächte-
reien in Preußen für das Jahr 1901. A. Oeffentliche Schlachthäuser. Berlin, Buch-
druckerei „Die Post‘, 1902. Größt. Imper.-Folio. 28 SS. (Veröffentlichung des kgl.
Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten.)
Almanach national. Annuaire officiel de la République française pour 1902—
1903. 204° année. Paris, Berger-Levrault & C's, 1902. 8. 1646 pag. fr. 15.
Damoiseaux, Maur. (prof. de droit constitutionnel à Ecole commerciale et
consulaire, à Mons), Les institutions nationales de la Belgique. Eléments de droit con-
ren et de droit administratif. Tournai, Decallonne-Liagre, s. d. (1902). 8. 194 pag.
r, 2.—,
Simons, L., De nood der gemeenten en de middelen tot uitkomst. Amsterdam,
Scheltema & Holkema, 1902. gr. 8. 51 blz. fl. 0,90.
Annual report of the proceedings of the London County Council for the year
ended 31* March 1902. London, printed by J. Truscott & Son, 1902. Folio. 285 pp.
i=. (Contents: General report of the work of the council. — Reports of the standing
ommittees: Asylums ` Finance; Bridges; Building Act; Corporate property; Charities
ad endowments; Establishment; Fire brigade; highways; Historical records and buil-
dings ; Housing; Improvements; Industrial and reformatory schools; Inebriates Acts
Committee; Local government and taxation; Main drainage; Parks and open spaces;
lie control; Public health; Rivers; Stores; Theatres and music halls; Water. — ete.)
Benlloch, F. J. J., Las constituyentes de 1902. Madrid, J. Calleja, 1902. 8.
12. Statistik.
Allgemeines.
M eitzen, August (GehRegR., Prof.), Geschichte, Theorie und Technik der Stati-
stik. 2, Aufl. Stuttgart, J. G. Cotta, Nacht, 1903. gr. 8. X—240 SS. M. 6.—.
H ofkalender, gothaischer genealogischer, nebst diplomatisch -sta tistisehem
lhrbuche, 1903. Jahrg. 140. Gotha, J. Perthes, 1902. 12. XXIV—1127 SS. mit
i Stahlstichen (Porträts), geb. M. 8.—.
.. Whitaker, Jos., Almanack for the year of our Lord 1903. London, 1902. 8.
'% pp., cloth. 2/.6. (Containing a large amount of information respecting the Govern-
Went, finances, population, commerce and general statistics of the British Empire throughout
the world.)
Deutsches Reich.
AdreBbuch der gesamten evangelischen Geistlichkeit Deutschlands. Nach amt-
lihen Unterlagen zusammengestellt. Jahrg. IV. 1902. Leipzig, Schulze & C°, 1902.
w. 8. III SS., 940 Spalten u. S. 941—974, geb. M. 15.—.
Bericht, statistischer, über den Betrieb der unter kgl. süchsischer Staatsverwal-
tung stehenden Staats- und Privateisenbahnen mit Nachrichten über Eisenbahnneubau
im Jahre 1901. Dresden, Druck von C. Heinrich, 1902. gr. 4. 167 SS. nebst einer
Vebersichtskarte vom Bahnnetz. (Herausgeg. vom kgl. sächsischen Finanzministerium.)
Brüderkalender. Statistisches Jahrbuch der evangelischen Brüderkirche und
ihrer Werke. Jahrg. X (1903). Bearbeitet von Rud. Müller. Gnadau, Universitäts-
buchhdl., 1902. 19. 108 SS. M. 0,60.
136 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Drucksachen des Beirats für Arbeiterstatistik. Verhandlungen N’ 1: Protokolle
über die Verhandlungen des Beirats für Arbeiterstatistik vom 22. X. 1902. Berlin,
C. Heymanns Verlag, 1903. Folio. 32 SS. M. 0,40.
Preußische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Heft 168: Statistik der Land-
wirtschaft (land- und forstwirtschaftliche Bodenbenutzung) im preußischen Staate für
das Jahr 1900. II. Die Forsten und Holzungen im besonderen. Berlin, Verlag des
kgl. statistischen Bureaus, 1902. Bos A XXII—91 SS. mit 2 Taf. graphischer Dar-
stellungen.
Preußische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Herausgeg. in zwanglosen
Heften vom kgl. statistischen Bureau. Heft 176: Das gesamte niedere Schulwesen im
preußischen Staate im Jahre 1901. Teil III. Die öffentlichen Volksschulen in den ein-
zelnen Kreisen und Oberämtern des preußischen Staates, mit Unterscheidung der Schulen
in den Städten und auf dem Lande. Im Auftrage (des Herrn Kultusministers) bearbeitet
vom kgl. statistischen Bureau. Berlin, Verlag des Bureaus, 1902. Imp.-4. 553 SS.
Statistik des Deutschen Reichs, Neue Folge, Bd. 143. Auswärtiger Handel des
deutschen Zollgebiets im Jahre 1901. Bearbeitet im kaiserl. statistischen Amt. Teil II.
Darstellung nach Warengattungen, Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1902. Imp.-4.
409 u. 30 SS. M. 6.—.
Uebersicht über die historische und numerische Entwickelung der rómisch-
katholischen Kirehe in der Provinz Sachsen am Ende des XIX. Jahrhunderts mit
vielen statistischen Nachweisen, von M. Herrmann. Halle, Wischan & Wettengel,
o. J. (1902). gr. 8. 88 SS. M. 0,75.
Frankreich,
Annuaire statistique de la ville de Paris. XXI* année, 1900. Paris, Masson
& C^, 1902. gr. in-8. XXXII—843 pag. fr. 6.—. (Publication de la préfecture de
la Seine, direction des affaires municipales, service de la statistique municipale (M. Jacques.
Bertillon, chef des travaux de la statistique.)
Statistique des naufrages et autres accidents de mer pour l'année 1900. Paris,
impr. nationale, 1902. 8. 136 pag. (Publication du Ministere de la marine.)
England.
Abstract, statistical, for London, 1902. (vol. V.) Compiled by the statistical
officer of the London County Council. London, P. S, King & Son, November 1902.
gr. 8. VII—115 pp. 1/.—.
Oesterreich.
Mitteilungen des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handelsministerium. Heft 3.
Wien, A. Holder, 1902. gr. 8. VII—215 SS. (Inhalt: Gesindewesen und Gesinderecht
in Oesterreich, von H. Morgenstern (Advokaturskand., Wien).
Schwechler, Karl, Die städtischen Hausdiensthoten in Graz. Beiträge zur
Dienstbotenstatistik. Graz, Verlagsbuchhdl. „Styria“, 1903. gr. 8. 41 SS. M. 1.—.
(Veröffentlichungen des statistischen Seminars der Universität Graz. Heft 1.)
Satistik, österreichische. Herausger. von der k. k. statistischen Zentralkom-
mission. Bd. LXII, Heft 3: Bewegung der Bevölkerung der im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder im Jahre 1899. Wien, C. Gerolds Sohn, 1902. Imp.-4. LXXV—
269 SS. Kr. 10.—.
Italien.
Censimento della popolazione del Regno d'Italia al 10 Febbraio 1901. Volume I.
Popolazione dei comuni e delle rispettive frazioni divisa in agglomerata e sparsa e
popolazione dei mandamenti amministrativi. Roma, tip. nazionale di G. Bertero & C.,
1902. Lex. in-8. 455 pp. l. 3.—. (Pubblieazione del Ministero di agricoltura, industria
e commercio, Direzione generale della statistica.)
Statistica giudiziaria civile e commerciale e statistica notariele per l'anno 1899.
Parte I. Statistica giudiziaria civile e commerciale. Roma, tipogr. di G. Bertero & C.,
1902. Lex. in-8. CLIII—152 pp. (Pubblicazione della Direzione generale della statistica.)
Dänemark.
Danmarks Statistik, Statistisk Aarbog. VII. aargang: 1902. Kobenhavn, Gylden-
dal, 1902. gr. in-8. XIII—196 pp. (Table des matières: Superficie et population.
m ni
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 137
— Professions: Agriculture, pêche, industrie et métier, commerce et navigation. —
Moyens de transport. — Argent, crédit et assurances. — Statistique sociale. — Justice.
— Enseignement. — Finances communales et d'Etat. — Aperçus statistiques des dépen-
dances et colonies. — ete.)
Holland.
Jaarcijfers voor het Koninkrijk der Nederlanden. Rijkin Europa. 1901. 's Gra-
venhage, Gebr. Belinfante, 1902. gr. in-8. XXVIII—292 blz. (Bewerkt door het Cen-
tral-Bureau voor de statistiek.) À
Schweden.
Bidrag till Sveriges offieiela Statistik. F. Handel. Kommerskollegii berättelse
för Ar 1901. Stockholm, P. A. Norstedt & Söner, 1902. Roy. in-4. XVII—238 pp.
Australien (englischer Kolonialbesitz im allgemeinen).
Statisties. Six States of Australia and New Zealand, 1861 to 1901. Compiled
from official sources, by T. A. Coghlan (Statistician of New South Wales). Sydney,
W. A. Gullick printed, 1902. gr. 8. VII—84 pp. 1/.—.
— (Kolonie Victoria).
Census of Victoria (one of the six States of the commonwealth of Australia) 1901.
Part I. Inhabitants and houses. Population enumerated on the 31" March, 1901. Mel-
boume, S. Brain printed, 1902. Folio. 132 pp. with 5 maps.
— (Kolonie West-Australien).
Register, statistical, of the colony of Western Australia for 1900 and previous
years. 13 parts. Perth, A. Watson printed, 1902. Folio. With map of Western Austra-
lia, max.-in-Folio.
13. Verschiedenes.
Rivista Italiana di Sociologia. 6. Jahrgang, Heft 2/3,
MürzJuni 1902. Rom, Fratelli Bocca.
Die Reihe der Beiträge eröffnet A. Bosco mit einem Nachruf für
den im vergangenen Jahre verstorbenen Statistiker Angelo Messedaglia.
Daran schliessen sich Artikel über die politischen Einrichtungen Irans,
über die rechtliche und wirtschaftliche Entwickelung Toscanas und
eıne Abhandlung von G. Sorel über das Verhältnis der Geschichte zu
den Sozialwissenschaften. Für deutsche Leser dürfte von besonderem
Interesse ein kurzer Beitrag von G. Brugi über die Beziehungen der
historischen Rechtsschule zur modernen Soziologie sein, in dem, zumeist
auf Grund deutscher Quellen, Savigny als ihr Mitbegründer geschildert
wird.
Beigefügt ist dem Hefte eine umfangreiche Bibliographie, die auch
die Haupterscheinungen der Zeitschriftenlitteratur mitberücksichtigt.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Uebersicht der gesamten staats- und rechtswissen-
schaftlichen Litteratur des Jahres 1900, zusammengestellt
von Otto Mühlbrecht (23. Jahrg.). Berlin (Puttkammer und Mühl-
brecht) 1901. 300 SS.
Die Uebersicht bringt seit 1868 aus der deutschen, französischen,
englischen, italienischen, niederländischen, skandinavischen und spanischen
Literatur über Staats- und Rechtswissenschaft das Hauptmaterial an
selbständig erschienenen Arbeiten. In diesem Jahrgang sind wieder
138 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
über 4300 Nummern enthalten, wobei für die deutschsprachliche Litteratur
eine gewisse Vollständigkeit erzielt sein mag. Das beliebte, von uns
schon öfter empfohlene Hilfsmittel, wird auch in dieser Ausgabe seinem
Zweck gerecht werden.
Aachen. W. Kähler.
Bericht über die Verhandlungen der X. allgemeinen lutherischen Konferenz in
Lund vom 3. bis 6. IX. 1901 im Auftrage des Ortsausschusses herausgeg. von O. Ahn-
felt (Prof. d. Theologie, Universität Lund). Stockholm, P. A. Norstedt & Sóners, 1902.
8. 265 SS.
Bresnitz v. Sydacoff, Die Wahrheit über Ungarn. Politische und gesellschaft-
liche Skizzen aus der neuen und neuesten Geschichte Ungarns. 2. Aufl. Berlin, Fr.
Luckhardt, 1902. gr. 8. V—122 SS. M. 3.—.
Bruhns, C. (Privdoz., Univ. Berlin) Hygiene der Barbierstuben. Jena, G. Fischer,
1902. gr. 8. 39 SS. M. 1.—. (A. u. d. T.: Handbuch der Hygiene, herausgeg. von
(Privdoz.) Th. Weyl. II. Supplementbd., Liefer. 3.)
Eckstein, A., Die bayerischen Parlamentarier jüdischen Glaubens. Bamberg,
Verlag der Handelsdruckerei, 1902. gr. 8. 47 SS. M. 0,60. (Beiträge zur Geschichte
der Juden in Bayern, 1.)
Edelmann, Rich. (Prof. an d. k. tierürztl. Hochschule, Dresden), Lehrbuch
der Fleischhygiene mit besonderer Berücksichtigung der Schlachtvieh- und Fleisch-
beschau. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. XVI—336 SS. mit 172 Textabbildgn. und
2 Farbentafeln. M. 8.—.
Emmerich, Rud. u. Heinr. Trillich, Anleitung zu hygienischen Unter-
suchungen. Nach den im hygienischen Institut der kgl. Ludwig-Maximiliansuniversität
zu München üblichen Methoden zusammengestellt. 3. Aufl. München, Rieger, 1902,
gr. 8. V—424 SS. mit 123 Abbildgn. geb. M. 10.
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. In Verbin-
dung mit Fr. Holtze, G. Schmoller und A. Stölzel herausgeg. von O. Hintze. XV. Bd.,
2. Hälfte. Leipzig, Duncker & Humblot, 1902. gr. 8. IV—311 SS. und (Sitzungs-
berichte des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, 9. X. 1901 — 14. V. 1902.)
52 SS. M. 6.—.
Frobenius, Leo, Völkerkunde in Charakterbildern des Lebens, Treibens und
Denkens der Wilden und der reiferen Menschheit. 2 Bde. mit über 700 Abbildgn. im
Text und auf Tafeln. Hannover, Gebr. Jünecke, 1902. gr. 8. XII—416 SS. geb.
M. 15. — (Bd. I. Aus den Flegeljahren der Menschheit. — Bd. II. Die reifere
Menschheit.)
Jahresbericht der Obersehulbehórde (von Hamburg) über das Unterrichtsjahr
1901/1902. Hamburg, Druck von Lütcke & Wulff, 1902. 4. 114 SS.
Króhnke, O. und (Ingen. H. Müllenbach, Das gesunde Haus. Als Führer
und Berater bei der Wahl und Errichtung der Wohnstätte nach den Grundsätzen der
modernen Gesundheitspflege. Stuttgart, Ferd. Enke, 1902. Lex.-8. XII—644 SS. mit
527 Textabbildungen. M. 14.—.
Lówenfeld, L. (Spezialarzt für Nervenkrankheiten, München), Sexualleben und
Nervenleiden. Die nervósen Störungen sexuellen Ursprungs. 3. Aufl. Wiesbaden, J.
Bergmann, 1903. gr. 8. IV—326 SS. M. 6.—.
Pichler, Ad., Das Sturmjahr. Erinnerungen aus den März- und Oktobertagen
1848. (Aus dem Nachlas Ad. Pichlers.) Berlin, Meyer & Wunder, 1903. II—181 SS.
M. 2,50.
v. Reichenau, W., Judentum und Deutschtum. Ueber den Einfluß der jüdi-
schen auf die deutsche materielle und besonders höhere Kultur. Stuttgart, Süddeutsche
Verlagsbuchhdl. (D. Ochs), 1902. 8. 32 SS. M. 0,50.
Schierse, Bruno, Das Breslauer Zeitungswesen vor 1742. Breslau, J. U. Kern,
1902. gr. 8. 136 SS. M. 3.—.
Wettig, Herm., Die Leichenverbrennung und der Feuerbestattungsapparat in
Gotha. 4. Aufl. Gotha, Rich. Schmidt, Ende 1902. 8. 45 SS. mit 5 Vollbildern.
M. 1.—.
Die periodische Presse des Auslandes. 139
Annuaire de l’enseignement primaire, fondé par Jost, publié sous direction de
M. F. Martel (inspecteur général de l'instruction publique). XIX* année, 1903. Paris,
A. Colin, 1902. 12. 668 pag. fr. 3.—.
Congrès international d'anthropologie et d'archéologie préhistoriques. Compte
rendu de la douzième session, Paris 1900. Paris, Masson & Ce, 1902. Lex. in-8.
XXVIN—513 pag. av. fig. et planches. fr. 15.—.
Mahan, A. T., Retrospect and prospect. Studies in international relations naval
and political. ‚London, Sampson Low, 1902. 8., cloth. VII—309 pp. 8/.6. (Contents:
Retrospeet and prospect (by courtesy of the „World’s work“, February 1902.) — Con-
ditions determining the naval expansion of the United States (by c. of „Leslie’s Weekly“,
Octob., 2, 1902). — The influence of the South American war upon the prestige of
the British Empire (by c. of the „National Review“, Decbr. 1901). — Motives to imperial
federation (by e. of the „National Review‘ and the „International Monthly“, May 1902).
— Considerations governing the disposition of navies (by c. of the „National Review‘,
July, 1902) — The Persian gulf and international relations (by c. of the „National
Review", September, 1902. — ete.)
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frlankrefich.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVI" année, 1902, Novem-
bre: A. France, colonies: Décret relatif à la contribution des patentes en Algérie. —
Produits des droits sur les boissons pendant les neuf premiers mois de 1902. — Le
commerce extérieur de la France en 1901. (Résultats définitifs.) — Les revenus de
l'Etat. — Le commerce extérieur mois d’Octobre 1902. — Les produits de l'enregistre-
ment des domaines et du timbre constatés et recouvrés au cours du XIX* siecle (avee
diagrammes). — Production des vins en 1902. (Résultats provisoires.) — B. Pays étrangers:
Pays divers: La production et la frappe de l'or et de l'argent dans le monde de 1896
à 1900. — Angleterre: Les résultats de l'année financière 1901—02; Les recettes et les
dépenses budgétaires depuis 1880; La situation des caisses d'épargne. — Autriche-
Hongrie: Le projet de budget autrichien pour 1903; L'historique de la réforme moné-
taire austro-hongroise; Les caisses d'épargne autrichiennes en 1900. — Belgiques: Les
opérations de la caisse générale d'épargue et de retraite en 1901. — Espagne: Le com-
merce extérieur (3 premiers trimestres 1902). — Italie: Le produit des taxes de fabri-
cation. — Russie: Les résultats définitifs de l'exercice 1901; l'enquéte agricole. —
Le budget coréen. — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 61° année, 1902, Décembre: La
concurrence et sa organes, marchés et intermédiaires, par G. de Molinari. — Un anar-
chiste amérieain, par Paul Ghio. — Mouvement scientifique et industriel, par Daniel
Bellet. — Revue de l'Académie des sciences morales et politiques (du 15 août à
19 novembre 1902), par J. Lefort. — Travaux des chambres de commerce, par Rouxel.
— L'industrie de la chaussure aux Etats-Unis, par E. M. — Etude d'économie rurale,
par Paul Bonnaud. — Congrès international du crédit populaire, par G. François. — La
crise des caisses d'épargne, par Henry W. Wolff. (Correspondance.) — L’impöt sur les
bourses en Allemagne. Les résultats, par Ferd. Moos. — Société d'économie politique
réunion du 5 décembre 1902; Discussion: 1. Les nouvelles méthodes du commerce inter-
national; 2. Les trusts (suite). — Chronique. — ete.
Journal de la Société de statistique de Paris. 43° année, 1902, n? 11, Novembre:
Procès-verbal de la séance du 15 octobre 1902. — Organisation des enquêtes agricoles.
Rapport adressé à M. le Président de la République par le Ministre de l'agriculture.
— lndustrie du suere sur le continent, par Yves Guyot. — Le mont-de-piété de Paris.
— Chronique trimestrielle des banques, changes et métaux précieux, par Pierre des
Essars, — etcj
140 Die periodische Presse des Auslandes,
B. England.
Journal of the Royal Statistical Society, vol. LXV, part 4, 31" XII, 1902: The
inaugural address of Major Patrick G. Craigie (President of the Royal Statistical Society,
session 1902/03. Delivered 18. XI. 1902; Proceedings on the 18. XI. 1902. — Eng-
lish railway statisties, by W. M. Acworth; Discussion on Mr. Acworth’s paper. — Mis-
cellanea: Memorandum on estimates of the production of meat and milk, by R. Henry
Rew; Further notes on life-tables, by T. E. Hayward; The investigation of retail prices,
by G. H. Wood: Agricultural returns, 1902. — etc. ?
Nineteenth Century, the, and after. N" 310, December 1902: America's bid
for navalsupremacy, by Archibald S. Hurd. — The weak spot in the American Republic,
by J. Weston. — The real object by corn laws, by (Sir) Guilford L. Molesworth. —
The tangle of London locomotion, by Sidney Low. — Our publie schools as a publie
peril, by (Sir) Oliver Lodge (principal of the University of Birmingham). — Religion
and physical science, by the Duke of Northumberland. — The Jesuits and the law in
England, by (the Rev. Father) Gerard (S. J.). — The story of „the fourth party, by
Harold E. Gorst (art. II: its progress) — etc.
Westminster Review, the. December 1902: The liberal d&bäcle, by John G.
Godard. — Education question and the teaching profession, by (nomadic schoolmaster).
— Chemical basis of life, by N. C. Macnamara (art. III). — Should Parliament snub
the savings banks? by George W. Boag. — Applieation of science to criminal reform,
by W. H. Champness. — On the neglected centenary of Harriet Martineau, by C. E.
Plumptre. — Mordern paganism, by W. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg. XXII,
1902, Dezember: Die Sprachenfrage im Amt, die Grundzüge des Ministeriums Koerber
und die Vorschläge der deutschen Parteien, von Rud. Springer. — etc.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. ósterreichischen Handelsmuseum.
Bd. XVII. N' 48—52, vom 27. November bis 25. XII. 1903: Eisenbahntarif und
Handelsvertrag, von Alex. Freud. — Das Importgeschäft in Südafrika. (Art. I—V). —
Die Geschäftslage in Shanghai. — Die Baumwollfrage, von Kurt Kuntze (Dresden) —
Die elektrotechnische Industrie in Rußland. — Handelsreisende und Agenten in Bul-
garien. — Interbritische Handelspolitik, von Sigm. Schilder. — Winke für den Export
von Baumwollwaren. — Die japanischen Geldverhältnisse. — Der deutsche Zolltarif als
Gesetz. — Die Messe in Nisehny-Nowgorod. — etc.
Monatsschrift, statistische, herausgeg. von der k. k. statistischen Zentral-
kommission. Jahrg. 1902, Oktoberheft: Die Zwangsversteigerungen von Liegenschaften
im Jahr 1900, von J. Winckler. — Die Ergebnisse des Konkursverfahrens im Jahre
1901, von J. Winckler, — Die Verteilung des Grundbesitzes in der Bukowina. —
Oesterreichs Sparkassen im Jahre 1900, von H. Ehrenberger (II. Art.). — Statistik der
registrierten Konsumvereine in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern
für das Jahr 1898, von Fritz Hawelka. — Zur Statistik der öffentlichen Armen-
pflege. — ete.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amte im Handels-
ministerium. Jahrg. III, 1902, Novemberheft: V. Plenarsitzung der österreichischen Un-
fallverhütungskommission. — Zentralverband der deutschen landwirtschaftlichen Ge-
nossenschaften Böhmens 1901. — Soziale Versicherung: Betriebskrankenkassen in Bosnien
und der Hercegowina. — Zur Frage der Arbeitslosenversicherung im Deutschen Reihce.
— Berufssyndikate in Frankreich. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen : Arbeits-
konflikte in Oesterreich; Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in den Verein. Staaten
von Amerika 1881—1900. — Arbeitsvermittlung: Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in
Oesterreich im Monate Oktober 1902; Städtische Arbeitsvermittlungsanstalt in Laibach
1901. — Internationaler Arbeitsmarkt (Belgien, Deutsches Reich, England). — Arbeiter-
verhältnisse: Dienst- und Lohnverhältnisse der landwirtschaftlichen Arbeiter in Böhmen ;
Arbeiterverhältnisse in Rußland. — Die Salinen Oesterreichs im Jahre 1900. —
Sanitäre und soziale Fürsorge in Kärnten 1901. — Wohnungsgesetzgebung in Lübeck.
— Sozialpolitisches aus dem Landtage des Königreiches Böhmen. - Gesetzliche Maß-
nahmen zur Bekämpfung des Alkoholismus in Oesterreich. — Armenwesen: Organi-
sation der Armenpflege der Stadt Wien; Organisation der privaten Wohltätigkeit in
London. — Zulässigkeit der Gewährung abwechlungsweiser Ruhepausen für gewerb-
Die periodische Presse des Auslandes. 141
liche Hilfsarbeiter unter Aufrechterhaltung des Betriebes während der Pausen. — Ver-
schiedenes: Strafhausarbeit in Oesterreich ; Die Frauen im österreichischen Staatsdienst ;
Regelung der Dienstverhältnisse der Aushilfsdiener bei den staatlichen Behörden,
Aemtern und Anstalten in Oesterreich; Das k. k. Versatz-, Verwahrungs- und Ver-
steigerungsamt in Wien im Jahre 1901. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Dicembre 1902: Osservazioni su alcune teorie di
economia pura, per G. Scorza. — La beneficenza dello Stato, per E. Branzoli-Zappi. —
Poche osservazioni sullo schema di capitolato proposto per la concessione della costru-
zione e dell’ esercizio e manutenzione dell’ acquedotto Pugliese. — ,, Rapport au Ministre
des finances par l'administration des monnaies et médailles". Compte rendu, par G. B.
Suvioni, — Cronaca: I lavori pubblici; Il credito agrario; Il progetto Sonnino. -— ete.
Rivista della beneficenza pubblica. Anno XXX, n° 12, Dicembre 1902: Per
l'organizzazione degli impiegati delle opere pie, per Mellini. — Il congresso dell’ Unione
inemazionale di diritto penale a Pietroburgo e i patronati, per Nicola Tabanelli. —
Cronaca: Spedali ed ospizi di Lucca; Comitato interparrocchiale permanente di Bologna.
Unione filantropica Triestina „la Previdenza'* — Patria casa di ricovero di Venezia.
— ete.
Rivista italiana di sociologia. Anno VI, 1902, fasc. 4: Il villanaggio in Sicilia
e la sua abolizione, per G. Salvioli. — Le origini storiche dei Serbi e dei Croati, per
L. Gumplowiez. — Note per la storia delle ritualità romano-tedesche, per N. Tamassia.
— Per la scienza della storia, per G. Ferrero. — Rassegne analitiche: Lo sviluppo
economico della Russia contemporanea, par G. Luzzatto. — Rassegna delle pubblicazioni.
‘ét,
G. Holland.,
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. LI. jaargang, 1902, Decem-
ber: Over samenstelling en omvang eener metaal-industrie, door C. Hoitsema. — Nieuwe
uitgaven; „Geschiedenis van den boerenstand en den landbouw in Nederland, door
H. Blink“, door F. B. Lühnis. — De internationale geldmarkt, door C. Rozenraad. —
Economische kroniek: Einfuhrzölle auf Mehl; Die Zuckerfrage; Der Finanzbericht
des amerikanischen Schatzamtssekretärs vom 3. XII. 1902, — Handelskroniek.
Tijdsehrift van het Centraal Bureau voor de Statistiek. (Revue du Bureau cen-
tral de statistique, specialement contenant les renseignements rassemblés par les cham-
bres du travail selon art. 33, al. 3, de la loi concernant les chambres du travail du
2 mai 1897 (bulletin des lois n° 141) et d'autres données statistiques d'un caractère
social-économique. 1° livraison. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante, gr. 8. XIX—220 pp.
— Supplément de la Revue du Bureau central de statistique des Pays-Bas, 1* livr.:
Werkstakingen en uitsluitingen in Nederland (grèves et exclusions) gedurende 1901.
'5 Gravenhage, 1902. gr. 8. 51 blz.
IH. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion: (Prof. J. Beck (Frei-
burg, Schweiz.) Jahrg. 1902 Heft 12: Soziale Wohlfahrtsmuseen, von Leop. Katscher.
— Zur Charakteristik der wirtschaftlichen Ordnung im Altertum, von (Prof.) Karl Holder
(IL. Art). — Statistische Streiflichter, von Buomberger (IV. Art.): Konfession und Sitt-
lichkeit, — Zeitschriftenschau, von (NationalR.) E. Decurtius. — ete.
Sehweizeriche Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. X, 1902,
Heft 22: Gesetzliche Sicherung der Einleger von Sparkassageldern, von E. Traber-Hefti
(Basel. — Die schweizerische Holzschnitzindustrie, von Kurt Demme (GroßR., Bern) —
Der IL internationale Kongreß zur Bekämpfung des Müdchenhandels, von B. Pappen-
heim (Frankfurt a./M.). — Soziale Chronik. — Statistische Notizen: Kohlenhandel im
Jahre 1901, — Der Wohnungsnachweis des Mietervereins der Stadt Zürich. — ete.
Zeitschrift für schweizerische Statistik. Jahrg. 1902, Lieferung 4: Grundzüge
des Finanzhaushaltes der Kantone und Gemeinden, von J. Steiger. — Statistisch-volkswirt-
schaftliche Gesellschaft zu Basel. — Finanzstatistik der Gemeinden von Appenzell a. Rh.,
von J. J. Tobler. — Statistische Notizen aus dem luzernischen Erziehungswesen
1876—1900.
142 ` Die periodische Presse Deutschlands.
Die periodische Presse Deutschlands.
Alkoholismus, der. Vierteljahrsschrift zur wissenschaftlichen Erörterung der
Alkoholfrage. Jahrg. III, 1902, Heft 4: Weshalb ist ein Trinkerfürsorgegegesetz in
Deutschland nötig und welche Bestimmungen muß es enthalten, von (D' med.) Wald-
schmidt. — Die Verwendung des Spiritus zur Gaserzeugung, von (Reg.- u. GewerbeR.)
Oppermann. — Alkohol und Krankenkassen, von Paul Schenk. — Mitarbeit der kleineren
evangelischen Kirchengemeinschaften im Kampfe gegen den Alkoholismus, von Stubbe,
— Jahresversammlung des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke,
— IX. internationaler Kongreß gegen den Alkoholismus. — etc.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft,
Jahrg. XXXV, 1902, N° 11: Die Reform der sächsischen Steuern, von Peter Stubmann
(Dresden): 1. Die Entwickelung zur Reform; 2. Der Reformversuch von 1897; 3. Die
Steuerreform des Landtages 1901/02. — Der Konkurs des Versicherungsvereins auf
Gegenseitigkeit, von Jos. Thaler (Würzburg). — Miszellen: Statistik der Einkommen-
besteuerung in den einzelnen Ländern; Die Anleihen bayerischer Städte und Märkte.
— ete. N’ 12: Die Ausgabe von Hypothekenpfandbriefen und die Hypothekenregister
nach dem Reichshypothekenbankgesetz, von Seidel (RegRat, Wiesbaden). — Die recht-
lichen Grenzen der Gehorsamspflicht und die Verantwortlichkeit für auf Befehl be-
gangene Handlungen, von Paul Bauer (München). — Miszellen: Jahresbericht der Hand-
werkskammer für Oberbayern; Der Konsum von Wein, Bier und Spirituosen in den
hauptsächlichsten Ländern; Die Bevölkerung Chinas. — etc.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt-
schaft. Jahrg. XXXVI, 1903, N° 1: Zum künftigen Gesetz „über die Verwaltung der
Einnahmen und Ausgaben des Deutschen Reichs", von (GehORegR.) W. Thrän (Pots-
dam). [I. Art.] — Die Regelung des gewerbsmäßigen Arbeitsnachweises in den größeren
deutschen Bundesstaaten, von Heinr. Schanz (Würzburg). — Die Abschreibungen und
ihre Zulässigkeit als Einkommensabzüge nach dem preußischen und dem hessischen Ein-
kommensteuergesetze, von Rud. Blum (Östhofen). — Staat und Recht. Versuche über
allgemeines Staatsrecht, von A. Affolter (Solothurn) (Art. I). — ete.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Herausgeg. von Heinrich Braun.
Bd. XVII, Jahrg. 1902, Heft 5 u. 6: Der Stahlarbeiterstreik vom Sommer 1901 und
seine Lehren. Ein Beitrag zum Verständnis des amerikanischen Kapitalismus, von (Prof.)
Heinr. Waentig (Münster). — Koalitionsrecht und Erpressung, von Rechtsanwalt Wolfg.
Heine (Berlin). — Die deutsche Seemannsordnung und ihre Nebengesetze, von H.
Molkenbuhr (Berlin). — Die englische Fabrikgesetzgebung in den Jahren 1878—1901,
von Henry W. Macrosty (London). — Der Gesetzentwurf betreffend Arbeiterinnenschutz
im Kanton Bern, von Emil Hofman (NationalR., Frauenfeld). — Die Lage der studen-
tischen Hauslehrer an den Wiener Hochschulen, von Fritz Winter (Wien). — Die Aus-
sichten der elektrischen Landwirtschaft, von Otto Pringsheim (Breslau). — ete.
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1902, Nr 19—24, Oktober-Dezember:
Die Grundlagen der Preisbildung im elektrischen Nachrichtenverkehre. — Shanghai. —
Ueber Land- und Seekarten, insbesondere die Merkatorkarte. — Industrie- und Gewerbe-
ausstellung Düsseldorf. — Die Herstellung von Eisendraht. — Die Vielfachumschalter
von Siemens & Halske mit Anruflampen und Zentralmikrophonbatterie. — 60 Jahre
schweizerischen Postdienstes 1842—1902. — Postübereinkommen zwischen Deutschland
und Luxemburg. — Portovergünstigungen in fremden Ländern für Postsendungen von
und an Militärpersonen. — Luftschiffahrt und Flugteehnik. — Schnellbahnen. — Das
Postwesen in Neuchâtel bis 1849. — Die deutsche Südpolarexpedition und ihre erste
Tätigkeit. — Das fünfundzwanzigjährige Jubiläum des Fernsprechers. — Feldpost und
Feldtelegraphie. — Die Anfänge der elektrischen Telegraphie im Königreiche Sachsen.
— Vorposten der Kultur in Elgran Chako (Südamerika). — etc.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. Neue Folge. Jahr-
gang XIV, 1902, Heft 12: IV. internationaler Kongreß von Versicherungssachverstän-
digen. — Die ärztliche Auslese und die Lebensversicherung. — Prämiendeckung oder
Kapitaldeckung bei der Invalidenversicherung. — Versicherungswissenschaft auf dent-
schen Hochschulen. — Die Not der Rückversicherung in Frankreich. — Versicherung
gegen Arbeitslosigkeit. — Die Verbreitung von Viehseuchen im Deutschen Reiche im
Die periodische Presse Deutschlands. 143
Jahre 1901. — Die physiologische Albuminurie. — Rechtsprechung des Reichsgerichts.
— ete, x
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. II, 1902, Nr 7,
November: Uebereinstimmung von Anmeldungen $ 3 P.G., von (PatAnw.) R. Wirth. —
Internationale Union. Patentanmeldungen in der Uebergangszeit, von (PatAnw.) R. Wirth.
— Zur Auslegung des $ 24 des Patentgesetzes, von . . . .h. — Der Eventualantrag
auf Eintragung eines Gebrauchsmusters kann später ohne Verlust der Priorität in einen
unbedingten Antrag umgewandelt werden, von ....h. — Der $ 4 des Gesetzes zum
Schutze der Warenbezeichnungen in der Praxis des Patentamtes. — etc.
Mitteilungen des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen In-
teresen in Rheinland und Westfalen, Düsseldorf. Jahrg. 1902, Heft 1/2, Heft 3 und
Heft 4/5 (Schlußheft): Die kgl. preußische Eisenbahnverwaltung und die Rheinhäfen.
— Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Vorausleistungen zum Wegebau. — Bri-
tisches Geschäfts- und Zeitungsgebahren. — Wider die Lohnzahlungsbücher. — Die
Delegiertenversammlung des Zentralverbands deutscher Industrieller vom 10. IX. 1902.
— Aus der Sitzung der Rheinschiffahrtskommission. — Ueber Syndikate und Kartelle:
1, Reichstagsrede des Abg. Dr. Beumer vom 4. XI. 1902. 2. Vorbesprechung im Reichs-
amt des Innern über das Kartellwesen. — etc.
Neue Zeit, die. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. Jahrg. XXI,
Bd. I N°7 bis 11, vom 15. XI.—13. XII. 1902: Dietzgens Philosophie, von Cornelie
Huygens. — Philipp Langmann, von Friedr. Stampfer. — Zur Geschichte der Wert-
theorie, von R. Hilferding. — Der Kampf um die Preßreform in Oesterreich, von Ad.
Braun. — Parlamentarischer Selbstmord. — Die Lage der Braunkohlenarbeiter, von
Otto Hué. — Klassenkämpfe in der Gemeindeverwaltung, von Max Quarck. — Die
Nationalratswahlen in der Schweiz, von Dionys Zinner. — Notizen: Der Gang.der
Krisis, — Der Fall Krupp. — Zum Ausbau unserer Organisationen, von Wilh. Ditt-
mann. — Vom Kohlenstreik in den Verein. Staaten, von Edmund Deuss. — Ueber
die Anfinge der Lehre vom Klassenkampf, von G. Plechanow. — Die höhere Gewalt
ds Gefahrenquelle in technischen Betrieben, von J. German. — Björnstjerne Björnson,
von Frz. Diederich. — Sozialismus und Anarchismus in Spanien, von Heinrich Cunow.
— J. J. Rousseau und Henriette, von r. — Ein Wort zur Sozialistenhetze. — Die
terroristischen Strömungen in Rußland, von Wera Sassulitsch (I. Art.). — Universität
und Volksschullehrer, von Otto Kühle. — Im Zeughaus der Revolution, von Fried.
Stampfer. — Aus dem Auflagbuch der Nürnberger Flaschnergesellenschaft 1806—1865,
von Ad. Braun. — etc.
Politisch-anthropologische Revue. I. Jahrg., N° 10, Januar 1903: Völkerkunde
und Urgeschichte im 20. Jahrhundert, von Karl Weule. — Die politische Geschichte
der Serben und Kroaten, von Ludwig Gumplowiez. — Erblichkeit und sanitärer Faktor
bei den tuberkulösen Erkrankungen, von F. Lämmerhirt. — Das Strafrecht als soziales
Organ der natürlichen Auslese, von L. Kuhlenbeek. — Die soziale Wirkung der Ideen,
von Gustav Ratzenhofer. — etc.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von Hans Delbrück. Bd. 111, Heft 1, 1903,
Januar: Napoleon 1870, von H. Delbrück. — Kant-Orthodoxie, von Ferd. Jak. Schmidt
(Berlin). — Der Winter 1865/66 in Hannover, von (Frh.) B. v. Cramm-Burgdorf (Wirkl.
GehR. u. Bevollmächtigter zum BundesR.). — Kardinal v. Geissel und die katholische
Bewegung 1848/49, von (Privdoz.) Walther Struck (Univ. Berlin). — Politische Kor-
respondenz: Die russischen Finanzen, von Paul Rohrbach. — etc.
Rechtsschutz, gewerblicher, und Urheberrecht. Herausgeg. von Alb. Osterrieth.
Jahrg. VII, N’ 11, November 1902: Rechte uud Pflichten des Patentanwalts, von Jul.
Ephraim. — Zum $ 16 des Gesetzes, betreffend die Patentanwälte, von (Ing.) Bernh.
Bomborn (München). — Zur Geltendmachung der Prioritätsrechte aus einer österreichi-
schen Musterschutzanmeldung für ein deutsches Gebrauchsmuster, von (PatAnw.) Bruno
Alexander-Katz (Görlitz). — Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend das
Urheberrecht an Werken der Photographie, von Alb. Osterrieth. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kais.
statistischen Amt. XI. Jahrg., 1902, Heft 4: Konkursstatistik 1901. — Kriminalstatistik
für das deutsche Heer und die kaiserl. Marine 1901. — Zur Kriminalstatistik. Vor-
läufige Mitteilung für 1901; Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze 1896—
1901. — Zur deutschen Justizstatistik 1901. — Die Bergwerke, Salinen und Hütten
1901. — Salzgewinnung und -Besteuerung 1901. — Zur Statistik der Preise: 1. Lebens-
144 Die periodische Presse Deutschlands.
mittelpreise in Berlin, Breslau und Dresden 1897 bis 1901; 2. Roggen- und Weizen.
preise an deutschen und fremden Bórsenplützen im III. Vierteljahr 1902; 3. Viehpreise
in 10 deutschen Städten im III. Vierteljahr 1902; 4. Rindvieh- und Schweinepreise in
5 deutschen Stüdten 1898/1902; 5. Getreidepreise in England: a) Landesmittelpreise
von Weizen, Gerste, Hafer in den 100 Jahren 1802—1901; b) Preise von Weizen,
Gerste, Hafer in 16 englischen Großstädten in den 10 Jahren 1892—1901. — Hopfen-
anbau und Schätzung der Hopfenernte 1902. — Bierbrauerei und Bierbesteuerung 1901.
— Stürkezuckergewinnung und -Handel 1901/02. — Zuckergewinnung und -Besteuerung
1901/02. — Weitere Ergebnisse der Volkszählung 1900: Die Gebürtigkeit der Reichs-
bevölkerung: (Einheimische, Zugezogene und Weggezogene.) — Ergebnisse des Heeres-
ergänzungsgeschäfts 1901. — Die Schulbildung der Rekruten 1901. — Die jugend-
lichen Fabrikarbeiter und Fabrikarbeiterinnen 1901. — Konkursstatistik 1902, 3. Viertel-
jahr. — Streiks und Aussperrungen 1902, 3. Vierteljahr. — Der Tabak im deutschen
Zollgebiet 1901. — Tabakbau 1902. Vorläufige Nachweise. — etc.
Zeitschrift des k. bayerischen statistischen Bureaus. Redigiert von (ORegR.)
Karl Trutzer. Jahrg. XXXIV, 1902, N° 2: Die Hauptergebnisse der Unterrichtsstati-
stik im KReich Bayern für das Schuljahr 1899/1900. — Ergebnisse der im Jahre 1901
in Bayern vorgenommenen Tuberkulinimpfungen an Rindern. — Die Morbidität in den
Heilanstalten Bayerns wührend des Jahres 1901. — Die Bewegung der Bevólkerung
im KReich Bayern während des Jahres 1901.
Zeitschrift des kgl. sächsischen statistischen Bureaus. Redigiert von (RegR.)
Eugen Würzburger. Jahrg. 48, 1902, Heft 1 u. 2, ausgegeben im November 1902:
Arthur Geißler T. — Die Bewegung der Bevölkerung im Königreiche Sachsen während
des Jahres 1900, von (RegAss.) Georg Lommatzsch. — Die sächsischen Städte im 19. Jahr-
hundert, von (RegAss.) G. Wächter: 1. Gewerbe und Handel; 2. Schulwesen ; 3. Die Ein-
kommensverhältnisse in den Städten; 4. Die Vermögensverhältnisse der Städte. — Die
Mehrlingsgeburten im KReich Sachsen in den Jahren 1876—1900, von (RegAss.) G. Lom-
matzsch. — Die Bevölkerung des KReichs Sachsen nach der Staatsangehörigkeit und
der Gebürtigkeit am 1. XII. 1900, von (RegAss.) G. Lommatzsch. — Kleinere Mit-
teilungen.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. V, 1902, Heft 12: Ueber den Ur-
sprung des Adels im Zusammenhang mit der ursprünglichen Familienverfassung, von
Julius Lippert (Leitmeritz). — Malthusianische Bestrebungen in Westeuropa, von G. Stille
(Ihlienworth) Art. II (Schluß). — Das Kartellproblem in französischer Beleuchtung, von
Siegm. Schilder (Wien). — Aus der Geschichte der Zünfte, von (AmtsgerR.) Paul Frauen-
städt (Breslau). [Art. IL]: Die Verrufungen. — Sozialpolitik: Kommunales Arbeiterbe-
amtentum, von Heinr. Jenne (Würzburg). — Sprechsaal: Entgegnung auf Herrn Dr Worms
„Berichtigung“ im vormonatlichen Heft, von (Prof.) Joh. v. Komorzynski (Wien). —
Miszellen. — ete.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. XXIII, 1903, Heft 2:
Die richterliche Bestechung (8 334 RStGB.), von Jak. Katzenstein (München). — Die
gesellschaftlichen Faktoren der Kriminalität. Vortrag, geh. von (Prof.) v. Liszt am
21. IX. 1902. — Zur Reform des $ 59 StGB., von (Staatsanw.) Werner Rosenberg
(Straßburg i. Elsaß). — Ueber den einseitigen Widerruf der Pensionierung eines Reichs-
beamten und Eintritt des Pensionsverlustes infolge von der Versetzung in den Ruhe-
stand verübter strafbarer Handlungen, von (KriegsgerR.) Schlayer (Stuttgart). — Die
juristische Natur der bedingten Verurteilung, von Kaarlo Ignatius (Helsingfors). — Drei
Malefizbücher, von (AmtsgR. a. D.) Frauenstädt (Breslau). — etc.
Frommaunsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
ju
WI
Josef Kulischer, Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitilzinses. 145
Nachdruck verboten.
II.
Zu Entwiekelungsgeschichte des Kapital-
zinses.
Von
Josef Kulischer in St. Petersburg.
Dritte (letzte) Abhandlung !).
Der Kapitalgewinn im 19. Jahrhundert.
I.
Bis zu Ende des 18. Jahrhunderts war man bei der Waren-
produktion fast ausschließlich auf die Muskelkraft des Menschen an-
gewiesen. Der Mensch lieferte die Kraft, welche den Stoff in Be-
wegung setzte, er verrichtete auch alle einzelnen Operationen, die
in der verschiedenartigen Vereinigung und Trennung der Stoffteile
bestanden. Die wenigen Arbeitsmaschinen, die vorhanden waren, wie
Bandmühle oder Strumpfwirkerstuhl, bildeten nur seltene Ausnahmen,
se wurden nur in den minder wichtigen Produktionszweigen ange-
wandt und auch dort nur in geringem Umfange, so daß ihre Be-
nutzung noch keine greifbaren Resultate ergeben konnte. Es fehlte
ferner eine überall anwendbare von Zeit und Ort unabhüngige Kraft,
welche den Menschen und die unregelmäßige an einen bestimmten
Ort gebundene Wasserkraft auch in der Bewegung der Arbeits-
maschinen hätte ersetzen können.
Erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden die hervor-
ragenden Erfindungen gemacht, welche den Produktionsprozeß voll-
ständig umgestalteten. Es war dies die Dampfmaschine, welche dem
Menschen eine neue bisher unbekannte Naturkraft zuführte, die ihm
stets zur Verfügung stand, wenn und wo er ihrer bedurfte; es waren
Spinnmaschine und Kraftstuhl, welche wichtige Operationen in der
1) Erste Abhandlung (Der Handelsgewinn bis zum 18. Jahrhundert), Jahrbücher,
III. F. Bd. XVIII, 1899, S. 305—371; zweite Abhandlung (Das mittelalterliche Hand-
werk und die Hausindustrie des 16.—18. Jahrhunderts), III. F. Bd. XIX, 1900,
8. 449—470 und 593—647.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX), 10
| 4
Up Josef Kulischer,
Textilindustrie vereinfachten, an Stelle der schwierigen und unregel-
mäßigen Leistungen von Menschenarmen und -Beinen mechanische
in geordneter Reihenfolge erfolgende Maschinenbewegungen setzten.
Die Bedeutung der neuen Maschinen für die Volkswirtschaft lag
darin, daß nun die gleiche Quantität Waren in einer kürzeren Zeit
produziert werden konnte oder in derselben Zeit eine viel größere
Warenmasse. Um 1812 konnte der Spinner in der gleichen Arbeits-
zeit 200mal soviel produzieren wie vor der Erfindung der Jenny-
maschine. Ein Weber am Kraftstuhl leistete etwa ebensoviel wie
40 gute Handweber. Es wird nun nicht selten behauptet, dieses
Mehrprodukt sei auch dem Spinner bezw. Weber zu verdanken, der
die betreffende Maschine beaufsichtigt. Denn er leistet ja jetzt 200
bezw. 40mal soviel als es früher der Fall war, „als zweckmälige,
nützliche, produktive Tätigkeit hat seine Arbeit ihre Kraft“ ent-
sprechend gesteigert.
Bei einer solchen Auffassung wird die Arbeit zweierlei Art nicht
genügend auseinandergehalten. Bei der mechanischen Betriebsweise
besteht die eine Arbeitsart darin, daß die Maschine in Bewegung
gesetzt und gehalten wird, die andere in den verschiedenen Ver-
richtungen, welche die sich bewegende Maschine ausführt. Während
vor Einführung der Maschinen der Arbeiter die gesamte in der Pro-
duktion nötige Arbeit zu leisten hatte, vollzieht er nun, wo er
durch die Maschine unterstützt wird, nur die erstgenannte Arbeit: er
läßt die Maschine Bewegungen ausführen und verrichtet gewisse Hand-
griffe, um die Hindernisse zu beseitigen oder wenn eine Stockung
‚bereits eingetreten ist, die Maschine von neuem in Gang zu bringen.
Diese Tätigkeit ist ihm in der Tat auch beim Maschinenbetrieb ver-
blieben und selbst bei den automatisch wirkenden Apparaten, welche
sich selbst mit Rohstoff versorgen und eine kombinierte Reihe von
Prozessen vollbringen, ist die Arbeit der Maschine ohne Hilfe des
Menschen auf längere Zeit unmöglich, wenn man nicht an ein per-
petuum mobile glauben will. Es verbleibt jedoch noch die andere
Arbeitsart, jene Arbeit, welche in der Ausführung der einzelnen
Operationen besteht, die früher der Mensch besorgte und die jetzt
der Maschine überwiesen sind, mag sie nun Kraft- oder Arbeits-
maschine sein. Sie besteht darin, daß die Maschine gewisse Be-
wegungen ausführt, daß „die bewegten Punkte bestimmte Bahnen,
(seraden, Kreise, Kurven durchlaufen“). In dem einen Falle wirkt
sie als Druckpresse, in dem anderen als Webstuhl ; diese Maschine führt
Dampf zu, jene Elektrizität, die dritte ist sogar, wie der Dampfhammer,
Kraft- und Arbeitsmaschine zugleich. Der Arbeiter setzt in allen Füllen
auf gleiche Weise die Maschine in Bewegung und beschrünkt sich
weiterhin auf die Zuführung des Materials und Abnahme desselben von
der Maschine, auf die fernere Regulierung ihres Ganges, ungeachtet
dessen, welche Produkte die Maschine schafft, worin ihre Leistungen
1) Reuleaux, Lehrbuch der Kinematik, Bd. II. Die praktischen Beziehungen der
Kinematik zu Geometrie und Mechanik. Braunschweig 1900, S. 238—239.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 147
bestehen. Im Spinnprozeß ist seine Rolle dieselbe wie in der Eisen-
erzeugung. Die Tätigkeit des Spinners besteht darin, daß er „den
richtigen Gang der Arbeit überwacht und dann und wann eingreift,
um die Maschine mit neuen Rohstoffmengen zu speisen und die
fertigen Produkte zu entfernen“. Beim Konvertor fällt ihm ebenfalls
nur die Aufgabe zu, „für das richtige Einfließen des Roheisens, für
die ordentliche Entleerung der Birnen zu sorgen; er hat bloß den
Gang des Umwandlungsprozesses zu beaufsichtigen, nur hier und da
hat er leise einzugreifen“ +). Und doch wird in dem einen Falle
Garn, in dem anderen Eisen erzeugt. Es ist klar, daß der Umstand,
welche Operationen die Maschine ausführt, ob wir einen Selfaktor
oder einen Bessemerkonvertor vor uns haben, von der Konstruktion
der Maschine abhängt, da die Art und Weise der Bewegungen, die
sie ausführt, durch den Bau der Maschine gegeben sind. Die Kon-
struktion derselben rührt aber nicht vom Arbeiter her, der die
Maschine leitet und überwacht, sondern vom Erfinder, nach dessen
Modell die Maschine hergestellt ist.
Daß die Bewegungen der Maschine nach einem bestimmten Plane
vor sich gehen, daß gewisse Wege unter gewissen Geschwindigkeiten
nd in gewisser Folge durchlaufen werden, — das hängt von dem
Ziele ab, daß sich der Erfinder gesetzt hat und davon, in welcher
Weise er dasselbe zu erreichen bestrebt war. Daher ist auch die
Wirkung der Maschine auf die ihrer Bearbeitung unterworfenen
Körper oder Stoffe eine voraus bekannte, durch die Tätigkeit des
Erfinders gegebene. Der Arbeiter „tritt dann mit seiner Muskelkraft
zu einer Bewegung ebenso ein, wie die rein mechanische Naturkraft —
für sine Bewegungen ist ihm keine Wahl gelassen“: er muß sich den
Zielen des Erfinders vollständig unterwerfen ?). Auch der Maschinen-
fabrikant wie seine Arbeiter sind bloß Mittelsmänner zwischen dem Er-
finder und dem die Maschine anwendenden Unternehmer. Der Er-
finder hat die Maschine wirklich geschaffen, während ihre Rolle nur
darin liegt, daß sie den Befehl des Erfinders ausführen, das von ihm
gelieferte Modell nachmachen und vervielfältigen, ohne eigene Aende-
rungen in ihrer Stellung als Fabrikant bezw. Arbeiter vornehmen zu
können ®). Nicht in ihrer vervielfältigenden Arbeit, sondern in der
schöpferischen Arbeit des Erfinders liegt die neue Eroberung auf
dem Gebiete der Technik, denn sobald der Erfinder seinen schöpfe-
rischen Gedanken verwirklicht hat, sobald er die Schwierigkeiten
überwunden und die erste Modellmaschine zustande gebracht hat,
ist die Erfindung fertig; sie kann nun in der Warenproduktion an-
gewandt werden. Und sämtliche Produkte, die mittels jener Maschine
in Zukunft hergestellt werden, enthalten die schöpferische Arbeit des
Erfinders.
1) Sinzheimer, Der volkswirtschaftliche Charakter der technischen Entwiekelung
des deutschen Eisenhüttengewerbes 1865—1879. München 1892, S. 55.
2) Reuleaux, Ibid. Bd. II, S. 238—240.
3) Wenn und soweit sie das tun, wirken sie ebenfalls als Erfinder, nicht aber als
Unternehmer bezw. als Arbeiter.
10*
148 Josef Kulischer,
Es gibt also zwei Arten Arbeit, denen die Warenproduktion im
19. Jahrhundert zu verdanken hat: die schöpferische Arbeit des Er-
finders, der die Maschine geschaffen hat, einerseits, und die aus-
führende Arbeit des Lohnarbeiters andererseits, der den Maschinen-
gang leitet und überwacht. Wir werden demgemäß nicht mehr
Natur, Arbeit und Kapital als Produktionsfaktoren bezeichnen, son-
dern Natur, schöpferische und ausführende (physische) Arbeit, da
das Kapital als Maschine (und Werkzeug) auf schöpferische, als Roh-
stoff auf schöpferische und ausführende Arbeit zurückzuführen ist.
Wir werden ferner die beiden Arten Arbeit unterscheiden, wenn
wir von der Produktivität der Arbeit schlechthin reden; denn es
muß in jedem einzelnen Falle festgestellt werden, um welche Arbeit,
schöpferische oder ausführende, es sich handelt, welche Arbeit
produktiver bezw. minder produktiv geworden ist. Nicht bei allen
Veränderungen im Arbeitsprozeß, durch welche die Produktion eines
größeren Warenquantums in der gleichen Zeitperiode möglich wird,
ist die produktive Kraft der physischen (ausführenden) Arbeit ge-
stiegen, sondern nur dann, wenn die Tätigkeit des Arbeiters inten-
siver geworden ist, wenn er eine größere Anzahl von Maschinen als
früher bedient, wenn er mit mehr Umsicht arbeitet, die Handgriffe, die
er leistet. vollkommener sind. Nur wenn und nur in dem Grade als
dies der Fall ist, erwirbt die physische Arbeit die Kraft, ein größeres
Güterquantum zu produzieren, ist produktiver geworden. In den
anderen Fällen dagegen, wo und soweit eine größere Warenmasse
nur durch Einführung einer vollkommeneren Maschinerie erreicht wird,
durch Anbringung neuer Verbesserungen an den früheren Apparaten
und andere technische und chemische Neuerungen in der Produktion,
ist die Produktivität der schöpferischen Arbeit gestiegen, die Pro-
duktivität der physischen Arbeit insoweit unverändert geblieben.
Es gibt jedoch noch eine andere Auffassung, welche noch weiter
geht, als diejenige, welche das ganze Produkt als von der Arbeit
des Lohnarbeiters herrührend betrachtet. Es wird nämlich zuweilen
überhaupt geleugnet, daß die mittels der Maschine geschaffene Güter-
quantität der menschlichen Arbeit, sei es diese oder jene Arbeitsart,
schöpferische oder physische Arbeit, zugeschrieben werden könne.
Leistungen der Naturkräfte, welche durch die Maschine in der Pro-
duktion wirken, sollen es vielmehr sein, die jenes Güterquantum er-
zeugen. Nicht der Produktionsfaktor Arbeit, sondern der Produktions-
faktor Natur, wird behauptet, bildet die Quelle der Ueberschuß-
quantität an Waren, die durch Anwendung der Maschinen zustande
kommt, weil eben durch die Maschine Naturkräfte der Produktion
zugeführt werden.
Daß die Maschine Naturkräfte wirken läßt, wird natürlich niemand
leugnen; nur darf man darin nicht etwas Besonderes, der Maschine
Eigentümliches erblicken. Denn wenn auch die Arbeit des Menschen
bloß darin besteht, daß er — wie J. St. Mill sagt — Dinge in die
rechte Lage bringt, damit die ihnen beiwohnenden Kräfte wie die
bei anderen Gegenständen vorhandenen Kräfte in entsprechender
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 149
Weise wirken können !), so ist ja offenbar zwischen der menschlichen
Arbeit und der Tätigkeit der Maschine ein qualitativer Unter-
schied nicht vorhanden, da beide auf gleiche Weise die Tätigkeit
der Naturkräfte veranlassen, wenn auch in quantitativer Hinsicht
diese Tätigkeit der Naturkräfte bei Anwendung der Maschine er-
heblicher sein mag. Wenn der Handweber — führt Mill aus —
ein gewebtes Zeug hervorgebracht hat, so sagt man, „er habe dies
mit der Hand getan, indem vorausgesetzt wird, daß keine Natur-
kraft dabei mit tätig gewesen sei. Aber durch welche Kraft ist jeder
Schritt bei dieser Verrichtung möglich gemacht worden und wodurch
wird das angefertigte Gewebe zusammengehalten? Geschieht dies
nicht durch die Haltbarkeit und das natürliche Zusammenhängen
der Fasern?“ 2). Wenn nun die Maschine den Menschen ersetzt, so
werden die Bewegungen, durch welche jene Wirkung der Naturkräfte
veranlaßt wird, die Raumversetzungen des Stoffes nicht mehr vom
Menschen, sondern von der Maschine verrichtet. Es werden „mittelst
der Maschine mechanische Naturkräfte genötigt, unter bestimmten
Bewegungen bestimmte Wirkungen auszuüben“). Beim Spinnen
nit der Spindel schlichten die Finger die Fasern, legen sie ge-
rade, ordnen sie in gleicher Menge und wickeln sie zusammen.
Die Spinnmaschine vollzieht dieselben Bewegungen, nur daß an
Stele der menschlichen Hand verschiedene Apparate treten. Die
menschliche Hand wird hier durch die Bremse, den Kneipapparat,
das Streckwerk ersetzt. Um jener vom Menschen vollführten Be-
wegungen willen bezeichnen wir das Produkt, wo der Mensch ohne
Maschine produziert, als gemeinsames Resultat der Tätigkeit zweier
Faktoren, Natur und physische Arbeit; jenes Produkt, das die
Maschine als solche, abgesehen von der Tätigkeit des dieselbe über-
wachenden Arbeiters, hervorbringt, wird demgemäß als Produkt von
Naturkräften und schöpferischer Arbeit aufzufassen sein, da ja —
wie oben gezeigt — jene Bewegungen der Maschine, ihre Art und
Weise von der schöpferischen Arbeit des Erfinders herrühren, der
sie konstruiert hat.
Wenn es sich nun weiterhin um den Wert der Produkte handelt,
so wird die Natur ganz auszuscheiden sein. Sie bildet zwar einen
Produktionsfaktor, jedoch kein Wertelement; damit ein Gut Wert
erhalte, muß es bekanntlich nicht bloß nützlich sein, d. i. irgend-
welche Bedürfnisse des Menschen befriedigen können, sondern auch
selten sein im Verhältnis zu den vorhandenen Bedürfnissen. Nun
sind die Naturkräfte, soweit sie die menschliche Arbeit direkt unter-
stützen, nicht bloß allen und immer zugänglich, sondern auch in un-
begrenzter Quantität vorhanden. Die Quantität Arbeit dagegen, über
welche der Mensch verfügt, reicht nicht aus, um sämtliche Bedürfnisse
1) J. St. Mill, Grundsätze der politischen Oekonomie. Deutsch von Soetbeer.
Leipzig 1881. Bd. 1, S. 26 (Buch I, Kap. I, $ 2). Vergl. Bóhm-Bawerk, Positive
Theorie des Kapitals. 2. Aufl., Innsbruck 1902, S. 10—14.
2) J. St. Mill, ibid.
3) Reuleaux, Bd. II, S. 247.
150 Josef Kulischer,
des Menschen zu befriedigen, um die Naturkräfte in allen Fällen
wirken zu lassen, wo es für den Menschen nötig ist. Daher werden
die Produkte menschlicher Arbeit, trotzdem die eigentlich stoffver-
ändernde Tätigkeit die Naturkräfte vollziehen und nicht der Mensch.
wegen der menschlichen Tätigkeit gewöhnlich bewertet, nämlich dann
immer, wenn sich mittels derselben irgend welche Bedürfnisse be-
friedigen lassen. Wo die Maschine an Stelle des Menschen tritt,
ändert sich die Lage auch in Bezug auf jene Produkte, welche die
Maschine selbst hervorbringt, nicht im geringsten: auch hier sind
es offenbar nicht die Naturkräfte, welche Wert besitzen, denn sie sind
ja auch in diesem Falle unbegrenzt vorhanden, sondern die schöpfe-
rische Arbeit des Erfinders, welche für die Schaffung der Maschine
notwendig ist. Wie der Wert der Produkte physischer Arbeit nicht
in den in der Produktion wirkenden Naturkräften liegt, sondern in
den relativ seltenen (im Verhältnis zu den menschlichen Bedürfnissen)
Bewegungen, welche der Mensch auszuführen hat, um die Natur-
kräfte in der Produktion wirken zu lassen, so werden auch die Pro-
dukte der Maschinentätigkeit — es handelt sich immer um jene
Bewegungen der Maschine, abgesehen von der Arbeit des dieselbe
leitenden Menschen — nicht um der Naturkräfte willen bewertet, welche
die Maschine der Produktion zuführt, sondern der schöpferischen Arbeit
halber, welche den Mechanismus schafft, der für die Wirkung der Natur-
kräfte nötig ist und ohne den, wie im ersteren Falle ohne die Hände
des Arbeiters, die Naturkräfte nichts leisten können. Der Satz.
daß die Naturkräfte zwar für alle auf gleiche Weise wirken können,
jedoch tatsächlich nur für diejenigen tätig sind, die gewisse Vor-
richtungen besitzen, welche die Wirkung der Naturkräfte veranlassen,
gilt eben für beide Fälle auf gleiche Weise: nur besteht in dem
einen Falle jene Vorrichtung in der menschlichen Hand, in dem
anderen Falle in der Maschine, die ebenfalls vom Menschen produziert
ist; in dem ersten Falle ist sie von Natur vorhanden, wenn auch
in begrenzter Quantität, im zweiten muß sie noch vom Geiste des
Menschen erfunden werden.
Aus dem Dargelegten folgt, daß es im 19. Jahrhundert zwei
und nur zwei Quellen des Kapitalzinses geben kann, die ausführende
(physische) und die schöpferische Arbeit; denn wenn die Tätigkeit
der Naturkräfte keinen Wert besitzt, so kann sie auch nicht Mehr-
wert ergeben; auch in der Güterzirkulation ist jene Quelle nicht mehr
zu suchen: schon in der Periode der Volkswirtschaft des 16.—18. Jahr-
hunderts fehlte sie, um so weniger kann von ihr in der Weltwirtschaft
des 19. Jahrhunderts, bei der noch viel mehr entwickelten Konkurrenz,
bei Welthandel und Weltverkehr die Rede sein. Wenn jedoch jene
beiden Quellen (schöpferische und ausführende Arbeit) den Kapitalzins
schaffen können, so folgt daraus noch nicht, daß sie ihn auch wirklich
schaffen müssen. Es ist noch zu untersuchen, ob dies der Fall ist und
ob sie beide zusammen als Gewinnquellen auftreten oder nur eine von
beiden und welche die richtige ist. Die Untersuchung muß also in
zwei Teile zerfallen. Wir müssen zuerst darüber Klarheit gewinnen,
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 151
ob und warum diese oder jene Arbeitsart, die physische bezw. die
schöpferische Arbeit einen Teil der von ihr produzierten Güter dem
Unternehmer überläßt, warum ein Güterteil, der von der betreffen-
den Arbeitsart geschaffen, vom Produzenten weggenommen und dem
Unternehmer übergeben wird. Damit wäre erwiesen, daß ein Ueber-
schufquantum an den Unternehmer gelangt. Als zweiter Teil der
Aufgabe bleibt dann zu zeigen, daß und warum jenes an den Unter-
nehmer gelangte Güterquantum auch in der Tat bei ihm verbleibt
und zum Ueberschußwert wird und nicht in Form einer Preisherab-
setzung dem Konsumenten zufließtt, warum der Warenpreis den
Preis der Produktivgüter übersteigt, der Konsument mehr bezahlt,
als die Auslagen des Unternehmers betragen. Dann erst ist er-
wiesen, daß das Mehr an Gütern sich notwendig in ein Mehr an
Wert verwandeln muß. Entweder der Wert des Produkts zieht den
Wert der (schöpferischen bezw. ausführenden) Arbeit zu sich hinauf;
oder der Wert der Arbeit zieht durch Konkurrenz den Wert des
Produkts zu sich herunter; oder endlich das von der (schöpferischen
bezw, ausführenden) Arbeit produzierte bleibt über dem Wert der
(betreffenden) Arbeit wie er im Arbeitslohn zum Ausdruck gelangt,
stehen. Letzteres muß eben bewiesen und erklärt werden, und es muß
dargelegt werden, warum die ersten beiden Fälle unmöglich sind !).
Die Untersuchung jeder von den beiden Arten von Arbeit in
dieser Beziehung werden wir zunächst für die zwei ersten Drittel
des 19. Jahrhunderts führen und dann uns mit dem Ende des Jahr-
hunderts befassen.
II.
Im Jahre 1623 wurde das englische Patentgesetz erlassen. Ob-
wohl auch nach dieser Acte die Gewährung des Erfindungspatentes
dem freien Ermessen der Krone überlassen blieb, so stellte sich doch
in der Praxis bald der Grundsatz fest, daß jedes nachgesuchte Patent,
falls nicht Bedenken gegen die Patentfähigkeit oder die Neuheit des
Gegenstandes vorliegen, auch erteilt wird, daß also dem Erfinder als
solchem, nach Erfüllung der vorgeschriebenen Formen und nach Er-
legung der Taxen ein Anspruch auf die ausschließliche Benutzung
der Erfindung und zwar für die Dauer von 14 Jahren eingeräumt
wird?). Damit erhielten auch die Produkte geistiger Arbeit ein Recht
auf Existenz und die Erzeugung derselben sollte, wie die aller anderen
Arbeitsprodukte, dem Produzenten ein Einkommen gewähren. Zu-
gleich ist England das Land, in welchem zu Ende des 18. Jahr-
hunderts und zu Anfang des 19. jene Erfindungen ans Licht traten
und in der Güterproduktion angewandt wurden, die als die groß-
artigsten bisher gemachten Schöpfungen des menschlichen Geistes
auf dem Gebiete der Technik bezeichnet zu werden verdienen. Die
unermeßliche Bedeutung jener Erfindungen für die volkswirtschaft-
Innsbruck 1900, S. 203.
2) Klostermann, Das Patentrecht. Endemann, Handbuch des deutschen Handels-,
See- und Wechselrechts, Bd. II, Leipzig 1582, S. 316.
152 Josef Kulischer,
liche Produktion besteht sowohl in ihrer außerordentlichen Leistungs-
fähigkeit, in der Größe des von ihnen hervorgebrachten Güterquantums,
als auch darin, daß sie gerade in der Textilindustrie gemacht worden
sind, und zwar in den zwei wichtigsten Branchen derselben, der Baum-
woll- und Wollenfabrikation, Industriezweigen, welche einen großen
Teil der Kapitalien des Landes beschäftigen und überhaupt für die
Volkswirtschaft von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Man wäre berechtigt anzunehmen, daß der Patentschutz jenen
großen Erfindern den ihnen gebührenden Lohn auch wirklich von
seiten der Fabrikanten hätte verschaffen müssen. Tatsächlich war
dies nicht der Fall. Das Patentwesen hatte sich in England nicht
nur im 17., sondern auch im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts
noch so wenig eingelebt, daß einerseits viele Erfinder die Regierung
um ein Patent gar nicht angehen wollten, da sie ihre Schöpfungen
noch immer als gemeinsames Eigentum der Menschheit betrachteten
und daher die Benutzung der Erfindungen sämtlichen Produzenten
freistellten und daß andererseits, soweit der Erfinder ein Patent
besaß, die Fabrikanten sich das Recht anmaßten, seine Erfindung
offenkundig anzuwenden, ohne ihm dafür irgend eine Entschädigung
zu zahlen.
Ein derartiges Bild entfaltet sich nämlich vor unseren Augen,
wenn wir die Erfindungen auf dem Gebiete der Spinnerei und
Weberei betrachten, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in
England gemacht worden sind. Paul und Wyatt, Arkwright, Har-
greawes und Crompton waren diejenigen Erfinder, denen die Um-
wälzungen im Spinnprozeß zu verdanken sind; ihnen stehen eben-
bürtig zur Seite Kay, Kartwright und Radcliffe als Schöpfer der
modernen Technik in der Weberei. Und die Werke aller dieser Er-
finder — Arkwright lassen wir vorläufig außer Acht — sind den
Fabrikanten umsonst zugefallen.
Die erste Vorrichtung in der Spinnerei, durch welche das mecha-
nische Ausziehen des Materials ermöglicht, die festhaltende Hand
durch Streckwalzen ersetzt wird, hat Lewis Paul in Vereinigung
mit John Wyatt 1738 erfunden. Paul nahm zwar ein Patent für die
Erfindung, jedoch nicht um dasselbe auszunutzen, denn er gab die
Einführung der Maschine völlig frei, was auch wirklich in ver-
schiedenen Teilen des Landes versucht wurde. 1757 besingt John
Dyer, welcher eine solche Maschine Pauls in Tätigkeit gesehen
haben muß, dieselbe in einem Gedicht auf die Wolle. Der Ruhm
des Erfinders, den Paul sich allein zusprechen wollte, obwohl Wyatt
jedenfalls einen gleichen Anteil am Zustandekommen der Erfindung
besitzt, genügte ihm offenbar vollkommen. Einen materiellen Vorteil
von denselben suchte er nur als Unternehmer, nicht aber als Erfinder,
da er wohl zwei Spinnereien anlegte, in denen die neue Maschine
in Gang gesetzt wurde, jedoch niemanden hinderte, seinem Beispiele
zu folgen D.
1) Grothe, Bilder und Studien zur Geschichte vom Spinnen, Weben, Nühen.
2. Aufl, Berlin 1875, S. 134.
Zur Entwiekelungsgeschichte des Kapitalzinses. 153
Das Streckwalzensystem Pauls und Wyatts wurde durch Ark-
wright vervollkommnet; da es jedoch für feine wie weiche (schwach
gedrehte) Garne unbrauchbar war, so wurden zwei neue Maschinen
erfunden. Die eine Lücke füllte Hargreawes aus, indem seine Jenny-
maschine keine Streckwalzen enthielt, sondern das Ausziehen der
Fäden mittels Presse und Wagenbewegung vollführte und so mit
beliebig schwachem Grade der Drehung spinnen konnte. Anfangs
dachte Hargreawes gar nicht daran, sich die Jenny patentieren zu
lassen, erst später, 1770, nachdem die Arbeiter von Blackburn, gegen
die Maschine aufgebracht, dieselbe zerstórt hatten, nahm er ein Patent
darauf. Doch hinderte er auch jetzt das unberechtigte Nachahmen
nicht und die Maschine fand immer mehr Eingang in die Spinnereien,
wenn sie auch vorübergehend Feindseligkeiten zu erfahren hatte: in
den 1779 gegen die Maschinen ausgebrochenen Unruhen wurden auch
viele Jennymaschinen zerstórt, unter anderen auch die von Robert
Peel und diejenigen, auf welchen Hargreawes selbst arbeitete !).
Den zweiten Teil der Aufgabe, das Spinnen feiner Garne voll-
brachte die von Crompton erfundene Mulemaschine, welche jedoch
zugleich Garne sowohl mit schwacher als mit starker Drehung liefern
konnte. Crompton vereinigte nämlich den von ihm abweichend kon-
struierten Hargreawesschen Wagen mit dem (Arkwrightschen) Walzen-
streckwerk und nannte seine Maschine „Mule“ (Maulesel), um an-
zudeuten, daß sie'ein Bastard sei. Diese Maschine, welche die von
Arkwright und Hargreawes erfundenen überflüssig machte und über
ein halbes Jahrhundert die Spinnsäle beherrschte, unterließ auch
Crompton sich patentieren zu lassen. Gegen das Versprechen der
Spinnereibesitzer, für ihn eine Subskription zu veranstalten, ihn in
jeder Weise zu unterstützen, gab er seine Erfindung preis, zeigte
sie öffentlich und erklärte sie. Als jedoch die Subskription statt-
fand, gab keiner von den Fabrikanten über eine Guinee, so daß nur
106 £ zusammengebracht wurden, trotzdem die Liste von einer
großen Zahl von Fabrikanten gezeichnet war, die seine Erfindung
benutzten. Auch seine weiteren Vervollkommnungen wurden von
seinen Söhnen verraten und von den Fabrikanten ganz ungeniert
angewandt. Nicht die Spinnereibesitzer, sondern das Volk zahlte
Crompton später, als ihm das Parlament auf seine Petition eine
Nationalbelohnung von 5000 £ zu geben beschloß, den zehnten Teil
der von Crompton erbetenen Summe, obwohl schon damals einige
Hundert Betriebe mit seiner Mule arbeiteten, was im Parlament auf
Grund einer Untersuchung referiert wurde ?).
Schon 1733 konstruierte Kay seinen Schnellschützen, die erste
große Erfindung auf dem Gebiete der Weberei, weil dadurch von
den beiden Arbeitern, die früher am Webstuhl beschäftigt waren,
einer ganz überflüssig wurde und auch beim anderen nur eine Hand
1) Karmarsch, Geschichte der Technologie seit der Mitte des 18. Jahrhunderts.
München 1872, S. 598. Otto, Buch berühmter Kaufleute. Leipzig und Berlin 1868,
8. 176. Grothe, S. 135—136.
2) Karmarseh, 598—599. Grothe, S. 142—144.
T E EN Ce
154 Josef Kulischer,
tätig sein mußte. Kay erhielt zwar ein Patent auf seine Verbesse-
rung und verfolgte die Weber, welche ihn für den Gebrauch der-
selben nicht vergüten wollten und sogar eine Gesellschaft gebildet
hatten, die den Zweck hatte, die Gerichtskosten für den zu bezahlen,
der etwa für unrechtmäßige Benutzung des Kayschen Apparats auf
Entschädigung angeklagt werden sollte. Doch scheint die Ent-
schädigung recht erbärmlich gewesen zu sein, weil Kay bei diesen
Prozessen gar nichts gewonnen hat, obwohl fast alle zu seinen
Gunsten entschieden waren. Nur das eine erreichte er wirklich, daß
die Anwendung seiner Erfindung bis zum Ablauf der Patentdauer
sehr langsam von statten ging. Erst seit 1760 wurde der Schnell-
schütze in England häufiger benutzt — Adam Smith erwähnt ihn
unter den neueren Erfindungen noch gar nicht — also in einer Zeit,
wo Kays Patent bereits erloschen und der Gebrauch der Erfindung
allen freigegeben war!).
Nicht viel mehr hat den englischen Fabrikanten der mechanische
Webstuhl gekostet. Derselbe wurde fast gleichzeitig von Cartwright
und Jeffray erfunden. Letzterer stellte seinen Webstuhl den Fabri-
kanten zur Verfügung. Er ließ sich zwar denselben patentieren,
kümmerte sich aber garnicht um den Gewinn, den ihm das Patent
verschaffen konnte. Was Cartwright betrifft, so wurde dessen Patent
angegriffen und der Erfinder in kostspielige Prozesse verwickelt. Er
selbst erhielt jedenfalls nichts von den Produzenten: ob seine Brüder,
denen er später seine Patente überlassen hat, mehr Gewinn davon
hatten, ist nicht bekannt ?).
Der mechanische Webstuhl kam jedoch anfangs nur wenig in
Aufnahme, da man sich zur Verarbeitung feiner Garne der Schlichte
bedienen mußte, um dem Faden durch Klebematerialen Halt zu geben.
Dieser SchlichtprozeR, der das Weben unterbrach und einen eigenen
Arbeiter erforderte, wurde von Radcliffe vereinfacht und die Unter-
brechung beim Weben beseitigt. Demselben hatten die Fabrikanten
versprochen, ihn zu unterstützen und sich mit ihm zu verbinden,
wenn die Erfindung gelingen sollte. Sie gedachten jedoch später
ihrer Versprechen nicht. Ein Patent auf seinen Apparat scheint
Radcliffe überhaupt nicht genommen zu haben 5).
Was die englischen Erfinder zu Ende des 18. Jahrhunderts für
die Baumwoll- und Wollenindustrie gewesen, für die Entwickelung
dieser Industriezweige in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das
waren die Franzosen auf dem Gebiete der beiden anderen Branchen
der Textilgewerbe, der Fabrikation von Seiden- und Leinenstoffen.
An der Herstellung des Seidenwebstuhls haben drei Erfinder
gearbeitet, Falcon, Vaucanson und Jacquard. Doch die Schöpfungen
der beiden ersten fanden keine Anwendung in der Industrie. Falcons
Maschine verschwand sehr bald nach ihrem Aufkommen und Vaucan-
1) Karmarsch, S. 667. Grothe, S. 224—226.
2) Grothe, S. 151—153.
3) Grothe, S. 154—155.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 155
sons Erfindung, welche er sofort dem allgemeinen Gebrauche über-
gab, wollte niemand benutzen!) so daß er sie im Conservatoire des
arts et métiers in Paris aufbewahrte, von wo dieselbe erst durch
Jacquard hervorgeholt und vervollkommnet wurde. Jacquard ver-
einigte nämlich die Erfindungen von Falcon und Vaucanson und
ersetzte die Arbeit zweier Männer durch die neue Maschine und
einen Arbeiter. Gemäß einem Dekret Napoleons vom Jahre 1806
wurde die Maschine von der Munizipalität Lyons erworben und den
Fabrikanten frei zur Einführung überlassen. Selbst die geringe Ver-
gütung von 50 fres. pro Maschine welche die Fabrikanten Jacquard
zu zahlen hatten, wurde ihm tatsächlich vielfach nicht entrichtet. Und
doch arbeitet seine Maschine noch heute in manchen Teilen verändert
und verbessert, in ihrem Prinzip aber unverändert in Tausenden
von Fabriken der ganzen Welt ?).
Für die Konstruktion der Flachsspinnmaschine sollte Girard den
von Napoleon I. ausgesetzten Preis von 1 Mill. fres. erhalten, weil
er eine vortreffliche Lösung der Aufgabe geliefert hatte. Und doch
wurde ihm der Preis vorenthalten: der unglückliche Feldzug Napoleons
nach Rußland und der darauffolgende Sturz des Kaisers waren haupt-
sächlich daran schuld. Wäre ihm aber auch die Million ausbezahlt
worden, so hätte ihm damit die Nation eine Belohnung gegeben,
nicht die Fabrikanten, wie dies ja auch bei Crompton, zum Teil auch
bei Jacquard der Fall war. Was die Fabrikanten betrifft, so hatte
Girard zwar gleich 1810 ein Patent zum Schutze der Maschine ge-
nommen, doch hat dieselbe in Frankreich niemand benutzt, nach
England wurde sie aber heimlich hinübergebracht und das Modell
daselbst verkauft. Verschiedene Engländer gaben sich für Erfinder
der Flachsspinnmaschine aus und ließen sich einzelne Bestandteile
derselben in England patentieren. Girard selbst trug dazu bei, daß
ie Engländer sich sein Spinnverfahren nutzbar machten, indem er
darlegte, daß jene Patente Kopien des von ihm erhaltenen Patents
darstellten. Auf diese Weise wurde den Fabrikanten die Entrichtung
einer Belohnung für die Benutzung seiner Maschine erlassen, da die
Engländer, die jene Patente besaßen, sich als unrechtmäßige Eigen-
tümer derselben erwiesen, Girard selbst aber keinen Geldgewinn für
sich nachsuchen wollte: „Das Verfahren ward ohne weiteres überall
eingeführt und trug zur schnelleren Entwickelung der englischen
Flachsspinnerei viel bei‘ ?).
Unter den vielen hervorragenden Erfindern, die im letzten
Drittel des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts gewirkt haben,
sind es nur zwei, die sich auch eines materiellen Erfolges er-
freuten, indem die Erfindung ihnen nicht nur Ruhm, sondern auch
Vorteil in wirtschaftlicher Beziehung verschaffte. Wir sprechen von
Richard Arkwright und James Watt. Auf den ersten Blick erscheint
1) Godart, L'ouvrier en soie. Monographie du tisseur lyonnais. T. I, Paris 1899
p. 277 sqq.
2) Grothe, S. 79—80.
>) Grothe, S. 320, 324—325.
ES e
156 Josef Kulischer,
es, als ob die Fabrikanten keinen Anteil an dem Güterüberschuß
genossen haben, den die von diesen Erfindern geschaffenen Maschinen
erzeugten, daß das ganze Mehrprodukt den großen Schöpfern der-
selben auch zugefallen ist. Sieht man sich jedoch die Sache näher
an, so ergibt sich, daß selbst diese Erfinder einen nur minimalen
Teil jenes überschüssigen Produktionsquantums erhalten haben, daß
vielmehr auch in diesen Fällen die überwiegend größte Masse den
Fabrikanten zugekommen ist.
Ueber Arkwright wissen wir, daß er nicht nur Patente auf seine
Erfindungen genommen, sondern auch seine Ansprüche auf Entgelt
für Benutzung derselben streng verfolgt hat, indem er die Nach-
ahmer seiner Watermaschine durch Prozesse belangte und von jedem,
der seine Maschine einführte, sich einen Teil des Ertrags abtreten
ließ. Dadurch gelangte er zwar in kurzer Zeit zu einem bedeuten-
den Vermögen, machte sich jedoch bei den Fabrikanten verhaßt, welche
in seinen Forderungen eine Ungerechtigkeit sahen und nicht zu-
geben wollten, daß der Erfinder den von ihm geforderten Anteil am
Güterüberschuß, den seine Maschine erzeugte, erhalten sollte, da
ihrer Auffassung nach dessen Geistesprodukt doch der Allgemeinheit
gehörte, jeder, der die Erfindung benutzte, schon allein dadurch ein
Anrecht erwarb auf das gesamte von ihr hervorgebrachte Produkt.
Das geltende Recht stand zwar mit jener Auffassung der Produzenten
in Widerspruch, nicht aber die Rechtsprechung in Patentsachen, bei
der sich eben die herrschende Ansicht von dem Anrecht der Ge-
samtheit auf freie Benutzung der Erfindung durchsetzte in der Leichtig-
keit, mit welcher die Richter die unberechtigten Anwender der
patentierten Erfindung freisprachen, in der mangelhaften Beweis-
führung, welche für sie genügte, um den Erfinder des ihm erteilten
Patents zu berauben. Letzteres war gerade bei Arkwright der Fall.
Die Fabrikanten petitionierten beim Parlament um Aufhebung des
Arkwrightschen Patents, indem sie die Neuheit der Erfindung be-
zweifelten und den Beweis zu erbringen suchten, daß die Arkwrightsche
Maschine weiter nichts als eine Nachbildung der Paulschen sei, daß
das Patent also aufzuheben wäre und die Benutzung allen frei-
zustellen. Es gelang ihnen auch wirklich, das Patent zu vernichten !).
Nun, als sie dieses erreicht, zauderten sie nicht mehr die angeblich
der Neuheit entbehrende Erfindung in großer Anzahl einzuführen.
Im Jahre 1780 — sagt Held — gab es 20 Fabriken, die entweder
Arkwright oder solchen Leuten gehörten, die ihn für sein Patent
bezahlt hatten; im Jahre 1790, nachdem Arkwright inzwischen 1785
sein Patent durch Prozeß verloren hatte, gab es 150 Fabriken in
England und Wales?) Was also Arkwright von allen übrigen
(oben erwähnten) Erfindern unterscheidet, ist dies: während eines
kurzen Zeitraumes bis zur Aufhebung seines Patents waren die Unter-
nehmer verpflichtet, ihm die Benutzung der Maschine zu vergelten.
Und diese kurze Zeitperiode hat ihm einen Reichtum von Millionen
1) Grothe, S. 139.
2) Held, Zwei Bücher zur sozialen Geschichte Englands. Leipzig 1881, S. 592.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 157
Pfl. St. eingebracht. Wie groß mußte also der Reichtum sein, den seine
Maschine später, als sie allgemein eingeführt wurde, ihm hätte ver-
schaffen können, wie groß war demnach der Güterüberschuß, der
in den Händen der Spinnereibesitzer verblieb!
Und wäre auch Arkwrights Patent nicht aufgehoben und er in
den Stand gesetzt, dasselbe den ganzen Zeitraum hindurch benutzen
zu können, für den es ihm ursprünglich zugesprochen war, hätte
er dann das ganze Mehrprodukt, das seine Maschine erzeugt, für
sich behalten, hätte er selbst dann auch nur einen mehr oder weniger
bedeutenden Anteil daran erwerben können? Genügt überhaupt eine
Frist von 14 Jahren oder eine auf einige Jahre darüber hinaus ver-
lingerte, wie dies bei Watt der Fall war — genügt sie dazu, den
Fabrikanten zur Auszahlung eines Anteils von auch nur wenigen
Prozenten von jenem Mehrprodukt zwingen zu können, wenn es
sich um wichtige Erfindungen handelt, welche viele Jahrzehnte hin-
dureh fortleben und die Industrie beherrschen? Wir sagen ent-
schieden: Nein. Der Anteil des Erfinders, der ihm von den Unter-
nehmern ausgezahlt wird, der Erfinderlohn, bleibt immer minimal
im Verhältnis zur Güterquantität, welche die neue Erfindung der
alten gegenüber mehrerzeugt, denn nur diejenigen Unternehmer, welche
in der Zeit der Gültigkeit des Patents die Erfindung einführen,
müssen zu ihren Auslagen einen Entgelt für die Anwendung der-
selben rechnen, während alle übrigen, die nach Erlöschen des Patents
die Erfindung neueinführen oder ihre Anwendung fortsetzen, den
gesamten Güterüberschufi für sich behalten kónnen.
Dies bezieht sich auch auf James Watt, der die Dampfmaschine
vervolkommnet und so die Anwendung des Dampfes in der In-
dustrie möglich gemacht hat. Obwohl seine Patente im Gegensatz
zu den Arkwright'schen sogar über die vorgeschriebene Frist hinaus
verlängert wurden und er sich, wie Arkwright, von allen, die seine
Maschine benutzten, zahlen ließ!), so wäre doch die Behauptung,
daß der Vorteil aus der Maschine ihm auch nur zu einem bedeutenden
Teile zugefallen sei, nichts weniger als erwiesen. Widerlegt wird eine
solche Auffassung schon durch die Tatsache, daß die Maschinen, die
in der Fabrik von Watt und Boulton in Soho produziert waren, ein
sehr hohes Alter erreicht haben. „Erst gegen 1860 — sagt Reu-
leaux — war ihr Geschlecht so ziemlich ausgestorben. Einzelne Ueber-
ständer giebt es noch heute. Im Patentmuseum in London wurde
1885 eine Wattische Maschine ausgeliefert, nachdem sie genau 100 Jahre
ihre treuen Dienste (in einer chemischen Fabrik) getan*?). Es ist
klar, daß Watt beim Verkaufe jener von ihm produzierten Dampf-
maschinen unmöglich auch nur einen größeren Teil jenes Ueber-
schusses an Produkten, welche seine Maschinen, die viele Jahrzehnte
1) Ein bedeutendes Vermögen hat sich Watt jedoch nicht erworben. Als er nach
Erlöschen des Patents von der Unternehmung zurücktrat, besaß er nur ein kleines
Landgut bei Heathfield, daß er sich von seinem Gewinnanteil erworben hatte. Mat-
schoss, Geschichte der Dampfmaschine. Berlin 1901, S. 379.
2) Reuleaux, Kurzgefaßte Geschichte der Dampfmaschine. Braunschweig 1892, S. 52.
158 Josef Kulischer,
hindurch fortleben sollten, erzeugten, vorwegnehmen konnte. In
ihrem Verkaufsvertrage bedang sich gewöhnlich die Firma das An-
recht auf ein Drittel der Kohlenersparnis aus, die man mit ihren
Maschinen gegenüber den früheren (insbesondere der Newcomenschen)
erreichte. Auf diese Weise erhielten die Unternehmer, welche die
Dampfmaschine benutzten, sowohl jenes Mehr an Gütern, daß die
Newcomensche Maschine produzierte, als auch ?/, des Wertes der
Kohlenersparnis, die mit der Wattschen Maschine erzielt wurde:
denn die Patente für die früheren Dampfmaschinen (auch die von
Newcomen und Savery) waren zur Zeit der Wattschen Erfindung
bereits abgelaufen und die von Watt konstruierten Maschinen er-
móglichten wohl eine bedeutende Kohlenersparnis, verursachten aber
in anderen Beziehungen keine viel größeren Kosten als ihre Vorgänge-
rinnen!). Und doch waren es nur 46 Dampfmaschinen, für welche
wenigstens eine zeitlang Watt eine Vergeltung erhielt; denn soviel
waren in der Fabrik zu Soho bis 1800 produziert worden. Im Jahre
1800 erlosch aber Watts Patent und die schópferische Arbeit, die in
den später aufgestellten Dampfmaschinen tätig war, wurde überhaupt
nicht mehr bezahlt. Bloß in dem einen Jahrzent 1800—1810 hat
sich aber deren Anzahl im Vereinigten Königreich von 46 auf 5000
vermehrt?) Ja selbst als um die Mitte des 19. Jahrhunderts Ver-
besserungen an der Dampfmaschine angebracht wurden, ist nur das
Mehrprodukt noch weiter vergrößert worden, während das von Watt
hervorgebrachte nach wie vor ungeschmülert blieb.
Aus dem Dargelegten folgt, daß die hervorragenden Erfin-
dungen vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts
den Unternehmern umsonst zugefalen sind, daß sie den Güter-
überschuß, den jene Erfindungen geschaffen, für sich allein beibe-
halten konnten. Die wenigen Ausnahmefälle, wo der Unternehmer
etwas zahlt, belaufen sich nur auf wenige Jahre. Es darf als er-
wiesen gelten, daß in das Mehr an Gütern, das die schöpferische
Arbeit des Erfinders produziert hatte, der Fabrikant sich hat mit
niemand teilen müssen, dafi seine Unternehmungsanlagen nur als
Belohnung physischer (teilweise auch leitender) Arbeit bestanden,
die schópferische Arbeit dagegen keinen Bestandteil der Kosten für
sich beanspruchte, indem die Vergeltung der Erfinderarbeit voll-
stindig ausblieb. Der Erfinder war ebenfalls Unternehmer oder Ar-
beiter, Ingenieur oder Beamter, oder er lebte von einer National-
belohnung, welche ihm das Volk bezahlte; ein besonderes Ein-
kommen in seiner Eigenschaft als Erfinder, einen Erfinderlohn be-
zog er nicht.
Damit ist der eine Teil des Problems gelöst. Es bleibt jedoch
noch der andere übrig. Es bleibt nämlich noch die Frage zu be-
antworten, ob jener durch die schópferische Arbeit des Erfinders
1) Matschoss, Geschichte der Dampfmaschine, Ihre kulturelle Bedeutung, ihre
technische Entwickelung und ihre großen Männer. Berlin 1900, S. 71 ff.
2) Karmarsch, S. 209. Reuleaux, S. 52 Anm.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 159
produzierte Güterüberschuß, der dem Fabrikanten zugeflossen, auch
in dessen Händen verblieben ist, ob der Fabrikant nicht durch irgend
welche Umstände gezwungen ward, jemanden, insbesondere dem Kon-
sumenten, jenen Güterüberschuß zu übergeben. Sollte es sich in
der Tat herausstellen, daß jene Vergrösserung der Güterquantität
nicht eine entsprechend große Preisherabsetzung der fertigen Pro-
dukte nach sich gezogen hat, daß also das Mehr an Gütern zugleich
ein Mehr an Wert dargestellt hat, so wäre die Quelle oder eine
von den Quellen gefunden, aus denen der Kapitalgewinn in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herrührt.
III.
Die erste Anwendung der Maschine in einem gewissen Produk-
tionszweige bezeichnet die Entstehung der neuen Quelle, die den
Mehrwert liefert; die Periode der allgemeinen Einführung derselben
in der Industrie, wo die mechanische Produktionsweise zur herrschen-
den wird, bildet die Endstadie des Auszahlungsprozesses, jene Stadie,
in welcher das durch Erfindertätigkeit hervorgebrachte Mehrprodukt
dureh entsprechende Preisherabsetzung an das konsumierende Publikum
vollständig übergeht. Zwischen diesen beiden Grenzpunkten liegt
jedoch eine weite Strecke, welche zurückgelegt werden muß, ehe der
Konsument den aus der Anwendung der betreffenden Maschine ent-
springenden Vorteil in Form niedrigerer Preise genießen kann, jener
Zeitraum, innerhalb dessen das von der Maschine hervorgebrachte Mehr-
produkt sich in Mehrwert für den Unternehmer verwandelt. Für die
Erfindungen, die im letzten Drittel des 18. und zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts aufgetreten sind, nimmt jene Zwischenstadie eine bedeutende
Zeitperiode in Anspruch. In England, dem Geburtslande der Maschinen,
vollzieht sich die Verbreitung derselben anfangs nur allmählich und
langsam, bald wird sie aber schneller und allgemeiner, was die eng-
lische Industrie in eine ausschließlich günstige Stellung versetzt. Auf
dem Kontinent dagegen beginnt der Ersatz physischer Arbeit durch
die Maschine, die Verwandlung von Hausindustrie und Manufaktur
in die Fabrik !) viel später und geht viel langsamer von statten. Es sind
anfangs nur einzelne, welche trotz aller Ausfuhrverbote englischer
Maschinen, trotz der großen Gefahren, mit denen jeder Versuch ver-
bunden war, die geheim gehaltenen Maschinen aufs Festland zu bringen,
doch das Kunststück wagen, durch Bestechungen in den Besitz englischer
Modelle zu gelangen, auch englische Mechaniker und Arbeiter auf das
Festland zu locken wissen und mit den neuen Maschinen auch auf
dem Kontinent die mechanische Produktionsweise einführen. Die
1) Im Verlauf der weiteren Darstellung werden Manufaktur und Fabrik streng von-
einander geschieden. Für beide ist arbeitsteiliger zentralisierter Betrieb charakteristisch.
Während jedoeh in der Fabrik mit Maschinen und Motoren gearbeitet wird und wissen-
schaftlich chemische Verfahren angewandt werden, wird in der Manufaktur die mensch-
liche Hand nur von mehr oder weniger komplizierten Werkzeugen unterstützt und
ist das chemische Verfahren weniger exakt und rationell, mehr empirisch und zufällig.
Vergl. Sombart, Der moderne Kapitalismus. Leipzig 1902, Bd. I, S. 48, Bd. II, S. 64—65.
160 Josef Kulischer,
meisten, weniger unternehmenden, die nicht soviel Sinn für technische
Neuerungen besitzen, auch nicht das nötige Kapital für die Fabrik-
anlage und den Betrieb im großen beschaffen können, schrecken
jedoch vor jenen Gefahren zurück; auch die niedrigen Löhne in der
Hausindustrie wie die durch die Zollpolitik gesicherten hohen Preise
halten die Verbreitung der Maschinen auf. Nach Aufhebung der
Kontinentalsperre, wo der Kontinent die Konkurrenz englischer
Maschinenprodukte zu fühlen bekommt, wird der Transport eng-
lischer Maschinen — die Verbote bestehen noch bis 1825 — etwas
reger, doch bilden auch dann noch die Fabriken seltene Ausnahmen
neben der herrschenden Handarbeit. Damit ist aber zugleich sowohl
den englischen Fabrikanten als denjenigen Unternehmern auf dem
Festlande, welche die neue Produktionsweise in Anwendung bringen,
ihre Manufakturen in Fabriken verwandeln, eine Ausnahmestellung
gesichert, welche ihnen möglich macht, durch eine geringe Herab-
setzung der Preise zweierlei zu erreichen: einmal sich den Absatz
zu sichern, da die herrschende Produktionsweise den Kampf mit
ihnen nicht aufnehmen kann, und andererseits den bei weitem größten
Teil des von der Erfindertätigkeit stammenden Güterüberschusses
für sich zu behalten. Denn diese Preisherabsetzung erfolgt ursprüng-
lich und auch lange Zeit nachher keineswegs im Verhältnis zu
den verminderten Unternehmungsanlagen und erst allmählich mit
der Zunahme der Konkurrenz auf dem Kontinent, mit der Ver-
breitung der Maschinen, beginnt der Warenpreis sich dem Produk-
tionswerte, den Auslagen des Unternehmers zu nähern. Das Mehr
an Gütern ist also recht lange auch ein Mehr an Wert; die vom
Erfinder produzierten Ueberschußgüter verwandeln sich in Ueber-
schußwerte und ergeben für den Unternehmer einen Kapitalgewinn.
„Auf solcher Stufe* — sagt Schulze-Gaevernitz — „sind die Ge-
winne hoch, nicht wegen niedriger Produktionskosten — diese sind
vielmehr gegen später hoch — sondern wegen der hohen Preise.
Noch befindet sich die Industrie in einer Monopolstellung gegenüber
dem heimischen Kleingewerbe wie dem Auslande . .. . Daher fließen
rasch große Vermögen in den Händen weniger zusammen. Allent-
halben war das Genie einzelner der Pfadfinder in das Gebiet der
Großindustrie* !).
In England (mit Schottland zusammen) soll es um 1788 schon
142 Baumwollspinnereien gegeben haben mit 2 Millionen Spindeln ?).
„Das Festland von Europa und Amerika — sagt Ure — besaß da-
gegen bis einige Zeit nach dem Frieden von 1814 Fabriken nur in
so kleinem Maßstabe, daß sie überhaupt als Konkurrenten auf dem
Weltmarkte nicht betrachtet werden konnten“ *). Und zwar sind es das
sächsische Voigtland und Erzgebirge, der Kanton St. Gallen und Ober-
elsaß (Departement du Haut-Rhin), welche zuerst mit der mechanischen
1) Schulze-Gaevernitz, Der Großbetrieb ein wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt.
Leipzig 1802, S, 215—216.
2) Held, S. 592,
3) Ure, Cotton Manufacture, S. 57—93.
SC > — ——
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 161
Produktionsweise vorgehen, also dieselben Länder, welche vor Auf-
kommen der Maschinen, als die englische Baumwollindustrie noch
keine Dedeutung hatte, die eigentlichen Produktionszentren gebildet
und den europäischen wie außereuropäischen Absatz besessen hatten !).
Hier wurden jene kleinen Fabriken begründet, von denen Ure spricht
und bis in die zwanziger Jahre kamen keine kräftigeren Betriebe auf.
Nach Sachsen kam ein gewisser Karl Friedrich Bernard, welcher
zu Manchester eine eigene Spinnerei und in Leipzig mit seinem
Bruder einen Garnhandel betrieben hatte, und brachte Zeichnungen
aus England, wonach er 1797 Spinnmaschinen bauen ließ. Alsdann
wandte er sich an die Regierung mit dem Gesuche, ihm zur Anlage
und zum Betriebe einer Mulegarnspinnerei mittels neuer Maschinen
eigener (?) Erfindung ein Privilegium exclusivum für ganz Sachsen
zu erteilen. Es wurde ihm ein Privileg für die Dauer von 10 Jahren
zugesprochen. Bernard errichtete eine Spinnerei in Harthau bei
Chemnitz; er ließ sich einen englischen Mechaniker Namens Watson
kommen, später auch einen englischen Spinnmeister Evans, der auch
im Spinnmaschinenbau wohlerfahren war. Unter ihrer Leitung be-
fand sich sowohl die Spinnerei als auch die Maschinenbauwerkstatt,
in welcher die für die Fabrik nötigen Mulemaschinen konstruiert
wurden. Fast gleichzeitig im Jahre 1799 erhielt der Kaufmann Wöhler
zu Chemnitz, welcher den englischen Maschinenbauer William Whitfield
aus Halifax heranzog, um den Bau und die Leitung einer Maschinen-
spinnerei und die Konstruktion der Watermaschinen zu übernehmen,
ebenfalls ein Privilegium exclusivum für 10 Jahre, jedoch, um den
früheren Konzessionär nicht zu beeinträchtigen, für die Spinnerei von
Water Twist. In den folgenden Jahren wurden den beiden sächsischen
Fabrikanten wiederholt Zuschüsse gegen eine Verzinsung von 2 Proz.
von der Regierung genehmigt, (Wöhler erhielt 15000 Taler, Bernard
20000) den Maschinenbauern und Spinnmeistern, die sie aus Eng-
land kommen ließen, Gehälter, Prämien und Pensionen aus den
Staatskassen gezahlt?). Die ersten sächsischen Fabrikanten befanden
sich also in einer noch vorteilhafteren Lage als die englischen Maschinen-
Spinner. Abgesehen davon, daß sie für die Anwendung der neuen
(englischen) Erfindungen auch nicht einen Heller zu zahlen hatten ?),
wurden ja, wie wir sehen, auch die Techniker, die für Maschinenbau
3
\
1) Während die Schweiz namentlich Italien und Frankreich mit Baumwollen-
Waren versorgte, kaufte der gesamte Norden und Osten Europas in der Hauptsache
indische und sächsische Ware. In diese altgewohnten Konkurrenzverhältnisse griff mit
dem Beginn der 70er Jahre des 18. Jahrhunderts England störend ein. König, Die
Sächsische Baumwollenindustrie am Ende des vorigen Jahrhunderts und während der
Kontinentalsperre. Leipzig 1899, S. 2.
....2) Bein, Die Industrie des sächsischen Voigtlandes, T. II, Leipzig 1884, S. 135—136.
König, S. 101 ff., 343—347.
3) Es ist den sächsischen Mechanikern nicht gelungen, eine eigene Erfindung zu
machen, Was sie zustande gebracht haben, sind Nachahmungen englischer Maschinen
gewesen; 1786 die Jennymaschine, 1799 die Mulemaschine, 1800 die Watermaschine.
ie Konstruktion der beiden letzteren gelang erst unter der Oberleitung von Männern
englischer Nationalität. König, S. 88.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 11
162 Josef Kulischer,
und -Reparaturen aus England gekommen waren, auf Staatskosten er-
halten. Und während andererseits die Engländer sich mit dem faktischen
Monopol begnügten, daß der wenig verbreitete Maschinenbetrieb ihnen
verschaffte, wollten die sächsischen Spinner dazu noch ein künstliches
haben. Die Regierung willfahrte ihnen, ging man doch damals von
dem Grundsatze aus, daß ein Privileg nicht demjenigen, der die neue
Erfindung geschaffen, sondern demjenigen, der sie zuerst in die Pro-
duktion einführte, zu erteilen sei. Das Gleiche können wir auch in
der Schweiz beobachten. In St. Gallen bildete sich um 1800 eine
Aktiengesellschaft, welche Maschinen aus England kommen ließ und
zuerst im Zucht- und Waisenhaus, dann in einem leerstehenden
Klostergebäude eine mechanische Baumwollspinnerei errichtete. Außer
der unentgeltlichen Benutzung der (Kloster-)Gebäude, erhielt auch
hier die Gesellschaft ein Privilegium exclusivum für die Dauer von
7 Jahren !).
Erst nach Ablauf der Privilegien konnten weitere Fabriken auf-
kommen. Jedoch gab es in St. Gallen auch um 1810 bloß 5 Spinne-
reien und zwar waren dies noch kleinere Betriebe als die zuerst
gegründete Aktienspinnerei?). Zwischen 1815 und 1825 vergrößerte sich
ihre Anzahl, doch waren sie alle recht mangelhaft ausgerüstet und
betrieben, als Anhängsel von Mühlen oder auf verfügbaren Dach-
böden eingerichtet?). In Sachsen wurde, nach Erlöschen des Privi-
legs, die Errichtung von Spinnereien durch Prämien begünstigt,
welche die sächsische Staatsprümienkasse in den Jahren 1807—1810
für jede in Gang gesetzte Feinspindel gewährte®). In dieser Zeit
erwarben sich mehrere Spinnereibesitzer wie Gössel, Kauz, Schmidt
in Plauen bedeutende Vermögen’). Trotzdem brachte die Aufhebung
der Kontinentalsperre die sächsische ebenso wie die schweizerische
Spinnerei in eine schwierige Lage. Ungeheuere Massen von Ge-
spinsten, unter weit günstigeren Bedingungen angefertigt, ergossen
sich nun über die wiedergeöffneten Kontinentalstaaten und wurden
zu spottbilligen Preisen auf den Markt geworfen. Wohin sich die
Spinner auch wenden mochten, überall waren die Lager mit eng-
lischen Baumwollwaren gefüllt‘). Auch die elsässische Industrie
hatte darunter zu leiden. 1803 war hier die erste Maschinenspinnerei
gebaut. Während der Kontinentalsperre kamen noch einige Fabriken
auf. Nach dem Falle derselben wurde das Land mit englischen
Waren übertlutet und die ganze industrielle Tütigkeit lahmgelegt.
„Für bedruckte Tücher, die vordem mit 4—5 fres. per Elle verkauft
worden waren, löste man nun kaum 65—75 Centimes!* 7). Der ge-
1) Wartmann, Industrie und Handel im Kanton $t, Gallen auf Ende 1866.
St. Gallen 1875, S. 210—214.
2) Ibid., S. 309.
3) Ibid., S. 454.
4) Bein, Bd. II, S. 154. König, S. 343—344.
5) Bein, Bd. II, S. 159.
6) Wartmann, S. 344. Bein, Bd. II, S. 167 ff., 247 ff.
7) Herkner, Die oberelsässische Baumwollindustrie und ihre Arbeiter. Straßburg
1887, S. 87, 93.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 163
waltige Preissturz war zweifelsohne durch die Ueberproduktion in
England verursacht, wo trotz eines gut organisierten Schleichhandels,
sich eine große Warenmasse angehäuft hatte und nun mit allen
Mitteln abgesetzt werden mußte. Jedoch auch bei höheren Preisen
konnte das Festland nicht mehr mit Gewinn produzieren, wenn es die
Betriebsweise nicht änderte. Denn eben der Umstand, daß vorwiegend
mit der Hand gesponnen wurde, hatte Sachsen, wie die schweize-
rische und elsässische Industrie ihrer Absatzmärkte beraubt. Es `
gab nur einen Ausgang — Uebergang zur mechanischen Produk-
tionsweise. Nur in der Verdrängung des Handgespinstes durch
Anlage großer Fabrikbetriebe konnte Rettung gefunden werden.
Und dieser Weg wurde in den zwanziger Jahren eingeschlagen, noch
mehr wird nach diesem Ziele in den dreißiger Jahren hingearbeitet !).
Damit schließt die erste Periode der fabrikmäßigen Baumwoll-
spinnerei, welche durch das Monopol Englands und einiger weniger
festländischen Unternehmer der übrigen Welt gegenüber gekenn-
zeichnet wird. Es beginnt seit den 20er und 30er Jahren eine
neue Periode, wo das Monopol weitere Kreise umfaßt, dadurch aber
an Intensität verliert: neben England nimmt auch das Voigtland,
St. Gallen und Elsaß daran teil. England wendet sich nach den
Vereinigten Staaten von Nordamerika wie nach anderen übersee-
ischen Gebieten und überläßt jenen Produktionsgebieten das Fest-
land, denn auch jene Länder befinden sich bereits auf der Höhe der
englischen Technik und haben nicht mehr die englische Konkurrenz
zu fürchten. Während bis 1823 noch der gesamte englische Baum-
wollengarnexport auf dem Kontinent Aufnahme fand, geht seitdem
ein immer größerer Teil der englischen Garnausfuhr nach den außer-
europäischen Ländern und seit 1843 zeigt auch absolut der Absatz
Englands nach Europa (nach Deutschland schon seit 1833) einen be-
deutenden Ausfall?). Das sächsische Erzgebirge, St. Gallen und Elsaß
uchmen aber in dieser zweiten Periode eine monopolistische Stellung
ein gegenüber dem ganzen übrigen Kontinent, weil sie und neben ihnen
noch einige minder bedeutende Produktionsstätten die wenigen kleinen
Inseln bilden in dem großen Meere der Handspinnerei, welches
Europa bedeckt. In Frankreich wurde nämlich, von Elsaß (Départe-
ments du Haute-Rhin et des Vosges) abgesehen, die erste Spinnerei
1818 im Département de Haute-Saône gebaut, in den übrigen De-
partements kamen Fabriken nicht vor 1825 auf?) Die Angaben
über die franzôsische Fabrikindustrie im ersten Viertel des 19. Jahr-
hunderts, ja noch später beziehen sich eben immer nur auf Elsaß.
In Oesterreich gab es noch in den 30er Jahren nur wenige Maschinen-
Spinnereien und bloß zwei Jahrzehnte später traten darin bedeutendere
Aenderungen ein‘). Die Entwickelung der russischen Baumwoll-
1) König, S. 319. Herkner, S. 87. Wartmann, S. 487 ff.
e a? MURS, Handbook of Cotton Trade. Deutsch von Noest. Norden 1884, 5. Ausg.,
8. 151, 167,
S Beer; Geschichte des Welthandels, IV, Kap. 2, § 5.
id.
11*
164 Josef Kulischer,
spinnerei datiert seit den 40er Jahren, als freie Ausfuhr englischer
Maschinen möglich wurde!) Auch Preußen wie Italien hatten
noch in den 40er Jahren fast keine eigene Spinnerei und bedurften
fremden Imports. Das Garn wurde aus Sachsen und aus der Schweiz
eingeführt. In Gladbach am Niederrhein, einem wichtigen Industrie-
zentrum, wurde die erste mechanische Baumwollspinnerei 1845 ein-
gerichtet ?).
Die dritte Periode in der Geschichte der Maschinenspinnerei,
wo dieselbe zur herrschenden Betriebsweise wird und die Hand-
spinnerei verdrängt, beginnt also erst um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts. Da nun das Aufkommen des fabrikmäßigen Betriebs in
die achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts fällt, um 1790 die eng-
lische Maschinenspinnerei bereits eine nicht zu vernachlässigende
Größe darstellt, so ergibt sich daraus reichlich ein halbes Jahr-
hundert von der Entstehung der neuen Quelle des Mehrprodukts
bis zum Uebergang des letzteren in Form entsprechender Preis-
herabsetzung an das konsumierende Publikum, also ein halbes Jahr-
hundert, innerhalb dessen der Unternehmer jenes Mehrprodukt für
sich behält, in Kapitalgewinn verwandelt. Denn solange dauert es,
bis der Verkaufspreis des Baumwollengarnes auf das neue Niveau,
das die maschinelle Produktionsweise ermöglicht, heruntergeht. Die
Unkosten des Fabrikanten für Rohbaumwolle und Spinnen zusammen
belaufen sich 1788 auf 12 sh., 1800 auf 3 sh. 2 d. und 1830 auf
1 sh. 21/, d. In denselben Jahren sind die Verkaufspreise 35 sh.,
9 sh. und 3 sh. Der Unterschied zwischen den Herstellungskosten
und dem Verkaufspreise der fertigen Ware beträgt also 1788 23 sh.,
1800 5 sh. 10 d. und 1530 1 sh. 9?/, d. für das Pfund Garn N. 100°)
In der ersten Periode füllt dem Unternehmer fast die ganze Ueber-
schußquantität an Gütern zu, später ist er zwar gezwungen, einen
Teil dem Konsumenten zu übergeben; der andere Teil verbleibt
jedoch bis in die 40er Jahre sein Gewinn, weil erst um diese Zeit
die Maschinen, die zu Ende des 18. Jahrhunderts erfunden sind, all-
gemein eingeführt werden, die früheren wenigen Produktionsstätten
in ihren Absatzländern sich Konkurrenten erstehen sehen.
IV.
Der mechanische Webstuhl ist ungefähr um dieselbe Zeit er-
funden wie die Spinnmaschine. Doch wurde er selbst in England
erst seit 1813 mehr angewandt; seit 1820 erfreute er sich einer
größeren Aufnahme, obwohl noch 1830 etwa 250000 Handstühle
gegen 50—80000 Kraftstühle standen und die Fabrikanten noch
1) Historisch-statistische Uebersichten der russischen Industrie (russ.). Bd. 2, Moskau
1886, T. 1, S. 84—85.
2) Thun, Die Industrie am Niederrhein und ihre Arbeiter. Leipzig 1879, Bd. 1,
S. 160.
3) Steffen, Studien zur Geschichte der englisehen Lohnarbeiter, Bd. II. Stuttgart
1902, S. 158—159.
e —
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 165
damals der Ansicht waren, daß der Handstuhl insbesondere für
Mustergewebe nie durch den Kraftstuhl werde ersetzt werden kónnen,
vielmehr die Zahl der Hausweber dauernd wachsen müsse. „Die
ersten Besitzer von Kraftstühlen — -sagt Schulze-Gaevernitz —
machten ähnlich den ersten Spinnern riesige Gewinne; mit dem
Allgemeinwerden der mechanischen Weberei gingen Preise wie Ge-
winne schnell herab“ D. Auf dem Kontinent gelang es der Maschine
erst in den 60er Jahren, die Handweberei zu verdrängen. „Ueber die
schweizerische Baumwollweberei — sagt Wartmann — brach durch
die Erfindung des mechanischen Webstuhls in England Anfang der
3er Jahre eine ähnliche Krise herein, wie früher über die Hand-
spinnerei durch die Erfindung der Spinnmaschine. Unaufhaltsam
nahm seit Ende der 20er Jahre die Einfuhr wohlfeiler, weit gleich-
mäßiger gewobener, glatter Baumwolltücher zu, welche gleichzeitig
das schweizerische Fabrikat von den auswärtigen Märkten verdrängten.
Diese Tücher waren das Produkt des neuen mechanischen englischen
Webstuhls. Immer dringender empfand man dessen Einführung als
absolute Notwendigkeit, wenn man nicht den wichtigen Stapelartikel
ganz verlieren wollte" ?). Doch kamen die mechanischen Webereien
sehr langsam auf. Im Kanton St. Gallen entstanden zwar in den
3er und 40er Jahren die ersten mechanischen Baumwollwebereien,
doch wurden dieselben bald aufgegeben und erst seit 1853 verbreitete
sich allmählich der Kraftstuhl, ein gutes Jahrzehnt bis zu seiner Ein-
bürgerung in Anspruch nehmend?) Um die Mitte des Jahrhunderts
gab es in der Schweiz nicht über 3000 mechanische Webstühle*). Im
Voigtland wurde die erste Weberei im Jahre 1861 begründet 5).
n anderen Teilen Sachsens um 1847—50, in Gladbach um 1856 °);
damals gab es an letzterem Orte 300 Webstühle, wie ja Preußen
überhaupt im Jahre 1861 erst 7000 Kraftstühle für Baumwolle be-
saß, während in England 1820 zwar auch nur das Doppelte davon,
1835 aber schon 116000 vorhanden waren?) Ganz Frankreich zählte
1634 bloß 5000 Kraftstühle, und sogar im Oberelsaß erreichte die
Anzahl derselben 1846 kaum die Menge der in Betrieb befind-
lichen Handstühle®). In Holland sind erst in den 50er Jahren
2000 mechanische Webstühle aufgestellt worden‘). In Oesterreich
gab es selbst zu Anfang der 60er Jahre 15000 Kraftstühle, das
1) Schulze-Gaevernitz, S. 71—72. .
"TD. Wartmann, Industrie und Handel der Schweiz im 19. Jahrhundert. Bern
302, S, 40,
sis 3) Wartmann, Industrie und Handel des Kantons St. Gallen, S. 488—489, 508,
315—519,
3) Wartmann, Industrie und Handel der Schweiz, S. 43.
5) Bein, S. 340—341, 263.
5) Thun, I, S. 161.
1900 i) Schmoller, GrundriB der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, Leipzig
10, S. 215.
, 5) Levasseur, Histoire des classes ouvrières en France depuis 1789 jusqu'à nos
Jours, Bd. 2, Paris 1867, S. 126. Herkner, S. 87.
9) Ellison, S. 166.
166 Josef Kulischer,
ist so viel, als in England um 1820: Das herrschende Betriebssystem
bildete noch der hausindustrielle Verlag, dessen Arbeiter neben
der Hauptbeschäftigung mit Landwirtschaft sich auch mit der Weberei
befaßten !). In die 60er Jahre fällt auch die Begründung der russischen
Baumwollweberei auf Kraftstühlen. In den 60er Jahren entstand
sie nämlich in den Zentren der Baumwollindustrie: im Gouvernement
Wladimir, wo 1860 die ersten drei mechanischen Webereien errichtet
wurden, und in Lodz (Polen), wo Karl Scheibler, der in England die
Konstruktion der neuen Maschinen kennen gelernt hatte, 1854 die erste
mechanische Weberei mit 100 Stühlen erbaute: 1861 wurden Fabrik
und Kraftstühle von den Handwebern vollständig zerstört ?).
Wie in der Baumwollspinnerei, so hat also auch in der Baum-
wollweberei die Maschine über ein halbes Jahrhundert gebraucht,
ehe sie allgemein Eingang gefunden und zum herrschenden Produktions-
mittel geworden. Damit haben wir aber zugleich halbe Jahrhunderte
des Fabrikationsmonopols für diejenigen Unternehmer, welche sich in
dieser Zeit der betreffenden Maschinen bedienten. Dieselben Perioden
von 50 Jahren, innerhalb deren die neue Erfindung monopolistisch
ausgebeutet wird, finden wir auch in den anderen Zweigen der
Textilindustrie wieder, auf dem Gebiete sowohl der Wollen- wie der
Leinenfabrikation, und zwar wie in der Spinnerei so auch in der
Weberei. Auch hier vergeht mindestens ein halbes Jahrhundert (ja
noch mehr) von der ersten Einführung der Maschine bis zum Siege
derselben, von der Entstehung der neuen Quelle des Kapitalzinses
bis zum Uebergange des Mehrprodukts an das konsumierende Publi-
kum. Auch hier endlich ist die Spinnerei gegenüber der Weberei
die ältere; bei ihr hat der Uebergang zur maschinellen Produktions-
weise zuerst begonnen, bei ihr hat er sich auch früher vollzogen.
Nur werden dieselben Spinnmaschinen und Kraftstühle in der Woll-
fabrikation und in der Leinenindustrie später als im Baumwollen-
gewerbe angewandt, in der Wollenindustrie später als in der Baum-
wollenbranche, im Leinengewerbe später als bei Bearbeitung der
Wolle. Daher wird auch der ganze Entwickelungsprozeß in diesen
Industrien in viel spätere Zeitperioden gerückt, die einzelnen Ab-
schnitte der Entwickelung, die durch die Ausbreitung der Maschine
gekennzeichnet werden, viel später durchmessen; es bilden hier die
Maschinen noch ein Monopol, wo sie in der Baumwollenindustrie
bezw. in der Wollenfabrikation bereits allgemein gebräuchlich ge-
worden sind.
Erst um 1815 finden nämlich die Spinnmaschinen mehr Eingang
in der englischen Wollindustrie, zwischen 1825 und 1835 die Cart-
wrightschen Kraftstühle?). Für das Festland hat ohne Zweifel Be-
1) Beer, IV, Kap. II § 5.
2) Janschul, Geschichtliche Entwiekelung der Fabrikindustrie Polens. Moskau
1887 (russ.) S. 57 ff. Schulze-Gaevernitz, Die Moskau-Wladimirsche Baumwollindustrie,
russ. Uebers. Moskau 1899, S. 28.
3) Dechesne, L'évolution économique et sociale de l’industrie de la laine en
Angleterre. Paris 1900, p. 117—122,
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 167
deutendes geleistet der Engländer William Cockerill, indem er eng-
lische Spinnmaschinen auf den Kontinent brachte und zuerst im Jahre
1798 in Verviers in Belgien t), später 1806 in Düren am Rhein, end-
lich auch in der Niederlausitz, in Guben und Grünberg 1816 mecha-
nische Wollspinnereien begründete. In England wurde er dafür für
bürgerlich tot erklärt und ein Preis auf seinen Kopf gesetzt ?). Trotz-
dem sollten noch viele Jahrzehnte verstreichen, ehe andere seinem
Beispiele folgten. In der Niederlausitzer Wollspinnerei gab es auch
1440 bloß 2 Betriebe mit 4000 Spindeln und wurde erst in den
40er Jahren die Jenny-Feinspinnmaschine eingeführt, noch später
die Cromptonsche Mulejenny. Dieselbe Lausitzer Tuchindustrie zählte
1852 einen mechanischen Webstuhl, 1858 37 Stühle, ja 1870 nur
5253). Auch am Niederrhein in Aachen und Burtscheid stellte
Cockerill seit 1821 englische Spinnmaschinen auf und siedelte 1833
selbst nach Aachen über. In den 40er Jahren kamen hier die Mule-
jennies in den Spinnereien auf; dagegen begann die dortige Hand-
weberei erst seit den 50er Jahren allmählich, vorzüglich in den
glatten Stoffen, von der mechanischen verdrängt zu werden; sie hat
sich jedoch für die gemusterten Stoffe erhalten und die Gewerbe-
zählung von 1875 ergab im Regierungsbezirk Aachen noch 2910 Hand-
stühle ohne und 2420 Handstühle mit Jacquard $), wie ja auch das
Zollvereinsbureau im Jahre 1861 für den ganzen Zollverein nur
6000 Maschinenstühle zählte unter 73000 Webstühlen für Wolle über-
haupt). In den 40er und 50er Jahren besaß trotzdem Aachen eine
Monopolstellung in der mechanischen Tuchfabrikation: dieselbe war
eben an anderen Orten noch weniger verbreitet, sowohl die europäischen
Staaten wie Amerika waren auf fremden Import angewiesen. Aachens
Produkte spielten daher eine wichtige Rolle unter den importierten
Wollenwaren. Aachen betrieb ein schwungvolles Exportgeschäft
nach Italien, Spanien, Portugal. Am wichtigsten war aber der Ab-
satz nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika: die direkten
Geschäftsverbindungen mit der Union brachten den großen Häusern
außerordentliche Gewinne. „Der Reichtum einer großen Anzahl noch
bestehender Firmen — sagt Thun — stammt aus jener Zeit. Wer
damals intelligent, energisch und geschäftsgewandt war und wem das
Glück hold blieb, dem gelang es, immer größere Bestellungen zu
übernehmen und zu deren Ausführung immer größere Kapitalien
und eine wachsende Zahl von Arbeitern an sich zu ziehen. Aus glaub-
würdigster Quelle — führt er aus — ist mir mitgeteilt worden, daß eine
Aachener Firma damals Abschlüsse von 100000 Talern, eine andere
1) Barlet, Histoire du commerce et de l’industrie de la Belgique. Malines 1885,
p. 183,
2) Quandt, Die Niederlausitzer Schafwollindustrie in ihrer Entwickelung zum GroB-
betriebe und zur modernen Technik. Leipzig 1895, S. 173.
3) Quandt, S. 175, 181, 198—199.
4) Thun, I, S. 23—24.
5) Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert.
Halle 1870, S. 579.
168 Josef Kulischer,
von 40—80 000, ja sogar bis 86 000 und eine dritte von 60 000 Talern
jährlich erzielten; der Fabrikinspektor erwähnt gleichfalls in einem
seiner Berichte an die königliche Regierung, daß ein Haus in Maria-
weiler 3 Jahre hindurch 60 000 Taler Jährlich und ein Fabrikant in
Aachen, der ohne Fonds begonnen, in einigen Jahren 250 000 Taler
verdient hatten“ !). Nicht bloß im Jahrzehnt 1845—1853, ja bis
1860 haben sich die meisten großen Vermögen gebildet, sondern auch
später im Verlaufe der 60er Jahre, insbesondere aber im Jahrfünft
1869—1874 hat ein bedeutender Zuwachs des Vermögens in der
Aachener Tuchindustrie stattgefunden. „Es werden Fabrikanten ge-
nannt, welche 150 000 M., andere die 60—40 000 M. im Jahre ver-
dient hätten. Unter den Männern, welche plötzlich wohlhabend
wurden, gab es eine Reihe Kommis, Kaufleute und Geschäftsleute
niederen Ranges“ ?). Aachen, wie die anderen Orte, die mit Maschinen
arbeiteten, befanden sich eben noch in jener Zeit, in den 70er Jahren,
in Monopolstellung gegenüber den übrigen Ländern, wo noch mit
der Hand gearbeitet wurde; gehört ja der Sieg des Maschinensystems
in der Wollindustrie erst den letzten 30 Jahren an 21.
Noch länger dauerte der Kampf der Maschine mit der Hand-
spinnerei im Leinengewerbe; er währte in den meisten Staaten bis
1860, ja bis 1880 und die Maschinenweberei ist in diesem Produktions-
zweige noch jünger‘). Bis zum 18. Jahrhundert waren die deutsche
und die österreichische Leinenindustrie die ersten in Europa und sie
versorgten fast alle Märkte. Zwar verschlechterte sich schon nach
dem 30-jährigen Kriege ihre Lage erheblich, da der Krieg jede
industrielle Tätigkeit Deutschlands für lange Zeit lahm legte: es
mußte im 18. Jahrhundert ein Kampf mit der schottischen Leinen-
industrie insbesondere auf den südlichen Märkten aufgenommen
werden, der nicht immer zu Gunsten der deutschen Fabrikate aus-
fiel. Besonders ungünstig gestaltete sich jedoch ihre Lage, als die
Girardsche Spinnmaschine in den englischen Fabriken eingeführt
wurde. Schon während der Kontinentalsperre gingen die billigen Er-
zeugnisse der englischen Industrie unbehindert nach den überseeischen
Märkten. Noch schlimmer aber wurde es später, als die aufge-
speicherten englischen Leinenwaren auch auf die europäischen Märkte
geworfen wurden und die deutsche Industrie alle ihre früheren Ab-
satzorte mit englischen Waren überfüllt sah. Spanien, Portugal,
Italien, Brasilien gingen Preußen verloren, ja Preußen selbst wurde
mit billigen englischen Waren überflutet’). Die anderen Staaten
wehrten sich nun gegen die englische Konkurrenz, indem sie Maschinen-
betrieb einführten, aus England Mechaniker kommen ließen und die
Transportierung von Maschinen, trotz englischer Ausfuhrverbote, zu
1) Thun, I, S. 25—26, 73
2) Ibid., I, S. 75.
3) Schmoller, GrundriB, S. 214—215.
4) Ibid.
5) Zimmermann, Blüte und Verfall des Leinengewerbes in Schlesien. 2. Aufl.
Oldenburg und Leipzig, ohne Jahr, S. 287 ff.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 169
bewirken suchten. So war es z. B. in Frankreich der Fall, wo seit
1834 die mechanische Leinenspinnerei bedeutende Fortschritte machte
und auch die Weberei insbesondere in den 50er Jahren auf demselben
Wege nachfolgte!). In Belgien wurde die mechanische Flachsspinnerei
ebenfalls seit 1855 eingeführt und um 1846 gab es dort 13 Fabriken
mit 92—95 000 Spindeln ?). Bloß in den deutschen Ländern, in Oester-
reich und der Schweiz blieben Handspinnerei wie Weberei am Hand-
stuhl teilweise sogar ohne Schnellschützen als herrschende Produk-
tionsweise bestehen ?). Um 1830 gab es in Schlesien nur eine einzige
mechanische Flachsspinnerei mit 4000 Feinspindeln, in den folgenden
Jahren entstanden noch 4 Fabriken. Doch war die Zunahme in den
nächsten Jahrzehnten eine überaus geringe, indem 1852 bloß 10 Flachs-
spinnereien mit 40 000 Spindein in ganz Schlesien existierten: In der
Hauptsache wurde noch zu jener Zeit mit der Hand gesponnen ^).
Und während England 1861 140 Fabriken mit ca. 12000 Webstühlen
für Leinen besaß, gab es in Preußen 1861 258 Kraftstühle und 1875
erst 5265. Der Zollverein im ganzen zählte in jenen Jahren 350
bezw. 6678 Kraftstühle für Leinen 5), Die Schweiz hatte 1861 eben-
falls bloß 3 mechanische Leinenspinnereien, wie auch Oesterreich
noch zu Anfang der 60er Jahre nur wenige Leinenfabriken auf-
weisen konnte ®).
Ersieht man aus den angeführten Tatsachen, daß in der Tat die
Fabrikanten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ja noch
darüber hinaus sich in einer monopolistischen Stellung befanden und
diese Stellung nicht Jahre, sondern Jahrzehnte hindurch ausbeuten
konnten, so bestütigt sich diese Folgerung noch mehr, wenn wir
von den Arbeits- zu den Kraftmaschinen übergehen, und die Aus-
breitung der Dampfmaschine in der Industrie verfolgen.
In England, dem Vaterlande der Dampfmaschine, wurde die-
selbe schon in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts benutzt
und um 1810 wurde die Zahl der im britischen Reiche arbeitenden
Dampfmaschinen auf 5000 geschützt. Dagegen gab es im preußischen
Staate, wo die erste Dampfmaschine 1788, die zweite erst 1822
aufgestellt worden war, auch 1837 bloß 300 Maschinen mit 4000
Pferdekräften, 1849 1100 Maschinen mit 16000 Pferdekräften, die
in Fabriken arbeiteten; in Oesterreich 1851 647 und 1863 ca.
3000 Maschinen in Fabriken mit 8'/; bezw. 45000 Pferdekräften ?),
m Ungarn im Jahre 1852 nur erst 80 stehende Dampfmaschinen,
Worunter sowohl Maschinen in Fabriken als in Bergwerken und auf
Dampfschiffen, wie auch Lokomotiven fallen5). Belgien zählte um
1) Levasseur, II, p. 127.
2) Zimmermann, S. 329—330.
3) Ibid, S. 325.
4) Ibid., S. 420.
5) Ibid., S. 435.
6) Beer, IV, Kap. II, 8 7.
7) Karmarsch, S. 209, 211, 213.
5) Sehmidt-Weifenfels, Geschichte des modernen Reichtums. Berlin 1893, S. 77.
170 Josef Kulischer,
1840 etwas über 1000 Dampfmaschinen für gewerbliche und landwirt-
schaftliche Zwecke mit 25 000 Pferdekräften, Frankreich 2 !/, Tausend
Maschinen mit 33000 Pferdekräften!). Uebereinstimmend damit
sagt Schmoller, daß die Verbreitung der Dampfmaschine bis zum
Jahre 1850 noch mäßig war?). Wie langsam dieselbe von statten
ging, ersieht man aber eigentlich erst bei Betrachtung der Arten
von Kraftzuführung in den wichtigeren Industriezentren des Kon-
tinents. In der voigtländischen Textilindustrie waren 1846 bloß
4 Etablissements mit 6 Dampfkesseln ausgerüstet’). In der
Baumwollspinnerei im Königreich Sachsen wurden 1831 6 Proz.
der in Fabriken befindlichen Spindeln durch Dampf getrieben
und zwar nur zeitweise in Ermangelung genügender Wasserkraft.
25 Jahre später um 1855 beträgt die Spindelzahl, zu deren Umtrieb
Dampfkraft herangezogen wurde, ebenfalls nicht über 6 Proz. der
gesamten Spindelzahl (Mule); es kommen noch 17 Proz. hinzu, in
denen Dampf nur zeitweilig benutzt wird; die übrigen 77 Proz.
werden noch immer durch Wasser getrieben*). In der oberelsässi-
schen Baumwollspinerei gab es um 1851 bloß 65 Maschinen mit
1800 Pferdekräften, während zu gleicher Zeit 3000 Wasserkriülte
benutzt wurden; in der Weberei lieferte der Dampf 874 Pferde-
kräfte, das Wasser 1367?) In der Sommerfelder Wollspinnerei in
der Niederlausitz wurde um 1852 Dampf nur in 6 Fabriken als
Betriebskraft benutzt, dagegen wurden 10 mit Wasser betrieben,
5 besaßen sowohl Wasser- als Dampfmotoren. „Wohl hatte Cocke-
ril — sagt Quandt — schon 1816 das Beispiel zur Anwendung
der Dampfkraft gegeben, allein die in seiner Spinnerei aus Mangel
eines besseren aufgestellte alte Schiffsmaschine fand lange gar
keine geschweige denn bessere Nachfolger, ja auch in den 30er
und 40er Jahren noch benutzte man für den Betrieb der Spinne-
reien, Walken, Appreturen und geschlossenen Fabriken meist tie-
rische Kraft oder die Wasserkraft der nächsten Umgebung“ °). Auch
in der St. Gallener Baumwollspinnerei erscheint die Dampfmaschine
zuerst um die Mitte der 40er Jahre und zwar bloß als Aushilfe
bei Zeiten der Trockenheit oder strenger Kälte in 2 Spinnereien;
um 1866 wurden im Kanton 11 Spinnereien mit zusammen 130000
Spindeln vom Wasser getrieben, 6 mit 78000 Spindeln von Wasser
und Dampf, und zwar besaßen jene 6 Spinnereien nur 6 Dampf-
maschinen mit 150 Pferdekräften. In den übrigen Zweigen der
St. Gallener Textilindustrie scheinen Dampfmaschinen noch in den
60er Jahren gefehlt zu haben, wie ja auch an anderen Orten
die Dampfmaschine zuerst in der bereits fabrikmäßig betriebenen
Baumwollspinnerei eingeführt worden war.
1) Engel, Das Zeitalter des Dampfes in technisch-statistischer Beleuchtung. 2. Aufl.
Berlin 1881, S. 130.
2) Schmoller, Grundriß, I, S. 212.
3) Bein, II. S. 265.
4) König, S. 334. Ellison, S. 168.
5) Herkner, S. 87.
6) Quandt, S. 42, 182.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 171
Es wird gewöhnlich behauptet, der Monopolgewinn, der vor
der allgemeinen Einführung der Erfindung den ersten Unternehmern
zufällt, könne nicht die Quelle des Kapitalzinses bilden, weil er nur
kurze Zeit verhanden sei; die Erfindung wird bald von allen zur An-
wendung gebracht, worauf jener Gewinn verschwinden muß. Die
beigebrachten Angaben besagen nun etwas ganz von dem Verschiedenes.
Aus ihnen ergibt sich, daß im Gegenteil während eines halben Jahr-
hunderts ein solcher Monopolgewinn existiert hat, daß ein Monopol
zuerst für wenige Fabrikanten bestand, später weitere Kreise
umfaßte, daher auch an Intensität verlor, jedoch im besten Falle
erst nach 50 Jahren aufgehört hat. Erst dann mußte sich der
Unternehmer wieder nach einer Gewinnquelle umsehen, und eine
solche war für ihn schon vorbereitet in Form neuer Erfindungen,
so daß der Prozeß von neuem beginnen konnte. Die klassische
Schule, die jenen Lehrsatz von der Ausgleichung der Gewinne auf-
gestellt und die sich überhaupt die Abwicklung der wirtschaftlichen
Vorgänge zu schnell und zu einfach vorgestellt hat, ist auch hier
zu weit gegangen, wenn sie, die großen Hindernisse einer raschen
Ausbreitung neuer Erfindungen übersehend, einen zu jeder Zeit vor-
handenen Zustand, einen in regelmäßiger Folge sich stets abspielen-
den Vorgang als einen solchen betrachtete, der zufällig einmal in
vielen Jahrzehnten auftritt; wenn sie die Sache so auffaßte, als ob
nach Aufkommen einer neuen Erfindung für kurze Zeit ein Monopol-
gewinn entsteht (welcher noch obendrein dem Kapital oder der
physischen Arbeit zugeschrieben wird, niemals aber der schöpferischen
Arbeit des Erfinders) der jedoch bald verschwindet, und dann eine
lange Periode der Ruhe eintritt, der für alle Unternehmungen des-
selben Produktionszweiges gleichen, nicht mehr aus Erfindungen
herrührenden Gewinnrate; während doch in Wirklichkeit, sobald der
Monopolgewinn, den die eine Erfindung liefert, nicht mehr vorhanden,
schon eine andere Erfindung da ist, so daß eine Unterbrechung nicht
eintreten kann. Im übrigen enthält aber jener Satz wichtige Wahrheiten.
Er besagt nämlich vor allem, daß gewöhnlich, wenn eine neue größere
Erfindung aufkommt, der aus der vorhergehenden stammende Ge-
winn ganz oder zum größeren Teile schon verloren gegangen sein
muß, so daß eine Aufhäufung des Gewinnes aus verschiedenen nach-
einander folgenden Erfindungen unmöglich ist. Und zwar vollzieht
sich weiterhin der Uebergang des vom Erfinder geschaffenen Pro-
dukts an den Konsumenten immer schneller, indem das Mehr-
produkt, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 50 Jahre
beim Produzenten verblieben, in den späteren Jahrzehnten, wo neue
bedeutende Erfindungen aufkommen, vielleicht nur 30 Jahre bis
zum Uebergang an das konsumierende Publikum nötig hat. End-
lich ist es ganz richtig, daß bei freier Konkurrenz, wie wir sie in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden, diese Quelle des Ge-
Nunes nicht die einzige sein kann, da Hausindustrie und zentrali-
Sierte Manufaktur, die neben der Fabrik bestehen bleiben und keine
Maschinen anwenden, doch auch einen Gewinn abwerfen müssen.
172 Josef Kulischer,
V.
Der Uebergang von der hausindustriellen Handarbeit zur me-
chanischen Betriebsweise bedeutete zugleich einen Uebergang von
der althergebrachten rutinenmäßigen Arbeitsweise, die sich von
einer Generation zur anderen durch Jahrhunderte hin vererbt hatte,
zu einer ganz neuen unbekannten Tätigkeit, bei welcher man sich
an den eisernen Arbeiter, die Maschine, anzupassen hatte. Es ist
daher begreiflich, daß der Arbeiter, der an die frühere von den
Ahnen überkommene Betriebsart gewohnt war, sich nur schwer
und nur nach langer Zeit in die neue Arbeitsweise einleben konnte,
daß er anfangs, in den ersten Dezennien der Fabrikindustrie viel
weniger als früher leisten konnte und Leistungen von viel schlechterer
Qualität lieferte. Die ersten Fabrikarbeiter — sagt Thun — waren
rohe, unbeholfene Menschen, die erst nach und nach eingeübt werden
mußten!). Der Fabrikarbeiter ruinierte viel Rohmaterial, er ver-
stand nicht mit der Maschine umzugehen. Er arbeitete lässig und
unaufmerksam und tat nur dasjenige, was gerade nötig war, um
den Lohn zu erhalten ?2). Es war daher eine kostspielige Kontrolle
notwendig, um die Zeitvergeudung nicht allzuweit gehen zu lassen.
Und Spinnmaschinen, die über 20 Spindeln enthielten, wollten die
Arbeiter anfangs überhaupt nicht bedienen: solche Maschinen wurden
einfach zerstört).
Unter diesen Umständen wäre es nicht zu verwundern, wenn
die Arbeitszeit mit Einführung der Maschinen verlängert worden
wäre. Und der Fabrikant hätte wohl gern den Arbeiter noch länger
arbeiten lassen, als dies vor Aufkommen der Fabrikindustrie der
Fall war — wenn eben eine noch weitere Ausdehnung der Arbeits-
zeit überhaupt möglich wäre, dieselbe nicht schon vorher die physisch-
mögliche Grenze vollständig erreicht, ja fast überschritten hätte. Das
beweisen die Tatsachen, die aus den vorhergehenden Jahrhunderten
bekannt sind.
„Die Arbeitszeit der deutschen Gesellen im Mittelalter — sagt
Schoenlank — war eine lange. Von Sonnenaufgang bis Sonnenunter-
gang, in vielen Gewerben auch noch bei Licht wird geschafft. 14,
15, 16 Stunden sind etwas Gewöhnliches; bei den Elitearbeiten des
Baugewerbes finden wir freilich auch einen Arbeitstag von durch-
schnittlich 10—11 Stunden“ +). In Goch (am Rhein) dauert z. B.
die Arbeitszeit von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr abends. In Aachen
ertónt die Glocke, auf welche die Arbeit eingestellt wird, um 9 Uhr
abends, um 11 Uhr vormittags ist Mittagspause. Wenn die Arbeit
auch hier um 5 Uhr begann, wie in Goch, so stellen sich 16 Stunden
1) Thun, I, S. t0.
2) Ibid. I, S. 38.
3) Schulze-Gaevernitz, S. 56.
4) Schoenlank, Die Gesellenverbünde in Deutschland. Handwörterb. d. Staatsw.
2. Aufl, Bd. 4, S. 187.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 173
Arbeitszeit heraus; in Goch sind es 14!). In der Zunftrolle der
Lübecker Kistenmacher (Anfang des 16. Jahrhunderts) ist der Arbeits-
tag auf 15 Stunden angesetzt, in der Rolle der Bernsteindreher auf
15 Stunden im Sommer und 14 im Winter?). Bei den Maurern in
Stettin beträgt die Arbeitszeit im 15. Jahrhundert 14 Stunden im
Sommer bis Michaelis und 12—13 Stunden von Michaelis bis Ostern °).
In Frankreich wie in England beginnt die Arbeit im Mittelalter
ebenfalls mit Sonnenaufgang und dauert bis zur Nacht: depuis le
heure que on i porra ouvrer par jour sans candeille, jusques à tant
que on porra ouvrer dudict jour sans candelle, wie es in fran-
zösischen Zunftrollen aus dem 14. Jahrhundert heißt‘). Es waren
dies im 13.—15. Jahrhundert gewöhnlich 16 Stunden, selten 14 Stun-
den. Die Arbeit dauerte so lange, daß die außerhalb des Meister-
hauses wohnenden Gesellen Gefahr liefen, bei der Rückkehr nach
Hause auf der Straße erschlagen zu werden. Im Winter war frei-
lieh der Arbeitstag kürzer, da oft das Arbeiten bei Licht verboten
war. Doch war in anderen Fällen die Arbeit hei Licht ausdrücklich
gestattet, wie bei den Messerschmieden in Langres im 15. Jahrhundert,
wo die Arbeit um 4 Uhr morgens zu beginnen hatte und nach
8 Uhr.abends endigen sollte, wobei von März bis September die
Arbeit bei Licht erlaubt war. In Paris arbeiteten die Gesellen
auch über die vorgeschriebene Zeit hinaus, nur wurde ihnen in
derartigen Fällen eine besondere Belohnung gegeben?) In Eng-
land scheinen selbst die Bauarbeiter, die bestgestellte Klasse von
Arbeitern, 16 Stunden gearbeitet zu haben. Rogers giebt den Ar-
beitstag derselben zwar auf 8 Stunden an, fügt jedoch sofort hinzu,
daß daneben Ueberstunden „und zwar manchmal nicht weniger als
4} in der Woche, von den königlichen Agenten gezahlt wurden“ ©).
Der Arbeitstag hat also offenbar 16 Stunden gedauert, nur war die
Löhnungsart für die ersten acht wie für die letzten eine verschiedene.
Noch länger arbeitete man in den berühmten Glashütten von Murano
bei Venedig im 15. und 16. Jahrhundert. Es herrschte hier sogar
ein 18-stündiger Arbeitstag *).
Es war also eher eine Einschrünkung als eine Ausdehnung
der Arbeitszeit, wenn das Lehrlingsgesetz der Elisabeth vom Jahre
1562 dieselbe auf 14—15 Stunden festsetzte. Doch scheint dies
ein Minimum, nicht ein Maximum gewesen zu sein, wurde ja
auch dieses Gesetz auf Verlangen und zu Gunsten der Meister
1) Thun, I, S. 10.
2) Wehrmann, Die älteren Lübeckischen Zunftrollen. Lübeck 1864, S. 147—148.
3) Blümeke, Die Handwerkszünfte im mittelalterlichen Stettin. Stettin 1884, S. 145.
4) Neuburg, Zunftgerichtsbarkeit und Zunftverfassung. Jena 1880, S. 143. Ueber
England Brentano: Die Arbeitergilden der Gegenwart. Leipzig 1872, Bd. 1, S. 52.
5) Fagniez, L'industrie et la classe industrielle à Paris au XIV. siécle, p. 82—83.
levasseur, Histoire des classes ouvrières et de l'industrie en France avant 1789. Paris
1900—1901. 2 éd. T. I, p. 311, 320, 690. T. II, p. 965.
6) Rogers, Six centuries of work and wages. Deutsch von Pannwitz. Stuttgart
1396, S. 414.
7) Molmenti, Venedig und die Venetianer. Frankfurt a. M., ohne Jahr, S. 270.
174 Josef Kulischer,
erlassen. Und über die Pausen des Arbeitstages wird gesagt,
daß dieselben zwar erlaubt sind, jedoch 2!/, Stunden im ganzen
nicht überschreiten dürfen; ein Maximum der freien Zeit wird
also vorgeschrieben, ein Mindestmaß fehlt dagegen!) In zwei
spüteren englischen Gesetzen, die für die Londoner Schneider im
Jahre 1721 und 1767 erlassen sind, wird die Arbeitszeit auf 14 bezw.
13 Stunden inkl. einer Stunde Essenspause angesetzt, wofür 1 sh.
8 d. bezw. 2 sh. 1!|, d. täglich gezahlt werden soll. Einen höheren
Lohn kann der Geselle nur dann erhalten, wenn er sich bereit er-
klärt, länger zu arbeiten: dann kann er für die Extrastunden einen
Zuschußlohn beanspruchen. Wir haben also auch hier Maximallohn
und Minimalarbeitstag vor uns?). Aehnliches lesen wir in der Rolle
der Tuchscherer in Münster zu Anfang des 17. Jahrhunderts (1607).
Die Arbeitszeit ist auf 14 Stunden bestimmt, doch bezieht sich dies
nur auf jene Zeit, für welche Zeitlohn angesetzt ist und für die
Stücklohn nicht gezahlt werden darf; denn es heißt weiter, daß „vor
und nach der klocken des morgens vor 5 und des abends nach
7 uhren, wo ein meister eilends zu tun hätte, solle er bei macht
sein, seinen gesellen arbeit um.gebührliche belohnung zu geben“).
In Lüneburg arbeiten selbst Maurer und Zimmerleute 14 Stunden
im Sommer und 12 im Winter (1570), die Rotgießer (1573) 16 Stun-
den (am Donnerstag und Sonnabend 14 Stunden){), in Stettin die
Tischler (1572) 15 Stunden im Sommer und 13 im Winter‘); die
Berliner Seidenweber arbeiten (im 18. Jahrhundert) 14 und mehr
Stunden®). In Holland beträgt die Arbeitszeit der Leineweber (in
Amsterdam) 15—16 Stunden (1589), der Schiffsbauer (in Haarlem)
14 Stunden (17. Jahrhundert), die der Bauarbeiter dagegen viel
weniger, nümlich 10—12 Stunden (in Amsterdam), ja sogar 9 bis
11 Stunden bei den Maurern in Haarlem (18. Jahrhundert) ?).
In Frankreich finden wir im 16.—18. Jahrhundert dieselbe
Arbeitszeit von 14, 15 und 16 Stunden, die im Mittelalter üblich
war®). Nur selten ist der Arbeitstag kürzer, wie in Bourges im
16. Jahrhundert, wo er 12 Stunden betrügt, dagegen geht er zuweilen
auch über 16 Stunden hinaus. So arbeiten die Seidenweber in Lyon
im 18. Jahrhundert 18 Stunden und noch mehr, wobei die Pausen
1) Lohmann, Die staatliche Regelung der englischen Wollindustrie vom 15. bis
zum 18. Jahrhundert. Leipzig 1900, S. 27.
2) Held, S. 434—435. Ad. Smith, Wealth of Nations, Bd. 1, Chap. X, 2 (am
Ende des Kap.).
3) Krumbholz, Die Gewerbe der Stadt Münster bis zum Jahre 1661. Publi-
kationen aus den k. preußischen Staatsarchiven, Bd. 70. Leipzig 1898, Einl. S. 86,
Urk. Nr. 57 e, S. 457.
4) Bodemann, Die älteren Zunfturkunden der Stadt Lüneburg. Quellen und Dar-
stellungen zur Geschichte Niedersachsens. Hannover 1883, S. XLV, NN. XIX, XXIII,
XXXII, 2, S. 167—168, 187—188, 259.
5) Blümcke, S. 145.
6) Sehmoller, Umrisse und Untersuchungen, S. 551.
7) Pringsheim, Beiträge zur wirtschaftlichen Entwickelungsgeschichte der ver-
einigten Niederlande im 17, und 18. Jahrhundert. Leipzig 1890, S. 49—50.
8) Levasseur, T. II, 2e édit., p. 117, 385, 488, 795—796.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 175
für Mahlzeiten kaum '/, Stunde ausmachen. Die Lyoner Buch-
drucker sollen nach der Bestimmung vom Jahre 1572 ebenfalls
18—19 Stunden arbeiten, nämlich von 2 Uhr morgens bis 8—9 Uhr
abends ?).
Wenn wir nun mit dem unmenschlich langen Arbeitstag, der
beim zünftigen Handwerk des Mittelalters und in der Hausindustrie
wie Manufaktur des 16.— 18. Jahrhunderts existierte, diejenige Arbeits-
zeit vergleichen, welche die neu aufgekommene Fabrik mit Maschinen-
betrieb aufweist, so werden wir notwendig zu dem Schlusse kommen
müssen, daß die so oft behauptete, angeblich mit der Einführung
von Maschinen notwendig zusammenhängende Verlängerung des
Arbeitstages tatsächlich nicht vorliegt.
In der englischen Hausindustrie zu Anfang des 19. Jahrhunderts
dauert freilich die Arbeitszeit 16, ja teilweise 18 Stunden ?), was zum Teil
eine Verlängerung bedeutet; dagegen beträgt der längste Arbeitstag, den
wir im maschinenmäßigen Fabrikbetrieb finden, nicht über 80 Stunden
wöchentlich, die Ruhepausen eingerechnet, d. i. 14 Stunden täglich, also
nicht mehr als nach dem Gesetz der Elisabeth. Und zwar existiert ein
solcher Arbeitstag nur in Baumwollwebereien um 1814, d. i. in einer
Let, wo die Kraftstühle noch überaus wenig Verbreitung gefunden
haben, während schon um 1830, wo die Handarbeit auch in der
Weberei bedeutend verdrüngt war und man grófitenteils auf Maschinen
arbeitete, der Weber nur 72 Stunden wöchentlich beschäftigt war.
In den Spinnereien dauerte die Arbeit auch um 1804, zu Beginn
der mechanischen Produktionsweise, 74—80 Stunden wöchentlich,
und überstieg bereits um 1814 keine 74 Stunden. In den 20er
Jahren und um 1830 wird in den Spinnereien wöchentlich 69—70
Stunden gearbeitet, d. i. 12 Stunden pro Tag‘). Gegenüber dem
heutigen Acht- und Neunstundentag in England sind natürlich
12 Stunden sehr viel, im Verhältnis mit den vorhergehenden Jahr-
hunderten ist jedoch darin ein erheblicher Fortschritt, den schon die
Xer Jahre aufweisen, nicht zu verkennen.
Nach der Revolution ist der Arbeitstag französischer Bauarbeiter
auf 12 Stunden inkl. 2 Stunden Ruhepause, also 10 Stunden effek-
tiver Arbeit herabgesetzt, während früher der effektive Arbeitstag der-
selben 12 Stunden, betrug. Was die Textilindustrie betrifft, so arbeitete
auch hier der Handweber als Heimarbeiter 14—17 Stunden, der
Fabrikarbeiter in den nördlichen Distrikten ungefähr ebenso lange
als früher, 13—15 Stunden; dagegen betrug der Arbeitstag in den
Fabriken des südlichen Frankreichs nicht über 12—13 Stunden 9).
In der Aachener Industrie hat der hausindustrielle Betrieb —
mach Thun — eine kürzere Arbeitszeit gehabt als später der fabrik-
mäßige (12 Stunden statt 14); in Elberfeld und Barmen wurde
—
1) Godart, L'ouvrier en soie, p. 136.
2) Hauser, Les ouvriers du temps passé. Paris 1899, p. 80.
3) Held, S. 455.
4) Schulze- Gaevernitz, Grofbetrieb, S. 58, 118, 148.
5) Levasseur, I, p. 359, I, p. 178—179.
176 Josef Kulischer,
dagegen — wie ebenfalls Thun anführt — die Arbeitszeit von
15 Stunden bloß aus dem Handbetriebe in die Fabriken herüber-
genommen). Und im sächsichen Voigtlande betrug die Arbeitszeit
der Maschinenspinner auch 1827 nicht über 12 Stunden ?). In der
St. Gallener Baumwollspinnerei wird die ursprünglich 15- und 14-
stündige Arbeitszeit um 1830 auf 13 Stunden herabgesetzt, später
auf 12 Stunden; in der Weberei betrug sie seit Einführung der
Maschine 13 Stunden, in der Stickerei 12, in der Färberei sogar nur
11— 12 Stunden. Dagegen arbeiteten die Handweber oft bis 16 Stun-
den des Tages’). Wäre jedoch die Maschinenarbeit auch viel länger,
so bliebe doch noch ein bedeutender Unterschied von den 18 Stunden
bestehen, welche — wie Gothein berichtet — die hausindustriellen
Landweber in Oesterreich zu Ende des 18. Jahrhunderts 5) oder -
nach Godart — die Seidenweber in Lyon sich am Webstuhl abplagen
mußten.
Der Arbeitstag ist zu Anfang des 19. Jahrhunderts nicht ver-
längert worden, später im Gegenteil verkürzt. Auch die Geldlöhne,
die in Fabriken gezahlt wurden — und nur sie drücken ja den An-
teil des Arbeiters am Ertrag aus?) — sind im allgemeinen nicht ge-
fallen sondern teilweise sogar gestiegen, denn ebenso wie der Arbeits-
tag nicht weiter ausgedehnt werden konnte, so war auch ein weiterer
Lohnfall angesichts der damaligen erheblichen Steigerung der Getreide-
preise eine völlige Unmöglichkeit.
In England stand der Lohn während der ganzen zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts auf 1!/,—2 sh. pro Tag, in der Spinnerei
und Weberei betrug er durchschnittlich 9 sh. die Woche, und war
vielleicht etwas geringer in der ersten Hälfte desselben Jahrhunderts.
Zu Ende des 18. Jahrhunderts erfuhr er jedoch eine teilweise Erhöhung,
welche sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts in noch höherem Maße
fortsetzte, so daß der Arbeitslohn gewerblicher Arbeiter um 75 Proz.
stieg). Die Baumwollspinner erhielten 32 !/,—36 !/, sh. die Woche
im Jahre 1804, während ihr Verdienst in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts nicht über 1'/, (selten bis 2 sh.) täglich ausmachte.
Im Jahre 1814 betrug ihr Lohn noch mehr als ein Jahrzehnt zuvor,
nämlich 44 '/,— 60 sh., um 1823 sank er auf 33 ?/,—42 /, sh., stand
jedoch auch so erheblich über dem Lohn von 1804 und in den
nächsten Jahren desselben wie des folgenden Jahrzehnts hoben sich
die Spinnerlöhne wiederum. So betrug der durchschnittliche Jahres-
verdienst pro Arbeiter 26 £ 13 sh. um 1819—21, jedoch 25 Jahre
später (1844— 1846) 28 £ 12 sh. und 32 £ 10 sh. in den Jahren
1859—18617). Während des ganzen 18. Jahrhunderts dagegen konnte
1) Thun, Bd. T, S. 177, Bd. II, S. 210.
2) Bein, S. 278.
3) Wartmann, S. 500, 502, 542, 569, 586. -
4) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, Straßburg 1892
S. 758.
5) S. darüber weiter unten S. 179 ff.
6) Rogers, S. 314 ff., 319—321, 389—390.
7) Schulze-Gaevernitz, S. 58, 132.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 177
es der gewerbliche Arbeiter — nach Rogers Berechnungen — im besten
Falle, d. h. wenn er volle 52 Wochen arbeitete, nur auf 15 £ 13 sh.
bringen‘). In der englischen Baumwollweberei beträgt das Jahres-
einkommen des Arbeiters — nach Ellison — 20 £ 18 sh. um
1819-1821, 19 £ 8 sh. in den Jahren 1829—1831, steigt dann
1844—1846 auf 24 £ 10 sh. und 1859—1861 auf 30 £ 15 sh. Die
Abnahme der Jahresverdienste zwischen 1820 und 1830 beruht auf
dem Niedergang der Hausweberei in dieser Periode, welche in den
Zahlen mitenthalten ist?) Die Handweberei hat in der Tat von
der Einführung der Maschine viel gelitten, obwohl auch in den vorher-
gehenden Jahrzehnten ihre Lage eine traurige war?). In der mecha-
. nischen Wollspinnerei sind — nach Baines — die Löhne zwischen
1195 und 1805 bedeutend gestiegen (von 16 sh. 9 d. auf 24 sh. 8 d.),
von 1805 bis 1815 setzt sich die Steigerung weiter fort (auf 31 sh.
8 d.), dann tritt bis 1825 eine Verminderung ein (20 sh. 1 d.) und
um 1835 kehren die Löhne auf den Stand von 1805 zurück (25 sh.)
(Wolldistrikt von Leeds)*). Eine Vergrößerung des dem Unter-
nehmer zufallenden Quantums des Mehrprodukts auf Kosten des
Arbeitslohnes ist also in der Fabrik nicht eingetreten, und der Vorwurf,
der den Maschinen gemacht wird, als müßten sie eine Erhöhung des
Gewinnes durch Kürzung des Lohnes hervorrufen, erweist sich damit
als unbegründet. Zwar sind die Stücklöhne herabgesetzt worden,
aber durch die erhebliche Steigerung des Produktionsquantums in-
folge der Benutzung von Maschinen wird jene Verminderung pro Stück
mehr als ersetzt und der Arbeiter kann mehr als früher verdienen.
Was die zeitweilige Lohnherabsetzung der Fabrikarbeiterlöhne zwischen
1815 und 1825 betrifft, so fand dieselbe nicht bloß in der Woll-
spinnerei statt, wo die Maschinen in dieser Zeit eingeführt wurden,
sondern auch in der Baumwollspinnerei und Wollweberei, wo die
Einführung der mechanischen Produktionsweise in eine viel frühere
bezw. spätere Periode fällt, da in der Baumwollspinnerei der fabrik-
mäßige Betrieb bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts der herrschende
war, in der Wollweberei dagegen bis 1825, von verschwindenden
Ausnahmen abgesehen, gar keine Maschinen vorhanden waren b).
Jenes Herabgehen der Löhne in Fabriken im Jahrzehnt 1815—1825
war also nicht durch die Anwendung von Maschinen verursacht. Es
steht vielmehr mit einem gleichzeitigen Sinken der Getreidepreise
in Zusammenhang. Daß die Maschinen daran nicht schuld sind,
folgt auch daraus, daß „auch die Handwerkerlöhne in Klein-
betrieben, ebenso wie die Feldarbeiterlöhne, zwischen 1770 und 1815
m England bedeutend stiegen und darauf eine Falltendenz zu zeigen
1) Rogers, S. 314, 316.
2) Schulze-Gaevernitz, S. 149.
3) Ibid., S. 41.
4) Edward Baines in Thomas Baines, Yorkshire. Past and Present. London 1871,
T.I, p. 651. Steffen, II, p. 24—25.
5) S. auch oben S. 160, 164, 166.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 12
178 Josef Kulischer.
begannen“). In der Hausindustrie dagegen, soweit sie mit der
Fabrik zu konkurrieren hatte fand eine bedeutende Lohnherabsetzung
statt, die nicht bloß zeitweilig war, sondern bereits seit Ende des
18. Jahrhunderts begann und sich auch nach 1825 fortsetzte. Hier
war sie in der Tat durch die Einführung der Maschinen und die
Konkurrenz der Fabriken hervorgerufen.
In Sachsen fand in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, wo
die voigtländische Baumwollmanufaktur durch die englische Kon-
kurrenz hart bedrängt wurde, eine Lohnherabsetzung statt, während
der Kontinentalsperre jedoch, als die Lage der Industrie sich wieder
besserte, erreichten die Löhne das frühere Niveau und standen seit-
dem zwar mit bedeutenden Schwankungen auf ziemlich gleicher Höhe
bis in die 30er Jahre hinein, wo mit dem allgemeinen wirtschaft-
lichen Aufschwung und mit der Einführung der Maschinen auch der
Arbeitslohn eine bedeutende Steigerung erfuhr. Der Handweber in
der Baumwollweberei, der 1790—1793 1?/,—1°/, Reichstaler er-
hielt, hatte im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts im Durch-
schnitt 1!/, Rtlr.; in den Jahren 1816/1817 1!/,,, im Jahre 1819
1!/, Rtlr. Wochenverdienst, in den 30er Jahren brachte er es je-
doch in der Woche auf 2 Rtlr. und darüber. Dagegen betrug der
Wochenlohn des Maschinenspinners schon in den ersten Jahren des
19. Jahrhunderts 1'/,—2 Rtlr, im Jahre 1819 2—3 Rtlr., um 1827
fällt er zwar auf 1';, Rtlr., steigt aber dann ebenfalls beim Auf-
schwunge der 30er Jahre ?).
In der St. Gallener Textilindustrie wurden die hausindustriellen
Spinner zu Ende des 18. Jahrhunderts mit 9—10 Kr. pro Tag be-
zahlt. In der ersten mechanischen Spinnerei standen dagegen die
Lóhne im Jahre 1803 auf 56 Kr. tüglich für Münner bei den Spindel-
Vorspinnmaschinen und 24 und 26 Kr. für Spulerinnen bezw. Hasple-
rinnen. In den folgenden Jahrzehnten scheinen die Lóhne teilweise
herabgegangen zu sein (um 1816 beträgt der Spinnerlohn 40 Kr.)
waren jedoch auch damals noch bedeutend hóher als im 18. Jahr-
hundert. Später, um 1830, erreichen sie die frühere Höhe von 1803
und steigen um 1832—1835, insbesondere seit 1835 in erheblichem
Umfange, welche Bewegung erst 1841 anhält. Die Jahre 1856— 1857
bringen wieder eine allgemeine Lohnerhóhung, welche schon in den
Jahren 1859 —1860 von einer zweiten und nochmals in den Jahren
1864—1865 von einer dritten gefolgt wird, so daß in der Periode
von 1835—1865 eine Verdoppelung der Lóhne stattfindet ?).
In Frankreich endlich ist wührend der Revolutionszeit sowohl
bei den lündlichen Tagelóhnern als beim Gesinde und den gewerb-
lichen Arbeitern in den Städten eine erhebliche Lohnsteigerung zu
verzeichnen. Zur Zeit des Konsulats und des Kaiserreichs setzt sich
dieselbe fort, ebenso wie in der folgenden Periode der Restauration,
1) Steffen, Bd. IL, S. 10—15.
2) Bein, S. 207—-209, 277—279.
3) Wartmann, S. 154, 312, 502.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 179
gerade wo die Maschinen am meisten zur Anwendung gelangten, die
Handarbeit in den wichtigsten Produktionszweigen zu ersetzen hatten.
Auch später, in den Jahren 1827— 1847, fand eine 10-proz. Lohn-
steigerung statt. Die schlimmen Prophezeiungen der Gegner des
Maschinenbetriebes sollten sich eben als unbegründet erweisen !).
VI.
Wenn trotzdem die Lage des Arbeiterstandes zu Anfang des
19. Jahrhunderts nicht bloß eine traurige war, sondern sich (ins-
besondere in England) sogar noch schlimmer gestaltete als ein halbes
Jahrhundert zuvor, so liegt der Grund hauptsüchlich in den hohen
Kornpreisen, die wir in jener Periode finden und die zu den hóchsten
gehóren, welche in den letzten Jahrhunderten vorkamen. Der Real-
lohn des Arbeiters hängt bekanntlich von zweierlei Faktoren ab: ein-
mal vom Geldlohne, den der Unternehmer zahlt und andererseits von
der Preishóhe der vom Arbeiter konsumierten Artikel, darunter haupt-
sächlich — mit Ausnahme der letzten Jahrzehnte sogar fast ausschließ-
lich — des Getreides. Der Arbeitgeber bestimmt nur den ersten Faktor,
für hohe Getreidepreise kann er aber nicht verantwortlich gemacht
werden. Wenn er für ein gleiches vom Arbeiter geschaffenes Pro-
duktionsquantum keinen niedrigeren Geldlohn zahlte — was wir oben
gezeigt haben —- so war offenbar das Mehrprodukt, das ihm der
Arbeiter lieferte, nicht größer geworden als es früher gewesen. Nur
in einem Falle würde ein gleicher Geldlohn einen geringeren Anteil
am Produzierten bedeuten, wenn nämlich eine Wertverminderung der
Umlaufsmittel stattgefunden hätte. Wenn sämtliche Waren eine
Preissteigerung erfahren hätten, nur der Arbeitslohn unverändert
bliebe, oder kein entsprechendes Steigen aufweisen würde, so wäre
damit der Anteil des Arbeiters am Ertrage als verkürzt zu betrachten.
Eine solche Aenderung in der Arbeiterlage, wo bei allgemeiner Preis-
erhöhung nur der Arbeitslohn zurückgeblieben war, konnten wir zur
Zeit der Preisrevolution im 16. und 17. Jahrhundert beobachten. Doch
ist die vorliegende Periode von jener Zeit ganz verschieden. Zwar hat
man auch in Bezug auf die Periode von 1790 bis 1815 behauptet,
es sei eine Wertverminderung der edlen Metalle eingetreten, welche
dann seit 1815 wiederum einer Werterhöhung Platz gemacht habe.
Doch hat schon Helferich nachgewiesen, „daß von einer allgemeinen
Depreziation des europäischen Zirkulationsmediums in den Jahren
1797—1814 nicht die Rede sein kann“. „Daß das europäische Zirku-
lationsmedium während dieser Epoche in stärkerem Maße anwuchs
als unmittelbar vor derselben, ist richtig; doch betrug das Ver-
mehrungsverhältnis, soweit es sich aus den gegebenen Datis mit
Wahrscheinlichkeit bestimmen läßt, zu keiner Zeit mehr als 12 Proz.,
wenn man auch die durch das Papiergeld abgelösten Barsummen
mit der von den Bergwerken gewonnenen Metallmenge zusammen-
1) Levasseur, Histoire des classes ouvrières depuis 1789 jusqu'à nos jours. Paris
1867, T. I, p. 222, 358—359, 477. T. II, p. 177 suiv.
12*
150 Josef Kulischer,
nimmt. Dagegen muß der höhere Gebrauchswert in Anschlag kommen,
den das Bargeld durch die Unsicherheit des Rechtsschutzes jener
Zeit (1793—1815 Kriegszeit) und den langsameren Umlauf des Zirku-
lationsmediums erhielt^ Was die einzelnen Warenarten betrifft,
so kann zwar der Preisniedergang der Fabrikate weder für noch
gegen die Annahme einer Wertverminderung des Geldes sprechen,
da wegen der Fortschritte in der Produktionstechnik ein Preisfall
sowohl bei unveründertem Geldwerte eintreten konnte als auch dann,
wenn der Geldwert abnahm; nämlich in dem Falle, wenn die
von den Aenderungen in der Produktionsweise hervorgerufene
Tendenz zur Preisverminderung der Fabrikate stürker war als die
entgegengesetzte aus der Verbilligung des Geldwertes herrührende
Strömung, so daß die Preisherabsetzung nur aufgehalten, nicht ganz
beseitigt werden konnte. Dagegen können die Handelswaren den
Schluß bestätigen, der aus der Betrachtung des Zirkulationsmediums
folgt. „Die Handelswaren“ — sagt Helferich — „erleiden allerdings
eine bedeutende Preissteigerung, aber doch keine größere, als durch
die hohen Frachtkosten (während des Krieges) erklärt werden kann.
Und auch dieses Steigen ist keineswegs allgemein; namentlich stehen
einige Produkte, wie Spezereien, Zimt und Pfeffer, Tabak, Fisch-
bein u. a. m. während der ganzen Periode auf dem Londoner Markt
viel niedriger im Preise als vorher und nachher, und selbst Zucker und
Kaffee, zumal wenn man die zugestandene Depreziation des englischen
Geldes in Anschlag bringt (Notenemission!), wohlfeiler als vorher
und wenigstens nicht teurer als nachher“ 2).
Nur die Getreidepreise sind erheblich gestiegen, aber aus der
Preissteigerung einer Warenart darf man noch nicht den Schluß
ziehen, daß eine Wertverminderung des Geldes stattgefunden hat,
vielmehr muß es spezielle Ursachen geben, die zur Erhöhung der
betreffenden Preise geführt haben, auch abgesehen davon, daß
„dieses Steigen keineswegs allgemein war, indem in Frankreich und
in jenen Gegenden, wo die Zeitereignisse weniger einwirkten, sich
Preise finden, welche denen früherer Perioden durchaus ähnlich sind“
und daß „die Preise des Getreides auf den Märkten des Kontinents
in der zweiten Hälfte der Periode, nämlich von 1807—1813, ent-
schieden niedriger stehen als in der ersten Hälfte von 1797—1806,
und dadurch der Annahme einer Depreziation des allgemeinen Um-
laufsmediums widersprechen, da dieselbe, wenn sie überhaupt statt-
gefunden hätte, gerade in den letzten Jahren am fühlbarsten hätte
sein müssen“ 3). In der Tat sind es spezielle Ursachen, durch welche
die Preissteigerung des Getreides hervorgerufen war, nämlich un-
1) Helferich, Von den periodischen Schwankungen im Wert der edlen Metalle von
der Entdeckung Amerikas bis zum Jahr 1830. Nürnberg 1843, S. 233. Vergl. Tooke-
Newmarch, History of Prices. (Uebers. von Asher. Bd. I, Abt. IV, Kap. I—VIII,
XX—XXH, Bd. II, Anh. 2.
2) Helferieh, S. 234. Tooke-Newmarch, T. I, Tab. XV—XXVI.
3) Helferich, S. 234.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 181
günstige, teilweise sogar sehr ungünstige Ernten, ferner Kriegs-
ereignisse, welche der Transportierung des Getreides aus anderen
Ländern große Hindernisse setzten (Kontinentalsperre!), endlich zoll-
politische Maßnahmen, die in den einen Ländern die Kornausfuhr
hemmten, in den anderen, getreidebedürftigen Ländern, die Korn-
einfuhr erschwerten, angeblich im Interesse der eigenen Land-
wirtschaft. Der gleiche Arbeitslohn mußte aber unter diesen Um-
ständen durchaus an Kaufkraft verlieren; der Arbeiter konnte nicht
mehr die gleichen Güter in gleicher Quantität konsumieren, obwohl
er keinen geringeren Anteil als früher an der von ihm produzierten
Ware erhielt. Die Schuld an der Notlage des Arbeiters kann viel-
leicht auf den Staat oder auf die Klasse der Grundbesitzer fallen,
nämlich soweit die Teuerung künstlich infolge des Agrarschutzes
hervorgerufen war, jedenfalls aber nicht auf den Kapitalisten-Unter-
nehmer, dem der Arbeiter mit seiner Tagesarbeit nicht mehr Pro-
dukte als früher herstellte, der dem Arbeiter jedoch eher einen
höheren als einen geringeren Lohn zahlte als es früher der Fall
war, somit sich aus der physischen Arbeit keinen größeren Mehrwert
als vorher aneignen konnte.
„Als sich in den Jahren 1744 und 1745 die Löhne in England zu
heben anfıngen* — sagt Rogers!) — „galt ein Quarter Weizen 21
und 22 sh., nach 1780 stand der Preis selten unter 50 sh. und stieg
gr gegen Ende des Jahrhunderts auf das Doppelte“; trotz der
weiteren Steigerung der Geldlöhne konnte daher der Arbeiter ohne
Zuschüsse des Kirchspiels nicht auskommen. Obgleich es sich er-
wiesen hatte, daß die englische Landwirtschaft dem Bedarfe an Getreide
nicht nachzukommen vermochte, daher Zuflucht zu den Kornkammern
des Auslandes notwendig war, wurde dennoch im Jahre 1791 ein Korn-
gesetz durchgeführt, um die Zufuhr von Korn zu hemmen, indem be-
stimmt wurde, daß die Einfuhr desselben erst bei dem hohen Preise
von 55 sh. pro Quarter zu gestatten sei; im Jahre 1804 wurde dieser
Preis auf 61 sh. heraufgebracht und erreichte seine höchste Grenze
im Jahre 1815, als die Einfuhr von Weizen bis zum Preise von
80 sh. gänzlich verboten wurde. Es ist klar, daß bei einem solchen
System von Begünstigung der Grundbesitzer die Arbeiterlage eine
traurige sein mußte und in den Jahren, wo noch ungünstige Ernten
hinzukamen, wie insbesondere 1800—1801, 1809 - 1813, 1816 — 1817
geradezu Hungersnóte ausbrechen mußten. Armenunterstützung
mußte wiederum in erheblichem Umfange zu Hilfe kommen, Millionen
wurden zu diesem Zwecke aufgebracht, trotzdem der Lohn auf
1 Proz. gestiegen war und in den schlimmsten Jahren die größte
Höhe erreichte?). In den 20er Jahren waren die Getreidepreise
bedeutend niedriger geworden: während der Durchschnittspreis des
Quarters Weizen in England von 1800—1819 94 sh. 3 d. betrug
1) Rogers, S. 320.
2) Rogers, S. 320 ff., 389 ff. Helferich, S. 208, 220—221, 249 ff, Tooke-New-
March, History of Prices. T. I, Abt. IV, Cap. IV—-VIII u. Tab. XI, p. 800.
182 ‘ Josef Kulischer,
war er 1820—1827 nur- 57 sh. gleich‘). Doch auch später, in
den 20er wie in den 30er Jahren standen in England die Korn-
preise viel hóher als auf dem Kontinent und fanden erhebliche Preis-
schwankungen statt; erst die Abschaffung der Korngesetze konnte die
Zustünde bessern und insbesondere die Kaufkraft des Arbeitslohnes
wieder erhóhen?) Ebenso war auch in Sachsen der Geldlohn nicht
gefallen, dagegen waren auch hier die Getreidepreise erheblich ge-
stiegen: während sie in den 80er und 90er Jahren des 18. Jahr-
hunderts nicht über 3-4 Reichstaler pro Scheffel Roggen und
4—5 Reichstaler pro Scheffel Weizen betragen hatten, stiegen sie
im Jahre 1805 auf 7—8 !/, Reichstaler pro Scheffel Roggen und auf
12 Reichstaler pro Scheffel Weizen, im Jahre 1806 sogar auf 10!/,
bis 11 !/, Reichstaler bezw. 13 Reichstaler, so daß eine wahre Hungers-
not ausbrach, welche sich in den Jahren 1816 — 1817, wo Mifiwachs
auf einem großen Teil der Erde verbreitet war, noch einmal wieder-
holte, indem der Scheffel Weizen in Sachsen 13 Reichstaler kostete.
In den folgenden Jahrzehnten sanken die Getreidepreise auch hier
auf die frühere Hóhe, die sie vor der Kornteuerung eingenommen
hatten ?).
Natürlich braucht eine derartige Preissteigerung wichtiger Kon-
sumtionsartikel nicht notwendig eine Verschlechterung der Arbeiter-
lage nach sich zu ziehen, sondern sie kann von einer entsprechenden
Erhöhung der Löhne begleitet sein, so daß der Reallohn keine
Aenderung erfährt. Nur darf man nicht außer acht lassen, daß
dann die Preissteigerung der Konsumtionsartikel auf den Unter-
nehmer abgewälzt wird, daß das Mehrprodukt, den er vom Arbeiter
erhält, entsprechend geringer werden muß. In England konnte dies
freilich damals nicht geschehen, weil eine überaus schnelle Volks-
vermehrung stattgefunden hatte. „Bis 1751 - sagt Toynbee — war
die höchste Ziffer der Bevölkerungszunahme — soweit man dies aus
dem vorhandenen nur wenig genügenden Material schließen darf —
nicht über 3 Proz. pro Jahrzehnt. Dagegen betrug in jedem der folgen-
den drei Jahrzehnte die Zunahme 6 Proz., im Jahrzehnt 1781—1791
war sie 9 Proz., 1791—1801 = 11 Proz., 1801—1811 — 14 Proz.,
1811—1821 = 18 Proz. Dies ist die höchste Ziffer, die England
jemals erreichte, da seit 1815 die Bevölkerungsvermehrung durch
eine große Auswanderung gehemmt wurde.“ Dabei nimmt seit Ende
des 18. Jahrhunderts die landwirtschaftliche Bevölkerung sowohl
relativ wie absolut bedeutend ab, so daß jene Steigerung auf die
gewerbliche Bevölkerung fällt, wie dies z. B. auch aus der Ver-
größerung der Arbeiterzahl in der Baumwollindustrie von 40000
um 1760 auf 380000 im Jahre 1840 ersichtlich ist; sie führt zur
Entstehung zahlreicher Großstädte, in denen sich die Industrie
1) Helferich, S. 257.
2) Vergl. H. Levy, Die Not der englischen Landwirte zur Zeit der hohen Getreide-
zölle. Stuttzart und Berlin 1902, passim.
3) Bein, Tabelle TIL.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 183
konzentriert). Für eine Lohnsteigerung entsprechend den ge-
stiegenen Getreidepreisen war offenbar eine solche Bevölkerungs-
vermehrung wenig günstig, zumal unter den damaligen Vertrags-
verhültnissen, wo dem schwachen Arbeiter der müchtige Unternehmer
gegenüberstand.
Anders lagen die Verhältnisse in Frankreich. „Eine wichtige
Ursache jenes Umstandes, daß die Löhne nicht bloß keine Verminde-
rung erfuhren (während des Konsulats und des Kaiserreichs) — sagt
Levasseur — sondern sogar sich steigerten, bildete die Aushebung
des Heeres. Sie machte eine heftige Konkurrenz den Werkstätten.
dieselben der anwachsenden Bevölkerung beraubend, die sie zu
Soldaten machte und seit 1808 dem Gewerbe nicht mehr wiedergab.
Zuerst wurde die Bevölkerung, die im Alter von 20—25 Jahren
stand, genommen, dann auch die jüngere Generation bis 13 Jahre
und noch darüber hinaus“ ?). Bei einer solchen Sachlage, wo der
Krieg einen großen Teil der Bevölkerung in Anspruch nahm, konnte
der Arbeitslohn eine Steigerung erfahren, und er ist in der Tat noch
mehr gestiegen, als die Preise der Nahrungmittel. Im Verhältnis zur
Arbeiterlage um die Mitte des 18. Jahrhunderts tritt zu Ende dieses
Jahrhunderts und zu Anfang des 19. eine Besserung ein, weil die
zwar bedeutende Preissteigerung der Lebensmittel von der gleich-
zeitigen Lohnerhóhung übertroffen wird?) Im nächsten Jahrzehnt
1518—1828 setzt sich die Steigerung des Brotpreises fort, doch wird
sie wiederum von einer weiteren Erhöhung der Arbeitslóhne be-
gleitet, wie auch von einer gleichzeitigen Preisverminderung der übrigen
Nahrungsmittel, weswegen wichtige Bedürfnisse, die bis dahin un-
befriedigt bleiben mußten, nun zur Befriedigung gelangen konnten;
insbesondere war der Fleischgenuß viel reichlicher geworden. Während
also in England die Arbeiterlage sich verschlimmert hatte ohne daß
der Unternehmer dadurch etwas gewonnen hätte, war in Frankreich
das Mehrprodukt, den der Arbeiter lieferte, schon im ersten Viertel
des 19. Jahrhunderts geringer geworden. Im zweiten Viertel setzt
sich die Bewegung fort, indem der Lohn in der Periode 1827—1847
wiederum steigt und zwar um 10 Proz. Zugleich hórt auch die Er-
höhung der Getreidepreise auf, so daß trotz der inzwischen gestiegenen
Preise der übrigen Lebensmittel, wie Fleisch, Butter, Eier, der hóhere
Geldohn auch ein größeres Einkommen bedeutete. Obwohl auch
jetzt noch in vielen Fällen das Budget des Arbeiters nur mit einem
Defizit geschlossen werden konnte, wie ein Jahrhundert zuvor, so
- 1) Toynbee, Lectures on the Industrial Revolution in England. London 1894,
lap. VIII.
2) Levasseur, Bd. 1, p. 360.
3) In den Jahren großen Mißwachses, wo derselbe überall eintrat, standen sich
“uch hier die Arbeiter recht schlecht, aber es waren dies vorzüglich Handarbeiter,
nicht Fabrikarbeiter, welche davon betroffen wurden. In den Jahren 1812—1813
brach in Paris Hungersnot aus, wegen hoher Getreidepreise, die mit Arbeitslosig-
keit verbunden waren. Von ca. 67 000 Arbeitern der Stadt waren 30 000 arbeitslos:
zwei Drittel der Kunsttischler, drei Viertel der Juweliere und Goldschmiede. (Levasseur, I,
I. 362.)
184 Josef Kulischer,
genügte doch — nach Levasseur — der durchschnittliche Arbeits-
lohn zur Befriedigung der notwendigsten Lebensbedürfnisse des
Fabrikarbeiters und ließ sogar noch einen gewissen Spielraum dar-
über hinaus, wenn auch länger andauernde Krankheit den Arbeiter
in großes Elend stürzen mußte !).
VII.
Die Anwendung der Maschine in der Industrie soll das aus der
physischen (ausführenden) Arbeit stammende Mehrprodukt auch da-
durch vergrößert haben, daß sie die Anstellung minderwertiger Arbeits-
krüfte, die Benutzung von Frauen- und Kinderarbeit ermóglichte.
„Der Fabrikant — sagt Rogers — konnte seinen Gewinn noch da-
durch steigern, daß er Arbeiten, die bisher Erwachsene verrichtet,
von Kindern tun liefi^?), Nicht bloß Marx und Engels, sondern auch
er sieht die Frauen- und Kinderarbeit als eine vollstándig neue Er-
scheinung an, die früher ganz unbekannt war und erst seit Ende
des 18. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der mechanischen Produk-
tionsweise ans Licht trat. Und doch beweisen die Tatsachen etwas
ganz anderes.
„Die Winderei, Spulerei, Kettenschererei, das Noppen und Zu-
sammenlegen, die Appretur und zum Teil auch die Weberei — sagt
Thun — sind stets Kinder- und Frauenarbeit gewesen; das deutsche
Weib wird am Rocken verherrlicht, später war es in der Spinnstube
und an der Spindel beschäftigt, sein Kind wuchs am Spulrade auf“).
Eine ausgiebigere Benutzung der weiblichen Arbeitskraft erfolgt je-
doch erst mit der Entstehung des hausindustriellen Verlagssystems.
Dadurch daß der kaufmännische Unternehmer Frauen in ihren Woh-
nungen beschäftigte, wandte er eine starke Waffe gegen das zünftige
Monopol an. Ueberall daher, wo wir eine entwickeltere für einen
weiteren Kundenkreis produzierende Hausindustrie antreffen, bilden
die Frauen zugleich einen bedeutenden Teil der im Gewerbe tätigen
Arbeitermasse *).
Zu gleicher Zeit, im 17. und 18. Jahrhundert, wird die Be-
schüftigung der Kinder zu einem der erstrebenswertesten Ziele ge-
macht. „Es sind durchweg die Besten jener Generation — sagt
Gothein — die eifrigsten Philanthropen, die in diesem Fahrwasser
steuern“ 5), die Kinderarbeit mit allen Mitteln zu fördern suchen.
.Wie sehr man sich in jenen Zeiten freute — üuflert sich Herkner
1) Levasseur, Histoire des classes ouvrières depuis 1789 jusqu'à nos jours. T. I,
p. 358—359, 477—478. T. II, p. 177 suiv. 182, 430.
2) Rogers, S. 391.
3) Thun, I, S. 172.
4) Vergl. z. B. Defoe, III, S. 144—146. Rogers, S. 320. Herkner, 8. 62—63,
116. Stieda, Die deutsche Hausindustrie, Bd. 1, Leipzig 1889, S. 190 ff., 123 ff., 126 ff.
Zimmermann, S. 117 ff. Schmoller, Umrisse und Untersuchungen ete., S. 551, 554—557.
Derselbe, in seinem Jahrbuch (Wirtschaftspolitik Friedrich des Großen), Bd. 11, S. 808.
Geering, S. 261 u. öfters. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1,
S. 522, 526, 549, 554—55, 753.
5) Gothein, S. 712—713.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 185
— Kinder möglichst frühe so nützlich beschäftigen zu können, er-
hellt zur Genüge daraus, daß der Friedenskongreß von Rastatt (vom
Jahre 1714) die Errichtung einer Spinnschule für die Armenkinder
des Ortes als das edelste, würdigste Denkmal betrachtete, das er
sich überhaupt stiften könnte“ !). In den deutschen Ländern wie in
Oesterreich wurden überall Spinnschulen angelegt, in denen Kinder
von den frühesten Jahren an gelehrt wurden, um später in der
Hausindustrie Arbeit zu finden. Schon das G-jährige Kind werde
dabei seinen Unterhalt finden — lautete das übliche Lockmittel,
womit die Verleger den Nutzen ihrer Industrie rühmten, wenn sie
sich Privilegien von der Regierung zu beschaffen suchten 2). „Die
Ausdehnung der Arbeitszeit — sagt Wiedfeldt über die Berliner
Industrie des 18. Jahrhunderts — wurde begünstigt, die Einführung
der billigen Frauen- und Kinderarbeit durchaus nicht ungern ge-
sehen“). Und Friedrich der Große hält die Kinderbeschäftigung für
so wichtig, daß er bei seiner Anwesenheit in Hirschberg in Schlesien
im Jahre 1766 den Kaufleuten eine Sendung von 1000 Kindern im
Alter von 10—12 Jahren anbietet, um sie zum Spinnen zu ver-
wenden; die Ablehnung dieses Angebots erweckt sein höchstes Miß-
fallen‘). In Oesterreich werden unter Maria Theresia Schulen für
Flachs-, Hanf-, Baumwollen- und Wollspinnerei wie Weberei errichtet.
Nicht nur die müssigen und armen Kinder, sowie Waisen, sondern
auch die Kinder von Handwerkern von 7—15 Jahren sollen in die
Schule „gestellt“ werden; wenn wiederholte Ermahnung nicht helfen
oder keinen Erfolg erzielen, sollen die Eltern oder Vormünder mit
einem bürgerlichen Arrest von 2—3 Tagen und bei weiterer Wider-
spenstigkeit mit schärferer Strafe belegt werden. „Ausgelernte Kinder“
seien dann von den Eltern oder Vormündern zu Hause zur Spinnerei
anzueifern ). Auch in England „wurde die Kinderarbeit in den
Zeiten der Hausindustrie meist ganz naiv als eine Verbesserung der
Erwerbsverhültnisse des Volkes gerühmt“ %). Im 17. und 18. Jahr-
hundert berufen sich auch hier schutzzollbegehrende Industrielle
darauf, daß die Industrie Kindern und Weibern Erwerb verschaffe 7).
In der Tat wurden in der englischen Segeltuchmacherei um 1736
Kinder von 7 Jahren, in der Seidenindustrie Hunderte von Kindern
unter 6 Jahren beschäftigt, in der Barchentweberei im Anfang des
18. Jahrhunderts 5-jährige Kinder*). In Manchester verdienten schon
1650 Kinder selbst ihren Unterhalt °), in Norwich erwarben im 17. Jahr-
1) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes, Bd. 1, Straßburg 1892,
8. 713 (vergl. auch S. 733). Herkner, S. 63.
2) Vergl. Gothein, S. 728, 742.
3) Wiedfeldt, Statistische Studien zur Entwickelungsgeschichte der Berliner Industrie
leipzig 1896, S. 64.
1) Zimmermann, S. 117.
5) Ad. Beer, Studien zur Geschichte der ósterreichischen "Volkswirtschaft unter
Maria Theresia, T. I, Wien 1894, S. 55 ff.
6) Held, S. 557.
7) Held, S. 558, 561, 592.
8) Ibid., S. 557, 558, 562.
9) Ibid., S. 561—562.
186 Josef Kulischer,|
hundert die 6— 10-jährigen Kinder mit Strumpfstricken einen Reich-
tum, der jährlich 12000 £ über ihren eigenen Unterhalt hinaus be-
tragen haben soll!). Daniel Defoe, dessen Beschreibungen des Wohl-
standes der Weber in Halifax zu Anfang des 18. Jahrhunderts zu
den idyllischen Schilderungen der alten guten Zeit, wo die haus-
industrielle Betriebsweise noch herrschte, Anlaß gegeben haben,
preist den Gewerbefleiß der Halifaxer Bevölkerung folgendermaßen:
„Die Frauen und Kinder kardeten und spannen; alle von den
jüngsten bis zu den ältesten waren tätig; kaum einer über 5 Jahre
war unfähig, mit seinen eigenen Händen für seinen Unterhalt zu
sorgen“ ?).
Die Beschäftigung von Waisenkindern, Pfarrlehrlingen war der
Hausindustrie ebenfalls nicht unbekannt. Um die Findelkinder los-
zuwerden, werden dieselben in Frankreich bei Landleuten, Hand-
werkern und Kaufleuten gegen einen bestimmten Pensionsbetrag
untergebracht, wobei die Zahlung des Pflegegeldes in der Regel bis
zum zurückgelegten 16. Lebensjahre dauerte?) In England diente
ein derartiges System ebenfalls zur Erleichterung der auf der Pfarrei
ruhenden Armenlast und seit dem Armengesetze der Elisabeth vom
Jahre 1601 wurden Waisenkinder als Lehrlinge an die einzelnen
Meister abgegeben: die Armenaufseher des Kirchspiels hatten die
Pflicht, die Knaben bis zum 24., die Mädchen bis zum 21. Jahre
als Lehrlinge auszutun®). Die Strumpfwirkermeister beschäftigten
zu Anfang des 18. Jahrhunderts Lehrlinge in unbeschränkter Zahl,
oft im Verhältnis von 10 und mehr Lehrlingen zu einem Arbeiter,
trotzdem dies nach dem Lehrlingsgesetz verboten war, ja ein Mann
wird angeführt, der 30 Jahre lang stets ungefähr 25 Lehrlinge und
nur einen Arbeiter beschäftigte. Ein besonderer Anreiz zu der Be-
schäftigung der Lehrlinge an Stelle der ausgelernten Arbeiter waren
hierbei, abgesehen von dem geringen Lohn, den ein Lehrling erhielt,
die Prämien, oft in dem Betrag von 5 £ welche die Pfarreien
für jeden Jungen, den man ihrer Armenkasse abnahm, bezahlten ?).
Auf die Beschäftigung dieser Arten minderwertiger Arbeit, in
wie großem Umfange sie auch vorgenommen wurde, mußte sich die
Hausindustrie beschränken. Viel weiter war dagegen der Spielraum
für die zentralisierte Manufaktur. Sträflinge, Vagabunden, Blinde,
Taubstumme, Irren — alle diese Bevölkerungselemente konnten zur
Arbeit angehalten werden, um dadurch die eignen Unterhaltskosten
zu decken und noch darüber hinaus dem Unternehmer einen Gewinn
abzuwerfen. Während dieselben bei den hausindustriellen Meistern
nicht unterzubringen waren, blieb es eine leichte Sache, ihnen in
1) Macaulay, History of England, Chap. 3.
2) Defoe, A tour through the whole Island of Great Britain. 1769, T. III, S. 145.
3) Reitzenstein, Die Armengesetzgebung Frankreichs in den Grundzügen ihrer
historischen Entwiekelung. Sehmollers Jahrbuch, Bd. 5, 1881, S. 605.
4) Toynbee, Industrial Revolution, Chap. IX. Aschrott, Armengesetzgebung in
Großbritannien. Handwörterb, 2. Aufl, Bd. 1, S. 1136.
5) Felkin, History of the machine-wrought Hosiery and Lace manufactures. London
1867, p. 73. Zit. bei Brentano. Ueber die Ursachen der heutigen sozialen Not, Leipzig
1889, S. 36—37, Anm. 12.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 187
den Anstalten, wo sie sich befanden, auch eine Beschäftigung zu
geben. Auch die Waisen- und Findelkinder wurden vielfach in Werk-
stätten beschäftigt, und zwar waren diese Anstalten häufig mit
Zucht- und Irrenhäusern verbunden, so daß die Manufakturarbeiter
ein buntes Durcheinander von Verbrechern, Krüppeln und armen
Kindern repräsentierten. So war die berühmte Pforzheimer Waisen-
anstalt, in welcher Spinnerei getrieben wurde, mit dem Irren- und
Zuchthaus vereinigt. Es war Blinden-, Taubstummen-, Idiotenanstalt,
Säuglingsstation und Zuchthaus zugleich !). In Basel wurde eben-
falls ein Zucht- und Waisenhaus errichtet, dessen Insassen für ihren
Unterhalt textile Arbeiten verrichten mußten. Als die Zünftigen,
welche diese Konkurrenz ungern sahen, gegen die Inspektoren des
Waisenhauses wegen der Tuchfabrik remonstrierten, erhielten sie
zur Antwort: wenn der Staat etwas ad pias causas vornehme, so
sollte das den Zünften billig den Mund verschließen ?). So begann
das Manufaktursystem mit der Arbeit in Zwangsarbeitshäusern, weil
die Privatmanufakturen mit den Zünften zu kämpfen hatten, die ihre
Privilegien geltend machten, auch wohl durch diese Streitigkeiten
ganz verhindert wurden. Die Anstalten wurden dagegen vom Staate
errichtet und ihr Betrieb Privatunternehmern übergeben. Im Herzog-
tum Baden wurden auf diese Weise sämtliche Zucht- und Arbeits-
häuser von Unternehmern in Pacht genommen’). In dem Zuchthaus
in Breisach wird eine Hanf- und Leinenspinnerei eingerichtet); in
Magdeburg müssen die Züchtlinge die Wolle streichen, kämmen,
kratzen und spinnen), in Berlin werden die Insassen des Arbeits-
hauses (Bettler, Vagabunden, „in der Charité kurierte Weibspersonen“,
Bettelkinder) mit Wollspinnen beschäftigt; im Jahre 1785 belief sich
ihre Anzahl auf 192 Männer, 300 Weiber, 42 Knaben und 71 Mädchen *).
Aehnliche Versuche, das Manufaktursystem mittels Beschäftigung
von Zwangsarbeitern in zentralisierten Werkstätten einzuführen,
finden wir auch in anderen Ländern. Um die Mitte der 60er Jahre
des 18. Jahrhunderts bestanden in acht österreichischen Städten Ar-
beitshäuser, in denen Textilmanufakturen eingerichtet waren; in
Schlesien, Kärnten und Mähren wurden Spinnhäuser errichtet; da-
neben wurde Züchtlingen Spinnen, Weben und Sticken gelehrt;
Arrestanten, Waisenkinder, Vagabunden — alles wurde zur Arbeit
angezogen ). Zur Zeit Colberts, wie noch früher zu Anfang des
17. Jahrhunderts, wurden die Insassen der französischen Zucht- und
Waisenhäuser mit Strumpfstricken wie mit Spinnen beschäftigt. Alle
arbeitsfähigen Armen sollten in Spitälern untergebracht und zur Ar-
1) Gothein, S. 699.
. . 2) Geering, Basels Handel und Industrie bis zum 17. Jahrhundert. Basel 1886,
5. 608—609.
3) Gothein, S. 721.
1) Ibid., S. 756.
. 5) Schmoller, Studien über die wirtschaftliche Politik Friedrichs des Großen und
PieuBens überhaupt von 1680—1786. Jahrbuch für Gesetzgebung cete., Bd. 11, S. 819.
6) Wiedfeldt, S. 64.
1) Beer, Gesch. d. österr. Volkswirtsch., I, S. 62.
188 Josef Kulischer,
beit angehalten werden’). „Den. arbeitsfähigen Armen — lautet das
englische Gesetz vom Jahre 1601 — soll Arbeit verschafft werden,
und es sollen zu diesem Zwecke Vorräte an Flachs, Hanf, Wolle,
Zwirn, Eisen und anderen Waren und Stoffen angeschafft werden“ ?).
1682 wurde in Amsterdam das Seidenwindhaus gegründet, in dem
Kinder von 7—12 Jahren Seide haspeln sollten. In Middelburg
schloß die Armenverwaltung mit einem Franzosen einen Vertrag,
damit in dessen Tuchweberei eine Anzahl Waisenkinder beschäftigt
werden sollten. Wo Unternehmer fehlten, ging die niederländische
Armenverwaltung selbst mit der industriellen Beschäftigung von
Kindern vor, damit die Erhaltung derselben ihr nicht zur Last falle °).
So war das ganze Manufaktursystem auf billiger Zwangsarbeit
basiert. Die Unternehmer ließen sich Sträflinge, Vagabunden, Waisen-
kinder etc. übergeben und beschäftigten dieselben in den betreffenden
Anstalten, um aus ihrer Arbeit möglichst viel Gewinn herauszu-
schlagen. Wurden doch ihnen jene Insassen vollständig zur Aus-
beutung überlassen und konnten ja die Hungerlöhne, die denselben
gezahlt wurden, bei jeder günstigen Gelegenheit noch mehr gekürzt
werden. Ein Teil der Schuld daran, daß derartige Arbeitselemente
die Stütze der neuen Industrie zu bilden hatten, lag zweifellos
auch auf Seiten der freien Bevölkerung, welche um keinen Preis
die Manufakturräume betreten wollte, die ihr als Inbegriff aller Laster
galten, häufig den ihnen zugeschriebenen Charakter auch wirklich
besaßen, da ja dieselben gewöhnlich mit Zwangsarbeitshäusern ver-
bunden waren; so daß ein Mangel an besseren Arbeitskräften sich
in der Tat fühlbar machte. Doch der Unternehmer sah es für sich
als vorteilhafter an, die Leute unter seiner eigenen Aufsicht und
Leitung arbeiten zu lassen, anstatt ihnen das Material nach Hause
zur Verarbeitung zu geben. Er konnte auf diese Weise an Mittels-
personen sparen, die jenes Material unter den Hausindustriellen
verteilten und das Produzierte einsammelten; er glaubte dadurch
auch die Unterschlagung des Rohstoffs, die in der Hausindustrie so
große Dimensionen angenommen hatte, einschränken zu können,
vielleicht ganz zu beseitigen. Unter diesen Umständen hatten die
Arbeiter keine Wahl mehr: wohl oder übel mußten sie sich dem
Wunsche des Unternehmers fügen, sie mußten, da derselbe ihnen
nach Hause keine Arbeit mehr geben wollte, ihre Wohnungen ver-
lassen, in die Stadt ziehen und dort in den dem Unternehmer ge-
hörigen Räumen die Arbeit vornehmen: sie mußten auch ihre Frauen
und Kinder in jene Werkstätten schicken.
So sehen wir denn neben Manufakturen mit Zwangsarbeitern
auch solche auftauchen, wo freie Bevölkerungselemente, wo erwachsene
Männer, zugleich aber auch minderwertige Arbeitskräfte, Frauen,
1) Levasseur, Histoire des classes ouvrières et de l’industrie avant 1789, Bd. 2,
S. 256. Reitzenstein, Schmollers Jahrbuch, Bd. 5, S. 561, 567.
2) Aschrott im Handwörterb. der Staatswiss., Bd. II (Armenwesen — Armengesetz-
gebung in England).
3) Pringsheim, Beiträge zur wirtsch. Entwickelungsgesch. d. vereinigten Nieder-
lande im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig 1890, S. 55.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 189
Knaben und Mädchen Beschäftigung finden. Im Jahre 1686 eröffnet
z. B. Abraham Valery eine Tuchfabrik (Manufaktur) in Halle, die im
nächsten Jahre über 50 Arbeiter und 300 Spinnerinnen beschäftigt !).
Die von Christian Zug zu Lichterwörth bei Wiener-Neustadt um 1750
gegründete Nähnadel- und Drahtzugsmanufaktur wurde vom Staate
unterstützt, „um diese Manufaktur, welche insonderheit der armen
Jugend viel Nahrung verschafft, emporzubringen“ ?). Johann Baptist
Falzorger, der um dieselbe Zeit eine Kreisflormanufaktur anlegte,
erbat sich von der österreichischen Regierung ein- für allemal für
jeden Jungen oder jedes Mädchen, die er anstellte, 25 fl. Remune-
ration. „Die Genehmigung erfolgte mit der Weisung, von Zeit zu
Zeit nachzusehen, daß Landeskinder männlichen oder weiblichen Ge-
schlechts, vorzüglich Weibspersonen, in die Lehre genommen und
wohl unterrichtet werden 3). Es wurde also gewerblicher Unterricht
mit der Arbeit für den Unternehmer verbunden. Insbesondere
wurde eine derartige Methode in der Spinnerei eingeführt, Spinn-
schulen mit Manufakturen verbunden, wie dies in Oesterreich sowohl
als in Baden‘) und in anderen deutschen Staaten der Fall war. In
der Spitzenfabrikation, die Colbert aus Venedig einführen ließ, wurden
Hunderte von Frauen in zentralisierten Manufakturen beschäftigt,
obwohl viele von ihnen die Werkstätten bald wieder verließen und
sich zurück aufs Land begaben 5). In der Strumpfstrickerei arbeiteten
Kinder von 10 Jahren in den Manufakturen ®) und Colbert versprach
den Eltern Belohnungen, wenn sie ihre Kinder in die Manufakturen
schicken wollten 7). In den Niederlanden wird die Frauen- und
Kinderarbeit in den Manufakturen seit den letzten Dezennien des
17. Jahrhunderts allgemein, und zwar arbeiteten Frauen auch in
schweren und ungesunden Gewerben, wie beim Salzsieden (der kgl.
preußische Bergrat Eversmann fand hier 1792 ausschließlich Weiber
beschäftigt), beim Lumpenzerreißen in Papierfabriken, in Ziegeleien 5).
In England finden wir schon in den ersten Manufakturen, die im
16. Jahrhundert vereinzelt verkommen, Frauen, junge Mädchen und
Kinder neben erwachsenen Männern arbeiten, wie z. B. in den be-
rühmten Werkstätten des Jacques de Newbury in Norwich 100 Frauen,
200 junge Mädchen und 150 Kinder beschäftigt worden sein sollen °).
Aus der späteren Zeit des Manufakturbetriebs sei die von Arthur
Young beschriebene Seidenmanufaktur in Sheffield angeführt, welche
152 Arbeiter zählte, darunter Frauen und Kinder °).
1) Stieda, Fabrik. Handwört. d. Staatswiss, 2. Aufl, Dd. 3, S. 778.
2) Beer, Gesch. d. ósterr. Volkswirtsch., I, S. 107.
3) Beer, Ibid., I, S. 117.
4) Gothein, S. 712 ff.
5) Levasseur, Hist. des classes ouvr. avant 1789, Bd. Il, p. 246—252.
6) Ibid., Bd. II, p. 212.
i 7) Farnam, Die innere französische Gewerbepolitik von Colbert bis Turgot. Leipzig
878, 8. 15.
8) Pringsheim, Beiträge zur wirtschaftlichen Entwickelungsgeschichte der ver-
einigten Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig 1890, S. 54—55.
9) Cunningham, The Growth of English Industrie and Commerce. T. I, p. 513
Dechesne, p. 30.
10) Toynbee, Chap. IV.
190 Josef Kulischer,
Wenn also eine zentralisierte Betriebsweise auch vor Einführung
der Maschinen vorhanden war, so bildeten doch außerhalb jener An-
stalten geschaffene Manufakturen im 17. und 18. Jahrhundert mehr
Ausnahmefälle. Die herrschende Betriebsform war Hausindustrie,
wo sowohl erwachsene Männer als Frauen und Kinder beschäftigt
wurden, und daneben eine auf Zwangsarbeit beruhende zentralisierte
Manufaktur. Erst mit dem Aufkommen der Maschinerie hat sich der
seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts begonnene Prozeß voll-
zogen, der auf die Verlegung der Produktion aus den Wohnhäusern
der Arbeiter in die dem Unternehmer gehörenden Werkstätten hinzielte.
Erst seit dieser Zeit hatte sich in der Tat die zentralisierte Betriebs-
weise Bahn gebrochen und der Arbeiter sich allmählich daran ge-
wöhnt, daß die Betriebsstätte außerhalb der Wohnung zu liegen hatte.
Es ist aber durchaus begreiflich, daß auch in die Fabriken, wie früher
in die wenigen Manufakturen, nicht bloß erwachsene Männer, sondern
auch Frauen und Kinder wanderten: es waren dieselben Arbeits-
kräfte, welche bisher in der Hausindustrie beschäftigt waren und
welche jetzt auch die unfreien Arbeitskräfte der Manufaktur zu er-
setzen hatten. Die Beschäftigung von Zwangsarbeitern, von Sträf-
lingen und Vagabunden, von Stummen und Irren seitens der Unter-
nehmer hatte nämlich allmählich aufgehört und an Stelle derselben
traten rechtlich freie Arbeiter, insbesondere aber ihre Frauen und
Kinder. Nur Waisenkinder wurden in England auch vom Fabrik-
system anfangs beibehalten, doch schon seit Anfang des 19. Jahr-
hunderts hört ihre Beschäftigung zum größten Teile auf. In der
Hausindustrie dagegen und zwar insbesondere in jenen Zweigen der-
selben, welche jetzt ebenso wie früher hausindustriell betrieben wurden,
hat sich diese Gewohnheit auch später erhalten.
Wenn wir also Frauen- und Kinderarbeit im Anfange des Fabrik-
wesens so zahlreich vertreten sehen, so war dies absolut, an und
für sich betrachtet, ein nicht zu verkennendes Uebel, im Verhältnis zu
den vorhergehenden Zuständen jedoch gar nichts Neues; nichts
Neues jedenfalls in wirtschaftlicher Beziehung, weil die Hausindustrie
dasselbe seit Jahrhunderten aufzuweisen hatte und weil im zentra-
lisierten Betrieb — denn die Fabrik war an Stelle beider Unter-
nehmungsformen getreten — bloß Zwangsarbeiter durch rechtlich
freie Arbeiter ersetzt waren. Daraus folgt aber, daß die Anwendung
minderwertiger Arbeitskräfte in den Fabriken eine zuschüssige Güter-
quantität im Verhältnis zu der bei der früheren Betriebsweise re-
sultierenden dem Unternehmer nicht zuführen konnte !).
1) Selbst die in ethisch-moralischer Hinsicht eingetretenen, insbesondere durch
Verlegung der Betriebsstätte aus dem Hause in die Fabrik hervorgerufenen Schäden
darf man nicht überschätzen. So wird z. B. oft angeführt, daß in den Schlafstätten
einiger Fabriken Nordenglands die Betten nicht kalt wurden, da, sobald die am Tage
arbeitenden Kinder dieselben verlassen, sie von den Kindern der Nachtschicht ein-
genommen wurden; oder daß nach diesen Fabriken des Nordens Tausende von Kindern
im Alter von 7—13 Jahren aus den Armenhäusern von London und Birmingham ge-
schiekt wurden, um nicht der Armenkasse zur Last zu fallen. Dabei sollte man aber
uicht vergessen, daß z. B. im Strumpfwirkergewerbe „die Ueberfüllung des Gewerbes
mit brotlosen ausgelernten Pfarrlehrlingen dieselben in den Jahren 1740—1750 — von
— m {nn
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses, 191
„Je genauer wir die Geschichte der Vergangenheit untersuchen
— konnte Macaulay mit Recht sagen — desto mehr Grund finden
wir, die Ansicht derer zu verwerfen, die unser Zeitalter für fruchtbar
an neuen sozialen Uebeln halten. Das, was neu ist, ist die Intelligenz,
die die Uebel entdeckt, und die Humanität, die sie heilt“ ). Wäh-
rend die Philanthropen des 18. Jahrhunderts für die Kinderarbeit
geschwärmt hatten, die großen Monarchen in der Förderung der-
selben das erstrebenswerteste Ziel gesehen, war das Streben der besten
Männer im 19. Jahrhundert auf die Einschränkung und Beseitigung
der Kinderarbeit gerichtet, sahen sich die Staaten genötigt, auf legis-
laivem Wege gegen dieselbe vorzugehen. Die öffentliche Meinung
hatte sich eben geändert, und dieser veränderten Anschauung ist
die Fabrikgesetzeebung zu verdanken, die bald nach Entstehen der
Fabrikindustrie ihren Anfang nahm.
Aus dem in diesem und den beiden vorhergehenden Kapiteln
Dargelegten ergibt sich, daß das Mehrprodukt, das sowohl aus er-
Maschinen war damals noch nicht die Rede — dem Hungertode nahe brachte, indem
(t nur ein Rock in einer Werkstätte vorhanden war, der von jedem abwechselnd ge-
tragen wurde, wenn er ihre Räume verließ“ (Felkin, History of the machine-wrought
Hosiery and Lace manufactures, London 1867, p. 82. Zitiert bei Brentano, Ueber die
Ursachen der heutigen sozialen Not, Leipzig 1889, S. 37, Anm. 12); daß in Frankreich
noch vor der Einführung von Maschinen, im 17. Jahrhundert, in Bezug auf die Be-
handlung der Findelkinder die traurigsten Mißbräuche bestanden: es wird berichtet,
daß dieselben für einen Taxpreis von 20 sous an Bettler, Gaukler, Wahrsager u. s. w.
verkauft zu werden pflegten, welche sie für ihre Zwecke abrichteten und nicht selten
verstimmelten, um sie für den Behuf des Almosensuchens mit Erfolg zu benutzen.
Als später das Hôpital des enfants trouvés zur öffentlichen Anstalt erhoben wurde,
wurden Kinder aus allen Landesteilen, Auvergne, Bretagne, Flandern, Lothringen u. s. w.
nach Paris transportiert, so daß ein großer Teil der Kinder entweder unterwegs starb
oder in einem Zustande ankam, der den Tod in den nächsten Tagen nach der Ankunft
zur Folge hatte.“ Unter Necker wurde dies dahin geändert, daß die Kinder bei Land-
leuten, Handwerkern, Kaufleuten gegen Entgelt untergebracht wurden, später, nach dem
Dekret von 1811, als Fabriken aufgekommen waren, auch den Fabrikanten zur Be-
schäftigung übergeben. (Reitzenstein, Die Armengesetzgebung Frankreichs. Schmollers
Jahrbuch, 1881, Bd. V, S. 603, 605, 609). Daß die in der ersten Periode des Fabrik-
wesens vorhandenen Schäden nur zum geringeren Teile durch die neue Betriebsweise
hervorgerufen waren, erhellt auch daraus, daß in jenen Produktionssphüren, wo auch
jetzt wie früher der hausindustrielle Betrieb herrschte (also keine Konkurrenz der
Fabrik mit der Hausindustrie stattfand), die Zustände nicht besser, sondern eher
schlechter waren. Die Aerzte geben zu (Enqueten der 20er und 30er Jahre), daß viele
englische Industrien, die nicht fabrikmäßig betrieben werden, wie Töpferei, Nadel-
erzeugung, Bergwerke weit gesundheitsschädlicher für jugendliche Arbeiter sind als die
fabrikmäßige GroBindustrie (Plener, Die englische Fahrikgesetzgebung, Wien 1871, S. 11,
Anm. 21. Auch später bieten die sog. freien Gewerbe, wo noch keine Fabrikgesetzgebung
vorhanden, „ein weit traurigeres Bild als die fabrikmäßig organisierte große Industrie und
die ungeregelte lange Kinderarbeit in ihnen wirkte wie eine Prämie für gewinnsüchtige
Eltern, welche es vorzogen, ihre Kinder im frühesten Alter in diesen Industrien zu be-
schäftigen und sie erst später in die großen Fabriken zu schicken“. In den Nagel-,
Nadel-, Spitzen-, Wirkwaren-, Tabakmanufakturen ete., wo nur Handarbeit vorhanden
war, begannen Kinder oft mit 4, 5, 6 und 7 Jahren zu arbeiten. Es war eben ganz
dasselbe, was wir noch im 17. und 18. Jahrhundert beobachtet hatten. Die Zustände
in der Hausindustrie hatten sich nicht geändert. Beim Aufkommen der Fabriken wurden sie
auch in dieselben mit herübergenommen, später jedoch durch die Gesetzgebung abgeschafft
(Plener, 8.25). Vergl. auch Plener, S. 55—60, 63, 67, 75, 77, 87—88 und Engels
Die Lage der arbeitenden Klasse in England. 2. Aufl. Stuttgart 1892. S. 191— 215.
1) Macaulay, History of England, Chap. 3.
192 Josef Kulischer, Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses.
wachsener männlicher Arbeit, wie aus Frauen- und Kinderarbeit
sowie anderer minderwertiger Arbeit resultierte, im 19. Jahrhundert
nicht größer war als in den vorhergehenden Jahrhunderten. Da aber
noch das andere Mehrprodukt hinzukam, das die Maschine dem Unter-
nehmer produzierte, so war trotzdem der Ueberschuß an Gütern,
den der Fabrikant erhielt, in dieser Periode viel größer als es früher
der Fall war. Jedoch wurde nicht die ganze Masse an Mehrprodukt,
welche schöpferische und ausführende Arbeit erzeugte, in Kapitalgewinn
verwandelt. Denn da jener Teil der vom ausführenden Arbeiter pro-
duziert wurde, bei allen Unternehmern in der Fabrik wie in der Haus-
industrie annähernd gleich war, so setzten schon die ersten Fabri-
kanten, um Hausindustrie und Manufaktur konkurrenzunfähig zu
machen und den Markt zu erobern, den Preis um soviel herab, daß
ein großer Teil des Mehrprodukts, so groß, als er in der Hausindustrie
und Manufaktur vom Lohnarbeiter produziert wurde, verloren ging, nicht
mehr wie zuvor den Mehrwert bildete. Sie begnügten sich mit dem
anderen Teile des erheblich gewachsenen Mehrprodukts, den sie auch
wirklich in Mehrwert verwandelten und der recht lange noch größer
war als der Mehrwert, der in den vorhergehenden Jahrhunderten aus-
schließlich vom Arbeiter herrührte. Dies hatte eben der bedeutende
Preisfall der Fabrikate zu bedeutent der schon kurz nach Einführung
der Maschinen zu verzeichnen war!); dadurch wurde aber zugleich der
hausındustrielle Verleger gezwungen, durch Lohnherabsetzung (wie
wir oben gesehen) das vom Arbeiter geschaffene Mehrprodukt zu ver-
größern, um wenigstens diesen Teil des vom Arbeiter stammenden
Mehrprodukts, der die vom Fabrikarbeiter geschaffene Quantität
Mehrprodukt überstieg, in Mehrwert verwandeln zu können; so daß
die Lage des Hausindustriellen Arbeiters sich schlimmer gestalten
mußte, als die des Fabrikarbeiters.
Trotzdem würde es gewagt sein zu behaupten, daß der Fabrikant
eben jenen Teil des Mehrprodukts dem Konsumenten in Form herab-
gesetzter Preise auszahlte, den der ausführende Arbeiter ihm lieferte,
und gerade den vom Erfinder geschaffenen für sich als Kapitalgewinn
behielt. Vielmehr wird man nur sagen können, daß der Uuternehmer
aus dem Mehrprodukt, das eine Mischung aus den beiden Arbeitsarten
darstellte, einen Teil dem Konsumenten übergab, der anfangs und
noch lange späterhin nur der Größe des von der ausführenden
Arbeit des Lohnarbeiters stammenden Mehrprodukts entsprach, die
Frage jedoch, ob es gerade dieses Mehrprodukt war oder nur der
Quantität nach ihm gleichkam, als eine nicht zu entscheidende dahin-
gestellt lassen. Und für die folgende Periode wird man jedenfalls
nur dann den Beweis erbracht haben, daß der Arbeiter den ganzen
von ihm produzierten Ertrag erhält, wenn zuvor klargelegt ist, daß
das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Arbeiter her-
rührende Mehrprodukt, ob es nun dem Unternehmer oder dem Kon-
sumenten zufiel, dem Arbeiter auch wirklich zurückgegeben ist.
1) Vergl. S. 164.
(Fortsetzung folgt.)
|
F
]
1
|]
Julius Wolf, Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 193
Nachdruck verboten.
IV.
Studien zur Fleischteuerung 1902/03.
Von
Julius Wolf (Breslau) !).
Inhalt: I. Einleitung (S. 193). II. Die bisherige Preisentwickelung auf dem
Flisehmarkt (S. 195). III. Die Bedeutung der Preissteigerung für den Haushalt der
Bevölkerung (S. 199). IV. Der Zwischenhandel (die Fleischer u. s. w.) und die Fleisch-
tenerung (S. 204). V. Die Grenzsperren und die Fleischteuerung (S. 211). VI. „Natür-
liche“ Faktoren (S. 216). VII. Die Vergleichbarkeit der Erscheinungen von 1902 mit
jenen von 1890 (S. 219). VIII. Die Aussichten der Zukunft (S. 223). — Anlagen:
l. Zur Geschichte der Fleischpreise in Deutschland im Vergleich mit österreichischen
Plätzen und mit England. II. Ueber die dem Konsumrückgang des Jahres 1902 vor-
angegangene Entwickelung des Fleischkonsums in Berlin im Vergleich mit der Konsum-
entwickelung in französischen Städten.
I. Einleitung.
Den Erscheinungen, die vermöge ihrer Erheblichkeit und der
kontroversen Deutung, welche sie erfuhren, die Aufmerksamkeit des
Volkswirts in letzter Zeit fesseln durften, gehört die sogenannte
„Fleischnot“ an. Von den wirtschaftlichen, wie von den politischen
Parteien, die in diesem oder jenem Sinne an der Fleischnot interessiert
sind, hat sich im Laufe der letzten Monate jede über sie geäußert,
1) Ich hatte mich in meiner Arbeit, die, nachdem ich mich bisher in einer An-
zahl Schriften ausschließlich auf dem Boden der Getreideproduktion, bezw. des Getreide-
marktes bewegt hatte, mich den Verhältnissen der Viehproduktion und des Vieh- und
Fleischmarktes näher bringen sollte, der Unterstützung einer Anzahl sachkundiger
Herren zu erfreuen. Die Herren Geh. Rat Prof. Dr. Bóckh und Dr. Meinerich
vom Statistischen Bureau der Stadt Berlin, weiters Hofrat Prof. Dr. v. Juraschek,
bei der K. K. Statistischen Zentralkommission in Wien, haben mir bei Sammlung
der statistischen Daten hilfreich zur Seite gestanden; meinem Kollegen Prof. Dr. Holde-
!leiss in Breslau, sowie Herren Oekonomierat Hausburg, früherem Direktor des
Berliner Vieh- und Schlachthofes, und Herrn Ludwig Messing in Wien, einem be-
nten österreichischen Fachmann, verdanke ich noch anderes Material. Auch der
„Bund der Landwirte“ war so freundlich, mir eine Anzahl von ihm veranlaßter und
anderweitiger Arbeiten über die Fleischteuerung zur Verfügung zu stellen. Ich muß
das umso dankbarer quittieren, als ich mir den Standpunkt des „Bundes“ in meiner
Schrift mehrfach nicht anzueignen vermochte.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 18
194 Julius Wolt,
jede dabei in anderem Sinne, und jede abweichend von der anderen
ebensowohl bei Feststellung des Tatbestands, wie der Momente,
welche ihn geschaffen haben sollen.
Als solche Parteien sind zu unterscheiden:
1) Vertreter des Produktionsinteresses, Vertreter der
Vieh produzierenden Stände, damit des offenen Landes, Agrarier;
2) Vertreter des Konsumtionsinteresses, d. h. hier
„Städtevertreter“, die Parteien links;
3) Vertreter des Zwischenhandelsinteresses, eine Gruppe
nicht politischen Charakters, die Fleischer.
Von seiten der Vertreter der viehzüchtenden Landwirtschaft
ist wiederholt die Erklärung abgegeben, es gebe keine Fleisch-
not, die Fleischnot sei im wesentlichen „Mache“, die Preis-
steigerungen erfolgen, um einen Druck auf die Regierung, in der
Richtung einer Aufhebung der Viehsperren, auszuüben; soweit ihnen
aber eine — an sich unbedeutende — Knappheit an Vieh zu Grunde
liege, seien sie durch natürliche Verhältnisse, die eine Beseitigung
durch keinerlei Gesetzgebung zulassen, herbeigeführt und durch die
Zwischenhändler, Fleischer, „Händlerringe“ wucherisch ausgebeutet.
Von den Vertretern des Konsumtionsinteresses wird demgegen-
über erklärt, die Fleischnot sei eine Kalamität allereinschnei-
dendster Art, mit der notwendigen Folge einer „Unterernährung“ des
Volkes. Zurückzuführen sei sie auf die nur zu offenbare „Not an Vieh“,
d. h. da die einheimische Landwirtschaft nicht Vieh genug zu liefern ver-
möge, auf die „Grenzsperren“. Die Fleischer, als dritte Partei,
nehmen Stellung näher zu den Vertretern des Konsumtionsinteresses,
schon darum, weil diese die Erhóhung, welche die Fleischpreise er-
fahren haben, nicht ihnen zuschieben, sondern durch die Erhóhung
des Viehpreises, die „Fleischnot“, vollauf gerechtfertigt erklären.
Aus diesem Streit der Meinungen ergibt sich als Aufgabe wissen-
schaftlicher Behandlung
1) die Feststellung des äußeren Tatbestandes, d. h. die Unter-
suchung, ob, eventuell in welchem Maße eine Fleischteuerung vor-
liegt, sowie anschließend daran
2) die Würdigung ihrer Bedeutung für den Lebenshaushalt des
Volkes; sodann
3) die Frage nach den Ursachen, ob nämlich, wie von der einen
Seite behauptet, der Zwischenhandel schuld an ihr trägt, oder, wie
von der anderen Seite ausgesprochen,
4) die „Grenzsperren“, oder
5) die sogenannten „natürlichen“ Verhältnisse.
Das hier gewonnene Resultat kann auch die Möglichkeit ergeben
6) eine Prognose für die nächste Zukunft zu stellen und
7) wenn diese unbefriedigend, Fingerzeige liefern mit Bezug auf
die Mittel, die zur Behebung des etwa nachgewiesenen Notstandes
vorhanden sind. |
Auch die kürzlich im Reichstag eingebrachten Interpellationen
— _
ne
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 195
(Albrecht und Genossen und Müller [Sagan]-Barth) fragen diesen
Mitteln nach. Die erste lautet:
„Welche Maßregeln gedenkt der Herr Reichskanzler zu ergreifen,
um der Steigerung der Fleischpreise, die seit geraumer Zeit ein-
getreten ist und in steigendem Maße eine Kalamität für immer
weitere Schichten der Bevölkerung wird, entgegenzuwirken ?“
Und die zweite:
„Welche Maßnahmen gedenkt der Herr Reichskanzler bezw. die ver-
bündeten Regierungen angesichts der herrschenden Fleischteuerung
zu treffen, insbesondere in Bezug auf die Grenzsperre und die
schleunige Beseitigung oder Herabsetzung von Futtermittelzöllen ?*
II. Die bisherige Preisentwickelung auf dem
Fleischmarkt
Die folgende Untersuchung wird sich nicht auf alle Fleischarten
erstrecken, vielmehr sich auf die Darstellung der Entwickelung des
Rind- und Schweinefleischpreises beschränken, ganz besonderes Ge-
wicht aber auf letzteren legen, darum, weil Schweinefleisch 1) die
bevorzugte Fleischnahrung der minder bemittelten Klassen bildet 1),
2) über Fleischnot bezw. Fleischteuerung vornehmlich beim Schweine-
feisch geklagt wird.
Nach Daten, welche das Preußische Statistische Bureau letzthin
geliefert hat, ist der Durchschnittspreis pro Kilogramm Schweine-
fleisch in Mark und Pfennigen gewesen:
im Durchschnitt im Jahre im August
1892—1901 1901 1902
im Mittel 23 preußischer Städte 1,33 1,41 1,52
in Berlin 1,33 1,42 1,51
Es geht aus diesen Daten zunächst die bemerkenswerte Tatsache
hervor, daß.der Berliner Preis für Schweinefleisch, auf längere
Zeitperioden berechnet, mit dem durchschnittlichen in Preußen
zusammenfällt.
1) Im Königreich Sachsen hat der verhältnismäßige Verbrauch je von Rind- und
Schweinefleisch folgende Entwickelung genommen:
Der Verbrauch betrug in Kilogramm pro Kopf
Rindfleisch Schweinefleisch Rindfleisch Schweinefleisch
1850 7,1 11,8 1880 11,1 18,1
1860 9,0 13,2 1890 14,0 20,6
1870 9,0 13,6 1900 15,2 27,9
Vom Verbrauch an Rind- und Schweinefleich zusammen entfielen also bereits 1850
62 Proz., 1900 65 Proz., also fast ?/, auf Schweinefleisch. Aehnlich werden die Verhält-
nisse im übrigen Deutschland liegen. Vgl. die Bemerkung O. Gerlachs in seinem Ar-
tikel „Fleischkonsum und Fleichpreise“ im Handwörterb. d. Staatswissensch., 2. Aufl.,
Bd. 3, p. 1101: „In der geschichtlichen Entwickelung des deutschen Konsums zeigt
sich eine erhebliche Zunahme in der Bedeutung des Schweinefleichverbrauches auf Kosten
des Hammelfleisches, teilweise auch auf Kosten des Kaibfleisches und des Rindfleisches.“
Uebrigens ist das nur eine Rückkehr zu früheren Konsumgewohnheiten. Im Mittelalter
war das frische Schweinefleisch noch eine beliebte Speise bei den Vornehmen, nur all-
mählich wurde es mehr zu Rauchware benutzt und von frischem Rind- und Schaf-
fleisch verdrängt (Kraffts Landwirtschaftslexikon, 3. Aufl., S. 746).
13*
196 Julius Wolf,
Dabei ist aber der Preis über Preußen hin nichts weniger als
ausgeglichen. Paderborn hatte im August 1902 einen Preis für
Schweinefleisch von 1,25 M. also 27 Pfg. unter dem Durchschnitt.
Aachen einen von 1,80 M., also 28 Pfg. über dem Durchschnitt.
Das waren von den überhaupt nachgewiesenen Plätzen die des
niedrigsten und höchsten Preises. Allerdings ist die Vergleichbarkeit
von Markt zu Markt notorisch nur eine bedingte, angesichts der
verschiedenen Fleischqualitäten und der verschiedenen Methoden,
nach denen Ermittelung der Durchschnitte erfolgt.
Die Steigerung des Schweinefleischpreises war nach den oben
mitgeteilten Daten für Preußen von 1892/1901 auf August 1902 19 Pig.
pro Kilogramm, gleich 14,3 Proz. Indes ist diese Verhältniszahl von
zweifelhafter Brauchbarkeit angesichts des Umstandes, daß das Jahr
1901, welches in die Durchschnittsberechnung 1892/1901 eingeschlossen
ist, bereits ein Jahr höherer als normaler Preise war, nämlich mit ihm
die gegenwärtige Preissteigerung, die durch die Verhältniszahl erst
beleuchtet werden soll, begann. Ein untadelhafteres Bild gibt die
folgende Ziffernreihe, den Berliner Preis betr effend, deren Angaben
für die Zeit bis 1901 dem Statistischen Jahrbuch deutscher Städte
übereinstimmend mit den Angaben des Berliner Polizeipräsidiums
und für 1902 den monatlich veröffentlichten Zusammenstellungen des
Statistischen Amts der Stadt Berlin entnommen sind.
Der Kleinverkaufspreis von Schweinefleisch ist in Berlin in Mark
pro Kilogramm gewesen:
1879 1,20 1884 1,20 1889 1,30
1880 1,23 1885 1,21 1890 1,44
1881 1,20 1586 1,31 1891 r,36
1882 1,20 1887 1,20 1892 1,37
1883 1,21 1888 1,16 (niedrigster Preis) 1893 1,32
1804 1,99 1900 1,34
1895 1,25 1901 1,43
1896 1,28 Aug. 1902 1,51
1897 1,30 Sept. 1902 1,57 (höchster Preis)!)
1898 1,40 Dez. 1902 1,55
1899 1,36 1902 ea. 1,52°)
Jan. 1903 1,55°)
Diesen Daten ist zu entnehmen, daß der Preisstand in der Tat
im zweiten Halbjahr 1902 ein hoher war und heute noch ist. Gegen
den 10-jährigen Zeitraum 1879/88, während dessen der Preis bei einem
Durchschnitt von 1,22 M., überaus geringen Schwankungen unterlag,
so daß man annehmen darf, daß ihm während dieser Jahre ver-
gleichsweise „normale“ Verhältnisse zu Grunde lagen, bedeutet der
Preis des September 1902 eine Steigerung um 35 Pfg., gleich rund
30 Proz.
Legt man aber nicht den Preis des Jahrzehnts 1879/88, sondern
den des näheren 1889/98 der Ver gleichung zu Grunde, was sich unter
1) Nach der „Stat. Correspondenz“ 1,55.
2) Nach der „Stat. Correspondenz“ 1,50.
3) Nach der „Stat. Correspondenz''.
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 197
dem anderen Gesichtspunkte empfehlen mag, daß das frühere Jahr-
zehnt 1879/88 noch unter der Herrschaft anderer legislativer Normen
stand als dieses spätere, so daß die Vergleichbarkeit mit den Preisen
von heute eine beschränkte ist, so ergibt sich bei einem Durch-
schnittspreis in 1889/98 von 1,32 M. eine Steigerung um 25 Pfg.
gleich 20 Proz.
Das ist auch ziemlich die Verhältniszahl, die sich bei einem
Vergleich des Septemberpreises 1902 mit dem Preis nur von 1900
ergibt, ein Vergleich, der dem Publikum näher liegt, als der mit
einer ganzen und in ihren ersten Jahren bereits der Vergessenheit
anheimgefallenen Dekade. Der mittlere Preis des Jahres 1900 ist
nämlich, wie vorhin ausgewiesen, 1,34 M. gewesen und differiert
damit nur um ein geringes von den 1,32 M. Durchschnittspreis des
Jahrzehnts 1889/98. Auch der Preissprung von 1900 zum September
1902 ist also rund 20 Proz.
Das gilt vom Schweinefleisch.
Neben der Preisentwickelung des Schweinefleisches soll die des
Rindfleisches Gegenstand der Untersuchung sein. Der Preis von
Rindfleisch in Berlin ist Mark pro Kilogramm gewesen:
Keule Bauch Keule Bauch Keule Bauch
1879 1,34 1,10 1884 1,25 1,10 1889 1,23 1,05
1880 1,35 1,10 1885 1,25 1,09 1890 1,36 1,15
1881 1,29 1,08 1886 1,23 1,08 1891 1,41 1,17
1882 1,26 1,11 1887 1,22 1,00 1892 1,39 1,17
1883 1,25 1,10 1888 1,21 1,00 1893 1,39 1,11
Keule Bauch Keule Bauch
1894 1,40 1,10 1899 1,40 1,09
1895 1,39 1,07 1900 1,40 1,11
1896 1,38 1,06 1901 1,44 1,14
1897 1,36 1,11 Sept. 1902 1,58 1,27
1898 1,40 1,11 Dez. 1902 1,57 1,26 ^
Die Ziffern pro September 1902 sind móglicherweise nach dem
Maßstabe der den anderen Preisen zu Grunde liegenden Qualitäten
und Berechnungen um 1 bis 3 Pfg. zu hoch angesetzt!. Unter
Berücksichtigung dessen ergibt sich summarisch mit Bezug auf die
Entwiekelung des Rindfleischpreises folgendes Bild. Der Durch-
schnittspreis war in Mark pro Kilogramm:
für Keule für Bauch
1879/88 1,28 1,08
1889/98 1,37 1,10
gegen September 1902 1,58 1,27
Der Preis des September 1902 stellt sonach eine Erhöhung dar:
für Keule für Bauch
gegen 1879/88 um 24 Proz. um 18 Proz.
gegen 1889/98 um 15 Proz. um 15 Proz.
1) Die „Statist. Correspondenz“ nennt gemeinhin niedrigere Preise, so für Sept.
1902 1,50 und 1,33, für Dez. 1902 1,50 und 1,20. Den Durchschnitt 1902 setzt sie
mit 1,45 und 1,23 an, und Januar 1903 hat nach ihr auch hier den gleichen
Preis wieder vorangegangene Dezember.
198 Julius Wolf,
Auch bei Rindfleisch ist der Preis des Jahres 1900 ziemlich
der des Jahrzehntes 1889/98 gewesen, nämlich 1,40 und 1,11 M.
gegen 1,37 und 1,10 M. Auch hier haben darum die Verhältnis-
ziffern, die mit Bezug auf den September 1902 gegen 1889/98 ge-
funden worden sind, ohne weiteres, d. h. ohne daß der Fehler ein
irgend erheblicher würde, für das Verhältnis des September 1902 zum
Jahr 1900 Geltung.
Für Schweine- und Rindfleisch ist also eine Teuerung um 20
bezw. 15 Proz. festgestellt). Die Frage ist nun, ob diese Er-
höhung des Preises als eine exorbitante zu gelten hat
oder nicht. Als exorbitant, als „enorm“, wird sie in der Regel
auf Seite der das Konsuminteresse vertretenden Parteien bezeichnet.
Dem steht indes gegenüber, daß ähnliche Preisentwickelungen
und Preissprünge auch früher des öfteren vorgekommen sind; um
von weiter zurückliegenden Perioden nicht zu reden, auch während
der letzten 15 Jahre zweimal, nämlich von 1888 auf 1890 und von
1896 auf 1898. Von 1583 auf 1890 stieg der Preis von Schweine-
tleisch von 1,16 auf 1,44 M., d. h. um 28 Pfg., gleich rund 24 Proz.,
und von 1896 auf 1898 von 1,20 auf 1,40 M., d. h. um 20 Pfg.,
gleich nahezu 17 Proz. Die Preissteigerung bei Schwein e-
fleisch von 1888 auf 1890 ist also noch wesentlich
größer gewesen als heute. Bei Rindfleisch (Keule und Bauch)
war die Preissteigerung von 1888 auf 1890 15 Pfg., d. i. 12,5 und
15 Proz. gegen 15 Proz. für beide Sorten in letzter Zeit.
Diese Steigerungsraten ergeben sich bei einem Vergleich von
Jahr zu Jahr. Bei Feststellung der gegenwürtigen Preissteigerung
wurde jedoch nicht das Jahr 1902 dem Jahr 1900 und dem Dezen-
nium 1889/98 gegenüber gestellt, sondern der September 1902.
Wollte man das ,Jahr* 1902 mit dem Jahr 1900 vergleichen, so
würde die Preissteigerung sich als wesentlich kleiner erweisen, da
die Preise der letzten Monate des Jahres 1902 ,exzeptionelle* ge-
wesen sind, d. h. die erste Jahreshälfte niedrigere Preise hatte.
Wenn nach dem zuletzt Gesagten also der Preissprung heute
sicher nicht als unerhórt bezeichnet werden kann, so ist auf der
anderen Seite doch auszusprechen, daß der Preis, der für Schweine-
und Rindfleisch heute bezahlt wird, nicht zurücksteht hinter den
hóchsten bisher seit Jahrhundertsfrist im Kónigreich und
in Berlin gezahlten Preisen.
Die höchsten Preise in Berlin bisher haben 1889 und 1890 ge-
habt. In den Monaten Juli bis November 1890 war nach vom Kgl.
Preuß. Statistischen Bureau erhobenen Daten der Höchstpreis von
Rind-.und von Schweinefleisch 1,80 M. pro kg. Die gleiche Höhe
hatte er bei Rindfleisch vom Juli, bei Schweinefleisch vom August
1902 an. Jedoch war gleichzeitig der niedrigste Preis von Schweine-
1) In Süddeutschland ist sie geringer: Nach den Erhebungen der offiziellen
bayrisehen Enquete in der Zeit 1900 bis August 1902 für Bayern bei Rindfleisch nur
3, bei Schweinefleisch knapp 14 Proz.
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 199
fleisch in den erwähnten und anderen Monaten des Jahres 1902 mit
1,30 M., etwas höher als der (sich auf 1,20 M. beziffernde) in 1890.
Durchschnittlich war also der Preis in 1902 höher als
in 1890 und damit der höchste bisher überhaupt er-
lebte.
Die genaueren Daten 1902 gegen 1890 und 1889 sind:
1889 1890
Rindfleisch | Schweinefl. | Rindfleisch | Schweinefl.
1902
Rindfleisch | Schweinefl.
D
Monat. keet. | niedr. höchst. | niedr. |höchst. | niedr. höchst. | niedr. [höchst, |niedr. !höchst.| niedr.
Pig. pro kg | Pfg. pro kg | Pfg. pro kg | Pfg. pro kg | Pfg. pro kg | Pfg. pro kg
Jan. | 140 80 140 90 150 90 | 180 120 | 170 | roo 170 | 130
Feb, | 140 80 140 90 150 90 | 180 120 | 160 100 | 170 | 130
März | 140 80 140 90 150 80 | 160 120 | 160 100 | 170 | 130
April | 140 80 140 90 160 80 | 160 120 | 160 100 | 170 | 130
Ma 140 80 160 | 100 160 90 | 170 Ilo | 160 100 | 160 | 130
Jui | 150 80 160 | 100 160 90 | 160 110 | 160 100 | 160 | 120
Juli | 150 80 160 | 100 180 100 | 180 120 | 180 100 | 160 | 120
Aug. | 160 | oo 180 | 100 180 100 | 180 | 120 | 180 100 | 180 | 130
Sept. | 150 90 180 | 100 180 100 | 180 120 | 180 | 110 | 180 | 130
Okt. | 150 80 180 | 120 180 100 | 180 120 | 180 110 | 180 | 130
Nov. | 150 80 | 180 | 120 180 100 | 180 120 | 180 110 | 180 | 130
Dez, | 150 90 | 180 | 120 160 110 | 160 Hol 180 110 | 180 | 130
Für größere Zeiträume zusammengefaßt und bei Berücksichtigung
der weiter zurückliegenden Perioden gewährt die Entwickelung des
Rind- und Schweinefleischpreises folgendes Bild !):
für Berlin
Rindfleisch Schweinefleisch
M. pro Kilogramm
1821—1830 0,61 0,56
1831—1840 0,64 0,66
1841—1850 0,71 0,79
1851—1860 0,85 1,06
1861—1870 1,00 1,08
1871—1880 1,25 1,27
1881—1890 1,17 1,24
1891—1900 1,25 13,2
September 1902 1,43 1,57
Durchschnitt 1902 ca. 1,38 ca. 1,52
Il. Die Bedeutung der Preissteigerung für den
Haushalt der Bevölkerung.
Die Teuerung des Fleisches bedeutet für weite Kreise eine Herab-
setzung des „standard of life“. Jedoch ist nicht zu übersehen, daß
1) Für die Würdigung der Preisentwickelung durch längere Zeit hin ist nicht
außer acht zu lassen, daß die Qualität des Fleisches im Laufe des Jahrhunderts zweifel-
ls eine nicht geringe Besserung erfahren hat. Was beispielsweise der österreichische
Fachmann Ludwig Messing in: „Die Wiener Fleischfrage mit Ausblicken auf Pro-
duktion, Gewerbe- und Konsumverhältnisse“, Wien 1899, S. 44 für österreichische und
ungarische Verhältnisse feststellt: „Was die Höchstpreise für Qualitätsware betrifft, so
Sind dieselben seit Anfang der 70er Jahre derart hinaufgerückt, daß sie weit über den
Höchstnotierungen in der Zeit von 1848 bis 1870 stehen. Das erklärt sich aber damit,
200 Julius Wolf,
die Schuld an einer etwa statistisch nachweisbaren Verminderung des
Fleischkonsums, wie die Umstände liegen, nicht der höhere Fleisch-
preis allein, ja vielleicht nicht einmal vorwiegend trägt, sondern der
Rückgang ebensosehr durch die allgemeine wirtschaftliche Konjunktur
verschuldet sein kann.
Um von den Berliner Daten wieder auszugehen, so sind hier
in den ersten 9 Monaten 1902 gegen die gleiche Zeit des Vorjahres
geschlachtet worden:
1902 1901 Minus
Rinder 122 600 138 400 II Proz.
Schweine 122 600 128 800 [ET
Kälber 561 200 606 300 SENT
Im Oktober 1902 gegen 1901 waren die Schlachtungen des
städtischen Schlachthofes Berlin:
1902 1901 Minus
Rinder 13 170 17 870 26 Proz.
Kälber 10 660 12 185 IX ji
Schweine 69 120 69 510 —
Die zuletzt mitgeteilten Daten zeigen, im Zusammenhalt mit
den früheren, daß den Ziffern eines Monats, entgegen der geläufigen
Annahme, mit Bezug auf das Maß der eingetretenen Konsumver-
minderung nichts irgend Zuverlässiges entnommen werden kann.
Sie sind Zufälligkeiten verschiedener Art viel zu sehr unterworfen,
um Schlüsse zu gestatten. Anders steht es um Ziffern, wie die an
erster Stelle mitgeteilten, die sich auf ?/, Jahre beziehen. Sie be-
sagen, daß die Zahl der Schlachtungen in Berlin sich von 1901 auf
1902 bei Rindern um 11 Proz., bei Schweinen um 8 Proz. ver-
mindert hat.
Durchschnittlich kann wohl ausgesprochen werden, daß das Jahr
1902 gegen 1901 einen Rückgang der Schlachtungen um 10—12 Proz.
oder etwas mehr gebracht hat. Eine vor einigen Monaten bei 80
deutschen Schlachthöfen stattgefundene Umfrage hat ergeben, daß
im ersten Halbjahre 1902 die Schweineschlachtungen um 11!|, Proz.
zurückgegangen sind. Der Rückgang außerhalb Berlins scheint also
größer gewesen zu sein, als der in Berlin !).
Es liegt nahe, aus diesen Ziffern der Schlachtungen ohne
weiteres das Minus des Konsums von Fleisch zu berechnen. Dabei
daß die Qualität des auf den Wiener Viehmarkt gelangenden Mastviehes sich während
der beiden letzten Jahrzehnte bedeutend gehoben hat. Die Mastweise ist eine ungleich
rationellere geworden‘, gilt zweifellos ganz ebenso für Deutschland.
1) Aus Bayern teilt der (seitdem bekannt gewordene) Enquetebericht folgende
Ziffern mit. In den Schlachthäusern von 20 größeren Städten des Landes wurden im
monatlichen Durchschnitt geschlachtet:
Rinder Schweine
1901 16 371 50 797
1902 16 151 45 703
Das würde einen Rückgang bei den Rindern bloß um etwas über 1 Proz., bei
Schweinen um rund 10 Proz. bedeuten. Bis in welche Monate des Jahres 1902 hinein
der Monatsdurchschnitt ermittelt ist, wird nicht gesagt.
ER
Studien zur Fleischteuerung 1902/03, 201
würde aber übersehen 1) daß das Durchschnittsgewicht der Tiere
in verschiedenen Jahren ein verschiedenes ist, 2) daß neben den
Schlachtungen die Zu (und Ab-)fuhr von geschlachtetem Fleisch
in Betracht kommt. Das Durchschnittsgewicht der geschlachteten
Tiere ist 1902 nach allgemeiner Aussage geringer als 1901 ge-
wesen, die Fleischzufuhr, auch abgesehen vom Grenzverkehr (der
große Mengen nach Deutschland herein gebracht zu haben scheint),
größer als 1901. Es ergibt sich daraus, daß diese beiden Momente
bis zu gewissem Grade einander kompensierten. Es ist aber sicher,
daß der aus dem Mindergewicht sich ergebende Ausfall an Fleisch
größer war, als das Plus der Fleischeinfuhr.
Durchschnittlich ist das Schlachtgewicht der Rinder in Berlin in
den letzten Jahren 235 kg und das der Schweine 80 kg gewesen.
Diese Ziffern bedeuten einen Rückgang gegen frühere Jahre. So
war 1886, allerdings in einem Vorzugsjahre,. das Durchschnittsgewicht
288 bezw. 100 kg. Für 1902 ist ein Rückgang auch gegen die letzten
Jahre konstatiert, dessen Maß aber nicht bekannt ist. Dasselbe auf
5—10 Proz. angesetzt, würde den Schluß auf einen Rückgang des
Konsums um ungefähr 15—20 Proz. gestatten !).
Das wäre der Rückgang des Gesamtkonsums. Da die Be-
völkerung gewachsen ist, ist der Konsum pro Kopf noch stärker
gesunken. Man wird der Wirklichkeit nahe kommen, wenn man
den Konsumrückgang pro Kopf rundweg mit 20 Proz.
beziffert.
Nun wurde aber schon oben bemerkt, daß dieser Rückgang nicht
als durch die Fleischteuerung allein verschuldet gelten kann. Daß
wird auch durch Erfahrungen aus früherer Zeit bestätigt. Als von
1896 auf 1898 mindestens für Schweinefleisch eine verhältnis-
mäßig nicht geringere Preissteigerung eintrat als die heutige,
wurde der Fleischkonsum dadurch fast nicht affiziert. Der
Fleischkonsum pro Kopf war in Berlin im Normaljahr 1896
165/, im Teuerungsjahr 1898 75 kg. Das war ein Rückgang um
nur etwas über 2 Proz., und im folgenden Jahre war der Konsum,
trotzdem der Schweinefleischpreis sich nur unwesentlich ermäßigt
hatte (von 1,10 M. auf 1,36 M.), schon wieder 76?/, kg. Jene
Teuerung des Schweinefleisches fiel in eine Zeit günstiger wirtschaft-
1) In Amerika hat — unter, wie man sehen wird, ähnlichen Verhältnissen wie in
Deutschland — das Schlachtgewicht von Rindvieh eine Herabsetzung im Ausmaße der
folgenden Ziffern erfahren (nach Fred. C. Croxton, Beef Prices, im Bulletin of the
Department of Labor, No. 41, July 1902).
Das mittlere Gewicht des in Chieago aufgetriebenen Rindviehs war in Pfunden:
Jan. Febr. März April Mai Juni
1900 1097 1104 1096 1088 1061 1068
1901 1096 (os 108r 1041 1036 1000
1902 1014 1007 1005 940 957 964
Das wäre ein Rückgang, speziell von 1901 auf 1902 im April, wo die Differenz
am größten, von fast 10, im Juni, wo sie am geringsten war, von 3,6 Proz. Ich führe
diese Ziffern nur beiläufig an, ohne ihnen selbstverständlich, trotz der vorhin hervor-
gehobenen Verwandtschaft der Verhältnisse, unmittelbar Beweiskruft für Deutschland zu-
erkennen zu wollen.
202 Julius Wolf,
licher Konjunktur (und allerdings auch günstiger Verhältnisse auf
dem Rindfleischmarkte; hier war eine Teuerung nicht eingetreten !).
Die heutige Teuerung fällt in eine Zeit ungünstiger Konjunktur,
Es leidet keinen Zweifel, daß auf Rechnung dieser ein wesentlicher
Teil des Rückgangs kommt. Genaueres darüber, inwieweit die
Steigerung des Preises, inwieweit wirtschaftliche Depression an dem
Rückgang des Konsums beteiligt ist, läßt sich selbstredend nicht
sagen.
Bei Würdigung des Rückganges des Konsums ist jedoch nicht zu
vergessen,
1) daß ihm Jahrzehnte hindurch eine Steigerung vorangegangen ist,
2) daß speziell das Jahr 1901, mit welchem der Vergleich hier
erfolgt, ein Jahr bemerkenswert hohen Konsums war,
3) ein gewisser, wenn auch inhaltlich nicht gleichwertiger Ersatz
von Fleisch temporär möglich ist, wenn der Preis der Ersatzstofie
gleichzeitig eine Herabsetzung erfährt.
Genauere Feststellungen mit Bezug auf die Entwickelung des
Konsums durch die Jahrzehnte hin ermöglicht die sächsische Schlacht-
steuer für den Bereich des Königreichs. Es darf angenommen werden,
daß die Entwickelung in Deutschland jener in Sachsen ähnlich
war, so daß die sächsischen Ziffern eine allgemeinere Verwendung
gestatten, wenn auch mit den naturgemäßen Vorbehalten, die sich
daraus ergeben, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung immer er-
heblich weniger Fleisch als die industrielle konsumiert, und die
absolute Ziffer des Verbrauchs in Deutschland also viel ge-
ringer ist, als die des industriellen Sachsen. In Sachsen hat der
jährliche Verbrauch von Rind- und Schweinefleisch betragen:
insgesamt pro Kopf
im Durchschnitt Millionen kg kg
1835/44 26,7 15,8
1845/54 32,0 16,8
1855/64 45,3 20,9
1865/74 62,6 25,0
1875/84 87,5 29,8
1885/94 118,9 34.6
1895 139,9 37,2
1896 155,7 40,6
1897 159,8 40,7
1898 163,4 40,9
1899 176,0 43,8
1900 179,7 43,1
Der Fleischkonsum ist also während des letzten halben Jahr-
hunderts in ständiger Steigerung begriffen gewesen, und binnen
40 Jahren hat er sich mehr als verdoppelt. Daß diese Erscheinung
aber nicht bloß für Sachsen, sondern auch für Deutschland Geltung
hat, geht unter anderem aus den Berechnungen Huckerts über den
Fleischkonsum im Deutschen Reiche (Zeitschr. f. Sozialwissenschaft,
III.) hervor. Danach hätte von 1873—1892 der Fleischkonsum pro
Kopf in Deutschland sich um 43 Proz. gehoben. Ganz besonders
stark ist in Sachsen die Steigerung in der allerletzten Zeit gewesen.
ne
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 203
Nachdem ein halbes Jahrhundert hindurch das jährliche
: Verbrauchsmehr pro Kopf nicht über */,,—!/, kg betragen hatte,
war zuletzt das des Jahrfünfts 1895/99 mehr als 1 kg. Es ist klar,
daß unter solchen Umständen eine zeitweilige Reduktion des Fleisch-
konsums eher ertragen werden kann und anders zu beurteilen ist,
als wenn der Zeit der Reduktion etwa ein Stillstand des Konsums
vorangegangen wäre.
1900, stellenweise auch 1901, waren Jahre exzeptionell hohen
Konsums, wie auch die Ziffern des Auftriebs auf die Schlachthöfe
aus ganz Deutschland zeigen. Der Auftrieb auf 22 der größten
Schlachthöfe ist nämlich gewesen:
Rinder Schweine
1892 469 000 1 574 000
1895 531 000 2 047 000
1898 591 000 2 179 000
1899 616 000 2 483 000
1900 660 000 2 776 000
1901 675 000 2 541 000
Von 1898 auf 1901 war also eine Vermehrung der Schlachtungen
bei Rindern um 14 Proz. eingetreten, bei Schweinen um über 16 Proz.
Mit dieser Steigerung des Verbrauchs ist der Rückgang, den der
Konsum im Jahre 1902 gegen 1901 erfahren hat, zu vergleichen.
Noch wurde darauf hingewiesen, daß eine Fleischteuerung bezw.
die mit ihr zusammenhängende Einschränkung des Fleischkonsums
bei niedrigerem Preisstand der anderen Nahrungsmittel minder
ungünstig beurteilt zu werden vermag. Ein solcher niedrigerer Preis-
stand der anderen Nahrungsmittel ist jedoch mit Ausnahme der
Kartoffel nicht nachzuweisen.
Man bezahlte in Berlin
Durchschnitt Durchschnitt Durchschnitt
1900 1901 1902
für Roggenbrot pro kg. Pf. 24,0 24,2 24.2
» Weizenbrot ,, jv VW 41,8 41,4 41,7
» Kartoffeln ,, 100 ,, M. 5,96 6,01 5,29
„ Butter a "Ha 4e 28 1,17 1,19 1,6
Es ist also nicht zu verkennen, daß die Fleischteuerung
eine Beeinträchtigurg der Lebenshaltung des deutschen
Volkes nach sich gezogen hat. Der Jahreskonsum an Fleisch
pro Kopf der Bevülkerung wurde für 1900 auf 33,7 kg berechnet (vgl.
„Ueber die Fleischversorgung des deutschen Volkes“, herausgegeben
vom Verein zur Wahrung der gemeinsamen Interessen des deutschen
Handels und der Industrie von Fleisch- und Fettwaren). Das ergibt
pro Tag und Kopf einen durchschnittlichen Verbrauch von noch nicht
100 Gramm und bei einem Preise gegenwärtig von rund 150 Pfg.
pro Kilogramm eine durchschnittliche Tagesausgabe für Fleisch von
knapp 15 Pfg. Vor Eintritt der Teuerung waren die Kosten der
gleichen Fleischmenge bei einem Preise von 130 Pfg. pro Kilogramm
13 Dis, das Plus der Ausgabe wäre also unter Zugrundelegung des
Verbrauchs von 1901 pro Kopf 2 Pfg. täglich und für die Familie
von 5 Köpfen 10 Pfg. Auf das Jahr berechnet sich die Mehraus-
204 Julius Wolf,
gabe der Familie auf 34 M., und zur Abwendung dieser Mehrausgabe
bedarf es eines jährlichen Minderkonsums in der Familie von 22?/, kg
(oder etwas über 4 kg pro Kopf), d. h. einer Einschrünkung des
Konsums um (än, Proz. Diese Ziffer bezeichnet also die Einbuße,
welche die Bevólkerung in ihrem Lebensstande durch die Erhóhung
des Fleischpreises erfährt, wenn der gegenwärtige hohe Preis ein
Jahr hindurch festgehalten werden sollte.
Für die individuelle Würdigung auch dieser Ziffern ist übrigens
nicht außer acht zu lassen, daß der Fleischkonsum in den Städten
betrüchtlich hóher, auf dem Lande entsprechend niedriger als im
Durchschnitt ist. So ist der Fleischkonsum in Berlin pro Kopf zu-
letzt für 1899 auf 76,64 berechnet zu einer Zeit, wo der Reichs-
durchschnitt nahe an 34 kg war.
IV. Der Zwischenhandel und die Fleischteuerung.
Wie schon eingangs erwühnt, werden die Gründe der Teuerung
von den verschiedenen Seiten sehr verschieden beurteilt, dieselben
teils im Zwischenhandel, teils in den Grenzsperren, teils in „natür-
lichen“ Verhältnissen gefunden. Die Vertreter des Produktions-
interesses sehen den Zwischenhandel und natürliche Verhältnisse als
Schuldige an.
Den Zwischenhandel betreffend ist demgegenüber zu konstatieren,
daß Untersuchungen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte öfter an-
gestellt worden sind, regelmäßig zu Ergebnissen geführt haben, die
eine solche preisverteuernde Wirkung des Zwischenhandels, mindestens
insoweit der Fleischer in Betracht kommt, nicht wahrscheinlich machen.
Es wurde festgestellt 1) daß der Fleischpreis im ganzen und großen
den Viehpreisen folgt, 2) daß allerdings bei sinkenden Viehpreisen
der Fleischpreis nur zögernd herabgesetzt wird, viel-
leicht bei einer Aufwärtsbewegung des Viehpreises diesem rascher
folgt als bei einer Abwärtsbewegung, 3) es im ganzen aber das Be-
streben der Fleischer ist, die Hebungen und Senkungen des Fleisch-
preises nicht so groß wie die des Viehpreises werden zu lassen, so
daß der Gang des Fleischpreises ein viel gleichmäßigerer ist als der
des Viehpreises, und sonach 4) der Zwischenhandelsgewinn des
Fleischers Anlaß zu berechtigten Aussetzungen nicht gibt, d. h. im
allgemeinen als unangemessen nicht bezeichnet werden kann.
Auch bei einer Prüfung der Preisentwickelung der letzten
Zeit kommt man zu diesen Resultaten. Der Preis ist in Berlin
gewesen Pfennige pro Pfund
im Durchschnitt im September
1900 1901 1902
für Rindvieh I. Qualität (Schlachtgewicht) 64,63 63,79 69,50
„ Rindfleisch, Keule 71 72 7
5 d Bauch 56 57 64
„ Schweine (fleischige) (Lebendgewicht
abzüglich 20 Proz.) 47,11 56 62
» Schweinefleisch, Rücken 76 80 89
M ge Schulter und Bauch 60 63 72
I
|
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Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 205
Die Preissteigerung für Rindvieh war also von 1900 bis Sep-
tember 1902 8 Proz., die für Rindfleisch 12!/, Proz.!), die Preis-
steigerung für Schweine 30 Proz., die des Schweinefleisches
20 Proz. Rindfleisch ist rund um die Hälfte mehr im Preise ge-
stiegen als Rindvieh, dafür ist die Steigerung des Schweinefleisch-
preises gegen die Steigerung des Schweinepreises um ein Drittel
zurückgeblieben. Die Fleischer sind also beim Schweinefleisch
der Steigerung des Schweinepreises nur unvollständig gefolgt und
haben sich beim Rindfleisch schadlos gehalten. Die Schadloshaltung
ist aber eine unvollkommene gewesen, da bei Schweinen die Steige-
rung des Fleischpreises um ca. 6 Pfg. pro Pfund hinter jener des
Schweinepreises zurückblieb, dagegen die Steigerung des Rindfleisch-
preises nur um 2—3 Pfg. über die des Rindviehpreises hinausging,
wobei noch zu berücksichtigen ist, daß mehr Schweine- als Rindfleisch
verkauft wird.
Den Fleischern kann die Schuld an der Teuerung des Fleisches
in Sinne der Herbeiführung derselben jedenfalls nicht beigemessen
werden ?) 3),
1) Weiter oben ist von 15 Proz. Erhóhung die Rede gewesen. Die Differenz er-
giebt sich 1) aus Differenzen des vorliegenden amtlichen Materials, 2) aus dem Um-
stand, daß oben das Jahrzehnt 1889/98 mit September 1902 in Vergleich gestellt
war und die Preise von 1902 nur ungefähr mit denen jenes Jahrzehntes überein-
stimmen.
2) Auch die bayerische Enquete kommt zu dem Ergebnis, daß im Durchschnitt
der Städte „der Fleischpreis nicht mehr als der Viehpreis gestiegen ist“.
Uebrigens verdient erwähnt zu werden, daß bei geringerem Konsum, ein-
gschränktem Absatz, die Kosten, welche den Fleischern auf die Gewichtseinheit
ihres Absatzes erwachsen, größere sind, da die Generalausgaben keine ebenmäßige
Verminderung erfahren, die Fleischer also bei gestiegenen Viehpreisen, insofern diese
eine Einschränkung des Konsums zur Folge haben, berechtigt wären, ihren Aufschlag
etwas höher zu halten als in den Zeiten niedrigerer Viehpreise mit entsprechend größerem
Konsum. Demgegenüber kommt allerdings kostenmindernd die im Fleischergewerbe
vorhandene Tendenz des Uebergangs aus kleineren zu größeren Handwerksbetrieben (vgl.
zuletzt Schomerus, Das Kleingewerbe, insonderheit das Bäcker-, Konditor- und
Fleischergewerbe, 1902 und A. Rothe, Das deutsche Fleischergewerbe, 1902) und die Tat-
sache, daß die Verwertung aller Nebenprodukte, wie sie jetzt stattfindet, gleichfalls die
Differenz zwischen Vieh- und Fleischpreis herabsetzen sollte, in Betracht. Speziell zu
letzterem Punkte meint auch der früher erwähnte amerikanische Berichterstatter: „The
great packers of the country in developing their business have been able to utilize all
the by-produets, so that no part is really lost. Developing this branch of their business
has of course enabled them to reduce to some extent the margin between the price of
live cattle and of dressed beef." Immerhin handelt es sich hier zum Teil um Ent-
wiekelungen, die erst im Laufe längerer Zeit wahr werden und denen mit entgegen-
gesetztem Erfolge wieder die Steigerung der Löhne und Mieten gegenübersteht. Vgl.
Georg Adler, Fleischergewerbe, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, und die
daselbst angeführte reiche Literatur, sowie Wirminghaus, Fleischergewerbe, in Elsters
Volkswirtschaftlichem Wörterbuch. — Bemerkenswert ist auch eine jüngste Aeußerung
des sächsischen Landeskulturrats, wo davon die Rede ist, daß die Gewinnberechnung
der Fleischer einerseits nicht gerade bescheiden sei und daß andererseits, namentlich in
den Großstädten, ein wahrer Luxus mit den Verkaufsläden getrieben werde. Dazu
kämen die hohen Spesen, welche den Fleischern dadurch erwüchsen, daß sie heutzutage
womöglich jedes halbe Pfund Fleisch bis an das äußerste Ende der Stadt schicken
müßten. Das Publikum sei in dieser Hinsicht verwöhnt worden, und was früher eine
Gefälligkeit gewesen sei, werde jetzt verlangt.
3) Das Vorgesagte war geschrieben, bevor der Viehpreis wieder den Weg nach
206 Julius Wolf,
Indes ist mit den Fleischern der Begriff des Zwischenhandels
im Fleischergewerbe nicht erschópft. Auch gelten die gegen den
Zwischenhandel gerichteten Angriffe in vielen Fällen nicht den
Fleischern, sondern dem Viehhandel, d. h. jenen Personen, welche
das Vieh aufkaufen und den Fleischern liefern!). Es wird ausge-
sprochen: „Großhändler und Schlachter beeinflussen die Preise viel
stärker als die Viehproduzenten“, oder: „Händler halten gekauftes
Vieh zurück“. Von „Händlerringen“ ist öfter die Rede. Das wird
dahin erläutert, daß die Kleinhündler und Fleischer von den Groß-
abwärts zu nehmen begonnen hatte. Das ist jetzt (nach weiter unten mitgeteilten Daten)
der Fall. Trotzdem suchen die Fleischer den Fleischpreis zu halten.
Haben sie sonach auch die Teuerung von 1902 sicher nicht herbeigeführt, so ko mnt
ihnen zweifellos eine Schuld zu an den hohen Preisen, mit denen das
Jahr 1903 begonnen hat und bisher festhült. Ueber die mögliche Rolle der „Händler“
vergl. die folgende Anmerkung.
1) Für die Rolle der Händler auf dem deutschen Zentralviehmarkte vergl. die Fest-
stellung Rothes, Das Fleischergewerbe, 1902, S. 52 nach der „Deutschen Fleischer-
zeitung“ für Berlin: „Von den eingesandten Tieren gehören etwa 95 Proz. Händleru
und nur 5 Proz. Landwirten.“ Im übrigen weiß Rothe von den Händlern zu melden:
„Die Händler reisen im ganzen Lande umher, um Vieh aufzukaufen. Die Lieferanten
sind die großen Mastanstalten und die Landwirte, denen die Händler, um sie in Ab-
hängigkeit zu erhalten, nicht selten Barvorschüsse gewähren.“ Was die Rolle der
Kommissionäre betrifft, so sind nach Rothe (S. 55) kapitallose Händler vollständig von
ihnen abhängig, während sie auf solche, die über genügende Barmittel verfügen, nicht
im geringsten einen Einfluß besitzen. Wie mit den Händlern, steht es auch mit den
Fleischern. In den meisten größeren Städten hatte sich früher ein Abhüngigkeits-
verhältnis der kleinen Meister von den Kommissionüren oder Händlern infolge der
Borgwirtschaft herausgebildet. Man borgte die neue Ware und bezahlte die alte, wo-
durch man immer mehr von einem bestimmten Händler abhängig wurde. So liegen
die Verhältnisse noch in vielen Orten Deutschlands. Von einem Handel ist hier nicht
mehr die Rede. Der Käufer ist gezwungen, das zu nehmen, was ihm angeboten wird.
Ihm kommt ein Sinken des Preises bei Vermehrung des Angebots zunächst nicht zu
statten, während ein anderer bedeutenden Vorteil daraus zieht. Das gilt von den
mittellosen Fleischern. Die Fleischer dagegen, so teilt Rothe mit (S. 59), die den
Händler oder Kommissionär immer bar bezahlen, d. h. jederzeit über genügende Bar-
mittel verfügen, kaufen in der Regel günstig ein. Sie benutzen auch oft geschickt die
ungünstige Lage des Händlers am Schlusse des Marktes.
Die Händler betreffend, kommt übrigens Einnahmen mindernd auch das große
Risiko, das sie in der Krediterteilung laufen, in Betracht. Wie beträchtlich unter Um-
ständen die ihnen daraus erwachsenden Verluste sind, schildert beispielsweise der Bericht
der Aeltesten der Kaufmannschaft von Berlin für 1894 folgendermaßen : „Obwohl der
Viehhandel durch die Veterinärmaßregeln, durch wiederholte Sperrung der Reichs-
grenzen, auch durch Ausfuhrsperren vielfach gestört wurde, hatte er doch im Jahre
1894 manche günstige Momente. Die Mißernte in verschiedenen Bezirken des Reiches
im Jahre 1893 hatte zur Verminderung der Viehbestände genötigt: eine Menge noch
unreifer Tiere wurde damals geschlachtet. Die Lücken in den Ställen mußten unter
der Gunst des reichen Futterjahres 1894 möglichst schnell durch Einfuhr vom Aus-
lande ersetzt werden, und so hob sich letztere erheblich, den Umsatz der Händler ver-
mehrend. Weniger günstig freilich erwiesen sich diese Verhältnisse den Schlächtern
der Großstädte, insbesondere Berlins. Die Fleischpreise konnten den Marktpreisen für
Vieh unter der Konkurrenz grosser Einfuhren geschlachteten Fleisches nicht folgen.
Insbesondere litten darunter die Berliner Großschlächter, welche im günstigsten Falle
mit ungenügendem Gewinn, in vielen Fällen aber ohne Gewinn und sogar mit Verlust
arbeiteten, — Zahlungsstockungen und sogar Zahlungseinstellungen blieben nicht aus,
deren Folgen meist die Viehkommissionshandlungen zu tragen hatten, welche den
Schlächtern die Tiere auf Kredit zu liefern pflegen.“
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 207
lieferanten vielfach stark abhängig sind (als Schuldner) und darum
genötigt, die von diesen diktierten Preise zu bezahlen. „Den Schaden
davon aber haben die Konsumenten.“
Bezüglich der Händler ist eine Kontrolle an der Hand von
Ziffern nicht in der Weise möglich, wie bei den Fleischern. Hier
läßt sich bloß aussprechen, 1) daß von sachverständiger Seite eine
Schuld der Händler ebenso sehr geleugnet, wie von der anderen be-
hauptet wird, 2) daß Material, welches ihre Schuld wahrscheinlich
machen würde, nicht in entfernt ausreichendem Maße beigebracht zu
werden vermochte. Die Möglichkeit preissteigernder Manipulationen
auf Seite der Händler ist sicher nicht ausgeschlossen. Aus solchen
sind denselben in letzter Zeit zweifellos öfter „Supergewinne“ er-
wachsen, wo der „legitime“ Gewinn gerade schon groß genug war.
Ein Weiteres läßt sich aber nicht sagen, und eine Zurückführung
der Teuerung auf ihr Eingreifen kann nur als naiv bezeichnet werden.
Gelegentlich wurde auch den Schlachthäusern die Schuld
oder ein Teil der Schuld an der Preissteigerung des Fleisches
zugeschoben. „Durch die Schlachthäuser, die sich mit 8 Proz. ver-
zinsen dürfen, sei das Fleisch verteuert worden“, wurde u. a. vom
Landwirtschaftsminister erklärt. In der Tat ist die Einhebung von
Gebühren in einer Höhe, „daß durch ihr jährliches Aufkommen die
Kosten der Unterhaltung der Schlachthausanlage und des Betriebes,
sowie ein Betrag von 8 Proz. des Anlagekapitals und der etwa ge-
zahlten Entschädigungssumme gedeckt werden“, den Schlachthäusern
durch das Kommunalabgabengesetz von 1893 gestattet!). Die Ueber-
schüsse erreichen auch absolut beträchtliche Beträge. So war der
Ueberschuß des Berliner städtischen Viehhofes im Etatsjahr 1901
1607500 M.?. Trotzdem ist schon seit längerem der Nachweis
geführt, daß den Schlachthöfen eine Wirkung in der Richtung der
Verteuerung des Fleisches nicht zukommt, indem die Erleichterungen,
welche sie bieten, schwerer ins Gewicht fallen als die von ihnen
erhobenen Gebühren ë), unter allen Umständen aber auf die Gewichts-
1) Eine Zusammenstellung der Gebühren deutscher Schlachthöfe liefert G. Hirsch-
berg im Statistischen Jahrbuch deutscher Städte, 9. Jahrg., S. 299 ff.
2) Die Detaillierung fehlt noch. Genauere Ziffern liegen für 1900 vor. Für
dieses Jahr teilt der Bericht über den städtischen Vieh- und Schlachthof mit: „Das
finanzielle Resultat der Bewirtschaftung des städtischen Vieh- und Schlachthofs ist
das günstigste seit seinem Bestehen. Der Viehhof ergab nach Abzug der Zinsen
und Tilgungsraten sowie einer Abzahlung zum Reservefonds von 100000 M. einen
Reinüberschuß von 710388 M., der Schlachthof von 290506 M. Die zusammen
1100894 M. UeberschuB — einschließlich der Dotierung des Reservefonds — er-
gaben, wenn die 337656 M. Tilgungsquote und 546690 M. gezahlter Zinsen hinzu-
gerechnet werden, einen Ueberschuß über die Betriebskosten von 1985240 M.
Es ergibt sich eine Verzinsung des gesamten noch nicht amortisierten Baukapitals mit
12,8 v. H.
3) Das ist heute die Ueberzeugung aller mit den Verhältnissen des Fleischer-
gewerbes vertrauten Kreise. Als die Schlachthäuser errichtet wurden, war die Befürch-
tung allgemein, daß sie eine Verteuerung des Fleisches nach sich ziehen würden. „Aber“,
sagt Rothe, a. a. O., S. 94: „wie in Berlin, so ist auch in anderen Städten die so
208 Julius Wolf,
einheit Fleisch berechnet diese Gebühren irgendwelche Bedeutung
nicht besitzen. Woher auch die plötzliche Fleischteuerung 1902, wo
doch die Gebühren schon seit Jahren erhoben werden!
Auch hier ist die Schuldfrage also zu verneinen. Von agrarischer
Seite wurde weiter der amerikanische Fleischtrust als Mit- oder
Hauptschuldiger angeklagt. Auch über ihn muß darum mit einigen
Worten gesprochen werden.
Ueber die Rolle des amerikanischen Fleischtrusts in
der gegenwärtigen (und künftigen) Schweinepreissteigerung ließ
sich ein Flugblatt des Bundes der Landwirte wie folgt aus: „Die
gleichen Verhältnisse wie im Rindermarkt liegen im internationalen
Schweinemarkt vor. Daß gegenwärtig die Preise einen normalen,
die Kosten der Fütterung deckenden Stand erreicht haben, liegt nicht
in spezifisch deutschen Verhältnissen begründet, sondern die deutsche
Landwirtschaft verdankt dies der Tatsache, daß die den Welt-
markt diktierenden Herren Armour und Konsorten in
Chicago seit 2 Jahren beständig à la hausse gegangen
sind, nachdem sie vorher, um die Herrschaft über den maßgebenden
amerikanischen Markt zu erringen, jahrelang die entgegengesetzte
Tendenz verfolgt haben. Wir haben in früheren Veröffentlichungen
schon wiederholt darauf hingewiesen, daß die jahrelangen enormen
Kapitalaufwendungen der amerikanischen Großspekulanten nicht etwa,
wie viele Konsumentenvertreter damals glaubten, die dauernde Ver-
billigung des Fleischkonsums zum Ziele hatten. Durch die provi-
sorische Herabdrückung der Preise sollte nur das dieser Konkurrenz
nicht gewachsene selbständige Fleischergewerbe ruiniert und die un-
mittelbare Konsumversorgung in die Hände abhängiger Fleisch-
oft prophezeite Preissteigerung ausgeblieben.“ Sie hat sich, wie die Veröffentlichungen
des Kaiserl. Gesundheitsamtes, Bd. 21, 1897, S. 649, also eine offizielle Quelle mit-
teilen, in mehr als 300 Schlachthöfen in Preußen nicht bestätigt.
Zuletzt ist auch nicht zu vergessen, daß die Berliner Erfahrungen eine Verall-
gemeinerung nicht ohne weiteres zulassen. Im Jahre 1598 hat nach Hirschberg der
Ueberschuß deutscher Schlacht- und Viehhófe in Prozenten des Anlagekapitals betragen: in
Duisburg 13,32 Proz. Krefeld 2,70 Proz.
Freiburg 6,37 ñ München ads "ou
Wiesbaden 5,70. Liegnitz 1,97
Magdeburg 5,68 , Aachen 1,88
Düsseldorf 5,43 , Mannheim 1,80
Lübeck 5,23 yi Barmen 1,62 .
Leipzig 5,04 n Braunschweig 13] ,
Frankfurt a. M. 491 ^» FS WO i
Erfurt 470 „ Frankfurt a. O. 0/19. 5
Straßburg 449 , Bochum 0,87 u
Hamburg 4,21 , Görlitz 0,38 u
Yres]: Hannover 013 „
Königsberg 3,81 y
Dortmund 3,85 u
Danzig 3,60 ,,
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 209
verkäufer geleitet werden, denen die großkapitalistischen Unternehmer
dann nach Belieben die Preise vorschreiben würden.
„Diese Entwickelung hat sich nun seit 2 Jahren in Amerika voll-
zogen, und das Resultat ist zunächst die Erhöhung der Preise auf
den jetzigen Stand. Aber man wird hierbei nicht stehen bleiben.
Vor einigen Tagen gelangte die Nachricht hierher, daß der Zusammen-
schluß der Chicagoer Großfirmen Armour, Swift, Moris und Kon-
sorten zu einem einzigen Unternehmen nunmehr Tatsache geworden
ist. Allein die erstgenannten drei Firmen hatten im letzten Jahre
einen Reingewinn von zusammen 75 Mill.M. Das Gründungskapital
der neuen gemeinsamen Firma beträgt 2 Milliarden M. An die bis-
herige Preishebung wird sich nun der Fleischwucher schließen.“
Soweit das agrarische Flugblatt. Die völlig entgegengesetzte
Auffassung zeigen folgende zwei Aeußerungen, die, beide aus ver-
schiedenen Lagern kommend, beide genau das Gleiche besagen.
Der „Getreidemarkt“, herausgegeben von Professor Ruhland, zitiert
in seiner Nummer vom 30. April 1902 als eine Aeußerung aus
amerikanischen Farmerkreisen die folgende: „Daß an der Er-
höhung der Preise für Rindvieh und frisches Rindfleisch die Ver-
einigung der großen Schlächtereifirmen, der sog. „bis seven“, ihren
Anteil hat, unterliegt keinem Zweifel. In dieser Saison jedoch haben
hierzu auch andere, und zwar stärkere Faktoren mitgewirkt, und
man kann ruhig sagen, daß diePreise niemals mehr als
jetzt durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage
bestimmt werden.“ Es wird nun eine Erörterung der Verhält-
nisse von Angebot und Nachfrage geboten und zum Schluß gesagt:
„Die gegenwärtige Aufbesserung der Viehpreise ist also wohl nicht
einseitig auf das Konto von „Preistreibereien des ‚Beef Trust‘ zu
setzen“. — Ganz ähnlich schreibt der englische Konsul in Chicago
in einem im September erstatteten Bericht „Cattle and meat trade
of the United States": „A great deal has been written lately
about the meat packers having formed or being about to form a
Trust or Combine so as to enable them to do away with all competition
and raise the price of meat. That such a Combine is likely to come,
is nearly certain, but it is highly improbable that the
price of meat will be raised, in fact the opposite is
more likely. The price of meat is regulated by the demand, and
if the price rises, the demand falls off.“
Die Verweisung auf den Fleischtrust als Schuldigen erweist sich
also als nicht stichhaltig. —
Von Händlern, Landwirten und sonstigen Sachverständigen ist
schließlich öfter der Meinung Ausdruck gegeben worden, einfach die
höheren Schweinefett- und Speckpreise hätten die Steigerung des
Schweinepreises hervorgebracht. Nur auf diese Weise schien Vielen
die auffällige Erscheinung steigenden Schweinepreises trotz
vermehrten Angebots (oder trotz reduzierten Konsums) erklärt
werden zu können. In dem Bericht über den Berliner Vieh- und
Schlachthof für 1900 wird ausgesprochen: „Auffallend ist aber die
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 14
210 Julius Wolf,
Steigerung der Schweinpreise trotz des großen Angebots und der um
13 v. H. gesteigerten Schlachtungen. Die besten Schweine sind von
47,98 M. des Vorjahres auf 53,00 M. oder um 10,5 v. H., die gerin-
geren von 41,30 M. des Vorjahres auf 45,32 M. oder um 9,7 v. H.
gestiegen. Die Steigerung begann erst im Juli 1900 und betrug im
Dezember 1900 für beste Schweine gegenüber dem Dezember des
Vorjahres 12,1 v. H., für geringere fast 19,5 v. H. Und alles dies
bei anscheinender Ueberfüllung des Marktes!“ In pri-
vaten Aeußerungen an den Verfasser wurde der Ueberzeugung Aus-
druck gegeben: „Die eigentümliche Erscheinung, daß auf dem Schweine-
markte trotz der vermehrten Zufuhr hóhere Preise wie
in den Vorjahren notiert wurden, hat ihre Begründung in den
derzeit stark erhöhten Schweinefett- und Speckpreisen*.
Was ist dazu zu sagen? Die entscheidende Frage ist offenbar
die, ob der Schweinepreis den Preis von Schweineschmalz oder um-
gekehrt der Preis von Schweineschmalz den Schweinepreis bestimmt!
Die Annahme liegt vielleicht nahe, daß, da das Schwein das Primäre,
das Schmalz das Sekundäre, aus dem Preis des Schweines jener des
Schmalzes hervorgeht. Der Volkswirt wird geneigt sein, eine Wechsel-
wirkung anzunehmen. Die Kosten der Schweineproduktion
kommen auf der einen Seite für die Höhe des Schmalzpreises in
Betracht, und was 1) der Konsument für Schweineschmalz zu
zahlen bereit ist, 2) der Konsument für Schweinefleisch zu zahlen
bereit ist, kommt bei der Höhe des Schweinepreises rückwirkend auf
diesen gleichfalls in Betracht. Im allgemeinen sind aber die Pro-
duktionskosten das den Preis stärker beeinflussende
Moment, wenn nämlich nach Lage der Dinge der Konsument
nicht geneigt oder gezwungen ist, bei steigenden Preisen den Kon-
sum aufzugeben.
Schon aus dieser Darstellung geht hervor, daß in Aeußerungen,
wie den oben angeführten, die Bedeutung des Schmalzpreises für
den Schwein- und Schweinefleischpreis überschätzt sein dürfte. Be-
stätigt wird diese Annahme durch die Erfahrung des Marktes.
Nach Daten, welche der „Verein zur Wahrung der gemeinsamen
Interessen des deutschen Handels und der Industrie von Fleisch- und
Fettwaren“ in einer Denkschrift „Ueber die Fleischversorgung des
deutschen Volkes“ zusammengestellt hat, war der Preis von
amerikanischem Schmalz Schweinen
verzollt in deutschen Seehäfen in Berlin
Mark
100 kg 50 kg
1898 63 56
1899 60 42
1900 80 42
1901 88 60
1902 erste Hälfte 106 67
Die Diskongruenz ist in der Tat eine auffallende.
Die Schwankungen drücken sich nach der gleichen Quelle
in folgenden Prozentziffern aus:
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 211
Amerikanisches Schmalz Schweinepreis
verzollt in Berlin
1898/99 5 Proz. Baisse 20 Proz. Baisse
1899/1900 33 » Hausse unver.
1900/01 IO o S 42 Proz. Hausse
1901/02 20. .5 e 10. 34 a
von 1898—1900 27. -y Se 25 , Baisse
von 1898—1902 68 d 20 ,„ Hausse
Die Abhängigkeit des deutschen Schweinepreises vom amerika-
nischen Schmalzpreis ist also sicher keine vollständige. Sie ist in
den Ziffern schwer wahrzunehmen; ihnen zufolge wäre ein
Zusammenhang überhaupt kaum vorhanden.
Wie steht es aber um das Verhältnis des Schweinepreises zum
einheimischen Schmalzpreis? Darüber bietet die vorerwähnte
Schrift folgende Daten:
Einheimisches Schmalz Schweinepreis
in Preußen in Berlin
Mark
100 kg 50 kg
1898 159 56
1899 156 42
1900 155 42
1901 164 60
1902 erste Hälfte 172 67
Die Schwankungen betrugen:
Einheimisches Schmalz Schweinepreis
in Preußen in Berlin
1898/99 2 Proz. Baisse 20 Proz. Baisse
1899/1900 Y c5 » unver.
1900/01 6 „ Hause 42 Proz. Hausse
1901/02 CR » IO , FA
von 1898—1900 3 » Baisse 25 ,„ Baisse
von 1898—1902 9 , Hausse 20 ,, Hausse
Hier ist ein Zusammenhang nachweisbar. Immerhin ist
aber deutlich, daß der Preis einheimischen Schmalzes den
Schweinepreis nicht in seinen Bann zwingt. Zweifellos ist ferner
ein gewisser — wenn auch erstaunlich lockerer — Zusammenhang
zwischen den Preisen amerikanischen Schmalzes und einheimischen
Schmalzes, und durch das Mittel des Preises deutschen Schmalzes
wirkt der amerikanische Schmalzpreis auch auf den deutschen
Schmalzpreis ein. Klar ist aber nach dem Vorgesagten, daß die
Erhóhung, die der Schweine- und Schweinefleisch-
preis in Deutschland erfahren hat, durch den Gang
des Schmalzpreises nicht bestimmt worden sein kann.
V. Die Grenzsperren und die Fleischteuerung.
Von Seite der Vertreter des Konsums ist den für Vieh und
Fleisch gegenwärtig bestehenden Grenzsperren die Schuld an der
Fleischteuerung gegeben.
. Dem scheint entgegenzustehen 1) daß, trotzdem die Grenzsperren
im gegenwürtigen Umfange seit 1896 bestehen, es auch schon vor
14*
212 Julius Wolf,
1396 Preisbewegungen ganz ähnlich der gegenwärtigen gegeben hat;
man vergleiche den gegen heute nicht geringeren, sondern (für
Schweinefleisch) größeren Preissprung von 1888 auf 1890; 2), daß,
trotzdem die Grenzsperre jenes Datum 1596 trägt, die sog. Fleisch-
not allerjüngsten Datums ist, d. h. hinter 1902, frühestens 1901 nicht
zurückgeht. Man sollte denken, daß, wenn der einheimische Vieh-
stand ungenügend ist, die Grenzsperre schon viel früher zu einer
Kalamität gleich der heutigen hätte führen müssen. Auch daß, wie
noch zu zeigen sein wird, 3) die Preissteigerung außerhalb Deutsch-
lands dort, wo Grenzsperren gleich den deutschen nicht bestehen,
vielfach nicht kleiner war als hier, läßt es als unwahrscheinlich er-
scheinen, daß die Grenzsperren die einzige oder vorwiegende
Schuld an der Teuerung tragen.
Dagegen ist auf der anderen Seite zuzugeben, daß der Viehpreis
in einigen Ländern ohne Grenzsperren und zwar gerade in solchen,
aus denen Deutschland sonst Vieh bezieht und auch diesmal hätte
Vieh beziehen können, wenn die Grenzsperren nicht beständen, nicht
so stark gestiegen ist wie hier.
Welches Urteil ist unter solchen Umständen über die Wirkung
der Grenzsperren zu fällen?
Um das eben Gesagte zunächst näher auszuführen, so ist fol-
gendes zu bemerken.
Auch vor der Zeit der Grenzsperren ist der Preis in Steigerung
begriffen gewesen. Wie früher gezeigt, geht diese Preissteigerung
bis auf 1820 zurück, und sie hat betragen für Schweinefleisch (pro kg)
aus dem Jahrzehnt 1821/30 in das Jahrzehnt 1831/40 IO Pig.
Lp A En P 1831/40 , , 3 1841/50 13 6
jf i m 1841/50 , , 5 1851/60 22 u
Di. s à: 1851/60 u » 1861/70 2 7
ER Ap ^ 1861/70 p p n 1871/80 21 e
D D " (1871/80... j, o 1881/90 minus 3 ,, )
» D » 1881/90 „p , Fr 1591,00 8 %
» en ù 1891/00 „ „ Jahr 1902 ca. 20% 4
Eine Steigerung, wie sie sich gegenwärtig gegen den Durchschnitts-
preis von 1891/1900 mit 20 Pfg. ergiebt, ist also schon dagewesen.
Sie würde an sich nicht gestatten, den Grenzsperren eine Schuld,
sei es anch nur als Mitschuld, an dem gegenwärtigen Preisstand
zuzuwälzen, wiese nicht die Preisentwickelung in einigen außer-
deutschen Gebieten darauf hin, daß die Grenzsperren, wenn sie auch
nicht die Preisentwickelung und den gegenwärtigen Preisstand ge-
schaffen haben, doch den Preis immer um ein gewisses höher halten
als er sonst wäre. Am lehrreichsten in dieser Richtung ist der
Vergleich mit der Entwickelung der Preise in Oesterreich. Auf
dem maßgebenden Wiener Markte war der Preis
(Siehe Tabelle auf S. 213.)
Hier also von 1900 bis Ende Oktober 1902 eine Preissteiverung
um 7,5—13—17—18 Proz., im Mittel knapp 15 Proz. gegen 30 Proz.
in Preußen.
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 213
für Fleischschweine für Fettschweine
Durchschnitt Heller pro kg Lebendgewicht
1898 64 —102 76 — 92
1899 72 — 94 72 — 86
1900 60 — Bei 73 — 93
1901 59!|,— 88 66',— 86
31. Oktober 1898 70 — 90 76 — 91 ( 92)
31. = 1899 64 — 82 70 — 76
31. E 1900 60 — Bo 77 — 90 ( 92)
31. , — 1901 66 — 86 66 — 82 ( 83)
31. e 1902 70 — 92 86 —105 (106)
Es ist danach zweifellos, daß eine Oeffnung der Grenzen gegen
Oesterreich die Aufwärtsbewegung des Schweinepreises etwas ver-
mindert hätte. Infolge der Grenzsperren ist der Preis in Deutschland
etwas höher, als er sonst wäre. Zur Erklärung des gegenwärtigen
Preises reichen trotzdem, selbst eine gewisse preiserhöhende Wirkung
der Grenzsperren zugegeben, diese entfernt nicht aus. Das
ergibt sich unter anderm daraus, daß andere Länder ohne Grenz-
sperren, auch richtige Viehproduktions- und Exportländer, keine ge-
ringere Preissteigerung gehabt haben wie Deutschland! Vor allem
gilt das für Nordamerika, ähnlich für Dänemark.
Eine etwas nach Mitte 1902 aufgenommene, mir nur nach in-
direkten Quellen zugängliche internationale Preisstatistik hat ergeben,
daß der Schweinepreis zur Zeit, wo er in Berlin um 23 Proz. sich
erhöht hatte, in Chicago um 32 Proz., in Kopenhagen um 35 Proz.
gestiegen war!
Für Rindfleisch stehen aus Amerika folgende Ziffern aus Crax-
tons Bericht (im Bulletin of the Department Labor, Nr. 41, Juli 1902)
zur Verfügung, deren Vergleich mit denen der Entwickelung des Preises
in Deutschland sich als recht instruktiv erweist. Der Preis ist gewesen
in Berlin in Boston in Chicago
Keule Bauch tindfleisch erster Qualität
Durchschnitt Mark pro 100 kg Dollars pro 100 Pfund
1890 1,36 1,15 1. Juni 1890 6,374 4,724
1891 1,41 1,17 1 » 1891 9,25 5,70
1592 1,39 1,17 1$ 7 1899 6,75 4,311
1593 1,39 1,11 1 » 1893 7,621 5,62}
1894 1,40 1,10 1. , 1894 6,374 4,174
1895 1,39 1,07 LG ;, 1895 9,50 5,574
1896 1,38 1,06 1. e 1896 7,574 4,10
1897 1,36 1,11 f. 3 1897 8,00 5,021
1898 1,40 I,11 1. , 1898 8,75 4,90
1899 1,40 1,09 l; en A800 8,00 5,30
1900 1,40 1,11 1 5: 1900 7,15 5,374
1901 1,44 1,14 1 » 1901 7,624 5,75
Sept. 1902 1,58 1,27 1. An 1902 9,124 7,16
Der Preissteigerung in Berlin von 1900 bis September 1902 um
rund 15 Proz. steht also eine solche in Boston und Chicago vom
1. Juni 1900 bis 1. Juni 1902 um rund 18 und 32 Proz. gegenüber !).
1) Infolgedessen kann Craxton auch konstatieren: , During the last few months per-
haps no subject has been more discussed by the press and the publie than has the advance
in the price of fresh beef." Vergl. auch Cattle and Meat Trade of the United States
in den englischen „Diplomatie and Consular Reports“, No. 581, Miscellaneous series, 1902.
214 Julius Wolf,
Für Dänemark ist vor kurzem eine Zusammenstellung ver-
öffentlicht worden, wonach der Preis für 100 Pfund Schlachtgewicht
von Extraklasseschweinen der großen Genossenschaftsschlächterei im
Amt Aalborg betragen hat Ende September in den Jahren
1899 32 Kronen
1900 41
1901 45
1902 50 D
Es wurde hinzugefügt: „Die Schweinepreise sind gegenwärtig
höher als jemals. Berechnet man das Schlachtgewicht eines Schweines
auf 130 Pfd., so beträgt der Preis jetzt 65 Kr. gegen nur 41,60 Kr.
im Jahre 1899. Der Bauer nimmt also für ein Schwein jetzt 23,40 Kr.
mehr ein als vor 3 Jahren. Der dänische Landwirtschaftsminister
hatte danach guten Grund zu sagen: die Landwirtschaft habe nie
so gute Zeiten gehabt als gerade jetzt.“ — Auch hier also die Preis-
steigerung stürker als in Deutschland!
Andere Gebiete freilich haben eine gleich starke Erhóhung wie
Deutschland nicht erfahren. Für Oesterreich wurde das bereits ge-
zeigt. In Paris stieg der Preis von Schweinefleisch in der Periode,
während welcher er in Berlin um 23 Proz. hinaufging, nur um 17 Proz,
und nach einzelnen Berichten zu schließen, ist die Preiserhöhung
auch in Rußland gegen die in Deutschland wesentlich zurückgeblieben.
Die Eindrücke, die man aus diesem Tatsachenmaterial empfüngt,
sind diese: Die Grenzsperren haben den Fleischpreis in Deutschland
gegen früher in etwas erhóht. Die Prüfung der Preistabellen legt
die Vermutung nahe, daß, wenn der Normalpreis der Jahre seit
1896 etwa bei 1,35 M. war, dagegen der Normalpreis der 80er Jahre
bei 1,20 M, ein Teil des Plus dieser letzten Zeit auf
Rechnung des durch die Grenzsperren eingeschränkten
Angebots geht.
Gleichzeitig ist aber zu betonen, daß, wie gerade die internatio-
nale Preisvergleichung ausweist, bei der letzten Teuerung andere
Momente entscheidend gewesen sein müssen.
Von den Vertretern des Konsumtionsinteresses wird der Be-
weis, daß die Grenzsperren an allem schuld seien, mit Vorliebe in der
Tatsache gesehen, daß — zuletzt hat Bebel im Reichstag bei Beratung
der Viehzölle so argumentiert — seit Erlaß der Grenzsperren im
Jahre 1896 die Schweineeinfuhr nach Deutschland außerordentlich
gesunken sei. Dieses Sinken habe die Preise steigen machen und
verschulde auch die heutige Situation.
Der Rückgang der Einfuhren ist eine Tatsache. Die Schweine-
einfuhr (nach Abzug der Ausfuhr) nach Deutschland hat betragen:
1886 279 000 Stück 1894 706 000 Stück
1887 90 000 5 1895 315 000 »
1888 Plus der Ausfuhr(!) 73000 , 1896 90000 ,,
1889 318000 , 1897 85000 „
1890 592000 , 1898 71 000 n
1891 730000 , 1899 66000 ,,
1892 856000 , 1900 65000 ,
1893 797000 , 1901 75 000
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 215
Der Rückgang ist also in der Tat vorhanden. Der Versuch, den
angestrebten Beweis auf diesen Rückgang der Einfuhren zu stützen,
ist trotzdem verfehlt. Aus dem Rückgang der Schweineeinfuhr wird
ohne weiteres auf Verminderung des Schweineangebots geschlossen.
Es ist aber zu bemerken, daß — zweifellos mit infolge der Grenz-
sperren — gleichzeitig mit dem Sinken der Einfuhren die
Schweineproduktion in Deutschland überaus gestiegen ist.
Der Schweinebestand in Deutschland ist gewesen:
1. Dezember 1892 12 175 000 Stück
l. e 1897 14 275 000 »
t£ 3; 1900 16807000 ,,
Diese Steigerung der Viehbestände!) sagt dem Laien allerdings
nicht viel. Sie gibt nàmlich in keiner Weise Auskunft über die
jährlich zur Schlachtung kommenden Mengen. An sich wäre nicht
unmöglich, daß trotz des gestiegenen Viehbestandes die zurück-
gegangenen Einfuhren immer noch durch die Inlandsproduktion
nicht wett gemacht wären. Das ist offenbar auch die Meinung des
vorgenannten Abgeordneten und anderer Vertreter des Konsumtions-
interesses. Diese Auffassung ist jedoch falsch. Und zwar darum,
weil regelmäßig 100 Proz., unter Umständen auch mehr, des zu
einer bestimmten Zeit gezählten Schweinebestandes während eines
Jahres zur Schlachtung kommen ?)!
Man hätte also in der zweiten Hälfte der 90er Jahre infolge
der Grenzsperre wohl ein regelmäßiges Minus der Einfuhr um
200000 bis nahe an 800 000, durchschnittlich also um 500 000 Stück
gehabt, gleichzeitigabereinjährlichesPlusderSchlachtungen
einheimischer Schweine um rund 2!/, Millionen, also in summa doch
ein Plusan Schlachtungen gegen die Zeit vorder Grenz-
sperre um fast 2 Millionen, und zwar ein Plus, das gerade
als solches zweifellos auch den Grenzsperren zu danken ist, indem
diese durch die leichte Steigerung des Preises, die von ihnen aus-
ging auch zu der Steigerung der inlündischen Schweineproduktion
in den Dimensionen, in denen sie sich vollzogen hat, beigetragen
haben dürften!
1) Das Statistische Amt der Stadt Karlsruhe versandte, wie die Korrespondenz des
Handelsvertragsvereins unterm 28. November 1902 mitteilt, vor kurzem einen Aufsatz
über die Entwickelung der badischen Rindvieh- und Schweinezucht seit 1871. Hier-
nach wurden in Baden
Schweine:
geschlachtet gezählt
1596 489 492 Stück im Dezember 1895 442 237 Stück
1897 487659 „ Pr y 1896 442782 ,
1898 486425 „ 5 i 1897 411253 ,
1899 — 524444 » » ^» 1898 453399 »
1900 561000 „ e " 1899 514399 ,
Das Statistische Amt erklärt daraufhin: „Das ergibt ein Vorratdefizit von durchschnitt-
lich jährlich 56 991 Stück oder 11 Proz.“ Wie die obigen Darlegungen zeigen, lassen
diese Ziffern auch eine andere Deutung zu.
2) Vgl. darüber u.a. Huckert, Zur Geschichte und Statistik des Fleischkonsums,
Zeitschr. f. Sozialwissenschaft, III (1900), S. 109 ff.
216 Julius Wolf,
Das für Schlachtzwecke zur Verfügung stehende Vieh hat sich
also, absolut gemessen (und auch relativ im Verhältnis zur Be-
völkerung) trotz verminderter Einfuhren nicht vermindert, sondern,
und zwar nicht ohne Zutun der Grenzsperren, überaus stark, so
stark wie wahrscheinlich nie zuvor in gleicher Zeit, vermehrt! Daß
die Grenzsperren allein die heutige Konstellation geschaffen haben,
wird also immer unwahrscheinlicher und kann selbst dann
nicht behauptet werden, wenn man der Auffassung ist, 1) daß ohne
sie das Angebot aus der in- und ausländischen Fleischproduktion zu-
sammen mindestens zeitweise stärker gewesen wäre als es war, daß
darum 2) auf ihre Rechnung ein Teil der Preissteigerung der Jahre
oder wenigstens einiger Jahre seit 1896 zu setzen ist, und auch
3) in letzter Zeit bei einer Oeffnung der Grenzen gegen Süden (und
Osten?) der Fleischpreis eine gewisse Erniedrigung erfahren hätte.
VI. ,Natürliche* Faktoren und die Fleischteuerung.
Nach dem Vorgesagten trifft also den Zwischenhandel nicht, die
Grenzsperren nur zu geringem Teile die Schuld an dem Preisstand
des Fleisches. Noch ist aber in der öffentlichen Diskussion ein
Drittes als möglicherweise schuldtragend hervorgetreten, „natür-
liche Faktoren“.
Dies wurde in der Regel so erläutert, daß die Preisentwickelung
alljährlich ähnlich verlaufe wie gegenwärtig, nämlich die Viehpreise
im Herbst in der Regel steigen, nach Weihnachten dagegen wieder
zurückgehen. „In den Monaten Juli, August und September trete
regelmäßig eine mehr oder weniger erhebliche Erhöhung der Schlacht-
viehpreise ein, weil gegen den Sommer hin die Vorräte an den für
Mastzwecke erforderlichen Mitteln erschöpft seien, die Mästung in der
warmen Jahreszeit überhaupt mit einem größeren Risiko verbunden
sei und dadurch die Rentabilität derselben leicht in Frage gestellt
werde“. Mit beginnendem Winter seien diese Schwierigkeiten behoben.
Das sind „natürliche Faktoren“. Die Annahme, daß sie die
Schuld an der Preissteigerung tragen, ist gelegentlich wieder auch
amtlich vertreten worden. Sie kann jedoch auf Glauben darum
nicht Anspruch machen, weil diese „alljährlich wiederkehrende“ Ent-
wickelung bisher nicht „alljährlich“ die diesjährigen Folgen gezeitigt
hat. Trüge sie die Schuld, so müßte nach dem Gesagten in jedem
Jahr die gleiche Erscheinung einer Teuerung, wie wir sie jetzt
gehabt haben, sich einstellen. Da das nicht der Fall ist, können auf
den normalen Verlaufeiner „normalen Erscheinung“ die gegen-
wärtigen Preise jedenfalls nicht zurückgeführt werden.
Es müssen demnach andere, wenn auch vielleicht immer noch
„natürliche“ Faktoren sein, welche die Situation hervorgebracht haben.
Eine gelegentliche Erwähnung haben in der Tat noch solche andere
Faktoren auch in der gegenwärtigen Diskussion gefunden. Sie wurden
nebenbei angeführt, traten aber gegen die angebliche Schuld sei es
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 217
des Zwischenhandels, sei es der Grenzsperren schon darum voll-
ständig zurück, weil man einen „Sündenbock“ und die Möglichkeit
legislativer Gegenmaßnahmen suchte. Meines Erachtens sind sie die
entscheidenden.
Es handelt sich um folgendes: 1) Infolge Futternot haben
sich im Jahre 1901, um das Vieh nicht durchfüttern zu müssen, die
Landwirte eines großen Teiles ihres Viehbestandes entäußert.
2) Bei Schweinen war 1900 ein Ausverkauf infolge beson-
ders hohen Konsums vorausgegangen. In das Jahr 1902
trat man infolgedessen mit geringeren Viehbeständen ein. 3) 1902
war die Futterernte eine sehr gute; Vieh wurde infolgedessen mehr
als sonst zurückgehalten, um aufgezogen und gemästet zu
werden. —
Um dies zu belegen, so erhellt zunächst aus der Auftriebstatistik,
daß die Ziffern des Schweineverkaufs im Jahre 1900 ungewöhnlich
hohe waren. Der Auftrieb auf Vieh- (nicht Schlacht-) Höfe von 22
deutschen Städten (Augsburg, Berlin, Bremen, Breslau, Chemnitz,
Dortmund, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt a.M., Hamburg, Hannover,
Cassel, Karlsruhe, Cöln, Leipzig, Lübeck, Mannheim, Metz, München,
Nürnberg, Straßburg, Stuttgart) hat betragen
Rinder Schweine
1891 657.000 2 174 000
1892 697 000 2 062 000
1893 835 000 2.056 000
1894 836 ooo 2 233 000
1895 768 000 2 545 000
1896 805 000 2 845 000
1897 861 000 2 780 000
1898 884 000 2 714 000
1899 900 000 3 094 000
1900 965 000 3 363 000
1901 1009 000 3 066 000
Der Auftrieb hat sich bei Rindern binnen 10 Jabren von 657 000
auf über 1 Million Stück vermehrt, bei Schweinen binnen nur 7 Jahren
von 2056000 auf 3363000. Die deutschen Schweinebestände waren
infolgedessen schon 1900 „dezimiert“. Ein „Glück“ in gewissem Sinn
war der Konsumrückgang infolge der geschäftlichen Depression 1902,
teilweise auch schon 1901, sonst wäre die Teuerung eine noch
größere gewesen. Immerhin war auch noch die Auftriebsziffer des
Jahres 1901 eine hohe.
Ein weit wesentlicheres, Not an .Vieh in 1902, verursachendes
Moment war dann die Futternot von 1901, und sie war potenziert
in ihrer Wirkung durch den Futterreichtum von 1902.
Wohl brachte 1901 eine gute Kartoffelernte; aber, wie von sach-
kundiger Seite ausgeführt worden ist, die Roggen-, Weizen- und Heu-
ernte, sowie der Ernteertrag an sonstigen Futtermitteln fiel meist
ungünstiger aus als in den Vorjahren. Dazu kam der ungünstige
Ertrag der Maisernte in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo-
durch der Preis von Mais, der zu einem unentbehrlichen Futtermittel
218 Julius Wolf,
unserer Landwirtschaft geworden ist, maßlos in die Höhe getrieben
wurde. Noch zu Anfang des Jahres 1901 hatte in Hamburg der
Preis für gemischten amerikanischen Mais, unverzollt, 86 bis 87 M
pro Tonne betragen, nach der Ernte schnellte er in raschen Sprüngen
hinauf und stellte sich schon im November auf 121 M. Unter diesen
Verhältnissen zogen viele Landwirte vor, statt in größerer Masse Futter
zuzukaufen, ihr Vieh zur Schlachtung aufzutreiben. Bei den hohen
Futterpreisen war es schwierig, die Mast fortzusetzen, während auf
der anderen Seite die hohen Viehpreise zum Verkauf lockten.
Wesentlich anders aber lagen die Verhältnisse im Jahre 1902.
Nicht nur die Getreide-, auch die Futterernte war reichlicher ausge-
fallen als seit langem, und so hielt der Landwirt, der Großgrund-
besitzer wie der Bauer, sein Vieh, welches er reichlich Mittel hatte
zu mästen, zurück. Der verringerte Umtrieb bei allerdings auch ver-
ringerten Beständen mußte eine Preissteigerung hervorrufen !).
Dasansich zufällige Zusammentreffen einer Futter-
mißernte in vielen Teilen Europas, mit einer Maismiß-
ernte jenseits des Ozeans erklärt also die Kalamität
und ihren weltwirtschaftlichen Charakter. Sie wurde
in Europa in ihren Wirkungen verschürft und gedieh
zu ihrem Umfang dadurch, daß 1902 eine besonders
günstigeFutterernte der ungünstigen von 1901 folgte.
Die Weltmaisernte ist (nach englisch-amerikanischen Quellen)
1901 rund 240 Mill. Quarters gewesen gegen 320 Mill. Quarters im
Mittel der Jahre 1896/1900. Das Minus war also ein enormes; noch
größer aber als im Weltdurchschnitt war es in der Union. Die
nordamerikanische Maisernte von 1901 betrug nur 65 Proz.
des Durchschnitts. Wie knapp das Futtermittel in manchen Staaten
geworden war, läßt sich daraus entnehmen, daß nach Mitteilungen
des ,Getreidemarkt" in Kansas gelegentlich Mais um 1 Cent pro
Bushel teurer notierte als Weizen. Die Farmer waren infolgedessen
nicht in der Lage, ihre Schweine bis zur vollen Mastreife durch-
zufüttern?). Sie fanden sich gern bereit, sie vorzeitig auf den
1) Vgl. hierzu die Darstellung des „Vorwärts“ vom 26. Sept. 1902.
2) Wie der Maispreis, war infolge der Dürre im zentralen Westen auch der Heupreis
und der Preis der anderen Futtermittel hinaufgegangen. Craxton, im Bulletin of the
Department of Labor, Nr. 41, Juli 1902 theilt darüber folgende Ziffern mit. Der Preis
war in Chicago
1. Januar 1. Juni 1. Januar 1. Juni
pro Bushel Mais Nr. 2 pro Tonne Heu
Dollars.
1895 0,45 0,51 4 10,75 9,75
1596 0,25 À 0,27 Éy 11,75 11,50
1897 0,23 5 0,23 3 8,25 9,00
1898 0,26 11 033 $ 8,25 9,75
1899 0,36 } 0,33 4 7,75 10,25
1900 0,31 À 0,37 A 10,75 11,00
1901 0,36 de 0,43 HÌ 12,50 12,25
1902 0,63 44 0,61 Ze 13,00 13,75
Der Maispreis von 1902 war also ein enormer: fast das Dreifache jenes von 1897,
als Januarpreis auch fast das Doppelte jenes der nächsten Jahre zuvor; aber auch der
Studien-zur Fleischteuerung 1902/03. 219
Markt zu bringen, da der Preis ein guter war. Die Schweineherden
in der Union sind infolgedessen reduziert. Nach einer Mitteilung
des „Cineinnati Price Current“ vom 28. August 1902 waren zu dieser
Zeit die Bestände von Schweinen in den westlichen Staaten um
18 Proz. geringer als in der gleichen Zeit des Vorjahres.
Aehnlich waren die Verhältnisse in Europa, mit Ausschluß nur
etwa des europäischen Südostens, der unter einem günstigen Stern
stand. 1901 fehlte es an Futter und Streumitteln im zentralen, wie
im westlichen Europa!) Die Folge war, daß Tiere viel weniger zur
Mast eingestellt wurden als sonst. Dies geschah, trotzdem die Be-
stände schon durch den starken Verbrauch der vorangegangenen Zeit,
mindestens bei Schweinen, etwas reduziert worden waren. Als 1902 die
Futter- und Streuernte eine gute wurde, traf sie eine kleinere Zahl
Tiere an. Umsomehr sollten wenigstens diese gemästet werden, um
die Ernte zu nützen. Ein Zurückbleiben des Angebots hinter der
Nachfrage war die notwendige Folge.
Das also die natürlichen Faktoren, welche die Preisbildung für
Fleisch in letzter Zeit vorwiegend verschuldet haben. Es verdient
bemerkt zu werden, daß „natürliche Faktoren“ die ausschlaggebenden
gewesen sind. Insofern hat die Erklärung der agrarischen Parteien
Recht behalten.
VII. Die Verwandtschaft und Vergleichbarkeit der Er-
scheinungen von 1902 mit jenen von 1890.
Zu einem vollen Verständnis der gegenwärtigen Lage und auch
ihrer Aussichten wird man gelangen, wenn man sich erinnert, daß
wir eine Fleischteuerung ganz ähnlichen Charakters wie die gegen-
wärtige vor 12 Jahren durchgemacht haben.
Unsere Zeit lebt rasch, und so scheint auch das Gedächtnis für
das, was vor jetzt nur 12 Jahren vorging, schon vollständig ver-
wischt zu sein. In der Lektüre der politischen und Fachzeitungen,
wie in den Debatten der Parlamentskommissionen und Parlamente
bin ich dem Hinweis, daß es sich in der Fleischteuerung von 1902
fast in alle Einzelheiten hinein um eine getreue Wiederholung von
Vorgängen handelt, die jetzt nur wenig über ein Jahrzehnt zurück-
Heupreis von außerordentlicher Höhe! Man begreift, wenn unter solchen Umständen
(nach den Worten eines englischen Berichts) die Farmer es profitabler fanden, den Mais
zu verkaufen statt ihn zu verfütt@rn. Welcher Art die Folgen waren, sagt der gleiche
Bericht an anderer Stelle: , The average weight of the hogs in the United States has
run about 10 lbs. lower than usual in this year and many underfed hogs have been
sent forward." Cattle and meat trade of the United States. Diplomatic and consular
reports, Nr. 581 Miscellaneous Series.
1) Die Futternot des Jahres 1901 schilderte seiner Zeit ein Bericht aus dem Re-
gierungsbezirk Liegnitz folgendermaßen : „Fast im ganzen Bezirke herrschte schon seit
Frühjahr großer Futtermangel, der zahlreiche kleinere Landwirte bereits zu Viehverkäufen,
zum Theil mit 50 Proz. Verlust genötigt hat. Stellenweise ist es vorgekommen, daß
grünes Getreide an das Zugvieh verfüttert worden war, und da die Ernte nur einen
geringen Strohertrag versprach, fehlte es auch an Streu.
220 Julius Wolf,
liegen, niemals begegnet. Und doch verdiente die Erscheinung auch
um deswillen bemerkt zu werden, weil, was heute vorgeht, nicht nur
im Tatsächlichen, in dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage
auf dem Fleischmarkte, in den Ursachen wie in den Wirkungen, eine
verblüffend gelungene „Kopie“ früherer Entwickelungen ist, sondern
ebenso die politischen Begleiterscheinungen, die Agitation, die
Debatten, der Kampf in der Presse und in den Vertretungskörpern,
eine Wiederholung darstellt.
Auch vor den Reichstag war der Gegenstand damals so wie heute
gebracht; Abgeordneter Barth und Genossen hatten den Antrag ge-
stellt: ,den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, die Aufhebung des
Schweineeinfuhrverbots an der dänischen Grenze zu veranlassen",
und kein Geringerer als Virchow begründete ihn. „Es ist ein
absolutes Bedürfnis", erklärte Virchow, „dem Import wieder
die Wege zu bahnen und den Markt mit dem erforderlichen
Quantum von Fleisch zu versorgen.“ Von der Regierungsbank
wurde das Bedürfnis geleugnet. Staatssekretär von Bötticher
führte aus:
„Die Steigerung der Preise ist keineswegs eine in Deutschland
allein bemerkbar gewordene Tatsache, auch hat Berlin nicht etwa die
höchsten Preise zu verzeichnen. In London kostete der amerikanische
Schinken im April 62—66, und stieg im August auf 70—74, der
dänische Speck kostete in London 47—53 im April, im August
65—71 Pfg., in Paris stellten sich die Fleischpreise für Fettsch weine
(Rufe: Während der Ausstellung!) im April. wo bekanntlich die
Ausstellung noch nicht eröffnet war, auf 1—1,1x, im August auf
1,25— 1,64; in Amsterdam kostete ein Kilo Schweinefleisch im April
0,86—0,10, im August 0,47—0,53, in Berlin kostete im April Schweine-
fleisch 38-—43, im August 53—60 Pfr. Für 100 Pfd. Lebendgewicht
macht das eine Verteuerung von 20 Proz. Daraus schließe ich, daß
keineswegs das Einfuhrverbot der ausschließliche Grund für die
Erhöhung der Fleischpreise gewesen ist, und daß allgemeine Ursachen
diese Erhöhung der Fleischpreise herbeigeführt haben.“
v. Bötticher fuhr fort:
„Man hat behauptet, wir seien auf die Schweineeinfuhr ange-
wiesen. Das ist nicht richtig. 1888 sind 292000 Schweine eingeführt
und 365600 Schweine von uns ausgeführt worden. Deutschland ist
also wohl im stande, für seinen Schweinebedarf zu sorgen, nament-
lich wenn man erwägt, daß ein Ersatz bei den Schweinen sich un-
gemein leicht vollzieht. Das Schwein ist*bekanntlich in Bezug auf
die Produktion das ergiebigste Tier (Heiterkeit). Eine Vermehrung
für jedes weibliche Schwein um 16—20 Stück pro Jahr ist gar nichts
Seltenes. Ich bin überzeugt, daß sehr bald unsere deutsche Land-
wirtschaft für den Import aus Oesterreich-Ungarn Ersatz bieten
wird, und daß die Schweinepreise wieder billiger werden. Solange
aber in Dänemark die gefährliche Seuche nicht vollständig erloschen
ist, können wir nicht dazu raten, das Einfuhrverbot gegen Däne-
mark aufzuheben.“
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 291
Es blieb also bei dem Verbot. Immerhin war es 1890 zu
einem Antrag der Regierungen von Bayern und Sachsen auf wesent-
liche Erleichterung der Einfuhr gekommen. Der Antrag Bayerns
beim Bundesrat lautete: „Der Bundesrat wolle unter teilweiser Ab-
änderung des Beschlusses vom 27. Juni 1879 beschließen, daß die
Landesregierungen ermächtigt werden, die Einfuhr von lebendem
Rindvieh aus Oesterreich-Ungarn in größere Städte, welche öffent-
liche Schlachthäuser besitzen, unter der Bedingung zu gestatten, daß
die Tiere a) an der Grenze mit Ursprungs- und Gesundheitszeug-
nissen versehen sein müssen, b) beim Eintritt in das deutsche Gebiet
durch beamtete Tierärzte untersucht und gesund befunden worden
sind, c) direkt und ohne Umladung bis zu ihrem Bestimmungsorte
mit der Eisenbahn übergeführt, d) daselbst alsbald geschlachtet, bis
dahin aber von anderem Vieh getrennt gehalten werden und aus dem
Schlachthofe nicht lebend entfernt werden dürfen.“
In der Begründung hierzu war unter anderem gesagt: „Die
hohen Fleischpreise im ganzen Lande, insbesondere in den größeren
Städten, haben schon vor einiger Zeit Veranlassung gegeben,
über die für die Volksernährung hochwichtige Frage der Fleisch-
teuerung und über die eine Ermäßigung der Fleischpreise ermög-
lichenden Maßnahmen eingehende Erhebungen zu pflegen. Inzwischen
ist vielfach eine weitere Steigerung der Fleischpreise eingetreten.
Diese hart empfundenen Verhältnisse lassen für absehbare Zeit eine
Besserung kaum erwarten, da die schlechten Futterernten der Jahre
1887 und 1883 die Landwirte gezwungen haben, ihren Viehbestand
beträchtlich zu verringern, und da in den letzten Jahren noch nicht
so viel Vieh nachgeschafft werden konnte, um den bestehenden Be-
darf an Schlachtvieh decken zu können. Hierzu kommt, daß auch
schon in den früheren Jahren mit besseren Futterernten mehrfach
über Mangel an Schlachtvieh geklagt wurde und an die Regierung
Wünsche gelangten, daß Schlachtvieh aus Oesterreich-Ungarn in die
größeren Städte eingeführt werden dürfe. Diese Wünsche haben
sich in neuerer Zeit so vielfach wiederholt und so dringend geltend
gemacht, daß sich die bayerische Regierung der Verpflichtung nicht
entschlagen kann, auf baldige Abhilfe Bedacht zu nehmen. Auch
mag in Betracht kommen, daß infolge der allgemeinen Steigerung
der Fleischpreise insbesondere in den niedrigen Volksschichten eine
Unzufriedenheit zu Tage tritt, der zu steuern sie dringend veranlaßt
erscheint.“
Der Antrag Sachsens» deckte sich im Wesen mit jenem Bayerns.
Was diese Länder damals verlangten, ist seitdem in Deutschland
Wirklichkeit geworden. Die Einfuhr österreichischen Rindviehs ist
weit über 100 städtischen Schlachthöfen über ganz Deutschland hin
gestattet.
Zunächst allerdings fanden die Anträge Bayerns und Sachsens
entschiedene Gegnerschaft im Bundesrat. Der preußische Land-
wirtschaftsminister Dr. v. Lucius trat gegen sie auf, und mit ihm war
die Mehrheit der Stimmen. Auf Dr. v. Lucius wurde ein Artikel
222 Julius Wolf,
zurückgeführt, den der „Reichsanzeiger“ gleichzeitig über die Fleisch-
not brachte und in welchem auseinandergesetzt wurde:
„Die hohen Fleischpreise der Gegenwart werden von der Tages-
presse vielfach ausschließlich als eine Folge der Fleischzölle und der
Vieheinfuhrverbote dargestellt. Es ist daher von Interesse, zu unter-
suchen, ob und inwieweit diese Behauptung, welche auf den ersten
-Blick sehr wahrscheinlich erscheint, zutrifft.“
Es wurden nunmehr Ziffern genannt und dann als ihr Ergebnis
ausgesprochen:
„Diese Zahlen ergeben, daß ein Einfluß des Fleischzolles auf die
Preisbewegung nicht erkennbar ist; denn dieser betrug vom 1. Ok-
tober 1870 ab für 100 kg brutto 3 M., vom 25. Juli 1879 ab für
100 kg netto 12 M. und vom 1. Juli 1885 ab 20 M. Die 1885 er-
folgte Erhöhung der Zölle ist bis zum Jahre 1838 im allgemeinen
von einem stetigen Fallen der Fleischpreise begleitet gewesen.
Es müssen daher für die Bewegung der Fleischpreise andere Ur-
sachen maßgebend gewesen sein.“
Neben den Viehzöllen waren, wie auch jetzt, die Grenzsperren
als Ursache der Teuerung genannt. Der Artikel stellte diesbezüg-
lich fest:
„Beachtet man die Zeiten des Inkrafttretens der einzelnen Ein-
fuhrverbote etc. und vergleicht sie mit der Bewegung der Fleisch-
preise, so findet man, daß dieselben das allmähliche Fallen der Preise
auf den sehr niedrigen Stand vom Jahre 1888 nicht verhindert haben.
Es darf hieraus gefolgert werden, daß diese Verbote auch keine aus-
schlaggebende Veranlassung zum stetigen Steigen der Preise seit
August des Jahres 1889 gegeben haben können.“
Beiläufig darf bemerkt werden, daß die offizielle Beweisführung
hier weder in dem ersten, noch im zweiten Punkte schlüssig war.
Es konnten andere Umstände ein Herabgehen der Viehpreise in
einem Umfange bewirkt haben, daß durch sie die Wirkung der Vieh-
zölle und der Sperre mehr als aufgehoben wurde. Es war nicht
ausgeschlossen, daß ohne letztere der Viehpreis noch wesentlich
niedriger gestanden hätte. Der Beweis, daß sie nicht preiserhöhend
wirkten, war aus der bloßen Vergleichung der Preise früher und
später niemals zu führen. Der Artikel fuhr aber, nachdem er Vieh-
zölle und Sperren als preissteigernde Faktoren, wie gezeigt, zurück-
gewiesen hatte, fort:
„Die Gründe für diese Preissteigerung sind bei unbefangener
Erwägung unschwer in anderen Umständen zu finden. Notorisch war
das Ergebnis der Ernte in Süddeutschland im Jahre 1888, in Nord-
deutschland im Jahre 1889 ein recht dürftiges, insbesondere bezüg-
lich der Futtermittel. Die notwendige Folge trat darin zur Er-
scheinung, daß die Landwirte ihre Viehbestände verringern mußten.
Das Angebot von Schlachttieren wuchs daher auf den Märkten und
drückte die Fleischpreise bis zur Mitte des vorigen Jahres herunter.
Dann kam der Rückschlag. Als im laufenden Jahre die Ernte einen
reichlichen Ertrag in Aussicht stellte und auch brachte, suchten die
—
Studien zur Fleischteuerung 1902/03. 293
Landwirte ihre Viehbestände zur Verwertung der in außergewöhn-
lichen Mengen gewonnenen Futtermittel zu erhalten und zu vermehren.
Daraus erklärt sich der bisher zunehmende Mangel an Angebot von
Schlachtware, wie andererseits auch daraus notwendig gefolgert
werden muß, daß das Angebot sich stark vermehren und einen Rück-
gang der Fleischpreise herbeiführen wird, sobald die aufgestellten
Masttiere, Rinder, Schweine und Schafe, die Mastreife erreicht haben
werden. In Deutschland benachbarten Ländern haben übrigens ähn-
liche Verhältnisse im laufenden Jahre gleichfalls sehr erhebliche
Preissteigerungen hervorgebracht.“
Die Erklärung, die der „Reichsanzeiger“ gab, wurde auch von
anderer Seite aufgenommen und gelegentlich noch näher ausgeführt.
Sie stimmt, wie man sieht, in weitgehendem Maße mit der
Erklärung, die der gegenwärtigen Fleischteuerung
zu geben ist, überein.
Im Anschluß an sie ist es von Interesse, den Gang der Fleisch-
preise nach 1890 kennen zu lernen. Ich gebe aus schon mitge-
teilten Tabellen folgende Ziffern wieder. Der Preis war
in Berlin
für Schweinefleisch für Rindfleisch
Keule Bauch
Mark pro Kilogramm
1888 1,16 1,21 1,00
1889 1,30 1,23 1,05
1890 1,44 1,36 1,15
1891 1,36 1,41 1,17
1892 1,37 1,39 1,17
1893 1,32 1,39 1,11
1894 1,29 1,40 1,10
1895 1,25 1,39 1,07
1896 1,20 1,38 1,06
Aus diesen Daten geht hervor, daß Rindfleisch erster Qualität
(Keule) seit jenem Teuerungsjahr überhaupt nicht wieder billiger
wurde. Mindere Qualitäten schlugen zunächst auch nicht, dann
aber von 1893 an einen leichten Rückgang ein. Der Preis von
Schweinefleisch war dagegen schon 1891 etwas niedriger, 1893 folgte
eine weitere Herabsetzung und bis 1896 schritt dieselbe fort. Auch
hier aber ist die Abschwächung des Preises eine überaus lang-
same gewesen.
VIII. Die Aussichten der Zukunft.
Auch in der Beurteilung der Zukunft des Fleischmarktes liegen,
wie eingangs angedeutet, zwei Auffassungen miteinander im Streite.
Amtlich wurden unterm 11. Juli v. J. die städtischen Körper-
schaften von Königsberg in diesem Sinne beschieden: „In den letzten
Monaten sind die Schweinepreise bereits erheblich zurückgegangen ;
es ist zu erwarten, daß sie infolge der vermehrten Schweinehaltung
in nicht ferner Zeit wieder einen normalen Stand erreichen werden.“
Aehnlieh wurde später, im September, von parlamentarischer Seite
224 Julius Wolf,
„im Laufe von wenigen Monaten eine starke Ueberproduktion von
Schweinen, also ein Sinken der Preise“ in Aussicht gestellt. Aus
der Mitte der Landwirtschaftskammern wurde im September geäußert:
„Wir betrachten die Erhöhung der Viehpreise als nicht exorbitant
und als voraussichtlich bald vorübergehend.*
Dagegen erklärte die „Korrespondenz des Handelsvertragsvereins*
unterm 29. August 1902: „Die deutsche Landwirtschaft kann wirk-
lich anscheinend den Fleischbedarf des deutschen Volkes nicht decken.
Seit 2 Jahren steigen die Schweinepreise, seit einem Jahre sind sie
unsinnig hoch und trotzdem haben die deutschen Landwirte die
Schweineproduktion, die am raschesten gesteigert werden kann, nicht
auf die ausreichende Höhe zu bringen gewußt. Welche Wahrschein-
liehkeit spricht dafür, dali sie es nun mit einem Male fertig bringen
werden ? *
Aehnlich meinte Anfang Oktober der Obermeister der Fleischer-
innung zu Potsdam: ,Wir haben kein den berechtigten Ansprüchen
genügendes Schlachtvieh, und in absehbarer Zeit ist an eine
Besserung dieses Zustandes nicht zu denken. Im Gegen-
teil! Die Landwirte gestehen selbst ein, daß sie nicht im stande
sind, das nötige Vieh zu liefern. Erklärt doch ein hervorragender
Landwirt und Züchter, daß zur Deckung des Bedarfs in Deutschland
noch 300000 Rinder und 1000000 Schweine erforderlich sind. Der-
selbe befürwortet im Interesse der deutschen Landwirtschaft eine
vermehrte Einfuhr von Schlachtvieh aus dem Auslande, damit die
deutschen Landwirte erst ihr Vieh zur Schlachtbank reif mästen
kónnen.*
Von diesen Aeufterungen ist keine später als im ersten Oktober-
drittel gefallen. Sie hatten schon seitdem Zeit sich einigermaßen zu
erproben. Mit dem zweiten Oktoberdrittel, also unmittelbar nach-
dem z. B. jene hoffnungslose Aeufterung des Innungsmeisters ge-
fallen war, hat zunächst in Amerika ein Sinken des Schweinepreises
eingesetzt. Am 8. Oktober notierten Schweine in Chicago 7,40/45
Cents pro Pfund, bereits am 15. Oktober war der Preis 6,90/7,00
Cents, am 15. November 6,10/15 Cents.
Der amerikanische Schweinepreis ist also in der kurzen Zeit
eines Monats um 20 Proz. zurückgegangen. Seitdem ist er wieder
etwas gestiegen.
Der deutsche Schweinepreis ist dem amerikanischen nur zögernd
gefolgt. Er ist in Pfennigen pro Pfund (Mark pro 50 kg) gewesen:
1900 August 11. Februar
Durchschnitt 1902 1903
a) vollfleischige Schweine feiner Rassen 49,92 63—66 56
b) für fleischige Schweine 47,11 61—65 53—55
c) „ gering entwickelte Schweine 44,88 57—03 50—52
d) „ Sauen 44—54 58—63 51—53
Auch hier also zuletzt ein Rückgang um rund 15 Proz. Das Sinken
des Preises in Amerika hängt mit der enormen Maisernte, welche
die Union in diesem Jahr einbringt, zusammen. Es ist die größte, die
Studien zur Fleischteuerung 1902. 295
Amerika je eingeheimst hat. Ihr Ertrag ist auf 2540 Mill. Bushel
geschätzt, während die letzten guten Ernten erbracht hatten:
1900 2105 Millionen Bushel 1897 1903 Millionen Bushel
1899 2078 » d 1896 2284 5 s
1898 1924 i e 1895 1151 » »
Der guten Ernte entsprechend, ist auch der Preis des Maises
in Amerika gefallen!). Mais notierte im Oktober 1902 in Chicago
noch bis 60 Cents pro Bushel; schon im November 1902 war er
pro Mai nächsten Jahres mit 45 Cents und darunter notiert. Gegen-
wärtig notiert er noch etwas darunter.
Die Verhültnisse des Viehmarkts haben also bereits eine Besse-
rung erfahren, und ebenso lassen die Aussichten der weiteren Zu-
kunft eine günstige Beurteilung zu.
Ebenso ist unzweifelhaft, daß sie sich in nicht zu langer Zeit
auch auf den Fleischmarkt übertragen werden, wenn auch gegen-
wärtig die Fleischer für das Minus an Gewinn, das in der Zeit der
Viehteuerung für sie zu realisieren war (so oben), durch ein
Plus des Aufschlags, das reichlich bemessen ist, sich
iu erholen suchen.
Es dürfte ähnlich gehen wie in den Jahren zunächst nach 1890
und weiter hin in den Jahren 1897—1900. Ein Preis von 1,35 bis
höchstens 1,40 M. für Schweinefleisch also der Preis, den man
sich allgemach gewóhnt hat, als normalen zu betrachten, dürfte
an Stelle des vor kurzem in Geltung gestandenen und wohl noch
heute vielfach geforderten von 1,50 bis 1,60 M. allgemach in Geltung
treten ?).
Diese Entwickelung ist unter anderen auch darum vorauszu-
zusehen, weil die Schweineproduktion eine verhältnismäßig rasche
Deckung von Defiziten zuläßt. Auf dem Gebiet des Rindviehmarktes
war die Not aber von vornherein eine viel geringere °).
1) Es verdient hier bemerkt zu werden, daß ähnlich wie auf dem Gebiete der
Baumwolle und noch mehr als dort die amerikanische Ernte ziemlich die Ernte der Welt
ist. Nach dem Corn Trade Years Book 1901—1902 entfielen: E
1901 von den 241 Mill. Quart. der Welternte 170 Mill. auf d. amerik. Union
1900 „n , 321 , "oon D 263 » »» » D
1889 , „ 312 Sk » " " 260 D on » »
Diesen Ziffern zufolge stellt die amerikanische Maisernte 70—80 Proz. und darüber
der Welternte dar!
2) Auf die Erhöhung der Vieh- und Futtermittelzölle, die selbstverständlich auch
fleischpreissteigernd wirken muß, ist dabei — als in ihren Sätzen nicht definitiv — keine
Rücksicht genommen.
3) Bereits nach den Ziffern der Zählung von 1879 hatte die deutsche Schweine-
produktion in der Schweineproduktion der Welt einen hervorragenden Platz. Mit seinen
14 275000 Schweinen (welche seitdem bis 1900 übrigens auf 16 807 000 gestiegen sind)
hatte Deutschland weitaus die meisten Schweine unter allen europäischen Staaten, mehr
als Rußland, und überaus viel mehr als Frankreich oder Großbritannien, wo allerdings
die weit größeren Schafbestände einen gewissen Ausgleich schaffen, aber auch mehr als
Oesterreich-Ungarn. Kaum ungünstiger repräsentierte sich die Rindviehproduktion, nur
daß Deutschland hier nicht den ersten Platz in Europa innehat, sondern (mindestens der
Zahl der Viebstücken nach) Rußland. Vgl. hierzu die Ziffern der Beilage.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 15
226 Julius Wolf,
á
Zur Geschichte der Fleischpreise in Deutschland im
Vergleich mit österreichischen Plätzen und mit
England.
I. Rindfleisch.
In Preußen war nach Angaben des königl. preuß. statistischen
Bureaus der Preis für Rindfleisch:
Durchschnitt 1862—70 88 Pf. pro kg
h 1871—80 KES. oe c» Je
Se 1881—90 DÄ a 45 Ca
z 1891—00 125.55. "wo
35 1901 127- 4 Gi mg
In Berlin nach Angaben des kónigl. Polizeipräsidiums (bezw.
soweit Angaben des preuf. statist. Bureaus zur Verfügung stehen,
nach diesen):
Durchschnitt 1861—70 100 Pf. pro kg
ve 1871—80: 1295. 4, 5; 5
is 1881—90 117 , »„ »„ (preuB. statist. Bureau für 1882 90 116,1)
$5 1891—00 125 , » » n ái i » 1891/00 125,8)
LL 1901 132 » LL LL » » » 1901 132 )
Die vorstehenden Ziffern weisen die bekannte Tendenz zum Steigen
der Fleischpreise aus.
1861—70 mufte Fleisch in Berlin noch um ca. 12 Pfg. hóher
als im Durchschnitt des Landes gezahlt werden, im Jahrzehnt 1811
bis 1880 war der Unterschied nur noch 10 Pfg., im folgenden Jahr-
zehnt 1881— 1890 kamen Berliner- und Landpreise zusammen und
blieben so auch 1891/1900. Daß das einzelne Jahr 1901 andere Ver-
hältnisse zeigt, will gegenüber den vorausgegangenen 2 Jahrzehnten
kaum etwas besagen. Daß der Berliner Preis dem Durchschnittspreis
des Landes immer näher gekommen ist, führt sich selbstverständ-
lich auf die steigende Leichtigkeit der Versorgung der Brennpunkte
des Verkehrs zurück.
In Wien war nach Daten, welche für die Jahre 1850—90 in
den vom k. k. Finanzministerium herausgegebenen „Statistischen
Tabellen zur Währungsfrage der österreichisch-ungarischen Monarchie“
(Wien 1892), für 1891—1901 in dem von der k. k. statistischen
Zentralkommission herausgegebenen österreichischen statistischen
Handbuch (wobei den Daten für 1850—99 Nachweisungen der poli-
tischen Landesbehörden über die Marktpreise überhaupt, den Daten
für 1900 und 1901 Nachweisungen des k. k. Landesversicherungs-
Ministeriums in Betreff der Marktpreise der Verpflegungsgegenstände
des Heeres zu Grunde liegen) mitgeteilt sind, der mittlere Preis von
Rindfleisch:
Durchschnitt 1850—59 80 Heller pro kg
» 1860 —69 94 n n »
" 1870—79 122 » CT ui
» 1880—89 152 n HI »
D 1890—99 138 » n »
” 1900 136 » » ”
» 1901 145 LL » "
Studien zur Fleischteuerung 1902. 227
Die Steigerung des Preises ist in Wien also größer gewesen als in
Berlin. Während sie in Berlin von 1861/70 bis 1901 32 Proz. be-
trug, war sie in Wien von 1860/69 bis 1901 volle 54 Proz. Die
Gründe für diese Differenz dürften ähnliche sein, wie jene, welche
die Steigerung des preußischen Durchschnitts größer werden ließen
als die Steigerung des mittleren Preises in Berlin. Wien lag von
Anfang an näher den Produktionszentren als Berlin. In den 60er
Jahren war der Wiener Preis 75 Pfg. gegen 100 Pfg. in Berlin. 1901
berechnet er sich mit 116 Pfg. gegen 132 Pfg. in Berlin. Die Differenz
ist also von 25 auf 16 Pfg. zurückgegangen und darum die Steigerung
des Wiener Preises größer. Immer aber ist der Wiener Preis noch
niedriger als der Berliner, trotzdem Fleisch in Wien größere Lasten
tragen dürfte als in Berlin.
Ein Produktionszentrum, das als solches längere Zeit ebensowohl
für Wien, wie für Teile Deutschlands in Betracht kam, ist Galizien.
Wir stellen darum der Entwickelung des Preises in Wien jene
in Lemberg gegenüber (nach den gleichen Quellen):
Durchschnitt 1850—57 38 Heller pro kg
a 1867—69 — 64 ,„
A 1870—79 81 „
E 1880-—89 104
ji 1890—99 122
Sei 1900 123 p»
n 1901 118
Die Entwickelung Wien gegen Lemberg ist keine andere als
die Entwickelung Berlin gegen Landesdurchschnitt. In den 50er
Jahren ist der Lemberger Preis ca. die Hälfte des Wiener Preises,
in den ersten 50er Jahren. wie aus den in der Anmerkung!) wieder-
gegebenen Ziffern erhellt, sogar noch erheblich weniger, in den 90er
Jahren ist die Differenz auf ungefähr !/, zusammengeschmolzen.
Aus allen diesen Daten geht gleichzeitig hervor,
wieungünstig die Entwickelung des Fleischpreisesin
den Bevölkerungszentren hätte sein müssen, wenn ihr
die Herabsetzung der Transportkosten nicht zu Hilfe
gekommen wäre. Wäre die Differenz zwischen dem Wiener
und dem Lemberger Preis aus den 50er Jahren in die 90er Jahre
die gleiche geblieben, so wäre der Preis des Kilo-
gramms Fleisch in Wien 1901 nicht 145, sondern 236
Heller gewesen!
Andere Verhältnisse als Deutschland und Oesterreich zeigt
England.
1) Der Preis in Wien und Lemberg war in der ersten Hälfte der 50er Jahre:
Wien Lemberg
1850 74 30
1851 74 30
1852 76 32
1853 74 34
1854 82 36
15*
298 Julius Wolf,
In London war (nach Sauerbeck) der Preis für Rindfleisch i
Durchschnitt 1861—70 112 Pfg. pro kg!) d
„ 1871—80 131 » HI n e
» 1881—90 112 ,, » » E
^S 1891—00 99 5, » »
5 1901 106 ,,
Während in Berlin der Preis von 100 auf 132 Pfg. hinauf-
ging, ist er in England also von 112 auf 106 Pfg. herabgegangeı.
Dort ein Steigen um 32, hier ein Rückgang um 5 Proz. Der Unter- E
schied der Entwickelung zu Gunsten Englands beziffert sich also mit SI
37 Proz. Allerdings war 1861—70 der Preis in London noch wesent- ä
lich höher als in Berlin gewesen: 112 gegen 100 Pfg.; auch
1870—80 war der Londoner Preis noch höher: 131 gegen 125 Die.
wenn auch die Differenz von 12 auf 6 Pfg. zurückgegangen war;
1881/90 war der Londoner Preis niedriger: 112 gegen 117 Die,
Daß diese Entwickelung ihre besonderen Gründe hat, ist von
vornherein klar. Sie ist in der Tat nur daraus, daß Nordamerika in
der hier in Frage stehenden Periode das agrikole Hinterland Eng- H
lands wurde, zu verstehen. Ohne dieses Hinterland hätte der Lon- Là
doner Fleischpreis selbstverstündlich niemals die Entwickelung nach |
unten genommen. Bis in die 70er Jahre kannte man eine Einfluß-
nahme des amerikanischen Preises auf die englischen fast gar
nicht. Damals war noch Mitteleuropa im Punkte des Angebots land-
wirtschaftlicher Produkte England gegenüber bevorzugtes Gebiet.
Erst seitdem hat sich England unter den Einfluß des nordamerika-
nischen Preises gestellt.
Auch in Nordamerika ist der Preis im Gegensatz zur Entwicke-
lung des mitteleuropäischen von den 80er Jahren in die 90er ge-
fallen. Rindfleisch „extra mess“ notierte an der New Yorker
Produktenbörse:
1880--89 10,25 Doll. pro Barrel
1890—99 8,02 ,„ $ en
Nach dem von Gerlach (im Handwörterbuch, III, S. 1106) ange-
gegebenen Umrechnungsschlüssel waren das
1880—89 47 Pf. pro kg
1890—99 37. x ud
Der Rückgang war also ein volles Fünftel.
II. Schweinefleisch.
In Preußen war nach Angaben des kónigl. preuß. statistischen
Bureaus der Preis für Schweinefleisch:
Durchschnitt 1862—70 105 Die, pro kg
3 1871—80 125. .3 » »
ji 1881 —90 124 ,, n n
> 1891—00 129,5 „ nn
a 1901 138 p n »
1) Die Notierung erfolgt in England in Pence pro 8 Pfd. Für die Verte Cé
wurde der von Gerlach a. a. O. gebrauchte Schlüssel 1 d pro 8 lbs. = 2,346 Pig.
pro Kilogramm benützt.
Studien zur Fleischteuerung 1902. 229
In Berlin nach Angaben des königl. Polizeipräsidiums (bezw.
soweit Angaben des preuß. statistischen Bureaus zur Verfügung
stehen, nach diesen):
Durchschnitt 1861—70 108 Pfg. pro kg
» 1871—80 127 , p
n
d 1881—90 124 ,, ,, , (preuB. statist. Bureau für 1882/90 121,4)
D 1891—00 132 » » n n n ” » 1891/00 133,8)
H 1901 134 mm HI » D 1901 141 )
Die Entwickelung des Schweinefleischpreises in Berlin gegen
jenein Preußen zeigt die gleichen Verhältnisse wie die des Rindfleisch-
preises, nur daß der Unterschied zwischen dem Landes- und dem Ber-
liner Preis von vornherein wesentlich geringer war als bei Rindfleisch;
bei diesem nämlich in den 60er und 70er Jahren 12 und 10, bei Schweine-
fleisch nur 3 und 2 Pio Auch bei Schweinefleisch gelangt der
Berliner Preis in den 80er Jahren, dank dem Fortschritt der Ver-
bindungen und der Verbilligung der Frachten auf (oder sogar unter)
das Niveau des Landesdurchschnitts, in den 90er Jahren ist er da-
gegen wieder 2,5—4,3 Pie, höher.
Aus Oesterreich liegen Ermittelungen gleich jenen für Rind-
fleisch nieht vor. Durchschnittspreise fehlen mit Ausnahme der Jahre
1900 und 1901 vollständig. In diesen zwei Jahren war der Preis von
Schweinefleisch in Hellern pro Kilogramm (nach der obengenannten
Quelle) :
in Wien in Lemberg
1900 150 127
1901 143 104
oder in Pfennigen pro kg. 1901 114 83
Wie man sieht, ist auch hier der Wiener Preis niedriger als der
Berliner Preis, und die Differenz zu Gunsten Wiens sogar größer:
1901 20 Pfg. gegen 13 Pfg. bei Rindfleisch.
Mit Bezug auf den Preis von Schweinefleisch in England liegen
folgende Ziffern vor. Der Preis war in London (nach Sauerbeck):
Durchschnitt 1861—70 120 Pfg. pro kg
K 1871—80 Kär: ën,
A 1881—90 108 , „
D 1891 — 00 90 4
S 1901 Bet e None
Wieder also in London ein Rückgang des Preises gegen eine
Steigerung in Berlin. Der Unterschied gegen Berlin ist hier aber
viel größer als beim Rindfleisch. Der Steigerung des Schweine-
fleischpreises in Berlin um 26 Pfg., steht in London ein Rückgang
um 33 Pfg. gegenüber, ein Unterschied der Entwickelung um nicht
weniger als 59 Pfg. liegt also vor. 1901 war der Unterschied zwischen
Berliner und Londoner Preis 47 Pfg.
Die Gründe sind keine anderen als die beim Rindfleisch ange-
führten: die amerikanische Konkurrenz, d. h. 1) die erleich-
terte Verbindung mit Amerika; 2) das Sinken der Fleischpreise
daselbst.
Schweinefleisch notierte an der New Yorker Produktenbörse:
1880—89 14,79 Doll. pro Barrel
1890 —99 11,66 a vw
"
»
Di »
»
230 Julius Wolf,
Das heißt nach dem schon früher erwähnten Umrechnungskoeffi-
zienten:
1880—89 67 Pie, pro kg
1890-9 54 , nn
Ueber die dem Konsumrückgang des Jahres 1902
vorangegangene Entwickelung des Fleischkonsums in
Berlin im Vergleich mit der Konsumentwickelung in
französischen Städten.
Nach persönlicher Mitteilung aus dem Statistischen Amt der Stadt
Berlin berechnet sich der Fleischkonsum in Berlin für 1901 mit
80,3 kg pro Kopf gegen 76,3 kg im Jahre 1899 (die Ziffer für 1900
ist noch nicht verlautbart) und
75,05 kg in 1898 70,86 kg in 1893
75,85 ,, » 1897 71,19 o o 1892
76,775, z 1896 69,88 ,, „ 1891
75:98 , » 1895 69,35 n» 1890
75,32 ‘» „ 1894
(Vergl. Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin, 26. Jahrg., 1900).
Diese Entwickelung ist auffällig und erfreulich zu nennen angesichts
der bekannten Tatsache, daß im allgemeinen auch bei steigendem
Wohlstand der Fleischkonsum der Städte pro Kopf die Neigung hat
zurückzugehen mit Rücksicht auf die Einwanderung vom Land her,
die einen sehr niedrigen Lebensstandard mitbringt und mit ihren
Konsumgewohnheiten den städtischen Durchschnitt stetig herabdrückt.
In der Tat ist weiter zurück der Kopfkonsum in Berlin höher als
gegenwärtig gewesen:
1889 — 80!/, kg
1888 851/, ,
1887 86!/, ,
(Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin, 18. Jahrg.) Doch sind
diese Ziffern unsicher, und die Quelle, das Statistische Jahrbuch der
Stadt Berlin, weist für diese Jahre auch andere Ziffern aus, so im
15. Jahrgang für
1888 76,9 kg
1887 740 »
1856 73,8 5
1855 70,9 „
1884 79,9 „
mit der Bemerkung gleichzeitig, daß die gefundenen Zahlen für die
letzten Jahre immer noch zu hoch sein dürften !
Im 10. Jahrgang des Statistischen Jahrbuchs der Stadt Berlin
trifft man dann wieder folgende Ziffern an:
Konsum 1881 55,74 kg Konsum 1878 75,55 kg
5 1880 71,61 „ y 1877 67,28 „
e 1879 73,04 „ V 1876 67,51 „
Diesen Ziffern ist die Bemerkung beigegeben, daß vor der 1855
begonnenen Einführung des Schlachtzwangs unkontrollierbare Mengen
Vieh den einzelnen Schlachtern direkt zugetrieben wurden und die
Studien zur Fleischteuerung 1902. 231
Ziffern eine gewisse (wenn auch offenbar immer noch fragwürdige)
Sicherheit also erst von da an gewinnen!
Zur Würdigung dieser im ganzen nicht ungünstigen Konsum-
entwickelung, vgl. u. a. den Artikel von P. Nivard „L’approvision-
nement et la consommation de la viande à Paris“ im „Economiste
français“ vom 8. März 1902, wo u. a. gesagt wird: „Ganz entgegen
der Annahme, die man geneigt sein wird zu hegen, geht der Kon-
sum in Paris, auf den Kopf berechnet, nicht hinauf, sondern zurück.
Er betrug
1896—01 73,0 kg
1891—96 74,2 »
1886—91 78,4 „
1881—86 77,8. 3
Man sieht aus diesen Ziffern, daß Berlin eher einen höheren
Konsum pro Kopf hat als das reiche Paris. Nivard stellt die
Erscheinung des Konsumrückgangs auch für andere Städte Frankreichs
fest. Mit einziger Ausnahme Nantes, sei der Konsum, wenn man
die Periode 1896—1901 mit 1881— 1886 vergleiche, überall zurück-
gegangen. So sei er pro Kopf gewesen
in Marseille 1896—01 62,1 kg
1881—86 73,7
in Rouen 1896—01 55,9
1881—86 63,5
in Bordeaux 1896—01 67,0
1881—86 75,0
in Toulouse 1896—01 79,0
1881—86 88,7
232 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
II.
Ueber die gegenwártige Lage der Landwirtschaft
und die agrarische Bewegung in Italien‘).
Von Dr. jur. et phil. Adolf W eb er» Bonn.
Italiens Volkswirtschaft macht scheinbar glänzende Fortschritte.
Im Jahre 1901 erreichte und überschritt die 5-proz. (in Wirklichkeit
4-proz.) italienische Rente zum ersten Male den Parikurs, und stolzer
Optimismus klang aus fast allen Reden, die im Mai dieses Jahres bei
Beratung über die Ausgabe neuer, 3 !/,-proz. Schuldverschreibungen
auf dem Monte Citorio gehalten wurden. In der That haben in den
letzten Jahren in Italien die Staatseinnahmen die Ausgaben stets sehr
wesentlich überstiegen; das Plus stieg im Jahre 1900/01 sogar auf
68 Mill. Lire, obwohl an außerordentlichen Ausgaben unter anderem
15 Mill. L. für das Chinaunternehmen zu decken waren. Ebenso er-
freulich erscheint prima facie der Umstand, daß Italien seit einer Reihe
von Jahren immer weniger an Zinsen für seine Staatsschulden an das
Ausland zu zahlen hat, im Jahre 1893 mußte man noch 197 Mill L.
dafür ausgeben, im Jahre 1900 nur noch 64 Mill?) Damit scheint
im Einklang zu stehen eine verhältnismäßig sehr starke Steigerung des
italienischen auswürtigen Handels; rechnet man Einfuhr und Ausfuhr
zusammen, so zeigt sich für die Jahre 1890—1901 eine Vermehrung
von 199 Proz.; Italien steht unter allen Kulturstaaten an zweiter Stelle,
es folgt gleich hinter den Vereinigten Staaten, deren gesamter Handels-
zuwachs 208 Proz. betrug, und läßt Deutschland mit 177 Proz. in
1) Der Aufsatz stützt sich vorzugsweise auf die neuere italienische Literatur, die
im Texte an geeigneter Stelle namhaft gemacht ist. Hier sei nur aufmerksam gemacht
auf die betreffenden Abschnitte in den Arbeiten von P. D. Fischer: ‚Italien und die
Italiener, 2. Aufl, Berlin 1901, S. 198 ff. und von King-Okey: Italy To day, London
1901. Ueber soziale Wohlfahrtseinriehtungen in Italien unterrichtet wohl am besten
die von Musée Sociale angeregte Schrift: La Prévoyance sociale en Italie, 1898. Als
neueste Arbeit sei erwähnt ein Aufsatz von G. E. Frankenstein über „das ökonomische
Erwachen‘ Italiens in der russischen „Viestnik Yevropui‘ (August 1902).
2) Nuova Antologia, 16. Juli 1902, S. 379.
Miszellen. 233
ziemlich weitem Abstande hinter sich?) Aber darf man diesen ver-
schiedenen Zahlen so viel Wert beilegen, wie man wohl auf den ersten
Blick zu thun bereit ist? Gewiß nicht!
Das starke prozentuale Anwachsen des auswärtigen Handels von
1890—1901 will deswegen wenig bedeuten, weil es sich nur um relative
Zahlen handelt, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Daten pro 1890
stark beeinflußt sind durch den damals zwischen Italien und Frankreich
herrschenden Handelskrieg. Was das Zurückströmen italienischer Schuld-
verschreibungen in die Heimat anlangt, so hat dies ganz unzweifelhaft
auch seine große Schattenseiten. Einer der scharfsinnigsten und weit-
blickendsten Volkswirte Italiens, Maggiorino Ferraris, urteilt meines
Erachtens ganz richtig, wenn er sagt, daß die „Heimkehr“ der italienischen
Staatsschuld einerseits zwar auf eine wachsende Sparkraft im Lande
hindeute, daß sie aber auf der anderen Seite einen traurigen Mangel
an Initiative, Vertrauen und Betriebsamkeit enthülle, „falls diese Be-
wegung in den nächsten Jabren fortdauert, wie es den Anschein hat,
dann wird Italien zwar die Genugtuung haben, seine Staatsschuld vom
Auslande eingelöst zu haben, aber gleichzeitig wird die ökonomische
Depression und die Unzufriedenheit mit all ihren Konsequenzen sich
verschärfen...“ So bliebe denn nur noch die „glänzende Bilanz“.
Ihr gegenüber wird man sich aber daran eriunern müssen — abgesehen
von allem anderen — daß unvernünftige Sparsamkeit ebenso verderb-
lich für ein Land sein kann als Verschwendung. Vor einigen Jahren
konstatierte ein Redner auf einem nationalen Agrarkongresse in Rom,
daß die italienische Regierung pro Kopf der Bevölkerung 13 L. aus-
gebe für Heer und Flotte, dagegen kaum 25 cent. zum Wohle der
Landwirtschaft). Heute ist das Verhältnis zwar nicht mehr so sehr
ungünstig, aber doch noch bedenklich genug. Es hat jedenfalls sehr
viel Wahres in sich, was einmal der Graf Stephano Jacini, bekannt als
Leiter der „Enquete über die Lage der Landwirtschaft“ vom Jahre 1877,
sagte: L'Italia agricola & stata dissanguata dall’ Italia politica, das
landwirtschaftliche Italien ist aufgesaugt worden von dem politischen.
Italiens Staatsmänner haben nicht in gleicher Weise gesorgt für die Land-
wirtschaft — für Italien geradezu der Pfeiler des Staates — wie für
alles das, was Italien den Rang einer Großmacht sichern soll.
Italien ist ein Agrarstaat und muß es auf absehbare Zeit bleiben !).
Die für die Industrie wichtigsten Rohstoffe, Kohle und Eisen, muß es
fast ganz aus dem Auslande beziehen, seine Wasserkräfte sind im
großen und ganzen keineswegs bedeutend und endlich eignet sich im
allgemeinen der Italiener wohl nicht besonders für Industrie- speciell
Fabrikarbeit. Freilich, die Not lehrt alles; es fehlt der italienischen
1) Journal des Economistes, 15. Juli 1902, S. 6.
2) Vergl. Virgilii, Il problema agricolo e l'avvenire sociale. 2* ed. Mailand-
Palermo 1900, S. 29.
3) Anderer Ansicht scheinen King-Okey (a. a. O. S. 150) zu sein: „It seems pro-
pable that Italy will soon become a very considerable competitor in the international
market in all kinds of yarns and textiles, in electrical machinery, in motorengines and
boilem, perhaps in chemicals and furniture".
234 Miszellen.
Verarbeitungsindustrie, die namentlich in Oberitalien immerhin nicht
unbedeutend ist, durchaus nicht an Arbeitskräften, im Gegenteil in
überreichem Maße zu billigsten Preisen bieten sie sich an. In diesen
niedrigen Löhnen liegt — darin wird man v. d. Hellen beistimmen
können — das ganze, gewiß recht traurige Geheimnis des Erfolges der
italienischen Industrie ?).
Muß nun Italien seine Zukunft auf die Landwirtschaft bauen, so
wäre es Pflicht der Staatsregierung gewesen, nicht nur durch umfang-
reiche Enqueten das festzustellen, was längst jedermann wußte, die Not
der italienischen Landwirtschaft, sondern auch tatkräftig zu helfen.
Derjenige allerdings, der behauptet, dies sei nicht geschehen, setzt
sich der Gefahr aus, daß ihn ein überzeugungstreuer Agrarier von heute
mit Lügen straft. Haben doch die italienischen Agrarier schon seit
Jahren das Ziel erreicht, das ihren Kollegen in Deutschland Erlösung
von allem Uebel zu sein scheint — einen hohen Kornschutzzoll. Vor
dem Jahre 1887 war die Einfuhr fremden Kornes nur mit einem Finanz-
zoll von 1,40 L. pro dz belastet, dann ging man zum Schutzzoll über,
der von 3 L. im Jahre 1887 (Tarif vom 14. Juli) auf 5 L. im Jahre
1888, auf 7 L. im Jahre 1894 gesteigert wurde. Seit 1896 beträgt
der Zoll für Weizen und Mais 71/, L. (Roggen-, Gerste- und Hafer-
einfuhr haben für Italien nur untergeordnete Bedeutung); da der Zoll
in Gold bezahlt werden mul, erhöht er sich effektiv je nach dem Kurs-
stande noch mehr oder weniger beträchtlich.
Was waren die Folgen dieser Schutzmaßregel? Cavour hat Recht
behalten; der Schutzzoll hat sich auch hier als ein „bequemes Schlaf-
kissen“ bewiesen !).
Ein Hauptargument für Einfübrung bezw. Erhöhung des Korn-
zolles war die Forderung der „Unabhängigkeit vom Auslande hinsicht-
lich der Nahrungszufuhr*. Diese Unabhängigkeit ist aber nicht nur
keineswegs erreicht, sondern im Gegenteil die Abhängigkeit nur noch
wesentlich größer geworden.
Die Getreideeinfuhr betrug von 1874— 1886 durchschnittlich 3,7Mill. dz,
1887—1899 durchschnittlich 6,8 Mill. dz; in den letzten Jahren 1890
und 1901 stieg sie auf über 9 Mill. dz. Von der durch die Tatsachen
für Italien unanfechtbaren Voraussetzung ausgehend, daß der Kornzoll
von den Konsumenten getragen werden muß und unter Annahme, dab
eine italienische Arbeiterfamilie — deren Fleischkonsum bekanntlich
außerordentlich gering ist — täglich 2 kg an Brot bedarf, berechnet
Giretti, daß diese durchschnittlich 54,75 L. pro Jahr für den Korn-
schutz ausgeben müsse, das mache bei einer armen Familie, die nur 2 L.
pro Tag verdiene, 10 Proz. des Lohnes pro Jahr aus?). Gewif ist diese Be-
1) E. v. d. Hellen, Italiens Volkswirtschaft. Ein Vortrag. Freiburg in B. 1899.
1) „La protezione doganale ® un guanciale molto comodo per dormirvi sopra sonni
tranquilli. Citiert nach: Ed. Giretti, Per la libertà del pane. Turin-Rom 1901, S. 19.
2) Giornale degli Economisti, 1902, S. 303 ff. Giretti macht dabei darauf auf-
merksam, daß die unteren Klassen Italiens auch ohne Kornzoll ihr Brot verhältnis-
mäßig recht teuer bezahlen müssen, weil sie sich meist in wirtschaftlicher Abhängigkeit
von ihren Bückern befinden. Er führt an, daß die Bäckereien in Italien überwiegend
Miszellen. 235
rechnung allzu „summarisch“, um ihr einen entscheidenden Wert beizu-
legen. Aber sicher ist jedenfalls, daß der Kornzoll, der übrigens — wie
in Deutschland — nur einer verhältnismälig sehr geringen Zahl von
Landeigentümern zu gute kommt, Giretti schätzt sie auf 50000, schwer
auf der italienischen Bevölkeruug lastet. Das zeigt vor allem die Kon-
sumstatistik: Nach den amtlichen Berechnungen !) betrug der Getreide-
konsum in den Jahren 1884—1887 pro Kopf der Bevölkerung durch-
schnittlich 128 kg, nach Einführung des Getreidezolles sinkt er daun
sofort sehr stark, im Jahre 1898, das letzte Jahr, für welches mir
genaue Daten vorliegen, betrug er trotz günstiger Getreideernte nur
noch 109 kg. Gleichzeitig ging auch der Konsum in allen Geuul-
mitteln, wie Bier, Kaffee, Zucker, Tabak, sehr stark zurück.
Daß das Jahr 1887 für Italiens Volkswirtschaft einen Wendepunkt
bedeutet, zeigen auch andere Zahlen deutlich genug, so betrug die Zahl
der Eheschliefungen 1881/87 durchschnittlich pro 1000 Einwohner 8,04,
1891/97 dagegen nur noch 7,54. Ebenso bietet Italien für das Ver-
hältnis zwischen Getreidepreis und Kriminalität sehr interessante Daten.
Während im Jahre 1887 z. B. pro 100000 Einwohner nur 305 wegen
Diebstahls bestraft wurden, gab es deren 1889 bereits 352, 1895: 378,
1897: 414; die entsprechenden Zahlen für das Verbrechen des Betrugs
(truffe ed altre frodi) waren: 1887: 49, 1889: 52, 1895: 62, 1897: 74.
Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, zu untersuchen, ob und
inwiefern das „post hoc“ auch ein „propter hoc“ bedeutet. Es genügt
mir, die Tatsachen zu konstatieren; sie reichen vollkommen hin, um
in Italien jede ernsthafte Bewegung für weitere Erhöhung des Korn-
zolles unmöglich zu machen. Es giebt allerdings auch in Italien eine
beachtenswerte und, soweit ich urteilen kann, ständig lebhafter werdende
Kornzollagitation, aber sie bezweckt nicht Erhöhung, sondern völlige
Aufhebung des Kornzolles ?) So hat der italienische Bauer in dieser
Hinsicht nichts mehr zu hoffen, „die Schraube ohne Ende“ hat schließ-
lich für Italien doch ein Ende gehabt. Die frohe Zollhoffnung der
Vergangenheit macht jetzt einer Zollsorge Platz; die Furcht ist tat-
kleinste Zwergbetriebe seien, während in Paris auf 1287 Einwohner 1 Bäcker komme,
komme in Neapel z. B. schon ein solcher auf 154 Einwohner. Diese Kleinbäcker liefern
nun ihren Kunden auf Kredit unter der Bedingung, daß deren Lohn ganz oder fast
gleich nach der Auszahlung an den Bäcker abgeführt wird, mit anderen Worten: „Il
panettiere fa il banchiere, dicasi pure, se si vuole, l’usurajo.“
1) Vergl. Annuario statistico italiano, 1900. Diesem sind auch im folgenden, so-
weit nicht anders bemerkt, die Zahlenangaben entnommen. Eine neue Ausgabe des
Annuario war zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit (Juli 1902) noch nieht erschienen.
2) Als Führer der freihündlerischen Agitation darf man wohl Giretti bezeichnen.
Er versuchte nach dem Muster der Anti-Corn-Law-League eine „Lega per l'abolizione
del dazio sul grano“ zu gründen; das trug ihm aber eine Anklage ein wegen An-
stachelung zum Klassenhaß! Zum Glück für ihn wurde diese Anklage aber infolge
der bei Gelegenheit der Thronbesteigung Victor Emanuels II. erklürten Amnestie nieder-
geschlagen. Außer Giretti tritt eine Reihe hervorragender italienischer National-
Ökonomen für den Freihandel ein, besonders auch A. Loria, der eine meines Erachtens
sehr bedenkliche stufenweise Abschaffung des Kornzolles vorschlägt. Ich mache hier
aufmerksam auf die hochinteressante wissenschaftliche Fehde zwischen Loria und Ferraris
in der ,Rivista popolare" vom 15. Juli, 15. Aug., 15. Sept. und 30. Sept. 1901.
236 Miszellen.
sächlich nicht unbegründet, daß die Bewegung für Aufhebung des Korn-
zolles, angesichts des Fiaskos, das er gemacht hat, nicht schließlich
doch einen Erfolg erzielt. Und das wird sicher auch der zugeben, der
im Kornzoll nicht die Panacee für die Bedürfnisse der Landwirtschaft
sieht, daß die Aufhebung des Zolles wahrscheinlich weit mehr schaden
wird als die Einführung genützt hat.
Welche Bedeutung in der Gegenwart für die italienische Land-
wirtschaft der Getreidebau hat, mag etwa aus folgenden Zahlen ersicht-
lich werden:
Nach amtlichen Schätzungen betrug Ende des vorigen Jahrzehnts
der mittlere Jahreswert des in Italien produzierten
Weizen 859,2 Mill. L. Reis 62,3 Mill. L.
.Wein 7423 „p , Hanf $84 4 $
Mais ZORAT d. 4 Sauerfrüchte (agrumi) 54,8 „ »
Olivenöl 193,8 ,, »
Man könnte nun daran denken, den italienischen Weizen- und
Maisbauern den Rat zu geben, weniger Getreide und mehr Produkte
zu bauen, für die der italienische Boden besondere natürliche Vorteile
besitzt; vor allem wäre dabei vielleicht auf den Weinbau zu verweisen.
In der Tat stützen auch die italienischen Freihändler ihre Forde-
rungen zum Teil darauf, daß ein Schaden für die Landwirtschaft gar
nicht entstehe, sondern lediglich ein Uebergang von einer Kulturart
zu einer anderen, nationalókonomisch vorteilhafteren, bewirkt werde!)
Abgesehen jedoch davon, daß ein solcher ,Uebergang' praktisch unter
allen Umständen fast immer auf große Schwierigkeiten stößt, in Italien
insbesondere giebt es kaum einen Zweig der Landwirtschaft, für den
eine größere inländische Konkurrenz wünschenswert wäre.
Von den verschiedenen „Krisen“, welche Ursache der gegenwärtigen
Notlage der italienischen Landwirtschaft sind, ist eine der ärgsten die
„Weinbaukrisis“. Fontana-Russo macht in seinem kürzlich erschienenen
Werke über die „Handelsverträge und die nationale Volkswirtschaft“
zwei Umstände dafür verantwortlich, einmal die wachsende Konkurrenz
des Auslandes und sodann die in Italien überaus verheerend wirkende
Phylloxera ?). Von letzterer wurden betroffen im Jahre 1879: 24 ha;
1853: 387 ha; 1888: 34 474 ha; 1893: 200 125 ha; 1899: 351033 ha;
Die Zahl der in Mitleidenschaft gezogenen Gemeinden betrug 1896:
625, 1897: 672, 1898: 816 und 1899: 908.
Bekanntlich eignen sich große Teile des italienischen Bodens vor-
züglich zur Olivenkultur; aber auch hier ein entschiedener Rückschritt!
Während Anfang der 80er Jahre nach Eheberg?) die mittlere Jahres-
produktion noch 3,3 Mill. hl Oel betrug, sank sie in den Jahren
1897/99 auf durchschnittlich 1,7 Mill. hl, das Minus betrug also über
50 Proz.! Auch hier ist es wieder die auswärtige Konkurrenz, der
man die ganze Verantwortung aufbürden will. In erster Linie ist es
1) Dagegen besonders Ferraris in der „Rivista popolare“ a. a. O., ferner „Rivista
internationale“, April 1902, S. 639 ff.
2) I trattati di commereio e l’economia nazionale. Rom 1902, 8. 211 ft.
3) Agrarische Zustände in Italien. Leipzig 1886, S. 12.
Miszellen. 237
Spanien, dann aber auch Tunis und Algier, die für den italienischen
Olivenbau gefährlich geworden sind.
Vor einigen Jahren gab es doch wenigstens noch ein Teilgebiet
der Landwirtschaft Italiens, wo man bemerkenswerte Fortschritte fest-
stellen durfte. Es war dies der Anbau der unter dem Namen „agrumi“
zusammengefaßten Baumfrüchte, Orangen und Citronen in ihren ver-
schiedenen Arten. Die Stückzahl der Bäume war von 1870—1896 von
ca. 101/, Mill. auf 16 !|, Mill, d. h. um 55 Proz. gestiegen !). Mittler-
weile hat sich jedoch eine traurige Aenderung vollzogen. Vor allem
hat Italien sehr viel dadurch verloren, daß die stetig zunehmende Zucht
namentlich von Orangenbäumen in Kalifornien und Florida die früher
sehr große Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten stark beeinflußt. Der
Orangenexport sank von 1668000 $ Wert im Jahre 1890/91 auf
229000 $ im Jahre 1898/99. Der Preis der agrumi stellte sich 1862
auf durchschnittlich 40 Lire pro Doppelzentner, 1879 auf 27, 1888/92
auf 18 und 1901 auf 7 Lire?)! Dazu kommt, daß wohl auf keinem
Gebiete der italienischen Volkswirtschaft der Zwischenhandel so reich
gegliedert ist, wie auf dem hier in Rede stehenden. In einem Auf-
satze in der Nuova Antologia wies ein gründlicher Sachkenner nach,
daß nicht weniger als 8 Personen, das was der Konsument für die
agrumi zahlt, unter sich teilen, mit der Wirkung, daß dieser 5—6mal
so viel bezahlen muß, als die Orangen und Citronen auf dem Baume
kosten 3).
Zurückgegangen ist ferner in Italien der Ertrag des Reisbaues,
ebenso wie derjenige der Seidenraupenzucht, die man dort als zur Land-
wirtschaft gehörig zu betrachten pflegt. Die Reisproduktion wird von
der „Generaldirektion der Landwirtschaft“ geschätzt auf durchschnitt-
lich 9,8 Mill. hl für die Zeit von 1870 —74 auf 7,3 Mill. hl für 1879— 83,
auf 7,9 Mill. hi für 1884—87 und auf 5,6 Mill. hl für 1894—1898.
Während 1881/89 durchschnittlich pro Jahr 1432000 Unzen Eier
(à 27 g) zur Seidenraupenzucht verwendet wurden, waren es 1891/99
nur noch 944 000 Unzen.
Hinsichtlich der Tierzucht fehlen ganz zuverlässige Angaben. Eine
genaue Zählung der Pferde und Maulesel fand zuletzt 1876, eine solche
des übrigen Viehbestandes zuletzt im Jahre 1881 statt. Dagegen wurden
1890 Schätzungen veranstaltet, die wenigstens in etwas einen Anhalt
bieten. Vergleichen wir mit den dadurch gewonnenen Resultaten die-
jenigen von 1876 bezw. 1881, so ergiebt sich, daß beträchtlich zuge-
nommen haben nur die Esel; in sehr geringem Maße auch die Pferde,
Maulesel und Rinder. Zurückgegangen sind dagegen die Stückzahlen
für Schafe, Ziegen und Schweine. Der letzteren wurden 1881 gezählt
2064000; 1890 konnten sie nur noch auf 1800000 geschätzt werden.
Dieser verhältnismäßig starke Rückgang ist besonders zu bedauern.
Eheberg t) berichtete in seiner bereits erwähnten Schrift: „Vielen
1) v. d. Hellen a. a. O., S. 22.
2) Cf. Rivista popolare, 15. Juni 1902. La erisi degli agrumi.
3) Savastano, Nuovi tempi e nuovi agrumicoltori. Nuova Antologia, 1. April 1900,
S. 507 ff,
4) A. a. O., S. 51.
238 Miszellen.
Bauern trägt die Schweinezucht eine nicht zu verschmähende Rente
neben ihrem kleinen Einkommen aus der eigenen Landwirtschaft, indem
sie junge Schweine selbst aufziehen und kaufen, mästen und auf den
benachbarten Markt bringen oder selbst schlachten, einpökeln und
räuchern und so verkaufen. Auch für den Konsum der Familie sind
sie vom höchsten Wert; das selbst geschlachtete Schwein bietet oft das
einzige Fleisch, das der kleine Bauer und Tagelöhner während des
Jahres ißt.“ Inzwischen ist jedoch der Gebrauch der Weiden vielfach
eingeschränkt worden, zahlreiche Eichenwälder sind niedergehauen, auch
fehlt den kleinen Leuten häufig sogar das kleine Kapital, das nötig ist
zum Ankauf und Mästen eines Schweines.
Es wäre ungerecht, wollte man für die geschilderten überaus trau-
rigen Zustände lediglich das moderne Italien verantwortlich machen,
aber auf ihm lastet doch der schwere Vorwurf, daß der italienischen
Landwirtschaft die drei Stützen fehlen, welche für jede europäische
Landwirtschaft eine conditio sine qua non sind: Kenntnis der öko-
nomischen und technischen Errungenschaften der Neuzeit, Kapital und
Organisation.
Vor einigen Jahren, im Juni 1899, las ich im „Hamburgischen
Korrespondent“ einen, wie es schien, vortrefflich instruierten Artikel
über das landwirtschaftliche Unterrichtswesen Italiens. Viel Rühmens-
wertes wußte der Autor über sein Thema zu erzählen, aber das günstige
Vorurteil, was er dadurch bei dem Leser wachrief, wird wohl bei jedem
bald schwinden, wenn er sich einmal selbst genauer umsieht, wie es mit
dem landwirtschaftlichen Unterricht in Italien bestellt ist. Die amtliche
Statistik berichtet nur von zwei landwirtschaftlichen Hochschulen (Scuole
superiori di agricoltura), je eine in Mailand und Portici. Die Zahl der
Schüler betrug für das Jahrzehnt 1877—1887 durchschnittlich pro Jahr
117; im Jahrzehnt 1887—1896 durchschnittlich 891). Dagegen haben
die Universitätsstudenten in Italien stetig und zwar recht stark zuge-
nommen, von ca. 15000 Mitte der 80er Jahre auf 22500 im Jahre
1897/98. Auch die niederen landwirtschaftiichen Schulen haben nur
sehr geringe Erfolge aufzuweisen, etwas besser steht es mit der Insti-
tution der Wanderlehrer (Cattedre d’ambulanti agricoltura), bemerkens-
werte Fortschritte zeigen sich jedoch hier erst seit 1897 ?). Im ganzen
hat E. Loscalzo recht, wenn er meint, daß die agrarischen Studien in
Italien nicht nur unbeachtet und vernachlässigt blieben, sondern sich
auch in einem noch ganz unentwickelten Zustande befänden ®). Darin
liegt auch der tiefere Grund datür, daß man nicht mit der Zeit vor-
wärts zu gehen versteht, daß man der auswärtigen Konkurrenz ohn-
mächtig gegenübersteht, daß die Reblaus und andere Schädlinge gerade
in Italien so verheerend wirken. Aber nicht nur das allein; es feblt
1) Außer den beiden genannten giebt es noch eine Art landwirtschaftlicher Hoch-
schule in Verbindung mit der Universität Pisa. Neuerdings geht das Bestreben viel-
fach dahin, eine agrarische „Fakultät“ im Anschlusse an die Universitäten zu gründen.
Ein Versuch in dieser Hinsicht ist vor einigen Jahren nicht ohne Erfolg in Turin
gemacht worden.
2) Cf. Virgilii, a. a. O., S. 236 ff.
3) E. Loscalzo, Legislazione agraria-sociale. Neapel 1901, S. 9.
Miszellen. 239
in Italien, weil es an einer höheren landwirtschaftlichen Bildung fehlt,
auch an Männern, die hier ein maßgebendes und verständiges Urteil ab-.
geben können. Es ist kaum glaublich, wie wenig selbst volkswirtschaft-
lich gebildete Italiener über die Lage der Landwirtschaft und ihre Be-
dürfnisse unterrichtet sind. So äußerte sich Di Rudini in einer Ver-
sammlung in Palermo vor etlichen Jahren allen Ernstes „pochi paesi
sono coltivati meglio del nostro“ „wenige Länder sind besser kultiviert
als das unsere!“ Von Sizilien, also demjenigen Teile des Königreiches,
wo es vielleicht am traurigsten aussieht, meinte derselbe Staatsmann,
man müsse zwar weiter auf Fortschritte bedacht sein, aber wahr sei es
doch, daß man in gewissen Teilen der Insel so sehr fortgeschritten sei,
daß man wieder rückwärts gehen müsse!). Noch im Jahre 1900 war
der italienische Landwirtschaftsminister Salandra optimistisch genug zu
erklären „Der Fortschritt der italienischen Landwirtschaft ist glücklicher-
weise eine Tatsache“ *). Recht mangelhaft werden im allgemeinen auch
die Interessen der Landwirtschaft im italienischen Parlament wahrge-
nommen, dort befinden sich unter 488 Deputierten nur 35 Landwirte,
welche zudem ausschließlich Großgrundbesitzer sind, daneben aber z. B.
197 Advokaten!
Um so mehr muß anerkannt werden, daß in Italien dennoch von
Einzelnen in der Theorie und Praxis der Landwirtschaft Hervorragendes
geleistet worden ist; es fehlt namentlich auch nicht an (natürlich pri-
vaten) Musterbetrieben. Ich erinnere nur an das, was französische
Trappisten in der alten „Abbadia delle Tre Fontane“ an ‘der Via Lau-
rentina unmittelbar vor den Thoren Roms seit Jahrzehnten geleistet
haben und noch leisten; viel genannt wird in Italien auch das Gut des
Dr. Angelo Motti in der Provinz Reggio Emilia, wo das Verfahren von
Albert Schultz-Lupitz angewandt wird; in Oberitalien giebt als Muster
eines intensiven Betriebes das mit allen Errungenschaften der modernen
Technik ausgestattete, an 1000 ha große Besitztum des Grafen De Asarta
in Venetien. Aber das sind eben nur Ausnahmen, man braucht nur auf
die Felder hinaus zu gehen, um sofort wahrzunehmen, wie primitiv die
Landwirtschaft betrieben wird; nicht selten wird man noch den ein-
fachen Hackenpflug, welcher bekanntlich nur den Boden aufwühlt, ohne
ihn gleichzeitig zu wenden und zu mischen, in Gebrauch finden. Meist
irrationell ist auch der Weinbau und besonders die Weinbereitung; man
ist da, wie es jüngst in einer italienischen Zeitschrift hieß, noch nicht
weiter gekommen, als Noah seiner Zeit war). Wie vor Jahrzehnten,
so dient auch heute noch als Kelterstätte ein „zementierter, gegen die
Mitte geneigter Platz mit einer durch Weidengeflecht überdeckten Grube,
in der der Most zusammenläuft. Die Mostung geschieht durch Menschen
mit beschlagenen Schuhen an den Füßen“ 4). Aehnliche beklagenswerte
1) Wörtlich hieß es in der Rede Di Rudini’s: „Ma pur ? vero come in certe re-
gioni dell'isola si ® tanto progredito, che oggi occorre invece indietreggiare“. Cit. nach
Virgilii, a. a. O., S. 62.
2) Dazu vergleiche man etwa das, was Colajanni über Sizilien sagt in seiner
Schrift: Gli avvenimenti di Sicilia e le loro cause. Palermo 1894.
3) „Rassegna Nazionale“, 16. April 1902, S. 616.
4) Eheberg, a. a. O., S. 29.
240 Miszellen.
Rückständigkeit läßt sich für alle anderen Zweige der Landwirtschaft
konstatieren. Außer der Gleichgiltigkeit und Unkenntnis der italieni-
schen Bauern, ist dafür zweifellos der Umstand verantwortlich zu machen,
daß es fast überall an dem nötigen Kapital fehlt.
In ganz Italien giebt es zur Zeit nur fünf Hypothekenbanken, je
eine in Rom, Siena, Bologna, Turin und Mailand; wie man sieht, keine
einzige in Süditalien und auf den Inseln!) Und auch diese wenigen
Institute beleihen aus erklärlichen Gründen lieber städtisches als länd-
liches Grundeigentum, für letzteres stellen sie meist sehr drückende
Bedingungen ?). Die Zunahme der auf ländliches Grundeigentum einge-
tragenen Hypotheken betrug von 1886—1890 durchschnittlich pro Jahr
208,6 Mill. L., 1891—1898 dagegen nur 141,3 Mill. L. Aus diesen
Zahlen scheint sich mir übrigens auch zu ergeben, wie vorsichtig man
sein muß, wenn man in der Zu- oder Abnahme der Hypothekenschulden
einen Maßstab für die Lage der Landwirtschaft sehen will; Zunahme
der ländlichen Verschuldung ist durchaus nicht immer vom Uebel.
Sehr viel bleibt ferner in Italien noch zu thun übrig für den land-
wirtschaftlichen Personalkredit. Zwar hat L. Luzzatti bereits seit 1863
banche popolari nach dem System von Schulze-Delitzsch und Wollen-
borg 1883 Raiffeisensche Darlehnskassen unter dem Namen casse rurali
eingeführt, aber von einer wirklichen „Bewegung“ zur Gründung solcher
Kassen kann man doch erst in den allerletzten Jahren reden. Vorläufig
blüht noch fast überall der „Wucher auf dem Lande“; vielfach gilt
ein Zinsfu von 25 Proz. noch als sehr milde, so versichert wenigstens
Gatti 3). Man wird jedenfalls das Urteil Fontana-Russos nicht zu pessi-
mistisch finden, wenn er sagt, daß die außerordentlich drückende
Lage der italienischen Landwirte nicht gebessert werde durch eine zweck-
mäßige Organisation des Kredits, mit der anderswo so günstige Resul-
tate erzielt worden seien *).
Welche große Bedeutung die genossenschaftliche Organisation hin-
sichtlich des Kredits, der Produktion, der Absatzverhältnisse für die
italienischen Landwirte hat, erkannte namentlich auch M. Ferraris.
Schon 1890 forderte er in einem begeisterten Aufruf, der die Ueber-
schrift trug „La nostra fede", Italiens Landwirtschaft zur Gründung von
Genossenschaften auf, und er war es wiederum, der in einem am
16. November 1899 in der Nuova Antologia veröffentlichten Aufsatze
„Riforma agraria“ von neuem den Eifer für Gründung genossenschaft-
licher Institutionen zu entfachen wußte; die ganze italienische Presse
besprach den genannten Aufsatz auf das eingehendste, und kein geringerer
als der alte Luzatti meinte mit Bezug auf ihn, daß er „ein mit Freuden
1) Die Baneo di Napoli und die Banco di Sicilia befinden sich in Liquidation.
2) G. Valenti sagt in seiner Schrift: L’agricoltura nella Legislazione, S. 203:
„Gli istituti di credito fondiario, per le condizioni gravose a cui si contraggono i mutui,
non giovano in aleun modo all'agricoltura e non servono che alla consolidazione delle
passività patrimonali dei proprietari“.
3) A. a. O., S. 148.
4) A. a. O., S. 220. Es kann nicht meine Aufgabe sein, auf die ziemlich verwickelte
landwirtschaftliche Kreditorganisation Italiens des näheren einzugehen; ich verweise auf
die klare Darstellung bei Carlo F. Ferraris, Prineipii di scienza bancaria. Mailand 1892,
S. 351 ff.
Miszellen. 241
zu begrüßendes nationales Ereignis“ sei. Lassen wir daher hier einmal
die Kritik schweigen und begnügen uns einer Hoffnung Ausdruck zu
geben mit den Worten Enea Cavalieri's: „So bescheiden auch noch
die genossenschaftliche Bewegung sein mag, sie bedeutet doch den Aus-
gangspunkt einer neuen Phase..., ihr verdanken wir es, daß sich schon
zu verwirklichen beginnen die Prophezeiungen von einer italienischen
Landwirtschaft, die, reich und blühend, jeder anderen ebenbürtig ist“ 1).
Doch was nützt schließlich alle Selbsthilfe, wenn der Staat nicht
nur nicht mithilft, sondern mitschadet. Es ist kaum übertrieben, wenn
jüngst ein Schriftsteller sagt, daß die italienischen Landeigentümer, be-
sonders die kleinen und mittleren, fast erdrückt würden von dem italieni-
schen Fiskus, dem „schrecklichen Vampir“ ?). In der Gazetta del Po-
polo wurde vor einiger Zeit (20. August 1901) berechnet, daß die auf
dem Grundeigentum lastenden Steuern nicht weniger als 25— 30 Proz.
des Rohertrages ausmachten. Maggiore-Perni?) behauptet, daß an Staats-
steuern vom Hektar Land in Italien durchschnittlich 6,48 L. zu zahlen
seien, 5,09 L. mehr als in Preußen und gar 5,59 L. mehr als in England.
Dabei ist wohl zu berücksichtigen, daß der Druck, den die übermäßigen
Grundsteuern ausüben, immer stärker und stärker empfunden wird wegen
des andauernden Rückganges der Grundrente; so ist das gegenwärtige
Steuersystem in der Tat „ein Hindernis für den Aufschwung der Land-
wirtschaft und für die Besserung der ökonomischen Lage der landwirt-
schaftlichen Bevölkerung Italiens“ ist 4).
Es ist wohl kaum nötig, noch ausdrücklich zu betonen, daß die
Lage der Landwirtschaft im ganzen Lande nicht gleichmäßig schlecht
ist, es giebt beträchtliche Unterschiede, wenn freilich auch die Gebiete,
wo man nicht zu klagen berechtigt ist, weder groß noch zahlreich sind.
Ich versuchte ein ungeführes Bild von der durchschnittlichen
Lage zu geben; zun Beweise dafür, daß ich diese nicht zu düster ge-
schildert habe, will ıch hier noch einige Zahlen folgen lassen über die
Wirkungen der Agrarkrisis in einem einzelnen Distrikt, in Apulien 5):
Durchschnitts- Produktion pro
produktion 1900 | Verlust
| We | Wert pro 1900
bl | L. p | L. Wert L.
Getreide 1 016 000 | 19 192 000| 515 000 | 9 680 000! 9 512 000
Wein I 700 000 | 45 900 000| 150000 | 4050 000! 41 850 000
Olivenöl 350 000 | 35 000 000, 100 000
| |
| |100 092 ooo] i23 730 000| 76 362 000
10 000 000| 25 000 000
1) Am Schlusse seines Aufsatzes: „I consorzi agrari in Italia“. Nuova Antologia,
1900, 16. Juli, S. 273 ff.
2) Rivista popolare, 1902, S. 147.
3) F. Maggiore-Perni, Il movimento economico e sociale in Italia. Palermo 1893, S. 13.
4) G. Valenti in seiner Schrift: Il sistema tributario italiano in relazione al-
l'esercizio dell’ agricoltura. Rom 1901, cit. nach Fontana-Russo, a. a. O., S. 220.
5) Nach Paul Ghio: Les dernières crises agraires en Italie. Journ. des Écono-
mistes, Sept. 1901, S. 392.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 16
242 Miszellen.
Ursache dieses außerordentlich ungünstigen Ergebnisses sind be-
sonders Pflanzenkrankheiten verschiedener Art, deren Ausbreitung aber,
wie von verschiedener Seite ausdrücklich hervorgehoben wird, auf die
mangelnde Einsicht und die Indolenz der Landwirte selbst zum großen
Teile zurückzuführen ist.
Im allgemeinen ist die wirtschaftliche Lage Süditaliens überhaupt
ungünstiger als diejenige des Nordens. Kapital, Unterricht und Organi-
sation fehlen dem Süden noch in weit höherem Male als den nördlichen
und mittleren Provinzen, die Absatzverhältnisse sind ungünstiger wegen
des Fehlens jeder Industrie und wegen der durchaus ungenügenden
Verkehrsmittel, daher sind denn auch die Steuerlasten hier ganz beson-
ders drückend. In den Jahren 1893—1899 gingen 108092 Landeigen-
tümer in Italien ihres Eigentumes verlustig, weil sie die Steuern nicht
bezahlen konnten, davon entfielen nicht weniger als 101821, d. h. über
93 Proz. auf den italienischen Süden (einschließlich Sicilien und Sardinien) !)!
Weil die Grundrente im Süden besonders stark zurückgegangen ist,
wird es ferner für einen immer größer werdenden Teil der dortigen
Eigentümer unmóglieh, die Zinsen der Hypotheken zu zahlen, die vor
Jahren und Jahrzehnten unter günstigeren Verhältnissen aufgenommen
wurden; eine tief einschneidende Reform des Hypothekenwesens ist da-
her besonders für den Süden unerläßlich ?).
Aber wenn auch die südlichen Landwirte in noch schlimmeren
Verhältnissen leben als die nördlichen, sie scheinen dies doch weniger
zu empfinden, weil sie stumpfsinniger und weniger aufgeklärt sind $). Ab-
gesehen von dem Einflusse der Industrie, des stärkeren Fremdenverkehrs,
der großen modernen Städte, ist die größere geistige Regsamkeit der
Bewohner der nördlichen und mittleren Provinzen meines Erachtens
hauptsächlich zurückzuführen auf die sogenannte zeitweise Auswande-
rung. Viele Italiener verlassen bekanntlich für kürzere Zeit ihr Vater-
land, um in Frankreich, der Schweiz, Deutschland u. s. w. etwas zu ver-
dienen und mit einer kleinen Summe, vielfach auch mit neuen Ideen —
guten und schlechten — in die Heimat zurückzukehren. Diese „zeitweise
Auswanderung“ ist nun im Süden weit weniger häufig als im Norden.
Im Jahre 1897 — jüngere Daten liegen mir nicht vor — belief
sich die Zahl
in den Distrikten der zeitweisen Ausw. der Bevölkerung
Piemont 11 938 3 381 000
Norditalien Lombardei 1I 118 4 107 800
| Venetien 84 860 3 137 100
Apulien 710 1 910 000
ER al: — 55 500
Süditalien SE UE 3 11$ : us ion
Sardinien 29 766 ooo
1) La Patria (Rom), 4. Mai 1902, No. 122.
2) Vergl. den Artikel „I credito fondiario nelle provincie meridionali“ in der
Tribuna vom 14. Mai 1902; ferner die Rede Luzzatti's über die Lage des Südens, in
SC gehalten am 27. April 1902, Bericht darüber in derselben Zeitung, 28. April 1902,
No. 118,
3) Nicht mit Unrecht nennen King-Okey a. a. O. S. 111 Italien ein Land ‚where
wo stages of civilization coerist in the same State“,
Miszellen. 243
So ist denn auch vorwiegend — wenigstens vorläufig noch — der
Norden Hauptschauplatz der „Bauernstreiks“, die besonders in den
letzten Jahren in und außerhalb Italiens so großes Aufsehen erregt
haben. Bevor ich jedoch darauf etwas näher eingehe, erscheint es not-
wendig wenigstens in aller Kürze, die landwirtschaftliche Besitzver-
teilung und die Gruppierung der landwirtschaftlichen Bevölkerung zu
erörtern.
Der bereits oben erwähnte Graf Jacini nennt Italien das Land des
Kleineigentums „per eccelentia“ Will er damit sagen, daß
dort das Kleineigentum besonders zersplittert ist — man kann hier
thatsächlich häufig von einer „Pulverisierung“ reden — daß ein mittel-
großes Grundeigentum in Italien so gut wie gar nicht existiert, dann
hat er nicht unrecht. Aber die Gefahr liegt nahe, daß in nicht allzu
ferner Zeit — eben weil Jacini in diesem Sinne recht hat — Italien
das Land des Latifundienbesitzes „per eccelentia“ wird.
Italien hatte ja ausgedehnte Latifundien von jeher, und der unzweck-
mäßige Verkauf von Gütern der Kirchengesellschaften und des Staates
seit 1867 hat das Seinige mit dazu beigetragen, daß der vorhandene
Latifundienbesitz vermehrt wurde, aber er ist doch zu keiner Zeit so
augenscheinlich angewachsen wie im letzten Jahrzehnt, die Notlage der
kleinen Bauern, die bereits in manchen Gegenden anfangen, ihr Besitz-
tum ohne weiteres preiszugeben, bietet ja auch eine zu günstige Ge-
legenheit zum „Arrondieren“.
Wie die englischen Landlords, halten es die italienischen „gentiluo-
mini campagnuoli“ meist für nicht ihrer Würde entsprechend, selbst
ihren Grundbesitz zu verwalten, der Absentismus mit allen seinen üblen
Folgen ist in Italien mehr verbreitet als in irgend einem anderen Lande.
Besonders verhängnisvoll ist für einige Teile Italiens das Zwischen-
pachtwesen geworden; die Großgrundbesitzer verpachten ihr ganzes
Landeigentum oder größere Massen desselben an einen Spekulanten, der
dann seinerseits den Grundbesitz in kleinen Teilen zu Afterpacht oder
Teilbau weitergiebt. Seit Jahrzehnten sind ja die sicilianischen „gabe-
lotti“ bekannt, aber in neuerer Zeit scheint sich die in Rede stehende
Art der Verpachtung auch beträchtlich auszudehnen in den Provinzen
des Festlandes, besonders im Süden, im Latium und in dem Gebiete
von Verona und Mantua 1).
Prof. Gatti schätzt die Zahl der Eigentümer landwirtschaftlichen
Bodens auf 4860000 für das Jahr 1899 gegen 4500000 im Jahre
1892 und 3 500 000 im Jahre 1882?). Trotzdem die Grundsteuern auller-
ordentlich hoch sind — wie wir oben sahen — bezahlen nur 130 000
Landeigentümer mehr als 40 L. Grundsteuern einschließlich Gemeinde-
und Provinzialzuschlag; es ergiebt sich daher von selbst, daß die große
Mehrzahl der „Eigentümer“ lediglich ganz kleine Bauern sind, die zwar
einige meist ererbte Stücke Land haben, die aber von ihrem eigenen
& diu EE Gatti, a. a. O., S. 467 f. und La rassegna nazionale, April 1902,
2) A. a. O., S. 445.
16*
244 Miszellen.
Lande unmóglich leben kónnen, sie müssen entweder im Wege der Pacht
oder des Teilbaues anderes hinzuzubekommen suchen, oder als Tage-
lóhner sich ihren Unterhalt verdienen. Manchmal mag ihnen dabei ihr , Eigen-
. tum* eine nur zu làstige Fessel sein, von der sie sich gerne befreien
möchten, wenn sie jemand fänden, der ihnen ihr Land abkaufte. Häufiger
werden die Fülle, wo die Bauern einfach ihr Besitztum im Stiche lassen
und weiterziehen; aber es wird auch berichtet, daß in großen Versamm-
lungen die kleinen Eigentümer mit der Losung ,Abbasso la nostra pro-
prietà^, „Nieder mit unserem Eigentum“ für die sozialistische Bewegung
eintreten, ja, daß einige Bessergestellte von ihnen sogar ihr Besitztum
mit einer Hypothek belasteten, um die „agrarische Bewegung“ auch
materiell unterstützen zu können 1).
Wenig unterscheidet sich von dem kleinen Eigentümer der kleine
Pächter, auch seine Lage ist fast stets eine überaus ungünstige, um
den Pachtschilling an den Besitzer oder Zwischenpächter bezahlen und
seine bescheidenen Bedürfnisse befriedigen zu können, ist er manchmal
gezwungen, noch nebenbei — ähnlich wie der kleine Eigentümer —
Tagelöhnerarbeit zu verrichten. Uebrigens ist die Zahl der Pächter nicht
sehr groß, in einer vor etwa 10 Jahren erschienenen Schrift wurde sie
einschließlich Familienangehörige auf 400000 angegeben, wobei die
Kinder unter 8 Jahren jedoch außer Betracht blieben ?).
Sehr bedeutend ist vor wie nach der Teilbau in Italien. Am zu-
treffendsten definiert man wohl den Teilbauvertrag, wie es H. Dietzel
in seinem eingehenden und geistreichen Aufsatze „Ueber das Wesen
und Bedeutung des Teilbaues in Italien“ 3) gethan hat als „einen Ver-
trag, mittels dessen, der Eigentümer (oder ein durch einen anderen
Rechtstitel befugtes Rechtssubjekt) eine Familie ländlicher Arbeiter
verpflichtet zur Verrichtung der — für die Dauer des Kontrakts —
notwendigen, regelmäßigen Kultivationsarbeiten auf einem ein wirtschaft-
liches Ganzes bildenden Grundstück, derselben aber als Lohn dieser
Arbeit eine bestimmte Quote des Rohertrages verspricht.“ Näher auf
das juristische Wesen des Teilbauvertrages in seinen verschiedenen
Nebenarten einzugehen, liegt nicht in meiner Absicht; ich verweise auf
Dietzels Arbeit. Hinsichtlich der ökonomischen Bedeutung des Teil-
baues gehen die Ansichten weit auseinander. In Italien wird er nament-
lich von den Sozialisten bekämpft, sie warfen ihm vor, daß er den
ökonomischen Fortschritt der Landwirtschaft hindere, daß er die Ar-
beiter ausbeute und ihr Emporkommen mehr als andere Formen des
Arbeitsvertrages erschwere. Die übrigen Parteien, insbesondere auch die
Katholisch-Sozialen, deren Einfluß in Italien nicht unterschätzt werden
1) Vergl. den Aufsatz „Piccoli proprietari“ in der Critica sociale (Mailand) vom,
1. Mai 1902, S. 136 ff.
2) Spandoni, Della mezzadria in relazione con gli interessi dell' agricoltura, 1893!
cit. nach Gatti a. a. O., S. 471.
3) In der Zeitschrift für die ges. Staatswissenschaft 1884 und 1885. Gleichzeitig
möchte ich hier aufmerksam machen auf das vom italienischen Ackerbauministerium
1891 herausgegebene Werk „I contratti agrari", sowie auf das kleine Schriftchen von
Rabbeno: „Manuale pratico della mezzeria“, Mailand 1895. Ueber die ländlichen
Arbeitsverträge in Süditalien berichte Nitti im Economie Review, Juli 1893.
Miszellen, 245
darf, stehen dagegen dem Teilbauvertrage im allgemeinen sehr sympathisch
gegenüber. Nicht zu leugnen ist es, daß die Teilbauern durchweg besser
stehen als die gewöhnlichen Tagelöhner, meist besser auch als die kleinen
Eigentümer und Pächter; sie leisten meistens auch der sozialistischen
Bewegung Widerstand — ob das noch lange dauern wird, ist indessen
eine andere Frage — und da, wo der Teilbau überwiegt, waren
die Bauernstrikes meist weniger bedeutend als in anderen Bezirken.
Ueber den Umfang der Teilbauwirtschaft lassen sich genaue Daten
nicht beibringen, schon deshalb nicht, weil die Begriffe nicht feststehen ;
soviel läßt sich jedoch sagen, daß der Teilbauvertrag (mezzadria, mez-
zeria u. s. w.) auch heute noch „der klassische Agrarkontrakt“ Italiens
ist, die Zahl der Teilbauern ist z. B. sicher 3—4mal so groß als
diejenige der Pächter. Auf Grund amtlicher Publikationen kommt
Rabbeno in seiner oben genannten Schrift zu dem Ergebnis, daß
die Teilbauwirtschaft überwiegt in Toskana, Emilia, Sicilien, Ligu-
rien, Marken, Umbrien und Piemont, daß sie aber auch in den übrigen
Landschaften mit Ausnahme von Neapel und Sardinien, sehr häufig ist.
Rabbeno behauptet damit zum Teil genau das Gegenteil von dem, was
Eheberg etwa ein Jahrzehnt früher (a. a. O., S. 125) über die Ausdeh-
nung des Teilbaues schrieb: „Am wenigsten Teilbauer befinden sich in
Piemont“, heißt es z. B. in seiner Schrift; das ist jedenfalls durchaus
wrichtig. Eheberg stützt sich bei seinen Behauptungen zwar offenbar
auf Dietzel, hat aber dabei wohl nicht genügend beachtet, daß dieser
nach kritischer Würdigung des statistischen Materials „selbst eine ober-
flächliche Schätzung der räumlichen Ausdehnung der Wirtschaftsformen
des Selbstbetriebes, des Teilbaues und der Pacht“ für untunlich hielt.
Aber selbst wenn man genaue Zahlen angeben könnte, es wäre damit
doch wenig gewonnen, weil „Teilbau“ ein Sammelbegriff für eine ganze
Anzahl verschiedener Kontrakte ist; tatsächlich hat ein neuerer Schrift-
steller nicht so unrecht, wenn er meint, daß es so viel verschieden-
artige landwirtschaftliche Kontrakte in Italien geben als Parteien, die
sie abschlössen !).
Ebenso wenig wie über die Anzahl der Pächter und Teilbauern, läßt
sich über diejenige der Tagelöhner etwas Bestimmtes sagen. Wir sahen
schon, daß manche kleine Eigentümer und Pächter, zuweilen übrigens
auch Teilbauern, gleichzeitig Tagelöhner sind, so daß es zweifelhaft
wird, welcher Kategorie man sie unterordnen soll. Die reinen Tage-
löhner sind zahlreich in der oberitalienischen Tiefebene, in der Lom-
bardei, Venetien und Emilia, namentlich zu beiden Seiten des Po, wo
große Gutswirtschaften bestehen. Man hat dort zu unterscheiden zwi-
schen salariati oder obligati und contadini aventizi oder giornalieri,
braccianti. Die ersteren, vorwiegend für das Vieh angestellt, sind für
längere Zeit verpflichtet, sie erhalten vielfach außer einem geringen
Geldlohn, ca. 1/, L. pro Tag, 1/,—1], des Ertrages eines von ihneı
bebauten Hektar Landes, 1/,, des vonihnen gedroschenen Getreides u. dgl.,
sind also auch wieder eine Art Teilbauern, die aventizi werden dagegen
1) Vergl. Rassegna nazionale a. a. O., S. 621,
246 Miszellen.
nur für bestimmte Arbeiten, wie Hacken, Pflügen, Mähen, Ernten her-
angezogen; sie sind durchschnittlich nur 6—7 Monate beschäftigt, und,
um in dieser Zeit móglichst viel zu verdienen, sind sie gezwungen, auch
die kleinsten Kräfte zur Arbeit heranzuziehen. P. Ghio berichtet aus
der Gegend von Mantua, wo er sich eine Zeitlang aufhielt, daß dort
zur Zeit der Getreideernte die Frauen und Kinder von morgens 6 Uhr
bis abends 6 Uhr bei einer Stunde Pause tätig sind, dafür erhalten
Kinder von 7—9 Jahren 40 cent, von 9—12 Jahren 50—60 cent, die
Frauen 60—70 cent. Kaum mehr als die Frauen verdienen die Männer.
Der Lohn erhóht sich um nur weuige centesimi zur Zeit der Reisernte,
dabei müssen aber die Arbeiter 8—10 km zurücklegen ehe sie an dem
Arbeitsfelde angekommen sind. Nachts um 2 Uhr pflegt man aufzu-
brechen, um gegen Mittag, wenn die Sonnenhitze zu groß wird — die
Arbeiten werden gegen Mitte Mai bis Mitte Juli ausgeführt — wieder
nach Hause zu ziehen; in den ungesunden, feuchtheißen Sumpfgegen-
den, wo der Reis hauptsáchlich gebaut wird, darf man sich nur so
lange aufhalten als unumgänglich nötig ist!) Ueber Nahrung, Woh-
nung, Kleidung, Gesundheitsverhültnisse der italienischen Landarbeiter
will ich hier nicht sprechen; sie sind häufig genug, auch von deutschen
Schriftstellern geschildert, und jedermann weiß, daß sie meist menschen-
unwürdig sind ?).
Vor etwa 20 Jahren verglich ein „Augenzeuge“, G. Bernardi aus
Pegli, die bäuerlichen Zustände Irlands mit denjenigen Italiens. „In
Italien“, so sagte er, sind die Zustände auf dem Lande, ist die Ver-
fassung des Grundeigentums, das Pachtwesen, ist vor allem die Lage
desjenigen Teiles der Bevölkerung, der als Tagelöhner oder Kleinpächter
die eigentliche landwirtschaftliche Arbeit thut, kaum besser, vielleicht
noch schlimmer. Die irischen Bauern morden und brennen, die italie-
nischen hungern, leiden und sterben, wenn sie nicht vorher auswanderen
und ihr Elend auf fremder Erde schneller ausleben.“ Aber, so fragt
der Autor, „wenn nun fanatische Aufwiegler ... die Unzufriedenheit
anfachten, die noch ein Traumleben führenden Massen erweckten ? Die
Folgen würden furchtbar sein“ 3)! Das neue Jahrhundert scheint dieses
Erwachen verwirklicht zu sehen, aber ich bin optimistisch genug, der
Hoffnung Ausdruck zu geben, daß die Folgen nicht „furchtbar“, sondern
erfreulich sein mögen.
Die Societä degli agricoltori italiani hat sich der verdienstlichen
Aufgabe unterzogen, eine Enquete zu veranstalten über die jüngsten
agrarischen Strikes in Italien und ihre wirtschaftlichen Folgen. Das
Resultat ist vor kurzem veröffentlicht worden 4) Zunächst einige
Bemerkungen über den wissenschaitlichen Wert der Enquete. Die
1) P. Ghio a. a. O., S. 385.
2) Vergl. neuerdings den Artikel „Aus Italien“, Beilage der „Allgemeinen Zei-
tung“ vom 4. Aug. 1902, S. 233 ff.
3) Schmoller's Jahrbuch, 1882, S. 663.
4) In einem Supplementbande zum Heft 6 des „Bollettino quindicinale Società
degli agricoltori italiani“ 1902. Ein Auszug daraus erschien unter dem Titel: I recenti
scioperi agrari in Italia, Rom 1902. Nach letzterem wird im folgenden citiert.
Miszellen. 247
»Gesellschaft der italienischen Landwirte“, welche die Enquete unter
Leitung einer Kommission von 3 Mitgliedern veranstaltete, zählt zu
ihren Mitgliedern hauptsächlich Grofigrundbesitzer; schon deshalb, weil
der Mitgliedsbeitrag — 20 Lire — verhältnismäßig hoch ist, können
Sich kleinere Eigentümer nur ausnahmsweise beteiligen, doch gehören
er Gesellschaft auch eine Reihe angesehener Vertreter der Wissen-
schaft an. Man muß zugeben, daß die Veranstalter redlich bemüht
Dion, ein wirklich objektives Bild von der tatsächlichen Lage der
Inge zu erhalten und der Oeffentlichkeit mitzuteilen. Der Hauptfehler
der Enquete liegt wohl darin, daß sie ausschließlich schriftlich war.
Immerhin darf man doch annehmen, daß die Antworten auf die ge-
stellten 13 Fragen nach bestem Wissen und Gewissen abgegeben wurden,
weil vorher ausdrücklich bekannt gemacht worden war, daß alle Ant-
worten unter Angabe des für dieselben verantwortlichen Namens ver-
öffentlicht werden würden. Fragebogen wurden abgesandt an Land-
eigentümer und Vereinigungen von solchen, an die Wanderlehrer, die
praktischen Landwirtschaftsschulen, ebenso aber auch an die Vertreter
der Interessen der landwirtschaftlichen Arbeiter und endlich an eine
Anzahl von Firmen, die mit der Landwirtschaft durch Vertrieb von
Maschinen, künstlicher Düngemittel etc. in Verbindung stehen. Es gingen
im ganzen 288 Fragebogen beantwortet ein, davon stammten 53 von
Landarbeitern bezw. Landarbeitervereinigungen, 34 von den erwähnten
kaufmännischen Geschäften, der Rest von Eigentümern, Gelehrten,
Wanderlehrern etc. Wahrscheinlich würden zahlreichere Antworten ein-
gegangen sein, wenn man die Enquete nicht so sehr beschleunigt hätte,
im Januar 1902 wurden die Fragebogen verschickt, im Mai lag das
Ergebnis bereits gedruckt vor.
Wie schon gelegentlich erwähnt wurde, waren die Streiks besonders
zahlreich in Oberitalien, namentlich in den Provinzen Novara, Mantua,
Ferrara und dem in der Tiefebene gelegenen Teile der Provinz Verona,
nächstdem aber auch in den Provinzen Bergamo, Brescia, Mailand (hier
besonders in der Gegend von Monza), Pavia, Parma, Piacenza, Modena.
Fast gar keine Strikes gab es in den Provinzen Turin, Alessandria und
Cuneo in der Landschaft Piemont, die Enquete gibt als Gründe dafür
an, daß dort der Teilbau vorherrsche und die steigende Auswanderung
die Arbeitskräfte rar mache!). Ebenso blieb Ligurien von Streiks ver-
schont, weil hier der Teilbau und das kleine selbständige Eigentum
überwiegt?) Dasselbe gilt für die Provinz Sondrio, wo ?/,, der Be-
vôlkerung Teilbauern sind, für die mittelitalienischen Landschaften
Toskana, Marken und Umbrien 3), In Süditalien kamen Streiks vor in
den Provinzen Bari und Foggia (Landschaft Apulien) sowie in einigen
Orten der Landschaft Basilicata $). Ueber nur wenige Streiks konnte
aus Sicilien berichtet werden, doch machen einige Berichte aufmerksam
auf die in verschiedenen Teilen der Insel herrschende lebhafte agrarische
Agitation 5).
1) Enq. S. 25 u. S. 9. 2) Enq. 8.57. 3) Enq. 8. 46 u. S. 17. 4) Enq. S. 102 ff.
5) Eng. S. 104 ff.
248 Miszellen.
Die Streikenden waren in der großen Mehrzahl Tagelöhner, salariati
und giornalieri, dazu kamen aber auch hier und da kleine Eigentümer,
die ja zuweilen, wie wir wissen, Tagelöhnerdienste verrichten, und
schließlich doch in verschiedenen Gegenden Teilbauern, so in den Pro-
vinzen Bergamo, Brescia, Cremona, wo sie größere Quoten von Reinertrag
für sich verlangen! in der Provinz Bologna, wo sie Reduzierung der
„onoranze“ fordern, es waren dies ursprünglich aus freien Stücken ge-
gebene Geschenke, welche zu Festtagen (Ostern, Weihnachten) dem
Herrn dargebracht wurden, dann aber gewohnheitsrechtlich sich fixierten ?).
Ueber die Ursachen der Streikbewegung unter den Tagelöhnern
braucht man eigentlich kaum ein Wort zu verlieren, sie sind selbst-
verstándlich. Man forderte Vermehrung des Lohnes, Verminderung der
Stundenzahl, Beseitigung der Accordarbeit u. dergl. Daneben wurde
aber auch vielfach eine gesichertere Rechtsstellung verlangt. In Sicilien
wurde an einigen Orten Ersetzung des Pacht- bezw. Afterpachtvertrages
durch den Teilbauvertrag gewünscht 3).
Die oberitalienische Bewegung ist bis jetzt unter Berücksichtigung
der leidenschaftlichen Natur des Italieners und der großen Entbehrungen,
die man sich auferlegen mußte, um die Streiks durchzuführen, im ganzen
ruhig und würdig verlaufen. Sie wird gut charakterisiert durch folgende
Erzählung: Ein italienischer Journalist fragte einen Führer der Bewegung
nach dem Charakter derselben, worauf er folgende Antwort erhielt:
„Als ich im Jahre 1884 verhaftet wurde (auch damals war eine leiden-
schaftliche, aber nicht sehr umfangreiche Landarbeiterbewegung in Italien),
wußte weder ich noch meine Genossen, warum wir eigentlich revol-
tierten; wir ließen uns mehr von unserem Magen als von unserem
Kopfe leiten. Heute ist das anders, wir wissen, daß uns Ruhe und
Klugheit not tut“ 4).
Die Grundbesitzer klagen vielfach darüber, daß die Schürer des
Aufstandes von auswärts gekommene Sozialisten gewesen seien. Sie
sind tatsächlich hervorragend beteiligt — direkt oder indirekt — an
den Arbeiterkoalitionen, den Leghe di resistenza, welche den Krieg erklären
und Frieden schließen. Freilich behauptete der italienische Minister des
Innern im italienischen Senate, daß diese „Ligen“ nur ökonomische
Ziele verfolgten, und daß daher auch die ganze Bewegung lediglich
einen ökonomischen, keinen politischen Charakter trage. In dieser All-
gemeinheit ist dies sicher falsch und wurde übrigens auch von mehreren
Senatoren entschieden bestritten 5). In verschiedenen Distrikten ist die
Bewegung eine entschieden sozialistisch-revolutionäre, so besonders in
der Provinz Ferrara 5. Ueberall aber sind die Sozialisten überaus emsig
an der Arbeit, neuerdings besonders auch im Süden und auf Sicilien.
Infolge des zwar ruhigen, aber doch energischen Vorgehens der
„Ligen“, die meist die gesamten Landarbeiter geschlossen hinter sich
1) Enq. S. 30 ff. 2) Enq. S. 58, vergl. auch Dietzel a. a. O. (1884) S. 252.
3) Enq. S. 18.
4) Ghio a. a. O. S. 390.
5) Sitzung vom 24. April 1902, nach dem Berichte des Corriere della sera.
6) Enq. S. 61 ff.
Miszellen. 249
hatten, und des Umstandes, daß die Arbeitsniederlegung für die Grund-
besitzer vielfach ganz unerwartet, zur Zeit, wo sie am dringendsten
Arbeitskräfte bedurften, erfolgte, hatten die Streiks durchweg ein für
die beteiligten Arbeiter sehr günstiges Ergebnis, wenn auch nicht alle
“orderungen durchgesetzt wurden. 48 Mill. L. soll die Lohnverbesserung
ìm ganzen betragen haben, so behauptete Giolitti im italienischen Parla-
pente, Der Lohn wurde durchschnittlich um 20—30 Proz. erhöht und
Ve jetzt z. B. für giornalieri in der Provinz Mantua 1,20 L. im
Inter und 2,50 L. im Sommer, die obligati erhalten durchschnittlich
900 L. pro Jahr!) Aus mehreren Orten wird Ausdehnung des Quotal-
lohnsvstems gemeldet, in Rovigo wurde sogar den giornalieri außer
einem Geldlohn von 1,20—1,60 L. Anteil am Ertrage des Mais- und
Hanfbaues zugebilligt *). Abgesehen von den Lohnerhóhungen erreichten
freilich die Tagelóhner nur wenig von dem, was sie forderten, vor allem
ist auch die tägliche Arbeitszeit — außer in wenigen Distrikten —
nicht vermindert worden, ebensowenig ist in der rechtlichen Stellung
der Tagelöhner zum „padrone“ eine bemerkenswerte Aenderung ein-
getreten. Nur vereinzelt wurde der bis dahin geltende mündliche Ver-
trag durah einen schriftlichen ersetzt; in den Provinzen Verona, Venezia,
Rovigo, Ferrara?) weigert man sich, einen schriftlichen Vertrag auf
Grund der erlangten Vorteile einzugehen, weil man sie noch nicht für
genügend erachtet; dort hat man also vorläufig nur einen Waffenstill-
stand geschlossen.
Die Teilbauern haben fast alle ihre Forderungen durchgesetzt,
beachtenswert ist, daß sich ihnen gegenüber in einigen Gegenden die
Besitzer verpflichten mußten, nicht nur ihren eigenen Anteil am Ertrage,
sondern auch denjenigen der Teilbauern gegen Hagel versichern zu
lassen t).
Die großen Mehrausgaben, welche den Grundeigentümern durch die
erfolgreichen Strikes entstehen, treffen sie um so härter, weil sie selbst
ebenfalls durchaus nicht auf Rosen gebettet sind. Ueberall macht sich
jetzt unter ihnen das Bestreben geltend, móglichst viele von den un-
bequem gewordenen Arbeitern überflüssig zu machen. Die Enquete
berichtet, daß dies auf zweierlei Weise versucht wird, entweder führt
man Maschinen ein, oder man geht, und das ist die Regel, zu einem
extensiveren Betriebe über. Vereinzelt, so z. B. aus Mantua, wird mit-
geteilt, daß man die Männer durch Frauen zu ersetzen sucht, stellen-
weise haben die Besitzer überhaupt die Bewirtschaftung aufgegeben
und lassen das Land öde da liegen, häufiger scheint dies in der Land-
schaft Emilia vorgekommen zu sein.
Endlich noch ein Wort über die Wirkungen der Streiks im Hinblick
auf die bis jetzt noch nicht zu offenem Widerstande übergegangenen
Landarbeiter. Sie hören selbstverständlich von den Ertolgen ihrer Ge-
nossen und sozialistische Agitatoren sind überall redlich bemüht, sie
ihnen so glänzend wie möglich zu schildern, sie fangen an, auch über
ihre Lage nachzudenken, und da, wo bis jetzt noch leidliche Zufrieden-
1) Enq. S. 38. 2) Enq. S. 48. 3) Enq. S. 48, 53, 54, 61. 4) Enq. S. 33.
250 Miszellen.
heit herrschte, fäugt man an, der Unzufriedenheit offen Ausdruck zu
geben. Ein Beispiel: Die Enquete hebt rühmend hervor, daf man in
der Landschaft Toscana, wo der Teilbau durchaus vorherrschend ist,
durchweg ruhig und zufrieden sei!) Nun hatte ich aber am 18. Mai d. J.
Gelegenheit, in Florenz dem „l. Kongresse toskanischer Landarbeiter*
beizuwohnen, und war nicht wenig erstaunt, auch hier eine allgemeine
lebhafte Unzufriedenheit zu bemerken, obwohl einige Redner deutlich
genug zum Ausdrucke brachten, daß sie mit dem Sozialismus nichts zu
thun haben wollten; man forderte Revision und Reform des Teilbau-
vertrages, außerdem aber auch auf das Referat eines Arztes hin freie
ärztliche Behandlung bezw. unentgeltliche Aufnahme in ein Hospital und
ferner Uebernahme der Apotheken durch die Gemeinden. Für die Be-
schlüsse der Konferenz sollte sowohl von Person zu Person wie auch
in größeren Versammlungen tatkräftig Propaganda gemacht werden.
Besonders bedenklich wäre es — was aber meines Erachtens un-
vermeidlich ist — wenn die Streikbewegung in Süditalien und auf
Sicilien einen größeren Umfang annehmen würde. Die Gefahr, daß man
sich dort nicht auf den bloßen Ausstand beschränkt, sondern bald zu
Gewalttätigkeiten schreitet, ist aus Gründen, die bereits angedeutet
sind, sehr groß; das betont übrigens auch die Enquete ?) nachdrücklich.
Unter den Fragen, welche auf dem Fragebogen der Enquete standen,
betraf auch eine die Mittel, welche anzuwenden seien, um die zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern befindliche Kluft zu überbrücken. Die
Antworten darauf waren meist recht ungenügend, die große Mehrzahl
begnügte sich, auf ein Schiedsgericht hinzuweisen. Die meines Erachtens
einzig richtige Antwort wurde von verschiedenen Arbeitervereinigungen
gegeben, indem sie forderten, daß die Grundbesitzer angehalten werden
müßten, ihr Land intensiver und unter Berücksichtigung aller Fort-
schritte der Wissenschaft zu bebauen, und daß das Recht der Arbeit
in den italienischen Gesetzen ebenso sicher zu stellen sei wie das des
Kapitals.
Es ist noch zu früh ein endgültiges Urteil über die Landarbeiter-
bewegung in Italien zu fällen, vorläufig stehe ich ihr, wie schon ange-
deutet, nicht unsympatisch gegenüber ?).
Jedenfalls weiß sich der Verfasser mit den Lesern dieser anspruchs-
losen Skizze einig in der Hoffnung, daß die Landwirtschaft für das
Land, was der Fremde so gerne den Garten der Kultur nennt, und zu
dem namentlich der Deutsche, der einmal dort war, durch eine Art
Heimweh sich hingezogen fühlt, wieder das werden möge, was sie sein
mub, wenn der Staat nicht zu Grunde gehen soll. Dazu bedarf es
freilich eines Aufwachens nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch
der Arbeitgeber und der verantwortlichen Staatsmänner.
1) Enq. S. 16. 2) S. 23 u. S. 102 ff.
3) Angelo Bertolini meint im Hinblicke auf die Bewegung: ,.....agli occhi
miei, cio® di un economista individualista, quest’ è opera benefica, poiche è una delle
vie per raggiungere quel miglioramento economico e morale delle avvilite plebi rurale,
che dev, essere l'aspirazione d'ogni buon citadino“ Giornale degli Economisti 1900, S. 396.
—X = nn ——À
Miszellen, 251
Nachdruck verboten.
III.
Ein paar Bemerkungen betreffend die Lehre von der
Mortalitát.
Von Harald Westergaard.
In einer übrigens wohlwollenden Besprechung meines obengenannten
Werkes hat Herr kais. Regierungsrat Dr. Zahn in den Jahrb. (III. F.,
24. Bd, S. 846) einige Einwendungen gemacht, die ich beantworten
möchte.
Gemäß dem Plan meines Werkes habe ich das 1. Kapitel einer
propädeutischen Einleitung gewidmet, worin ich selbstverständlich
manches sagen mußte, was dem geschulten Statistiker überflüssig er-
scheinen würde. Ein vieljähriges Studium der einschlägigen medizinal-
statistischen Literatur hat mich davon überzeugt, daß eine solche Ein-
leitung nicht unnützlich sein würde. Mit aller Anerkennung der Selbst-
verständlichkeit des Satzes, daß „man die Ursachen der Sterblichkeit
nur dann voll erkennt, wenn man auf das Alter Rücksicht nimmt“,
konnte ich es mir doch erlauben, in einem 700 Seiten starken Bande
ein paar Seiten auf diese Frage zu verwenden. Uebrigens handelt es
sich hier weniger um dieses Problem, wie um das entgegengesetzte:
in welchem Grade und unter welchen Bedingungen kann man vom
Alter hinwegsehen? Daß man dieses häufig tun kann, wo man mit all-
gemeinen Bevölkerungen arbeitet, hat z. B. G. Sundbärg nachgewiesen ;
mein aus der englischen offiziellen Statistik herausgegriffenes Beispiel
beleuchtet die Tatsache, daß dieses in der Berufsstatistik meistens un-
möglich ist.
Ferner opponiert Dr. Z. gegen ein zweites Beispiel in der Ein-
leitung, welches die Jahresschwankungen in der Sterblichkeit betrifft,
und sagt, daß der Schluß kaum zu verstehen ist. Trotz der ausge-
zeichneten Hilfe meines sprachlichen Revisors hat vielleicht der Um-
stand, daß ich mit einer mir fremden Sprache arbeitete, dazu beige-
tragen, daß ein an und für sich klarer Gedanke einen unklaren Aus-
«druck erhalten hat. In der Regel erlaubt man sich auf diesem Gebiete
er Statistik nur mit absoluten Zahlen zu rechnen (nachdem man vor-
erst die verschiedene Länge der Monate berücksichtigt hat), ohne die
959 Miszellen.
Veründerungen der Volkszahl heranzuziehen. Wenn aber beispielsweise
in einer stark zunehmenden Großstadt die Sterbezahlen im Januar und
im Dezember gleich sind, dann bedeutet dies tatsáchlich, daf der Ge-
sundheitszustand im letzteren Monat günstiger war als im Januar; der
betreffende Fehler kann auf mehrere Prozent steigen; hierauf aufmerk-
sam zu machen, ist nicht überflüssig, es ist sehr selten, daß dieses in
statistischen Arbeiten geschieht.
Betreffend das 4. Kapitel, sagt Dr. Z., daf ich im eigenen Urteil
über Beobachtungsfehler eine Unsicherheit verrate, und will dieses be-
weisen, indem er auf ein en passant angeführtes Beispiel von der
Handelsstatistik hinweist. Ich kenne selbstverständlich die betreffenden
Elementarsätze der Handelsstatistik, die ich zum Ueberfluß in meiner
Theorie der Statistik berührt habe; ich habe auch nicht behauptet, daß
es sich hier nur um ungenaue Zahlen handelt, sonst hätte ich es ganz
anders ausgedrückt, ich behaupte nur, daß aller Wahrscheinlichkeit nach
trotz aller Korrekturen ein bedeutender Fehler bleibt, wenigstens in
vielen Ländern, wie z. B. in meinem Vaterlande, und speziell bin ich
der Auffassung, daß die Ausfuhrzahlen sehr häufig unsicher sind.
Es ist ja übrigens leicht, aus der wirtschaftlichen Statistik viele andere
Beispiele einer bedeutenden Ungenauigkeit zu schöpfen. — Hier sei nur
bemerkt, daß ich speziell dieses Kapitel betreffend um Nachsicht bitten
muß, da ich mich hier auf nur selten betretenen Pfaden befinde; es ist
dieses eines der Gebiete in der Statistik, wo ich die größten zukünftigen
wissenschaftlichen Fortschritte erwarte, indem man die Fehlerquellen
einer allseitigen und tiefgehenden Untersuchung unterziehen wird. Ich
glaube, daß ich ein wenig dazu beigetragen habe, teils die Grenzen der
Fehler zu bestimmen, teils für die Behandlung der Aufgabe Propaganda
zu machen.
Die Zufriedenheit der Kopenhagener Näherinnen statistisch zu be-
leuchten, nennt Dr. Z. im Schluß seiner Besprechung einen Unfug. Ich
weiß nicht, ob ich dieses Urteil unterschreiben darf. Man kann ja nicht
die Herzen und Nieren der Menschen statistisch behandeln, beispiels-
weise würde eine Statistik des Glaubens ein Unding sein, nur die
äußeren Konfessionsverhältnisse, Kirchenbesuch u. s. w. wären zugäng-
lich. Es würde wohl aber nicht undenkbar sein, während einer langen
Unterredung, wie dies bei den Näherinnen der Fall war, wo ein wahres
Chaos von Fragen aufgestellt wird, auch die Frage einzuschalten, ob
die betreffende Näherin mit ihrem Lose zufrieden sei, ganz wie man
ihren Gesundheitszustand erforschen könnte. Tatsächlich erweisen die
Antworten, die also nur als Nebenprodukte einer allseitigen Unter-
suchung über die Lage der Näherinnen auftreten, eine interessante
innere Harmonie, die auch wohl dazu berechtigen könnte, dieses als
Beispiel heranzuziehen. Ueberhaupt glaube ich, daß auch für die
„Moralstatistik“ die Zeit kommen wird, selbst wenn dieselbe bisher
meistens nur eine Sammlung von Geistlosigkeiten war. Jedenfalls
handelt es sich übrigens hier nur um eine Nebenbemerkung im Schluj-
kapitel, und wenn Dr. Z. diese als einen „Schönheitsfehler“ bezeichnen
will, soll ich nicht opponieren,
Miszellen. 253
A Ich bin mir wohl bewußt, daß ich mich in der Auffassung der
et: Statistik auf einem anderen Standpunkte befinde als mehrere der leiten-
den Statistiker Deutschlands, wie G. Mayr. Doch werde ich mit Dr.
Zahn mit großer Freude eine neue deutsche Sterbetafel begrüßen, selbst
Wenn ich betreffend der Anwendbarkeit derselben mit ihm nicht einig
bin, Die methodologischen Fortschritte der Reichstatel 1871—81 waren
!edenfalls so groß, daß man auch diesmal zu großen Erwartungen be-
Schtigt ist. Und mit allem Vorbehalt, mit Rücksicht auf die Vorzüge
les deutschen Krankenkassenmaterials, sehe ich mit Spannung einer tief-
gehenden Bearbeitung desselben entgegen, die sich gewiß als eine Be-
reicherung der statistischen Literatur erweisen wird.
= Kopenhagen, Januar 1903.
—— M
254 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Nationalökonomie der technischen Betriebskraftvon
Dr. Gottfried Zoepfl, Handelsattaché des Auswärtigen Amtes.
Erstes Buch: Grundlegung. — Jena, Verlag von Gustav Fischer, 1903.
Der Verfasser hat sich die sicherlich höchst dankenswerte Aufgabe
gestellt, der nationalökonomischen Wissenschaft ein neues Arbeitsfeld
zuzuweisen: Die eingehende Betrachtung der technischen Betriebskraft
in ihrem Einfluss auf das gesamte Wirtschaftsleben. Dankenswert ist
das Unternehmen schon deshalb, weil ein gut Stück Wagemut dazu
gehórt, sich auf das schwankende Gebiet technisch-ókonomischer Fragen
zu begeben, ein Gebiet, auf dem kaum zwei Fachleute gleicher Meinung
sind. — Die gesonderte Betrachtung der Betriebskraft erscheint gerecht-
fertigt, denn gerade diese verschafft der Arbeitsmaschine ihre weite
Verbreitung, und der Hinblick auf sie führt häufig erst zur Konstruktion
von Arbeitsmaschinen. — Die Nationalökonomie der technischen Betriebs-
kraft soll nach dem Wunsche des Verfassers ähnlich wie die Verkehrs-
politik in den Handbüchern und Vorlesungen über Nationalókonomie
künftig gesondert behandelt werden und zur Entlastung anderer Gebiete,
vornehmlich der Abschnitte: Handelspolitik und Gewerbepolitik führen.
Der Verfasser greitt in der Einleitung Techniker und Nationalókonomen
scharf an, findet wenig Anerkennung für das bisher auf ähnlichem Ge-
biet Geleistete und entwickelt für sein Werk ein umfangreiches Pro-
gramm. Diese Vorrede spannt vielleicht die Erwartungen ein wenig zu
hoch. — Der erste Abschnitt der Schrift gibt eine Uebersicht über die
vorhandenen Betriebskrüfte in technischer Beziehung. Sie werden ein-
geteilt in solche mit unmittelbarer Naturkraft: animalische Kraft, Wind-,
Wasser-, Sonnenmotor, Betriebskräfte mit mittelbarer Naturkraft: Dampf-,
Heifluft-, Gas-, Petroleum-, Benzin-, Spiritus, Druckluft-, Elektro-
motoren u. s. w., endlich Betriebskräfte mit kombinierter Naturkraft:
Wasserkraft mit Dampfreserve oder mit elektrischer Kraftübertragung.
Parallel hiermit gehen Betrachtungen über Heizkraft der Kohlensorten,
Kohlenpreise und anderes mehr. — Der zweite Abschnitt behandelt die
Betriebskräfte in statistischer und sozialer Beziehung. Reichliche sta-
tistische Angaben verschaffen einen Ueberblick über die Verteilung der
technischen Betriebskraft auf Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft im
deutschen Reiche. Es folgen Betrachtungen über den Einfluf der Be-
triebskraft auf die Entwicklung der Industrie, auf die Lohnarbeit, den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 955
gewerblichen Kleinbetrieb und die Landwirtschaft. Zum Schluß folgt
ein Hinweis auf die wirtschaftspolitischen Aufgaben des Staates. — Die
Disposition des ganzen Werkes erscheint recht geschickt, gegen die
einzelnen Ausführungen lassen sich jedoch mancherlei Einwendungen
Srheben. — Von rein technischen Erörterungen sehe ich hier na-
türlich ab. .
Zunächst muß es als methodologisch verfehlt bezeichnet werden,
*nn in einem Buche, das Nichttechniker zu ókonomisch-technischen
Betrachtungen anleiten will, die wichtigsten technisch-wirtschaftlichen
Grundbegriffe: Arbeit und Leistung nicht nur recht oberflächlich be-
handelt, sondern sogar ungenau definiert und stellenweise miteinander
verwechselt werden. Mit wenig Worten hätte etwa gesagt werden
können: „Arbeit“ nennt man die Ueberwindung eines Widerstandes längs
einer Wegstrecke; die Einheit der Arbeit ist das Heben eines Kilo-
grammgewichtes auf 1 m Höhe — 1 Meterkilogramm (1 mkg). — Der
Kraft- und Bewegungszustand einer Maschine wird charakterisiert durch
die sogenannte „Leistung“, das ist diejenige Arbeit, welche sie, wenn
der Zustand konstant bleibt, in einer Sekunde zu leisten vermag. Kann
die Maschine in 1 Sekunde 1 mkg Arbeit schaffen, so besitzt sie die
Einheit der Leistung, 1 Sekundenmeterkilogramm (1 sec. mkg). Das
Töfache dieser Leistung nennt man 1 Pferdestärke (1 P.S.)!). Endlich
wird diejenige Arbeit, welche bei konstanter Leistung von 1 P. S. in
1 Stunde verrichtet wird, (das sind also 75 . 60. 60 — 270000 mkg), eine
Pferdekraftstunde benannt. — Hätte der Verfasser auf diese so wichtigen
Grundbegriffe, die im Verlaufe der Betrachtungen auf fast jeder Seite
wiedererwähnt werden, mehr Wert gelegt, so wäre ihm auch wohl kaum
die Flüchtigkeit passiert, daß er auf Seite 30 von dem Sonnenmotor in
Kalifornien sagt, es handele sich nicht um eine Spielerei, denn „der
Motor hebe 5600 1 Wasser in 1 Stunde.“ Auf welche Höhe denn!? Wären
es 50 m, so leistete der sehr ausführlich beschriebene Sonnenmotor ein
wenig mehr als eine ganze Pferdestärke! — Die Akkumulatoren, mittels
derer der Verfasser die Ungleichmäßigkeit der Sonnen-, Wind- und
Wassermotoren beseitigen will, müßten auch erst erfunden werden, wenn
der Betrieb sich einigermaßen rentieren sollte, vorläufig ist leider noch
wenig Hoffnung dazu vorhanden. — Das vielfache Zitieren technischer
Autoren bringt einige Unklarheiten in die Darstellung: So heißt es auf
Seite 38 einmal in bezug auf Wasserkraftmaschinen sehr richtig: „Eine
große Rolle spielt die jährliche Betriebsdauer, und: „dieselbe Wasser-
kraft ändert den Wert, entsprechend der Intensität der Ausnützung“;
es wird ferner richtig gesagt, daß der Wert einer Wasserkraft gar nicht
allgemein, sondern nur von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der
örtlichen Betriebsverhältnisse angegeben werden kann — 'nichtsdesto-
weniger hört man bald darauf, daß der Wert einer Wasser-Pferdekraft
„in der Stadt (in günstiger Lage) 1200 M., auf dem Lande 800 M. und
weniger“ beträgt; das sind ganz und gar bedeutungslose Zahlen. Viel
lehrreicher wäre eine Kostenberechnung pro Pferdekraft und Stunde
W
1) Also nicht 75 mkg wie der Verfasser zweimal in derselben Anmerkung sagt,
* ondern 75 sec. mkg sind gleich 1 P.S.
256 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
für irgend einen speziellen Fall gewesen bei zahlenmàfigem Nachweise,
daß eine Wasserkraft bei kurzer täglicher Betriebsdauer sich leicht
teurer stellt als Dampfkraft, bei längerem Betriebe ihr gleichkommt und
sich bei voller Ausnutzung wesentlicher billger stellt. — In dem Kapitel
über Motoren mit mittelbarer Betriebskraft wird die Geschichte der
Dampfmaschine bis Watt in fast 2 Seiten gegeben, die großartige
Weiterentwickelung derselben in den folgenden 100 Jahren wird dagegen
mit einer viertel Seite abgetan. Hier wäre ein etwas tieferes Eingehen
wohl am Platze gewesen, auch hätte die Erfindung der „Kaltdampf-
maschine“ erwähnt werden können. Das ist überhaupt eine Eigentüm-
lichkeit des Werkes, daß Ausführlichkeit und Knappheit der Darstellung
so eigenartig abwechseln, — da könnte eine spätere Neubearbeitung
manches verbessern. Recht kurz gehalten ist auch die Erklärung der
elektrischen Maßeinheiten, deren Wichtigkeit für ökonomische Be-
trachtungen der Verfasser selbst betont. Hier mag jedoch die Unmög-
lichkeit zugegeben werden, bei beschränktem Raum dem Laien eine
einigermaßen klare Vorstellung von den Begriffen Ampere, Volt, Watt
und Wattstunde zu geben. Im übrigen ist das Kapitel über die ver-
schiedenen Motoren und ihre Oekonomie recht lehrreich und sachkundig
bearbeitet. Daß sich da mancherlei Widersprüche gegen die Rentabilitäts-
berechnungen aus Technikerkreisen erheben werden, steht zu erwarten,
das wird aber dem Werte des Buches keinen Abbruch tun, denn jeder
verständige Techniker weiß, wie schwer es ist, auf diesem Gebiete auch
nur einigermaßen zuverlässige Angaben zu erhalten.
Rein nationalökonomisch ist nun der zweite Abschnitt des Werkes
gehalten. Die statistischen Angaben sind sehr umfangreich und bieten
ein vortreffliches Studienmaterial. Interessant sind besonders die An-
gaben über die Verteilung der verschiedenen Motoren auf die einzelnen
Gewerbearten, geordnet nach den Gruppen der offiziellen Statistik. Im
Anschluß hieran wird dann in den folgenden Kapiteln der Einfluß der
technischen Betriebskraft auf die verschiedenen daran interessierten, gewerb-
lichen Berufsarten behandelt. Bei diesem, für den Nationalökonomen
eigentlich interessantesten Teile der Schrift wäre größere Ausführlichkeit
manchmal ganz angebracht, und es erscheint nicht recht verständlich,
wenn der Verf. bei Besprechung des Einflusses der Betriebskraft auf die
Lohnarbeit auf Seite 173 sagt, er könne sich in der wichtigen Frage,
ob die Arbeitsgelegenheit sich qualitativ verschlechtert habe, „dem Zweck
unserer Arbeit entsprechend,“ nur kurz fassen. Nicht zutreffend ist
wohl die Behauptung, daß allein der Arbeitsmaschine und nicht auch
der Betriebskraft die Schuld beizumessen sei für gewisse Krisen auf
dem Gebiete der Lohnarbeit. Eine getrennte Betrachtung von Betriebs-
kraft und Arbeitsmaschine ist, wie schon eingangs gesagt, wohl ange-
bracht, indem man nàmlich die Entwickelung der letzteren als Begleit-
bezw. Folgeerscheinung der aufstrebenden Motorentechnik auffaßt; diese
beiden Zweige der Technik aber als ganz unabhängig voneinander hin-
zustellen, geht nicht an; für den Schaden, den neue Arbeitsmaschinen
der Lohnarbeit zu Zeiten zufügen, ist die Betriebskraft indirekt mit
verantwortlich zu machen. — In dem der Industrie gewidmeten Abschnitt
wird die hohe Bedeutung der in elektrische Energie umgewandelten
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 257
Wasserkraft besonders für die moderne Chemie gebührend betont In
der Tat ermöglicht die Vielseitigkeit der Elektrochemie eine vorzügliche
Ausnützung der Betriebskraft; nur dürfen dabei die Transportverhältnisse
Nicht ungünstig sein. Erwähnenswert wäre hier vielleicht noch die
ethode der Kraftverteilung durch Versand von Calcium-Carbid. In
em Carbid schlummert ja die zur Herstellung aufgewandte Energie des
“lektrischen Stromes; sie wird ausgelöst, wenn mittels Wasser Acetylen
Zeugt und dieses in Gasmotoren zur explosiven Verbrennung gebracht
ird. Wenn auf Seite 160 die Möglichkeit erwähnt wird, dereinst
vielleicht Stickstoff auf elektrischem Wege herzustellen, so ist dabei
wohl an das Problem gedacht, aus der atmosphärischen Luft die für
die Fruchtbarkeit des Bodens so wertvolle Stickstoff-Sauerstoff- Verbindung
zu gewinnen, welche zur Freude des Landmanns bei Gewitterregen
häufig entsteht. Diese Aufgabe hat in jüngster Zeit ihre Lösung ge-
funden; ob die hierauf begründete Herstellung von Salpeter sich rentieren
wird, bleibt jedoch abzuwarten. Was die Verwendung der Elektrizität
in der Landwirtschaft anbetrifft, so scheinen da — nach den bisherigen
Erfahrungen — die Erwartungen des Verf doch etwas gar zu opti-
mistisch zu sein. — Sehr eingehend und zutreffend wird der Einfluß
der Motoren auf die Stellung des Kleingewerbes behandelt. Der Verf.
kommt dabei zu dem Resultat, daß für gewisse Betriebe wie die der
Drechsler, Polierer, Tischler u. a. der Motor, speziell der Elektromotor,
der an eine Zentrale angeschlossen ist, große Bedeutung erlangen kann,
daß jedoch manchen anderen Handwerkern von der Anschaffung eines
Motors nur abgeraten werden muß, weil sie sonst in die erfolglose
Konkurrenz mit den industriellen Großbetrieben gedrängt werden.
Aufgabe der Wirtschaftspolitik des Staates ist es nach Ansicht des
Vert, in erster Linie, die Wasserwirtschaft des Landes zu regeln, für
Fassung möglichst gleichförmiger Wasserkräfte zu sorgen und unter
Berücksichtigung der Interessen von Schiffahrt, Fischerei etc. die An-
legung großer Kraft-Zentralen zu fördern.
Ich hoffe, daß es mir — soweit es der enge Rahmen eines Referates
erlaubt — gelungen ist, zu zeigen, wie viele interessante und hochbe-
deutsame Fragen in der Zoepflschen Arbeit angeschnitten werden. Das
Buch verdient wirklich, viel gelesen und studiert zu werden, und man
kann ihm gern eine große Anzahl neuer Auflagen wünschen; dann
werden voraussichtlich auch die kleinen Mängel schwinden, die ihm jetzt
noch anhaften. Vor allen Dingen aber ist es zu wünschen, daß die
durch das Werk gegebene Anregung auf fruchtbaren Boden fallen möge.
Königsberg i. Pr. F. Albrecht.
Neurath, Dr. Wilhelm, Gemeinverständliche nationalöko-
nomische Vorträge; geschichtliche und letzte eigene Forschungen; heraus-
gegeben von Dr. Edmund O. von Lippmann. Braunschweig, Friedrich
Vieweg u. S., 1902.
Die vorliegende Sammlung von Aufsätzen des viel zu früh ver-
=Storbenen Gelehrten umfaßt — eingeleitet von einer kurz sein Leben
und Wirken schildernden Gedenkrede — 12 Arbeiten, Vorträge, die
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 17
958 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
er im Laufe der Jahre vor einem aufmerksamen und dankbaren
Publikum gehalten hat und die bereits früher durch den Druck ver-
öffentlicht worden sind. Da aber diese Publikationen meist in wenig
bekannten Zeitschriften und in der Regel auf Grund mangelhaiter
Nachschriften erfolgt sind, war es ein guter Gedanke, eine allgemein
zugängliche Sammelausgabe zu veranstalten und zwar um so mehr, als
gerade diese Arbeiten in ihrer Anordnung den reichen Entwickelungs-
gang ihres Verfassers und die Einheitlichkeit und Geschlossenheit seines
Denkens klar zu Tage treten lassen und damit jene überzeugende Kraft
gewinnen, welche Neuraths Hórer ihm stets nachgerühmt haben. Die
Aufsätze sind folgende:
1) Die volkswirtschaftliche Sittenlehre im Jugendunterricht,
2) Der Sozialphilosoph Franz Quesnay, der Begründer des physio-
kratischen Systems,
3) Turgot als physiokratischer Staatsmann,
4) Adam Smith im Lichte heutiger Staats- und Sozialauffassung,
5) Eigentum und Gerechtigkeit,
6) Das Recht auf Arbeit,
7) Das Sittliche in der Volkswirtschaft,
8) Moral und Politik,
9) Die wahren Ursachen der Ueberproduktionskrisen, sowie der
Erwerbs- und Arbeitslosigkeit,
10) Das Sinken des Zinsfußes, sozialökonomisch gewürdigt,
11) Die Wirtschaftskrisen und das Kartellwesen,
12) Das Hauptproblem der modernen Volkswirtschaft.
Da Referent sich in diesen Jahrbüchern bereits über das charakte-
ristische Wesen der Neurathschen Lehren und über den Gedankengang,
der ihnen zu Grunde liegt, geäußert hat, da es überdies nicht möglich
wäre, im Rahmen einer Buchanzeige eine auch nur annähernd ab-
schließende Kritik dieser Lehren zu bringen, mag es für ihn mit dem
Hinweise auf das Erscheinen dieser Vortragssammlung und mit dem
Ausdrucke des Wunsches genug sein, daß das hübsche Buch viel ge-
lesen werde, die Forschung befruchte und zu sachlicher Erörterung
in der Oeffentlichkeit reichen Anlaß gebe. Dann wird auch der Zweck
des Herausgebers Prof. von Lippmann und der Witwe des Verblichenen,
die dem ersteren alles Material in liebevoller Pietät zu Verfügung ge-
stellt hat, erreicht sein, der Zweck, Neuraths Lebenswerk für die Fort-
entwickelung der Wissenschaft und das allgemeine Wohl nutzbringend
und förderlich zu gestalten. v. Schullern.
Oelsner, Ludwig, Volkswirtschaftskunde. Ein Leitfaden für
Schulen und zum Selbstunterricht. Frankfurt a/M. 1901.
Der Verfasser vorliegenden Buchs, Professor Ludwig Oelsner, hat Jahr-
zehnte hindurch an den Handelsklassen der Wöhlerschule zu Frankfurt a/M.
den Unterricht in der Volkswirtschaftslehre erteilt. Er hat jetzt die
hierbei gewonnenen pädagogischen Erfahrungen benutzt, um einen Leit-
faden zu verfassen, der zur Belehrung für ähnliche Kreise bestimmt
ist, wie die Schüler der Handelsabteilung genannter Schule. — Der
Leitfaden ist nicht für Studierende bestimmt, sondern für die große
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 959
Menge der Schüler an Handelsschulen, Fortbildungsschulen oder ähn-
lichen Anstalten, zu deren Unterrichtsgegenständen eine erste, allgemeine
rientierung über die wichtigsten Thatsachen des wirtschaftlichen Lebens
Fehórt, Auch für Selbstunterricht ist das Büchlein geeignet und sollte,
Me der Verfasser wünscht, volkswirtschaftliche Propädeutik zum Unter-
“Chtsgegenstande aller Schulen gemacht werden, so würde es auch zu
ji Sem Zwecke benutzbar sein. — In richtiger Erkenntnis dessen, was
e derartige Lehrzwecke in erster Linie nötig, hat der Verfasser nichts
Üh dem Stoffe geboten, der in der Regel in der sogenannten theore-
tischen oder allgemeinen Nationalökonomie behandelt wird, sondern hat
sich auf die Materien beschrünkt, die in der praktischen Nationalókonomie
erórtert werden, die Lehren von der Urproduktion, dem Gewerbe und
dem Handel. Dazu hat er noch einen kurzen Abriß der Finanzwissen-
schaft gefügt. — Das Ziel, das sich Oelsner gesteckt hat, ist in dem
Büchlein aufs trefflichste erreicht worden: bei sorgfältigster Auswahl
des für den Anfänger wichtigsten Wissensstoffs, unter bester Berück-
sichtigung der einschlägigen Litteratur und der neuesten Gesetzgebung,
wie der jüngsten statistischen Ergebnisse hat der Verfasser eine
vorzügliche Einführung in volkswirtschaftliche Studien geschaffen; wir
zweifeln nicht, daß es für weite Kreise des Volks ein willkommenes
Hilfsmittel der Belehrung bilden wird. —
Bei einer zweiten Auflage würden kleinere Versehen, die dem
Verfasser unterlaufen sind, zu verbessern sein; so z. B. S. 216 bei
der preußischen Vermögenssteuer, als deren Vorzug gerühmt wird, daß
sie auch das sogenannte Nutzvermögen, das keinen Geldertrag abwirft,
mitbelastet. Dies ist jedoch nicht richtig: nur der Teil des Nutzver-
mögens wird von der preußischen Steuer getroffen, der in wertvollen
unbeweglichen ertraglosen Vermögensteilen besteht (z. B. Parks,
Landhäuser etc.) nicht aber andere bewegliche Sachen, z. B. Bücher-
und Bildersammlungen. —
Königsberg i/Pr. Karl Diehl.
Abhandlungen, volkswirtschaftliche, der Badischen Hochschulen, Bd. VII,
1. Ergänzungsband: Hecht, Moritz (RegAssess. beim gr. bad. statistischen Landesamt),
Die badische Landwirtschaft am Anfang des XX. Jahrhunderts. Karlsruhe, G. Braun-
sche Hofbuchhdl., 1903. gr. 8. X—262 SS. mit 6 Taf. u. 12 Karten. M. 7.—. (Von
der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i. B. mit dem
Preise der Rudolf Schleiden-Stiftung ausgezeichnet.)
David, Ed., Sozialismus und Landwirtschaft. I. Bd.: Die Betriebsfrage. Berlin,
Verlag der sozialistischen Monatshefte, 1903. Lex.-8. 703 SS. M. 12.—.
Dokumente des Sozialismus. Herausgeg. von Ed. Bernstein. III. Bd., 1903
(12 Hefte). 1. Heft. Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf., 1905. gr. 8. 48 SS. M. 0,75.
Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissen-
schaftlichen Seminars zu Halle a. d. S., herausgeg. von (Prof.) Joh. Conrad. Bd. 37.
Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. M. 3.—. (Inhalt: Emil Kún, Sozialhistorische Bei-
träge zur Landarbeiterfrage in Ungarn. VIII—141 SS.)
Sommerlad, Theo (Privdoz., Univ. Halle), Das Wirtschaftsprogramm der Kirche
*les Mittelalters. Ein Beitrag zur Geschichte der Nationalökonomie und der Wirtschafts-
hist des ausgehenden Altertums. Leipzig, J. J. Weber, 1903. kl. 4. XV—23 8S.
A3 6.—.
Thompson, William, Untersuchung über die Grundsätze der für das mensch-
Ir he Glück dienlichsten Verteilung des Reichtums. Nach der englischen Originalaus-
gæabe von 1824 übersetzt. I. Bd. Berlin, R. L. Prager, 1903. gr. 8. XCII—457 SS.
17*
260 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
M. 7,50. (A. u. d. T.: Bibliothek der Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftswissen-
schaft, begründet v. F. Stópel, fortgeführt von R. Prager, Bd. XVII.)
Bibliothèque russe, Vingt ans d'expériences politiques et économiques en
Russie, par Naoumoff Loubavitsky, 1'* fascicule. Paris, Guillaumin & C™, 1902, 12.
70 pag.
Bibliothèque sociologique internationale, publiée sous la direction de M. René
Worms. Vol. XXVI: Létourneau, Ch., La condition de la femme dans les diverses
races et civilisations. Paris, Giard & Brière, 1903. gr. in-8. XVI—508 pag. toile.
fr. il.—. (Table des matières: Avant-propos, par M. René Worms. — Notice biogra-
phique sur Ch. Letourneau, par G. Papillault. — La femme en Mélanésie. — La femme
en Papouasie et en Afrique. — Condition des femmes dans l'Afrique noire. — La
femme en Polynésie. — La condition de la femme chez les Peaux Rouges. — La femme
chez les Indiens de l'Amérique du Sud. — La condition des femmes dans l'Amérique
centrale, — La femme chez les Périsiniques. -— La femme au Japon et en Chine. —
La condition sociale des femmes en Chine, — La femme chez les Périégyptiens. — La
femme chez les Berbères. — La condition des femmes dans l'Egypte ancienne. — La
condition des femmes chez les Sémites. — La condition des femmes dans l'Inde. — La
condition des femmes en Grece. — La condition des femmes à Rome. — La femme
dans l'Europe barbare et médiévale. — La femme à travers les áges.)
Dessein, E., Galiani et la question de la monnaie au XVIII* siecle. Langres,
impr. champenoise, 1902. 8. 196 pag. fr. 5.—.
Kautsky, K., La politique agraire du parti socialiste, traduit par C. Polack.
Paris, Giard & Brière, 1903. 8. 220 pag. fr. 4.—.
Pierson, N. G., Principles of economics. Transl. from Dutch by A. A. Wotzel.
Vol. I. London, Macmillan, 1903. 8. 634 pp. 10/.—.
Rogers, James E. Thorold, A history of agrieulture and prices in England
from the year after the Oxford Parliament (1259) to the commeneement of the conti-
nental war (1793). Compiled entirely from original and contemporaneous records. Edited
with sundry additions by one of his sons. Vol. VII, 1703—1793. 2 parts. Oxford,
nt the Clarendon press, 1902. gr. 8. XV—599 pp. and XV, pag. 600—966, cloth.
50/.—. (Contents of documents in part 2: Notes from the Cholmeley and Howard
papers. — Gifts made by all souls. — Income of all souls from 1764 to 1793 94. —
Contrast of priees 1710—1711. — Estimated produce of wool. — An account of invest-
ments and losses in the bubbles. — A statement of wages appointed by the justices in
the West riding of Yorkshire. — An account of the prices of labour, about 1707, from
Mortimer's art of husbandry. — An account of the prices of labour, about 1727, from
Edward Laurence's duty of a steward. — A statement of wages appointed by the justices
in the counties of Kent and Gloucester. — Tables illutrating the rates of wages paid
in various parts of England, extracted from Arthur Young's tours. — An account of
the profits arising from the farm at Holkham, and the disbursements for management.
— Prices of stock: South Sea Company; Bank of England; East India Company ` Con-
solidated three per cents.)
Bosco, Augusto, Cenno necrologico ad elenco delle pubblicazioni del (prof.)
Angelo Messedaglia, enthalten in Annuario della r. università degli studi di Roma per
l'anno seolastico 1901—1902. 8. Roma, tip. fratelli Pallotta, 1902. 8. 411 pp.
Holst, H. Roland en van der Sehalk, Kapitaal en arbeid in Nederland.
Bijdrage tot de economische geschiedenis der 19° eeuw. Amsterdam, A. B. Soep, 1903.
8. 211 blz. fl. 1,25. (Sociale Bibliotheek, onder redactie van P. J. Troelstra en
H. Polak, N° 2.)
Treub, M. W. F., Het wijsgeerig-economisch stelsel van Karl Marx. Eene critische
studie. Deel I. Amsterdam, Scheltema & Holkema, 1903. gr. 8. 16 en 395 blz. fl. 12.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Stephani, K. G., Der älteste deutsche Wohnbau und seine Ein-
richtung. Baugeschichtliche Studien auf Grund der Erdfunde, Arte-
fakte, Baureste, Münzbilder, Miniaturen und Schriftquellen. 1. Band:
Der deutsche Wohnbau und seine Einrichtung von der Urzeit bis zum
Ende der Merovingerherrschaft. Mit 209 Textabbildungen. Leipzig
(Baumgärtners Buchhandlung) 1902. XII und 448 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 961
Der Göttinger Philologe Moriz Heyne hat im Jahre 1899 in einem
Bande eine Darstellung des deutschen Wohnungswesens von den ältesten
geschichtlichen Zeiten bis zum 16. Jahrhundert veröffentlicht. Der Ver-
fasser des vorliegenden Buches hat sich die Schilderung eines kürzeren
Zeitraums als Ziel gesteckt. Wie der bisher erschienene erste Band nur
bis zum Ende der Merovinger reicht, so ist für den zweiten in Aus-
sicht genommen, daß er die Periode von Karl d. Gr. bis zum Anfang
des 11. Jahrhunderts behandelt. Unter diesen Umständen kann Ste-
phani über manches ausführlicher berichten, als Heyne es getan.
Es kommt hinzu, daß die Interessen des einen so wie so eine etwas
andere Richtung zu haben scheinen als die des anderen. Auch in der
Form besteht ein Unterschied: Heyne behandelt seinen Stoff mehr in
der Art der Altertümer, Stephani mehr in der der geschichtlichen Dar-
stellung. Man wird also sagen dürfen, daf beide Werke nebeneinander
Platz haben.
Stephani hat auf sein Buch großen Fleiß verwandt. Wenn sich
hier und da Lücken in der Literaturbenutzung zeigen, so ist als mildernder
Umstand hinzunehmen, daß der Verfasser, der das Amt eines Pfarrers in
Stettin bekleidet, von einer größeren Bibliothek entfernt wohnt. An-
erkennung verdient ferner, daß er klar und übersichtlich schreibt. Er
glaubt sich im Vorwort entschuldigen zu müssen, dab „seine Arbeit
keine Geschichte des deutschen Wohnbaues, sondern nur eine Zusammen-
stellung aller der Nachrichten enthalte, welche sich aut den deutschen
Wohnbau und seine Einrichtung beziehen“. Wir sind im Gegenteil
der Ansicht, daß im vorliegendem Fall diese Art der Berichterstattung
die zweckmäßige ist. Wenn das Quellenmaterial höchst lückenhaft ist
und wir überall auf ergänzende Vermutungen angewiesen sind, empfiehlt
sich unbedingt eine Darstellung, die den Leser in erster Linie erkennen
läßt, was denn von Nachrichten überhaupt verhanden ist; eine Erzählung,
die darauf ausgeht, ohne weiteres Verbindungen herzustellen, würde
bier nur täuschen. Im übrigen gibt der Verfasser ja kein rohes Material,
sondern hat dafür gesorgt, daß der Ueberblick nicht verloren geht.
Nicht als letzten Vorzug des Buches haben wir die zahlreichen Illu-
trationen zu erwähnen: sie sind von der Art, daß sie dem Leser wirk-
lich Belehrung geben, nicht bloß einen äußerlichen Schmuck bieten.
Diese Eigenschaften des Buches haben es bewirkt, daß es von der
Kritik bereits sehr beifällig aufgenommen worden ist. Insbesondere
die Kunsthistoriker haben ihm lebhaften Beifall gespendet. Aber es
ist unsere Pflicht, doch auch auf einen erheblichen Mangel hinzuweisen.
Diesen hat kürzlich der Philologe Edward Schröder in der Historischen
Zeitschrift, Bd. 90, S. 111 ff. nachdrücklich hervorgehoben. Stephani
läft nämlich die erforderliche philologische Schulung bei der Deutung
der alten Quellen vermissen. Es zeigt sich hier wiederum, daß für die
Erforschung der älteren deutschen Privataltertümer in erster Linie doch
die Philologen berufen sind, weil die Quellen überwiegend von der Art
sind, daß sie nur bei philologischer Schulung mit Erfolg gewürdigt
werden können. Hätten wir in größerer Menge Ueberreste der Bauten
aus der älteren deutschen Zeit, so stände die Sache anders. Nun aber
mul man wie ein echter Philologe nicht bloß stets mühsam den Wort-
262 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
sinn festzustellen suchen, sondern auch bei der Benutzung einer Quelle
sich immer fragen, welche Vorlage sie gehabt hat. Schröder hat an
mehreren Beispielen erläutert, wie verhängnisvoll es gewesen ist, dal
Stephani nicht den Heliand mit dem Bibeltext verglichen hat.
Um noch auf einiges einzelne einzugehen, so vermisse ich H 60
in dem Literaturverzeichnis betreffs der Frage der Ansiedlungsformen
der alten Germanen die sehr eindringende Kritik des Meitzenschen
Werkes durch Henning im Anzeiger der Zeitschrift für deutsches Alter-
tum und deutsche Literatur, Bd. 25, S. 225 ff. Hennings Ausführungen
verdienen auch in den Kreisen der Nationalókonomie eingehende Be-
rücksichtigung. S. 68 äußert sich Stephani in beachtenswerter Weise
über die Tatsache, daß das Haus in älterer Zeit zur Fahrhabe ge-
rechnet worden sei. Interessant sind auch seine Bemerkungen zu den
Abbildungen von Wohnstätten auf der Marcussäule (S, 109 ff) In
Bezug auf die von ihm auf S. 261 Anm. 8 besprochene Stelle der lex
Salica mag auf Getfckens Ausgabe der lex S. 259 verwiesen werden,
der zu demselben Resultat gelangt. S. 265 Anm. 7 meint Stephani,
daß Rietschel dem Worte curtis die Bedeutung von Einzelhof erst von
der Karolingischen Zeit an zuschreibe. Rietschel hat dies jedoch meines
Erachtens nicht behauptet. — Wünschenswert wäre beim zweiten Bande
die Beigabe eines Sachregisters.
Tübingen. G. v. Below.
Beiträge zur Geschichte des Niederrheins. Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichts-
vereins. XVII. Bd. Düsseldorf, Ed. Lintz, 1902. gr. 8. 244 SS. mit 1 Portr. und
1 Plan. M. 5.—. (Inhalt: Der Stamm und Gau der Chattuarier, ein Beitrag zur Ge-
schichte der fränkischen Stämme und Gaue am Niederrhein, von P. Eschbach. — Orga-
nisation der Zentralverwaltung von Jülich-Berg im 16. Jahrh. von K. Sallmann. —
Die Hochzeit des Herzogs Wilhelms III. von Jülich-Cleve-Berg 1546, von F. kuch
(S. 95— 115). — Aus der Geschichte der Jülicher Vogtei in Aachen, von Emil Pauls.
— Die Herrschaft des Abtes von Heisterbach zu Flerzheim und Neukirchen in der
Sürst, von Ferd. Schmitz, — Napoleon I. und die Industrie des Großherzogtums Berg,
von Otto R. Redlich. — ete.)
Flamm, Herm., Geschichtliche Ortsbeschreibung der Stadt Freiburg i. Br. Bd. Il.
Häuserstand 1400—1806. Freiburg, F. Wagner, 1903. gr. 8. VII, XLVI—417 SS.
Mit 1 Plane der Stadt von 1685. M. 4.—. (A. u. d. T.: Veröffentlichungen aus dem
Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau, Teil IV.)
Jahrbücher, Bonner. Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rhein-
lande, Heft 108/109. Bonn, A. Markus & E. Weber, 1902. Lex.-8. III—403 SS. mit
15 Taf. ete. M. 15.—.
Lausitzisches Magazin, neues, Im Auftrage der Oberlausitzischen Gesellschaft der
Wissenschaften, herausgeg. von (Prof.) Rich. Jecht. LXXVIII. Bd. Görlitz, H. Tzscha-
schel, 1902. gr. 8. 306 SS. (Aus dem Inhalt: Eine Oberlausitzer Kleinstadt (Rothen-
burg) um 1600, von (Pastor) Th. Stock. — Urkunden des Klosters St. Marienthal, von
(Pfarrer) Rich. Dochler, — Die Pilzläuben, Jüden-, Rosen- und Hellegasse, von (Prof.)
ich. Jecht. — Urkundliche Beiträge zu dem Salzmarktstreite zwischen Bautzen und
Kamenz (1505—1507), von Paul Arras.)
Mitteilungen aus dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek zu Breslau. Heft 6:
Barthel Steins Beschreibung von Schlesien und seiner Hauptstadt Breslau, 1512/13. In
deutscher Uebersetzung herausgeg. von H. Markgraf. Breslau, E. Morgenstern, 1902.
gr. 8. 16 SS. M. 1.—.
Moltke, O. (Grat, Mitglied des Hauses der Abgeordneten), Nordamerika. Bei-
träge zum Verständnis seiner Wirtschaft und Politik. Berlin, E. S. Mittler & Sohn,
1902. gr. 8S, 53 SS. M. 1,50. (Aus dem Inhalt: Produktion, Export und Import. —
Die Ergebnisse des letzten Zensus. — Verkehrsentwickelung. Eisenbahnen. — Binnen-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 263
schiffahrt. Erztransporte. — Eisen- und Stahlerzeugung. Trusts. — Wirtschaftliche Lage.
— Kanäle und GroDschiffahrtswege. — etc.)
Müller, Willib., Urkundliche Beiträge zur Geschichte der mährischen Juden-
schaft im 17. und 18. Jahrhundert. Olmütz, 1903. gr. 8. 199 SS. M. 5.—.
zu Rantzau, A. L. (Gräfin), Die Chronik von Pronstorf. Ein Beitrag zur schleswig-
holsteinschen Adels- und Kirchspielgeschichte. Lübeck, Lübcke & Nöhring, 1902. gr. 8.
99 SS. M. 1,50.
Schmitz, Otto, Die Bewegung der Warenpreise in Deutschland von 1851 bis
1902. Nebst 2 Ergänzungen: Bankdiskont, Goldproduktion und Warenpreisstand. —
Der Weizenpreis von 400 v. Chr. bis 1900. Berlin, Frz. Siemenroth, 1903. Lex.-8.
443 SS. mit 2 Karten. M. 12.—.
Weber, Carl O., Reise nach einer Kautschukplantage, in Columbien. Dresden,
Steinkopff & Springer, 1902. 8. 39 SS. M. 1.—.
Annuaire du département de la Seine-Inférieure, administratif, industriel, com-
mercial et agricole, pour 1903. XI* année. Paris, impr. Dumoulin, 1903. 8. VIII—
1018 pag. fr. 6.—.
Amis, Moses Neal, Historical Raleigh from its foundation in 1792: descriptive,
biographical, educational, industrial ete. Raleigh, M. N. Amis, 1902. 12. 236 pp.,
illustr. $ 0,50.
Gibbins, H. de B., Economic and industrial progress of the century. London,
Chambers, 1903. 8. 556 pp. 5/.—. (19 Century series.)
Parker, Gilbert (Sir), Quebec; the place and the people. 2 vols, New York,
Macmillan, 1902. 8. illustr., cloth. $ 4.—.
Report to the Secretary for Scotland by the Crofters Commission on the social
condition of the people of Lewis in 1901, as compared with twenty years ago. Glasgow,
printed by Jam. Hedderwick & Son, 1902. Folio. CIV pp. and appendix 65 pp. 1./6.
(Contents: Introductory. — Situation and extent. — Distribution and annual value of
the land. — Burgh of Stornoway. — Population. — Education. — Maintenance of the poor
and pauper lunatics. — Grants for public works and for miscellaneous improvements.
— Roads and footpaths. — Telegraph and postal extensions, — Fisheries. — Land
occupation. — Industries. — Housing and publie health. — Crime. — Social and
domestic life. — Appendix.)
Western Australian year-book for 1900—01. (XII edition), by Malcolm A. C.
Fraser (Government Statistician and Registrar General of Western Australia) [in 2 vols.].
Volume I. Perth, Alfr. Watson printed, 1902. 8. 490 pp. with 3 maps.
Wilson, R. R., New York, old and new : its story, streets, and landmarks. 2 vols.
with illustrations. London, Lippincott, 1903. 8. 18/.—.
Beker, Feder. e Leoni Giovanni, Banchi, commercio, industrie, richezze e
sistema monetario degli stati uniti del Venezuela. Torino, tip. P. Celanza e C., 1902.
4. 24 pp.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
v. Bülow, H., Der Verlust von Oesterreichs Stellung in Deutschland vom kolo-
nialpolitisehen Standpunkte. Berlin, W. Süsseroth, 1903. gr. 8. 78 SS. M. 1,80.
. Hassert, Kurt (Prof. d. Geogr. an der Handelshochschule, Köln), Die neuen deut-
schen Erwerbungen in der Südsee: Die Karolinen, Marianen und Samoainseln. Nach-
trag zu Deutschlands Kolonien. Leipzig, Seele & C°, 1903. gr. 8. 110 38. M. 2,25.
Seharlach, Koloniale und politische Aufsätze und Reden. Herausgeg. von Heinrich
v. Poschinger. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1903. gr. 8. V—117 SS. M. 2,50.
Schmeisser (GehBergR.), Die nutzbaren Bodenschätze der deutschen Schutzgebiete.
Vortrag, geh. bei Gelegenheit des deutsehen Kolonialkongresses zu Berlin am 10. X.
1902. Leipzig, Druck des Bibliographisehen Instituts, 1002. gr. 8. 41 SS.
Negreiros, A., L'épopée portugaise. Histoire coloniale. Paris, Challamel, 1902.
$. 77 pag.
Grossi, Vincenzo (prof), Politica dell’ emigrazione e delle colonie: sunto delle
lezioni e conferenze fatte nella r. scuola diplomatico-coloniale di Roma durante l'anno
scolastico 1902. Roma, tip. Unione cooperative editrice, 1902. 8. 168 pp.
Kiær, A. N., Ny Bidrag til belysning af Frugtbarhedsforholdene in den Aegteskabet
964 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
i Norge. Christiania, J. Dybwad, 1902. gr. 8. 110 pp. (Neue Untersuchungen über
die Fruchtbarkeit der Ehen in Norwegen.)
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Stumpfe, Dr. E., Polenfrage und Ansiedelungskommission. Berlin
1902.
In der vorliegenden Schrift bringt Dr. E. Stumpfe eine Darstellung
der staatlichen Kolonisation in Posen-Westpreußen und kritische Be-
trachtungen über ihre Erfolge.
Der Verfasser hält die bestehenden Ansiedelungen an sich für un-
bedingt geglückt und gedeihend, unterwirft dann aber die ganze Thätig-
keit der Ansiedelungskommission einer scharfen Kritik. Den Grund
der unbefriedigenden Erfolge sieht er nicht in den Personen, sondern
in dem büreaukratischen System, welches am wenigsten bei Koloni-
sation angebracht sei.
Er tadelt vor allem das zu langsame Vorgehen der Kolonisation,
besonders durch Zurückdrüngen der Stellen von 5—10 ha und die zu
geringe Werbetütigkeit.
Der Verfasser begründet seinen Tadel objektiv und einleuchtend
und macht seinerseits Vorschläge, wie nach seiner Ansicht die Sache
richtiger und erfolgreicher anzugreifen sei. Wenn man auch nicht
allen seinen Vorschlägen beipflichten kann, so muß man doch die
Hoffnung aussprechen, die betreffenden Behörden möchten diese Schrift
nicht unbenutzt beiseite legen. M. C.
Berufsgenossenschaft, landwirtschaftliche, Lothringen. (Syndicat agricole de
la Lorraine.) Geschüftsbericht für die Jahre 1599, 1900 u. 1901. Metz, 1902. s. 35 SS.
Forschungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft. Festschrift zur Feier des
70sten Geburtstages von (Prof. Adolf Kraemer. Frauenfeld, J. Huber, 1902. Lex.-8.
404 SS. mit Abbildgn., 1 Karte, 1 Portr. u. 8 Taf. M. 8.—. (Aus dem Inhalt: Das
Gebäudekapital in der schweizerischen Landwirtschaft, von E. Laur. — Acker oder
Wiese (Produktionskostenberechnungen), von G. Glättli. — Die Viehzucht Westsibiriens,
von Jos. K. Okulitsch. — Die Beziehungen des Körpergewichtes zur Futterverwertung
beim Rindvieh, von H. Kraemer. — Die reine Graslandwirtschaft, ihre Einrichtung und
ihr Ertrag im St. Gallischen Flachlande, von Alb. Peter. — La production et la con-
sommation de la viande en Suisse, par Henry Nater. — Die Einzelhöfe im Kanton
Luzern, von Hans Moos. — Dreifelder- und Egertenwirtschaft in der Schweiz, von
Albert Volkart. — etc.)
Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands. — Herausgeg. im Auftrage des
deutschen Verbandes für das kaufmännische Unterrichtswesen. II. Bd. Leipzig, B. G.
Teubner, 1902. Lex.-8. 253 SS. mit 5 Karten im Text und auf Beilagen. M. 6.—.
(Inhalt: Die land- und forstwirtschaftlichen Gewerbe: 1. Die deutsche Landwirtschaft,
von (Privdoz.) C. Steinbrück (Halle a/S.); 2. Forstwirtschaft, von (Forstmeister) F,
Jentsch (Hann.-Münden); 3. Die Gärtnerei, von (Dozent) E. S. Zürn (Leipzig); 4. Der
Weinbau, von J. B. Kittel (Würzburg). — 5. Die Viehzucht, von (Privdoz.) C. Stein-
brüek; 6. Jagd, von (ForstAss.) Japing (Hann.-Münden); 7. Die Hochseefischerei (von
Kreuzkam (Hannover); 8. Die Binnenfischerei, von (Prof.) Wilh. Halbfass (Neuhaldens-
leben); 9. Bienenzucht, von (Hauptlchrer) Lehzen (Hannover).)
Hermann, E. (Ansiedler in Namtsas, früher in Kubub), Viehzucht und Boden-
kultur in Südwestafrika, zugleich Ratgeber für Auswanderer. 2, Aufl. Berlin, Deut-
scher Kolonialverlag, 1902. gr. 8. 116 SS.
Jahresbericht der Landwirtsehaftskammer für den RegBez. Kassel, 1901.
Kassel, Druck von Weber & Weidemeyer, 1902. gr. 8. 56 SS.
Seefischereialmanach, deutscher, für 1902. Hannover, Hahn, 1902. XII—
577 SS. geb. M. 4,50.
Wilsing, W. (Vorsteher der Provinzial-Wiesenbauschule zu Bromberg), Wie
sollen wir unsere Wiesen behandeln? Bromberg, A. Fromm, 1902. gr. 8. 29 SS. M. 0,50.
—
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 265
Rapport sur l'état de l’agriculture dans la province de Hainaut pendant l’année
1901. Frameries, impr. Dufrane-Friart, 1902. gr. in-8. 80 pag.
Robin, Maur., Questions agricoles. Paris, E. Bernard & C*, 1903. 8. X—168 pag.
fr. 2.—. (Table des matières: La crise agricole et la spéculation: 1. Les caractères de
la crise. Du droit et du devoir d'intervention de l'Etat; 2. Théorie et effets de la
spéculation en matière agricole; 3. Histoire de la crise et de la lutte entre le parti
„agraire et la spéculation sur les blés en Allemagne; Etude de la spéculation sur les
blés en France. — Des retraites agricoles: 1. Necessité et justice théoriques des retraites
agricoles. 2. La retraite gratuite. Le homestead-caisse populaire de crédit foncier. —
Du privilège des bouilleurs de cru: 1. Fondement historique du bouilleur de cru;
2. Fondement théorique du privilege des bouilleurs de cru; 3. Suppression indirecte du
régime des bouilleurs de cru. La distillerie agricole. Le monopole de l'aleool. Projet
de M. Alglave. — De l'éclairage et du chauffage par l'aleool: 1. Rôle économique de
l'alcool; 2. Comparaison de l'éclairage et du chauffage à l'aleool avec celue obtenu par
les autres procédés.)
Vandervelde, E., L'exode rural et le retour aux champs. Paris, F. Alcan,
1903. 8. fr. 6.—.
Snyder, Wilson J., Mines and mining: a commentary on the law of mines
and mining rights, both common law statutory. 2 vols. Chicago, T. H. Flood & C»,
1902. 8. 101; 709 pp. and 26; p. 711—1464. $ 12.—. (With appendices, cont.
the federal statute. and the statutes of the western states and territories relating to
mining for precious metals on the publie domain and forms for use in application for
patent and adverse suits.)
Webber, T. W., Forests of upper India and their inhabitants, New York, Long-
mans Green & C^, 1902. 8. 13, 344 pp. cloth. $ 5.—.
Falqui, Gius., Una escursione agraria in Sardegna. Salerno, tip. Migliaccio di
G. Fruseione fu S., 1902. 8. 60 pp.
5. Gewerbe und Industrie.
Menzel, Adolf, Die Kartelle und die Rechtsordnung. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1902. 79 SS.
Prof. Adolf Menzel in Wien gebührt das Verdienst, die Frage der
gesetzlichen Regelung des Kartellwesens zuerst eingehend und vom
Standpunkt des Juristen aus erórtert zu haben. Seine diesbezüglichen
Publikationen hat er in der vorliegenden Schrift vereinigt. An erster
Stelle steht der Vortrag, den der Verfasser auf der Wiener General-
versammlung des Vereins für Sozialpolitik im Herbst 1894 gehalten
hat. Daß bei einem so neuen und so im Flusse der Entwickelung
befindlichen Gegenstande manche Erörterungen dieses vor 9 Jahren
gehaltenen Vortrags heute veraltet und überholt sind, wird nicht
wunder nehmen. Vieles darf jedoch auch heute noch volle Geltung
beanspruchen, so die scharfsinnige Erörterung über das Wesen der
Kartelle (Abschnitt I), gegenüber welcher die neuesten Ausführungen
darüber (von Grunzel und Huber) geradezu einen Rückschritt darstellen,
der interessante und historische Rückblick auf die alte Koalitionsgesetz-
gebung (Abschnitt III), die Untersuchung über die Anwendbarkeit der
gegenwärtigen Gesetze Oesterreichs und des Auslandes (Abschnit IV—
VI. Dagegen wird die Verwerfung jeden zivilrechtlichen Vorgehens,
an der Menzel übrigens auch heute noch festhält (s. Teil III), heute
nicht mehr allgemein geteilt (vgl. die Ausführungen von Exc. Klein,
Justizrat Boyens und des Verf. dieser Anzeige auf dem deutschen
Juristentage, sowie meinen Aufsatz in diesen Jahrbüchern, Dez. 1902,
S.797#). Von den beiden positiven Vorschlägen Menzels (Abschnitt VIII)
ist der erste: Anzeigepflicht allgemein acceptiert, der zweite: Regelung nur
206 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der organisierten Kartelle von seinem Urheber selbst fallen gelassen
worden.
Der zweite Teil befaßt sich nach einer kurzen Vorbemerkung, in
der Menzel sein Prioritätsrecht bezüglich des Vorschlags der Staats-
aufsicht für die Kartelle hervorhebt, zunächst mit der Anwendbarkeit
der $$ 138 und 826 B.G.B. Er kommt bezüglich des ersteren zu dem’
Ergebnis, daß „kein Hindernis besteht, einem Kartell die rechtliche
Wirksamkeit abzusprechen, wenn dasselbe zwar nach der Absicht der
Parteien nicht auf monopolistische Ausbeutung gerichtet war, aber diese
Folgen doch durch die getrofienen Einrichtungen tatsächlich herbei-
führt“ (S. 88) Dem ist zu entgegnen, daß jedes Kartell auf die Herbei-
führung eines Monopols gerichtet ist, daß daher diese Unterscheidung
des Reichsgerichts in seinem bekannten Urteil vom 4. Februar 1897
unhaltbar erscheint und sich überhaupt keine allgemeine Merkmale für
die scharfe Unterscheidung schädlicher und nicht schädlicher Kartelle
aufstellen lassen. Ich halte es aber mit vielen anderen überhaupt für
nicht angängig, zu behaupten, daß die Herbeiführung eines Monopols
und selbst die Absicht dazu einen Verstoß gegen die guten Sitten be-
deute.
Der folgende Abschnitt behandelt dann die bisherige deutsche
Rechtsprechung, der vierte und fünfte die zivilistische Theorie und die
österreichische Praxis gegenüber den Kartellen. Abschnitt VI bringt
eine kurze Besprechung der österreichischen Gesetzentwürfe, wobei
Menzel erklärt, in dem Referentenentwurfe einen Fortschritt gegenüber
dem Regierungsentwurfe nicht erblicken zu können. In Abschnitt VII
setzt sich Menzel kurz mit den Meinungen anderer Autoren über die
rechtliche Behandlung der Kartelle auseinauder. Die große neueste
Literatur konnte natürlich hier noch nicht berücksichtigt werden.
Der dritte Teil bringt dann das Referat Menzels auf dem 26. deutschen
Juristentage in Berlin. Er stellte den Antrag:
„1) Daß für eine gesetzgeberische Regelung vorerst empfohlen wird
die Einführung óffentlicher Kartellregister und die Statuierung
einer Auskunftspflicht gegenüber der Staatsverwaltung
von seiten der kartellierten Unternehmer, ihrer Organe und Kommissionäre.
2) Der deutsche Juristentag erklärt eine Reform der Gesetz-
gebung über die wirtschaftlichen Korporationen, ins-
besondere der Aktiengesellschaften, in der Richtung für wünschenswert,
daß der Staatsverwaltung diesen Körperschaften gegenüber die Wahrung
öffentlicher Interessen ermöglicht wird.“
Uebrigens wurde von diesem Antrage nur die Einführung öffentlicher
Kartellregister angenommen. Von einer wirklichen Regelung will
also auch Menzel zur Zeit noch absehen. Denn die Statuierung einer
Auskunftspflicht und die Schaffung eines Kartellregisters wird man nicht
wohl als eine Regelung der Kartelle bezeichnen kónnen, welche die
Nachteile derselben zu beseitigen versucht. Diese Maßregeln haben
nur die Aufgabe, einen tieferen Einblick zu ermöglichen. Ueber die
Frage, was der Anzeigepflicht unterliegen soll, wurde auf dem Juristen-
tage kein Beschluß gefaßt. Menzel stellte sich hier, im Gegensatz zu
zi
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 967
dem Referenten Landesberger, auf den meines Erachtens richtigen Stand-
punkt, daß die Eintragung aller Kartellbeschlüsse unmöglich sei, und
man sich auf die Anzeige der Statuten und deren Abänderungen be-
schränken müsse. Die allgemeine Statuierung einer Auskunftspflicht
der Kartelle, wie sie Menzel fordert, halte ich für überflüssig. Will
man eine Enquete veranstalten, so lasse man sie durch Gesetz be-
schließen und mit Vernehmungszwang ausstatten. Das sollte meiner
Meinung nach auch für die bei uns beschlossene Enquete geschehen.
Gegen den Absatz 2 des Menzelschen Antrags habe ich auf dem
Juristentage gestimmt, weil er mir zu unbestimmt schien. Eine Reform
der Gesetzgebung über die wirtschaftlichen Korporationen wird aus den
verschiedensten Gründen und in verschiedenster Weise verlangt. Menzel
sagt nichts Näheres darüber, wie er sich die Reform denkt, spricht
nur „von einer Annäherung unseres Privatkorporationsrechtes an das
Recht der öffentlichen Genossenschaften“ und will als Organ der Staats-
aufsicht bei derselben weder einen aus Vertretern der verschiedenen
Interessengruppen gebildeten Kartellrat, noch ein staatliches Kartell-
amt, sondern einzelne Beamte, die als delegierte Regierungsvertreter
an den Sitzungen der verschiedenen Korporationen teilnehmen. Dieser
Vorschlag hat vieles für sich, er macht aber ein staatliches Kartellamt
und einen Kartellrat nicht überflüssig, diese würden die Aufgabe
haben, die wirtschaftspolitischen Mittel, die im konkreten Fall ange-
wendet werden sollen, z. B. Ausdehnung des Veredlungsverkehrs und
dergl, zu erörtern. Daß Menzel diese nicht berücksichtigt, ist ein
großer Mangel seiner Ausführungen wie der der meisten Juristen über
diesen Gegenstand. Allerdings heißt seine Schrift: Die Kartelle und
die Rechtsordnung, allein rein juristisch läßt sich die Regelung des
Kartellwesens nicht lösen. Was die „Reform des Korporationsrechts“
betrifft, so versagt, selbst wenn man sich über die Art derselben klar
wäre, das Mittel gegenüber der Mannigfaltigkeit der Formen monopo-
listischer Vereinigungen. Ja, wenn es gelänge, die juristische "Theorie
und Systematik der Korporationen so den modernen ókonomischen Ver-
hältnissen anzupassen, daß auch alle monopolistischen Vereinigungen,
welcher Form auch immer, in dieselbe ohne Zwang eingereiht werden
könnten, wäre es denkbar, daß sich hier allgemeine Normen schaffen
ließen. Unter den heutigen Verhältnissen bleibt aber auch Menzel am
Schlusse seines Vortrags nichts anderes übrig, als an staatliche Preis-
regelung, dem einzigen wirklich wirksamen Mittel gegenüber den Kar-
tellen, zu denken, wobei er in interessanter Weise die früheren Zustände
beim preußischen Bergbau zum Vergleich heranzieht.
Robert Liefmann.
Arbeitszeit-Verlängerungen(Ueberstunden)imJahre
1901 in fabrikmäßigen Betrieben. Bericht des k. k. arbeits-
statistischen Amtes im Handelsministerium. Wien 1902,
Nach dem Bericht wurde in Oesterreich im Jahre 1901 die elf-
stündige Maximalarbeitszeit in 1002 (1900:890) Fällen von 545 (1900:501)
Betrieben überschritten. Von diesen beschäftigten 290 Betriebe unter
268 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
100, 108 Betriebe 100 bis 200 Arbeiter, so daß in ganz großen Be-
trieben eine Verlängerung der Arbeitszeit selten war. Die Ueberschreitung
dauerte in 318 Fällen nur bis zu 3 Tagen, in weiteren 491 Fällen
3 Tage bis 3 Wochen; eine längere Dauer ist nur vereinzelt vor-
gekommen, in einem Falle der Textilindustrie allerdings finden wir wie
im Vorjahre 8 Monate angegeben. Dieser Industriezweig hat überhaupt
den Hauptanteil mit 474 Fällen von Ueberstunden, dann folgen die
Maschinenerzeugung mit 108, die Metallverarbeitung mit 90 und die
graphischen Gewerbe mit 84 Fällen. Die übrigen Industrieklassen zeigen
erheblich geringere Zahlen. Der geographischen Verbreitung nach sind
die Ueberstunden natürlich in den industriereichen Gebieten am häufigsten.
So entfallen auf Niederösterreich 273, auf Böhmen 269, Mähren 192 Fälle,
dagegen z. B. auf Kärnten nur 1 Fall. Ueber die Dauer der Ueber-
stunden ist folgende Tabelle aufgestellt:
Tag Zahl der Fälle Zunahme +
ET "728 1900 1901 Abnahme —
'/, Stunde I — —— OU
!/, Stunde 27 9 — 18
1 Stunde 236 255 + 19
1'/, Stunden 105 75 — 30
2 Stunden 483 610 + 127
3 Stunden 50 65 + 15
Die Gesamtzahl der Ueberstunden im ganzen Jahre betrug
2664855 — 242259 elfstündige Arbeitstage. Gegen 1900 hat die
Stundenzahl um 664 315, gegen 1899 sogar um 1797 759 abgenommen.
Herangezogen wurden zu diesen Ueberstunden von den in sämtlichen
Betrieben beschäftigten 106 148 (1900:104184) Arbeitern 38371
(1900 : 43 481), d. h. 36 Proz. (1900:42 Proz.) der Gesamtzahl.
Diesen Angaben des Berichtes ist eine Reihe von übersichtlichen
Tabellen beigefügt, welche die Verteilung der Ueberstunden auf die
einzelnen Industriezweige noch genauer im Einzelnen verfolgen lassen.
Halle a. S. Georg Brodnitz.
Adler, Georg (Prof., Univ. Kiel), Ueber die Epochen der deutschen Handwerker-
politik. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. 106 SS. M.2,50.
Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich während des Jahres
1901. Wien, Alfr. Holder, 1902. gr. 8. 216 SS. mit 3 Taf. graphischer Darstellungen.
(Herausgeg. vom kgl. arbeitsstatistischen Amte im Handelsministerium.)
Escales, Rich., Bergbau, Hüttenwesen, Metallindustrie auf der Düsseldorfer
Ausstellung. Chemische Plaudereien. München, Th. Riedel, 1902. 8. 132 SS. M.2.—.
Habbicht, H., Das ehrbare Töpferhandwerk zu Eisenach. Ein Beitrag zur Ge-
schichte des Zunftwesens. Eisenach, H. Kahle, 1902. 8. VII—64 SS. M. 0,75. (Bei-
träge zur Geschichte Eisenachs, XI.)
Handbuch der Wirtschaftskunde Deutschlands, Band III. Leipzig, B. G. Teubner,
1903. Lex.-8. Lieferung 1. IX—240 SS. M, 6.—. (Inhalt: Steinkohlenbergbau und
Steinkohlenindustrie, von Schaper (kgl. Berginsp., Bochum). — Die Braunkohlenindustrie
und ihre Erzengnisse, von G. Wermert (Charlottenburg). — Blei-, Silber-, Zinkverhüt-
tung, von (GewerbeinspAssist.) O. Wauer (Berlin) — Eisenerzbau, von (BergR.) Pax-
mann (Magdeburg). — Die Kupferverhüttung, von G. Wermert, — Salzbergbau und
Salinenwesen, von (BergR.) Paxmann. — Die Gewinnung von Steinen (Steinbruchin-
dustrie), von Paul Wildner (Schweidnitz). — Die Tonwarenindustrie, von G. Wermert,
— Die Ziegelindustrie, von Senholdt (Weimar). — Die Porzellanindustrie, von Paul
Wildner.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 269
Kuhlo, Alfr., Die Kartellfrage mit besonderer Berücksichtigung der Interessen
der bayerischen Industrie. München, E. Reinhardt, 1903. gr. 8. 40 SS. M. 1.—.
Schriften der österreichischen Gesellschaft für Arbeiterschutz. Heft 1—3. Wien,
Frz. Deuticke, 1902. gr. 8. (Inhalt. Heft 1: Die gewerbliche Nachtarbeit der Frauen
in Oesterreich. Bericht, erstattet der internat. Vereinigung für gesetzlichen Arbeiter-
schutz, von Ilse v. Arlt. 37 SS. M. 1.—. Heft 2: Bericht über eine einheitliche internat.
Unfallstatistik zu Zwecken der Verhütung von Unfällen bei der Arbeit, von (RegR.)
K. Kögler und (KommerzialR.) Pacher v. Theinburg. 22 SS. M. 0,80.—. Heft 3:
Blei- und Phosphorvergiftungen in den gewerblichen Betrieben Oesterreiehs. Tatsachen
und Aufgaben der Gesetzgebung. Bericht erstattet der internat. Vereinigung für gesetz-
lichen Arbeiterschutz, von (D' med.) Ign. Kaup (k. k. Amtsarzt). 79 SS. M. 1,80.)
Siller, Paul (RegAss. im Ministerium f. Handel u. Gewerbe), Die Grundlagen
und Ziele der Verhältniswahl unter besonderer Berücksichtigung der Vorschläge des
preußischen Handelsministers und ihrer Einführung bei den Gewerbegerichten. Berlin,
C. Heymanns Verlag, 1902. gr. 8. 64 SS.
Apprentissage. Rapport de M. Briat au nom de Ja Commission permanente.
Enquête et documents. Paris, imprim. nationale, 1902. in-4. XLVIII—489 pag. (Pu-
blication du Ministère du commerce, de l’industrie, des postes et des télégraphes. Conseil
superieur du travail.)
Baumgart, E. (administrateur de la manufacture de Sevres), La manufacture
nationale de Sèvres à l'Exposition universelle de 1900. Mâcon, impr. Protat frères,
1592. in-folio. 34 pag. avec gravures.
Borderaux de salaires pour diverses catégories d'ouvriers en 1900 et 1901. Paris,
imprim. nationale, 1902. Lex. in-8. XX—230 pag. (Publication du Ministère du com-
merce, de l’industrie, des postes et des télégraphes. Direction du travail, Office du travail.)
Côte, Léon, L'industrie gantière et l’ouvrier gantier à Grenoble. (Préface de
Jean Jaurés.) Grenoble, Falque & Perrin, 1903. 8. X—299 pag. avec cartes, planches
et fac-similé. fr. 6.—.
Eudel, P., L'orfevrerie algérienne et tunisienne. Alger, Jourdan, 1902. in-4,
XX—544 pag. av. nombreux dessins, chromolithogr. et cartes.
Hache, A. (avocat à Paris), Les accidents du travail. Bar-le-Duc, imprim. bar-
risienne, 1903. 12. 94 pag. fr. 1.—.
Rapport sur la situation de l'industrie minérale et métallurgique dans la pro-
vinee de Hainaut. Année 1901. Frameries, impr. Dufrane-Friart, 1902. gr. in-8. 53 pag.
Procter, H. R., Principles of leather manufacture. London, Spon, 1903. Roy.-8.
525 pp. 18/.—.
Re port of the Chief Labour Correspondent of the Board of Trade on Trade Unions
in 1901. With comparative statisties for 1892—1900. London, printed by Darling & Son,
1902. gr. 8. LIX—178 pp. (Parliam. pap.)
Congresso nazionale delle associazioni e gruppi industriali e commereiali tenuto
in Palazza Vecchio a Firenze nei giorni 14—17 maggio 1902. Firenze, tip. G. Civelli,
1902, 8. 332 pp. 1. 5.—.
Frixione, Massimo (avvoc.), Il porto di Genova e la classe lavoratrice. Genova,
tip. Operaia, 1902. 8. 38 pp. 1. 0,60.
Labbro, Vittorio, I sindacati industriali dal punto di vista economico e sociale.
Torino, tip. s. Giuseppe degli Artigianelli, 1902. 8. 108 pp. (dissertazione di laurea).
Domela Nieuwenhuis, F., De werkloosheid, het „teeken des tijds“, Gorinchen,
P. M. Wink, 1903. gr. 8. 16 blz.
6. Handel und Verkehr.
Haarmann, A., Das Eisenbahngleis. Kritischer Teil. Mit 503
Holzschnitten. Leipzig, W. Engelmann 1902. gr. 89. 277 SS.
Der Leiter eines großen Werkes ist der Verfasser dieses Buches. Ge-
stützt auf eine reiche praktische Erfahrung und auf ein äußerst umfangreiches
Tatsachenmaterial hat Haarmann bereits 1891 eine Geschichte des Eisen-
bahngleises veröffentlicht, die durchweg eine sehr günstige Aufnahme
gefunden hat. Nach mehr als zehnjähriger Pause ist jetzt die schon
970 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
damals in Aussicht genommene vergleichende Kritik der in der Geschichte
als typisch hervortretenden Systeme getolgt. Sie verwertet auch die
seit 1891 gemachten, zum Teil sehr bedeutungsvollen Erfahrungen und
sucht mit Hilfe kritischer Beleuchtung sowohl der älteren als auch der
jetzt noch in Anwendung befindlichen Oberbausysteme der verschiedenen
Länder die Anforderungen, die an einen allen Betriebsansprüchen ge-
nügenden Oberbau zu stellen sind, und die zweckmäligsten Mittel zur
Erfülung dieser Anforderungen ausfindig zu machen. Das sind zu-
náchst rein technische Fragen; die technischen Kreise sind denn auch
alsbald auf das Buch aufmerksam geworden und haben es sehr günstig
beurteilt. Aber es handelt sich zugleich um staats- und volkswirtschatt-
liche Fragen von hervorragender Bedeutung. Die eigentliche Gleis-
unterhaltung (also ohne die Gleiserneuerung) erforderte 1900 auf den
deutschen vollspurigen Bahnen einen Aufwand von 621/, Mill M. Es
ist klar, daß eine Verminderung dieses Aufwandes wirtschaftlich durch-
aus erwünscht ist. Rechnet man den durchschnittlichen Verschleiß des
Schienenkopfes auf 1 mm in 3 Jahren, so werden auf den preußischen
Staatsbahnen jährlich 2500 cbm Stahl von den Schienenkópfen herunter-
geschlissen, so daß 19 Mill. kg Material im Wert von mindestens 2 Mill. M.
einfach verloren gehen. In gleicher Weise verschleißen die Radreifen.
Unter normalen Betriebsverhältnissen stellt sich hiernach für die preu-
ßischen Staatsbahnen der reine Materialverlust schon auf rund 4 Mill. M.
jährlich. Läßt sich durch verbesserte Oberbaukonstruktionen dieser Ver-
schleiß vermindern, so erhöht das die Wirtschaftlichkeit des Eisenbahn-
betriebes durch làngere Verwendungsdauer sowohl des Oberbaues als auch
des rollenden Materials; da hierzu vielfach eine allmähliche Umgestaltung
des zu verwendenden Oberbaumaterials erforderlich ist, so würden auch
die Arbeits- und Erwerbsverhältnisse wichtiger Teile der deutschen
Eisenindustrie dadurch günstig beeinfluft werden. Gleichzeitig würde
die Betriebssicherheit zunehmen, ein Ergebnis, das bei der raschen
Steigerung der Gleisbeanspruchung in der neuesten Zeit von großer —
auch wirtschaftlicher — Bedeutung sein würde. Schon diese kurzen
Andeutungen zeigen, daß der Inhalt des Buches für die Nationalókonomen
von besonderem Interesse ist. Der enge Zusammenhang der technischen
Fortschritte mit dem Wirtschaftsleben wird zwar im allgemeinen bereit-
wilig anerkannt; aber die wissenschaftliche Verwertung dieses Zu-
sammenhanges ist im ganzen noch geringfügig. Zum Teil erklärt sich
das daraus, daf technische Fachschriften dem Nichttechniker oft schwer
verständlich sind. Das vorliegende Buch läßt nicht nur den Zusammen-
hang zwischen Technik und Wirtschaft auf dem wichtigsten Gebiete
des heutigen Verkehrslebens klar hervortreten, sondern versteht es auch,
die technischen Fragen in einer Form zu behandeln, die dem aufmerk-
samen Leser ohne spezielle technische Fachkenntnisse einen ausreichenden
Einblick ermöglicht. Gerade an solchen Schriften sollten die Vertreter
der Nationalókonomie nicht vorübergehen, und deshalb darf auf das
Haarmannsche Buch auch an dieser Stelle hingewiesen werden.
R. van der Borght.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 271
Lehmann, Bodo, Bodenkredit und Hypothekenbanken. Berlin
(Puttkammer & Mühlbrecht) 1901. 121 SS.
Das Hypothekenbankwesen ist im allgemeinen für die deutsche
nationalökonomische Litteratur ein ziemlich unbebautes Feld. Neben
unbedeutenden Broschüren giebt es wenige Spezialwerke, die diesen
Zweig der Wissenschaft pflegen. Solch’ entlegenes Gebiet betritt Bodo
Lehmann mit seiner Schrift „Bodenkredit und Hypothekenbanken“.
Wie schon der Umfang des Buches erraten läßt, erhalten wir keine
ausführliche Schilderung des Hypothekarkredits und der Arten
seiner Befriedigung. Der Verfasser, welcher auf den städtischen Grund-
kredit sein Hauptaugenmerk richtet, behandelt viele Fragen recht ein-
gehend und treffend; doch manche Probleme, die der Aufhellung be-
dürfen, werden nur spärlich beleuchtet.
Die Entwickelungsgeschichte der Bodenkreditorganisation eröffnet
die Betrachtungen. Für den ländlichen Grundbesitz — besonders den
adigen — sind die preußischen Landschaften, von Friedrich dem Grossen
gegründet, die ersten Kreditinstitute. Doch die „Société du Credit
Foncier“ ist die erste moderne Hypothekenbank. Sie pflegt
hauptsächlich den städtischen Bodenkredit und emittiert Schuldver-
schreibungen, „die auf Hypotheken radiziert und bestimmt sind, das
in Hypotheken angelegte Kapital wieder flüssig zu machen“. Gleich
dem Credit Mobilier in Frankreich entstanden (1852), hält das Institut
in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts seinen Einzug in Deutsch-
land, bald weite Verbreitung findend.
„Der wichtigste Zweck“, den die Hypothekenbanken erfüllen sollen,
„ist die Beschaffung der zur Herstellung von Wohnungen dienenden
Kapitalien“. Wieweit werden nun die Banken dieser ihrer Bestimmung
gerecht? Auf Eberstadts Berechnungen gestützt, schätzt der Verfasser
die städtische Verschuldung in Deutschland auf 30 Milliarden M. Un-
gefähr 1/, der Kapitalmenge — ca. 4 Milliarden M, die die Ver-
zinsung erfordert, zugerechnet — bringen die Hypothekenbanken mit
Hilfe der Emission von Pfandbriefen (reichlich 6!/, —6?/, Milliarden M.)
auf.
Die immer zunehmende Ausdehnung und wirtschaftliche Bedeutung
der Hypothekenbanken dringen auf den Erlaß eines Reichsgesetzes.
Nach langjährigem Warten wird die Materie in dem Reichshypotheken-
bankgesetz vom 13. Juli 1899 geodnet; diesem folgt in kurzem Zwischen-
raum (am 4. Dezember 1899) das Gesetz, betr. die gemeinsamen Rechte
der Besitzer von Schuldverschreibungen. Beide Gesetze erörtert der
Verf. ziemlich ausführlich. Besondere Aufmerksamkeit widmet er natür-
lich dem Taxwesen, den Institutionen wie Staatsaufsicht und Treuhänder.
(Leider vermissen wir bei diesen Auseinandersetzungen ein Wort über
die so wichtige Frage der Behandlung des Agios und Disagios.) Die
Kritik der gesetzlichen Bestimmungen ist maßvoll gehalten und vielfach
begründet. Den Ausführungen über das unzulängliche Vorzugsrecht
der Pfandbriefgläubiger im Konkurse der Hypothekenbanken können wir
ohne Einschränkung zustimmen. Doch die Gründe für die Existenz-
berechtigung des Treuhänders erscheinen uns nicht als stichhaltig.
972 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Wenn man sich für die Beibehaltung der Staatsaufsicht erklärt,
so ist Lehmanns Vorschlag nicht außer acht zu lassen. Er billigt das
in Süddeutschland herrschende System und will demnach einen Kommissar
mit der ständigen Revision betraut wissen. Für Hypothekenbanken
mit einem Pfandbriefumlauf von weniger als 50 Mill. könne die Aufsicht
nebenamtlich ausgeübt werden, für gróflere Anstalten solle ein Kommissar
im Hauptamt fungieren. Nach des Verf. Ansicht genüge es, mehreren
Banken einen Revisionsbeamten zu bestellen. Jedes Institut indessen,
das mindestens 12 Mill. Grundkapital und einen Pfandbriefumlauf von
100 Mill. habe, sei berechtigt, für sich allein einen Staatskommissar
zu verlangen. Die Kosten müssen analog 8 4 Abs. 3 des H B.G. die
Banken erstatten.
Auch die neuen Organisationstypen des Hypothekarkredits — die
öffentlichen Pfandbriefámter — erwähnt Lehmann; endlich wollen wir
noch die treffliche Besprechung der oft genannten Voigtschen Broschüre
„Hypothekenbanken und Beleihungsgrenze* lobend hervorheben.
Wiewohl der Verfasser sichtlich bemüht ist, die Verhältnisse mög-
lichst objektiv zur Darstellung zu bringen, so kann er sich doch nicht
enthalten, unbewiesene Behauptungen aufzustellen, die in ihrer all-
gemeinen Fassung unrichtig sind. So muß der Schluß seines Buches
eine Uebertreibung genannt werden, wenn es da heißt: „Die das ganze
städtische Bodenkreditwesen durchziehende Wasserpest ist die Ueber-
beleihung, die „Diskontierung der Luftsäule des städtischen Grund und
Bodens“, die überwiegend auf einem gefährlichen Gemisch von Leichtsinn
und Gewinnsucht und nur zum Teil auf der Hoffnung des künftigen Ein-
dringens des nordamerikanischen Systems des »Wolkenkratzerse in
Deutschland beruht.“
Berlin. Berthold Breslauer.
Bericht der Handelskammer in Bremen über das Jahr 1902 erstattet an den
Kaufmannskonvent. Bremen, Druck von H. M. Hauschild, 1903. gr. 8. 85 SS.
Bericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Kiel über ihre Tätigkeit sowie über
Lage und Gang des Verkehrs im Jahre 1902. Jahrg. 31. Kiel, 1903. 8. 59 SS.
Bericht der Handelskammer zu Lübeck über das Jahr 1902, erstattet am 31. XII.
1902. (Wirtschaftlicher Teil.) Lübeck, Druck von Gebr. Borchers, o. J. (1903). Lex-.s.
35 SS.
Bericht der Handels- und Gewerbekammer zu Sonneberg (Sachsen-Meiningen)
auf das Jahr 1902. Sonneberg, Druck von Grübe & Hetzer, 1902, gr. 8. X—129 88.
Bericht über die Ergebnisse des Betriebes der vereinigten preußischen und hessi-
sehen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahre 1901. Berlin, W. Moeser Buchdruckerei,
1902. Roy.4. VI—221 SS.
Bürgels Nachschlagebuch für Handel, Gewerbe und Industrie nebst großem Orts-
lexikon von Deutschland. Herausgeg. von Martin Bürgel (3 Teile, Berlin, H. H. M.
Bürgel, 1903). gr. 8. 387 SS. 1390 SS. geb. M. 12.—. (Aus dem Inhalt: Syndi-
kate, Kartelle, Preiskonventionen und ähnliche Verbände. — Alphabetisch geordnetes
Bezugsquellenregister. — Ortslexikon von Deutschland.)
Grünberg, K. (Prof., Univ. Wien), Die handelspolitischen Beziehungen Oester-
reich-Ungarns zu den Ländern an der unteren Donau. Leipzig, Duncker & Humblot,
1902. gr. 8. VII—317 SS. M. 6,60.
Hoernes, Herm. (Hauptm.), Die Luftschiffahrt der Gegenwart. Wien, A. Hart-
leben, 1903. gr. 8. XV—204 SS. mit 161 Abbildgn. u. 1 Tafel, geb. M. 5.—.
Intze (GehRegR., Prof.), Aachen, Entwickelung des Talsperrenbaues in Rheinland
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 273
und Westfalen von 1889 bis 1903. Aachen, La Ruellesche Akzidenzdruckerei, 1903.
gr. 8. 73 SS. mit zahlreichen Abbildgn., geb. M. 4.—.
Jahrbuch des Handelsvertragsvereins. (Jahrg. II.) 1902. Herausgeg. von dessen
Geschäftsführer W. Borgius. Berlin, Frz. Siemenroth, 1903. gr. 8. XII—405 SS.
M. 4.—. (Aus dem Inhalt: Die wichtigsten Abänderungen des Zolltarifentwurfs durch
den Antrag v. Kardorff. — Zur Geschichte des deutschen Zolltarifs. — Die Handels-
politik der wichtigsten Auslandsstaaten während der letzten Jahrzehnte. — Die Bevor-
zugung der Landwirtschaft in der preußischen und deutschen Gesetzgebung. — Begrün-
dung des Gesetzentwurfs betreffend den Zolltarif des deutschen Zollgebietes 1879. —
Handelspolitische Statistik.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Altona für das Jahr 1902. I. Teil:
Bericht über das Wirtschaftsjahr und die Kammertätigkeit. Altona, Druck von H. W.
Kóbner & C°, o. J. (1903). gr. 8. 53 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Essen, 1902. I. Teil. Essen,
Ruhr, Druck von W. Girardet, 1903. gr.-Folio. 79 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hannover für das Jahr 1900. Teil I:
Wirksamkeit der Handelskammer, Ansichten und Gutachten. Hannover, Druck von
W. Riemschneider, 1902. gr. 8. VI—93 SS.
Jahresbericht, IIL, des sächsischen Provinzialvereins für Getreide- und Pro-
duktenhandel. Halle, O. Hendel, 1902. gr. 8. 52 SS. M. 1.—.
Rüthning, Gust. (Prof.), Geschichte der oldenburgischen Post. Denkschrift zur
Eröffnung des Dienstbetriebes im neuen Reichspostgebäude. Oldenburg, G. Stalling,
1902. gr. 8. VII—91 SS. mit Taf. u. 1 Karte, kart. M. 3.—.
Schmidt, Albert (Architekt, Lennep), Die Wupper. Niederschlagsverhältnisse,
WasserabfluB und seine Regulierung, sowie industrielle Benutzung. Lennep, R. Schmitz,
1902. gr. 8. 48 SS. mit 3 Zeichnungen, 20 graphischen Darstellungen, Tabellen etc.
M. 4,50. .
Schwalbe, H., Deutsche Zollpolitik. Der autonome Tarif und die Vertragszölle
und der status quo. Luxemburg, Druck von Th. Schwell, 1902. gr. 8. 28 SS. M.1.—.
Stromgebiete, die, des Deutschen Reichs. Hydrographisch und orographisch
dargestellt mit beschreibendem Verzeichnis der deutschen Wasserstraßen. Teil II, c:
Gebiet der Ems. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1902. Imp.-4. VI—92; 5 SS.
mit Karte: Schiffbare Wasserlüufe im Gebiete der Unter-Ems. M. 2. (Statistik des Deut-
schen Reichs, Neue Folge, Bd. 39, Teil II, Abteil. C.)
Verzeichnis der Hamburger Schiffe 1903. Zusammengestellt von den Schiffs-
besichtigern J. C. Toosbuy und Aug. v. Appen. Hamburg, Eckardt & Messtorff, 1902.
quer-gr. 8. 76 SS. M. 2,60.
Wandlungen, die, des Thorner Handels. Festschrift der Handelskammer zu
Thorn aus Anlaß ihres 50jährigen Bestehens. Thorn, Druck der Thorner ostdeutschen
Zeitung, 1902. gr. 8. 63 SS.
Annales du commerce extérieur. Faits commerciaux. N^ 20: Commerce et navi-
gation des principaux pays étrangers de 1892 à 1900—1901. Paris, imprim. nationale,
1902. 8. 256 pag. (Publication du Ministère du commerce.)
Compte rendu des travaux du premier congrès du Sud-Ouest navigable, tenu à
Bordeaux les 12, 13 et 14 juin 1902. Paris, Mulo, 1902. 8. 479 pag. fr. 5.—.
Congrès international du commerce et de l'industrie, tenu à Ostende, du 26 au
30 aoüt 1902. Compte rendu complet des discussions. Travaux et mémoires. Sous la
pora de MM. J. Hayem et M. Schloss. Paris, Guillaumin & C", 1903. gr. in-8.
. 10.—. R
Delpeuch, M., La navigation sous-marine à travers les siècles, d’après de nombreux
documents inédits. Paris, P. Dupont, 1902. 8. XII—450 pag. av. fig. fr. 7,50.
Leroy, René, La chambre syndicale du commerce en gros des spiritueux de
Paris et du département de la Seine (1840—1902). Ses origines, son ocuvre. Paris,
Guillaumin & Ci, 1903. gr. in-8. 237 pag. fr. 7,50.
$ DEE trade almanac, 1903. Boston, American Free trade League, 1902. 8. 48 pp.
Imperial tariff, 1903, containing the laws and regulations governing the impor-
tation and warehousing, as well as the exportation or transhipment of all kinds of
merchandise, by T. E. O’.Reilly (Examining Officer of customs). London, Eyre &
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 18
274 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Spottiswoode, 1903. gr. 8. 3/.—. (with supplement containing list of countries and
ports of world). 4/.6.
Marvin, Winthrop L., The American merchant marine, its history and romance
from 1620 to 1902. London, Sampson Low, 1902. gr. 8. XVI—444 pp. M. 10.—.
(Contents: The colony ships. — The first swift growth, 1789—1800. — The merchant
navigators. — Impressment and embargo, 1801—15. — The yankee whalemen. — Reci-
procity on the sea, 1816—30. — A new-world Venise. — The incoming of steam,
1831—45. — Mail ships and clippers, 1846—60. — The deep-sea fisheries. — War
and its ruin, 1861—75. — Our coastwise carriers. — Nearing low-water mark, 1876—90.
— The great lake fleet. — A decate of gain and loss, 1891— 1901.)
Report from the select Committee on Steamship Subsidies; together with the
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l'Unione cooperativa editrice, 1902. 8. 529 pp. (Pubblicazione del Ministero dei lavori
pubblici, r. ispettorato generale delle strade ferrate.)
Ringnalda, W., De rijkstelegraaf in Nederland. Hare opkonst en ontwikkeling,
1852—1 Decemb. 1902. Geillustreerd gedenkboek ter herinnering aan haar vijftigjarig
bestaan. Amsterdam, Scheltema & Holkema, 1903. gr. 4. 200 blz. met 30 portr.,
20 pltn. en 7 kaarten. fl. 4,50.
7. Finanzwesen.
Biermer, M. (Prof., Gießen), Die Finanzen des Grofherzogtums Hessen. Eine
staatswissenschaftliche Sylvesterbetrachtung. Gießen, J. Rickersche Verlagsbhdlg., 1903.
gr.8. 70 SS. M. 1.—.
Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern im preußischen Staate.
Statistik der preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1902 und der
Ergänzungssteuerveranlagung für die Jahre 1902/1904. Im Auftrage des Herrn Finanz-
ministers bearbeitet vom kgl. statistischen Bureau. Berlin, Verlag des Bureaus, 1902.
Imp.-4.
i Selbstherrschaft und Semstwos (Landstände) in Rußland. Vertrauliche Denk-
schrift des russischen Finanzministers C. J. Witte aus dem Jahre 1899. 2. Aufl. Mit
2 Vorreden von Peter v. Struve und Hinzufügung einer Denkschrift des russischen
Finanzministers über die Ueberbürdung der Steuerkruft der Bevölkerung (in russischer
Sprache). Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf., 1903. gr. 8. LXXII—224 SS. M. 5.—.
(Aus Osswoboschdenje.)
Uebersicht von den Staatseinnahmen und Ausgaben mit dem Nachweise von
den Etatsüberschreitungen und den der nachträglichen Genehmigung bedürfenden außer-
etatsmäßigen Ausgaben für das Etatsjahr 1901 nebst Uebersicht von den Verwaltungs-
einnahmen- und Ausgaben der preußischen Zentralgenossenschaftskasse für das Etats-
jahr 1901. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1902. Roy.-4. XXII—615 SS.
Annuaire financier et économique du Japon. N° 2. Tokio, 1902. in-4. 130 pag.
(Publication du Ministère des finances.)
Compte définitif des dépenses de l’exercice 1901 du ministère des finances. Paris,
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Compte en matières et en deniers de l’exploitation du monopole des tabacs pour
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248 pag. (Publication de la Direction générale des manufactures de l'Etat.)
Financial reform almanack, 1903. London, Simpkin, 1903. erown-8. 1/.—.
Judson, F. N., A treatise on the power of taxation, state and federal, in the
United States. St. Louis, F. H. Thomas’ law book C°, 1902. 8. 23; 868 pp. $ 6.—
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Geschäftsbericht des Vorstandes der Landes-Versicherungsanstalt der Hanse-
städte für die Zeit vom 1. I. bis 31. XII. 1901. Hamburg, Druck von Lütcke & Wulff,
1902. kl. 4. 64 SS.
Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften. Jahrbuch der deutschen Börsen.
Ausgabe 1902/1903. II. Band. Nebst einem Anhang: Die deutschen und ausländischen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 975
Staatspapiere sowie die übrigen an deutschen Börsenplätzen notierten Fonds ete. Leipzig,
Verlag für Börsen- u. Finanzliteratur, 1903. Lex.-8. geb. M. 20.—.
Lange, Ernst, Die finanziellen Grundlagen der deutschen Unfallversicherung
und ihre rationelle Umgestaltung. Grunewald-Berlin, A. Troschel, 1903. gr. 8. 38 SS.
M. 0,80.
Neumann, J., Jahrbuch für das Versicherungswesen im Deutschen Reiche, 1903.
L Bd.: Lebens-, Renten-, Unfall- und Haftpflichtversicherung. Herausgeg. von C. Neu-
mann. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1903. XII—740 SS. mit 2 Tab., geb. M. 10.—.
Neumann, J., Die Versicherung mit Gewinnanteil bei den Lebensversicherungs-
gesellschaften des Deutschen Reichs, nebst tabellarischen Uebersichten zur Vergleichung
des Vermögens- und Geschäftsstandes Ende 1901, sowie der Prämien für die wichtigsten
Versicherungsformen. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1903. 12. V—231 SS. mit 2 Tab.,
geb. M. 2.—.
Verhandlungen des ersten allgemeinen deutschen Bankiertages zu Frankfurt
a. M. am 19. u. 20. IX. 1902. Berlin und Frankfurt a. M., Verlag des Zentralver-
bands des deutschen Bank- und Bankiergewerbes, 1902. gr. 4. 150 SS. M. 3.—.
Verwaltungsbericht des Vorstandes der Versicherungsanstalt für Niederbayern
für das Jahr 1901. Landshut, J. F. Rietsehsche Buchdruckerei, 1902. 8. 47 SS.
Verwaltungsbericht des Vorstandes der Versicherungsanstalt für Schwaben
und Neuburg für das Geschäftsjahr 1901. Augsburg, Druck von Ph. J. Pfeiffer, 1902.
gr. 8. 58 SS.
Vorlage des Provinzialausschusses, betreffend die Verwaltung der schlesischen
landwirtschaftlichen Berufsgeuossenschaft im Jahre 1901. Breslau, Druck von Graf,
Barth & C°, 1902. gr. 4. 40 SS. (XLIII. Provinziallandtag, Drucksache N° 6.)
Arnaud, E., Des sociétés d’assurances mutuelles et de secours mutuels, ou de
la fraternité. Niort, impr. Mercier, 1902. 8. 24 pag. :
Bonhomme, Jacq., Les retraites de la vieillesse assurées gratuitement par l’Etat
à tous les Francais. Paris, impr. Piequoin, 1903. 24. 32 pag.
Haguet, H., Le rachat des chemins de fer suisses et ses conséquences. Paris,
Beranger, 1903. 8. 128 pag. fr. 3.—.
Hamande, L. et F. Burny, Histoire, exposé des opérations et statistique des
caisses d'épargne en Belgique. 3 vols. Louvain, E. Fonteyn, 1902. 8.
Bourne's Insurance Directory 1903. Ed. by F. Harcourt Kitchin. London, E.
Wilson, 1903. 8. 5/.—.
Fire insurance laws, taxes and fees; cont. a digest of the statutory requirements
in the United States and Canada relating to fire insurance companies and agents, with
Many quotations from the statutes; also, a compilation of county and municipal taxes
and fees, revised to July 15, 1903. New York, the Spectator C^, 1902. 8. 352 pp.
$ 5—.
Nicholson, J. Shield, Bankers’ money. A supplement to a treatise on money.
London, Black, 1902. 8. VIII—81 pp.
Stock exchange year-book for 1903. A careful digest of information relating to
the origin, history, and present position of each of the publie securities and joint stock
companies known to the markets of the United Kingdom, by Thomas Skinner. XXIX" year
Of publication. London, 1903. LX VI—1898 pp., cloth. 31/.6.
Warren, H., Story of the Bank of England: History of English banking, and
a sketch of money market. London, Jordan, 1903. 8. 258 pp. 3/.6.
van Laak, J. H., Boerenorganisatie door middel van Raiffeisenbanken. Met
voorrede van C. F. J. Brands. Hilversum, M. Blommesteyn, 1903. 8. 44 blz. fl. 0,30.
Vormen, de rechskundige, van spaarbanken, productieve en eredit-associaties in
Nederland. Bewerkt door M. W. F. Treub, A. de Clereq, S. J. de Jong, A. J. Rethaan
Macaré, D. J. van Stockum, P. Tjeenk Willink. Amsterdam, S. L. van Looy, 1903.
gr- 8. 12; 145 en 3 blz. fl. 1.—.
9. Soziale Frage.
Bericht des Instituts für Gemeinwohl zu Frankfurt a. M. über das VI. Geschäfts-
jahr 1901/02. Frankfurt a. M., 1902. 8. 9; 14 u. 20 SS. (die letzten 20 SS. enthalten:
„Der Notstandsausschuß der Zentrale für private Fürsorge in Frankfurt a. M., Winter
1901/02". Bericht erstattet vom Geschäftsführer der Zentrale Chr. J. Klumker).
18*
276 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Fürst, Mor. (Armenarzt a. D., prakt. Arzt u. Armenpfleger, Hamburg), Stellung
und Aufgaben des Arztes in der öffentlichen Armenpflege. Jena, G. Fischer, 1903. Lex.-6.
X—275 SS. M. 7.—. (A. u. d. T.: Handbuch der sozialen Medizin, herausgeg. von
Moritz Fürst (Arzt, Hamburg) und F. Windscheid (Prof., Leipzig). Bd. I.)
Condizioni, sulle, dei minorenni delinquenti: relazione presentata alla commis-
sione per la statistica giudiziaria e notarile nella sessione del giugno 1901. Roma, tip.
di G. Bertero & C., 1902. 8. IV—203 pp.
10. Gesetzgebung.
Beamtengesetz, das badische, und die Gehaltsordnung nebst Ergänzungsvor-
schriften. 2. Aufl. Karlsruhe, J. Lang, 1902. 8. 219 SS., geb. M. 1,50.
Brassloff, Stephan, Zur Kenntnis des Volksrechtes in den romanisierten Ost.
provinzen des römischen Kaiserreiches. Weimar, H. Böhlau Nacht, 1902. gr. 8. IV—
92 SS. M. 3.—.
Entscheidungen des kgl. preußischen Oberverwaltungsgerichts. Bd. 41. Berlin,
C. Heymanns Verlag, 1903. gr. 8. XXI—498 SS. M. 7.—.
Entscheidungen des kgl. preußischen Oberverwaltungsgerichts in Staatssteuer-
sachen. Bd. X. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1903. gr. 8. XXIX—508 SS. M. 7.—,
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. (Herausgeg. von den Mit-
gliedern des Gerichtshofes und der Reichsanwaltschaft. Neue Folge I. Bd. (der ganzen
Reih LI. Bd.). Leipzig, Veit & C^, 1903. gr. 8. XII—468 SS. M. 4.—.
Fischer, O. (ord. ö. Prof., Breslau) und L. Schaefer (Syndikus des Senats,
Hamburg), Die Gesetzgebung, betreffend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche
Vermögen im Reiche und in Preußen, auf der Grundlage des Kommentars zur preuli-
schen Gesetzgebung, betreffend die Zwangsvollstreckung ete. von J. Krech und O. Fischer
bearbeitet. Berlin, J. Guttentag, 1902. gr. 8. VIII— 754 SS. M. 17,50.
Gesetzgebung, die wirtschaftliche, des Großherzogtums Hessen im Jahre 1902:
1. die öffentlichen Sparkassen ` 2. Die Errichtung einer Hypothekenbank; 3. Die Landes-
kreditkasse; 4. Die Wohnungsfürsorge für Minderbemittelte. Auf Grund der amtlichen
Materialien herausgeg. von (MinisterialR.) Braun. Darmstadt, A. Bergstrüssersche Hof-
buchhdl., 1902. gr. 8. 214 SS. geb. M. 3.—.
Hamm, K. (GerAdj. Der Arbeitsvertrag nach österreichischem Recht mit Anfüh-
rung der bisher veróffentlichten Entscheidungen der Gewerbegerichte Linz-Urfahr. Wien,
G. Szelinski, 1902. gr. 8. 40 SS. M. 0,90.
Linekelmann, K. (Rechtsanw.) und Ernst Fleck, Das hannoversche Privat-
recht nach dem Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches. Hannover, Helwing, 1903.
gr. 8. XXIV—817 SS. M. 20.—.
v. Lutzau, H., Streifzüge auf dem Gebiete der Theorie und Praxis des provin-
ziellen Privatrechts. Riga, Jonck & Poliewsky, 1902. 8. 232 SS. M. 6.—.
Eyquem, A. (vice-président du tribunal de Bordeaux), Le régime dotal. Son
histoire, son évolution et ses transformations au XIX* siecle, sous l'influence de la
jurisprudence et du notariat. Bordeaux, impr. Gounouilhou, 1903. 8. VIII—587 pag.
fr. 10.—.
Toulemont, L. (avocat Du droit de propriété des offices sous la législation
actuelle. Sarlat, imprim. Michelet, 1902. 8. 133 pag.
Costa, J., y otros, Derecho consuctudinario y economía popular di España.
Barcelona, Henrich & C°, 1902. 4. pes. 13.—.
López Larrubia, y Alb. Martínez Martin, El codigo de comercio, inter-
pretado. Tomos I y Il. Madrid, Ministerio de marina, 1902. 8. pes. 10.—.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Bericht über die Verwaltung und den Stand der Ge-
meindeangelegenheiten der Stadt Charlottenburg für
das Verwaltungsjahr 1901. Charlottenburg (Kommissionsverl.
Ulrich & Co.), November 1902.
Ueber die wissenschaftliche Bedeutung der Verwaltungsberichte der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 977
größeren Städte braucht heute kein Wort mehr verloren zu werden.
Das in ihnen enthaltene umfangreiche und wertvolle Tatsachenmaterial
rechtfertigt vollauf ihre Berücksichtigung in allen staatswissenschaft-
lichen Literaturberichten, um so mehr, als die wissenschaftliche Ausbeutung
dieses Materiales lefler noch nicht so weit erfolgt, wie man es im In-
teresse von Theorie sowohl als auch Praxis wünschen muß.
Der vorliegende Bericht verdient die Erwähnung an dieser Stelle
auch deshalb, weil er (ebenso wie seine vier letzten Vorgänger) manche
Vorzüge vor ähnlichen Veróffentlichungen vieler anderer Großstädte hat.
Er bedient sich in weitestgehendem Maße der bewährten statistischen
Methoden und teilt die wichtigeren Zahlen in vergleichbarer Form
inmer für mehrere (meistens die letzten 10) Jahre mit. Dabei sind
alle die Angelegenheiten, welche die Darstellung des fortlaufenden
Textes zu sehr unterbrechen würden, in den Anhang verwiesen. Hier-
dureh ist der Bericht so übersichtlich geworden, daß seine Benutzung
namentlich dem mit den einzelnen Zweigen der städtischen Verwaltung
weniger vertrauten Leser sehr erleichtert wird.
Bezüglich des Inhaltes des Berichtes, auf den in dieser kurzen
Anzeige nicht näher eingegangen werden kann, sei kurz mitgeteilt, daß
nacheinander behandelt werden Organisation der städtischen Verwaltung,
(Gemeindegebiet und Bevölkerung, Fürsorge für Grundbesitz und Straßen,
Unterricht, Bildung, Religionsverbände, Sparkasse, Arbeiterversicherung,
Arbeitsnachweis, Armenpflege, öffentliche Gesundheitspflege, Rechtspflege,
Handel und Gewerbe, Verkehrswesen, Steuern und Finanzen. Meistens
sind auch die Ergebnisse der nichtstädtischen Verwaltung berücksichtigt.
Besondere Beachtung verdienen die bei der Darstellung des Unter-
richtswesens, sowie auch des Steuerwesens gegebenen finanzstatistischen
Uebersichten.
Aachen. Mendelson.
Brandenburg a. d. H. Verwaltungsrecht der Stadt Brandenburg a. d. H. pro
1. IV. 1901 bis dahin 1902. Brandenburg, a. H., J. Wiesikes Buchdruckerei, 1902.
gr. 4. 92 SS.
Hof- und Staatshandbuch des Königreichs Württemberg. Stuttgart, Druck von
W. Kohlhammer, 1902. gr. 8. XL—516 SS. geb.
Illing-Kautz, Handbuch für preußische Verwaltungsbeamte, im Dienste des
Staates, der Kommunalverbände, der Korporationen und für Geschäftsleute, begründet
von Illing (Wirkl. GehOberRegR.), fortgeführt von Georg Kautz (ORegR.). 8 Aufl. (in
2 Bdn.) I. Bd. Berlin, A. Haack, 1903. gr. 8. XVIII—1286 SS. pro cplt. geb.
M. 61,50.
Klatt, Max, Untersuchungen über das Dienstalter der Richter. Berlin, C. Hey-
manns Verlag, 1903. 8. 29 SS. mit 4 Tabellen.
Krefeld. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
fur das Etatsjahr 1901. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, o. J. (Dezember 1902).
gr- d. 184 SS.
Wiener Kommunalkalender und städtisches Jahrbuch 1903. XLI. Jahrg. Wien,
P. Gerin, 1902. 8. 697 SS. M. 3,20.
Wiesbaden. — Bericht über die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten im
Yechnungsjahre 1901. Wiesbaden, P. Plaumsche Buchdruckerei, 1902. gr. 4. 263 SS.
Wittenberg. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Wittenberg in dem Rechnungsjahre 1901. Wittenberg, 1903. gr. 4.
49 SS.
278 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Exposé de la situation administrative de la province d’Anvers, session de 1902;
de la province de Brabant, session de 1902, avec des annexes A—R.; de la province
de Flandre orientale, avec des annexes 1 à 4 et I à III; de la province Flandre occi-
dentale, session de 1902; de la province de Hainaut, session de 1902; de la province
de Liége, session de 1902 avec deux annexes; de la province de Limbourg, session de
1902; de la province de Luxembourg pour l'année 1901; de®la province de Namur,
session de 1902. 9 vols. Anvers, Bruxelles, Bruges, Gent, Frameries, Liége, Hasselt,
Arlon, Namur 1902. 8.
Waldeck-Rousseau, Action républicaine et sociale. Paris, Fasquelle, 1903. 8,
V—414 pag. fr. 3,50.
Annual reports of the Department of the Interior for the fiscal year ended June 30,
1901. I. Report of the Secretary of the Interior. — Report of the Commissioner of
the General Land Office. CCX XIX—604 pp. — IT. Indian affairs, Part 1. Report of
the Commissioner, and appendices. X— 806 pp. whit chart; Part 2. Commission to the
five civilized tribes. Indian Inspector for Indian territory. Indian contracts. Board of
Indian Commissioners. 893 pp. with 22 illustrations and 14 maps and diagrams. —
III. Miscellaneous reports. Part 1. Contents: Reports of the Commissioner of Patents,
of the Commissioner of Pension, of the Commissioner of Railroads, of the Director of
the XII" Census, of the President of Howard University, of the Columbian Institution
for the deaf and dumb, of the Architect of the United States Capitol, of the Mine In-
spector for the Indian territory, of the Mine Inspector for the territory of New Mexico,
ete. 744 pp. with 81 illustrations, diagrams and maps. Part 2. Governors of terri-
tories, etc. Contents: Reports of the Governor of Alaska, of the Governor of Arizona,
of the Governor of Hawaii, of the Governor of Oklahoma, of the Commissioner of the
Interior for Porto Rico, of the Commissioner of Education for Porto Rico. 722 pp. with
numerous illustrations. and maps. Zusammen 5 vols. Washington 1901 (I) — 1902
(II & III), Government Printing Office.
Municipal register, the, for 1902. Containing a register of the City Government,
the rules of the Board of aldermen, common council and city council, with various
statistics relating to the city (of Boston). Boston, Municipal Printing Office, 1902. gr. 8.
315 pp. with 2 fig., 3 portr. and 1 map.
Row-Fogo, J., An essay on the reform of local taxation in England. New York,
Macmillan, 1902. 12. 11,400 pp., cloth. $ 2.—.
Sveriges Statskalender för ar 1903. Utgifven efter Kgl. Maj'ts nädigste förordnande
af dess Vetenskaps-Akademi. Stockholm, P. A. Norstedt & Söner, 1902. 8. 901 pp.
& Bihang: Utdrag ur Norges Statskalender. 16 pp.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik des GroDherzogtums Hessen. .Herausgeg. von der groBherz.
Zentralstelle für die Landesstatistik. Bd. 46, Heft 2. Darmstadt, Jonghaus, 1902. 4.
XLVIII—117 SS. (Inhalt: Alphabetisehes Verzeichnis der Wohnplätze im Großhzt.
Hessen mit Angabe der Zahlen der Bewohner und der bewohnten Gebäude, sowie der
Gemarkungen, Gemeinden, Bürgermeistereien, Ortsgerichte und Standesämter, Kreis-
ümter ete, etc., zu welchen die Wohnplätze gehören. 5. völlig umgearbeitete Aufl.)
Beiträge zur Statistik des Großherzogtums Hessen. Bd. 47. Darmstadt, G. Jong-
haus, 1902. 4. LXXXII—453 SS. [Inhalt: Ergebnisse der Berufs. und Gewerbezäh-
lung im Großherzogtum Hessen am 14. VI. 1895 nach Haupt- und Nebenberui, Ge-
schlecht und Berufsstellung mit Unterscheidung der Provinzen und Ortsgrößenklassen,
von (RegR.) L. Knöpfel (Sekret. bei der groBh. Zentralstelle für die Landesstatistik).]
Breslauer Statistik. Bd. XIX, Heft 3: Grundbesitzwechsel, Boden- und Häuser-
preise in Breslau während der letzten Jahrzehnte. 140 SS. mit 4 Kurventaf. u. 1 Plane.
— Bd. XXI, Heft 2: Jahresberichte städtischer Verwaltungen für das Rechnungsjahr
1900. 330 SS. mit 3 graph. Taf. — Bd. XXI, Heft 3: Bevölkerungswechsel, Erkran-
kungen, Preise für Nahrungsmittel im Jahre 1900, ete. Zusammen 3 Hefte. Breslau,
E. Morgenstern, 1902. Lex.-8.
Handbuch, statistisches, für das Großherzogt. Hessen. Herausgeg. von der großherz.
Zentralstelle für die Landesstatistik. I. Ausgabe. Darmstadt, Jonghaussehe Hoíbhdl.,
1903. Lex.-8. XII—318 SS. geb.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 279
Field, W., Die Verschiebung der Konfessionen in Bayern und Baden und ihre
Ursachen. Riga, gedruckt in der Müllersehen Buchdruckerei, 1901. Lex.-8. 135 SS.
M. 2.—. (Promotionsschrift.)
Mitteilungen des statistischen Amts der Stadt Magdeburg. N’ 11: Ergebnisse
der Magdeburger Zählung der Arbeitslosen sowie der Beschäftigten mit verkürzter Ar-
beitszeit vom 7. XII. 1902. Im Auftrage des Magistrats der Stadt Magdeburg bearbeitet
von X. Silbergleit (Direktor des statistischen Amts der Stadt Magdeburg). Magdeburg,
Druck von R. Zacharias, 1903. Lex.-8. 29 SS.
Schematismus der Diözese Würzburg mit Angabe der statistischen Verhältnisse.
Herausgeg. für das Jahr 1903. Würzburg, V. Bauch, 1903. gr. 8. XIII—241 SS.
M. 2,50.
Staatskalender, großherzoglich Mecklenburg-Schwerinscher, Jahrg. 128, 1903.
% Teile. Herausgeg. vom großherz. statistischen Amt. Schwerin, Verlag der Bären-
sprungschen Hofbuchdruckerei, 1903. 8. (Inhalt: Teil 1. Zeitkalender und Personal-
staat mebst den Annalen des Großherzogtums für 1902. 701 SS. — Teil 2. Statistisch-
tepographisehes Jahrbuch, enthält u. a.: Bevölkerungsverhältnisse, Verkehrsverhältnisse,
Wassergebiete des Landes, Namenverzeichnis der Gutsbesitzer, Ortsverzeichnis. 454 SS.
Großbritannien.
Brodnitz, Georg Vergleichende Studien über Betriebsstatistik
und Betriebsformen der englischen Textilindustrie. Jena (G. Fischer)
1902. 93 SS.
Die kleine Studie (44 Seiten Text und 49 Seiten Tabellen) wird
bei den Nationalökonomen auf Interesse und allseitige Beachtung rechnen
können. Es fehlte bislang für England jede Betriebsstatistik, und die
Frage nach der Bedeutung und Entwickelung der verschiedenen Betriebs-
formen konnte durchaus nicht beantwortet werden, soviel Studien auch
gerade sonst vorhanden sind, da ein amtliches Material nicht vorlag.
Hier hat nun der Verf. diese Lücke ausgefüllt, indem er wenigstens
für die Textilindustrie die Angaben der englischen Fabrikinspektion
einer Bearbeitung unterzog, was bisher noch nicht geschehen war. Be-
rücksichtigt werden konnten nur die Betriebe mit motorischer Kraft;
doch dürften dadurch sehr erhebliche Fehlerquellen gerade im Textil-
gewerbe nicht entstanden sein, wenn auch die Vergleichbarkeit mit
den Ergebnissen der deutschen Betriebsstatistik etwas leidet. Ueber den
Umfang der Hausindustrie erfahren wir allerdings nichts. Brodnitz
gibt zuerst einen kurzen Ueberblick über die Entwickelung der englischen
Textilindustrie (S. 5—22) und vergleicht dann die einzelnen Zweige in
Deutschland und England nach dem Anteil der verschiedenen Größen-
klassen. Das wichtige Ergebnis ist, daß in England der Kleinbetrieb
überall geringer ist als in Deutschland, wo ja gerade hier die hausindustriellen
Alleinbetriebe noch sehr stark vorhanden sind. Andererseits haben
doch aber auch in England die Mittelbetriebe teilweise noch eine
recht große Ausdehnung. Und wenn auch dort die Großbetriebe meist
einen weit größeren Anteil ausmachen als bei uns, so hat doch die Ent-
wickelung nicht zu einem Vorherrschen gerade der allergrößten geführt.
Vielmehr weist Deutschland darin oft eine stärkere Konzentration auf.
Keineswegs hat also der Großbetrieb die anderen Betriebsformen unter-
drückt und aufgesaugt, sondern es zeigen sich auch in dem klassischen
Lande des modernen Industrialismus die mannigfachsten Größenklassen
nebeneinander. Die „Akkumulation des Kapitals“ ist also mindestens
in dieser Industrie nicht das herrschende Prinzip geworden.
280 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die Ergebnisse sind geeignet, unser Urteil über die moderne Ent-
wickelung in vielen Punkten zu modifizieren. Allerdings vermag man
mit einer statistischen Betrachtung allein noch nicht in das Wesen der
gewerblichen Betriebssysteme einzudringen; es kommt auf die Bedeutung,
die Leistungsfähigkeit, vor allem aber auf die inneren Beziehungen
und Abhängigkeitsverhältnisse der Wirtschaften an. Nur geht doch
soviel aus der Brodnitzschen Untersuchung hervor, daß es für die Ent-
wickelung zur Großproduktion Grenzen gibt, über die hinaus die weitere
Zunahme durchschnittlich nicht mehr rentiert und daß die Existenz-
fähigkeit auch kleinerer Betriebe bei voller Gewerbefreiheit und ohne
besondere staatliche und künstliche Unterstützung sehr wohl möglich ist.
Von den sentimental-romantisch angehauchten, im Grunde arg reaktionären
Bestrebungen der Carlyle, Rosetti, Ruskin u. a. auf Wiederbelebung der
Handarbeit wird man allerdings nicht viel zu halten brauchen, wenn
auch bei dem englischen Reichtum einige Liebhaber wertvolle Stücke
individuell herstellen lassen mögen. Man wird den weiteren Unter-
suchungen des Verf. über das englische Kleingewerbe mit Erwartung
entgegensehen.
Leipzig. F. Eulenburg.
Abstract statistical, for the several colonial and other possessions of the United
Kingdom in each year from 1887—1901. XXXIX. number. London, Eyre & Spottis-
woode, 1902. gr. 8. 386 pp. 1/.7. (Parl. pap.)
Births, deaths, and marriages in Scotland. XLVI" detailed annual report of the
Registar-General. (Abstract of 1900.) London, Eyre & Spottiswoode, 1903. 8. 2/.3.
(Parl. pap.)
Census of Ireland, 1901. Part I. (contents: Area, houses and population: also
ages, civil or conjugal condition, occupations, birthplaces, religion, and education of
the people) vols 1—4: Leinster; Munster; Ulster; Connaught. Dublin, 1902. Folio.
With maps, diagrams, and tables, ete. (Publication of the Registrar-General of Ireland.)
Census of Ireland, 1901. Part II: General report. With ınaps, dingrams, etc.
Dublin 1902. Folio. .
Oesterreich-Ungarn.
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1901.
Heft 2. Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1901. Lieferung 2: Bergwerks-
verhältnisse (mit Ausnahme der Bergwerksproduktion). Naphtastatistik. Schlagwetter-
statistik. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1902. gr. 8. 296 SS.
Jahrbuch, statistisches, der Stadt Wien für das Jahr 1900, Jahrg. XVIII. Be-
arbeitet von (MagistratsR.) Stephan Sedlaczek, (MagistrSekr.) Wilh. Löwy und Magistr-
Kommiss.) W. Hecke. Wien, W. Braumüller, 1902. Lex.-8. IX—915 SS.
Jahrbuch, ungarisches statistisches. Neue Folge. IX. 1901. Im Auftrage des
kgl. ungarischen Handelsministers verfaßt und herausgeg. vom kgl. ungarischen stati-
stischen Zentralamt. Budapest, Buchdruckerei der Aktiengesellschaft Athenaeum, 1902.
Lex.-8. XVIII—412 SS. geb. Kr. 5.—. (Amtliche Uebersetzung aus dem ungarischen
Original.) [Inhalt: Flächeninhalt, Bevölkerung und Sanitätswesen. — Volkswirtschaft.
— Allgemeine Bildung, Unterrichtswesen und kirchliches Leben. — Staatliches und
munizipales Leben. — Wehrmacht. — Staatshaushalt.]
Mitteilungen des statistischen Landesamtes des Königreiches Böhmen. Bd. IV,
Heft 1. Prag, J. G. Calvesche Buchhdl., 1902. Lex.-8. LIV—43 SS. (Inhalt: Ernte-
ergebnisse für das Jahr 1901 und landwirtschaftliche Industrie.) [Deutsche Ausgabe.]
Oesterreichische Statistik. Herausgeg. von der k. k. statistischen Zentralkom-
mission. Bd. LXII, Heft 3. Wien, C. Gerolds Sohn, 1902. Imp.-Folio. (Inhalt: Be-
wegung der Bevölkerung der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder im
Jahre 1899. LXXV—269 SS. Kr. 10.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 981
Statistik der Sanitütsverhültnisse der Mannschaft des k. u. k. Heeres im Jahre
1901. Ueber Anordnung des k. u. k. Reichskriegsministeriums bearbeitet und herausgeg.
wn der II. Sektion des k. und k. technischen Militärkomitee. Wien, Druck der k. k.
lbf und Staatsdruekerei, 1902. Roy.-4. IV—274 u. LII SS.
Rußland (Finland).
Bidrag till Finlands offieiela Statistik. I. Handel och sjöfart. N° 21. Finlands
handel och sjöfart pá Ryssland och utrikes orter samt uppbörden (gezahlten Einfuhr-
vient wid tullverket àr 1901. 180; 160; 40; 9 pp. XIII Post-Statistik. Ny följd.
wv 17. — Poststyrelsens berättelse för är 1901. XLVI—63 pp. — XIV. B. Justerings-
verket. N° 11. Berättelse för ar 1901. 17 pp. (Aichungsstatistik für 1901.) — XIX.
Vig och vattenbyggnaderna berättelse, Ar 1900. 212 pp. (Oeffentliche Weg- und Wasser-
hautenstatistik für das Jahr 1900. XX. Jernvägs-Statistik. N° 31. Berättelse för år
101. 113 pp. mit 8 Beilagen gegen 400 pp. (Eisenbahnbetriebsstatistik.) — XXI.
Fatigvärdsstatistik. B. Fattigvärdsinspektörens ärsberättelse N^ 9, är 1901. 15 pp.
(Gebreehlichkeitsstatistik, aufgestellt nach den Berichten der Anstaltsinspektoren.) 6 Hefte.
Helsingfors 1902. Lex.-8.
Italien.
Relazione medico-statistiea delle condizioni sanitarie del R. esercito nell’ anno
1900. Compilata dall' ispettorato di sanità militare, Ufficio statistica. Roma, tipogr.
dita Ludovico Cecchini, 1902. Lex.-8. IV—171 e allezati: tavolo I— XIII. (Sanitäts-
statistik der italienischen Armee für das Jahr 1900.) 3
Rubin, Marcus (directeur du Bureau de statistique de PEtat danois), Consom-
mation de familles d'ouvriers danois. Rome, imprim. de J. Bertero & C", 1902. gr. in-8.
“pag. (Extrait du Bulletin de l'Institut internat. de statistique, tome XIII, 3° livraison.)
Dünemark.
, Dan marks Statistik. Statistisk Tabelv:erk, V. Række, Litra D. N° 10. Danmarks
Vsreindforsel og -Udforsel i Auret 1901. Kobenhavn, Gyldendal, 1902. gr. in-4. 28;
H5 pp. (Dänische Ein- und Ausfuhrstatistik für das Jahr 1902.)
Belgien und Holland.
Statistique judiciaire de la Belgique. III^"* année. Bruxelles, veuve Ferd.
Lieier, 1902, Roy. in-4. LXVI—304 pag. (Publication du Ministère de la justice.
Table des matières: Statistique pénale, 1900. — Statistique de la justice civile et com-
memiale, 1899—1900. — Statistique pénitentiaire, 1900. — Statistique de la mendicité
et du vagabondage, 1900. — Statistique des graces et de la libération conditionnelle,
In, — Statistique de la police des étrangers, 1900. — Statistique des aliénés, 1900.)
. Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. Vol. XXI. Stati-
stick van den loop der bevolking in Nederland over 1901. ’s Gravenhage, Gebr.
Belinfante, 1902. Lex.-8. XVI—157 blz.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks (Neue Folge)
XXII: Kiezers-statistiek benevens aanvulling der verkiezings-statistick voor de Staten-
Genera] in 1902. "e Gravenhage, Gebr. Belinfante, 1902. Lex. in-8. XV— $0 blz.
due der im Jahre 1892 stattgefundenen Wahlen für die holländischen General-
Staaten,
, Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. XXIII. Stati-
stiek van het gevangeniswezen over het jaar 1901. ’s Gravenhage, Gebr. Belinfante,
1902. gr. in-4. XL—129 blz.
Schweiz.
.. Jahrbuch, statistisches, der Schweiz. Jahrg. XI: 1902. Bern, Buchdruckerei
Sümpfli & ©, 1902. gr. 8. 341 SS. Mit 1 graph. Taf. (Schweizerische Statistik.
Lieferung 136. Herausgeg. vom statistischen Bureau des eidgenössischen Departements
des Innern.)
Schweizerische Statistik. 135. Lieferung: Die Bewegung der Bevölkerung in
der Schweiz im Jahre 1901. Bern, A. Francke, 1902. 4. 32 SS. (Herausgeg. vom
statistischen Bureau des eidgenöss. Departements des Innern.)
282 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Norwegen.
Aarbog, statistisk, for Kristiania by. Udgivet of kommuners statistiske kontor,
XVI. aargang, 1901. Kristiania, J. Ch. Gundersens bogtrykkeri, 1902. gr. in-8. Llll—
190 pp. (Statistisches Jahrbuch der Stadt Kristiania, herausgeg. von dem gemeinde-
statistischen Bureau. Jahrg. XVI.)
Bulgarien.
Jnnsenne ua uace.ıcnuero npbs3B 1900 rozwsa. (aer II: Paxaanna, ymipawia
H WCHHAÓM uo OKOIUM M orprsm. Coena (Sofia) 1902. 4. V—355 pp. (Bewegung der
Bevölkerung des Fürstentums Bulgarien während des Jahres 1900. Teil II: Geburten,
Todesfälle und Trauungen.)
Amerika (Vereinigte Staaten).
Census reports (SUE Census of the Unit. States, taken in the year 1900) Vol. X:
Manufactures. Part IV: Special reports on selected industries (continued). Prepared
under the supervision of S. N. D. North (Chief statistician for manufactures). Washington,
United States Census Office, 1902. Roy.-4. XVI—978 pp. (Table of contents: Iron
and steel, by Will. G. Gray. — Tin and terne plate, by W. G. Gray. — Lead, copper,
and zinc, by Ch. Kirchhoff. — Electrical apparatus and supplies, by Th. Commeriord
Martin. — Shipbuilding, by Alex. R. Smith. — Cars, steam railroad, by G. A. Hutchins,
— Carriages and wagons, by James K. Dawes. — Agricultural implements, by Jos.
D. Lewis. — Metal-working machinery, by Edw. H. Sunborn. — Sewing machines, by
John A. Boshard. — Needles and pins, by Ch. M. Karch. — Typewriters, by Harry
E. Barbour. — Musical instruments and materials, by Freder. S. Hall. — Watches
and watch cases, by Will. A. Coutryman. — Pens and pencils, by Ch. M. Karch. — etc.)
Monthly summary of commerce and finance of the United States. September
1902. Prepared in the Bureau of Statisties, Treasury Department. Washington, Govern-
ment Printing Office, 1902. gr. 4. p. 652—996. (N° 3. series 1902—1903.) [Contents:
Commercial notes. — Coal trade of the United States and the world's eoal supply and
trade. — Internal commerce. — Financial tables. — Prices of leading articles. —
Foreign commerce of the United States. — Commerce of non contiguous territories of
the United States. — etc.]
Asien (China).
China. Imperial maritime customs. I. statistical series, N° 2: Customs gazette,
N° 134, April— June 1902, Shanghai, Kelly & Walsh, 1902. 4. 300 pp. $ 1.—.
(Published by order of the Inspector General of Customs.)
China. Imperial Maritime Customs. I. Statistical series: n* 3 and 4: Returns of
trade and trade reports for the year 1901. Part 2. Reports and statisties for each port
(43™ issue) with report on foreign trade of China (37 issue). Shanghai, Kelly & Walsh,
and London, King & Son, 1902. 4. XVI—804 pp. $ 5.—. (Published by order of
the Inspeetor General of Customs.)
— (Japan).
Mouvement de la population de l'Empire du Japon, 32* année de Meiji (1599).
Tokio, 35* année de Meiji (1902). Imp. in-4. 458 pp. (In japanischer Sprache, mit
französischer Kopfversion der einzelnen statistischen Tableaux.)
Australien (Kolonie Neu-Süd-Wales).
Results of a Census of New South Wales taken for the night of the 31" March,
1901. Part 4: Birthplaces of the people. Population distributed in municipalities and
counties, by T. A. Coghlan. Sydney, W. A. Gullick printed, 1903. 4. p. 267—352.
— (Kolenie Süd-Australien).
South Australia. Statistical register, 1901. Compiled from official records. 8 parts.
Adelaide, C. E. Bristow-printed, 1902. gr. Folio. (Contents: Part I. Population;
Part II. Vital statisties; Part III. Production; Part IV. International; Part V. Law,
crime, ete; Part VI. Revenue and expediture; Part VII. Religious, Educational, and
charitable institutions.)
‚Die periodische Presse des Auslandes. 283
13. Verschiedenes.
| Bericht über die Genesungsheime der Ortskrankenkasse für kaufmännische Ge-
| shäfte zu Hamburg, belegen in Trittau (Holstein) und in Kollow bei Schwarzenbek.
Hamburg, Druck von Grefe & Tiedemann, 1901. gr. 8. 57 SS.
| v. Bülow, H., Geschichte des Adels. Ursprung und Entwickelung. Berlin, W.
| Süsserott, 1903. gr. 8. 104 SS. Mit Portr. M. 3.—.
| Delegiertentag, allgemeiner, der nationalliberalen Partei vom 10. bis 13. X.
| 1902 in Eisenach. Protokoll auf Grund stenographischer Auszeichnungen. 3 Teile. Zu-
sammen 269 SS. M. 2,50.
| Fitzner, Rud. (Privdoz. d. Erdkde., Univ. Rostock), Niederschlag und Bewöl-
|| kung in Kleinasien. Gotha, J. Perthes, 1902. Lex.-8. 90 SS. Mit 1 Karte. M. 5.—.
(Petermanns Mitteilungen, Ergünzungsheft 140.)
| Hohenzollernjahrbuch. Forschungen und Abbildungen zur Geschichte der
Hohenzollern in Brandenburg-Preußen, herausgeg. von Paul Seidel. Jahrg. VI, 1902.
Leipzig, Giesecke & Devrient, 1903. Folio. VI—268; IX SS. mit 175 Abbildgn.,
| 48 Vollbildern und Beilagen, geb. M. 24.—.
Karth, Joh., Das Taubstummenbildungswesen im XIX. Jahrhundert in den
wichtigsten Staaten Europas. Ein Ueberblick über seine Entwickelung. Breslau, W. G.
Korn, 1902. gr. 8. VIII—428 SS. M. 7,50.
I Liebmann, Alb. (D' med., Arzt für Sprachstórungen) und (D' med.) Max Edel,
Die Sprache der Geisteskranken nach stenographischen Aufzeichnungen. Mit Vorwort
von (Prof. E. Mendel. Halle a/S., C. Marhold, 1903. gr. 8. 152 SS. M. 4.—.
Regenkarte der Provinz Westfalen sowie von Waldeck, Schaumburg-Lippe,
Lippe-Detmold und dem Kreis Rinteln. Mit erlüuterndem Text und Tabellen. Im
amtlichen Auftrage bearbeitet von (GehRegR. Prof.) G. Hellmann. Berlin, D. Reimer,
1903. Lex.-8. 29 SS. nebst Karte.
Richter, Eugen (Mitglied des Reichstags u. Abgeordnetenhauses), Politisches
ABC-Buch. Ein Lexikon parlamentarischer Zeit- und Streitfragen 10. Jahrg. Berlin,
Verlag „Fortschritt, Aktiengesellschaft 1903. gr. S. VIII—277 SS., geb. M. 2.—.
Sanitütswesen, das, in Bosnien und der Herzegovina 1878—1901. Sarajevo,
Landesdruckerei, 1903. Lex.-8. VIII—439 SS. mit 2 Abbildgn. u. 2 Karten. (Heraus-
gegeben von der Landesregierung für Bosnien und die Herzegovina.)
(Spemann, F rz), Von der Renaissance zu Jesus. Bekenntnisse eines modernen
Studenten. 2. Aufl. Stuttgart, J. F. Steinkopf, 1903. 8. 80 SS., kart. M. 1.—.
Whitman, Sidney, Fürst von Bismarck., Persönliche Erinnerungen an ihn aus
seinen letzten Lebensjahren. Stuttgart, Union, o. J. (1902). gr. 8. 241 SS. mit 1 Titel-
bild von Frz. v. Lenbach. Eleg. geb. M. 7.—.
| A u pays de Monaco. Son altesse la roulette dévoilée par elle-même. Dessins
inédits. Paris, impr. de Malherbe, 1903. in-4. 222 pag. fr. 25.—.
Craig, J. D., Real pictures of clerical life in Ireland. Cheap edit. London,
Stock, 1902. 8. 362 pp. 3/.6.
. Subject index of the modern works added to the library of the British Museum
1881—-1900. Edited by G. K. Forteseue. Vol. I (A—E.). London, Longmans, Green
& C°, 1903. Roy.-8. 30/.—.
Arata, Jacopo, Igiene e medicina in Roma nel periodo imperiale pagano.
Genova, tip. A. Ciminago, 1902. 8. 58 pp.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales des sciences politiques, 1902, Septembre: La convention et le maximum,
par E. Levasseur. — La question du suffrage universel] en Belgique, par E. van der
Smissen. — La politique financière de l'empire anglo-indien, par P. Lavagne (fin). —
A la conquête d'un Isthme: la solution diplomatique; le traité Hay-Pauncefote, par
G. Lefébure. — Les délégations financières algériennes, par E. Cleray. — Novembre:
—
284 Die periodische Presse des Auslandes,
La question du rachat et la gestion financière des chemins de fer de l'Etat francais,
par G. L. Jaray. — Le nouveau gouvernement local de l’Irlande, par G. Lecarpentier.
— Les industries minérales et métallurgiques en Russie, par J. Wilhelm. —
Journal de la Société de statistique de Paris. 43° année, 1902, N° 12, Décembre:
Procès-verbal de la séance du 19 novembre 1902. — Comment nous défendre contre
le trust de l'Océan, par G. Cadoux. — Les chemins de fer du monde. — Correspon-
dance: Lettre adressée à M. Emile Levasseur, par (le D') Lowenthal. — Chronique des
questions ouvrières et des assurances sur la vie, par M. Bellom. — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 62° année, 1903, Janvier: 1902,
par G. de Molinari. — Le marché financier en 1902, par Arth. Raffalovich. — Mouve-
ment colonial en 1902, par Daniel Bellet. — Revue des principales publications écono-
miques de l'étranger, par Emile Macquart. — Les cartels industriels (à propos du mé-
moire de M. J. Landesberger) par Raphael Georges Lévy. — Lettre des Etats-Unis,
par George Nestler Tricoche. — Lettre de Mexique, par J. Ch. T. — Société d'écono-
mie politique, réunion du 5 janvier 1903. Discussion: De la nouvelle baisse de l'argent,
de ses conséquences, en particulier au point de vue d'un certain nombre de pays asiati-
ques et américains. — Comptes rendus. — Chronique: Le peril américain ; La réhabi-
litation de l'aleool ete., par G. de Molinari. — etc.
Réforme sociale. Année 1902. N^ 16 à 23: Le congrès des habitations à bon
marché et le congrès des assurances sociales à Dusseldorf, par G. Blondel. — Verriers
champenois, par M. Deviolaine. — L'école supérieure d'agriculture d'Angers, par E.
Vetillart. — Du profit que retire un jeune homme de l'histoire des doctrines économi-
ques, par A. Deschamps. — Du rôle social du propriétaire foncier selon les différents
types d'exploitation du sol, par F. Lepelletier. — Encore les retraites ouvrières, par
H. Valleroux. — Le Congo belge et les progrès de la colonisation, par P. Verhaegen.
— La dépopulation en France, par H. Clément. — De la corruption de nos institu-
tions, par H. Joly. — De l'influence des habitudes sociales sur l'esprit d'initiative, par
C. Hardy. — L'enseignement de l'histoire, par F. Funck-Brentano. — Jaunes et rouges,
par Delcourt-Haillot. — L'instruction économique et l'éducation sociale de la jeunesse
universitaire anglaise, par J. Bardeaux. — L'école des hautes études industrielles de
Lille, par M. Vanlaer.
Revue générale d'administration. Publication du Ministère de l’intérieur. XXV*
année, 1902, Juillet, Août, Septembre et Octobre: Le règlement administratif, par Fel.
Moreau (prof, Université d'Aix-Marseille). — La loi du 15 février 1902 sur la protec-
tion de la santé publique, par Marcel Moye (prof, Univers. de Montpellier). — Les
sous-préfets, par Gaston Jeze (prof., Univers. de Lille). — De la représentation juridique
et de la défense des intérêts communaux, par Ferd. Sanlaville (avocat à la Cour d'appel)
[art. 1, suite et fin]. — Le domaine des hospices de Paris depuis la Révolution, par
Améd. Bonde (chef de bureau à l'administration générale de l'assistance publique de
Paris) [art. 1 et suite 1]. — Chronique de l'administration française. — ete.
Revue d'économie politique, XVI* année, n° 12, Décembre 1902: La lutte contre
Paleoolisme en Suède, par Joh. Bergman. — Le problème de la monnaie. La question
sociale et la question de la monnaie, par Ch. M. Limousin. — Municipalisation des
entreprises industrielles en Italie, par V. Totomiantz. — Du rôle des syndicats de pro-
dueteurs dans l'évolution industrielle, par Georges de Leener. — La loi d'intégration du
travail, par Ed. Dolléans. — La production et l'exportation. des blés aux Etats-Unis,
par Ed. Picard. — Chronique législative. — Revue des revues allemandes, par
F. Sauvaire-Jourdan, — Revue des revues françaises d'économie politique, par H. Truchy.
— etc. .
Revue internationale de sociologie. X* année, 1902, n? 12, Décembre: Le génie
national des races française et allemande en Alsace, par Werner Wittich (prof.) (ärer
et dernière partie]: Le génie national des vieux ullemands: 1. Les provogateurs du
génie allemand; 2. L'Allemand dans le domaine économico-social et politique; 3. L'Alle-
mand dans le domaine intellectuel; 4. L'Allemand dans le domaine des sens; 5. Con-
elusion: L'avenir du génie alsacien; le trait fondamental du génie national des deux
races en présence. — Société de sociologie de Paris, séance de mercredi 12 novembre
1902: L'invention considérée comme moteur de l'évolution sociale. Observations de
Fernand Faure. Discussion par G. Tarde, Ch. Limousin, G. Papillault, M. Coicou,
E. Delbert. — Revue des livres, — Revue des périodiques. — ete.
Die periodische Presse des Auslandes. 285
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XXXIX, N°311—322, November 13, 1902— January 29,
1903 : Foreign trade of the Unit. Kingdom in October, 1902. — Import trade of Trans-
vaal (8 months). — Trade of Cape colony (7 months) — Trade of foreign countries
and british possessions. — British trade abroad (Havana). — The industry of the Fede-
mted Malay States in 1901. — Trade and shipping of the treaty ports of Southern
China. — British trade abroad (Corunna, Brest, Port Said, China) — Trade of Natal
(9 months) — Trade of British Guiana in 1901—02. — Openings for British trade. —
Foreign trade of the Unit. Kingdom in November, 1902. — Trade of the Congo free
state in 1901. — Agricultural returns of Great Britain, 1902. — Trade of France with
the African continent in 1898—1901. — The German cartel system. — The commercial
development of Western Russia: A visit to the South-West of Poland. — British trade
abroad : Switzerland, Siberia. — Working of Russian railways in 1900. — British trade
abroad (St. Thomé and Principe) — The Uganda railway. — The import trade of
Persia. — The stone supply and industry of Argentina. — The Russian mercantile
marine and international trade. — The silk industry of Lyons. — The State spirits
monopoly of Russia. — The French sardine industry. — Foreign trade of the United
Kingdom in December, 1902. — Uses of the hardwoods of New South Wales. — Trade
of Germany with the African continent in 1897—1901. — British trade abroad (Mexico).
— British versus German coal at Hamburg in 1902, — The naphtha industry of the
Caucasus. — Coal trade of Eastern Mexiean ports. — Cobalt mines in Chile. — The
trend of British South-African trade (1897—1901.) — Progress of Japanese railway
enterprise. — Proposed tariff changes. — Tariff changes and customs regulations. —
Shipping and transport. — Minerals, metals, and machinery. — Agriculture. — Yarns
and textiles. — etc.
Contemporary Review, the. January 1903: James Martineau, by A. M. Fair-
barn. — The new education in China, by Tim. Richard. — The coming struggle be-
tween slav and teuton, by Quidam. — The Brussels Sugar Convention, by Th. Lough.
— Rob. Browning, by Ph. H. Wicksteed. — Our relations with Germany. — Tchai-
kovsky and Tolstoi. — etc.
Economic Journal, the. The Journal of the British Economie Association, edited
by F. Y. Edgeworth and Henry Higgs. Vol. VII, n° 48, Decbr. 1902: The practical
utility of economie science, by E. Cannan. — Taxation of site values, by C. F. Bicker-
dike. — Artels, by N. Pinkus. — The localisation of industry, by W. Cunningham. —
An imperial zollverein with preferential tariffs, by C. F. Bastable.
Edinburgh Review, the. N° 403, January 1903: On the progress of medicine
since 1803. — Panslavism in the near East. — The past and future of factory legis-
lation. — Modern motor cars. — ete.
Fortnightly Review, the, ed. by W. L. Courtney. January, 1903: The new
Education Act at work, by F. J. Macnamara. — The decline and fall of the South
African elephant, by H. A. Bryden. — ,M. Witte, atlas of the autocracy“, by R. E.
C. Long. — The rise of theatrical subventions, by Will. Archer. — South African
farming, by (the Rev.) Will. Greswell. — A workman's reply to Mr. Holt schooling,
by a British workman. — ete.
Journal of the Institute of Bankers, October 1902: The growth of London as
the financial centre of the world, by E. W. Sykes. — Early closing on saturdays. —
November: The signs of Old Lombard street. — etc.
Nineteenth Century and after. N° 311, January, 1903: The clergy and the
Education Act, by D. C. Lathbury. — The noncorformists and the Education Act, by
(the Rev.) J. Guinness Rogers. — Sir Oliver Lodge and our publie schools, by Arth.
C. Benson and Frank Fletcher. — Is society worse than it was? by (Lady) G. Rams-
den. — English and Russian polities in the East, by Ali Haydar Midhat. — The
Abyssinian questio and its history, by G. F. H. Berkeley. — The financial future, by
J. W. Cros. — The growth of the Local Government Board, by (Sir) Mich. Foster. —
The price of food in our next great war, by (Captain) Stewart L. Murray. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte, herausgeg. von Engelb. Pernerstorfer. Jahr-
gang XXIII, 1903, Heft 1 (Januar): Die Sprachenfrage im Amt und die Antwortnote
286 Die periodische Presse des Auslandes.
der tschechischen Parteien, von Rud, Springer (Wien). — Das Zuckerkontingent. Ein
Beitrag zum Staatskapitalismus, von Rud. Hilferding (Wien). — ete.
Handels-Museum, das. Herausgeg. vom k. k. Handelsmuseum. Band XVII,
1903. N" 1—5, vom 1. I.—29. I. 1903: Die italienische Konkurrenz in Albanien, —
Die Glasindustrie der Ver. Staaten von Amerika. — Schiffahrtssubventionen. — Die
überseeischen Absatzgebiete im Jahre 1902. — Die Durchführungsverordnung zur Ge-
werbenovelle betreffend Handlungsreisende. — Oesterreich-Ungarns Handelsverkehr mit
Persien. — Die Entwickelung der Kohlenproduktion. — Pax (bezieht sich auf den
Abschluß des österr.-ungarischen Ausgleiches). — Die zollpolitische Lage in Deutsch-
land. — Der neue Zolltarif (bezw. der dem österreich. Parlament am 28. I. von der
Regierung vorgelegte neue österr.-ungarische Zolltarifentwurf). — Winke für den Export
von Eisenwaren und Maschinen. — Der Bergbau in Südafrika. — etc.
Oesterreichisch-Ungarische Revue. Bd. XXIX, Heft 3 u. 4 (Wien) 1902:
Die krainische Landwirtschaft und das krainische Landtagswesen (bis 1748). [Forts.
u. SehluB.]. — Die deutsche Volkswirtschaft und ihre Entwickelungstendenzen, von
Joh. Zmave. — ete.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Gennaio 1903: La situazione del mercato monetario.
— I limiti dell’ indagine teorica nella finanza pubblica, per V. Tangorra. — A propo-
sito del massimo di ofelimità dato dalla libera concorrenza, per G. Scorza. — La coo-
perazione di classe, per G. Montemartini. — I distillatori proprietari, per G. Francois.
— L'industria della lana in Firenze dal secolo XIV al secolo XVI, per R. Soldi. —
Municipalizzazione dei pubblici servizi, per G. Montemartini. — Cronaca (un discorso
di Carnegi), per F. Papafava. — etc.
G. Holland.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. LII, 1903, Januari:
Sociaal-democratie en handelspolitiek, door D. van Blom (art. I). — Suiker in de parle-
menten van Europa, door J. (Brn) d'Aulnis de Bourouill. — De messageries maritimes,
door Walrave Boissevain. — De internationale geldmarkt, door C. Rozenraad. — Econo-
mische kroniek: Ueber die von der holländischen Regierung geplante Kreierung von
Landwirtschaftsräten; Die Brüsseler Zuckerkonvention; Der neue deutsche Zolltarií ;
Die Entwickelung der englischen Sparkassen in den Jahren 1887—1901. — Handels-
kroniek: Schiffahrtsbewegung in den holländischen Häfen im Jahre 1902; Aus dem
Jahresbericht der Hamburger Handelskammer für 1902, ete. —
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Begründet von (Frh.) K. v. Vogel-
sang. Jahrg. XXV, 1903, N° 1: Der neue schweizerische Zolltarif, von E. Laur. —
Neujahr 1903, von der Redaktion (Prof. J. Beck, Freiburg, Schweiz). — Wirtschaft-
liche Tagesfragen, von Sempronius: Das Submissionswesen; Der englische Zollverein;
Canada als Kornkammer Englands; Algier ein Konkurrent für die europäische Landwirt-
schaft; Wein, — Zeitschriftenschau, von €. Decurtius. — Für die sozialen Vereine:
Skizze IX. Selbsthilfe; Skizze K. Volksschule und Sozialreform. — etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. X, 1902, Hefte 23/24: Obligatorium der Krankengeldversicherung, von (Natio-
nalR.) Vogelsanger (Zürich). — Einkommen- und Vermögenssteuer in ihrem gegen-
wärtigen Wertverhältnis, von G. Wälchli (Seminarlehrer, Zollikofen). — Zur Frage der
Arbeitslosenversicherung, von Fr. Osmer (Zürich). — Zur Frage des Kampfes gegen
den Alkoholismus. Eine Anregung von (D' med.) Nägeli-Akerblom (Rüthi, St. Gallen).
— Die lokalen Arbeitersekretariate in der Schweiz, von (Prof.) N. Reichesberg (Bern).
— Der schweizerische Grütliverein im Jahre 1901. — Wohlfahrtseinrichtungen für die
Schuljugend des Kantons Baselstadt. — ete.
M. Amerika.
Journal of Political Economic. (Publication of the University of Chicago.) Vol. X,
n° 4, September 1902: Commerce and tariffs in the Philippines, by C. C. Plehn. —
Prices and the international movement of specie, by J. L. Laughlin. — Cireulating
medium during the civil war, by W. C. Mitchell. — Production and consumption of
Die periodische Presse Deutschlands. 287
he precious metals, by J. A. Hourwieh. — Prosperity in agriculture, by .W. H. — An
old account book, by J. G. Thompson. — Benevolent and provident arrangements of
french railway companies, by L. Katscher.
Political Science Quarterly. September 1902: Do trade unions limit output?
wJ. Martin. — Early trusts in Holland, by A. E. Sayous. — The interstate commerce
wmmission, by B. H. Meyer. — The English parish, by S. and Beatrice Webb (art. II).
— The scientific basis of imperialism, by J. A. Hobson. — The German judieiary, by
J W. Garner (art. I).
Quarterly Journal of Economies. November, 1902: The sugar industry and
legislation in Europe, by C. S. Griffin. — The sugar question in the United States, by
FR Rutter. — Recent tendencies in sociology, by E. A. Ross (art. II). — The early
innsportation and banking enterprises of the States in relation to the growth of corpo-
ntions, by G. S. Callender. — The „roundabout process“ in the interest theory, by
F.A. Fetter. — The place of the theory of value in economies, by T. N. Carver.
Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1903. N° 1 u. 2, Januar: Der Panama-
kanal. — Neue Post- und Telegraphengesetze in Portugal. — Aus dem Bereiche der
badischen Post- und Telegraphenverwaltung. — Zur Geschichte des Telegraphenamts
in Straßburg (Elsaß.) — Zur Nilquellenforschung. — Deutsche Post- und Telegraphen-
einrichtungen in den Kolonien und im Auslande. — Französisch-englisches Fernsprech-
übereinkommen. — Der magnetische Nordpol. — Samoa.
Archiv für Oeffentliches Recht. Bd. XVII, 1902, Heft 4: Zur Braunschweiger
Regentschaftsfrage, von W. Ch. Francke. — Theologieprofessur und Pfarramt. Ein
quellengeschichtlicher Beitrag zur Entwickelung des modernen Aemterrechts, von Ed.
Hubrich. — Religiöse Erziehung der Kinder, von Geigel. — Ueber die Anwendung
ausländischer Gesetze durch russische Gerichtsbehürden, von Leo Challandes. — Das
Ebenbürtigkeitsprinzip in den Familien des deutschen Hochadels, von F. Hauptmann.
See Anteil der Stände an der Gesetzgebung in Preußen von 1823—1848, von Adolf
Amdt. —— ete.
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich.
Herausgegr, von Gustav Schmoller. Jahrg. XXVII, 1903, Heft 1: Ueber Einheit im
Gebiete des deutschen Verwaltungsrechts, von Wilh. Kahl. — Soziologie des Raumes,
von Georg Simmel. — Ueber Reaktion im Verkehrswesen, von Gustav Cohn. — Die
Aufgaben der Sparkassen in Deutschland als Lebensversicherungsinstitute für die unteren
Volksklassen, von H. Kümmel. — Finland, von * * *. — Das deutsche Volkseinkommen
in Jahre 1900, im ganzen und im Gesamteinkommen über und unter 3000 Mark ver-
glichen mit dem Volkseinkommen des Jahres 1895 und die Lohnsteigerung in den
Jahren 1896—1900, von R. E. May. — Die belgische Industrie- und Gewerbezählung
vom 31. X, 1896, von Cl. Heiss. (Mit 1 Tabelle. — Die Handels- und Verkehrs-
geschichte Südwestdeutschlands im Mittelalter, von Aloys Schulte. — Deutschland am
Scheidewege. Eine Replik, von Alfred Weber. — Literatur.
Landwirtschaftliche Jahrbücher. Bd. XXXI (1902), Heft 5/6: Theorie der
Hygroskopicität, von H. Rodenwald (Kiel). — Ländliche und städtische Arbeiter (Ein
Vergleich ihrer Budgets), von Frz. Heiser (Harttung). — Rheinlands Pferdezucht im
Lichte der Statistik, von Oldenburg (Bonn). — IV. Bericht über die Versuchswirtschaft
Lauchstädt der Landwirtschaftskammer für die Provinz Sachsen. Umfassend die Jahre
1899—1901. Herausgeg. von W. Schneidewind.
Masius Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft. N. Folge. Jahrg. XV,
1903, Heft 1: 1901. Ein Rückblick. — Deutscher Vereinfür Versicherungswissenschaft. —
Die Abteilung für freiwillige Versicherungen bei der Landes-Wrandversicherungsanstalt
im KReich Sachsen. — Die sogenannte Beleihung von Versienerungsseheinen durch
Lebensversicherungsanstalten. — Die Abnahme der Sterblichkeit. — ete.
288 Die periodische Presse Deutschlands.
Neue Zeit, die. Jahrg. XXI, Bd. I, N' 12 bis 16, vom 20. XII. 1902 bis
17. I. 1903: Zur Geschichte der Sozialpädagogik, von Akademikus. -— Die sozialem:
kratische Bewegung in Kroatien, von M. P. — Imperialistische Politik, von M. Beer.
— Die Baugewerkinspektion, von Herm. Heinke. — Tolstoys Weltanschauung in ihrer
Entwickelung, von S. Perlmutter. — Gewerkschaften und Krankenversicherung, von
G. Rössing (Nürnberg) — Sozialpolitische Umschau, von E. Wurm. — Kartellfrzagen,
von Heinr. Cunow: 1. Kartelle, Krisenbeseitigung und Marktregelung. — Vierzig Jahre
Darwinismus, von Wilh. Bólsche. — Die amtliche und die gewerkschaftliche Streiksta-
tistik, von K. Legien. — Ein amerikanisches Romanepos, von M. Bach (London). —
Lehren des französischen Bergarbeiterstreiks, von B. Kritschewsky. — Aerztliche Kunst
und medizinische Wissenschaft, von Georg Wagner. — Beitrag zum Problem der Moral,
von Rob. Michels. — Die Glasindustrie und ihre Arbeiter, von G. Horn. — Notizen:
Marat als Kriminalist. — Sombarts „historische“ Sozialtheorie, von Max Adler (I. Art.).
— Industriewucher, von Gust. Hoch (Hanau). — Reichsfinanzen- und Finanzreform,
von Alb. Südekum. — Jaurès und die französische Kirchenpolitik, von K. Kautsky. —
Notizen: Die Krisis im Baugewerbe, etc.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von Hans Delbrück. Bd. 111, Heft 2,
Februar 1903: Aus dem Laboratorium des Lebens, von Ed. v. Hartmann (Groß-Lichter-
felde). — Wie schildert der Historiker die Persönlichkeit im Rahmen der allgemeinen
Geschichte? von Gust. Lambeck. — In türkischen Diensten, von Ernst v. Düring (Prof.
d. Medizin, Kiel). — Die Rückkehr Lassalles nach Berlin (1857/58), von Herm. Oncken
(Privdoz. d. Geschichte, Univ. Berlin). — Politische Korrespondenz: Das russische
Budget, von Paul Rohrbach. — etc.
Rechtsschutz, gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. VII, 1902, N" 12,
Dezember: Bemerkungen zum Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an
Werken der Photographie, von Alb. Osterrieth (Forts. und Schluß). — Zur Auslegung
des $ 21 des Gesetzes, betreffend die Patentanwälte. Warenzeichenrecht: Rechtsprechung.
— etc.
Revue, soziale. Zeitschrift für die sozialen Fragen der Gegenwart. Herausgeg.
von Jos. Burg. Jahrg. III, 1903, 1. Quartalsheft: Aus fernen Landen, von Hesse-
Wartegg (S. 9 ff.: Die Zustände in Venezuela). — Arbeitsvertrag und deutsches Privat-
recht, von (Privdoz.) Frz. Walter (München). — Die irische Frage, von J. W. Knight.
— Der Sozialismus in seiner neueren Entwickelung, von Frz. Meffert (M-Gladbach).
— Der Katholizismus und das zwanzigste Jahrhundert, von (Prof. Mgr.) Weinand
(Aachen). — Die Not unserer Schauspielerinnen, von Tony Kellen. — Konfession und
soziale Schichtung in Baden, von A. Neher (Deisslingen). — Aus der sozialen Welt:
Wiesbadener Frauentage; Der Kongreß zur internationalen Bekämpfung des Mädchen-
handels; Aus der Arbeiterbewegung der Gegenwart; Die Prostitution in Paris. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Jul. Wolf (Breslau).
Jahrg. VL, 1903, Heft 1: Friderizianischer Sozialismus, von (Privdoz.) Max Fleisch-
mann (Halle a/S.) (Art. I]. — Ueber den Einfluß der Fabrikarbeit auf die geistige
Entwickelung der Arbeiterschaft, von Fr. Schuler (eidgen. Fabrikinsp. a. D. in Mollis).
— Das Rassenproblem in der Weltwirtschaft, von Julius Wolf. — Die Vertrustung der
Tabak verarbeitenden Industrien in den Verein. Staaten von Amerika, von Glier (Char-
lottenburg). — Sozialpolitik: Die Dienstbotenversicherung, von (StadtR.) H. v. Franken-
berg (Braunschweig). — Miszellen. — ete.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Josef Kulischer, Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 289
Nachdruck verboten.
V
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapital-
zinses.
Von
Josef Kulischer in St. Petersburg.
Dritte (letzte) Abhandlung !).
Der Kapitalgewinn im 19. Jahrhundert.
(Fortsetzung und Schluß.)
VIII.
Die überwiegend grófite Anzahl der Erfinder, deren Schópfungen
die Industrie seit Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre
benutzte und noch darüber hinaus, hat aus den Produkten ihrer
Arbeit gar keinen Vorteil gezogen, einen Anteil an dem neu ge-
schaffenen Produktionsquantum nicht erhalten. Watt, zum Teil auch
Arkwright, bildeten Ausnahmen: ihnen gewährte das Patent während
eines gewissen Zeitraumes Schutz und ermöglichte ihnen, einen Teil
des von ihren Maschinen Produzierten sich auch wirklich zahlen zu
lassen. Die größten Erfindungen, deren Anwendung in die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt, erfreuen sich dagegen im all-
gemeinen eines Schutzes seitens der Patentgesetzgebung und Patent-
rechtsprechung und während einer Frist von ca. 15 Jahren beziehen
die Erfinder einen Entgelt für die Anwendung ihrer Geistesprodukte
seitens des Unternehmers. Was damals eine seltene Ausnahme war,
Ist Jetzt allgemein üblich geworden.
. Trotzdem kann es ihnen ebensowenig wie Arkwright und Watt
gelingen, den ganzen Güterüberschuß, den ihre Erfindungen, im
Produktionsprozeß angewandt, verschaffen, für sich zu behalten. Dies
könnte nämlich nur dann geschehen, wenn die Dauer des Patents
mit der Dauer der Anwendung der Erfindung in der Industrie zu-
sammenfiele. Würde das gewerbliche Urheberrecht auf die ganze
Zeit ausgedehnt werden, wo die Erfindung benutzt wird und erst
dann aufhören, wenn auch die Erfindung vollständig beseitigt ist,
1) Erste Abhandlung (Der Handelsgewinn bis zum 18. Jahrhundert), Jahrbücher,
HI. F. Bd. XVIII, 1899, S. 305—371; zweite Abhandlung (Das mittelalterliche Hand-
werk und die Hausindustrie des 16.—18. Jahrhunderts), II. F. Bd. XIX, 1900,
8. 449—470 und 593--647.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 19
290 Josef Kulischer,
so würde natürlich der gesamte Güterüberschuß, den die Erfindung
gewährt, in den Händen des Erfinders verbleiben. Dasselbe Resultat
dürfte sich ergeben, wenn die Erfindung eine so geringe Bedeutung
für die Produktion besitzt, daß sie innerhalb der üblichen Zeit des
Patentschutzes bereits durch eine andere ersetzt wird. Wenn für
kleine, wenig vorteihafte Verbesserungen die zweite Annahme in der
Tat öfters eintritt, so müßte man für bedeutende Erfindungen, welche
jahrzehntelang, vielleicht wie die Dampfmaschine jahrhundertelang
benutzt werden, den Patentschutz auf entsprechende Zeitperioden
ausdehnen, wollte man auch in diesen Fällen den ganzen Güter-
überschuß dem Erfinder allein zusprechen, denn auch dann, wenn
eine Menge von Verbesserungen an der ursprünglichen Erfindung
angebracht sind, lebt ja die Erfindung in ihrem Wesen unverändert
fort, nur wird zu dem damals erzeugten Mehrprodukt noch ein
weiteres Plus hinzugefügt. Da nun aber in Wirklichkeit dem Er-
finder nur während einiger Jahre das Recht zugesprochen wird, von
seiner Schöpfung Vorteil zu ziehen, so bleibt eine überaus große Güter-
quantität übrig, welche die Erfindung nach Erlöschen des Patents
produziert. Diese Güterquantität sammelt sich in den Händen der
Unternehmer an, welche nachdem die Patentfrist abgelaufen, für die
Anwendung der Erfindung gar nichts mehr zu zahlen brauchen. Und
daß dieses Mehr an Gütern auch zu einem Mehr an Wert wird,
dafür sorgt die monopolistische Stellung, in welcher sich die Fabri-
kanten befinden, die diese Erfindungen einführen, bevor dieselben
allgemein gebräuchlich werden. Zur Ausbeutung des Monopols
haben sie reichlich Zeit, weil die großen Erfindungen der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts sich in den meisten Fällen nur um ein
weniges schneller verbreiten, als dies in der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts geschah. Die großen Kapitalien, welche die Einführung
einer vollständig neuen Produktionsmethode erheischt, die Notwendig-
keit, sämtliche Apparate und Maschinen derselben anzupassen, die
vorhandenen kostspieligen Einrichtungen beiseite zu stellen, und
durch andere teuerere zu ersetzen, dies alles hält die Einführung
der neuen Erfindung in engen Schranken, läßt eine nur allmähliche
schrittweise Verbreitung zu und gewährt den Unternehmern, welche
die nötigen großen Mittel besitzen und die Bedeutung der neuen
Erfindungen für die Industrie zu würdigen wissen — denn auch
die Voreingenommenheit gegen dieselben macht das ihrige — eine
SE Stellung, welche sie Jahrzehnte hindurch ausbeuten
ünnen.
Die größten Erfindungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts zur Anwendung gebracht wurden, sind auf dem Gebiete
der Eisen- und Stahlindustrie gemacht worden. Und wie langsam
haben sie sich verbreitet, wie gering war die Konkurrenz für die
diese Erfindungen anwendenden Fabrikanten Jahrzehnte hindurch! „Die
Verbesserung des Frischprozesses — sagt Schmoller — seine Um-
wandlung in den Puddelprozeß (d. i. die Entkohlung in geschlossenen
Flammófen mit mechanischer Umrührung) beginnt wohl 1784, wird
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses.t 991
aber erst 1824—36 recht durchführbar, vollzieht sich auf dem
Kontinent jedoch erst 1846—1870. An den Fortschritt des Puddel-
prozesses schließt sich der des Hämmerns durch den Dampfhammer,
der 1842 durch Nasmyth erfunden wurde, und des Walzens mit
mechanischer Kraft, die sich auch erst 1840—1870 recht durch-
getzten“!). Ein Zeitraum von 30 Jahren ist es also, den diese Er-
fndungen brauchen, um allgemeiner zur Anwendung zu gelangen,
30 Jahre erfreuen sich die Unternehmer eines Monopols, und können
angesichts desselben das ihnen aus den Erfindungen zufließende Mehr-
produkt ungestört in Mehrwert verwandeln.
Noch wichtiger sind aber die neuen Methoden der Stahlgewinnung
(n den 50er Jahren erfunden), auf welchem Gebiete Siemens und
Martin, insbesondere aber Bessemer durch ihre bahnbrechenden
Schöpfungen berühmt geworden sind. Für seine neue Anwendungs-
weise mußte Bessemer vollkommen neue Apparate erfinden 2), die
Eisenwerke mußten auf Grund der neuen Technik gänzlich umgebaut
werden. Für den Bessemerprozeß waren große Anlagekapitalien
nötig, ein auf Produktion großer Massen gerichteter Betrieb, um-
fangreiche maschinelle und Roheisenlager, „umfassende Apparate zur
Bewegung der Konverter, zur Herbeibringung und Fortschaffung der
Produkte, zum schmelzen des Roheisens, deren Anschaffungs-, Er-
haltungskosten und Amortisation große Mittel verlangten“). Ist
da zu verwundern, wenn die Ausbreitung des neuen Verfahrens
von 1860—1890 dauerte, daß der Umbau 30 Jahre erforderte +)?
Ja sogar im Jahre 1890 wurden in England noch 32,3 Proz., in
Deutschland 41,2 Proz. der gesamten Produktion von schmiedbarem
Eisen in Puddelöfen erzeugt. Das Schweißeisen war also auch nach
30 Jahren seit der Einführung der neuen Produktionsmethode noch
lange nicht verdrängt’). Und vielen erschien ja, als Bessemer zur
Verwirklichung seiner Idee 1854 sein erstes Patent nahm, das
Unternehmen als lächerlich. Selbst 1862, wo Bessemer bereits wirk-
liche Proben seines Verfahrens vorlegen konnte, fand die Erfindung
nicht gerechte Würdigung und den produzierten Fabrikaten wurde
sogar der Charakter des Stahls abgesprochen). Auch dieser Um-
stand hat nicht wenig dazu beigetragen, daß Bessemer nur den ge-
fingsten Teil von dem Ueberschußprodukt erhielt, welches seine Er-
fndung lieferte, da dieselbe während der Patentdauer nur wenig
angewandt und erst später mehr beachtet wurde.
Aehnliches können wir auch auf anderen Gebieten der Industrie
1) Schmoller, GrundriB, I, S. 216.
2) Witt, Die deutsche chemische Industrie in ihren Beziehungen zum Patentwesen.
Berlin 1803, S. 34.
3) Sinzheimer, Der volkswirtschaftliche Charakter der technischen Entwickelung
des deutschen Eisenhüttengewerbes. München 1892, Diss., S. 52—53, 69.
4) Schmoller, Grundriß, I, S. 216.
5) Sinzheimer, Ueber die Grenzen der Weiterbildung des fabrikmäßigen Groß-
betriebes in Deutschland. Stuttgart 1893, S. 190.
3 6) Reuleaux, Das Buch der Erfindungen, 8. Aufl, Bd. 4, Leipzig und Berlin 1890,
. 199.
19*
292 Josef Kulischer,
beobachten. Der Selfaktor, die höchste Vollendung der Mulemaschine,
da der Spinner hier gar nichts mehr zu tun hat, als die Maschine zu
leiten und zu überwachen, wurde von Roberts 1825 erfunden, in
den nächsten Jahren bis 1830 von ihm verbessert und schon in den
30er Jahren zur Anwendung gebracht !). Trotzdem hat der Selfaktor in
England erst nach 20 Jahren die Herrschaft errungen; in Deutschland
vollzog sich diese Entwickelung noch viel später — in den 70er Jahren:
1877 sind 76,9 Proz. der deutschen Industrie Selfaktoren ?2). In der
Wollen- und Leineweberei wird der von Kartwright erfundene Kraft-
stuhl — wie oben gezeigt — seit 1860 in größerem Maßstabe ein-
geführt, sein Sieg fällt jedoch erst in das letzte Jahrzehnt des
vorigen Jahrhunderts. Die neueste wichtige Erfindung ist die An-
wendung der Elektrizität in der Industrie mittels der Dynamo-
maschine, welche durch die Möglichkeit der Kraftaufspeicherung
und leichtere Uebertragbarkeit ein mächtiger Konkurrent der Dampf-
maschine geworden ist. Vor 25 Jahren hat der Verdrängungsprozeß
begonnen und doch ist die Kraftverwendung noch so gering, daß
man „ihre künftige Wirksamkeit mehr ahnen als genauer bestimmen
kann“, obwohl sich schon jetzt voraussagen läßt, daß eine völlige
Umwandlung der Metallurgie wie der chemischen Industrie durch
die Elektrizität in den künftigen Jahrzehnten stattfinden muß).
Wie man sieht, bilden auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts die großen Erfindungen — wir haben hier der Kürze halber
nur die allergrößten berührt — eine Quelle des Kapitalgewinnes.
Denn nach Abschluß der 15-jährigen Patentfrist bezieht der Unter-
nehmer das ganze Mehr an Produkten, das die neue Erfindung gegen-
über den früheren Produktionsmethoden liefert; und die langsame
Ausbreitung derselben in der Produktion ermöglicht ihm während
eines langen ca. 30-jährigen Zeitraums einen die verminderten
Kosten übersteigenden Preis zu erhalten; anfangs werden die Waren
zum früheren Preise abgesetzt, später zwar zu einem geringeren
Preise, jedoch auch dann steht der Preis noch immer viel höher, als
er entsprechend den Auslagen des Unternehmers sich gestalten
könnte.
Doch mit diesen und ähnlichen bahnbrechenden Erfindungen ist
die Sache nicht abgetan. Neben ihnen steht eine Reihe anderer,
viel geringerer, jedoch durch ihre große Anzahl in ihrer Gesamtheit
sehr bedeutender Verbesserungen und Vervollkommnungen, welche
auf alle mögliche Weise Ersparungen an Arbeitskraft zu erlangen
suchen und zusammen eine große Masse an Mehrprodukt gegenüber
der früheren Technik hervorbringen. Zeichnet sich ja die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts gerade dadurch aus, daß die Technik
sich eine vollständige Verdrängung des Menschen aus dem Arbeits-
prozeß zum Ziele gesetzt und dieses Ziel schon teilweise erreicht
1) Karmarsch, Geschichte der Technologie seit der Mitte des 18. Jahrh., S. 615.
2) Schulze-Gaevernitz, S. 116 u. Anm. 1.
3) Sehmoller, Grundriß, I, S. 213—215.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 293
hat. Natürlich konnte dies nur mittels einer großen Masse von
Erfindungen zu stande kommen, nur ein Werk vieler Tausende und
‚ber Tausende von Köpfen bilden, nur als Resultat des Zusammen-
arbeitens zwar nicht hervorragender Pfadfinder, jedoch kenntnis-
richer und geistvoller Techniker, Mechaniker, Chemiker sich er-
geben.
" Für diese zweite Gruppe von Erfindungen, die in raschem
Wechsel aufeinander folgen, häufig auch einander ablösen, könnte
de Dauer des heutigen Patentschutzes in manchen Fällen genügen‘,
insoweit nämlich die eine Erfindung durch eine nachfolgende vorteil-
haftere verdrängt wird, wiewohl für solche Verbesserungen, welche
durch spätere nur ergänzt, nicht aufgehoben werden, 15 Jahre nicht
ausreichen können, dem Erfinder das Produkt seiner Arbeit voll-
ständig zu gewähren. In beiden Fällen jedoch hilft der Patentschutz
dem Erfinder nur wenig und die Ursache liegt in der abhängigen
Stellung, welche er dem Unternehmer gegenüber einnimmt. Gleich
dem ausführenden Arbeiter ist auch er, dessen Tätigkeit in schöpfe-
rischer Arbeit besteht, Lohnarbeiter des Unternehmers, der zu einem
im voraus bestimmten Lohn gedingt wird und weiter keine Ansprüche
am fertigen Produkt besitzt. Seine Aufgabe besteht in der Vervoll-
kommnung der Produktionsweise, während auf die Ausbeutung der-
selben ein Patent entweder gar nicht genommen wird, so daß sie
Geheimnis der Unternehmung bleibt oder der Unternehmer sich die
Neuerung patentieren läßt, also auch in diesem Falle er, nicht der
Erfinder, im Besitze des Patents erscheint. Denn die Angestellten
und Arbeiter einer Fabrik erwerben nach dem herrschenden Patent-
recht das Erfinderrecht für sich selbst nur dann (es handelt
sch natürlich um Erfindungen auf dem Gebiete des betreffenden
Fabrikationszweiges), wenn sie die Erfindung ohne Benutzung der
Einrichtungen der Fabrik ausführen. Besteht aber die Erfindung
in einer Arbeit, welche der Erfinder infolge seines Dienstvertrages
auszuführen hat, so erwirbt er kein Erfinderrecht. Auf diese Weise
ist „in gewerblichen Unternehmungen sogar regelmäßig ein abge-
leitetes Erfinderrecht des Geschäftsherrn an Erfindungen, die von
ständig angestellten Technikern in ihrer dienstlichen Tätigkeit ge-
macht werden, ohne weiteres als vereinbart anzunehmen“ !). Als
verstürkend kommt noch der Umstand hinzu, daß selbst in den-
jenigen Fällen, wo die Erfindung außerhalb der Fabrik zu stande
kommt, der Erfinder durch Mangel an Geldmitteln gezwungen ist,
im voraus seine Erfindung an einen Unternehmer zu übertragen.
Es wird dann durch Vertrag im voraus bedungen, dafi das Erfinder-
recht sofort mit seiner Entstehung an den Unternehmer übergehen
soll. Solche Verträge zwischen Geschäftsherrn und Angestellten —
sagt Gierke — sind sehr häufig ?), nicht minder häufig vielleicht als
diejenigen Fälle, wo durch bloßes Dienstverhältnis die Erfindung dem
1) Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, Leipzig 1895, S. 869—870.
2) Gierke, I, 8. 869 und Anm. 45.
294 Josef Kulischer,
Unternehmer zufällt. In dem Wittschen Buche von der chemischen
Industrie im weitern Sinne, wo die chemische Seite sämtlicher In-
dustriezweige, wie Eisen-, Textilindustrie, Industrie der Farbstoffe
etc. behandelt wird, liest man jedesmal bei Patentanmeldungen, von
Fabriken oder Firmen, denen das Patent erteilt wird, nur ausnahms-
weise kommen dagegen selbständige Erfinder vor !).
Diese abhángige Stellung der Erfinder hat aber sehr viel zu
bedeuten. Denn daß die unselbständigen im Dienste des Unter-
tehmers stehenden Kräfte, in deren Hand die Befruchtung der Fabri-
kation durch die Technik gelegt ist, einen bedeutenden Teil ihres
Arbeitsprodukts dem Unternehmer überlassen müssen, wird sofort
klar, wenn man erwägt, daß der Mangel an den für ihre Experimente
und Konstruktionen nótigen kostspieligen Einrichtungen, Hilfsmitteln
und Instrumenten sie dazu zwingen muf, die Bedingungen anzu-
nehmen, welche ihnen der Fabrikant diktiert, wie ungünstig dieselben
öfters auch sein mögen; daß hierin eine wichtige Ursache der Er-
scheinungen liegt, die wir oft beobachten kónnen, wenn wir begabte
technische Fachkräfte um eine geringe Belohnung im voraus alle
die bedeutenden Schópfungen ihres Geistes überlassen sehen, durch
welche später die Produktionsweise so bedeutende Vervollkommnung
erfährt und der Betrieb in hohe Blüte gebracht wird. Hier treffen
wir also dieselben Verhältnisse, die so häufig in der Stellung der
ausführenden (physischen) Arbeit dem Unternehmer gegenüber be-
tont werden. Wenn aber die große Lohnarbeiterklasse im stande
ist, diese ungünstigen Umstünde auf andere Weise auszugleichen,
wenn sie das Produkt ihrer Hände durch feste Einigung, durch
straffe Organisation sich verschaffen kann?), so fehlt dem tech-
nischen Beamtenpersonal der Unternehmungen diese Möglichkeit.
Die Ueberfülung der technischen Berufe hat insbesondere in der
letzten Zeit eine verschürfte Konkurrenz hervorgerufen, eine gegen-
seitige Unterbietung, welche einen immer weitergehenden Lohndruck
für diese Klasse geistiger Arbeiter herbeiführt. „Es vergrößert sich
— sagt Sombart — die Schar der künstlerisch und wissenschaftlich
Ausgebildeten von Jahr zu Jahr, vergrößert sich aber auch die
„Reservearmee“ des geistigen Proletariats, aus dem nun der kapita-
listische Unternehmer „zu den günstigsten Bedingungen“ seinen Be-
darf an Produktionsseele decken kann“ 3).
Nun fallen zwar die Resultate, die mit der Anstellung tech-
nischer Fachkräfte erzielt werden, verschieden aus; denn verschieden
ist ihre Intelligenz, Kenntnisse und Begabung, verschieden auch die
Größe der Geldmittel, die zur Ausstattung der Einrichtungen vom Unter-
nehmer zur Verfügung gestellt werden können. Die größten Hütten-,
Eisen- und Stahlwerke besitzen einen Stab wissenschaftlich-tech-
nischer Kräfte, der alle denkbaren Fortschritte der Chemie, der
1) Witt, Die deutsche chemische Industrie in ihren Beziehungen zum Patentwesen.
Berlin 1893, passim, insbesondere S. 97—99, 101, 103, 105, 109, 118, 120, 122.
2) S. das folgende Kapitel.
3) Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. II, Leipzig 1902, S. 443.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 295
Physik und der Mechanik auf die wirtschaftliche Produktion an-
wendet'!). Die amerikanischen Trusts haben ganze Versuchsstationen
errichtet, in denen geschulte Techniker immer neue Experimente
ausführen und neue Vervollkommnungen im Fabrikationsprozeß ein-
füren ?) Zum Kruppschen Etablissement gehören eine Probiranstalt
in der 1898 143 Festigkeitsversuche stattfanden, ein chemisches Be-
tiebslaboratorium, wo 1898 24567 Analysen ausgeführt wurden,
wd eine chemisch-physikalische Versuchsanstalt®). Doch auch andere
Betriebe von nicht so großem Umfange beschäftigen eine mehr oder
weniger bedeutende Anzahl von Technikern, denen spezielle Auf-
gben zugewiesen sind, die Erfindung und Einführung von Ver-
beserungen, welche der Unternehmung in dieser oder jener Hinsicht
een Vorsprung gewähren könnten. Nicht bloß in Maschinen- und
Werkzeugfabriken, Eisenbahnwagen- und Schiffsbauanstalten, sondern
auch in Spiritusbrennereien und Zuckerfabriken, Glasfabriken, Farben-
fabriken, in der Textilindustrie und vielen anderen Industriezweigen
werden beträchtliche Mittel aufgewendet, um auf diese Weise mit
neuen Apparaten und Methoden auf dem Weltmarkte konkurrieren
zu können‘). Die Wirksamkeit der wissenschaftlich - technischen
Talente, die heute gleichsam die Seele der technischen Produktion
bildet, besteht in einer fortwährenden lebendigen Fühlung mit dem
Produktionsorganismus, die auf keine andere Weise ersetzt werden
kann 5). So werden in der modernen Industrie dem Techniker immer
1) Schmoller, Grundriß, I, S. 217.
2) Janschul, Die Unternehmerverbände in den Vereinigten Staaten von Nord-
amerika (russ.). St. Petersburg 1895, S. 217, 380.
3) Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Bd. 119, S. 159—160.
4) In der Berufs- und Gewerbezählung im Deutschen Reiche vom 14. Juni 1895
Wurden in Gruppe 13 (Industrie und Bergbau) 109 248 Personen als technisches Auf-
sihtspersonal gezählt, darunter ca. 50 000 (49 492) technisch gebildete Betriebsbeamte
(Betriebsinspektoren, Ingenieure, Chemiker ete.) und Volontäre, was 6 Proz. der Er-
werbstätigen dieser Gruppe ausmacht. Berufliche und soziale Gliederung des deutschen
Volkes. Statistik des Deutschen Reichs, N. F. Bd. 111, Berlin 1899, S. 71.
5) Sombart, Bd. II, S. 443 u. Anm. „Zahlreiche Meßwerkzeuge spezieller Art
und Dimensionierung, präzise Indikatoren, Registrirapparate, physikalische Hilfsvorrich-
tungen, wie z. B. Polarisationsinstrumente, Spektroskope, Manometer, Bremsdynamometer
US. w.‘“ (Herrmann, Technische Fragen und Probleme, S. 297) sind durch solche
lebendige Fühlung der Technik mit der wirtschaftlichen Produktion zustande gekommen,
als Geheimnis der Betriebe, in denen sie durch technische Fachkräfte erfunden. Nicht
minder wichtig ist die Rolle des Chemikers in der Industrie. Herrmann schildert uns
eine Tätigkeit im Brauereigewerbe. Hier, wo der technische Prozeß mit Hilfe der
Gährung ausgeführt wird, hängt er in hohem Grade von den Gürungs- und Fäulnis-
erregern (besonders den essigbildenden Bakterien) ab; der Chemiker untersucht nun „die
Luft im Brauhause auf ihre Temperatur, ihren Staubgehalt, ihre Feuchtigkeit (wegen
des Mälzens), prüft ihren Gehalt an Schimmel-, Sproß- und Stäbchenpilzen. Er er.
forscht alle Wege, auf welchen Temperaturünderungen, Staub, Feuchtigkeit, Pilze u. s. w.
in die Werksrüume und Keller gelangen, den Einfluß der verschiedenen Hefeformen,
sowie gewisser Parasiten derselben (Fäulnispilze ete.) auf den Brauprozeß‘“, ja er sucht
sogar festzustellen, „welchen Einfluß die Hefestäubehen aus der Luft einer benachbarten
Spiritus- oder Preßhefefabrik, einer Bäckerei, Weinkellerei oder wohl gar die Schleim-
Pilze einer nicht sehr entfernten Zuckerfabrik auf den Brauprozeß nehmen“. (Techn.
Fragen 8.297—98). Wenn man bedenkt, vom wie großem Einflusse die verschiedenen
Parasiten und Bakterien auf den GürungsprozeB sein müssen, wie sie denselben ins-
296 Josef Kulischer,
neue Bahnen von seiten des Unternehmers gewiesen, es werden Tag
für Tag neue Verbesserungen gemacht, das Tempo der Neuerungen
wird in einem früheren Zeiten unbekannten und unerreichbaren Maße
gesteigert. „Der Fortschritt ist heute nicht ein so sprungweiser
wie in früheren Epochen, er wird vielmehr stetig und unter Beihilfe
und Mitwirkung von Hunderttausenden von Fachkräften gemacht
als tägliche Arbeitsaufgabe; nicht als ideale Aufopferung an einen
Lieblingsgedanken, sondern als Erwerbsangelegenheit* !) Und dies
geschieht in einem desto größeren Umfange, „je mehr die ver-
schiedenen Zweige der Technik, Mechanik und Chemie in die Gruppe
jener Disziplinen treten, in denen Erfindungen nicht mehr die Gabe
eines glücklichen Zufalles, sondern das Produkt einer mehr kon-
struktiven Tätigkeit, der Kombination bekannter Hilfsmittel zur Er-
Zielung eines neuen Zweckes darstellen“ ?); je mehr an Stelle des
Probirens das Experiment tritt, „an Stelle des versuchsweisen Tastens
das planmäßige und methodische Suchen auf Grund der Kenntnis
von den Zusammenhängen der bisherigen Verfahrungsweisen“ °).
Die Großbetriebe sind jedenfalls im Vorsprung, die allergrößten
haben von der Technik den größten Vorteil. Wie sie bei Beschaffung
des Rohmaterials, bei Anleihen von Kapitalien dem Händler bezw. dem
Kreditgeber vom Mehrprodukt am wenigsten abzugeben gezwungen
sind, so sind sie es auch, welche zuerst die großen Erfindungen ein-
führen und die stets eine Reihe kleinerer Verbesserungen besitzen,
welche auf Namen der Firma patentiert und ihr Eigentum sind oder
als Geheimnis der Unternehmung lange Zeit hindurch den Konkur-
renten unbekannt bleiben. So erfreuen sie sich stets einer Aus-
nahmestellung und die herrschenden Preise werfen ihnen einen über-
durchschnittlichen Kapitalgewinn ab. Nach Martin stehen z. B. nur
20 Proz. der Fabriken in der Streichgarnindustrie auf der Höhe der
modernen Technik, während bei den übrigen 80 Proz. die neuesten
technischen Fortschritte vermißt werden‘). Die durchschnittliche
monatliche Produktion eines Hochofens in Deutschland betrug im
Jahre 1891 1949 Tonnen, während dieselbe in der Ilseder Hütte sich
auf 5888 Tonnen belief, trotz des gleichen Eisengehalts der ver-
schmolzenen Erze?). „In den amerikanischen Walzwerken besteht
besondere hemmen und auf die Qualität des Produkts unter gewissen Umständen schäd-
lich wirken können, so wird man die hohe Bedeutung des Talents und der Kenntnisse
der technisch-wissenschaftlichen Kräfte für die Rentabilität des Betriebs nicht verkennen,
man wird zugestehen müssen, daß jede Untersuchung, durch welche der Einfluß der
verschiedenen Momente auf den Produktionsprozeß klar geworden ist, solange dieselbe
Geheimnis bleibt, der Unternehmung einen Vorsprung vor den Konkurrenten verschafft.
1) Herrmann, Technische Fragen und Probleme der modernen Volkswirtschaft.
Wien 1891, S. 15.
2) Witt, S. 115, 61.
3) Sombart, Bd. II, S. 64.
4) Martin, Zur Verkürzung der Arbeitszeit in der mechanischen Textilindustrie.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Bd. 8, S. 260.
5) Sinzheimer, Weiterbildung des fabrikmäßigen Großbetriebs, S. 188.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 297
deren ganzes Arbeiterpersonal lediglich in Maschinisten und kein
Mensch ist als Walzer beschäftigt, sondern lediglich mechanische
Vorrichtungen besorgen den Transport des Walzguts von einer Straße
zur anderen, das Ueberheben desselben, den Transport von den
Walzen bis zur Schere und zum Transportwagen.“ Auch in Deutsch-
land gibt es einige Werke mit so vollkommenen Einrichtungen, „aber
welch ein Unterschied besteht zwischen den großartigen Einrichtungen
des Hörder Vereins oder des Höschschen Stahlwerks und zahlreichen
großen Walzwerken in Rheinland-Westfalen und in Schlesien“ 1). Doch
auch die großen Betriebe folgen allmählich den allergrößten in der
Anwendung neuer Erfindungen nach, besitzen auch selbst zahlreiche
Verbesserungen, die sie im geheimen halten. Dadurch sind auch sie
instande, im Warenpreise mehr als die bloßen Produktionsanlagen
zu erhalten. In den 20 Jahren von 1875—1895 haben in der
deutschen Eisenproduktion die Puddelöfen um 52 Proz. abgenommen,
die Flußeisenöfen um 58 Proz., dagegen weisen die Bessemerbirnen
eine Zunahme von 40!/, Proz. auf. Doch gab es auch im Jahre
1895 bloß 30 Betriebe mit Bessemerbirnen gegenüber 128 und 121
Betrieben, wo Eisen in Siemens-Martin-(Flußeisen-) bezw. Puddel-
öfen erzeugt wurde. Nun ist „der Bessemerprozeß technisch nur in
der Form des Großbetriebs denkbar, weil nur bei einem gewissen
Minimaleinsatz die zur Durchführung des Prozesses erforderliche
Hitze erzeugt werden kann“, dagegen sind die Anlagen bei Fluß-
eisenproduktion weniger groß und noch viel geringer sind sie beim
Puddeln 2). In der Tat im Jahre 1805 waren unter den Betrieben,
in denen Puddelöfen benutzt wurden noch 4 solche vorhanden, wo
das Personal nicht über 5 Personen hinausging, unter den Fluß-
eisenfabriken 11 solche Kleinbetriebe?). Aus den angeführten Zahlen
folgt einerseits, daß während um 1875 nur wenige großen, für jene
Zeit die allergrößten Betriebe den Bessemerprozeß angewandt hatten,
nach 20 Jahren bereits eine große Anzahl von Betrieben, wohl alle
Großbetriebe die neue Erfindung benutzten; andererseits aber, daß
auch um 1895 eine bedeutende Anzahl von Mittel- und sogar
Kleinbetrieben existierte, welche mit veralteten Verfahrungsweisen
arbeiteten, die Riesen- und Großbetriebe also noch einen ansehn-
lichen Gewinn bezogen aus der großen Schöpfung Bessemers. Erst
wenn auch die mittleren und kleinen Unternehmungen die Pro-
duktionsweise entsprechend dem neuesten Stande der Technik ver-
ändert haben, wird der Preis herabgedrückt und der Gewinn, den
die letzten Erfindungen gebracht haben, muß fortfallen. Die großen
und größeren Betriebe haben unterdessen wieder neue Erfindungen
eingeführt und es vergehen wieder Jahrzehnte, bis dieselben allgemein
geworden sind. Dagegen können offenbar die kleineren Betriebe,
1) Sinzheimer, Ibid. S. 191.
2) Sinzheimer, Entwickelung des deutschen Eisenhüttengewerbes, S. 52, 64.
3) Statistik des Deutschen Reichs, N. F. Bd. 119, S. 147.
298 Josef Kulischer,
welche die neuen Erfindungen zuletzt in Anwendung bringen, aus
der schöpferischen Arbeit keinen Gewinn ziehen. Die Erfindung
wird zwar auch bei ihnen angebracht werden, aber nur deswegen,
weil eben der Preis sich bereits entsprechend vermindert hat. So
waren im Jahre 1883 in den verschiedenen Ländern nur 360 Cowper-
und 770 Whitwell-Winderhitzungsapparate überhaupt im Betriebe;
sie steigerten die Brennmaterialersparnis und Produktionserhöhung
des Hochofens und verschafften jenen Unternehmungen, in denen
sie angebracht waren, noch einen bedeutenden Gewinn; dagegen
konnte schon in den 70er Jahren kein Betrieb mehr aus der Mineral-
feuerung einen Vorteil ziehen, denn dieselbe war bereits die herr-
schende geworden: in Deutschland machte die Holzkohleneisen-
produktion 1871 nur 7 Proz. der Gesamtproduktion aus, im Jahre
1878 sogar bloß 2 Proz., alles übrige war Steinkohlen- und Koks-
eisenproduktion!) Diejenigen Betriebe, welche bei den alten Fabri-
kationsmethoden verweilen, rentieren also nicht mehr, sie müssen
die Produktion einstellen. Die übrigen kleineren Unternehmungen
bringen zwar jedesmal die neuen technischen Umgestaltungen zu-
stande, beziehen aber daraus keinen Gewinn: sie müssen entweder
ganz ohne Kapitalgewinn bleiben, indem der selbstleitende Unter-
nehmer sich vielleicht mit dem Unternehmerlohn begnügt oder zu-
gleich als Kaufmann in der betreffenden Branche tätig ist?), oder
indem der Kapitalgewinn anderwürts gesucht wird — durch Absatz
in ferne Länder mit geringer Konkurrenz, insbesondere aber durch
Lohndruck. Gelingt auch letzteres nicht, ist auch vom Arbeiter der
Gewinn nicht herauszuschlagen, dann gibt es für kleinere Betriebe
eben nur ein Mittel — die Kartellierung.
Und bei der gegenwürtigen immer zunehmenden Macht von
Groß- und Riesenbetrieben, bei der immer schneller vor sich gehen-
den Verdrängung der menschlichen Arbeit durch die Maschine, ins-
besondere aber bei der Stürkung der Arbeiterverbünde, wodurch es
viel schwieriger, ja fast unmöglich wird, einen Gewinn vom Arbeiter
zu erhalten ?), ist die Zusammenschließung der weniger großen Betriebe
der einzige Ausweg, die Preise über den Auslagen zu halten. Nur durch
Kartellorganisationen, durch Ausschluß der ungezügelten Konkurrenz
auf dem Markte wird es móglich, einen Wertteil der schópferischen
Arbeit als Kapitalgewinn für sich zu behalten; zu welchem Zwecke
englische Arbeitgeber sogar Arbeiter zur Stütze des Unternehmer-
verbandes herangezogen haben. Im Bewuftsein, dafi sie aus dem
Kampf mit den Arbeitern nicht als Sieger hervorgehen kónnen,
haben sie es vorgezogen, Frieden zu schließen und einen gemein-
samen Kampf gegen den Konsumenten aufzunehmen, um sich gegen
1) Sinzheimer, Entwickelung des Eisenhüttengewerbes, S. 16, 25—27.
2) „Noch ist der deutsche Fabrikant (in der Baumwollindustrie) häufig nicht nur
Fabrikant, sondern auch Kommissionür, Bankier, Hündler und selbst Detaillist zu
gleicher Zeit." Sinzheimer, Großbetr., S. 173. Schulze-Gaevernitz, S. 110—112.
3) Siehe das folgende Kapitel.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 299
den schroffen Preisfall der Waren wehren zu können !). Wohl können
ähnliche Resultate auch durch den Schutzzoll erreicht werden. Je-
doch begünstigt gewöhnlich der Schutzzoll rückständige Produktions-
methoden, da er ausländische Konkurrenz unmöglich macht. Dagegen
haben die Unternehmerverbände, soweit ein Schutzzoll fehlt, die
Konkurrenz stets zu fühlen, sie sind gezwungen, dem Fortschritt
der Technik zu folgen; nur suchen sie auch selbst an den Früchten
desselben teilzunehmen. Ohne dem Konsumenten den Genuß der
neuen Erfindungen vorenthalten zu wollen, wie die geschützten In-
dustrien es tun, indem sie keine Preisherabsetzung eintreten lassen,
streben die Kartelle nur danach, den zu schnellen Preisfall der
letzten Periode zu verlangsamen; vom Werte der Erfindung soll
inen jedesmal ein Teil zurückbleiben, solange bis eine neue Er-
fndung kommt.
IX.
Der Fortschritt, den das 19. Jahrhundert auf dem Gebiete der
Industrie hervorgebracht hat, liegt nicht nur in der Verdrängung
der menschlichen Arbeit durch die Maschine, sondern auch darin,
daß, soweit die menschliche Arbeit den Produktionsprozefi leitet und
überwacht, dieselbe — insbesondere während der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts — erheblich an Intelligenz gewonnen hat, an Umsicht,
Verständnis und Ausdauer. Die komplizierten Maschinen mit ihrer
wachsenden Geschwindigkeit und ihren zunehmenden Dimensionen
erfordern eine gesteigerte Geistesanspannung, ein wohlüberlegtes und
exaktes Arbeiten; oft stellen sie Anforderungen an die Schnellig-
keit, Sicherheit des Auges und der Hand, an Geduld und Beharr-
lichkeit des Leiters, die nur durch langjührige Uebung zu erwerben
sind, durch Vererbung von einer Generation auf die andere. Durch
die Anwendung des reich differenzierten Maschinensystems hat die
fabrikmäßige Großindustrie eine geübte und rührige Arbeiterschaft
erzeugt, ein verständnisvolles Eingehen auf die Technik der zu be-
aufsichtigenden Maschine seitens des Arbeiters hervorgerufen. Der
Fortschritt offenbart sich darin, daß derselbe Arbeiter, der früher
mit genauer Not mit einer einzigen Maschine fertig werden konnte,
gegenwärtig eine doppelte und dreifache Anzahl viel schnellerer und
größerer Apparate überwacht, daß er viel weniger Zeit darauf ver-
liert, das Material der Maschine zuzuführen und von derselben
herunterzubringen, daß er Stockungen im Maschinengange meidet,
die vorkommenden möglichst schnell zu beseitigen weiß.
Diese Zunahme an Intensität der ausführenden Arbeit würde
zugleich eine Steigerung der Arbeitsleistung bedeuten, wenn sie nicht
mit einer Verkürzung der Arbeitszeit verbunden wäre, ja ohne die-
selbe nicht geradezu unmöglich wäre. Die erhebliche Verminderung
der früher üblichen Arbeitszeit, welche wir in den letzten Jahr-
1) Liefmann, Die Allianzen, gemeinsame monopolistische Vereinigungen der Unter-
nehmer und Arbeiter in England. In diesen Jahrbüchern, 1900, III. F. Bd. 20, S. 433 ff.
300 Josef Kulischer,
zehnten des 19. Jahrhunderts wahrnehmen können, hat die gesteigerte
Produktivität der Arbeit pro Stunde aufgehoben, so daß Schulze-
Gaevernitz recht hat, wenn er das ungeheuere Mehrerzeugnis, das
im 19. Jahrhundert produziert ist, ausschließlich der erhöhten Pro-
duktivität der schöpferischen Arbeit zuschreibt, als „Ergebnis der
Geistesarbeit der Vergangenheit“ ansieht, „der Tausende von Ge-
danken und Versuchen, welche in den Maschinen niedergelegt sind“ !).
Zwar hat der verkürzte Arbeitstag nur selten einen entsprechenden,
nicht immer überhaupt einen Ausfall am Produktionsertrag nach sich
gezogen — er wurde durch die gesteigerte Intensität der Arbeit,
durch größeren Fleiß und Aufmerksamkeit ausgeglichen, welche eben
die Folgen der kürzeren Arbeitszeit waren, da lange Arbeitszeit und
gemächliches Arbeiten durch größere Anspannung und Verausgabung
an Kräften ersetzt worden ist. Viel häufiger ist daher eine Aende-
rung in der Quantität des Produzierten nicht eingetreten, indem
größere Intelligenz und Geschicklichkeit einerseits und geringere
Arbeitszeit andererseits sich gegenseitig aufhoben. In den Fällen
jedoch, wo das Produktionsquantum sogar gestiegen war, trotz des
verkürzten Arbeitstages, war die Verminderung der Arbeitsstunden
entweder mit Ersetzung des früheren Maschinenwerks durch voll-
kommenere Apparate begleitet oder nur durch Benutzung besseren
Rohmaterials und schnellerer Ausnützung der Maschinen möglich.
In letzterem Falle war die Produktionssteigerung mit einer Erhöhung
der Kosten verbunden, d. i. mit einer Vergrößerung der im früheren
Produktionsstadium angewandten physischen Arbeit, in dem anderen
Falle, wo neue Maschinen in Anwendung gebracht wurden, bedeutete
dies zwar einen positiven Vorteil sowohl für den Unternehmer als
für die Volkswirtschaft überhaupt, jedoch war dieser Gewinst nur
deswegen erreicht, weil die Masse der in der Warenproduktion vor-
handenen schöpferischen Arbeit durch die neue Erfindung sich ver-
größert hatte. Soweit es also auf die physische Arbeit des Lohn-
arbeiters ankommt, kann nicht behauptet werden, daß mit der Ver-
kürzung des Arbeitstages eine Vergrößerung des Produktionsquantums
zustande gebracht werden kann: durch größere Intensität kann
höchstens in einer kürzeren Zeit dasselbe Quantum produziert
werden, wenn aber noch etwas darüber hinaus sich herausstellt —
was überhaupt nicht oft vorkommt — so wird es entweder durch
entsprechende Arbeit einer vorhergehenden Produktionsperiode auf-
gewogen und durch andere Auslagen des Unternehmers, bildet also
in Wirklichkeit kein Mehr an Produkten, oder schöpferische, nicht
physische Arbeit hat jenes Plus hervorgebracht.
Parallel mit der Verkürzung der Arbeitszeit geht aber noch eine
andere Bewegung, eine Steigerung der Löhne in der fabrikmäßigen
Großindustrie, und zwar in erheblichem Maße. Diese Lohnerhöhung
können wir in den verschiedensten Staaten beobachten. In England
wird dieselbe auf 50—100 Proz. in der fünfzigjährigen Periode an-
1) Schulze-Gaevernitz, Der Großbetrieb, S. 127.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 301
gesetzt!). In den Vereinigten Staaten von Nordamerika betragen
die Löhne vom Jahre 1890 — nach Caroll D. Wright — 168,6, wenn
man jene von 1860 zu 100 annimmt; die von 1840 sind dann gleich
82,5. Auch Aldrich behauptet, die Löhne seien in den Vereinigten
Staaten in den 30 Jahren 1860—1890 auf 60,7 Proz. gestiegen ?). In
Frankreich sind die Löhne in 62 Zweigen der Industrie zwischen
1853 und 1887 um 64 bis 72 Proz. gestiegen); in den halben
Jahrhundert von 1840/45—1891/93 haben — nach der Enquete des
Office du travail — die Arbeitslóhne in der Industrie im Durch-
schnitt eine Erhöhung um 90 Proz. erfahren (von 2,07 fres. auf
3,90), in der Textilindustrie beträgt die Steigerung 80 Proz. (von
190 fres. auf 3,45), wobei der größte Teil des Zuwachses auf die
Periode 1860/65—1891/93 fällt‘). Im Elsaß fand in der Periode
1850— 1885 eine Steigerung der Fabrikarbeiterlöhne mindestens um
50 Proz. statt, in den Jahren 1830—1880 jedoch (in der Textil-
industrie) um 100 Proz. und noch mehr). In Württemberg bewegt
sich die durchschnittliche Lohnsteigerung in den Jahren 1830—1839
bis 1860—1865 bei 8 Gewerbezweigen der Fabrikindustrie zwischen
60 und 70 Proz.. wohin namentlich die Baumwollspinnerei und
-Weberei gehört, die Tuchfabrikation, die chemische und Metall-
industrie, streicht bei zweien (Wollspinnerei und Papierfabrikation)
nahe an 60 Proz., steigt bei den Pianofabriken auf 77 Proz. und
beträgt bei der Buchdruckerei 52 Proz. Auch in den nachfolgenden
Jahren setzt sich die Lohnerhóhung fort®).
Aus dem Steigen des Arbeitslohnes bei fast unveränderter Lei-
stungsfähigkeit des Arbeiters, da die größere Intensität der ausfüh-
renden Arbeit, soweit es eben auf diese allein ankommt, im besten
Falle die Verkürzung des Arbeitstages aufgewogen hat — aus dieser
Lohnsteigerung folgt jedenfalls, daß der Anteil des Arbeiters am
Produkt nicht wenig zugenommen haben muß. Dabei darf man
auch nicht außer acht lassen, daß von einer (teilweisen) Geldent-
wertung nur in Bezug auf die Periode 1850—1870 überhaupt die
Rede sein kann, während seit 1870 eine bedeutender fast ununter-
brochener Preisfall stattfindet, so daß eher eine Erhöhung des
Geldwerts zu verzeichnen wäre. Ist demnach der Anteil des
1) Schmid, Beiträge zur Geschichte der gewerblichen Arbeiter in England wäh-
rend der letzten 50 Jahre. Jena 1896, S. 182. Nostitz, Das Aufsteigen des Arbeiter-
standes in England. Jena 1900, S. 461 ff., 721.
2) Caroll D. Wright, Industrial Evolution, p. 223. Aldrich, Wholesale Price,
Wages and Transportation, 1893, I, p. 12 sqq. Levasseur, L’ouvrier Americain. Paris
1898, T. I, S. 309, 319.
3) Neumann-Spallart, Uebersichten der Weltwirtschaft, Jahrgang 1885—1889
(z. T. bis 1895). Berlin, ohne Jahr. 17. Lieferung, S. LXII.
4) Office du travail, salaires et durée du travail dans l’industrie française. Grande
et moyenne industrie. T. IV. Paris 1897. (Resultats généraux.) Vergl. Schotthöfer,
Die französische Enquete über die Lage der Industriearbeiter. Soziale Praxis, 7. Jahr-
gang, 1598, S. 1142.
5) E. Chevalier, Les salaires au XIX siècle. Paris 1887.
à 6) Frege, Zur Lohnbewegung der letzten hundert Jahre. Leipzig, ohne Jahr.
. 47, 51.
302 Josef Kulischer,
Arbeiters am Produktionsertrage tatsächlich gestiegen, so kann
man doch daraus noch nicht den Schlufi ziehen, wie es oft gemacht
wird, daß der Arbeiter dadurch an den Fortschritten der Technik
teilgenommen hat, an der hóheren Ergiebigkeit der Produktion
infolge der vollkommeneren Technik. Denn dies würde bedeuten, daß
der Arbeiter heute nicht bloß den ganzen Ertrag seiner eigenen
Arbeit erhält, sondern auch einen Teil jenes Produktionsertrages,
der von der Arbeit des Erfinders herrührt. Eine solche Behauptung
kónnte jedoch nur dann aufgestellt werden, wenn man davon aus-
gehen wollte, daß zu Anfang der Lohnsteigerung, in der vorher-
gehenden Periode des auf vollständig freier Konkurrenz begründeten
Arbeitsvertrages, dem Arbeiter der Ertrag seiner eigenen Arbeit voll-
ständig ausbezahlt wurde. Dann ist natürlich jede weitere Lohn-
steigerung als Teilnahme des Arbeiters am Ertrage der anderen
Produktionsquelle, der schópferischen Arbeit zu betrachten. Kommt
man jedoch zu dem Resultate, daß der Arbeitslohn bei freier Kon-
kurrenz, wo der einzelne Arbeiter dem einzelnen Unternehmer gegen-
übersteht, dem Existenzminimum gleich sein mufi — was Ricardo
ganz richtig für seine Zeit als notwendige, „natürliche“ Lohnhöhe
auffaßte, was jedoch von den Späteren mißverstanden und zu einem
für immer gültigen „Naturgesetz“ erhoben wurde — so wird man sich
noch zuvor die Frage vorlegen müssen, ob in der nachfolgenden
Periode der Lohn auch soweit gestiegen ist, daf! er den ganzen
Ertrag der ausführenden Arbeit umfafite, ob der Arbeiter unter den
gegenwärtigen Wirtschafts-, insbesondere Vertragsverhältnissen jenen
Teil des von ihm hergestellten Produkts auch vollständig erhält, den
er in der vorhergehenden Periode dem Unternehmer überlassen mußte.
In der Tat hat sich die moderne wirtschaftliche Entwickelung
als eines ihrer wichtigsten Ziele dasjenige gesetzt, dessen Erreichung
die Verwirklichung des Rechts auf den vollen Arbeitsertrag bedeutet,
wenn man jenen Begriff eben richtig auffaßt als Ertrag der ausfüh-
renden Arbeit, derjenigen Arbeit, die der Arbeiter als Leiter und
Aufseher der Maschine leistet, im Gegensatz zum anderen Teil des
Produkts, den die schópferische Arbeit hervorbringt in Form der
Maschinentütigkeit, und nicht den falschen Sinn unterlegt, als ob
das ganze Produkt von der alleinigen Arbeit des Fabrikarbeiters
herrührte.
In der korporativen Zusammenschlieftung der Arbeiter gegen-
über den Arbeitgebern, in der daraus sich ergebenden Möglichkeit
der Regulierung des Arbeitsangebots und der Einwirkung auf die
kontraktliche Festsetzung der Arbeitsbedingungen liegt zweifellos die
wichtigste, wenn auch nicht alleinige, Ursache jener Errungenschaften,
welche im Kampfe um den vollen Arbeitsertrag erlangt worden sind.
Aus vorübergehenden, regellosen, mit Gewalttütigkeit verbundenen
Arbeitseinstellungen, die vom Unternehmer als Auflehnungen gegen
den Gehorsam, den die Arbeiter ihm schuldeten, betrachtet wurden,
vom Staate als Aufstände mit bewaffneter Hand niedergeschlagen
wurden, sind es mächtige, von geschulten Führern geleitete, Korpo-
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 303
rationen geworden, welche ruhig, mit echt kommerzieller Ueber-
legung ihr Ziel zu erreichen suchen, vom Staate wie von der Gesell-
schaft anerkannt, für den Unternehmer eine gleichberechtigte und
gleich starke Partei, der man nicht drohen, sondern nur Vorschläge
machen kann. Und Hand in Hand mit dieser Entwickelung der
Macht des Arbeiterstandes, mit der Verminderung der Konkurrenz
untereinander, durch Arbeitsvermittlung und Entfernung der Arbeits-
losen dorthin, wo Nachfrage vorhanden, durch Beschränkung minder-
wertiger und ungelernter Arbeit; insbesondere aber durch Unter-
stützung Arbeitsloser, wodurch möglich wird, das überschüssige
Arbeitsangebot vom Markte zurückzuhalten, so daß die so gefähr-
liche gegenseitige Unterbietung fortfällt; mit der Beseitigung des
individuellen Arbeitsvertrags, an dessen Stelle der kollektive tritt, für
ale Mitglieder der Organisation vereinbarte, — vollzieht sich die
Steigerung der Löhne und die Verkürzung des Arbeitstages, wie die
Besserung der übrigen Arbeitsbedingungen, wird Schritt auf Schritt
ein immer größeres Quantum an dem vom Arbeiter geschaffenen Teil
des Produkts erkämpft. Nicht überall ist jener Höhepunkt erreicht,
wo zwei wirtschaftlich gleich starke Parteien einander gegenüber-
stehen, nicht überall daher jene Quelle des Kapitalgewinnes, welche
in der Tätigkeit des Arbeiters liegt, nachdem sie jahrhundertelang
geflossen, als endgültig beseitigt zu erachten. Doch ein Anlauf dazu
ist überall gemacht, in allen Ländern Europas ist eine mehr oder
weniger bedeutende Strecke in der Richtung nach jenem Ziele zu-
rückgelegt.
Am weitesten ist in dieser Beziehung England vorgeschritten.
Denn am größten ist hier die Macht des Arbeiterstandes in der Groß-
industrie, ebenso wie auch der Großbetrieb und die technische Ent-
wickelung hier ihre größte Entfaltung erreicht haben. Hängt ja vom
ersten Faktor der Umstand ab, wieviel die Arbeiter vom Unternehmer
zu erzwingen vermögen, vom zweiten die Leichtigkeit, mit welcher
der Unternehmer das Geforderte zu geben im stande ist, seine Kon-
kurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkte nach Auszahlung des Arbeits-
ertrages zu bewahren. Da sowohl die Forderung nachdrucksvoll
aufgestellt ist, als die Erfüllung derselben sich als möglich erweist,
so muß sich eine Arbeiterlage herausstellen, welche auf das Fehlen
eines aus der ausführenden Arbeit herrührenden Kapitalzinses
schließen läßt.
Von den englischen Maschinenschlossern, Zimmerleuten und
Schreinern wie Bauarbeitern sagt selbst Friedrich Engels, daß sie
„jede für sich eine Macht sind“ und daß sie „es fertig gebracht
haben, sich eine verhältnismäßig komfortable Lage zu erzwingen“ !).
Doch sind es nicht bloß Maschinen-, Holz- und Bauarbeiter, welche
sich in befriedigender Lage befinden, hohen Lohn, zum größten
Teil auch Achtstundentag genießen, sondern auch die Mitglieder
1) Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 2. Aufl., Stuttgart 1892,
Vorwort von 1892, 8. XIX—XX.
304 Josef Kulischer,
der anderen großen Gewerkvereine der Metallarbeiter, Schiffs-
bauer und Textilarbeiter, also die Arbeiter aller wichtigeren Zweige
der Großindustrie weisen eine günstige Stellung auf, besitzen die
Macht, sich das ganze Produkt ihrer Hände vom Unternehmer zu
verschaffen. So sagt Lavollée über die Metallarbeiter, daß sie in
England wie überall, vielleicht sogar noch mehr als auf dem Kon-
tinent, zur Elite der Arbeiterklasse gehören. Gut bezahlt, erfreuen
sie sich zugleich eines kurzen Arbeitstages, genießen reichliche und
gesunde Nahrung, haben befriedigende Wohnungen und wissen ihr
Interesse mit Macht zu verteidigen, ihre Forderungen den Unter-
nehmern gegenüber durchzusetzen!) Auch die Lóhnung der Textil-
arbeiter wird von ihm als ausreichend bezeichnet. Insbesondere
sind es unter ihnen die Baumwollarbeiter, welche — nach Schulze-
Gaevernitz — nichts weniger als Proletarier darstellen. „Wenn man
den englischen Arbeiter in seiner Wohnung aufsucht — sagt Schulze-
Gaevernitz — so überzeugt der Augenschein, daß hier mehr als der
bare Lebensunterhalt vorhanden ist, daß vielmehr gewisse Ansprüche
an Behaglichkeit erfüllt werden, was auf das Familienleben von
günstigstem Einflusse ist“?). Gute Wohnungsverhältnisse, Weizen-
brot und Fleisch als Hauptnahrungsmittel und bedeutende Erspar-
nisse, welche jährlich 10, 15, ja 20 Proz. des Gesamteinkommens und
darüber ausmachen, ein Vermögen erzeugen, das einen bedeutenden
Teil des Einkommens verschafft — das sind Arbeiterverhältnisse in
der englischen Baumwollindustrie ?).
Nicht schlechter ja noch besser soll, nach Levasseur, die Arbeiter-
lage in der Großindustrie der Vereinigten Staaten von Amerika sich ge-
stalten. „Der höhere ‚Standard of living‘ des amerikanischen Arbeiters
(im Verhältnis zu dem des europäischen) — sagt Levasseur — äußerst
sich in dem größeren Aufwand auf alle Lebensbedürfnisse (trotzdem die
Preise dort eher niedriger sind als in Europa), in dem Genusse
wenn nicht einer mannigfaltigeren, so doch jedenfalls einer reich-
licheren und kräftigeren Nahrung, im Kleiderluxus, in der bequemeren
Wohnung, in den größeren Summen, die auf Vereinszwecke, Vor-
sorge, Reisen, Bildung und Erholung ausgegeben werden; er äußert
sich auch in dem relativen Verhältnis der einzelnen Teile des Haus-
haltungsbudgets, indem die Nahrung kaum die Hälfte des Einkommens
in Anspruch nimmt, während sie auf dem Kontinent gewöhnlich nicht
weniger als ?/, desselben ausmacht“ 4). Nach Bestreitung der Aus-
gaben auf Nahrung und zwar sehr befriedigende Nahrung, Wohnung,
Kleidung, Heizung und Beleuchtung bleiben 20 Proz. des Ein-
kommens und darüber für die anderen Bedürfnisse und Ersparnisse
übrig, was eine sehr günstige Lage bedeutet). So gestaltet sie
1) Lavollée, Les classes ouvrières en Europe, T. III, Angleterre, Paris 1896,
p. Ss 246—247, 227, 234 (Chap. IV, $ 2—3).. Vergl. auch Chap. IV, § 4, insbes.
p. 248.
2) Schulze-Gaevernitz, S. 248.
3) Ibid., S. 229 ff.
4) Levasseur, L'ouvrier americain, Paris 1898, T. I, p. 212.
5) Levasseur, T. II, p. 210—211.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 305
“ich wenigstens in der Metall-, Glas- und Textilindustrie, noch besser
oll die Stellung der Maschinen- und Bauarbeiter sein !).
„Den Zustand des Volkswohlstandes — sagt Ernst Engel —
dürfen wir als gekommen und vorhanden betrachten, wenn die
rationelle physische Erhaltung nirgends mehr wie 80 Proz. des Ein-
kommens in Anspruch nimmt und 20 Proz. desselben als freies Ein-
kommen übrig bleiben und Verwendung finden“ 21. Wir glauben,
daß bei einem solchen Zustande zugleich auch nicht mehr die Rede
sein kann von einem Kapitalzinse, den der Arbeiter produziert, die
ausführende Arbeit hier nicht mehr als Zinsquelle auftreten kann.
Die von Engel aufgestellte Voraussetzung trifft eben für England
wie für die Vereinigten Staaten von Amerika zu; wir behaupten, daß
hier der Arbeiter in der Fabrik jenen Teil des Produkts, den er er-
zeugt, auch vollständig ausbezahlt erhält. Damit soll jedoch noch gar
nicht gesagt werden, daß dies auch die oberste Grenze sein muß, welche
der Lohn nicht zu übersteigen braucht. Im Gegenteil ist es sogar
erwünscht, daß derselbe eine weitere Erhöhung erfährt und der
Arbeiter auch einen Teil des von schöpferischer Arbeit Produzierten
im Lohne erhält Daraus, daß ein solches Plus nicht mehr vom
Arbeiter produziert wäre, folgt noch gar nicht, daß der Arbeiter
daran nicht teilnehmen darf. Zweckmäkigkeitsgründe und nicht die
Beziehung zum Produzierten können eben nur die Verteilung des
Produkts bestimmen. Und wenn der Arbeitsertrag denn doch bei
der Verteilung mitsprechen soll, so kann er nur das Minimum, nicht
aber die Maximalgrenze des Lohnes bilden. Heute freilich, wo in
sehr vielen Fällen auch dieses Minimum nicht erreicht ist, kann der
Arbeitsertrag nur das Ziel bilden, dem sich vorläufig der Lohn
nähern soll.
X.
Dr. Roesemeier teilt in seinem Buche „Die Arbeiter im 19. Jahr-
hundert“ die deutsche Arbeiterklasse in zwei Kategorien ein: zu
der einen, der gut gestellten, zählt er die Buchdrucker, die Bau-
arbeiter, Mechaniker, Holzarbeiter und Metallarbeiter; in die andere
Gruppe, deren Lage sich wenig befriedigend erweist, fallen die land-
wirtschaftlichen Arbeiter, ferner die Heimarbeiter, Handwerker
C Bäcker, Schneider, Schuhmacher), innerhalb der eigentlichen Groß-
industrie aber die ungelernten Arbeiter, insbesondere die in der Textil-
\wndustrie beschäftigten. Roesemeier spricht von dem verhältnis-
wäfigen Hochstande der Lebenshaltung vom stattlichen und kräftigen
Aussehen der Arbeiter der ersten Gruppe, im Gegensatz zum er-
bärmlichen und krankhaften Anblick der letzteren ?).
Die Richtigkeit einer derartigen Scheidung der deutschen Arbeiter-
klasse in zwei Gruppen nach ihrer materiellen Lage wird durch das
1) Ibid.. T. I, p. 337 suiv., 342 suiv.
2) Engel, Die Lebenskosten belgischer Arbeiterfamilien früher und jetzt. Dresden
1595, S. 124.
3) Roesemeier, Die Arbeiter im 19. Jahrhundert, Berlin 1900, S. 134—137.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 20
306 Josef Kulischer,
vorhandene Tatsachenmaterial durchaus bestätigt. Aus den von
Gould gesammelten Arbeiterbudgets ergibt sich, das die physische
Erhaltung bei den deutschen Eisenarbeitern 83 Proz. des Einkommens
in Anspruch nimmt und bei den Stahlarbeitern noch weniger, näm-
lich 78 Proz. des Einkommens !); bei den Glasmachern belaufen sich
diese Ausgaben auf 76 Proz. im Süden Deutschlands, auf 83 Proz.
im Nordosten und auf 87 Proz. im Nordwesten ?). Damit wir jedoch
einen Vergleich mit den Zuständen in andern Ländern anstellen können,
müssen wir einerseits unter physischer Erhaltung alles dasjenige
erfassen, was Engel darunter begreift, daher noch den Aufwand auf
Heizung und Beleuchtung hinzufügen, weil in den angeführten
Zahlen nur Ausgaben für Nahrung, Kleidung, Wohnung (auch geistige
Getränke) berechnet sind. Daher sind in den Budgets der Glas-
arbeiter noch 3—4 Proz. (im Süden 6 Proz.) für physische Er-
haltung hinzuzufügen *); bei den Eisen- und Stahlarbeitern werden
angesichts der fehlenden Angaben gleiche Zahlen anzusetzen sein.
Andererseits dürfen wir bei Berechnung des Einkommens die deutsche
obligatorische Arbeiterversicherung nicht außer acht lassen, da
dieselbe einen Zuschuß zum Arbeitslohne bedeutet. Wie bekannt,
haben ja sowohl die Unternehmer wie das Reich zur Aufbringung
der nötigen Fonds beizusteuern. Bei der Unfallversicherung werden
die Beiträge ausschließlich von den Unternehmern geleistet, bei der
Krankenversicherung wird die Hälfte der Krankenkassenbeiträge von
ihnen aufgebracht und bei der Invaliditäts- und Altersversicherung
setzt sich die Hälfte der Entschädigungssumme aus den Beiträgen
der Unternehmer zusammen. Greissl berechnet die Belastungszifier
der Arbeitgeber bei der Unfallversicherung auf 3 Proz. des Lohnes,
bei der Krankenversicherung auf 1!/, Proz. und bei der Invaliditäts-
und Altersversicherung auf 1 Proz., zusammen auf Dit, Proz. des
Lohnes). Der Zuschuß des Reichs zur Invalidenversicherung betrug
in den Jahren 1891—1898 30 Proz. von der seitens der Unter-
nehmer auf die Invalidenversicherung aufgewandten Summe d. i. ca.
J/, Proz.*. Im ganzen müssen wir also den gezahlten Lohn um
ca. 6 Proz. hóher rechnen und da denselben nur ein Abzug von
ca. 4 Proz. gegenübersteht, so ergeben sich folgende Größen, welche
den für physische Erhaltung in Anspruch genommenen Prozentsatz
des Arbeitereinkommens darstellen: ca. 80 Proz. in der Eisenfabri-
kation, ca. 76 Proz. in der Stahlindustrie, ca. 76 Proz. bei den Glas-
arbeitern des Südens, ca. 80 Proz. im Nordosten und 84 Proz. im
1) Gould, Die Lage der arbeitenden Klassen in den Hauptkulturländern, in diesen
Jahrbüchern, 3. F. Bd. 5, S. 860—865.
2) Kulemann, Zur organischen Güterverteilung. Bd. II. Die Glasarbeiter Deutsch-
lands und der Vereinigten Staaten von Amerika, Leipzig 1896, S. 200 —205.
3) Ibid., S. 205.
4) Greissl, Wirtschaftliche Untersuchungen über die Belastung der deutschen
Industrie durch die Arbeiter-Versicherungs- und Schutzgesetzgebung. Schmollers Jahr-
buch, Bd. 23, 1899, S. 860—865.
5) Lass und Zahn, Einrichtung und Wirkung der deutschen Arbeiterversicherung,
Berlin 1900, S. 129.
a
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 307
Nordwesten, woraus folgt, daß das freie Einkommen auch hier nicht
Weniger als 20 Proz. ausmacht. In Bezug auf diese Arbeitergruppen,
Zu denen auch noch die Bauarbeiter, die Arbeiter in der Maschinen-
fabrikation und in einigen anderen Industriezweigen zu rechnen
Kapi können wir also behaupten, daß sie keinen oder fast keinen
apitalzins mehr produzieren, daß das von ihnen selbst Produzierte
"en auch ungefähr vollständig übergeben wird.
Tiefer als die genannten Arbeiterklassen stehen die Textilarbeiter,
Obwohl die Lage derselben in den einzelnen Teilen des Reiches sich
verschieden gestaltet : neben nahezu befriedigenden kommen eben auch
recht traurige Verhältnisse vor. In der Textilindustrie des sächsischen
Voigtlandes scheint die Arbeiterlage im allgemeinen eine günstige
zu sein, und Bein bezeichnet in manchen Zweigen das Einkommen
ausdrücklich als ein auskömmliches, die Erwerbsverhältnisse als be-
friedigende, wie in der Kammwollwarenindustrie mit ihren Hilfs-
gewerben, in der Bleiche und Appretur der Baumwollenstoffe; auch
über die Weberei äußert er sich in dem Sinne, daß im Jahre 1882,
zur Zeit der Abfassung des Werkes, die Arbeiterklasse in ihren Er-
werbsverhältnissen, sogar noch abgesehen von den äußerst billigen
Preisen der Nahrungsmittel, sich in entschieden günstigerer Lage
befand, als im Jahre 1880 und selbst um 1871/72, in den Zeiten des
Aufschwungs !).
In der Schafwollindustrie der Niederlausitz — einem nicht
unwichtigen Industriezentrum — dürfen die Verhältnisse ebenfalls
als im ganzen befriedigende bezeichnet werden. „Was die Wohnungs-
verhältnisse anbetrifft — sagt Quandt — so sind dieselben infolge
des Umstandes, daß unter den acht Industriestädten des Bezirks
nicht einmal eine Stadt mittlerer Größe ist, . . . für den in-
dustriellen Arbeiter im allgemeinen sehr günstige zu nennen“. Die
Gesundheitsverhältnisse sind ebenfalls günstig, die Lebens- und Er-
werbsdauer eine hohe. Auch in Bezug auf die Ernährung sind
die Arbeiter hier besser als anderswo gestellt. „Bei den dortigen
Lohnverhältnissen — führt Quandt aus — machen die im Verhältnis
zu anderen Industriegebieten sehr billigen Mieten und die seit 1882
ständig gefallenen Preise der Lebensmittel ein Sparen für allein
stehende Arbeiter und manche Ehepaare mit 2, ja 3 Kindern recht
wohl möglich. Von je 100 Arbeitern, in 5 verschiedenen Städten
befragt, hatten Sparkassenbücher oder Gelder privatim ausgeliehen
46,7 und die Einlagen der Sparkassenbücher schwankten zwischen
weniger als 100 und 1000 M. und darüber, obzwar die Eigentümer
letzterer Beiträge (über 1000 M.) sehr selten waren 2).
Schlimm sind dagegen die Zustände am Niederrhein, in der
Aachener Tuchindustrie oder sie waren es vielmehr zu Ende der
“er Jahre, als Thun sie beschrieben hat. „Der alleinstehende Ar-
1) Bein, Industrie des sächsischen Voigtlandes, Bd. 2, S. 438, 462, 392.
. 2) Quandt, Die Niederlausitzer Schafwollindustrie in ihrer Entwickelung zum Groß-
betrieb und zur modernen Technik. Leipzig 1895, 8. 281—291.
20%
308 Josef Kulischer,
beiter — heißt es bei ihm — befindet sich fast immer in beneidens-
werter Lage; bei einem Durchschnittslohn von 19 M. wöchentlich
vermag er seine minimalen Lebenskosten fast doppelt zu bestreiten.
Auch diejenigen Familien, welche schon soweit erwachsene Kinder
haben, daß diese 5—7 M. wöchentlich erwerben können, befinden
sich bei Cichorien, Kartoffeln und Brot in ziemlich gesicherter Lage
. Dagegen herrscht unter den Familien mit 2 und mehr Kindern
ein chronischer Notstand .... Sie bleiben selbst in den besten
Zeiten Kandidaten der Armenunterstützung“ !).
„Von den lebhaften gesunden Gesichtsfarben, welche die elsässische
Landbevölkerung auszeichnen, von deren kräftigem, oft herkulischem
Kórperbau, ihrem Enbonpoint, ist bei den Fabrikarbeitern in Stadt
und Land nichts zu entdecken — sagt Herkner über die Mülhausener
Baumwollenindustrie: ein bleicher, krankhafter Teint, eine eingefallene
Brust, magere Extremitäten finden sich schon bei jungen Männern.“
Familien mit vielen Kindern befinden sich in der traurigsten Lage.
Der Bedarf einer Familie, aus Mann, Frau und drei noch nicht
arbeitsfähigen Kindern bestehend, — das Budget stammt aus den
Mülhäuser Arbeiterkreisen — beläuft sich auf ca. 1600 M. jähr-
lich, während der günstigst situierte männliche Arbeiter nicht über
1000 M. verdient, so daß auch die am besten bezahlten Mülhäuser
Fabrikarbeiter von ihrem Lohne allein ihre Familie nicht in der Weise
erhalten können, welche nach den unter den Mülhäuser Arbeitern
verbreiteten Begriffen noch für erträglich gelten könnte“. Dabei
ist in Mülhausen die Lage der Arbeiterschaft noch als die günstigste
im Oberelsaß anzusehen. „In den übrigen Teilen des Landes sind
die Löhne im Durchschnitt um '/, geringer als jene in Mülhausen,
eine Differenz, welche die zwischen den Preisen der Bedarfsartikel
bestehende übertrifft, so daß die Lebenshaltung in der Tat noch
tiefer herabsinkt. Dies zeigt sich in Bezug auf die Kleidung in dem
Vorherrschen der Holzschuhe und Baumwollstoffe auch bei den Männern.
In der Nahrung dominieren Kartoffeln und Brot; Fleisch gibt es
im besten Falle an Sonntagen. Der Genuß des Branntweins hat
(der mangelhaften Kost halber) viel größere Dimensionen angenommen
als in Mülhausen... Der schlechteren Lebenshaltung entspricht auch
eine noch weitergehende physische Entartung ..., Die Wohnungszu-
stände sind durchaus unbefriedigend . . . ihre Qualität spricht selbst
den primitivsten Gesundheitsrücksichten geradezu Hohn. Typhus,
Scharlach und Masern sind in jenen Gegenden, einmal eingedrungen,
fast unausrottbar“ 2).
Zieht man die dargelegten Tatsachen über die Arbeiterverhält-
nisse in der Textilindustrie in Betracht, sowohl die Arbeiterlage in
Sachsen und in der Lausitz einerseits, wie andererseits am
Niederrhein und im Elsaß, so wird man weder die Verhältnisse
1) Thun, Die Industrie am Niederrhein und ihre Arbeiter. Bd. 1. Die links-
rheinische Textilindustrie. Leipzig 1879. S. 65, 66, 68.
2) Herkner, Die oberelsässische Baumwollindustrie und ihre Arbeiter. Straßburg
1887, S. 312—315, 320, 325, 349—355.
—
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 309
als sehr ungünstige bezeichnen können, noch auch andererseits
von befriedigenden Zuständen sprechen dürfen. Das Richtige liegt,
Wie gewöhnlich, in der Mitte zwischen den Extremen. Aus den
Childerungen von Thun und Herkner ergibt sich zwar, daß das
lel, die Erlangung seitens des Arbeiters des ganzen von ihm her-
gestellten Anteils am Produkt noch lange nicht erreicht ist. Die von
so] und Quandt beigebrachten Tatsachen beweisen jedoch, daß eine
À Che Tendenz jedenfalls vorhanden ist und die Entwickelung der
Ärbeiterverhältnisse auch auf dem Gebiete der Textilindustrie sich
In der Richtung zu jenem Ziele bewegt.
Einen derartigen Eindruck gewinnt man auch aus den Berichten
der Fabrikaufsichtsbeamten in Bayern, Württemberg, Baden und
Hessen für die Jahre 1879—1890, wie sie (für alle Industriezweige)
in dem Buche von Alfred Zeller bearbeitet sind. Auch auf Grund
jener Berichte, welche eine Ergänzung zu den oben erórterten
Beschreibungen preußischer, sächsischer und elsässischer Zustände
bilden, kommt man zu dem Schlusse, daß neben einigen (den oben
erwähnten) Industriezweigen, in welchen die ausführende Arbeit
als Quelle des Kapitalzinses. nicht mehr figuriert, auch in den
übrigen ein Anlauf zur Beseitigung jener Quelle gemacht worden
ist, daß auch die deutsche Volkswirtschaft die Entwickelungstendenz
aufweist, solche Zustände zu schaffen, wo der Arbeiter nur für sich
allein zu arbeiten hat, nicht aber für den Unternehmer. Die wirt-
schaftliche Lage der Arbeiter in jenen vier deutschen Staaten (im
Durchschnitt aller Produktionszweige der Fabrikindustrie) wird in
den Berichten, trotz des oft sehr geringen Lohns (wie z. B. in der
Zigarrenindustrie) fast ausnahmslos als eine gute bezeichnet. Der
Unterschied zwischen industriellen Gegenden und solchen ohne In-
dustrie ist auf den ersten Blick oft in die Augen springend, wie es
in den Berichten aus Baden, Hessen, aus der Oberpfalz mit Regens-
burg, Franken und Aschaffenburg bezeugt wird. Die Fabrikarbeiter
— die Fabriken sind in jenen Staaten über das Land zerstreut —
befinden sich in Besitze kleiner Grundstücke, zum Teil auch eines
Häuschens, was ihnen in Verbindung mit dem Arbeitslohn „fast eine
gewisse Behaglichkeit des Lebens ermöglicht“. Nach dem Bericht
aus der Oberpfalz war die Ernährung trotz geringen Lohns auf
dem Lande genügend, in der Stadt gleiche aber das größere Maß
an Bedürfnissen und deren leichtere Befriedigung den höheren Lohn
meist aus. Der badische Fabrikinspektor erwähnt, daß bei besser
bezahlten Arbeiterklassen oder da, wo noch einige weitere Familien-
Angehörige mitarbeiten, der Verdienst zu einem gesunden und kräf-
-tigen Lebensunterhalt ausreiche, daß aber dort, wo diese Vorraus-
setzungen nicht zutreffen, der Verdienst nur eine mehr oder minder
dürftige, in vielen Arbeiterfamilien vorzugsweise nur mit Kartoffeln
und Kaffee bewerkstelligte Ernährung ermögliche. An manchen Orten
wird über ungünstige Wohnungsverhältnisse geklagt; inbesondere in
großen Städten und Orten mit rasch emporgewachsener Industrie
lassen die Zustände in dieser Beziehung noch viel zu wünschen
310 Josef Kulischer,
übrig. Ueber die Erwerbsverhältnisse der weiblichen Arbeiter geht
aus den Berichten hervor, daß sie „im allgemeinen nicht schlecht
sind“. „Der Verdienst derselben ist zwar etwas niedriger als der
der männlichen Arbeiter, aber doch für die geringen Bedürfnisse
derselben ausreichend“ !).
In den anderen europäischen Staaten ist die Arbeiterlage teil-
weise ähnlich wie in Deutschland, teilweise gestaltet sie sich minder
günstig als hier. Zu den ersteren gehören wohl Frankreich und
Belgien, die zweite Gruppe bilden Oesterreich, Italien und Ruß-
land. Die Ausbreitung des Großbetriebs einerseits, die Stärke der
Arbeiterklasse andererseits bilden, wie oben betont, die zwei
wichtigsten Momente, durch welche dieser Unterschied verursacht
wird. In England wie den Vereinigten Staaten Nordamerikas bildet
der fabrikmäßige Großbetrieb die herrschende Produktionsweise und
seine Arbeiter sind gut organisiert — hier wird daher in der In-
dustrie regelmäßig der volle Arbeitsertrag ausbezahlt. In Deutsch-
land — auch in Frankreich, Belgien — wird das Gewerbe noch zum
bedeutenden Teile hausindustriell betrieben, und auch innerhalb der
Fabrikindustrie ist Großbetrieb wie feste Arbeiterorganisation nicht
überall anzutreffen, daher sich nur gewisse Zweige als solche
charakterisieren lassen, in denen kein Gewinn aus der ausführenden
Arbeit des Lohnarbeiters bezogen wird, während in anderen dieselbe
zwar eine viel spärlichere als früher, jedoch noch immer mehr
oder minder reichlich fließende Quelle darstellt. In den übrigen
europäischen Staaten sind die Arbeiterkoalitionen entweder direkt
verboten, wie in Rußland, oder wie in Oesterreich, Italien ihrer Be-
tätigung durch polizeiliche Verfügungen wie Strafgesetze so enge
Schranken gesetzt, daß von einem wirklich freien Arbeitsvertrag wohl
kaum die Rede sein kann. Zugleich ist in Oesterreich, Rufland,
Italien, der Schweiz u.s. w. die fabrikmäßige Betriebsweise zur Zeit
noch weniger ausgebildet als in den vorgenannten Staaten: die
Arbeiterschaft der Fabriken macht nur den geringeren Teil der ge-
samten Arbeiterklasse des Landes aus und nur die allergrófiten
Betriebe sind hier in technischer Hinsicht so weit, daß sie auf die
ausführende Arbeit als Gewinnquelle zu verzichten imstande sind ?).
1) Zeller, Die Lage der industriellen Arbeiter in Süddeutschland und das Arbeiter-
schutzgesetz vom 1. Juni 1891. Tübingen 1892, S. 52, 93ff., 97.
2) Daß die physische Arbeit in den Riesenbetrieben keine Quelle des Kapitalzinses
bildet und überhaupt als Quelle des Gewinnes mit der Größe der Unternehmung abnimmt,
ersieht man aus folgenden Angaben, die der Enquete des franzósischen Office du travail
über Löhne und Arbeitszeit in der Industrie entnommen sind. Während die Arbeitszeit in
Frankreich durchschnittlich 11 Stunden in Betrieben mit 25 und weniger Arbeitern be-
trägt und fast ebensoviel in Großbetrieben mit 25—-1000 Arbeitern (10 9], Std.), macht sie
in Riesenbetrieben, die 1000 und mehr Arbeiter zählen, nur 9'/, Stunden aus. Dagegen
beträgt der Arbeitslohn für männliche Arbeiter: in Unternehmungen von 1—24 Arbeitern
3.15 fres. täglich; in Betrieben von 25— 99 Arbeitern 3,55 fres.; in Betrieben von
100—499 Arbeitern 3,85 fres.; in Betrieben von 500—999 Arbeitern: 3,80 fres., je-
doch steigt er auf durchschnittlich 4,45 fres. in Riesenbetrieben von 1000 Arbeitern
und darüber. Die weiblichen Arbeiter erhalten 1,60 fres. in Betrieben bis 25 Arbeiter,
1,80 fres. in Betrieben von 25—999 Arbeitern und 2,15 fres. in Betrieben mit 1000
und mehr Arbeitern, (T. IV, 1897, Resultats généraux.)
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 311
Jedoch ist in den letzten Jahrzehnten auch hier ein bedeutender
ortschritt zu verzeichnen: aus der erheblichen Lohnsteigerung so-
wohl als der Reduzierung der Arbeitszeit, welch letztere zwar den
Ertrag nicht vermindert hat, jedoch nur deswegen, weil an Stelle
des Arbeiters eine vollkommenere Maschinerie getreten ist!) -- daraus
Önnen wir den Schluß ziehen, daß das Mehrprodukt, welches aus
P hysischer Arbeit stammt, auch hier geringer geworden ist und viel-
cht wird das neue Jahrhundert auch in diesen Staaten das Recht
Wf den vollen Arbeitsertrag — wenn man das Wort richtig auflaßt
— allmählich zur Verwirklichung bringen können.
XI.
Die Herleitung des Kapitalzinses aus mehreren verschiedenen
Quellen hält Bóhm-Bawerk für eine Unmöglichkeit. Der Zins kann
nach ihm nur eine einheitliche Erklärung haben, er muß immer aus
einer und derselben Quelle fließen. Unter den neueren Theorien
des Kapitalzinses, welche mehrere Quellen desselben finden, wendet
sich Böhm-Bawerk — in seinen „Strittigen Fragen der Kapitals-
theorie^ — namentlich gegen die von Dietzel und Lexis auf-
gestellten. Was Dietzel betrifft, so fällt es ihm in der Tat nicht
schwer, denselben zu widerlegen. Denn dasjenige, was Dietzel beweist,
bezieht sich gar nicht auf den Kapitalgewinn, auch nicht auf dessen ab-
geleitete Form, den Zins im Produktivkredit. Wenn Dietzel nämlich
verschiedene Quellen des Zinses findet, den das Haus seinem Eigentümer
trägt, je nachdem dasselbe an einen Arbeiter oder einen Kapitalisten
(Rentner, Unternehmer) für die eigene Wohnung, nicht für das Geschäft
vermietet wird 2), so handelt es sich hierbei um den Konsumtivkredit,
der aus dem Einkommen fließt und deswegen verschiedene Quellen
haben muß, je nachdem der Schuldner (hier der Mieter) vom Arbeits-
lohn lebt oder vom Kapitalzins oder von der Grundrente, ganz ebenso
wie auch der Preis, der einem Produzenten oder Händler für dessen
Waren, die zur Konsumtion bestimmt sind, gezahlt wird, aus ver-
schiedenen Quellen herrührt und die Quelle jedesmal von der Art
des Einkommens, das der Käufer (Konsument) bezieht, bestimmt
wird. Im Unterschied davon stammt der Zins im Produktivkredit
nicht aus dem Einkommen, sondern aus dem Gewinn, den das ge-
liehene Kapital dem Schuldner einbringt, und dann ist eben die
Quelle bezw. die Quellen zu finden, aus denen dieser Gewinn
fließen muß.
Nicht so leicht war es für Böhm-Bawerk, mit einem anderen
Vertreter dieser Richtung, mit Lexis, fertig zu werden. Denn Lexis
untersucht den Kapitalgewinn, nicht den Zins im Konsumtivkredit,
und auf richtiger Beobachtung der Wirklichkeit fußend, behauptet
er, daß neben anderen Quellen auch die Arbeit des Lohnarbeiters
dem Kapitalisten seinen Gewinn verschafft. Als besonders ein-
1) Vergl. 8. 300.
2) Göttinger Gelehrte Anzeigen, 1891, No. 33, S. 934 ff.
312 Josef Kulischer,
leuchtende Beispiele führt er nicht bloß den Sklaven an, sondern
auch den Sweater — „die Quelle des Gewinnes ist hier nicht zu ver-
kennen“ 1 Nun kann Böhm-Bawerk zwar nicht leugnen, daß beim
Sweatingsystem der Zins in der Tat aus der Arbeit des Sweaters
stammt, behauptet jedoch, daß im allgemeinen, nämlich für den ge-
wöhnlichen Zustand der freien Konkurrenz, dies nicht zutreffe, indem
der Arbeiter hier das von ihm Produzierte auch vollständig erhalte?).
Dadurch jedoch, daß er das Sweatingsystem als Ausnahme hinstellt,
gibt er zu, daß es verschiedene Quellen des Zinses geben kann: denn
der Sweater ist kein Sklave, der Lohn, den er bezieht, wird auch
nicht einseitig bestimmt, er kommt unter der Herrschaft der freien
(und zwar einer vollständig freien) Konkurrenz zu stande; der
Sweater ist ein Lohnarbeiter, wie jeder andere, nur daß er sich
in einer besonders ungünstigen Lage dem Unternehmer gegenüber
befinde. Man kann das Sweatingsystem als eine besondere Be-
triebsweise bezeichnen, wo ein Mittelsmann zwischen Unternehmer
und Arbeiter tritt, welcher eben den Lohn des letzteren schmälert;
man kann darunter auch nur die Gesamtheit jener Betriebe zusammen-
fassen, wo die Arbeiter besonders schlecht gelohnt werden, aus
ihnen Schweiß ausgetrieben wird: jedenfalls sind aber die Sweater
Lohnarbeiter, und wenn Böhm-Bawerk behauptet, daß es eine Klasse
von Lohnarbeitern gibt, welche durch ihre Arbeit den Kapitalzins
schafft, so gibt er damit zu, daß der Kapitalzins keine einheitliche
Quelle zu haben braucht, nicht in einer „natürlichen“, von Zeit
und Ort unabhängigen Ursache zu suchen ist, sondern in gewissen
realen Zuständen des Wirtschaftslebens, insbesondere in der Stellung
des Arbeiters dem Unternehmer gegenüber; daß also jedenfalls die
Lage der verschiedenen Arbeiterklassen zu untersuchen ist, damit
man ergründen kann, ob es nicht vielleicht auch andere Klassen gibt,
welche sich in einer derartigen Lage, in einer ähnlichen Abhängig-
keit vom Unternehmer befinden.
Eine solche zweite Klasse von Arbeitern, welche dem Unter-
nehmer den Kapitalzins produzieren, bilden die hausindustriellen
Meister. Seit dem 15. und 16. Jahrhundert, wo die Hausindustrie
zuerst auftritt, bis auf heute schaffen sie dem Verleger den Kapital-
zins und werden es wohl auch ferner tun, solange jene Betriebsweise
bestehen wird. Denn wenn der Fabrikant in den Erfindungen eine
neue Quelle des Zinses gefunden hat und sich damit auch begnügen
kann, ohne auch seine Arbeiter den Mehrwert erzeugen zu lassen, so
befindet sich der hausindustrielle Verleger in einer ganz anderen
Lage. Er hat keinen anderen Ausweg, als die (handarbeitenden)
Heimarbeiter eines Teiles ihrer Arbeitsprodukte verlustig zu machen,
da er sich sonst des Gewinnes berauben müßte. Und zwar muß der
Anteil des hausindustriellen Arbeiters am Produzierten mit der Zeit
noch verkürzt werden, weil er nicht bloß dem Verleger, sondern
1) Schmollers Jahrbuch, Bd. 19, S. 335 ff.
2) Böhm-Bawerk, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie. Wien u. Leipzig
1900, S. 115 ff.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 313
auch dem Konsumenten in Form eines immer weiter herabgehenden
Preises einen Teil seines Produkts abgeben muß, was durch den
Niedergang der Zinsquote nur wenig ausgeglichen werden kann.
Denn jenen gesamten Preisniedergang der Gewerbeprodukte, der
sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts vollzieht, hat der Haus-
industrielle zu fühlen; was in der Fabrikindustrie aus dem Produkte
der schöpferischen Arbeit dem konsumierenden Publikum durch den
Preisfall zugeführt wird, das fällt in der Hausindustrie mit der
ganzen Macht auf den armen Meister, bürdet ihm eine Last auf,
unter welcher er in vielen Industriezweigen zusammengebrochen ist.
Nur in einigen Gewerben hält sich noch die Hausindustrie neben der
Fabrik, daß sie diese Konkurrenz — soweit gleiche Waren hier und
dort produziert werden — nicht lange aushalten kann, ist aus dem
Angeführten klar.
Auch in Bezug auf die Arbeiter in den kleineren Fabriken ist
vielfach nicht zu bestreiten, daß die Arbeit auch hier eine Quelle
des Gewinnes bildet, sei es, daß sie die alleinige Quelle desselben
darstellt oder neben der schöpferischen Arbeit den anderen Teil des
Zinses schaffen muß. Der Kaufmann, der solche Waren absetzt, be-
zieht natürlich ebenfalls im Kapitalzinse ein Einkommen, das aus
der Arbeit des Lohnarbeiters stammt, im zweiten Falle aus beiden
Arten von Arbeit, denn er erhält ja einen Teil des Gesamtgewinnes,
in welchen der Unternehmer-Produzent sich mit ihm, dem den Ab-
satz seiner Produkte besorgenden Kaufmann, zu teilen hat. Dort
also, wo bloß schöpferische Arbeit den Kapitalgewinn erzeugt, rührt
auch der kaufmännische Gewinn bloß aus dieser her.
Aus der schöpferischen Arbeit (ausschließlich) stammt aber der
Gewinn nur in der fabrikmäßigen Großindustrie. Soweit die ver-
schiedenen Länder bezw. die einzelnen Industriezweige dieselbe be-
Sitzen, kann in der Tat behauptet werden, daß dem Arbeiter der volle
Ertrag seiner Arbeit zufällt. Diesen Großbetrieb hat wohl auch Böhm-
Bawerk im Auge, wenn er behauptet, daß-unter den gewöhnlichen Ver-
hältnissen der Zins nicht aus der ausführenden Arbeit fließen kann.
Dabei übersieht er nur, daß diese Verhältnisse nicht so allgemein
verbreitet sind, daß der Großbetrieb, wenn er auch stark anwächst,
noch lange nicht den größten Teil der lohnarbeitenden Bevölkerung
beschäftigt. Er irrt aber auch andererseits, wenn er meint, daß es
die vollständig freie Konkurrenz ist, die dem Arbeiter den vollen
Arbeitsertrag gewährt; denn nicht die freie Konkurrenz unter Unter-
nehmern wie Arbeitern und der sog. freie Arbeitsvertrag, der zwischen
dem einzelnen Unternehmer und dem einzelnen Arbeiter abgeschlossen
wird, versetzt den Arbeiter in den Stand, den Arbeitsertrag voll-
ständig zu erhalten, sondern im Gegenteil, der Ausschluß der freien
Konkurrenz, die Zusammenschließung von Arbeitern einerseits, von
Unternehmern andererseits und die Ersetzung des Einzelvertrags
durch den Kollektivvertrag, der von den beiden Verbänden im Namen
ihrer Mitglieder vereinbart wird; während die sog. freie Konkurrenz
notwendig zur Uebervorteilung des Arbeiters seitens des Unter-
314 Josef Kulischer,
nehmers führen muß. Böhm-Bawerk sagt ja selbst, daß „eine außer-
ordentlich lange Reihe von Lohnarbeitern wegen der Unmöglichkeit
ihre Arbeit auf eigene Rechnung lohnend zu verwenden, sämtlich
geneigt und bereit sind, ihr künftiges Arbeitsprodukt gegen eine er-
heblich geringere Menge gegenwärtiger Güter zu verkaufen, z. B.
für das künftige Produkt von 10 fl., das aus einer Arbeitswoche nach
zwei Jahren hergestellt werden kann, ist ein Teil der Arbeiter ent-
schlossen äußersten Falles mit einem Preise von 5 fl., ein anderer
Teil sogar mit nur 2 '/, gegenwärtigen Guldens vorlieb zu nehmen“ 1.
Sind mit 10 fl. und 5 bezw. 2!/, fl. die beiden Grenzen gegeben,
die der Arbeitslohn nicht überschreiten kann, so hüngt es offenbar
von der Macht der beiden Parteien auf dem Markte ab, wie hoch
der Lohn sich tatsüchlich innerhalb dieser Grenzen gestaltet; wührend
bei uneingeschrünkter Konkurrenz unter den Arbeitern der Lohn
sich dem Minimum nähern muß, kann er dort, wo die Arbeiter gut
organisiert sind, ein viel hóheres Niveau erreichen.
Auch Marx kennt eigentlich zwei Quellen des Kapitalzinses,
einen Zins, der aus der Arbeit resultiert einerseits und aus der
Warenzirkulation andererseits. Denn nach ihm gibt es ja Kapitale
von verschiedener organischer Zusammensetzung, von hóherer Zu-
sammensetzung als das gesellschaftliche Durchschnittskapital sowohl
als von niedrigerer Zusammensetzung. In die erste Gruppe fallen
bei Marx bekanntlich Kapitale derjenigen Produktionssphären, die
prozentig mehr konstantes und weniger variables Kapital enthalten
als das gesellschaftliche Durchschnittskapital, zur zweiten gehören
solche, wo umgekehrt das konstante Kapital einen relativ kleineren,
das variable einen relativ größeren Raum einnimmt, als beim gesell-
schaftlichen Durchschnittskapital. Daher ist auch — weil nach Marx
nur das variable Kapital den Mehrwert schafft — bei Kapitalen von
höherer Zusammensetzung der Mehrwert im Verhältnis zum Gesamt-
kapital geringer als beim gesellschaftlichen Durchschnittskapital, da-
gegen ist bei den Kapitalen von niedrigerer Zusammensetzung der
Mehrwert hóher als bei jenem Durchschnittskapital. Da jedoch die
Profitrate durch die Konkurrenz ausgeglichen wird, so muß der
Produktionspreis der Produkte in solchen Produktionszweigen, wo
Kapitale von hóherer Zusammensetzung aufgewandt werden. hóher
sein als der (Arbeits-)Wert der Ware, bei solchen mit Kapitalen von
niedrigerer Zusammensetzung umgekehrt unter dem Werte stehen.
Damit die Profitrate überall annähernd gleich sei, muß im letzteren
Falle ein Teil der Arbeit dem Konsumenten abgegeben werden, im
ersteren, wo der vom Arbeiter produzierte Mehrwert geringer ist als
die Durchschnittsprofitrate, muß der Konsument noch ein Plus hin-
zufügen, d. i. im ersten Falle, bei Produktionszweigen mit relativ
größerem konstanten Kapital resultiert ein Teil des Mehrwerts aus
der Warenzirkulation. Zwar erhält die Gesellschaft, als Ganzes be-
trachtet, ebensoviel Arbeit umsonst durch die Unternehmer, die mit
1) Bóhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins, Bd. II, S. 334, 350.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 315
Kapitalen von niedrigerer Zusammensetzung produzieren, als sie denen,
die mit Kapitalen von höherer Zusammensetzung arbeiten, hinzufügen
muß, also die Kapitalistenklasse als Ganzes dadurch nichts gewinnt,
jedoch wird auf diese Weise die Behauptung von Marx nicht auf-
gehoben, daß es Produktionssphären gibt, deren Gewinn zu einem
mehr oder weniger erheblichen Teile aus dem Warenumsatz entsteht
und vom Konsumenten geleistet wird.
Jedoch kann letzteres für die Gegenwart nicht zugegeben werden.
Unter der Herrschaft der freien Konkurrenz beim Warenabsatz ist
eine solche Entrichtung des Gewinnes durch den Konsumenten ganz
unmöglich. Es sind mittelalterliche Zustände nötig, geschlossene
Stadtwirtschaft und Zunftmonopol, damit man den Konsumenten
zwingen kann, dem Produzenten über dem Arbeitswerte der Ware
zu zahlen. Heute können sich die Unternehmer auf diese Weise
nicht mehr helfen, sie müssen einen anderen Weg einschlagen, um den
fehlenden Mehrwert einzubringen — nämlich den Arbeitslohn nicht
so weit steigen lassen, wie dies in den anderen Produktionszweigen
geschieht. Und solches können wir in der Tat sowohl in der Haus-
industrie wie in den kleineren Fabriken beobachten, und überhaupt
in Produktionszweigen mit wenig fortgeschrittener Technik. Geht
man natürlich von der Voraussetzung aus, daß der Arbeitslohn in
der „kapitalistischen“ Wirtschaft immer und überall gleich sein muß,
so ist eine solche Erklärung unmöglich. Aber der Lohn ist eben
in der „kapitalistischen“ Wirtschaft, denn diese beginnt jedenfalls
seit dem 16. Jahrhundert, verschiedenartig, je nach den Macht-
verhältnissen der Unternehmer und Arbeiter, die sich in dieser oder
Jener Weise gestalten können. Er ist daher ein anderer im 18. Jahr-
hundert, ein anderer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ein
anderer zu Ende des Jahrhunderts. Ebenso weist das Ende des
19. Jahrhunderts eine Verschiedenheit in dem Verhältnis zwischen
Unternehmer und Arbeiter auf, im fabrikmäßigen Großbetrieb einer-
=eits, in kleinen Fabriken wie in der Hausindustrie andererseits. Im
ersten Falle finden wir häufig eine organisierte Arbeiterschaft, welche
e in einheitliches Ganze bildet und eine Konkurrenz untereinander
wait allen Mitteln auszuschließen sucht, im zweiten Falle herrscht
eine ungezügelte Konkurrenz unter den Arbeitern, wie sie zu An-
fang des 19. Jahrhunderts noch überall vorhanden war; daher der
Arbeiter so schwach gegenüber dem Unternehmer, seine Abhängigkeit
so groß: daher der Lohn hier viel niedriger als in der Großindustrie.
XII.
Der Warenpreis kann zwar unmöglich unter den gegenwärtigen
Wirtschaftsverhältnissen über dem Arbeitswerte der Ware stehen,
doch er kann unter denselben fallen, und er kommt um so tiefer
unter den Arbeitswert zu stehen, je größer der technische Fort-
schritt, der im betreffenden Industriezweige gemacht ist. Marx be-
hauptet zwar das Gegenteil, daß nämlich umgekehrt der Preis dort
unter den Arbeitswert sinkt, wo das variable Kapital im Verhältnis
316 Josef Kulischer,
zum konstanten bedeutend ist, also die physische Arbeit nur wenig
durch die Maschine ersetzt ist, und dort über dem Arbeitswerte steht,
wo das umgekehrte Verhältnis vorhanden ist. Dies rührt jedoch,
ebenso wie das Vorhandensein bei Marx dieser zweiten Kategorie
überhaupt, der Kategorie von Waren, deren Preis den Arbeitswert
übersteigt, davon her, daß Marx unter Arbeitswert etwas derartiges
versteht, was keineswegs diesen Namen führen kann.
Nach Marx hat nämlich die Arbeitskraft sowohl einen Kostenwert
(„eigener Wert“) als einen Gebrauchswert. Nach dem ersteren wird
der Arbeitslohn bemessen, der zweite äußert sich in den vom (aus-
führenden) Arbeiter produzierten Waren und dadurch, daß der Ge-
brauchswert den Kostenwert übersteigt, entsteht eine Differenz, welche
den Gewinn des Kapitalisten darstellt. „Der Umstand, daß die tägliche
Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich
die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher
der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft, doppelt
so groß ist als ihr eigener Tageswert, ist ein besonderes Glück für
den Käufer (den Kapitalisten), aber durchaus kein Unrecht gegen
den Verkäufer“). Jedoch auch die Maschine besitzt nach Marx
einen Kostenwert (Tauschwert), der unter ihrem Gebrauchswert liegt,
da „ihre eigene Produktion weniger Arbeit kostet als ihre Anwen-
dung Arbeit ersetzt“. „Die Differenz dauert so lange, als die Arbeits-
kost der Maschine .... kleiner bleibt als der Wert, den der Arbeiter
mit seinem Werkzeug dem Arbeitsgegenstand zusetzen würde. Die
Produktivität der Maschine mifit sich daher an dem Grad, worin sie
menschliche Arbeitskraft ersetzt?). Und anders kann auch die Auf-
fassung von Marx nicht sein: die Maschine muß sowohl einen Kosten-
(Tausch)wert besitzen, welcher der bei ihrer Produktion aufgewandten
Arbeit entspricht und zu welchem die Maschine wie jede andere
Ware erworben wird, als einen Gebrauchswert, der durch den Wert
der ersetzten Arbeitskraft bestimmt wird und notwendig den (Kosten-)
Wert übersteigen muß, damit die Anwendung der Maschine in der
Produktion vorteilhaft sein kann. Weiter macht er aber einen Unter-
schied zwischen der menschlichen (physischen) Arbeitskraft und der
Maschine: in den Wert der Ware kommt zwar der Gebrauchswert der
Arbeitskraft hinein, dagegen der Kostenwert der Maschine, weil die
Konkurrenz den Wert des Produkts so weit sinken läßt, bis jener durch
die Maschine geschaffene Ueberschuß ganz aufgehoben ist. Während
der Kapitalist den Gebrauchswert der Arbeitskraft konsumiert, also
die Arbeitskraft dem Produkte mehr Wert zusetzt als ihre eigene
Erhaltung kostet, ,setzt die Maschine nie mehr Wert zu, als sie im
Durchschnitt durch ihre Abnutzung verliert^?). Die Maschine ist
also nach Marx ebenso produktiv wie die (physische) Arbeitskraft,
nur daß den Vorteil von ihrer Produktivität der Konsument, nicht
1) Marx, Das Kapital, Bd. 1, 2. Aufl., 1873, S. 182.
2) Marx, Bd. 1, S. 407.
3) Ibid., Bd. 1, S. 403 ff.
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 317
der Unternehmer genießt, dem Unternehmer nur die Kosten der
Maschine erstattet werden; derselbe Unternehmer eignet sich den
ganzen Vorteil von der Produktivität der (physischen) Arbeitskraft
an, da er im Preise der Ware viel mehr als die bloßen Kosten der
Arbeitskraft empfängt.
Nun fragt es sich, ob man unter diesen Umständen wirklich be-
haupten kann, daß die Waren nach der in ihnen erhaltenen Arbeit aus-
getauscht werden? Damit dies bejaht werden könnte, müßten offen-
bar beide Arten von Arbeit, sowohl die ausführende (physische)
Arbeit des Lohnarbeiters als die in der Maschine enthaltene und in
ihrer Tätigkeit sich offenbarende schöpferische Arbeit des Erfinders
nach ihrem Gebrauchswert (besser Leistungswert) gemessen, in den
Preis hineinkommen, nach der in den Waren verkörperten Energie
des arbeitenden Menschen, nicht aber nach dem Kostenwert. Im
letzteren Falle, wenn nicht bloß die Maschine, sondern auch die
Arbeitskraft des Lohnarbeiters nur so viel Wert dem Produkte zu-
setzt, als sie durch Abnutzung verliert und als ihre Erhaltung
kostet, müßte der Gewinn des Kapitalisten ganz fortfallen, da ja der
Wert der Erhaltung der Arbeitskraft (der Kostenwert) dem Arbeits-
lohne entspricht, und die Waren würden sich nach den Auslagen
des Kapitalisten auf Lohn wie Produktionsmittel und Rohmaterialien
austauschen. Aber auch der erste Fall, wenn sowohl die Arbeits-
kraft des ausführenden Arbeiters als die des Erfinders, die in der
Maschine ausgedrückt ist, ihren vollen Leistungs(Gebrauchs-)wert der
Ware zusetzen würden, die Konkurrenz eine volle Konsumtion des-
selben seitens des Unternehmers zuließe, wie sie es ja, nach Marx, in
Bezug auf die Arbeitskraft des Lohnarbeiters zuläßt, jener Fall, wo sich
die Waren in der Tat nach dem Arbeitswerte austauschen, ist offenbar
unter den Wirtschaftsverhültnissen des 19. Jahrhunderts unmöglich ;
denn diese Annahme setzt ja voraus, daß von der Einführung der
ZMlaschinen in die Produktion nur der Unternehmer, nicht auch der
Konsument, einen Vorteil gewinnt; daß für den Konsumenten die
Anwendung neuer Erfindungen bedeutungslos bleibt, dagegen die
ganze Differenz zwischen Leistungswert und Kostenwert der Maschine
wn die Hände des Unternehmers gelangt, da eben der Preis trotz der
jortschreitenden Produktionstechnik in diesem Falle keine Verminde-
rung erfährt.
Marx begreift auch, daß eine solche Theorie zu unhaltbaren
Schlüssen führen muß, sucht aber wenigstens einen Teil derselben
zu retten, indem er behauptet, daß der eine Teil, die Arbeit des
ausführenden Arbeiters, in der Tat nach ihrem Werte (Leistungs-
werte) bemessen in den Warenwert (Preis) hineinkommt, während
er die schöpferische, in der Maschine verkörperte Arbeit nur zum
Kostenwerte rechnet und die Schwierigkeiten, die sich daraus für
das Wertproblem ergeben, sollen dadurch umgangen werden, daß
der Begriff der „gesellschaftlich-notwendigen“ Arbeitszeit eingeführt
wird, d. i. jener Arbeitszeit, welche notwendig ist, um irgend eine
Ware „mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktions-
318 Josef Kulischer,
bedingungen“ herzustellen. Sagt man aber, die Waren tauschten
sich im Verhältnis der zu ihrer Produktion gesellschaftlich-
notwendigen Arbeitszeit ein, so heißt dies, daß der Austausch
nach der in ihnen enthaltenen physischen Arbeit erfolgt, wenn
man von der schöpferischen Arbeit absieht und dieselbe
nur nach den Kosten rechnet, die sie dem Unternehmer verursacht.
Indem nämlich die Produktionsbedingungen, d. h. hauptsächlich die
Technik der Produktion als gegeben angenommen werden, wird von
dem zweiten Element, der schöpferischen Arbeit, vollständig ab-
strahiert, obwohl dieselbe ebenso veränderlich ist wie die nachgetane
Arbeit, bei der Warenproduktion der letzteren ebenbürtig zur
Seite steht.
Wie man sieht, sind ,gesellschaftlich-notwendige^ Arbeitszeit und
Arbeitswert überaus verschiedene Größen; entspricht bei Marx der
Tauschwert der zur Produktion der Ware gesellschaftlich-notwendigen
Arbeitszeit, so weicht er bedeutend von dem Arbeitswerte ab, er steht
immer in mehr oder weniger erheblichem Grade niedriger als der Arbeits-
wert, wenn man unter dem Arbeitswert die gesamte sowohl schöpfe-
rische vorgetane wie physische nachgetane Arbeit begreift, die zur
Herstellung der Ware notwendig ist — und anders kann die Auf-
fassung nieht sein, will man konsequent verfahren —, die gesamte in
der Ware verkórperte Arbeitsenergie in diesem Begriffe zusammen-
fat. Diese Abweichung des Tauschwertes (Preises) vom Arbeits-
werte der Ware muß mit der Zeit immer größer werden, da ein
immer größerer Teil der schópferischen Arbeitsenergie an den Kon-
sumenten in Form fortschreitender Preisherabsetzung übergeht. Je
vollkommener nàümlich die Technik wird, desto mehr ausführender
Arbeit wird durch schópferische vorgetane Arbeit ersetzt; der Unter-
schied zwischen der Arbeit (den Kosten), welche die Maschine kostet
und jener, welche sie ersetzt, zwischen dem Kostenwerte und dem
Leistungswerte derselben wird zwar lange Zeit hindurch vom Unter-
nehmer für sich behalten, zuerst ganz, dann zu einem immer geringer
werdenden Teil, jedoch wird der andere Teil, schließlich auch das
Ganze, allmählich dem Konsumenten entrichtet und dies bedeutet,
daß mit der Einführung und Verbreitung jeder neuen Erfindung der
Warenpreis jedesmal weiter unter den Arbeitswert sinkt.
Man braucht also gar nicht darauf hinzuweisen, daß die Theorie
vom Austausch der Waren nach der zur Herstellung derselben „ge-
sellschaftlich-notwendigen Arbeitszeit“ mit den Tatsachen des Wirt-
schaftslebens in Widerspruch steht, um zu zeigen, daß (im :19. Jahr-
hundert) der Warenaustausch unmöglich nach dem Arbeitswerte der
Produkte erfolgen kann, da eben der Arbeitswert einer Ware gar
nicht identisch ist mit der zu ihrer Produktion gesellschaftlich not-
wendigen Arbeitszeit, wie sie Marx versteht, der Arbeitswert viel-
mehr jene Arbeitszeit stets mehr oder weniger übersteigen muß. Ja
noch mehr: ein konstantes Verhältnis zwischen Arbeitswert und ge-
sellschaftlich-notwendiger Arbeitszeit besteht überhaupt nicht. Wie
dieses Verhältnis bei jeder Ware in den verschiedenen Zeitperioden
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 319
ein verschiedenes ist, so ist es auch in jeder gegebenen Periode bei den
einzelnen Waren ein mannigfaltiges; wie der Abstand im Laufe des
19. Jahrhunderts immer größer wird, so ist er zugleich in jedem Zeit-
punkte viel bedeutender bei denjenigen Waren, bei deren Produktion
physische Arbeit in erheblichem Maße durch schöpferische verdrängt
ist als bei den Waren jener Produktionsbranchen, die viel physische
und wenig schöpferische Arbeit in der Produktion anwenden. Nur
in dem Falle, wenn das Kapital in allen Zweigen in gleicher Proportion
aus konstantem und variablem Kapital (im Sinne von Marx) bestände
oder vielmehr wenn das Kapital sich in gleicher Proportion aus
schöpferischer und physischer Arbeit zusammensetzte, nur dann könnte
der Warenaustausch (gesetzt, daß der Preis der gesellschaftlich-not-
wendigen Arbeitszeit entspricht) wenn auch nicht nach dem Arbeits-
werte, so doch in einem konstanten Verhältnis zu demselben stattfinden,
weil dann das Verhältnis zwischen Arbeitswert und gesellschaftlich not-
wendiger Arbeitszeit bei allen Waren ein gleiches wäre. Weil jedoch
das Verhältnis zwischen ausführender und physischer Arbeit in den
einzelnen Branchen ein verschiedenes ist, je nach der Höhe der
Technik, nach dem Grade, in welchem physische Arbeit durch die
Maschine ersetzt ist (weswegen auch hauptsächlich die Zusammen-
setzung des Kapitals in konstante und variable Bestandteile eine
verschiedene ist), so beträgt die gesellschaftlich-notwendige Arbeits-
zeit in gewissen Produktionszweigen viel weniger als in anderen
nicht bloß absolut, sondern auch im Verhältnis zur Höhe des Ar-
beitswertes der betreffenden Ware. Setzen wir nun an Stelle der-
Marxschen gesellschaftlich-notwendigen Arbeitszeit den wirklichen
Marktpreis, der über demselben steht, weil Marx den aus der schöpfe-
Tischen Arbeit resultierenden Kapitalgewinn übersieht, ihn als zeit-
weiligen und vorübergehenden Preisbestandteil betrachtet, während
tatsächlich — wie oben gezeigt — derselbe stets im Preise vorhanden
ist und die letzte Erfindung immer über ihrem Kostenwerte in den
Preis der Ware hineinkommt — so werden wir auch in diesem Falle
sagen müssen, daß der Preis sowohl unter dem Arbeitswerte der
“Ware steht als auch bei den einzelnen Produktionszweigen in einem
Sberaus verschiedenen Maße, daß das Verhältnis zwischen Arbeits-
wert und Preis sich sehr mannigfach gestaltet, indem die Konsu-
menten in dem einen Falle einen viel größeren Teil des Leistungs-
' werts der schöpferischen Arbeit erhalten als in anderen, wo diese
schöpferische Arbeit in nur geringem Grade vorhanden ist.
Mit dem 19. Jahrhundert ist die Preisbewegung in eine neue
dritte Periode getreten. Die erste Periode bildete das Mittelalter,
wo die Preise über dem Arbeitswerte standen, über dem Leistungs-
werte der Arbeit des Zunftmeisters, so daß neben dem Gewinn, den
der Geselle dem Meister verschaffte, auch der Konsument einen solchen
entrichten mußte, was das Zunftmonopol ermöglichte. Die Höhe des
Gewinnes, den der Konsument leistete, wie auch jenes vom Gesellen
erarbeiteten, gestaltete sich überaus verschieden, je nach der Stellung,
welche dieses oder jenes Gewerbe auf dem Markte einnahm, wes-
320 Josef Kulischer,
wegen die Preise in gewissen Fällen den Konsumtionswert, ihre
oberste Grenze, erreichten, in anderen Fällen mehr oder weniger
unter demselben standen, immer aber über dem Arbeitswerte der
Ware. Die zweite Periode, welche das 16.—18. Jahrhundert umfaßt,
wird durch den Wegfall des vom Konsumenten früher entrichteten
Gewinnes gekennzeichnet, durch den Zusammenfall zwischen Ar-
beitswert und Warenpreis, indem nun bloß die Arbeit und zwar die
physische Arbeit die Quelle des Zinses bildet, die Kapitalien ferner
von ähnlicher Zusammensetzung sind und die Konkurrenz noch zu
schwach ist, um die wegen verschiedener Lohnhöhe, Löhnungsweise etc.
entstehenden individuell abweichenden Gewinnraten in eine allgemeine
Durchschnittsrate zu verwandeln. Seit Ende des 18. und Anfang
des 19. Jahrhunderts endlich, womit die dritte Periode beginnt, fällt
der Preis unter den Arbeitswert, indem zur physischen Arbeit noch
die schöpferische hinzukommt, jedoch ein immer größerer Teil des
Leistungswertes dieser letzteren durch den Preisniedergang an
den Konsumenten übergeht. Die Arbeit oder vielmehr die beiden
Arten von Arbeit bleiben nämlich auch jetzt die alleinigen Quellen
des Wertes, weil aber die Kapitalien von verschiedenartiger Zu-
sammensetzung und Dauer sind, der Kapitalgewinn jedoch (in den
verschiedenen Produktionszweigen) einem annähernd gleichen Niveau
zustrebt, so muß in dem einen Falle ein größerer, in dem anderen
ein geringerer Teil des Wertes dem Konsumenten ausbezahlt werden;
der Preis stellt sich in den verschiedenen Industriezweigen bald
“näher, bald weiter vom Arbeitswert der Ware; dieser letztere bildet
aber die oberste Grenze des Preises, welche der Preis nicht über-
steigen kann. In diesem jedesmal weiteren Preisniedergang, in dieser
Entfernung des Preises immer weiter vom Arbeitswert der Ware,
dem Uebergange eines immer größeren Teiles des Arbeitswertes und
zwar hauptsächlich des Leistungswertes der schöpferischen Arbeit
an den Konsumenten liegt der große Kulturfortschritt, den das 19. Jahr-
hundert gebracht hat, indem es nicht bloß den Preis dem Produk-
tionswerte der Ware, der den Auslagen des Unternehmers in der
Produktion entspricht, noch mehr genähert hat, durch weiteren Rück-
gang der Zinsquote; sondern auch den Produktionswert selber, der
in den vorhergehenden Jahrhunderten fast stabil war, bedeutend ver-
mindert hat, damit eine quantitativ größere und qualitativ bessere
und vielseitigere Bedürfnisbefriedigung ermöglicht hat. Viele Waren,
die früher nur zum Konsum der oberen Klassen gehörten, konnten
nun auch von den unteren Schichten der Bevölkerung konsumiert
werden; viele Bedürfnisse, die früher gar nicht oder nur teilweise
befriedigt wurden, gelangten nun zur Befriedigung, neue Bedürfnisse
wurden erweckt und fanden auch ihre Befriedigung mittels der im
Preise immer weiter unter den Arbeitswert herabgehenden Waren.
Schluß.
‚Der Kapitalist-Unternehmer arbeitet als solcher nicht, er erzeugt
in dieser seiner Eigenschaft keine Waren. Denn wenn er daneben noch
Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses. 321
dispositive Arbeiten verrichtet, so bezieht er dafür außerdem ein
besonderes (wenn auch nicht bedungenes) Arbeitseinkommen. Damit
sein Kapital ihm einen Gewinn abwerfen kann, muß er sich also den-
selben von anderen hergeben lassen. Diese anderen Elemente, mit
denen er in Berührung kommt, sind die physischen und geistigen
Arbeiter, die in der Unternehmung oder für dieselbe tätig sind einer-
seits, die Produzenten, die das Rohmaterial liefern und die Konsu-
menten, die das fertige Produkt beziehen, andererseits. Die wirt-
schaftliche Macht des Unternehmers gegenüber jedem dieser Elemente
entscheidet nun, wie das Produkt sich zwischen ihnen verteilt: welche
Elemente gezwungen sind, den Gewinn zu schaffen, ihn dem Unter-
nehmer zu erarbeiten, bezw. aus dem eigenen Einkommen (das aus
verschiedenen Quellen stammen kann) beim Warenaustausch her-
zugeben, welche dagegen stark genug sind, um sich von diesem Zwang
zu befreien, welche endlich eine so große wirtschaftliche Macht dem
Unternehmer gegenüber besitzen, daß sie einen Teil des von anderer
Seite herrührenden Gewinnes von ihm erhalten können. Da der
Kapitalzins ein arbeitsloses Einkommen darstellt, so kann es eben
anders nicht sein — jemand muß ihn dem Kapitalisten liefern; es kann
sich nur darum handeln, wer ihn in den verschiedenen Perioden der
Wirtschaftslebens zu liefern hat.
Und wir haben in der Tat gesehen, daß die Elemente, von denen
der Unternehmer den Kapitalgewinn erhält, sich ändern im Verlaufe
der Geschichte, daß die einen durch andere ersetzt werden, um später
wieder von dritten verdrängt zu werden. Der Kapitalgewinn ändert
eben seine Gestalt im Laufe der kulturellen und wirtschaftlichen
Entwickelung, er läuft mit derselben parallel; er wird ethischer —
wenn man so sagen darf — im Laufe der Zeit, wie auch alles
andere ihn umgebende. Ursprünglich aus dem Raube hervor-
£regangen, wie aus der Sklavenarbeit, ist er in der nächsten Periode
ra och eng mit dem Raube verbunden. Er entsteht durch List und
ESetrug, durch Ausbeutung eines engen Monopols im Handel, bei
Einkauf wie Verkauf der Waren, wie auch beim Absatz von Ge-
w erbeprodukten ; durch herrschaftliche Stellung des Meisters gegenüber
wem Gesellen, dem Knechte. Nur allmählich wird das Monopol
im Handel durchbrochen, nur langsam streifen die Beziehungen
des Unternehmers zum Arbeiter ihren herrschaftlichen Charakter
ab, denn noch lange steht der Staat auf seiten der Stürkeren, der
Handelskompagnien wie der Kapitalisten-Verleger, bis er sich end-
lich entschließt, diese Begünstigung aufzugeben und dem freien Walten
der wirtschaftlichen Kräfte das gesamte Wirtschaftsleben, darunter
auch die Bildung des Kapitalzinses zu überlassen. Im Handel kommt
dadurch vollständig freie Konkurrenz zu stande, es treten sich gleich
starke Parteien gegenüber und der aus der Warenzirkulation hervor-
gehende Kapitalgewinn wird allmählich beseitigt; ja es tritt bald der
entgegengesetzte Fall ein, wo der Unternehmer unter dem Drange
der Konkurrenz einen Teil des erworbenen Mehrprodukts dem Konsu-
menten abgeben muß. In den Beziehungen zwischen Unternehmer
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX), 21
322 Josef Kulischer, Zur Entwickelungsgeschichte des Kapitalzinses.
und Arbeiter tritt jedoch nur an Stelle des herrschaftlichen Verhält-
nisses der zwar rechtlich freie, faktisch jedoch unfreie Arbeitsvertrag,
an Stelle des rechtlichen vom Staate verliehenen Monopols ein
faktisches aus der Kapitalmacht des Unternehmers hervorgehendes
Monopol, das ihm ebenso wie das frühere die Macht verleiht,
einen Teil des vom Arbeiter produzierten in Kapitalzins zu ver-
wandeln. Diesem Zustand macht erst die nächste Periode ein
Ende, wo der Staat, der in den vorhergehenden Jahrhunderten auf
seiten der Unternehmer stand, nachdem er die Uebergangsperiode
des laissez-faire durchgemacht, seine neutrale Stellung aufgibt und
zu Gunsten der Schwächeren, der Arbeiter eintritt, auch hier gleiche
Machtverhältnisse zu schaffen sucht, diese Quelle des Zinses eben-
falls versiechen lassen will. Auch der Gewinn, der aus der schöpfe-
rischen Arbeit entsteht, wird vom Staate reguliert: weder soll dem
Erfinder das ganze von der Erfindung Produzierte weggenommen
werden, wie es früher der Fall war, noch soll er das ganze Pro-
dukt seiner Arbeit für sich ausbeuten können — nach einer be-
stimmten Frist, während der er vom Unternehmer entlohnt wird,
geht das Mehrprodukt an den Konsumenten über, nur ein kleiner
Teil bleibt beim Unternehmer zurück. Raub, Monopol und herr-
schaftliche Verhältnisse, Uebermacht des Kapitals gegenüber dem
isoliert dastehenden Arbeiter, endlich freie Konkurrenz im Handel
und staatliche Regelung des Arbeitsverhältnisses in der Industrie —
das sind die Etappen auf dem Wege, den der Kapitalgewinn in
seiner Entwickelung zurückgelegt hat. Unter der gleichen äußeren
Form eines in Gewerbe und Handel vorhandenen arbeitslosen Ein-
kommens war in den verschiedenen Zeiten ein verschiedener Inhalt
verborgen, und bis der Kapitalgewinn jene Stufe erreicht hat, in der
wir ihn heute vorfinden, hat er eine lange tatsachenreiche Entwicke-
lung durchmachen müssen.
J. Barond'Aulnisde Bourouill, Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 393
Nachdruck verboten.
VI.
Die Zuekerfrage in den Parlamenten
Europas.
Prof. Dr. J. Baron d'Aulnis de Bourouill!, Utrecht.
Inhalt. Die Brüsseler Konvention in Belgien, im deutschen Reichstage. Frage
über die Fortsetzung der Kontingentierung im Deutschen Reiche. Die Konvention in
Rom. Gegner der Konvention in verschiedenen Lündern. Die Zuckerfrage im englischen
Unterhause; Verhältnis zu Rußland ; England und die autonomen Kolonien. Die Kon-
vention in den Generalstaaten im Haag und in der Deputiertenkammer in Paris. Gesetz-
vorlage und staafliche Kontingentierung in Oesterreich-Ungarn.
Die Freunde des Friedens im Handelsverkehr sind in der glück-
lichen Lage, auf eine neue Errungenschaft hinweisen zu können. Vor
dem 2. Februar 1903 wurden in Brüssel die Ratifikationen der Kon-
vention zur Abschaffung der Zuckerprämien eingereicht. Ein wichtiges
Werk ist damit geschehen. Die Zuckerindustrie wird am 1. September
in ihre natürlichen Bahnen geleitet. Der Kampf um die Ausfuhr-
Prämien hatte sich im Laufe der Zeit mehr und mehr als gefährlich
für die Industrie selbst erwiesen. Zur Besserung der Lage haben
die europäischen Regierungen amtlich das große Mittel angewendet:
Grleichmachung des Wettbewerbs auf dem Weltmarkt und Wieder-
eröffnung, soweit das möglich ist, der einheimischen kontinentalen
Märkte für den nationalen Verbrauch.
Während der Konferenz in Brüssel war es von vornherein
wänchem klar, daß der Beitritt seitens der Parlamente zu dem am
>. März 1902 abgeschlossenen Vertrag einigen Widerstand finden
würde. Hier mußten naturgemäß die Gegensätze schärfer hervor-
treten als auf der Konferenz selbst. In Brüssel waren Diplomaten
zusammen und Delegierte mit besonderem Auftrag, alles Vertreter
1) Der Verfasser dieses, teilweise schon in der holländischen Monatsschrift de
Economist erschienenen Aufsatzes war bei der Brüsseler Konferenz zur Abschaffung der
Zuckerprämien (Juni 1898 und Dezember 1901 bis März 1902) einer der Delegierten
der niederländischen Regierung. Im Jahre 1899 schrieb er zur Erläuterung der Prämien-
frage ein Buch: Les Primes à l’exportation du Sucre (la Haye, Belinfante frères) und,
nach dem Zustandekommen des internationalen Vertrags, veröffentlichte er, auf Gesuch
einiger Mitglieder der Konferenz, einen Kommentar zum Vertrag (La Convention relative
au régime des sucres, conclue le 5 mars 1902 à Bruxelles, annotée d’après les pièces
officielles, la Haye, Belinfante frères).
Die erste Arbeit wurde im Jahrgange 1900, S. 129 dieser Jahrbücher besprochen,
die zweite in dem Dezemberheft 1902.
21*
324 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
von Regierungen, welche schon dadurch, daß sie Abgeordnete ge-
schickt hatten, bekundeten, in derselben Richtung steuern zu wollen.
In den Parlamenten dagegen waren Gegner zu erwarten. Würden
auf politischem Gebiete die Parteiinteressen schweigen, wo eine Re-
gierung eine Gesetzesvorlage einreicht, welche tief in die ókono-
mischen Interessen der Nation einschneidet, und wo es einer Sache
gilt, „einem internationalen Vertrag“, wie das deutsche Reichstags-
mitglied Richter nachher die Konvention nannte, ,von einer Bedeu-
tung auf wirtschaftlichem Gebiet, wie kaum seit Jahrzenten irgend
ein internationaler Vertrag unter so großen Staaten geschlossen
wurde* ?
Die Schwierigkeiten sind jetzt glücklich überwunden. Wer sich
am wenigsten über den Kampf zu beklagen hat, ist wohl die belgi-
sche Regierung. Schon am 18. Mürz reichte sie der Deputierten-
kammer eine Gesetzesvorlage ein, welche aus einem einzigen Artikel
bestand, zur Gutheißung des Vertrags. Die beigefügte Denkschrift
ist hauptsächlich eine Zusammenfassung der Procès-Verbaux der
Konferenz und fügt diese Beurteilung des Vertrages hinzu: ,Cette
œuvre est le fruit de négociations laborieuses, d'efforts poursuivis
avec persévérance, de concessions réciproques dont A faut savoir
gré aux Gouvernements qui ont répondu à l'appel de notre pays.
Aussi la Convention du 5 mars 1902 doit-elle étre considérée comme
réalisant le plus grand bien que l'on puisse attendre actuellement
d'un accord international en la matière. En ce qui concerne
spécialement l'agriculture elle assure autant qu'il est possible la
stabilité de la culture industrielle de la betterave en la soustrayant
à l'aléa de la politique fiscale des pays étrangers.^ Weiter machte
die Regierung ihr Vorhaben kund, einen Gesetzentwurf einzubringen,
um die Zuckersteuer — jetzt 51 fres. pro 100 kg — auf 15 fres. zu
ermäßigen, und dieselbe nach dem Entrepótsystem zu heben, — also
das System der Steuerberechnung nach dem Saft zu verlassen. An
der Beratung in der Deputiertenkammer im Monat Mai beteiligte
sich nur ein Mitglied, Herr Loran, der den Wunsch nach betrücht-
licherer Steuerermäßigung, als vom Minister vorgeschlagen war, aus-
sprach. Die Gesetzvorlage selbst wurde einstimmig angenommen.
Dies war auch im Senate der Fall, obwohl dort die Diskussion über
den zukünftigen Steuertarif etwas lebhafter war D.
Von einer Agitation in den Kreisen der Landwirte oder der
Fabrikanten ist in Belgien keine Spur vorhanden gewesen. Doch
muß bemerkt werden, daß bei Abschaffung der Prämien die belgi-
schen Industriellen eine beträchtliche Stütze entbehren werden. In
Belgien existiert noch das alte System der Steuerberechnung nach
Saft (prise en charge). Die tatsächliche Ausbeute ist unbekannt.
Bis jetzt ließ man gelten, daß die belgische Ausfuhrprämie ungefähr
5 fres. pro 100 kg betrug. In der letzten Zeit aber wurde von be-
1) Die Diskussionen findet man in „La Sucrerie belge, organe de la Société Générale
des fabricants de sucre de Belgique“ vom 15. Mai und vom 1. Juni 1902.
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas ` 325
wührter Seite behauptet, daf die Menge, welche in den belgischen
Fabriken sich der Steuer entzieht, viel größer ist, als bis jetzt an-
genommen wurde, und daß die Prämie wohl auf 8 frcs. pro 100 kg
zu berechnen sei. Wie dem auch sei, jedenfalls würde in Belgien
eine Bewegung gegen die Konvention vollständig aussichtslos ge-
wesen sein. Der begischen Regierung gereicht es unzweifelhaft zur
Ehre, durch Ausdauer und kluge Politik zu stande gebracht zu haben,
was fast 40 Jahre lang auf verschiedenen internationalen Konferenzen
vergebens versucht worden war.
Der talentvolle erste Minister, Graf de Smet de Naeyer, hatte
mehr und mehr seinen ganzen Willen für die Erreichung des Zweckes
eingesetzt. Als in der letzten Konferenzsitzung am 5. März seine
Exzellenz die Worte aussprach: „La Convention qui vient d'étre
signée est une œuvre de solidarité internationale basée sur les
principes les plus rationnels de la science économique. C'est aussi
en un certain sens, une œuvre de paix, car en proscrivant le système
des primes, elle condamne la forme la moins justifiable du protection-
nisme, sa forme agressive“, da konnte man in jenen Worten den
Ausspruch des ganzen belgischen Kabinetts sehen, von der über-
großen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Da zugleich die ge-
wöhnliche Oppositionspartei in Belgien immer am kräftigsten gegen
die Zuckerprämien protestiert hatte, waren schließlich alle Parteien
über die Sache einig. Einer solchen Krüftevereinigung gegenüber
würe seitens der Industriellen jede Opposition von vornherein hoff-
ungslos gewesen.
Anders schien sofort (im Mürz) die Lage im Deutschen Reich
zu sein. Die Reichsregierung wurde durch die Parteiverhältnisse
im Reichstage mit einigen Schwierigkeiten bedroht, als in Berlin die
Nachricht eintraf, daß in Brüssel auch von den deutschen Delegierten
«ler Vertrag unterzeichnet sei. Die Vertreter der Prämien erwogen
sofort, ob eine Verwerfung des Vertrags geraten sei. In der Welt-
p»roduktion spielt Deutschland eine Hauptrolle. Von den 10 600000
Tonnen, welche das Betriebsjahr 1901— 1902 im ganzen lieferte, sind
neicht weniger als !/, (nämlich 2300000 t) deutscher Herkunft. Die
Ssblehnung des Vertrags in Deutschland würde die Frage veranlaßt
Waben, ob England es für geraten hielte, den deutschen Zucker mit
einem der deutschen Prümie gleichstehenden Zoll zu treffen, eine
Frage, die wieder davon abhüngig gewesen würe, ob England auf
zureichende Zufuhr von Kolonialzucker und von franzósischem,
niederlàndischem und belgischem Zucker rechnen, also die Einfuhr
deutschen Zuckers entbehren konnte. Hätte England jenen Kampf
angenommen, dann würden für Java und Holland goldene Tage an-
gebrochen sein. Wäre aber die Ablehnung des Reichstages das
Zeichen für einen allgemeinen Rückzug gewesen, dann hätten die
deutschen Raffineure und Fabrikanten, die ja aus ihrem Kartelle Ge-
winne genießen, den Sieg davon getragen. Denn daß das Zucker-
kartell zur Ablehnung des Vertrags alle Krüfte anspannen würde —
eines Vertrages, der den Kartellen ihre ókonomische Grundlage zu
entzi<hen drohte — das war vorauszusehen.
326 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
Freilich, wer die Veröffentlichungen nachliest, sieht nur zu klar,
daß hinter der hoch aufgebauschten Bewegung in Deutschland gegen
die Konvention das Sonderinteresse des Kartells verborgen war.
Herr Dr. Hager, Geschäftsführer des Kartells, zugleich Redakteur
des in mancher Hinsicht vortrefflichen Wochenblatts „Die deutsche
Zuckerindustrie“, hat, sobald die Konvention bekannt wurde,
Vorstellungen hierüber verbreitet, welche die grundsätzlichsten Ent-
gegnungen hervorrufen mußten. Wer wollte ihm Glauben schenken,
wenn er nachher erklärte, die Prämienfrage hätte nur auf die deutsche
Landwirtschaft Bezug’?
Von Anfang an wurden von den Fabrikanten die deutschen
Bauern gegen die Konvention ausgespielt. Obgleich der deutsche
Reichskanzler in der einleitenden Rede bei der ersten Lesung des
Entwurfs am 5. Mai als Folge der Annahme der Konvention lohnen-
dere Preise für die Landwirtschaft in Aussicht gestellt hatte, gelang
es noch im Laufe jenes Monats die Rheinische Landwirtschaftskammer,
die von Brandenburg und den Rheinischen Landwirteverein in Düren
Erklärungen abgeben zu lassen, worin die guten Leute die Konvention
als Verrat der deutschen Landwirtschaft an das Ausland, und als
Ursache des Untergangs der deutschen Rübenkultur stempelten.
Inzwischen war die Regierung nicht müßig. Schon am 29. April
wurde die Gesetzvorlage zur Gutheißung der Konvention und zur
Reform der Zuckersteuer dem Reichstage mit einer meisterhaft ge-
schriebenen Denkschrift vorgelegt. Am 5. Mai hielt der Reichs-
kanzler über die Angelegenheit im Reichstage eine wichtige Rede.
Die Regierung wünschte eine baldige Abstimmung. Die Mehrheit
des Reichstags aber beschloß, die Vorlage an eine Kommission von
28 Mitgliedern zu verweisen. Die Regierung hatte, da von zweifel-
hafter Seite der Vorschlag einer Verweisung an eine Untersuchungs-
kommission gemacht wurde, die Befürchtung geäußert, diese Unter-
suchung könnte vielleicht eine Maßregel zur Verschiebung der Sache
werden. Hierauf wurde feierlich geantwortet, es läge die Absicht
einer Obstruktion nicht vor. So äußerte sich z. B. der Führer der
Konservativen Graf Limburg-Stirum: „Es ist kein Wunsch, die Vor-
lage damit zu verschleppen und unmöglich zu machen.“ Die Re-
gierung aber ließ sich hierdurch nicht in Schlaf wiegen. Um soviel wie
möglich alle Aufschubsargumente der Opposition zu beseitigen, berief
sie sofort Sachverständige nach Berlin. Schon vom 14.—16. Mai
wurden diese von Regierungsbeamten in den Bureaus vernommen.
Als die Kommission am 25. Mai zusammenkam, fand sie einen vor-
trefflich ausgearbeiteten Bericht über die Aussagen von ungefähr
100 Seiten auf dem Tisch.
Das heißt schnell arbeiten! Man vergleiche einmal die Art und
Weise des Arbeitens in anderen Ländern!
Sofort stellte sich in der Kommissionssitzung vom 25. Mai
heraus, wie wenig Wert die früheren feierlichen Erklärungen hatten,
man bezwecke keinen Aufschub der Sache; denn von Mitgliedern des
Zentrums und der konservativen Partei wurde schon am ersten Tag
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 327
der Zusammenkunft der Vorschlag gemacht, die Beratung bis 1. Ok-
tober zu vertagen.
Dies erregte aber einen wahren Sturm. Gedroht wurde mit
einem Vorschlag an den Reichstag, welcher bald zusammenkommen
würde, die Kommission, welche auf diese Weise ihren Auftrag auf-
fassen wollte, durch eine andere zu ersetzen. Der Antrag auf Auf-
schub wurde zurückgezogen, die Untersuchung fortgesetzt. Und
nun errang die Regierung, die durch eine Reihe hoher Beamten ver-
treten war, Sieg auf Sieg.
Man hatte in vom Zuckerkartell beeinflußten Blättern Beschul-
digungen gegen die Konvention veróffentlicht, indem Deutschland
als der Augendiener Englands, die deutschen Delegierten als unfähig
hingestellt wurden. Jetzt aber saßen die Herren an demselben Tisch,
auf dem Exemplare der Aussagen der Sachverständigen der Zucker-
industrie lagen, wonach an der Konvention wenig auszusetzen war.
Auf die Einladung des Präsidenten, die Diskussion anzufangen,
herrschte, der Kölnischen Zeitung nach, minutenlang ein peinliches
Schweigen.
Endlich brachen einige Mitglieder des Zentrums und der kon-
servativen Partei das Eis. Sie baten um Aufklärungen über das
Verhältnis zu Rußland und über die Raffinerien in England; gefragt
wurde, ob diese Raffinerien keine Ausfuhrprämien genössen; ob die
„detaxe“ in Frankreich keine verbotene Prämie enthielte; ob keine
Gefahr drohe seitens einer sich möglicherweise entwickelnden Kon-
kurrenz des Zuckers aus den englischen Kolonien. Die Erklärungen
zeigten sich gleich als befriedigend. Allgemeine Betrachtungen und
besondere Paragraphen wurden abgetan, und schon am Nachmittag
wurde zu den Abänderungen übergegangen, welche die Annahme
der Zuckerkonvention im Steuergesetz nötig machte. Hierbei trat
hauptsächlich eine Frage in den Vordergrund, nämlich die Kontin-
gentierung. Es wurde verlangt, die Regierung sollte auch weiterhin
der Industrie vorschreiben, wieviel Zucker in Deutschland produziert
werden dürfe. In dieser Frage lag ein ganzes politisches Programm
eingeschlossen. Unter dem Vorwand, daß der Staat über die Kon-
kurrenz der deutschen Fabrikanten unter sich zu wachen hätte, wurde
in der Kommission ein Vorschlag durchgesetzt, der ungemein einem
Versuch ähnelte, die Kartelle auf Staatskosten weiterzuführen, nach-
dem sie, dank der ansehnlichen Herabsetzung der Einfuhrsteuer, un-
möglich geworden waren in Form einer freiwilligen Association, welche
die Kosten ihrer Einrichtung selbst bezahlt.
Für diejenigen, die sich für ökonomische Fragen interessieren
und die einen Einblick in das Treiben der Kartelle zu erlangen
SES werden wir diese Verhältnisse deutlich zu machen ver-
suchen.
Die Diskussion über die Kontingentierung wurde im Reichstags-
ausschuß an die über die Surtaxe, d. h. die Einfuhrsteuer geknüpft,
welche bei Einfuhr über den Betrag der Accise hinaus bezahlt werden
muß. In Deutschland beträgt die Accise 20 M. und der Ueberzoll
328 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
ebenfalls 20 M., alles pro 100 kg. In der Konvention wurde dieser
Ueberzoll auf 6 fres. (4,80 M.) für Raffinade und auf 5,50 fres.
(4,40 M.) für Rohzucker herabgesetzt — aber es steht natürlich
jedem zutretenden Staate frei, einen niedrigeren Betrag oder gar
keinen Einfuhrzoll zu erheben. Hinter der Mauer des Ueberzolls
hatte sich in Deutschland im Jahre 1900 ein mächtiges Kartell ge-
bildet, welches die Raffineure und die Fabrikanten umfaßt, und dieses
Kartell hatte, durch Beschränkung des Angebots von Raffinade im
Inland, den Zuckerpreis in Deutschland um 16 M. pro 100 kg erhöht.
Wer also in Deutschland Zucker einführt, erhält bis auf 4M. in dem
hohen inländischen Preise den von ihm bezahlten Ueberzoll zurück.
Der tatsächliche Schutz, so drückte die Regierung es aus, war, Statt
20 M. 4 M. geworden. Das Hinauftreiben des Preises hatte Ver-
brauchsminderung im Inland und Rückgang des Steuerertrages hervor-
gebracht. Hauptsächlich die Sozialisten im Reichstage konnten der
Worte nicht genug finden, um die Folgen dieses Ueberzolles zu ver-
urteilen. Und die Regierung selbst, ohne sich viel über Theorien
zu äußern, hatte auf der Brüsseler Konferenz dem Drängen Englands,
Frankreichs und Belgiens nachgegeben, durch Ermäßigung des Ueber-
zolls den Lebensfaden des Kartells abzuschneiden.
Aus verschiedenen Gründen hielt es aber die Regierung nicht
für geraten, jetzt die Ermäßigung des Ueberzolls weiterzuführen, als
bis zu der durch die Konvention festgestellten Grenze. Wäre das
nicht eine Herausforderung gewesen? Die Regierung hatte ja immer
gezeigt, daß sie, um den Weltmarkt für die deutsche Zuckerindustrie
zugänglich zu halten, manchen Forderungen seitens Englands nach-
zugeben gewillt war. Hiermit wäre es nicht zu vereinigen gewesen,
wenn sie im Sinne der Freiheit von Einfuhr weitere Schritte getan
hätte als die, wozu sie durch die Konvention gezwungen war.
In der Kommission wurde jetzt die Frage aufgeworfen, ob wirk-
lich bei dem erniedrigten Einfuhrzoll kein Kartell in Deutschland
mehr möglich sei. Die vernommenen Sachverständigen hatten fast
einstimmig verneinend geantwortet. Der Abgeordnete Dr. Theodor
Barth, Mitglied des Reichstagsausschusses, hatte sich aber noch nicht
beruhigt. Er schlug Herabsetzung des Zolles vor bis 2,80 M. auf
Raffinade und 2,40 M. auf Rohzucker: auf beide Sorten also 2 M.
weniger. Und hierbei wies er auf die Tatsache hin, daß Deutsch-
land viel mehr Zucker produziert, als es selbst nötig hat, und also
stets ein Ausfuhrland bleiben wird. Denn Ausfuhr und Einfuhr
stimmen nur sehr vorübergehend und in beschränktem Maße zu-
sammen. Man führt ja aus, weil anderswo der Preis höher ist, als
im eigenen Land. Aber dann werden die Besitzer von Zucker-
vorräten aus allen Gegenden ihre Ware lieber anderswo hinschicken,
als nach dem Lande, wo der Preis niedriger ist. Der Zucker strömt
stets dem höchsten Markte zu. In den Produktionsländern ist der
Preis fortwährend niedriger als anderswo, weil in diesen Ländern
die Quellen des Angebots fließen. Was bedeutet denn eigentlich ein
Einfuhrzoll in Deutschland? fragte Dr. Barth. Tatsächlich nichts.
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 329
Dieser Zoll wäre eine Verteidigung gegen eine nur in der Einbildung
vorhandene Gefahr. Der Verteidiger der Einfuhrsteuer — sagte
Dr. Barth später im Reichstage — meint einen Paradiesvogel in der
Hand zu haben, hat aber nur einen gemeinen Spatzen. Das Einzige,
was Einfuhrzölle auf Zucker bewirken können, ist die Gelegenheit
ein Kartell zu eröffnen. Sie können also nur Uebles stiften.
Die hier von Dr. Barth aufgeworfene Frage ist von beträchtlicher
Tragweite. Auch für die Niederlande hat sie Bedeutung bekommen,
seit hier seitens der Fabrikanten auf Festsetzung eines Ueberzolls
gedrungen wird. Bemerkenswert war es aber, daß in den Nieder-
landen kein eigentlicher Ueberzoll existiert. Im Hinblick hierauf
hatte die deutsche Regierung, festhaltend an der Grenze der Kon-
vention, in ihrer Denkschrift auf die Erfahrung in Belgien und Holland
hingewiesen, wo die Einfuhrzölle teilweise niedriger waren als jene
Grenze oder gar nicht existierten, und wo von einer die nationale
Industrie bedrohenden Einfuhr nichts gespürt worden war. Es war
hinsichtlich der zu erwartenden Diskussion in Deutschland, daß
Dr. Barth in seiner Wochenschrift „Die Nation“ vom 24. Mai,
kurz vor der Zusammenkunft der Kommission, einen Aufsatz von
mir über die Einfuhr von Zucker in die Niederlande, nämlich von
Kolonialzucker, erscheinen ließ.
Vielleicht liegt es an mir, aber weder in den Aussagen der
Sachverständigen noch in dem Berichte der Kommission noch in
den Reichstagsdiskussionen habe ich eine entscheidende Beweisführung
angetroffen zur Widerlegung der Meinung, daß in Ländern, welche
mehr produzieren als zum Selbstgebrauch nötig ist, Ueberzölle als
Abwehrmittel gegen Einfuhr überflüssig sind. Bei den Verfechtern
der Ueberzölle bleibt in ihren Schriften Furcht vor Einfuhr, besonders
kolonialen Zuckers, immer der Amboß, worauf gehämmert wird. Im
Reichstage hat die nämliche Spukgestalt fortwährend Dienste ge-
leistet, und man hat sich selbst auf eine Anzeige in der Kölnischen
Zeitung berufen, worin ein Anonymus Agenten zur Einfuhr von
Rohrzucker in Deutschland suchte (Rede des Dr. Bieber, 10. Juni)!
Der Vorschlag des Dr. Barth, des „Speakers‘‘ der freisinnigen
Partei, wurde im Reichstage verworfen. Derselbe war von vornherein
verurteilt. Das Zentrum, die Konservativen, und alle die protek-
tionistisch angehaucht waren, erachteten es als ,selbstredend", dafi
der Ueberzoll auf der äußerst erlaubten Grenze stände.
Fragt man, was der eigentliche Grund hiervon war, dann findet
man die Antwort in einem in konservativen Kreisen ausgearbeiteten
und, wie es scheint, zuerst in Wien von einem Mitgliede des öster-
reichischen Parlaments ausgebrüteten Gedanken. Dieser Gedanke
wurde im deutschen Reichstagsausschuß bekannt gemacht durch Herrn
Müller-Fulda (konservative Partei) und lautete: das Reich möge in
den ersten 5 Jahren nach dem 1. September 1903 nur eine vom
Reich bestimmte Produktion erlauben, welche über alle bestehenden
Fabriken nach gewissem Maßstabe zu verteilen sei, mit dem Verbot
neue Fabriken zu gründen, ein Verbot in dem Sinne nämlich, daß
330 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
die neuen Fabriken kein Kontingent erlangen sollten. Das Verbot,
das zugewiesene Kontingent zu überschreiten, sollte vermittelst der
Steuerschraube gehandhabt werden, namentlich durch Zuschlagsteuer
für diejenigen Mengen, welche über das gestattete Maß hinaus pro-
duziert würden. Eine neue Fabrik also würde auf ihre Gesamt-
produktion die Zuschlagsteuer zahlen müssen, weil ihr überhaupt
kein Kontingent in der nationalen Produktion zugewiesen war.
Um die Bedeutung dieses merkwürdigen Produktes legislativer
Phantasie zu würdigen, muß man eingedenk sein, daß schon jetzt in
Deutschland eine Kontingentierung existiert. Sie dient dazu, das
Reich, das ja auf jede ausgeführten 100 kg eine Prämie von 2,50 M.
und mehr bezahlt, gegen die Kostspieligkeit eines starken Anwachsens
der Ausfuhr zu schützen. Sobald die Ausfuhr das Gesamtkontingent
überschreitet, erhebt das Reich vom Surplus der Ausfuhr eine Zuschlag-
steuer zum nämlichen Betrag der Ausfuhrprämie. Das Surplus ver-
läßt also ohne Prämiengenuß das Land. Dank dieser Anordnung,
werden Prämien nur für diejenigen Quantitäten gezahlt, womit das
Gesamtkontingent den inländischen Verkauf überschreitet).
Kehren wir jetzt zurück zu dem, was in der Kommissionssitzung
vorfiel, als die Fortsetzung der Kontingentierung beantragt wurde.
Die Reichsregierung machte natürlich gleich darauf aufmerksam,
daß mit der Abschaffung der Prämien die Kontingentierung jeden
Sinn verloren hätte. Sie wies auf das Erstaunliche des Gedankens
hin, während alle anderen Länder der Zuckerindustrie freie Ent-
wickelung gewährten, diese in Deutschland zu beschränken. Im Aus-
lande würde man die deutsche Beschränkung auf dem Gebiete der
internationalen Konkurrenz wahrscheinlich mit Freude begrüßen. Ob
hiermit aber dem deutschen Unternehmungsgeiste gedient wäre, wäre
eine zweite Frage.
Trotz alledem nahm schließlich nach wiederholten Versuchen,
einen haltbaren Kontingentierungsplan zu formulieren, eine zufällige
Mehrheit in der Kommission in einer schlecht besetzten Sitzung den
Plan an, daß die Regierung im Jahre 1903—1904 das nämliche
Kontingent, wie in dem letzten Jahre des Prämiensystems 1902—1903,
feststellen, und daß alle Produktion über die angewiesene Quantität
hinaus, sowie die volle Produktion jeder neuen (seit der Bekannt-
machung des Gesetzes gebauten) Fabrik einer Zuschlagsteuer von
4.40 M. per 100 kg unterliegen sollte.
Der Bericht des Ausschusses war am 7. Juni fertig geworden
und schon am 9. Juni fingen die öffentlichen Beratungen im Reichs-
tage über die Konvention an. Für die Konvention an sich erklärte
sich bald eine überwältigende Mehrheit. Aber die Hauptfrage war
die Fortsetzung der Kontingentierung. Diese wurde Gegenstand
heftiger Debatten. Es galt in erster Reihe die Interessen der Land-
wirtschaft, welche hier Gefahr liefen. Die Rübenkultur würde ja bei
1) Die Berechnung des Gesamtkontingentes geschicht nach im Gesetz vom 27. Mai
1896 festgestellten Regeln.
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 331
Beschränkung der Zahl der Fabriken der Gnade der bestehenden
Fabriken überliefert werden. Die Landwirte z. B., die über zu geringe
Bezahlung der Rüben klagten, würden faktisch außer stande sein,
eine kooperative Zuckerfabrik zu gründen (hierauf wies der Ab-
geordnete Richter hin). Das Kontingent würde freilich sehr hoch
gestellt werden — nämlich, nach Angabe des Herrn Staatssekretärs von
Thielmann, auf ca. 2 100000 t, weit über den nationalen Verbrauch.
Aber wenn man auch dadurch nicht geradezu ein Defizit an Zucker
erwarten konnte — die Maßregel der Beschränkung bedeute eine
Versteinerung, eine Petrefaktion der Industrie, sagte der Minister
Posadowsky. Bei der Zuckerindustrie — da man vom Wetter ab-
hängig sei — läge die Möglichkeit vor, mehr zu produzieren, als
worauf gerechnet würde. Eine Zuschlagssteuer (nicht fähig, bei Aus-
fuhr restituiert zu werden!) würde wirken wie Bestrafung eines Ver-
brechens. Aus ganz den nämlichen Gründen würde man allerhand
andere freie Gewerbe fesseln können; und auf diese Weise gewisser-
maßen einen sozialistischen Versuch machen. Und dies — um im
Inlande das Heranwachsen neuer Konkurrenten zu hindern!
Wahrlich, die Gründe gegen den Plan waren so entscheidend,
daß eine ernsthafte Verteidigung fast ganz ausblieb. So legten die
Verteidiger den Nachdruck nur darauf, daß der hohe Betrag der er-
laubten Produktion nie erreicht werden würde. Praktischen Wert
hätte die Sache nicht. „Die Gesamtkontingentierung der Produktion
bleibt ein leeres Wort“, sagte Freiherr von Richthofen. Aber weshalb
denn eine solche beschwerende Arbeit dem Reiche auferlegen? Bei
der Abstimmung an demselben Tage wurde der Plan mit 194 gegen
114 Stimmen verworfen.
Hiermit war die große Niederlage des Zuckerkartells entschieden.
Denn in Wahrheit war der Antrag nur ein Versuch gewesen, auf
Kosten der Regierung ein neues Kartell zu stiften.
In der Regierungsenquete hatte einer der Sachverständigen, Herr
Karcher, das Geheimnis verraten. Dieser hatte gesagt, daß bei Fest-
stellung einer Kontingentierung nach Abschaffung der Prämien ein-
fach die Bausteine zu einem neuen Kartell geliefert werden würden !).
Und das ist auch meine Ueberzeugung.
Die große Schwierigkeit beim Zustandekommen eines Kartells
liegt darin, daß man jedem Teilnehmer einen gerechten Anteil in
der Gesamtproduktion zuweisen muß. Der Anteil muß sich regeln
nach der Produktion, welche jede Fabrik in einer gewissen Reihe
vorhergehender Jahre (z. B. drei) aufzuweisen hat. Er modifiziert
sich nachher im Laufe der Zeit durch allerhand Ereignisse. Unter
diesen Verhältnissen hatte ein nur auf dem bürgerlichen Recht ge-
gründeter Verein in einem großen Lande beträchtliche Ausgaben.
Das in Deutschland bestehende Zuckerkartell hatte bis jetzt von der
Regierungskontingentierung dadurch Vorteil gezogen, daß die staat-
lichen Zuwendungen für die Verteilung der Kartellgewinne unter die
1) Aussagen der Sachverständigen, S. 44.
332 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
Mitglieder als Basis genommen wurde. Hatte z. B. ein Fabrikant,
Mitglied des Kartells, nach amtlicher Berechnung ein Recht auf eine
Produktion von 6000 Tonnen — ein Recht in dem Sinne, daß alle
Mehrerzeugung der Zuschlagsteuer, welche die Ausfuhrprämie aus-
gleichen mußte, unterworfen war — dann hatte dieser Fabrikant,
nach derselben Grundlage, Anteil an dem Kartellgewinne. War z. B.
jene Menge von 6000 Tonnen der Hundertteil des Gesamtkontingents,
dann würde jener Fabrikant auch !/,,, Teil im Kartellgewinne er-
zielen, mit anderen Worten, er würde 6000mal den Kartellgewinn
pro Tonne erhalten. Verkaufte er 6000 Tonnen an eine inländische
Raffinerie, oder verkaufte er sie ausschließlich dem Auslande, das
würe ihm gleichgültig. Denn hatte er mehr als seinen Anteil dem
Inlande verkauft, dann hatte einer seiner Kollegen desto mehr aus-
geführt. Beide Personen hatten auf den Kartellgewinn ein Recht,
im Verhältnis zu dem amtlichen, für jeden berechneten Kontingent.
Führte der erste Fabrikant alles aus, so würde er dadurch seinen
Kollegen in stand gesetzt haben, desto mehr an eine inlündische
Raffinerie zu verkaufen; ergo, er empfing doch seinen Kartellgewinn.
Es ist also klar, daß, ohne die Absicht dazu zu hegen, das
Deutsche Reich, als es im Jahre 1896 die Kontingentierung als gesetz-
liche Mafiregel annahm, damit etwas tat, was der Errichtung eines
Kartells ungemein in die Hand arbeitete. Jetzt würde, der Prümien-
abschaffung wegen, die staatliche Kontingentierung wegfallen kónnen,
aber dann würde das im Jahre 1900 errichtete Zuckerkartell eine
neue und kostspielige Arbeit selbst zu machen haben, um so ver-
drießlicher, weil die Surtaxe bis auf 4,80 M. einzuschränken war.
Fast jeder Sachverständige war der Meinung zugetan, daß die Aus-
gaben des Kartells nicht mehr von dem Gewinne gedeckt werden
kónnten. Nur ein Ausweg konnte Rettung bringen. Wenn das Reich
einmal die Liebenswürdigkeit hätte, die Kontingentierung fortzusetzen ?
Ein neues Kartell würde sich hierbei anschließen können. So würde
der niedrige Ueberzoll doch noch ein Kartell ermóglicht haben, und
dies würde den inländischen Preis dermaßen in die Höhe getrieben
haben, daß der ganze oder fast der ganze Ueberzoll in die Taschen
der Teilnehmer geflossen wäre. Vielleicht würde man auf dem
Brüsseler Areopag — wie im Reichstage die permanente internationale
Kommission für Zuckerfragen genannt wurde — dies alles mit den Be-
stimmungen der Zuckerkonvention wohl in Einklang gefunden haben.
Der schlau erdachte Plan aber fiel im Reichstage. Er wurde
verworfen mit 194 gegen 114 Stimmen.
Mit dieser Niederlage war das Los des ganzen Entwurfes zu
Gunsten der Reichsregierung entschieden. Ueber den neuen Steuer-
satz wurde noch eine finanzielle Debatte eröffnet. Er wurde von
der großen Mehrheit auf 14 M. pro 100 kg festgesetzt, eine Herab-
setzung des gegenwärtigen Satzes also um 6 M. Weiter wurden
einige Nebenfragen behandelt: die Normierung der Steuer im Monat
August 1903; die Steuer auf Glukose; ein Gesetz bezüglich des Ver-
kaufs von Saccharin und anderen Süßstoffen. Und schließlich wurde
die ganze Vorlage mit 209 gegen 103 Stimmen angenommen.
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 333
Kurz nach dem Sieg in dem deutschen Reichstage kam die
Konvention in der Deputiertenkammer zu Rom zur Verhandlung.
Italien führt keinen Zucker aus, ist also bei der Abschaffung der
Ausfuhrprämien nicht gerade interessiert, wünscht aber seine nationale
Industrie gegen Einfuhr zu schützen, und kann also nicht gleichgültig
dagegen sein, daß andere durch Ausfuhrprämien seine Industrie im
eigenen Lande bekämpfen. Italien trat also der Konvention bei und
versprach, Kompensationszölle zu erheben von Zucker aus denjenigen
Ländern, welche das Prämiensystem fortsetzen würden.
Die italienische Regierung aber hat mehr getan, als wozu sie
sich beim Vertrage verpflichtet hatte. Sie hat bei dem Gesetzentwurf
zur Ratifikation der Konvention das System der Steuerberechnung
nach dem Saft ersetzt durch das System von Exercice und Entrepôt
(.fortwährender amtlicher Aufsicht und Niederlage“), d. h. das System
der Steuererhebung nach der wirklichen Produktion, ein Uebergang,
zu welchem die Regierung sich nur verpflichtet hatte, falls aus Italien
Zuckerausfuhr stattfinden sollte. So ist in Italien von vornherein die
Möglichkeit abgeschnitten, daß aus der Steuererhebungsart, in Ver-
bindung mit Steuervergütung bei Ausfuhr, Exportprämien hervorgehen.
Es scheint wirklich, als ob im Jahre 1902 für Abschaffung der
Prämien ein ebenso scharfer Wettbewerb entstand wie früher, die-
selben zu verleihen!
Die Kammer der Deputierten in Rom hat am 28. Juni den Ent-
wurf der Regierung mit 161 gegen 73 Stimmen!) angenommen.
Während der Sommerferien hat in den europäischen Parlamenten
die Zuckerfrage geruht. Im Herbst aber wurden die inzwischen in
Frankreich und Holland ausgearbeiteten Gesetzvorlagen offenkundig.
Auch in Großbritannien bedurfte die Regierung der vorläufigen Zu-
stimmung des Unterhauses zu den gesetzlichen Maßregeln, welche
daselbst von der Ratifikation der Konvention die Konsequenzen sein
würden. Am Schluß des Jahres 1902 wurden auch die Regierungs-
absichten in Oesterreich-Ungarn bekannt.
Ich werde jetzt eine Uebersicht zu geben versuchen, wie die Be-
ratungen im englischen Unterhause, in den niederländischen General-
staaten und in der Deputiertenkammer in Paris verliefen. Haupt-
sache und Hauptzweck hierbei muß es, wie mir scheint, sein, darzutun,
ob irgendwo bei den Debatten eine Unvollständigkeit der Konvention
zu Tage getreten ist.
Diejenigen meiner Leser, die allen Zeitungsnachrichten gefolgt
sind, werden wahrscheinlich auf zwei Streitfragen hinweisen: erstens
ob England dem Vertrage nach verpflichtet sein wird, von dem aus
den englischen autonomen Kolonien herkommenden Zucker kompen-
satorische Zölle zu erheben, insofern diese Kolonien Ausfuhrprämien
gewähren, und zweitens, ob Rußland, angesichts der Bedingung der
1) Journal des fabricants de sucre vom 2, Juli 1902.
334 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
meistbegünstigten Nation — einer Bedingung, welche in den englisch-
russischen Handelsvertrag vom Jahre 1359 aufgenommen ist — mit
Recht behauptet, daß russischer Zucker, bei Einfuhr in Großbritannien,
nicht mit einem Ausgleichszoll belastet werden darf, einem Zoll also,
welchem Zucker aus anderen nicht Prämie gewährenden Ländern
nicht unterworfen sein wird.
Diese zwei Fragen würden gewiß nicht so stark in den Vorder-
grund getreten sein, wie es der Fall gewesen ist, wenn sie nicht mit
Vorliebe von Gegnern der Konvention aufgeworfen und zu Verhält-
nissen, weit über ihre wirkliche Bedeutung hinaus, aufgebauscht
wären. Denn Gegner der Konvention traf man überall. In Deutsch-
land fanden sie ihr Organ im Wochenblatt des unermüdlichen Dr.
C. Hager, „Die deutsche Zuckerindustrie*. Dr. Hager, als
Geschäftsführer des deutschen Zuckerkartells, welches am 1. Sept.
bei dem Inkrafttreten der Konvention, aufgelöst werden wird, würde,
begreiflicherweise, nicht ungern gesehen haben, daß hier oder da der
Konvention ein Hemmnis in den Weg gelegt wäre. In Frankreich
haben die Gegner der Konvention sich bekannt gemacht vermittelst
eingesandter Briefe im Wochenblatt des übrigens der Konvention
freundlich gesinnten Herrn Georges Dureau, „Le Journal des
fabricants de sucre“, und in zahlreichen Zusammenkünften der
Handelskammern und anderer Vereine. In England hat sich der
Widerstand gegen die Konvention in den Schriften des Cobden Club
in Tageblattartikeln, z. B. in Daily News, Daily Mail und
Commercial Business, und ferner in der Organisation einer
kräftigen Minderheit im Unterhause kund getan. Auffallend ist es,
daß überall der Aerger über die Konvention sich durch persönliche
Angriffe gegen die Delegierten, die der Konferenz beigewohnt hatten,
Luft gemacht hat. Die Beschuldigungen gegen die deutschen Dele-
gierten habe ich schon erwähnt. In Frankreich mußten der frühere
Finanzminister, Herr Caillaux, und seine Beamten es entgelten:
„Fonctionnaires dociles choisis pour exécuter des ordres vraiment
stupéfiants“, so wurden sie von Herrn Malleray genannt in einem
offenen Drief an den Finanzminister Rouvier (Journal des Fabricants
de sucre vom 12. Nov. 1902).
In England hieß es, daß Großbritannien bei den Unterhandlungen
betrogen sei, in Deutschland, daß das Deutsche Reich der Augendiener
Englands geworden wäre; in Frankreich, daß die französischen Inter-
essen ungeschützt geblieben seien „contre l’habilet@ triomphante de
nos rivaux d’Outre-Rhin.“ Jedes Land der Reihe nach ist vorgestellt
worden als Dupe der Diplomatenkunst anderer. Glücklicherweise
kommt schließlich der einfache Gedanke zur Geltung, daß kein Land
einen wichtigen Traktat schließt, ohne dabei seine eigenen Interessen
zu vertreten, und daß, aller Wahrscheinlichkeit nach, in dem vor-
liegenden Falle auch jeder gute Gründe gehabt haben wird, der
Konvention beizutreten. Sieht man näher zu, erkennt man diese
Gründe auch bald.
Selbst in Großbritannien, dem Lande, welches vermittelst der
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 335
Prämien anderer Nationen billigen Zucker verbraucht, selbst da
liegen diese guten Gründe auf der Hand. Auf der Brüsseler Kon-
ferenz hatte die englische Delegation unumwunden erklärt, der
Zweck der englischen Regierung sei, dem unlauteren Wettbewerb,
welcher die englischen westindischen Kolonien mit dem Untergange
bedrohte, ein Ende zu machen; schon früher wurde auch auf den
Rückgang der englischen Raffinerien hingewiesen, in Vergleich mit
den prämiegenießenden Raffinerien des Festlandes. Dies war schon
im Jahre 1887 für die britische Regierung der Grund gewesen, eine
Zuckerkonferenz nach London zusammenzurufen. Jene Gründe
hatten in den letztverflossenen Jahren durch die steigende Not der
genannten Kolonien und die engere Verbindung zwischen den eng-
lisehen Kolonien und dem Mutterlande neue Kraft gewonnen. Es
war deshalb nur natürlich, daß diese Motive Hauptthema wurden des
beredten Vortrags des Handelsministers (President of the Board of
Trade) Gerald Balfour am 24. Nov. im Unterhause zur Verteidigung
des Regierungsantrages, „das Haus soll die in der Brüsseler Kon-
ferenz befolgte Politik gutheißen und bereit sein, für den Fall der
Verleihung der nötigen Ratifikationen, die Maßregeln zur Ausführung
ihrer Bestimmungen zu treffen“. Bei der Debatte!) fand man einer-
seits diejenigen geschart, welche billigem Zucker für die englischen
Konsumenten den Vorzug gaben, andererseits diejenigen, welche im
Interesse der Kolonien und der britischen Raffinage auf dem Zucker-
markte Rückkehr verlangten zu gleichen Produktionsbedingungen
auf dem internationalen Markt, Gleichheit in dem Sinne, daß dem
Rübenzucker weiterhin keine fiskalen Begünstigungen verliehen werden
sollten. Die Gegner der Konvention führten bei dieser Gelegenheit
eine neue Beschwerde an. Rußland und die Schweiz stehen beide außer-
halb der Konvention, so sprachen sie. Jetzt wird Rußland seinen prämi-
ierten Zucker nach der Schweiz bringen können, wo große Jam- und
Konservenfabriken sind. Auf diese Weise würde also die Schweiz
dank der russischen Prämie die der Konvention beigetretenen Länder
mit solchen Fabrikaten überfluten können.
Die Antwort des Herrn Balfour lautete, daß bis jetzt von Ver-
sendung russischen Zuckers nach der Schweiz nichts zu merken
wäre, und daß, falls diese künftighin stattfinden sollte, die permanente
internationale Kommission die nötigen Maßregeln treffen würde.
Hiermit war das scharfsinnig erfundene Schreckensbild wieder in
das Reich der Einbildung zurückgewiesen. Denn, laut ausdrücklicher
Bestimmung in Artikel I, werden alle Produkte, wie Konfituren, die
in höherem Grade Zucker enthalten, dem Zucker, dessen Prämien
von der Konvention bestritten werden, gleichgestellt. Der russische
Zucker, den Vertragsstaaten auf diese Weise über die Schweiz zu-
geführt, würde mit Ausgleichszoll getroffen werden können. Man
möchte meinen, daß ein Ausgleichszoll nicht erhoben werden könnte,
1) Als Quelle über die Debatten ist von mir benutzt der ausführliche Bericht des
Tageblatts The Times, vom 25. Nov. 1902.
336 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
weil in den angedeuteten Konfituren das Element russischen Zuckers
schwerlich berechnet werden kann. Dies würde aber eine tatsäch-
liche Streitfrage sein, über welche die permanente Kommission ex
bono et aequo entscheiden kann. Zur Anwendung der Ausgleichs-
zölle ist nicht erforderlich, daß das Land, welches einführt, zugleich
das Land der Herkunft sei. Russischer Zucker also, welcher über
die Schweiz in die Vertragsstaaten eindringt, kann diesen Zöllen
unterworfen werden.
Eine zweite Beschwerde gegen die Konvention galt dem Ver-
hältnis zu Rußland. Das russische Reich nämlich hat seit 185% einen
Handelstraktat mit Großbritannien, worin die Vertragsstaaten sich
verpflichten, ihre gegenseitigen Erzeugnisse zum Zollsatz der meist-
begünstigten Nation hereinzulassen. Die Einfuhren von Rußland
in das Vereinigte Königreich können also nicht mit höheren Steuern
getroffen werden als die von irgend einem anderen Land.. Nun
wurde die Frage aufgeworfen, ob England, unter Beibehalt jenes
Handelsvertrages, dem Art. 4 der Zuckerkonvention Folge leisten
könnte, nach welchem Artikel der aus Prämie gewährenden Staaten
stammende Zucker wenigstens mit einem Ausgleichszolle besteuert
werden sollte, Es ist nämlich Tatsache, daß England Zucker aus
Rußland bekommt, und, in Hinsicht auf frühere Beratungen über
die Frage, ob russischer Zucker Ausfuhrprämie genießt, liegt die
Möglichkeit vor, daß die permanente Kommission in Brüssel die
Frage bejahend beantworten werde Kaum war denn auch die
Brüsseler Konvention unterzeichnet, da sandte die russische Re-
gierung den Vertragsstaaten eine Note!), in welcher sie ihre frühere
Verneinung, Prämien zu gewähren, wiederholte, und ferner „um
wenig wünschenswerten Komplikationen vorzubeugen“, auf die be-
stehenden Handelsverträge verwies, „laut welchen für Produkte
russischer Provenienz kein anderer oder höherer Zoll als für Pro-
dukte der am meisten begünstigten Staaten erhoben werden kann.
Dieses Prinzip der Meistbegünstigung ist in den Verträgen durch
nichts beschränkt und bedingt und müßte die russische Regierung
eine Tariferhöhung für russischen Zucker als Vertragsverletzung
ansehen, wenn auch in Rußland der Zuckerexport durch Ausfuhr-
prämien begünstigt würde, was in Wirklichkeit keineswegs der
Fall ist.
In Bezug hierauf.wurde im Unterhause die Frage gestellt, ob
nicht die Kündigung des Handelsvertrags von 1859 seitens Englands
nötig sein würde, und ob jene Kündigung den Handelsverkehr mit
Rußland nicht so lockern würde, daß es vorteilhafter wäre, die
Brüsseler Konvention nicht zu ratifizieren.
Die englische Regierung verwies in ihrer Antwort bezüglich
Rußlands auf ein Antezedens. Als nämlich im Jahre 1899 die
englisch-indische Regierung auf prämiierten Zucker Ausgleichszölle
j 1) Man findet die Note in den Fachblättern und in der „Volkswirtschaftlichen
Chronik“ von Conrads Jahrbüchern, Juli 1902, S. 251.
iDie Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 337
erheben wollte, wurde auch der russische Zucker tarifiert trotz des
Vorhandenseins eines die Bedingung der meistbegünstigten Nation
enthaltenden Handelsvertrages zwischen Britisch-Indien und Rußland.
Die britische Regierung hatte damals die russische gefragt, ob diese
die Erhebung als dem Vertrage widerstreitend betrachten würde, und
hinzugefügt, daß sie in diesem Falle den Vertrag kündigen wollte.
Hierauf war von Rußland keine Antwort gekommen.
Diese Antwort der englischen Regierung kann den Eindruck ge-
macht haben, daß Rußland sich den Ausgleichszöllen unterwarf,
während doch, wie oben erwähnt wurde, Rußland im Jahre 1902 sehr
positiv solche Steuer als Vertragsbruch bezeichnet hatte. Aber die Ab-
sicht des Ministers kann auch gewesen sein, fühlen zu lassen, daß auf
die russische drohende Note von 1902 schließlich eine sehr nachgiebige
Haltung erwartet werde, da die Note doch viel eher eine allgemeine
Betrachtung über Ausgleichszölle enthielt, als eine positive und
konkrete Antwort auf die schon im Jahre 1899 von England ge-
stellte Frage über den indischen Tarif. Solche allgemeine Betrach-
tungen scheinen öfter benutzt zu werden als Mittel, nichts Konkretes
zu sagen, und doch dem Vorwurf zu entgehen, geschwiegen zu haben.
Um so weniger kann man die Antwort des Handelsministers als eine
Verschweigung der russischen Note von 1902 auffassen, weil diese
tatsächlich allgemein bekannt, ja von allen großen europäischen
Blättern gemeldet worden war. Der Ausschuß des Unterhauses hatte
schon auf die Schwierigkeit der Ausgleichszólle bezüglich der Meist-
begünstigungsklausel hingewiesen: und gewifi würde er das nicht
getan haben, wäre ihm die Note von Rußland unbekannt gewesen;
Rufland war ja das einzige Land, das bis jetzt auf die Schwierigkeit
hingewiesen hatte. Daß es die Absicht der englischen Regierung
war, die Note nur als eine allgemeine Drohung zu betrachten, in der
Absicht, tunlichstes Maf in der Anwendung walten zu lassen, zeigt
sich auch deutlich aus dem, was der Kolonialminister Chamberlain
in der weiteren Diskussion über Rußland sagte: „Wir haben unsere
fiskalischen Anordnungen auf eigene Hand zu treffen, ohne im ge-
ringsten auf das Urteil der fremden Länder darüber acht zu
geben, und wir werden uns nicht abschrecken lassen durch Dro-
hungen, welche mit einer gewissen Emphase vorgebracht werden.
Rußlands Ausfuhr nach hier ist nur ein kleiner Teil seiner Produktion
und ein kleiner Teil unserer Einfuhr. Würden wir morgen be-
schließen, den russischen Zucker zu verbieten, so würde das nicht
den geringsten Unterschied machen weder für die russische noch
für die britische Industrie. Die Sache hat wirklich keinen Wert;
aber würe es auch, und würe es im Interesse unseres Landes, eine
betráchtliche Menge Zucker zu wehren, dann würde ich das nur vom
Standpunkt der britischen Industrie aus ansehen, und ich würde
a nach den Interessen Rußlands oder irgend eines anderen Landes
ragen.“
Es scheint mir, daß diese Sprache völlig unvereinbar ist mit
dem, was später, am 6. Dezember, ein Gegner des Vertrages, Herr
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 22
338 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
Gibson Bowles, im Unterhause ausgeführt hat, daß nämlich die russi-
sche Note von 1902 erst nach Beendigung der Debatte dem Unter-
hause bekannt geworden war, und daß deswegen die Diskussion
wieder eröffnet werden mußte, einer neuen Tatsache wegen!
Die englische Regierung hat die Behauptung ruhig unbeachtet ge-
lassen, und in Uebereinstimmung mit ihren früheren Aussagen, am
16. Dezember, im Oberhaus durch Lord Landsdowne die Erklärung
abgegeben, daß Ausgleichszölle keine Verletzung der Meistbe-
günstigungsklausel seien; daß kein Grund vorliege, Retorsionsmaß-
regeln in großem Maße zu erwarten, und daß die britische Regierung
sich auch nicht durch Furcht davon abschrecken lassen würde, dem
König zu raten, die Zuckerkonvention zu ratifizieren.
So ist nun die Sachlage. Wer hat jetzt recht, England oder
Rußland?
Es gibt Leute, die auf die ,Procés-Verbaux^ der Brüsseler
Konferenz hinweisen, um zu behaupten, daß die englischen Delegierten
selbst die Ausgleichszölle mit der Meistbegünstigungsklausel nicht
für vereinbar erachteten. In den Sitzungen nämlich vom 18. und vom
20. Dezember 1901 ist gefragt worden, ob man auf prämiierten
Zucker bis zum vollen Betrage der Prämie Ausgleichszölle erheben
könnte, wenn man Frankreich gestattete, eine Ausfuhrprämie von
ungefähr 4,50 fres. beizubehalten, und nichtsdestoweniger den fran-
zösischen Zucker ohne Erhebung von Ausgleichssteuer zuließ. Dies
würde ja eine Ausnahme zu Gunsten Frankreichs gewesen sein, und
jene Klausel schließt eben Ausnahmen aus. Die britischen Delegierten
dachten hierbei an einen Vertragsplan, wobei Frankreich eine Sonder-
stelle einnehmen sollte. Bei den späteren Verhandlungen aber hat
Frankreich diese Stellung preisgegeben, um seitens Deutschlands und
Oesterreichs die Erniedrigung der Ueberzölle zu erlangen. Was also
über die Klausel in den ersten Sitzungen gesagt worden ist, hat
keinen Bezug auf die nachher getroffene Uebereinkunft, laut welcher
alle Vertragsstaaten ohne Ausnahme ihre Ausfuhrprämien vollständig
abschafften.
Es bleibt also die Frage, ob Ausgleichszölle mit der Klausel in
Uebereinstimmung zu bringen sind.
Hier stützt sich Rußland auf den Grund, daß die Klausel durch
keinen einzigen Vorbehalt in Bezug auf Exportprämien eingeschränkt
ist. Deshalb würde Großbritannien die Einfuhr auf absolut gleichem
Fuß gestatten müssen, ohne Rücksicht auf die zur Einfuhr anregenden
Prämien.
Der Grund Rußlands kommt mir nicht überzeugend vor.
Von einer Uebereinkunft kann man annehmen, daß sie einen Vor-
behalt hat, obgleich der Vorbehalt nicht mit ausdrücklichen Worten
in der Urkunde zu lesen steht. Schon der berühmte Code Civil
Napoleons I. bestimmt in Art. 1135: „Les conventions obligent non
seulement à ce qui y est exprimé, mais encore à toutes les suites
que l'équité, l'usage ou la loi donnent à l'obligation d'après sa nature“,
und in Art. 1160: „On doit suppléer dans le contrat les clauses qui
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 339°
ysont d'usage, quoiqu'elles n'y soient pas exprimées“, Diese Grund-
sitze sind so sehr Normen des Verkehrs, daß sie mutmaßlich in den
Gesetzbüchern aller zivilisierten Nationen, wenn auch nicht buchstäb-
lich ausgedrückt, vorkommen (vergl. das deutsche bürgerliche Gesetz-
buch 8 133, $ 157).
Daß in der angedeuteten Klausel kein Vorbehalt bezüglich der
Ausfuhrprämien zu lesen ist, schließt also nicht aus, daß man den
Vertrag so ansehen kann, als ob er diesen Vorbehalt enthalte. Es
kommt hier auf Redlichkeit und Sitte an. Man kann zugeben, daß
die Klausel früher angewendet wurde, ohne auf Ausfuhrprämien zu
achten, aber dies hatte seinen Grund darin, daß die, freilich nur
selten gewährten, Prämien der Aufmerksamkeit entgingen und schwer-
lich evaluiert werden konnten. Seit dem Jahre 1896 aber ist die
Prämienpolitik in Bezug auf den Zucker mehr und mehr öffentlich
hervorgetreten, und so ist diese Politik eine aggressive Art von
Schutz geworden, aggressiv in dem Sinne, daß die Ausfuhrprämien
das Mittel geworden sind, im Einfuhrlande die Zuckerindustrie zu
ertöten (man denke an die Raffinerien in England) oder dort andere
Wettbewerber zu überflügeln. Ist es nicht einigermaßen unredlich,
wenn ein Staat vermittels der Meistbegünstigung sich zu einem Lande
auf gleichem Fuß mit anderen Ländern Zugang sichert, und nachher
dort die anderen angreift, ja mehr noch, dem Lande, welches Zugang
verlieh, in der eigenen Industrie Nachteil bringt, alles vermittels
fiskalischer Regelung, also mit Beihilfe der nämlichen Regierung,
welche sich den freien Eintritt sicherte? Ist es redlich, selber die
Gleichheit aufzuheben, nachdem man sich Behandlung auf gleichem
Fuß bedungen hat? Es gilt hier natürlich eine völkerrechtliche Frage.
Im völkerrechtlichen Verkehr sind die Verträge gewiß nicht weniger
ex bono et aequo auszulegen, als in dem privatrechtlichen Verkehr.
Der einzige mir bekannte Autor, der über diese Frage der Ausgleichs-
zölle in Verbindung mit der Meistbegünstigungsklausel geschrieben
hat, Dr. juris L. E. Visser, Rechtsanwalt in Amsterdam, früher Be-
amter am Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten im Haag
(Rechtsgeleerd Magazijn, 1900, S. 501 ff.), hat in seinem vortrefflichen
Aufsatze sehr viele historische Details geliefert, aber was die Rechts-
frage betrifft, die Ausfuhrprämien dem Schutzzoll gleichgestellt, da
beide Fragen der inländischen Politik angehören (S. 515). Dies eben
kann ich nicht zugeben; Ausfuhrprämien sind Fragen ausländischer
Politik, da sie das Ausland zu beeinflussen bestimmt sind.
Beachtet man außerdem die Sitte im Völkerrecht, dann ist nicht
zu leugnen, daß in der letzten Zeit die Kompensationssteuern neben
der Meistbegünstigungsklausel gehandhabt sind. Als nämlich die
Vereinigten Staaten Nordamerikas kraft des Dingley-Gesetzes im Jahre
1897 jene Steuer auf Zucker einführten, haben anfangs Deutschland,
Oesterreich-Ungarn und Dänemark auf Grund von Meistbegünstigung
protestiert; aber da Washington nicht nachgab, hat Berlin die Sache
ruhen lassen, und jedes Jahr den bestehenden Handelsvertrag erneuert,
22°
340 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
als ob nichts vorgefallen wäre. Auch die anderen ließen die Sache,
wie sie war.
Als nachher im Jahre 1899 auch Britisch-Indien ähnliche Zölle
auf Zucker erheben wollte, protestierte Wien — mit demselben
Mangel an Erfolg und mit der nämlichen Nachgiebigkeit nachher.
Rußland wurde, wie uns im Unterhause mitgeteilt wurde, aufgefordert
zu protestieren, unterlieB es aber. Nach diesen wichtigen Ante-
zedenzien scheint man im Jahre 1902 von einer auf Sitte gegründeten
Auslegung sprechen zu können. — Wer jetzt unerwartet gegen diese
Usance protestiert, zu deren Begründung er selbst durch sein Schweigen
beigetragen hat, scheint in das Völkerrecht viel eher ein Novum
einfügen zu wollen, als sich auf bestehende Rechtsüberzeugung zu
stützen. Rußland wird übrigens erfahren, daß die Meistbegünstigungs-
klausel auf alle seine anderen Artikel angewendet wird.
Rußland wird, wie man erwarten darf, einsehen, daß die Klausel
seinem ausländischen Handel sehr zu statten kommt, und daß ein
Ausgleichszoll auf seinen Zucker sich noch wesentlich von einer will-
kürlichen Auslegung des bestehenden Handelsvertrages unterscheidet.
Nicht lange nach dem 24. November, als das Unterhaus mit
großer Stimmenmehrheit (213 gegen 126) den Antrag Sir William
Harcourts verworfen hatte, das Haus möge die Konvention nicht
gutheißen, und gleich darauf ohne Namensaufruf den Regierungs-
antrag annahm — nicht lange nach diesem denkwürdigen Tag fand
wieder ein Kampf statt. Eine neue Frage hatte sich aufgetan. Ist
England der Konvention nach verpflichtet, Ausgleichszoll zu erheben
von Zucker aus seinen autonomen Kolonien, insoweit diese Ausfuhr-
prämien gewähren? —
Veranlassung zu dieser Debatte war die Behauptung des nieder-
ländischen Ministers des Auswärtigen bei der Behandlung der Kon-
vention in der Sitzung der zweiten Kammer der Generalstaaten am
2. Dezember. In Beantwortung eines Ersuchens um Aufklärung hatte
die niederländische Regierung die obige Frage bejahend beantwortet.
Schon früher war in Bezug auf diese Frage etwas vorgefallen.
Sobald die Konvention geschlossen war, hatten deutsche Fabrikanten
die Frage aufgeworfen. Deshalb habe ich sie in meinem im April 1902
herausgegebenen Kommentar zur Konvention behandelt !).
Meine Antwort war, daß England in dem angedeuteten Falle zur
Erhebung verpflichtet wäre. Die nämliche Antwort war am 9. Juni
des anderen Jahres im deutschen Reichstage gegeben von Sr. Ex-
zellenz von Koerner, Direktor des Auswärtigen Amtes in Berlin, der
als Delegierter allen Sitzungen der Brüsseler Konferenz beigewohnt
hatte. Auch die Regierung von Oesterreich-Ungarn bekannte sich
zu derselben Meinung, erstens bei einer diplomatischen Mitteilung
in London am 29. November und nachher in der Denkschrift bei
ihrer Gesetzvorlage vom 15. Dezember zur Gutheißung des Vertrages.
1) La convention relative au régime des sucres, conclue le 5 Mars 1902 A Bruxelles,
annotée d’après les pièces officielles, la Haye 1902, S. 44.
2: Le zb, Ca
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 341
Es mag sonderbar scheinen, daß ein Vertrag sich zu einer anderen
Antwort seitens der englischen Regierung neigt. Doch w den
Unterhandlungen beigewohnt, oder wer die Procés-Verbaux der
Sitzungen genau nachgelesen hat, kann sich vorstellen, daß hier
wenigstens eine ratio dubitandi vorhanden ist. In solchem Falle mufi
man den Text des Vertrages nach den gewóhnlichen Regeln der
Auslegungskunst auslegen. Nach der alten Regel, die man schon bei
dem Juristen Papinianus im römischen Rechte findet, nämlich daß
bei Streit zwischen allgemeinen Sätzen und besonderen die letzten
gelten, ist England ebensogut wie die sonstigen Vertragsstaaten ver-
pfiichtet, Ausgleichszólle zu erheben auf Zucker aus Canada oder
Queensland, falls diese Prämien gewähren. Die Sache ist aber so
ziemlich eine „akademische“ Streitfrage. Weder die autonomen Kolo-
nien noch Britisch-Indien führen dem Gebiete eines der kontrahierenden
Staaten Zucker zu. Obendrein steht es nicht fest, daß sie Ausfuhr-
prämien geben. Eigentlich müßte ein Wunder geschehen, wenn
während der 5-jährigen Dauer des Vertrages ähnliche Fälle vorkämen.
Vielleicht liegt es gerade an dem geringen praktischen Wert der
Frage, daß auf der Konferenz dieselbe nicht genauer behandelt wurde.
In der ersten Woche der Konferenz sprach die englische Delegation
den Wunsch aus, England möge nicht verpflichtet werden, von Zucker
aus den eigenen Kolonien Ausgleichsteuer zu erheben, selbst wenn
diese Prämien verliehen (siehe z. B. Procès-Verbaux, S. 75: „Sir
Henry Bergue constate à nouveau qu'aucune des colonies, auto-
nomes ou autres de la Grande-Bretagne n’accorde de prime. Si
certaines colonies autonomes venaient à donner une prime, des droits
compensateurs pourraient leur étre appliqués par les autres pays.
Mais la Grande-Bretagne ne voudrait, en aucun cas, astreindre ces
colonies à une clause pénale‘).
Was also von der englischen Delegation anfangs gewünscht
wurde, unterliegt keinem Zweifel. Aber in der ersten Woche der
Zusammenkunft wurden allerhand Wünsche von allen Seiten ge-
äußert. England wünschte auch, Zuschlagszölle möchten nur auf
Zucker aus europäischen Ländern angewendet werden (8. 66 und 68
der Procés- Verbaux). Frankreich wünschte eine kleine Ausfuhr-
prämie zu behalten. Viele wünschten den Ueberzoll auf 5 fres.
herabzusetzen. Damals hatte man noch nicht einmal einen Text-
entwurf vor sich. Am 18. Dezember ging man auseinander, damit
jeder von seiner Regierung Instruktionen bekäme. Am 23. Januar
kam man wieder zusammen. Erst da wurde ein Konzept gemacht.
In diesem Konzepte stand kein Wort davon, England ausnahmsweise
eine Sonderstellung zu gewähren den autonomen englischen Kolonien
gegenüber. Ohne Widerspruch haben die englischen Delegierten dem
die Ausgleichszölle regelnden Artikel 4 beigestimmt: „Les Hautes
parties contractantes s'engagent à frapper d'un droit special, à l'im-
portation sur leur territoire, les sucres originaires de pays qui accor-
deraient des primes à la production ou à l'exportation“.
Man konnte hieraus nur folgern, daß die englische Delegation
ihren Wunsch auf eine Sonderstellung hatte fallen lassen.
342 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
Erst über einen Monat später, am 28. Februar, als die Arbeit
fast zu Ende gebracht war, wurde auf Anlaß einer anderen Frage,
die in Bezug auf Art. 5, der die Einfuhr von Zucker aus den ver-
schiedenen Vertragsstaaten auf gleichem Fuß regelt, von den engli-
schen Gesandten etwas Allgemeines gesagt, wobei niemandem in den
Sinn kam, daß hiermit eine Zurücknahme der allgemeinen Formu-
lierung des Art. 4 beabsichtigt war. England wollte sich die Frei-
heit vorbehalten, den Zucker aus seinen Kolonien für den niedrigeren
Tarif von Zucker aus anderen Ländern zuzulassen, ein sehr wichtiger
Punkt, weil dies tatsächlich eine Bevorzugung für beträchtliche Ein-
fuhren aus den westindischen Kronkolonien gewesen wäre. Auf diesen
Punkt und auf keinen anderen war in jenem Augenblick die allge-
meine Aufmerksamkeit gerichtet. Der Sitzungsbericht zeigt dies
deutlich (S. 238): „M. le President demande si la Délégation britan-
nique n’a pas de déclaration à faire au sujet de la question soulevée
dans la séance précédente, relativement à la portée de l’engagement
inscrit au premier alinéa de l’article 5.
S. Exe. M. Phipps, Ministre de la Grande-Bretagne fait à la
Conférence la communication ci-après:
„En premier lieu, il est nécessaire, selon l'indication déjà donnée
au cours des séances antérieures, que la Grande-Bretagne réserve
absolument sa liberté d'action en ce qui concerne les relations fis-
cales entre le Royaume-Uni et ses colonies. Cependant, ce principe
posé, la Délégation britannique donne, par exception, l'assurance que
si une convention satisfaisante est signée, le Gouvernement de S. M.
Britannique est prét à declarer que, pendant la durée de cette con-
vention, aucune préférence ne sera accordée dans le Royaume-Uni
aux sucres coloniaux vis-à-vis des sucres étrangers.
M. le Président constate que cette déclaration donne pleine et
entière satisfaction à la Conférence et il se fait l'organe de celle-ci
pour remercier la Délégation Britannique."
Hütte in jenem Augenblick der Vorsitzende in jener Prinzipien-
erklärung eine Zurücknahme eines anderen Artikels, nämlich von
Artikel 4, gesehen, so würde er nicht von völliger Zufriedenheit der
Konferenz gesprochen haben. Hätte der österreichische Gesandte
dieses gemeint, er würde nicht geschwiegen haben; denn am 18. De-
zember (Procès-Verbaux S. 75) bezeichnete er es als wünschenswert,
daß der Zucker aus den autonomen Kolonien den Ausgleichszöllen
unterworfen würde, und schon damals versicherte er zu glauben,
daß eine Sonderstellung für Großbritannien kein unüberwindliches
Hindernis für den Vertrag wäre, ein Ausdruck, der darauf hinweist,
daß S. Exzellenz hierüber keine Instruktion von seiner Regierung
hatte. Hätte der belgische Delegierte Herr Bauduin dies gemeint,
er, der am 18. Dezember gesagt hatte „il paraît difficile d’admettre
que la Grande-Bretagne conserverait la facult& de recevoir chez elle,
sans droits compensateurs, des sucres provenant de ses colonies“, so
würde auch dieser Delegierte bezeugt haben, nicht an der völligen
Zufriedenheit teilzunehmen. Die Wahrheit ist, daß am 28. Februar,
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 343
bei der Diskussion über Art. 5, niemand mehr an die Aeußerungen
der englischen Delegation zwei Monate vorher über Art. 4 dachte.
Nach der Mitteilung des Herrn Vorsitzenden über die „völlige
Zufriedenheit der Konferenz“ wurde zu anderen Gegenständen über-
gegangen; in der folgenden Sitzung wurde die inzwischen vom Sekre-
tariate entworfene Redaktion angenommen, in Uebereinstimmung mit
der Deklaration des englischen Gesandten: „Le gouvernement de la
Grande-Bretagne déclare aussi, par mesure exceptionnelle et tout en
réservant en principe son entière liberté d’action en ce qui concerne
les relations fiscales entre le Royaume-Uni et ses colonies et posses-
sions, que pendant la durée de la Convention, aucune préférence ne
sera accordée dans le Royaume-Uni aux sucres coloniaux vis-à-vis des
sucres étrangers“.
Meiner Meinung nach ist es unmöglich, in dem als Zusatz zu
Art. 5 ausgesprochenen „Prinzip“ der englischen Delegation eine
gültige Zurücknahme des Art. 4 zu sehen. Dafür ist es zu allge-
mein, zu unklar. Solche Prinziperklärungen könnte man jedem
Artikel eines Vertrags vorangehen lassen, z. B. „Art. 1. Die Par-
teien, im Prinzip ihre Souveränität, selbständig ihr Steuersystem zu
regeln, feststellend, verbinden sich, ausnahmsweise die Ausfuhrprämien
abzuschaffen ... Art.2. Die Parteien, im Prinzip ihre obengenannte
Souveränität feststellend, verbinden sich, ausnahmsweise das Entrepöt-
system einzuführen . . “ Wer würde dann, auf Grund des Prinzips
in Art. 2, behaupten wollen, hiermit sei die in Art. 1 versprochene
Abschaffung der Prämien wieder zurückgenommen?
Hier gilt, meines Erachtens, der berühmte Satz des großen
römischen Juristen Papinianus (Dig. L, tit. 17 de regulis juris,
fr. 80): „In toto jure generi per speciem derogatur, et illud potissi-
mum habetur quod ad speciem directum est."
Der Meinungsunterschied wird allem Anschein nach keine tat-
süchlichen Folgen haben. Die Gegner der Konvention in England
haben es so dargestellt, als ob die permanente internationale
Kommission in Brüssel die englische Regierung verurteilte, so daß
das weltbeherrschende Albion seine bisherige Machtstellung ver-
loren habe in . . . der Zuckerfrage! Sie haben aber den Vertrag
nicht gut gelesen. Ueber Fragen bezüglich Auslegung des Vertrags
wird sich die permanente Kommission — erst wenn ihr eine Frage
vorgelegt wird — beraten und dann ein Gutachten abgeben in der
Form eines Berichtes an die belgische Regierung. Diese wird den
interessierten Staaten das Gutachten mitteilen. Wird dann von
einem der Vertragsstaaten eine neue Konferenz zur Regelung der
Sache verlangt, so ruft die belgische Regierung sie zusammen. Aus
alledem geht hervor, daß die Konvention selbst zu einer näheren
Vereinbarung die Gelegenheit geboten hat, falls man die Sache dieser
Mühe für wert erachtet. Muß man sich doch erst darüber klar
machen, ob die autonomen Kolonien (Canada, Queensland, Neusee-
land) Exportprämien gewähren und ob sie nach Großbritannien aus-
führen! Einmal scheint freilich aus Canada eine Menge von 60 t
344 J. Baron d’Aulnis de Bourouill, i.
Zucker nach England gebracht zu sein. Aber dies war offenbar viel-
mehr eine Zufallsladung, zur Ausfüllung eines restierenden Raumes im
Schiff, als die Folge regelmäßigen Verkehrs. Als allgemeine Norm kann
man aufstellen, Canada führe keinen Zucker aus und, täte es es, dann
würde es nach New York exportieren, welches näher liegt und wo
die Preise regelmäßig höher sind als in London.
Diese letzte Bemerkung bringt uns von selbst auf den Vorgang
in den Niederlanden, wo die Konvention an sich zu keinem nennens-
werten Bedenken seitens der Volksvertretung Anlafi gab (sie wurde
am 2. Dezember von der zweiten, am 9. Januar von der ersten
Kammer der Generalstaaten einstimmig angenommen), wo sich aber
von schutzzöllnerischer Seite, namentlich der Zuckerfabrikanten, eine
Bewegung zur Einführung eines Ueberzolls regte. In den Nieder-
landen aber fand bis jetzt diese Bewegung wenig Anklang. Hat in
den letzten Jahren die holländische Zuckerindustrie sich stark ent-
wickelt, ohne durch Ueberzoll geschützt zu sein, weshalb sollte sie
in Zukunft ohne jenen Zoll nicht lebensfähig sein? Die Ausfuhr-
prümien sind in den Niederlanden seit 1897 fortwährend eingeschränkt
und jetzt niedriger als irgendwo sonst. Bei der allgemeinen Ab-
schaffung der Prämien wird jetzt die niederländische Industrie auf
dem Weltmarkt am stärksten zu stehen kommen. Zuckereinfuhr zum
eigenen Verbrauch läßt sich in Holland nicht erwarten, weil das
Land schon dreimal mehr Zucker zu produzieren als zu verbrauchen `
pflegt. Insoweit Zuckereinfuhr (aus Deutschland und Belgien) statt-
findet, geschieht dies für die großen Raffınerien, welche mehr, als die
nationale Produktion gewährt, verarbeiten und welche die Raffınade
wieder ausführen; — es ist also hauptsächlich Durchfuhr. Man will
in Holland keinen Ueberzoll, weil dieser nur praktisches Resultat
haben kann im Fall der Bildung eines Kartells der Zuckerindustrie.
Gegen das Kartellwesen aber treten nicht nur die Konsumenten auf,
sondern auch das Reichsschatzamt, weil die vom Kartell bewirkte
Preiserhöhung eine Minderung des Zuckerverbrauchs verursachen
würde, wie es ja in Deutschland, zum nicht geringen Schaden der
Reichskasse, der Fall gewesen. „Felix, quem faciunt aliena pericula
cautum.“ Von allen Seiten wehren sich in Holland die Konsumenten.
Preiserhöhung durch die Maßnahmen eines Kartells würde einer Rück-
vergütung im Falle von Ausfuhr nicht fähig sein: die Schokoladen-
fabriken, die Konservenfabriken (mit dem sich entwickelnden Obst-
gartenbau hinter sich), protestierten gegen die ihre Konkurrenz-
fähigkeit bedrohende Gefahr. Die Regierung will vorläufig keinen
Ueberzoll, wünscht aber eventuell bei drohender Einfuhr schnell die
Waffe eines Ueberzolls in der Hand zu haben und hat deshalb eine
Gesetzvorlage angekündigt, wobei sie ermächtigt sein würde, ver-
mittelst eines königlichen Beschlusses eine Surtaxe festzustellen.
Hiergegen aber fragt sich, ob dies wohl mit der Verfassung des
Königreichs in Einklang sei, welche ja bestimmt (Art. 174), daß nur
kraft eines Gesetzes Steuer erhoben werden kann. Wir werden dies
alles der Zukunft überlassen und vorläufig konstatieren, daß, wenn
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 345
andere Exportländer meinen, einen Ueberzoll handhaben zu müssen,
die Niederländer trotz aller freundschaftlichen Gesinnung und trotz
des Sprichwortes, daß die Nachahmung die schönste Schmeichelei ist,
jenem Beispiel nicht zu folgen geneigt sind.
Das Interesse der Konsumenten hat auch in Frankreich vielen
Anklang gefunden, insofern es zu einer sehr ansehnlichen Herab-
setzung der Zuckersteuer Veranlassung gegeben hat, zu derselben
Zeit, da die Konvention dort angenommen wurde. Der französische
Finanzminister Rouvier hat dafür gesorgt, daß seine Gesetzvorlage
zur Begutachtung der Konvention in der Deputiertenkammer vom
6. Dezember behandelt wurde. Die Budgetkommission hatte über
den Entwurf wie über die beantragte Steuerherabsetzung von 65 auf
27 fres. günstig berichtet. Den Aeußerungen der Presse nach war
über die Konvention in Frankreich kein ernster Streit zu erwarten.
Diese Erwartung hat sich bewahrheitet. Die Diskussion am 4.
und 5. Dezember behandelte hauptsächlich die beantragte Herab-
setzung der Accise; über die Konvention wurde kaum gesprochen.
Die scharfsinnig aufgeworfenen Fragen über die Auslegung scheinen
in Frankreich keinen Widerhall gefunden zu haben. Hier ist es haupt-
sächlich ein Streit gewesen zwischen Zuckerfabrikanten, die eine wo-
möglich noch ansehnlichere Herabsetzung des Tarifes verlangten, und
Weinbauern, die in billigem Zucker eine Gefahr für gewisse Fabrikate
von Wein mit anderen Stoffen erblickten, eine Debatte, wobei natür-
lich zu Gunsten der Vorlage der Ausschlag von der übergroßen
Mehrheit der Abgeordneten gegeben wurde, welche keine Interessen
der Weinfabrikation zu vertreten hatten. Erst Ende Januar wurde
die Regierungsvorlage vom Senate angenommen.
Kurz nachher wurde endlich die Geburt von Gesetzvorlagen zur
Ratifikation des Vertrages in Oesterreich und in Ungarn angezeigt.
Bis jetzt hatten hier die verbündeten Regierungen nichts von sich
hören lassen. Am 12. Dezember wurden in beiden Ländern gleich-
lautende Gesetzvorlagen veröffentlicht. Von Steuerherabsetzung reden
sie nicht. Wohl aber enthalten sie einen Antrag auf Kontingentierung
in demselben Sinne, wie er im deutschen Reichstage am 8. Juni
verworfen worden war. Wird der Paragraph über die Kontingen-
tierung eine Mehrheit finden? Ich bin mit der Parteibildung in den
Abgeordnetenhäusern von Wien und von Budapest zu unbekannt,
um eine Vorhersagung zu wagen. Der Gedanke, sich in Oesterreich-
Ungarn von der Regierung vorschreiben zu lassen, wieviel Zucker
von den einheimischen Fabriken der Bevölkerung verkauft werden
darf, würde ein Unikum sein, wenn nicht schon seit 1895 derselbe
in Rußland Anwendung gefunden hätte, und wenn nicht von agrari-
scher Seite im Deutschen Reiche ein gleichartiger Versuch gemacht
worden wäre. Die österreichisch-ungarische Administration wird
nämlich, dem $ 5 des Entwurfes nach, das Recht erlangen, alljährlich
zu bestimmen, wieviel Tonnen Zucker aus dem Inlande zum ein-
346 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
heimischen Verbrauch geliefert werden darf, und sie wird für jede
bestehende Fabrik das von dieser zu liefernde Kontingent feststellen.
Wer mehr als seinen Anteil dem inländischen Verkehr überliefert,
macht sich nach § 8 strafbar wegen „schwerer Gefällsübertretung“.
Um zu wissen, wie schwer die Strafe sein soll, scheint man andere
Gesetze zu Rate ziehen zu müssen. Mutmaßlich wird sie aber ge-
nügend sein, um sich die Lust zu neuen Uebertretungen vergehen
zu lassen.
In $ 5 ist im voraus das Totalkontingent für das ganze Reich
für das Betriebsjahr 1903/4 folgendermaßen festgestellt:
für Oesterreich 277034 Tonnen Raffinade
für Ungarn 86 366 " 5
für Bosnien und Herzegowina 2600 5 os
Total 366000 Tonnen Raffinade
Welche Folge von dieser Regelung zu erwarten ist, läßt sich
sehr wohl berechnen. Die Denkschrift nämlich zeigt an, daß oben-
genannte Zahlen für 1903/4 berechnet sind auf Grund des Verbrauchs
im Jahre 1900/1 unter Berücksichtigung einer normalen Gebrauchs-
zunahme!) Man hat also aus früheren Berichten zu ersehen, wie
hoch im Jahre 1900/1 der Inlandspreis von raffiniertem Zucker in
Triest war, um zu ermitteln, wie hoch er im Jahre 1903.4 sein wird,
falls er nur vom einheimischen Angebot abhüngig ist. Der Preis in
Triest war z. B. am 3. April 1901 87 Kronen (Preisnotierung der
deutschen Zuckerindustrie, vom 4. April 1901). Man darf diesen Preis
wieder erwarten. Aber dieser wird reichlichen Gewinn zulassen.
Die Kosten des Zuckerimporteurs zu Triest werden ja sein die Summe
des Weltpreises (28 Kronen), der Accise (38 Kronen) und des Ueber-
zolles (5,76 Kronen), zusammen 71,76 Kronen. Wer also in Triest
Zucker einführt, wird dort einen Gewinn von 87,00—71,76 — 15,24
Kronen pro 100 Kilogramm erzielen, ein genügender Grund, um
Schiffsladung auf Schiffsladung dorthin zu senden, bis das Gleich-
gewicht zwischen inlündischem Preise und Weltpreis (plus Accise
und Ueberzoll) sich hergestellt hat. Der inlündische Preis wird also
schnell auf 71,76 Kronen herabsinken und, weil die Accise von 38
Kronen hier mit einbegriffen ist, wird der inländische Verkäufer einen
Nettopreis von 33,76 Kronen erlangen. Die Kontingentierung der
Industrie wird, alles recht besehen, auf Erhóhung des inlündischen
Preises um den Ueberzoll hinauslaufen, in der Weise, daf die
Industrie von allem, was sie unmittelbar dem einheimischen Verkehr
zuführt, um den Betrag des Ueberzolles benefiziert, nämlich 5,76
Kronen pro 100 Kilo Raffinade.
Eine merkwürdige Folge dieser Regelung wird sein, daß eine
1) Der Bruttoertrag der Zuckersteuer in Oesterreich-Ungarn im Jahre 1900-1 betrug
130548837 Kronen, bei einer Accise von 380 Kronen pro Tonne Raffinade. Der Ver-
brauch, wie dieser von dem Kartell beschränkt war, war also 346181 Tonnen. Die
Regierung beschränkt jetzt für 1903-4 den Verbrauch auf 366000 Tonnen, hat also für
ihre Bevölkerung von 40 Millionen Seelen den normalen Verbrauchszuwachs in drei
Jahren auf 20000 Tonnen geschätzt.
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 347
österreichische Fabrik strafbar sein wird, falls sie im Inlande mehr
verkauft, als ihr Kontingent, daß sie aber dies nämliche Surplus auf
einem Umwege ruhig dem Inlande zuführen kann. Sie braucht nur
das Surplus in Triest in ein Schiff einzuladen, welches dem Auslande
zusegelt, aber gleich nach Verlassen des Hafens das Ruder wendet
und in den Triester Hafen wieder hineinsegelt. Der Zucker darf
dann nach Bezahlung des Ueberzolls eingeführt werden, er kommt
ja vom Auslande her.
Ebenfalls werden mit Zucker beladene Güterzüge Böhmen ver-
lassen können, um beim ersten deutschen Bahnhof wieder nach dem
Gebiete des österreichischen Staates zurückzukehren. Diese Art von
Einfuhr wird viel weniger kostspielig sein als jede andere; weshalb
sollte man in Oesterreich Zucker einführen von Fabriken bei Magde-
burg, wenn man die nämliche Ware in unmittelbarer Nähe der Grenze,
gut verpackt und verladen, haben kann?
Bei näherer Betrachtung — denn die Sache verdient eine ge-
naue Auseinandersetzung — findet man im österreichischen Entwurf
eine unnötige Last für den Verkehr. Das Hin- und Herführen von
Tausenden von Tonnen kann dadurch vermieden werden, daß man den
Fabriken (Raffinerien) erlaubt, ihr Surplus unmittelbar dem ein-
heimischen Verkehr zu übergeben, mittelst Zahlung einer Extrasteuer,
welche dem Ueberzoll gleichkommt. Auf diese Art würde ein
Steuersystem zu stande kommen, gewissermaßen gerade das Um-
gekehrte von dem, welches in Frankreich die Ausfuhrprämien ver-
anlafte. Hier wurde einem gewissen Surplus eine geringere Steuer
aufgelegt, als der allgemeine Accisetarif, in Oesterreich würde man
dem Surplus eine hóhere Steuer auflegen, als die normale.
Wie die Oesterreicher ihre Accise regeln wollen, müssen sie
selbst wissen, falls nur die Bestimmungen der Konvention beobachtet
werden. Sie brauchen nur den Beratungen in dem deutschen Reichs-
tage nachzugehen, um zu wissen, was gegen die Kontingentierung
vom Standpunkte der Interessen der eigenen Industrie und der
Landwirtschaft vorgebracht werden kann. Wer künftig in Oesterreich
eine neue Zuckerfabrik errichten will, wird stets erst nach dem Aus-
lande exportieren müssen, während die alten Fabriken den Vorteil
des obengenannten Benefits haben werden und obendrein den, sich
in der Mitte ihrer Abnehmer zu befinden. Die Produktion für das
Ausland wird für die alten Fabriken stets der weniger wünschens-
werte Betriebsteil sein, im Vergleich zu dem viel vorteilhafteren
einheimischen Verkauf. Wie leicht werden sich nicht, bei Begegnung
einer starken Konkurrenz auf dem Weltmarkte, die Geschäftsführer
und die Kommissare der österreichischen Fabriken die Frage stellen,
ob es nicht vorteilhafter und leichter wäre, sich auf den einheimischen
Verkauf zu beschränken? Die Ausfuhrprämien werden abgeschafft
und ersetzt sein durch das gerade umgekehrte System: Prämien auf
den inländischen Verkauf.
Was hat seit einigen Jahren in Oesterreich die Erfahrung über
solche Prämien auf den inländischen Verkauf gelehrt? Dort ist seit
348 J. Baron d’Aulnis de Bourouill,
1897 das Zuckerkartell zu stande gebracht, beschützt von einem
Ueberzoll erst von 7, danach von 11 Goldgulden pro 100 kg Raffinade.
Das Kartell hat den einheimischen Preis stark erhöht und die Aus-
fuhr frei gelassen.
Als Anfangs- und Vergleichungspunkt nehmen wir das der Er-
richtung des Kartells unmittelbar vorangehende Betriebsjahr 1896—97.
Wir bekommen nach den in den Beilagen der österreichischen
Gesetzvorlagen gegebenen Ziffern folgendes Resultat:
Produktion von Oesterreich-Ungarn Weltproduktion
in Tonnen in Tonnen
Rohzucker Vergleichungszahl Rohzucker Vergleichungszahl
1896—1897 921 632 100 7 689 645 100
1897—1898 905 591 98 7 628 837 99
1898—1899 1 031 884 112 7 725 101 100
1899—1900 1 088 016 118 8 343 900 108
1900—1901 1 073 192 116 9 454 500 122
1901—1902 I 279 298 138 10 728 200 139
1902—1903 !) 1 060 000 115 9 331 500 12I
Es leuchtet ein, daß das österreichische Kartell den Weltmarkt
keineswegs durch übermäßige Produktion gedrückt hat. Die Pro-
duktion in Oesterreich-Ungarn hat fortwährend mit der der anderen
Länder so ziemlich gleichen Schritt gehalten. Wahrscheinlich würde
sie bei der allgemeinen Weltproduktion sogar zurückgeblieben sein,
wenn ihr nicht besonders günstige Witterungsverhältnisse im Jahre
1901 und 1902 zu Hilfe gekommen wären. Wie sollte das auch
anders kommen ?
Stellen wir uns einmal vor, daß von nun an jedes Land durch
sehr hohen Ueberzoll die Einfuhr ausschließt und zur Kartellbildung
auf eigenem Gebiete Anlaß gibt. Dann wird nirgends eingeführt
werden. Diejenigen aber, die den Kartells die Schuld geben, Extra-
ausfuhren zu Spottpreisen zu veranlassen, müßten überall eine kräftige
Ausfuhr erwarten. Ueberall Ausfuhr und nirgends Einfuhr! Das
steht mit sich selbst in Widerspruch. Meine Schlußfolgerung ist diese:
Bei der Beurteilung der österreichisch-ungarischen Gesetzvorlagen
stelle man in den Vordergrund, daß die Hauptsache ist, daß die
Regierung ihrer Vorlage zur Begutachtung der Konvention die An-
nahme in der Volksvertretung sichert. Ist sie der Meinung, daß diese
Annahme gefährdet ist, falls sie den Forderungen der Zucker-
industriellen (zumeist Großgutsbesitzern) nicht durch Ueberzoll und
Kontingentierung nachgibt, so wird das Ausland diese Maßregeln als
politisches Mittel zum Hauptzweck zu betrachten haben. Obenein
wird das Ausland sich nicht über diese Maßregel zu beunruhigen
brauchen. Es mag mit Verdruß sehen, daß infolge dieser Mittel die
Ausdehnung des Verbrauches in Oesterreich-Ungarn nicht in der
Weise zunimmt, wie es sonst möglich gewesen wäre; aber dank der
Herabsetzung des Einfuhrzolls können dort die Zuckerpreise ihre
1) Die Zahlen der Weltproduktion für das Betriebsjahr 1902—1903 sind geschätzt
worden vom Internationalen Verein für Zuckerstatistik (Umfrage 13. Dezember 1902)
und von Willet & Gray.
Die Zuckerfrage in den Parlamenten Europas. 349
jetzt erreichte Höhe gewiß nicht halten; eine Ausdehnung des Kon-
sums ist jedenfalls zu erwarten. In jener Hinsicht wird auch betreffs
Oesterreich-Ungarns die Konvention ihren Zweck erreicht haben:
„Aider au developpement de la consommation du sucre par la
limitation de la surtaxe.“
Seitdem Vorstehendes geschrieben wurde, sind in Oesterreich-
Ungarn die Gesetzvorlagen zur Ratifikation des Brüsseler Vertrags
und zur Kontingentierung der inländischen Zuckerindustrie von den
dortigen Parlamenten angenommen worden. Es ist aber nachher
in Frankreich, England und Deutschland die Frage aufgeworfen
worden, ob nicht diese staatliche Kontingentierung mit dem Wort-
laut des Vertrags in Widerspruch stehe, der ja in Artikel I als
Prämie, zu deren Abschaffung die Vertragsmächte sich verbinden,
definiert: „tous les avantages résultant directement ou indirectement,
pour les diverses catégories de producteurs, de la législation fiscale
des Etats“, und der weiter einige Beispiele von Prämien nennt.
Nun ist ohne Zweifel die österreichisch-ungarische Kontingentierung
nicht in jenen Beispielen genannt, aber es fragt sich, ob sie nicht
unter die allgemeine Begriffsbestimmung fällt. Zweitens ließe sich
noch fragen, ob, wenn jene staatliche Kontingentierung nicht unter
den Wortlaut der Konvention fällt, sie jedoch nicht dem Geiste der
Konvention widerspricht, namentlich ob nicht bei den Brüsseler Ver-
handlungen die Erklärungen seitens Deutschlands und Oesterreichs
über die rechtliche Natur der dort bestehenden Kartelle derart ge-
wesen sind, daß sie als ein Versprechen, keine Kartelle auf Staats-
kosten und durch Staatsverwaltung zu stiften, aufgefaßt werden mußten
und auch wirklich als solches aufgefaßt worden sind.
Seitdem der französische Finanzminister in der Deputierten-
kammer erklärt hat, daß die französische Regierung sich ihre Stellung-
nahme zu den gesetzlichen Zwangskartellen vorbehalte und daß er
die Absicht hege, die ständige Kommission in Brüssel so bald als
möglich mit dieser Frage der österreichischen Kartellierung zu be-
schäftigen, ist diese Frage in ein Stadium eingetreten, wo, wie der
Staatssekretär des Reichsschatzamts des Deutschen Reichs, Freiherr
von Thielmann, am 6. März 1903 im Reichstage sagte, „das Feuer
unter den Füßen brennt“. In diesem Stadium, meint der Autor
dieses Aufsatzes, erlaubt es schwerlich seine Stellung als Dele-
gierter der niederländischen Regierung zur Brüsseler Konferenz jetzt
über die Frage seine persönliche Meinung zu äußern.
350 F. Pabst,
Nachdruck verboten.
VII.
Die Besteuerung des unverdienten Wert-
zuwachses von Grund und Boden.
(Konjunkturgewinnsteuer.)
Von
Dr. F. Pabst.
Schon vor Veróffentlichung meiner Auseinandersetzung mit der
Bodenreform !) beabsichtigte ich einen weiteren Ausbau der Konjunk-
turgewinnsteueridee, die mich zuerst in einem lüngeren in der Tü-
binger Zeitschrift erschienenen Aufsatz?) beschäftigt hat. Erst jetzt
konnte der Gedanke zur Ausführung gelangen. Die vorliegende
Arbeit bringt noch einmal eine wissenschaftliche Begründung der in
Rede stehenden Steuer und versucht nach nochmaliger Würdigung
der Vorschläge von Adickes und anderer Finanztheoretiker eine
brauchbare Form der Besteuerung zu geben. Möge sie zu der
weiteren naturgemäßen Entwickelung unserer Steuerverfassung bei-
tragen. D. V.
I. Ueberbliek über die heutige Besteuerung des Konjunkturgewinnes in Preußen.
II. Finanzwissenschaftliche Begründung der Konjunkturgewinnsteuer. III. Kritische
Prüfung von Vorschlägen. IV. Versuch einer brauchbaren Steuerform. V. Verwendung
der Erträge der Konjunkturgewinnsteuer.
Die Besteuerung des Wertzuwachses von Grund und Boden, des
„unearned increment* oder der Zuwachsrente der Bodenreformer —
unseres Erachtens besser gesagt, der Konjunkturgewinne an Grund
und Boden — bildet schon seit längerer Zeit eine in der Finanzpraxis
und -theorie mit Eifer erörterte Frage.
I.
Die preußische Steuerpraxis hat auf drei Wegen eine Lösung des
Problems angestrebt,
1) durch die Verkehrsbesteuerung,
2) mit der Einkommensteuer,
3) durch eine besondere Bauplatzsteuer.
1) Damaschke und die „Hausagrarier“. Berlin 1903. Verlag von E. Pierson-
Dresden.
2) Zur Beseitigung der kommunalen Grund- und Gebäudesteuer. Zeitschr. f. d.
ges. St.-W. 1899, Bd. 4, 1900, Bd. 1.
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 351
Steuern der ersten Kategorie sind die Mutationsabgabe und die
Steuer auf Pacht- und Mietverträge. Die Einkommensteuer trifft
nur Gewinne aus ,gewerbsmäRig* oder „zu Spekulationszwecken
unternommenen“ Verkäufen von Grundstücken !). Mit der Bauplatz-
steuer sollten „Liegenschaften, welche durch die Festsetzung von
Baufluchtlinien in ihrem Wert erhöht worden sind (Bauplätze), nach
Maßgabe dieses höheren Wertes zu einer höheren Steuer als die
übrigen Liegenschaften herangezogen werden ?)“.
Von diesen Steuern hat sich die letzte nach den damit gemachten
Erfahrungen als ein entschiedener Mißgriff und in ihrer heutigen
Gestalt als undurchführbar erwiesen. Wohl in fast allen Gemeinden,
die den Versuch ihrer Anwendung gemacht haben, ist sie wieder
aufgehoben worden. Es blieben die Verkehrssteuern und die Ein-
kommensteuer.
Daß die ersteren sehr wenig geeignet sind, gerechte Resultate
zu liefern, ist eine von der Wissenschaft anerkannte Tatsache. Die
Unfähigkeit der Kontraktstempelsteuer, Konjunkturgewinne an Grund
und Boden zu treffen, wie ihre mieteverteuernde Wirkung erhellt
ohne weiteres 3). Aber auch die Mutationsabgabe ist nach fast ein-
stimmigem Urteil der Finanztheoretiker ungeeignet für diesen Zweck,
besonders als staatliche Steuer. „Die Steuer vom Immobiliarver-
mógensverkehr entspricht, weder als selbständige noch als ergänzende
Steuer gedacht, den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Volkswirt-
schaft; sie stellt unregelmäßige und zufällig auftretende Einhebungen
von Vermögensquoten dar und kann nur aus der geschichtlichen
Entwickelung und der Leichtigkeit ihrer Erhebung erklärt werden.
Je höher sie ist, um so bedenklicher ist sie; jedenfalls sollte sie
1 Proz. des Wertes nicht übersteigen und bei kleineren Objekten
überhaupt außer Ansatz bleiben ‘).“ Als Kommunalsteuer ließe sie
sich eher rechtfertigen; doch treffen auch dann im Grunde alle die
schwerwiegenden Bedenken noch zu, die überhaupt gegen sie geltend
gemacht werden und die nur eine vollständige Umgestaltung des
Wesens dieser Steuer zu entkräften vermag. Nur einen Verlegen-
heitsschritt bedeutet es daher, wenn der Ministerialerlaß5) vom
12. September 1896 in Anbetracht des Scheiterns der Bauplatzsteuer
eine weitere Verbreitung der Immobiliarverkehrssteuer in den Ge-
meinden befürwortete und die Beseitigung hemmender Vorschriften
und Beschränkungen versprach, die zum Teil mit Rücksicht auf die
Entwickelung der Bauplatzsteuer bis dahin beobachtet worden waren *).
1) Cf. Ausführungsanweisung zum Einkommensteuergesetz vom 5. August 1891.
Art. 9 u. 17, No. 3.
2) Cf. S 27 Abs. 2 des K.A.G. vom 14. Juli 1893.
3) Jeder Mietskontrakt in Berlin enthält die Bestimmung: „Die Stempelgebühren
für diesen Kontrakt trägt der Mieter.“
4) Vgl. Eheberg, Finanzwissenschaft, Leipzig 1901, S. 274.
5) Cf. M.Bl. 1896, S. 189.
6) Demgemäß genehmigte z. B. die Aufsichsbehórde für Berlin nach Aufhebung
der Bauplatzsteuer einen ungleichen Satz der Mutationsabgabe, für bebaute Grund-
stücke 1/,, für unbebaute 1 Proz.
352 F. Pabst,
Die Einkommensteuer endlich kann schon aus dem Grunde der
ihr hier gestellten Aufgabe nicht genügen, weil das in Frage kommende
Steuerobjekt im allgemeinen nicht unter den Einkommensbegrif fällt.
Daher werden ihre Ergebnisse entweder unzureichend und lückenhaft
sein oder man muß dem Begriff des Einkommens Gewalt antun und
Einnahmen hineinzwängen, die nur eine Vermehrung des Stammver-
mögens darstellen. Sie wird also immer nur ein Notbehelf sein
können.
Die ganze bisherige Behandlung des Problems in der Gesetz-
gebung krankt daran, daß ihr die Systematik und Methodik fehlt. Man
hat den Fehler gemacht, ältere zum Teil überlebte Formen der Be-
steuerung zu benutzen, hauptsächlich wohl zunächst zu dem Zweck,
sie trotz der veränderten Verhältnisse des Wirtschaftslebens und
der Steuerverfassung zu konservieren. Und dieser Mangel hat die
vorauszusehende nachteilige Folge gehabt, daß man sich die Hände
band und eine moderne Reform in großem Stile unmöglich machte.
Die Mißgeburt der Bauplatzsteuer, die Entstellung des Einkommens-
begriffs und damit eine Verballhornisierung der Einkommensteuer,
wie sie Artikel 9 der Ausführungsanweisung zum E.G. unstreitig
enthält!), war die Strafe.
Man muß ferner mit Gedankengängen brechen, wie ihn be-
sagter Artikel 9 enthält: „Zum Einkommen aus Kapitalvermögen
gehören ferner vereinnahmte Gewinne aus der zu Spekulations-
zwecken unternommenen Veräußerung von Grundstücken u. s. w....
Ob einer Veräußerung Spekulationszwecke zu Grunde liegen, ist
nach den begleitenden Umständen des einzelnen Falles zu be.
urteilen. Die Beschaffenheit des veräußerten Wertgegenstandes, die
Verhältnisse, unter welchen Erwerb und Veräußerung stattfanden,
die Dauer des Besitzes und die Art der Bewirtschaftung während
desselben werden Anhaltspunkte dafür geben, ob beim Erwerbe die
Absicht vornehmlich auf die mit dem Besitz verbundene laufende
Nutzung, mithin auf die dauernde Anlage eines Vermögensteiles ge-
richtet war, oder vielmehr auf den durch die erwartete Erhöhung des
Kapitalwertes zu erzielenden Gewinn. Nur in dem letzteren Falle
kann die spätere Wiederveräußerung als die Verwirklichung eines
Spekulationszweckes gelten. Ein solcher ist beispielsweise nicht schon
deshalb anzunehmen, weil ein Landwirt seinen langjährig selbst-
bewirtschafteten Grundbesitz unter Benutzung einer günstigen Kon-
junktur vorteilhaft verkauft, wohl aber z. B. dann, wenn jemand das
in der Nähe einer großen Stadt im Hinblick auf deren Ausdehnung
erworbene, ertraglos oder einstweilen in landwirtschaftlicher Benutzung
liegende Grundstück wieder veräußert, nachdem dasselbe als Bauplatz
verwertbar geworden ist.“
Solange man unter den Konjunkturgewinnen eine unberechtigte
Unterscheidung macht und den ,Spekulationszweck“ als den ent-
1) Vgl. Abs. 2. Eine fortgesetzte.
; : . Tätigkeit ist zur Feststellung des
Spekulationszwecks nicht erforderlich.
+
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 353
scheidenden Faktor ansieht!), wird man schlechterdings nichts Ver-
nünftiges erreichen. Konjunkturgewinne werden an Boden von allerlei
Art gemacht, und es muß mindestens für die Besteuerung sehr gleich-
gültig sein, ob ein solcher an landwirtschaftlich genutztem oder
Hausboden, vom Baustellenbesitzer oder vom Hauseigentümer reali-
siert wird.
Da die heutige Besteuerung nicht ausreichend bezw. unzweck-
mäßig ist oder gar ungerecht wirkt, so besteht allerdings eine große
Lücke in der preußischen Steuerverfassung und der Entwickelung des
Steuerwesens überhaupt. Dies ist um so mehr zu beklagen, als diese
Einnahmekategorie nicht nur an und für sich ein wichtiges Steuer-
objekt darstellt, sondern auch eine verhältnismäßig hohe Belastung
erfordert, wie sich aus finanzwissenschaftlichen Gründen leicht dar-
tun läßt.
II.
Der besondere Charakter der Konjunkturgewinne verlangt —
gleichgültig, ob sie gewerbsmäßig oder zufällig erzielt werden —
zweifellos eine stürkere steuerliche Belastung als das Arbeits- und
das Besitzeinkommen. Diese rechtfertigt sich unseres Erachtens ohne
weiteres aus dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungs-
fühigkeit. Ein besonderes Prinzip dafür zu konstruieren, wie
z. B. Neumann?) will: (Prinzip der tunlichsten Opferausgleichung),
ist Ansichtssache. Denn im Grunde genommen besagt ja das Moment
der Leistungsfáhigkeit dasselbe?) Die Steuerpraxis berücksichtigt
bereits die Mühelosigkeit des Erwerbs, resp. den Mangel enstprechender
Gegenleistungen. Aufs deutlichste beweist dies die Progression des
Steuerfußes der Erbschaftssteuer nach dem Grade der Verwandtschaft.
1) Vergl. dazu G. Schanz, Der Einkommensbegriff und die Einkommensteuergesetze.
Finanzarchiv, 1896, Bd. 1, S. 55 u. fg.: „Vor allem ist es eine Ungeheuerlichkeit, in einem
Steuergesetz mit der „Absicht“ zu operieren. Man kann hier den preußischen Finanz-
minister mit seinen eigenen Worten schlagen. Bei Beratung desselben Gesetzes sprach
er 3 Tage später aus: „Innere Motive kann unmöglich die Steuerveranlagung zu Grunde
legen. Man begreift ferner gar nicht, was für einen Unterschied es für den Bezüger
und seine Lage machen soll, ob er an einem ererbten oder einem spekulativ gekauften
Haus oder an einem expropriierten Garten 50000 M. gewinnt; man versteht nicht,
warum im 1. und 3. Fall die 50 000 M. Stammvermögen, im 2. Fall dagegen Einkommen
sein sollen. Es nimmt sich nahezu komisch aus, daß ein Gewinn von 10000 M. aus
einem spekulativen Verkauf von Aktien Einkommen ist, dagegen 20 M., die ein Privatier
bei zufälliger Veräußerung eines Papiers erzielt, als „Stammvermögen“ gelten... Es
heißt doch Haare spalten, wenn man in dieser Weise Stammvermögenszuwachs und
Einkommen trennen zu können glaubt.“
2) Vergl. Fr. J. Neumann, Zur Gemeindesteuerreform in Deutschland. Tübingen 1895.
3) Vergl. Eheberg, Finanzwissenschaft, 1901, S. 161/62: Wenn es richtig ist, daß
der Grund der Steuer in der Natur des Staates und in dem Verhältnis der Einzel-
wirtschaften zu demselben besteht, so wird die Steuer ... einfach als eine Pflicht des
einzelnen erscheinen, zur Erfüllung der Existenz- und Fortschrittsbedingungen des
Ganzen nach seinen wirtschaftlichen Mitteln beizutragen. Die Verwirklichung dieses
Prinzips kann positiv so ausgedrückt werden, daß die Steuerpflichtigen im Verhältnis
zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden, negativ so, daß dasin
der Steuer gelegene Opfer für alle gleich fühlbar sei.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 23
354 F. Pabst,
Man nimmt eben an, daß je weitläufiger die Verwandtschaft ist, um
so weniger der Erbe an der Entstehung des Erbvermögens beteiligt
war und dafür Opfer irgendwelcher Art gebracht oder sich den Erb-
lasser durch Gegenleistungen irgendwelcher Art verpflichtet hat.
Wenn demnach die Konjunkturgewinnsteuer selbst, wie ein ver-
hältnismäßig hoher Steuerfuß derselben durchaus zu rechtfertigen ist,
so muß man sich andererseits doch vor Uebergriffen hüten, und
soweit eine falsche Begründung zu solchen führen könnte, muß die-
selbe energisch bekämpft werden. Aber nicht allein Verhütung über-
triebener Forderungen — die ja, nebenbei gesagt, immer die Gefahr
in sich tragen, auch den realen nützlichen Kern der Idee zu ver-
hüllen und die ganze Bestrebung unfruchtbar zu machen — sondern
das Interesse eines naturgemäßen Fortschrittes der Finanzwissenschaft
macht es zur Pflicht, bei diesem Problem irrige oder an sich richtige,
aber hier nicht anwendbare Steuerprinzipien abzulehnen. Solche ver-
fehlten Begründungsversuche sind die, welche im Rahmen der heute
geltenden Steuertheorie bleibend das Interesseprinzip oder darüber
hinausgehend, gewisse „sozialpolitische“ Steuerprinzipien anwenden
wollen.
Auch bei diesem Problem darf man den Grundgedanken der
Steuer überhaupt, ihren rein finanzpolitischen Zweck nicht aus den
Augen lassen. Finanzwissenschaftlich kann ihre Aufgabe immer nur
sein: Mittelbeschaffung zur Deckung der Ausgaben der öffentlichen
Körper. Daß das geltende Steuersystem vernünftige sozialpolitische
Forderungen zu berücksichtigen hat, ist selbstverständlich und geht
aus dem ersten jener allgemeinen Grundsätze im Steuerwesen: „daß
die Steuer gerecht sei“ (Eheberg) hervor. Sozialpolitische Forderungen
dürfen und sollen das Steuerwesen beeinflussen, aber nur so weit,
wie es die Steuerprinzipien als Ausdruck einer einheitlichen Steuer-
theorie gestatten. Ob es aber opportun ist, die ganze Finanzwissen-
schaft von der sozialpolitischen Auffassung abhängig zu machen, oder
mit anderen Worten: eine sozialpolitische Steuer- bezw. Finanztheorie
als ultima ratio der Finanzwissenschaft aufzustellen, darüber dürfen
unseres Erachtens mit Recht vorläufig noch die Meinungen geteilt
sein. Wir würden eine derartige einseitige Entwickelung der Theorie
des Steuerwesens nicht für richtig halten. Jedenfalls sind wir ent-
schiedene Gegner des sozialpolitischen Steuerprinzips, wie es Wagner
und die Bodenreformer vertreten. Die Steuer an sich hat weder die
Aufgabe, eine veränderte Verteilung des Volkseinkommens und da-
durch einen Vermögensausgleich herbeizuführen (Wagner), noch die
Konjunkturgewinnsteuer speziell die Funktion, die Zuwachsrente als
Produkt aller in den Besitz der Gesamtheit zu überführen !).
1) Eine Wegsteuerung des ganzen sogenannten arbeitslosen Wertzuwachses würde
in vielen Fällen eine unerhörte Ungerechtigkeit bedeuten. Man denke an das Beispiel
eines Besitzers einer kleinen Mühle in der Nähe einer sich entwickelnden Großstadt.
Die Großmühlen machen seinen Betrieb unrentabel. Die wohltuende Ausgleichung,
welche ihm der fortschreitende Entwieklungsprozeß in einer Steigerung des Bodenwertes
bieten kann, würde bei strikter Durchführung der Bodenreformidee illusorisch werden.
Dasselbe gilt für viele andere Gewerbe.
|
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 355
Was zunächst das Interesseprinzip (in der hergebrachten Auf-
fassung desselben) betrifft, so steht seiner Anwendung ein sehr
wichtiges Bedenken entgegen. Der Mehrwert von Grund und Boden
entsteht nicht allein durch Aufwendungen der öffentlichen Körper.
Man kann das Vorteilsprinzip also nicht anwenden, weil eine derartig
begründete Steuer auch nur den Anteil der öffentlichen Körper
treffen dürfte, der aber aus der gesamten Wertsteigerung nicht
rechnerisch auslösbar ist. Die Rechtfertigung mit dem Interesse-
prinzip ist deshalb weder praktisch angängig wegen dieses Mangels
noch theoretisch wünschenswert, weil die Beschränkung der Besteuerung
auf die durch den Staat oder die Gemeinde hervorgerufene Gewinn-
quote eine Halbheit und eine unvollkommene Maßregel wäre.
Gegen die Wagnersche Anschauung, welche die Steuer auffaßt
als „den gesellschaftlichen Anteil“ der Gemeinde oder des Staats
an dem durch sie selbst hervorgerufenen Wertzuwachs von Grund
und Boden!) und gegen das sozialpolitische Prinzip der Bodenreform,
haben wir oben bereits einen prinzipiellen Einwand erhoben. Wir
wiederholen auch hier: Weshalb soll man unsere bewährten Steuer-
prinzipien um der Verwirklichung der Idee der Konjunkturgewinn-
besteuerung willen über den Haufen werfen, wenn sie völlig aus-
reichen, und damit die kaum gewonnenen sicheren Grundlagen unserer
Finanztheorie aufs schwerste erschüttern? Solch eine Umwälzung
kann um so weniger gutgeheißen werden, als der neuen Theorie
schwerwiegende Bedenken theoretischer und praktischer Natur gegen-
überstehen. d
Begründet man nämlich die Konjunkturgewinnsteuer als allgemeine
Steuer mit dem Prinzip der Leistungsfühigkeit, so fällt von vorn-
herein jener Einwand fort, dafi einer Besteuerung des Konjunktur-
gewinnes als Korrelat ein Anrecht des Steuerzahlers auf Entschädigung
resp. Unterstützung in Zeiten wirtschaftlicher Rückschläge entsprechen
müsse?) Betrachtet man eben den Konjunkturgewinn als eine
ordnungsmäßige und auf Grund des Rechts an Privateigentum an-
zuerkennende Einnahme, so ist sie wie alle anderen „arbeitslosen“
Einnahmen zu besteuern, ohne daß bei rücklüufiger Preisbewegung
ein Entschädigungsanspruch des Steuerpflichtigen an die Gemeinde
oder den Staat entstünde.
Ganz anders müßte hingegen die Entschädigungsfrage beurteilt
werden bei einer Motivierung der Steuer im Wagnerschen Sinne als
des ,gesellschaftlichen Anteils^ der Gemeinde oder des Staats. In
1) Vergl. A. Wagner, Finanzwissenschaft, Teil II, S. 579: „Die Gesellschaft nimmt
hier durch die genannte Besteuerung nur gerechtfertigt Anteil an der ihren Leistungen,
ihrer Entwickelung zumeist allein zu verdankenden Wert- und Rentensteigerung des
Bodens.“ 8.585: „Unter Voraussetzung der Billigung des „sozialpolitischen‘ Gesichtspunktes
im Finanz- und Steuerwesen erscheint es alsdann insbesondere geboten, durch die Be-
steuerung den gesellschaftlichen Anteil an diesem Konjunkturgewinn zu realisieren.“
2) Vergl. v. Reitzenstein, „Kommunales Finanzwesen“ im Schönbergschen Hand-
buche, Tübingen 1898, S. 107: „Würde der Gemeinde eine Beteiligung am Gewinn
zugestanden, so würde von ihr mit gleichem Recht eine Beteiligung am Verlust gefordert
werden müssen.*'
23*
356 F. Pabst,
dieser Form hat die Abgabe überhaupt ihren Steuercharakter ein-
gebüßt; sie stellt vielmehr eine wirtschaftliche Beteiligung der öffent-
lichen Körper — oder wenn man will: der Gesellschaft — dar. Hier
wäre die Entschädigungspflicht unvermeidlich; denn ein Anteilsrecht
äußert sich bekanntlich nicht nur in der Teilnehmerschaft am Gewinn,
sondern involviert auch die Beteiligung am Risiko und am Verlust.
A. Wagner erkennt konsequenterweise auch die Berechtigung dieser
Argumentation an. „Solche Unfälle!) sind etwas der ungünstigen
Konjunktur Aehnliches. Ein weiteres Eintreten von Gemeinschaften
bei Verlusten aus der Konjunktur ist nicht prinzipiell unzulässig,
sondern nur bisher nicht praktisch durchführbar. Auch bei der Be-
steuerung der Konjunkturengewinne ist es dieser letztere Umstand,
nicht die Fraglichkeit des Prinzips, welcher eine umfassendere Aus-
dehnung und damit ein weiteres Eintreten der staatlichen Gemein-
schaft hindert.“
Wir glauben nicht, daß ernst zu nehmende Gemeindepolitiker
die Kommunen den mit Uebernahme solcher Risiken verbundenen
Gefahren aussetzen möchten. Bekanntlich bewegt sich das Wirt-
schaftsleben nicht immer in aufsteigender Linie und der Gemeinde-
bedarf pflegt gerade in schlechten Zeiten besonders hoch zu sein.
Ferner ist die Entwickelung der Gemeinden eine sehr verschiedene.
Auch der Staat kann sich auf derartige Eventualitäten nicht einlassen.
III.
Die Berechtigung der Konjunkturgewinnbesteuerung kann also
nicht mehr angezweifelt werden; doch damit sind die Schwierigkeiten
ihrer Verwirklichung noch lange nicht überwunden. Es fehlt bisher
eine brauchbare Form der Besteuerung. Wie es der Praxis bisher
noch nicht gelungen ist, das Problem in befriedigender Weise zu
lösen, so hat auch die theoretische Erörterung unseres Erachtens
noch keinen gangbaren Weg gezeigt. Von nationalökonomischen
Schriftstellern, die der Frage näher getreten sind, müssen besonders
A. Wagner, Adickes, Rudolf Eberstadt und Fr. J. Neumann hervor-
gehoben werden.
Adolf Wagner, der vor allem das Verdienst hat, auf die Not-
wendigkeit der Besteuerung der Konjunkturengewinne hingewiesen
zu haben, ist auch einer der ersten gewesen, die die Unzulänglichkeit
der heutigen Steuern erkannt und einen Ersatz durch individuellere
Formen verlangt haben. Er hat aber bisher noch keine ins Einzelne
gehenden Vorschläge gemacht?) `
Eingehender behandelt ist das Problem von den anderen ge-
nannten Gelehrten, deren Ausführungen kritische Beurteilung ver-
langen. Hinsichtlich des Umfanges der Neuerungen, die mit diesen
1) Cf. Finanzwissenschaft, Teil II, 8. 578. Es ist hier von Unfällen die Rede,
die etwas der ungünstigen Konjunktur Achnliches sind, wobei Versicherung oder materielle
Staatshilfe eintritt.
2) Vergl. A. Wagner, Finanzwissenschaft, Teil II, 58 (236—240), S. 582, 586 u.
587 ft.
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 357
Reformvorschlägen verbunden sind, muß man die von Adickes und
Eberstadt und Neumanns Vorschlag trennen. Betrachten wir zu-
nächst den von Adickes geäußerten Plan. Adickes will die Grund-
und Gebäudesteuer, allerdings modifiziert, aufrecht erhalten. Während
die Gebäudesteuer sich nach dem Ertrage des Gebäudes richten soll,
hat sich die Grundsteuer teils an den Ertrag anzuschließen, soweit
es sich um landwirtschaftlich benutzten Boden handelt, teils soll sie
nach dem Verkaufswert erhoben werden, soweit Baustellenland in
Frage kommt. Um letzteres vom rein landwirtschaftlichen Boden
zu trennen, soll das die Stadt umgebende Land in Lagenklassen
geteilt werden, für welche der Verkaufswert nach Maßgabe der Ver-
käufe der letzten 3—5 Jahre alljährlich neu festgestellt wird !).
Mit dieser Grund- und Gebäudesteuer verbindet Adickes weiter
den Zweck, die ohne Zutun des Besitzers erfolgende Wertzunahme
stärker zu treffen; indem man — entweder an Stelle des für alle
Grundstücke gleichen Steuersatzes eine progressive Steuerskala setzt,
deren niedrigste Sätze für die noch überwiegend landwirtschaftlich
benutzten Gelände und deren progressiv ansteigende Sätze für die
Lagenklassen mit höherem Verkaufswert gelten — oder aber die bei
der ersten Veranlagung ermittelten Werte mit einer einheitlichen
Steuer belegt und die demnächstigen Wertsteigerungen mit einem
Zuschlag heranzieht, welcher gleichfalls eventuell progressiv gestaltet
werden könnte (vergl. Adickes, S. 631/632), ließe sich, nach Adickes,
der Zweck bei der Grundsteuer unschwer erreichen. In gleicher
Weise soll die Gebäudesteuer einen progressiven Tarif erhalten,
um den arbeitslosen Wertzuwachs stärker zu erfassen. „Unbedenklich
wird es hierbei auch sein, zur Beseitigung gewisser oft erhobener
Einwände den Prozentsatz der Steuer (Gebäudesteuer!) zu ermäßigen,
falls in einzelnen Stadtgegenden einmal ein Rückgang der Erträge
und Werte eintrüte" (vergl. S. 646). Für die Grundsteuer zieht
Adickes die Erwägung einer entsprechenden Ermäßigung in Zeiten
wirtschaftlicher Depressionen gar nicht in Betracht. Da aber diese
direkte Grund- resp. Gebäudesteuer zwar „durchaus geeignet ist,
den wachsenden Grundwert nach niedrig gegriffenen Durchschnitts-
ätzen verhältnismäßig zu treffen", dagegen plötzliche Konjunktur-
gewinne und rasche Wertsteigerungen nicht zu erfassen vermag, so
hat nach Adickes die Immobiliarbesitzwechselabgabe in
diese Lücke einzutreten. Diese Steuer soll beim unbebauten
Gelände zugleich nachholen, was an Grundsteuer (für die Adickes
II, pro mille vom Verkaufswert vorschlägt) im Verhältnis zur Ge-
bäudesteuer, welche jetzt zwischen 1'!/,—2 pro mille des Werts be-
trägt, zu wenig bezahlt wird und deshalb einen Zuschlag von
1'/,—2 Proz. erhalten.
Im übrigen will Adickes die Mutationsabgabe wie bisher nach
dem vollen Wert? resp. Preis bemessen. Der beim Umsatz erzielte
1) Vergl. Adickes, Studien über die Weiterentwickelung des Gemeindesteuer-
wesens. Zeitschr, f. d. ges. Staatswissenschaft, Heft 3 u. 4, Tübingen 1894, S. 631 u. fg.
358 F. Pabst,
Gewinn soll durch einen besonderen Zuschlag zum Einheitssatz
der Umsatzsteuer getroffen werden. Um Schwierigkeiten in Bezug
auf die Ermittelung des Gewinns zu vermeiden, schlägt Adickes!) vor,
auf die Erfassung des vollen Gewinns der Regel nach zu verzichten,
also den Zuschlag nicht nach dem erzielten Gewinn zu bemessen,
sondern statt dessen den Zuschlag in Durchschnittssätzen für die-
jenigen Umsätze einzuführen, „welche Grundstücke betreffen, rück-
sichtlich welcher seit einem gewissen Zeitraum Veräußerungsgeschäfte
nicht abgeschlossen sind.“ Eine Progression des Tarifs, „nach der
Länge der zwischen der letzten und vorletzten Veräußerung liegen-
den Zeiträume abgestuft“, erscheint ihm durchaus unbedenklich, ins-
besondere, wenn man dem Steuerpflichtigen anheimgibt, „im Wege
des Einspruchs nachzuweisen, daß die Präsumtion der Gewinner-
zielung in concreto gar nicht oder nur in geringerem Maße zutreffe
und deshalb ein Zuschlag vom Gewinne nicht zu erheben sei“.
Endlich schlägt Adickes?) einen weiteren progressiven Zu-
schlag vor, welcher die Differenz zwischen dem der Grundsteuer
und Gebäudesteuer zu Grunde gelegten Schätzungswert (beim Bau-
stellenland) resp. den Ertragswert (bei bebauten Liegenschaften)
einerseits und den realisierten Verkaufspreis andererseits treffen
soll. Die Aufgabe dieses Zuschlags soll darin bestehen, diesen bis
dahin unversteuert gebliebenen Teil des Wertes resp. des Ertrages
nachträglich zu erfassen und damit zugleich den Gemeindebehörden
hinsichtlich der Grundwertsteuerveranlagung den Anreiz zu über-
mäßig hoher Feststellung der Werte zu nehmen und zu verhindern,
daß die Besteuerten die Höhe der angenommenen Werte bemängeln
en niedrige Wertangaben (besonders bei selbstbewohnten Häusern)
machen.
Diesen Vorschlägen von Adickes ist zu entgegnen, daß die Muta-
tionsabgabe ebenso wie die Grundwertsteuer neben einer richtigen
Erfassung des Konjunkturgewinns völlig überflüssig ist, und auch
aus volkswirtschaftlichen und steuerpolitischen Grundsätzen nicht
gerechtfertigt werden kann?) und aus sozialen Rücksichten verworfen
werden mußt). Ferner bietet die dargelegte Form der Besteuerung
1) Siehe S. 637 u. 648.
2) Siehe S. 638 u. 648.
3) Vergl. meine Ausführungen: Tübinger Ztschr., 1899, Bd. 4, S. 624 u. 625.
4) Einige Finanztheoretiker vertreten die Ansehauung, daB die Mutationsabgabe
als sogenannte Anlagesteuer einen besonders hohen Grad von Leistungsfühigkeit zu
treffen habe, nämlich angelegtes Vermögen, das nieht dem Konsum, sondern der Er-
öffnung neuer Rentenquellen dient. Unseres Erachtens ist eine solche Begründung zu
weit hergeholt, entspricht auch dem Grundsatz nicht, das Einkommen zu besteuern
und widerlegt vor allem die berechtigten Klagen über ungleichmäßige Wirkung der
Steuer nicht. Außerdem dürfte dieselbe, so aufgefaßt, auch wirklich nur das angelegte
Kapital erfassen, also im Grundstücksverkehr nur das wirklich hineingesteckte Kapital
des Käufers und nicht den vollen Wert. Ferner ist bei dies@r Begründung auf die
Lücke hinzuweisen, welche dann in Bezug auf den Erwerb von Hypotheken besteht.
Dieser stellt zweifellos einen höheren Grad der Leistungsfähigkeit dar als der Kauf
einer Mietskaserne der Großstadt, eines kleinen Hauses in einer Kleinstadt, eines Gutes auf
dem Lande, Anlagen, womit nicht nur ein größeres Risiko verbunden ist, welche auch
al
Die Besteuerung des unverdienten Wortzuwachses von Grund und Boden. 359
des Konjunkturgewinns nach dem Maßstabe der Zeit, innerhalb deren
kein Besitzwechsel stattgefunden hat, mit allgemeiner „Präsumtion für
steigende Werte und Gewinnerzielung bei Verkäufen“ aus erklärlichen
Gründen sehr große Bedenken, auch in „Gemeinden mit zunehmender
Bevölkerung und steigenden Grundwerten“. Man wird nicht bei der
alten Umsatzsteuer mit ihren Schwächen stehen bleiben können,
sondern eine direkte Erfassung der Konjunkturgewinne anstreben
müssen.
Ebenfalls sehr problematisch erscheint uns der Versuch, durch
eine laufende Grund- und Gebäudesteuer gleichzeitig eine höhere
Belastung von Konjunkturvorteilen erzielen zu wollen. Selbst wenn
man, namentlich beim unbebauten Gelände, darauf verzichtet, „die
über ein gewisses mittleres Maß hinausgehenden Werte in Rechnung
zu ziehen“, werden sich Willkürlichkeiten nicht vermeiden lassen.
Ueberhaupt entspricht unseres Erachtens der Gedanke, einen Wert-
zuwachs dauernd! mit höheren Steuersätzen heranzuziehen — und
dies wäre doch bei der von Adickes verlangten Progression des
Tarifs der Grund- und Gebäudesteuer der Fall — nicht dem Grund-
satz der Gerechtigkeit und ist in volkswirtschaftlicher Hinsicht durch-
aus bedenklich. Eine derartige Werterhöhung darf nur einmal be-
steuert werden und zwar bei demjenigen Besitzer, der sie wirklich
durch Verkauf realisiert oder bei laufenden Erträgen in denselben
genießt. Denn wechselt z. B. ein im Wert gestiegenes Grundstück
oder Gebäude den Besitzer, so hat der neue Eigentümer natürlich
keinen Vorteil von der Wertsteigerung, welche der Vorgänger im
Verkaufspreise kapitalisiert, eingesteckt hat. Bei dem Adickesschen
Modus würde gleichwohl von dem Grundstück die Gebäudesteuer
weiter zu dem erhöhten Steuerfuß erhoben werden.
Auch R. Eberstadt!) beharrt bei dem alten System der Um-
satzsteuer, allerdings nur für den „Mehrwert, welcher
bei der Umwandlung von Ackerland in städtisches Bauland entsteht“.
Er wünscht deshalb eine staatliche Umsatzsteuer, „welche nur den
2500 M. pro ha übersteigenden Bodenpreis — unter Absatz der
Gebäudewerte mit Sätzen von !|,—4 Proz. treffen soll“. Die Pro-
gression bemißt sich daher nach der Höhe des Hektarwertes. Bei
einem Hektar Wert
von 2501— 5000 M. = !/, Proz.
» 5$001— 7500 , = I D
» 17501—10000 „ = 2
10000—20000 , — 3
und — 20000 = 4 n
Gegen diese Auffassung ist nur das zu wiederholen, was vorhin
gegenüber dem Adickesschen Projekt betont wurde. Ebensowenig
nicht ohne Arbeit des Eigentümers denkbar sind. Keine zeigt den Charakter des reinen
Renteneinkommens so deutlich wie gerade der Erwerb einer Hypothek.
Die Mutationsabgabe hat vielmehr nach Einführung einer Konjunkturgewinnsteuer
keine Existenzberechtigung mehr und man wird ihr Verschwinden nur mit Genugtuung
begrüßen können.
1) Vergl. Adickes S. 635.
360 F. Pabst,
wie die Länge der Zeit zwischen letztem und vorhergehendem Besitz-
wechsel ein sicheres Kriterium für die Erzielung eines Konjunktur-
gewinns sein kann, ist aus der Höhe des Wertes des umgesetzten
Bodens ein zuverlässiger Rückschluß auf den etwaigen Gewinn
möglich. Es kann beispielsweise ein Grundstück bei einer Ver-
äußerung mit 5000 M. pro ha von jemand verkauft sein, der es
seiner Zeit steuerlos erwarb, weil er selbst < als 2500 M. pro ha
gezahlt hat. Dasselbe Grundstück wird bald darauf von dem neuen
Eigentümer wieder verkauft, diesmal ohne Gewinn, weil sich vor-
läufig keine Möglichkeit der Bebauung bietet, z. B. infolge einer
wirtschaftlichen Depression oder weil er das Grundstück zu teuer
gekauft hat. In diesem Falle würde gleichwohl !/, Proz. des Wertes
als Umsatzsteuer zu entrichten sein. Derartige Ungerechtigkeiten
würden um so schärfer wirken, je höher bereits der Hektarwert des
verkauften Bodens gestiegen ist. Man sieht, daß bei Aufrechterhal-
tung des eigentlichen Verkehrssteuercharakters, die Steuer — sie mag
sich nach Kriterien richten, wie sie wolle — immer mit großen
Ungerechtigkeiten verbunden sein muß.
Als Fortschritt gegenüber den erörterten Darlegungen sind da-
gegen die Vorschläge Neumanns!) zu begrüßen. Dieser greift
ebenfalls, wie Adickes, auf die alte Objektsteuerform zurück, will
aber die Gewinnsteuer nur auch vom wirklich erzielten Gewinn
erheben. Die Gewinnquote soll durch behördliche Schätzungen fest-
gestellt werden, unter Berücksichtigung von Meliorationen und
Kapitalaufwendungen des Eigentümers, die einen Mehrwert hervor-
gerufen haben und wofür der Besitzer buchmäßig Beweis zu erbringen
hat. Für bebaute Grundstücke sollen Ertrag und im Tauschverkehr
gezahlte Preise einen Anhalt für die Schätzung bieten, für unbebaute
das letztere Moment. Aehnlich wie die preußische Grundsteuer, soll
auch diese auf 15 jährlich vorzunehmenden Schätzungen beruhen.
Indessen genügt auch dieser Vorschlag noch nicht. Einmal ist
die lange Veranlagungsperiode unzweckmäßig; in einem halben
Menschenalter können sehr große Wertschwankungen im Grund-
besitz eintreten, wobei dann die größten Ungerechtigkeiten entstehen.
Andererseits ist die völlige Ablehnung der Verkehrssteuerform
namentlich in Bezug auf die Besteuerung des Baugeländes unpraktisch.
Gerade in diesem Punkt, wo ein Ertrag als Kriterium fehlt, stehen
einer behördlichen Wertermittelung äußerst große Bedenken ent-
gegen. Die bisherigen Erfahrungen, namentlich der mißglückte
Bremer Versuch von 1873, können nur davor warnen, eine Besteue-
rung ertragloser Grundstücke auf dem unsicheren Boden behördlicher
Wertermittelung vorzunehmen.
IV.
Die bisherige Betrachtung hat manchen anerkennenswerten und
benutzbaren Gedanken geliefert. Doch wird keiner dieser Vorschläge
1) Fr. J. Neumann, S. 35 u. fg.
x
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 361
der Aufgabe vollkommen gerecht. Wir wollen im folgenden ver-
suchen, selbst einen Weg zu weisen.
Um gerechte Resultate erlangen zu können, ist es vor allem
nötig, den reinen Konjunkturgewinn aus der Preisdifferenz zwischen
Kauf und Verkauf auszuscheiden. Dazu muß in jedem Falle der
Besteuerung ermittelt werden, ob die Wertsteigerung wirklich
„arbeitlos“, d. h. ohne Hinzutun des Eigentümers eingetreten ist
oder ob derselbe vielleicht durch irgendwelche Leistungen zu der
Entstehung der Werterhöhung beigetragen hat. Hierbei ist besonders
zu beachten, daß eine solche, soweit sie der Besitzer durch Mühe-
und Kapitalaufwand mit Benutzung einer günstigen Konjunktur
erzielt hat, nicht als reiner Konjunkturgewinn bezeichnet werden darf.
Allerdings wird man bei diesem Versuch bald zu der Ueber-
zeugung gelangen, daß man sich hierbei sehr zu bescheiden hat. Um
der Aufgabe wirklich gerecht zu werden, wäre es nämlich einmal er-
forderlich, auch den Zinsverlust, den der Baustellenspekulant gehabt
hat, in Rechnung zu ziehen. Verf. hat in dem ersten Versuch !) eine
solche Lösung angestrebt. Gründliche Nachforschung ergab jedoch die
Undurchführbarkeit einer derartigen Absicht?) Denn wollte man
die Zeit, für welche die Zinsberechnung stattfinden soll, nicht be-
grenzen, so wäre damit der eventuellen Gefahr nicht genügend vor-
gebeugt, daß Baustellenland trotz Nachfrage und wirklichen Bedarfs
danach, zurückgehalten wird, um einen noch höheren Gewinn zu
erzielen. Andererseits läßt sich aber eine Begrenzung der für die
Vorbereitung zur Bebauung?) erforderlichen Zeit allgemein nicht
geben. Es kann z. B. zur Zeit ein lebhaftes Bedürfnis nach Woh-
nungen bestehen. Eine Baugesellschaft kauft größere Komplexe,
parzelliert sie und macht sie bebauungsfähig. Inzwischen ist ein
Rückgang der wirtschaftlichen Konjunktur eingetreten. Der Woh-
nungsmangel hat dem Wohnungsüberfluß (der Wohnungsnot der
Hauswirte!) Platz gemacht. Die auf normale Verhältnisse berechnete
allgemeine Zeitfrist würde sich in diesem Falle als zu kurz er-
weisen und die betreffenden Unternehmer gegenüber anderen, die
unter gewöhnlichen Verhältnissen gewirtschaftet haben, schädigen.
Man muß also von dem Versuche abstehen, aus dem Gewinn im
einzelnen Fall die nach Lage der Dinge berechtigten Zinsen aus-
scheiden zu wollen.
1) Vergl. F. Pabst, Zur Beseitigung der kommunalen Grund- und Gebäudesteuer,
S. 120 ff.
2) Verf. geht von der Ansicht aus, daß die Baustellenspekulation nötig ist, damit
immer Boden für den Bedarfsfall bereitgehalten wird und der Hausbesitzer seiner Auf-
gabe gerecht werden kann Wohnungen „auf Lager“ zu halten. Für die nach Ort und
Zeit sehr verschiedene Vorbereitungsphase muß auch der Bauspekulation eine wirt-
schaftlich durchaus gerechtfertigte Verzinsung ihres Anlagekapitals zugesprochen werden.
Vergl. auch Adickes, S. 636/37. „Was im übrigen die speziellere Gestaltung dieser
Urnsatzsteuer vom Verkaufsgewinn anlangt, so genügt offenbar zur Feststellung er-
zielten Gewinnes eine einfache Gegenüberstellung des letzten und vorletzten Kaufpreises
nicht, (beim unbebauten Gelände), da zu den letztgenannten unter Umständen erhebliche
durch Einnahmen aus dem Grundstück nicht gedeckte Zinsverluste hinzutreten.“
3) z. B. für Parzellierung, Pflasterung, Kanalisation ete.
362 F. Pabst,
Aber auch von diesem Spezialfall abgesehen, muß darauf auf-
merksam gemacht werden, daß der nach Ausschaltung der oben be-
trachteten Teile des Konjunkturgewinns verbleibende Betrag durchaus
noch nicht den „arbeitlosen Wertzuwachs“, in der Definition der
Bodenreform als „die Wertsteigerung des nackten Bodens an sich
ohne jede Arbeit des einzelnen Bodeneigentümers“ be-
zeichnet !), darstellen kann. Um diesen zu ermitteln, müßte noch ein
weiterer Abzug gemacht werden, dessen Grenzen im einzelnen Falle
allerdings fließende sind, der aber begrifflich vollständig feststeht.
Wenn nämlich der Führer der Bodenreform bei der Besprechung
der Wertsteigerung eines ehemaligen Bauernguts in Schöneberg bei
Berlin ?) als Schöpfer der Zuwachsrente desselben folgende Personen
nennt: „alle die Staatsmänner, die in jenen schicksalsreichen 50 Jahren
für Deutschland gedacht, die Feldherren, die seine Schlachten ge-
wonnen, die Soldaten, die ihr Leben für das Vaterland eingesetzt,
die Erfinder, die der Industrie neue Bahnen eröffnet, die Fabrikanten,
die Kaufleute, die Arbeiter, die Künstler, die Lehrer — alle, die
geistig und körperlich zur Aufrichtung und Größe des Deutschen
Reiches und damit auch seiner Hauptstadt beigetragen“, so dürfen
unter diesen doch auch nicht die reellen Bauspekulanten, das Bau-
gewerbe und last not least der Hauseigentümer vergessen werden.
Diese Kategorien des gewerblichen Lebens haben nicht nur durch
risikoreiche Investierung von Kapital und Arbeit in Grund und Boden,
sondern auch, namentlich der Hausbesitz, durch hohe Sonder-
steuern zu dieser Entwickelung beigetragen. Ein Berliner Haus-
besitzer zahlt bekanntlich bei einem Einkommen von 3000 M. genau
10mal so viel Gemeindesteuer wie z. B. einer seiner Hypotheken-
gläubiger bei einem gleichen Einkommen. Nur besteht der Unter-
schied, daß das Einkommen des letzteren wirklich „arbeitlos“ ist,
während sich dies von dem Einkommen des Hausbesitzers nicht be-
haupten läßt. Der in der Aufzählung Damaschkes nicht fehlende
Elementarlehrer zahlt bekanntlich, auch bei einem Diensteinkommen
von 3000 M., gar keine Gemeindesteuer.
Die Mitwirkung des Bau- und Hausbesitzgewerbes an der Ent-
stehung der „Zuwachsrente“ wird auch von den Bodenreformern zu-
gegeben. So schreibt Damaschke a. a. O. S. 62: „Der „Berliner
Spar- und Bauverein“, dessen Aufsichtsrat ich 6 Jahre angehörte,
begann seine Tätigkeit mit dem Bau eines Doppelhauses in Moabit.
Wir gingen weit hinaus. Unser Haus war das erste in der be-
treffenden Straße. Als der Versuch gelungen war [es handelte sich
um den Bau eines Hauses! d. Verf.], erkundigten wir uns nach dem
Preis des benachbarten Landes. Ja, das war ,selbstverstündlich so-
fort in die Hóhe gegangen*. Der Dau des ersten grofien Hauses
in jener Gegend hatte den Bodenwert „gehoben“. Die Grundeigen-
tümer gewannen — wir hatten ja gewagt und gearbeitet."
1) Vergl. A. Damaschke, Vom Gemeindesozialismus, S. 60.
2) Ibidem.
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 363
Man sieht, daß man die werterhöhende Tätigkeit des Bauunter-
nehmers wie des Eigentümers nicht hoch genug anschlagen kann.
Billig wäre es daher, beiden bei Berechnung eines eventuellen Kon-
junkturgewinns ein praecipuum in Form eines prozentigen Abzuges
zu gewähren. Leider läßt sich auch hierfür im einzelnen Fall das
richtige Maß nicht finden. Das theoretisch so schnell konstruierte
„uncarned increment“ kann in der Praxis niemals genau fest-
gestellt werden.
Diese Tatsachen verlangten dann aber um so mehr Innehaltung
der vernünftigen Grenzen bei der Festsetzung des Steuerfußes,
um ungerechte oder zu harte Besteuerung zu vermeiden.
Um sich über die Voraussetzungen einer ausreichenden und
gerechten Besteuerung des Konjunkturgewinnes klar zu werden, ist
es zweckmäßig, die verschiedenen Kategorien des Steuerobjektes zu
unterscheiden. Es kommen in Frage:
I. landwirtschaftlich und anders benutzte Grundstücke mit Bau-
stellencharakter,
II. Grundstücke ohne Nutzung (eigentliches baureifes Bauland),
III. Hausgrundstücke.
Besondere Schwierigkeiten bietet hinsichtlich der Besteuerung
die erste Kategorie, wie aus dem bekannten mißglückten Bremer
Versuch erhellt. Bei Hausgrundstücken hingegen besteht der Vorteil,
daß Ertrag und Wert in der Regel! parallel laufen.
Endlich darf der Fall der Nichtveräußerung von Bauland nicht
außer acht gelassen werden, wenn beispielsweise eine Baugesellschaft
Terrain erwirbt, bebaut und selbst bewirtschaftet. Hier würde die
Besitzwechselabgabe allein versagen; ja nach dieser Richtung hin
würde sie direkt eine Prämie auf die volkswirtschaftlich äußerst be-
denkliche Häufung von Boden- und Hausbesitz in wenigen Händen
darstellen. Das Beispiel lehrt, wie vorsichtig die ganze Frage be-
handelt werden muß.
Entsprechend der Verschiedenartigkeit dieser Fälle entstehen
auch verschiedene Schwierigkeiten. Um ein auf alle Fälle passendes
System zu finden, werden verschiedene Wege nebeneinander zu gehen
sein. Eine bloße Verkehrssteuer genügt ebensowenig wie eine auf
dem Ertrage basierende Objektsteuer allein. Eine Kombination
dieser Formen wird also erforderlich sein !
Fangen wir beim unbebauten Terrain an und sehen wir vor-
läufig von der Nichtveräußerung ab. Hier ist der eigentliche Kon-
junkturgewinn am leichtesten zu ermitteln. Ein Bauplatz ist für
150000 M. gekauft worden und wird nach einem Jahre für 160000 M.
weiter verkauft. Der erzielte Mehrwert beträgt 10000 M. Wird nun
die Steuer in bestimmten Prozentsätzen erhoben — wir bringen als
niedrigste Sätze des progressiven Steuerfußes für unbebaute Grund-
Stücke 10 Proz., für Hausgrundstücke 6 Proz. in Vorschlag — so
würden in diesem Falle 1000 M. Konjunkturgewinnsteuer erhoben
werden, da der Eigentümer Aufwendungen irgendwelcher Art nicht
gemacht hat.
364 F. Pabst,
Umständlicher wird die Berechnung, wenn auf seiten des Ver-
käufers Ausgaben vorliegen. Diese sind bezüglich der Höhe ihrer
Verzinsung zu unterscheiden. Für Interessensteuern, wie z. B. Ad-
jacentenbeiträge, ist der landesübliche Zins in Ansatz zu bringen.
Hat der Eigentümer aber selbst Kapitalien auf den Bauplatz ver-
wandt, z. B. zur künstlichen Schaffung von Baugrund oder bei Ge-
bäuden zu Umbauten, so ist er zweifellos berechtigt, einen höheren
Zins zu verlangen. Besonders bei Gebäuden sind derartige Kapital-
investierungen häufig. Es handle sich z. B. um ein Haus einer
größeren Stadt in einer Straße, welche die Tendenz zeigt, eine
Lauf- und Geschäftsstraße zu werden. Der Besitzer hat mit Benutzung
der günstigen Konjunktur Läden ausgebrochen und dadurch Ertrag
und Wert des Grundstücks erheblich gesteigert. Obwohl an und
für sich die Wertsteigerung auch in diesem Beispiel auf den Einfluß
der Gesamtentwicklung zurückzuführen ist, so hat doch der Besitzer
einen wichtigen Anteil an der Realisierung des Gewinnes. Denn hätte
er nicht umgebaut, würde er einen höheren Ertrag nicht haben er-
zielen können. Es stand eine Spekulation in Frage, die auch nicht
in jedem Falle gewinnbringend sein wird. Dies rechtfertigt zweifellos
eine Risikoprämie für den Besitzer.
Das Gleiche gilt für Meliorationen von Bauland.
Derartige Arbeits- und Kapitalaufwendungen müssen daher in
einer Weise berücksichtigt werden, wie aus folgendem Beispiel erhellt.
Bei einem Hausverkauf ergibt sich ein Mehrwert von 20000 M.
Der Eigentümer hat 4000 M. zu Umbauten hineingesteckt. Die Rente
muß sich demnach, wenn man als Norm für eine derartige spekulative
Anlage einen Zins von 6—8 Proz. annimmt, um ca. 280 M. pro anno
erhóhen. Kapitalisiert man diesen Mehrbetrag mit dem durchschnitt-
lichen Hauszins, der etwa 5 Proz. beträgt, so würde sich eine auf
die Spekulation des Besitzers zurückgehende normale Werterhóhung
von 5600 M. ergeben. Dieser Mehrwert kann vernünftigerweise nicht
als unverdienter Wertzuwachs besteuert werden, ist vielmehr aus dem
ganzen Konjunkturgewinn zur Ermittlung des steuerbaren Wert-
zuwachses auszuscheiden. Der letztere beträgt somit nur 20000
— 5600 — 14400 M. Der Betrag von 5600 M. wird natürlich von
der Ergänzungssteuer !) getroffen.
Da sich bei Baustellenland mangels eines Ertrages das zu
Meliorationszwecken investierte Kapital nicht kapitalisieren läßt, muß
es hier inkl. Verzinsung (6—8 Proz.) in Abzug gebracht werden.
Es ist also immer Kauf- resp. Selbstkostenwert [Kaufpreis
+ Aufwendungen kapitalisiert oder inkl. Verzinsung + Interessen-
steuern (hauptsächlich Adjacentenbeitrag!) inkl. Zinsen] und Verkaufs-
preis zu vergleichen.
Bei landwirtschaftlich genutzten Grundstücken, die Baustellen-
charakter gewonnen haben, unterliegt die Differenz zwischen land-
wirtschaftlichem Ertragswert und erzieltem Verkaufspreis der Gewinn-
1) Wie auch die 14400 M. vorläufig nur von der staatlichen Ergänzungssteuer.
Nach Aufhebung der Grund- und Gebäudesteuer steht jedoch einer Ausdehnung der Er-
gänzungssteuer auf die Gemeinden kein logisches Hindernis mehr im Wege.
—
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 365
steuer. Schwierigkeiten werden besonders hier aus dem parzellenweisen
Verkauf entstehen, sind aber zu bemeistern.
Die bisherigen Ausführungen rechneten immer mit der Voraus-
setzung eines Besitzwechsels. Die Besteuerung bedarf aber noch
einer Ergänzung für Fälle der Nichtveräußerung, wobei ferner das
Bedürfnis der Gemeinde nach dauernden und gleichmäßigen Einnahmen
zu berücksichtigen ist.
Naturgemäß muß der Besitzwechsel bei Hausgrundstücken häufiger
sein, als beim Baustellenland, welches ja nur ein Uebergangsstadium
in der Nutzung des Bodens darstellt. Infolgedessen wird auch die
Verschiedenheit in der Häufigkeit der Veräußerung größer als beim
unbebauten Boden sein. Bei Hausgrundstücken wäre mithin die
Verkehrssteuer allein unbillig. Zunächst könnten solche Generationen
hindurch vererbt werden, ohne jemals verkauft zu werden; diese
würden ein Privileg der Steuerfreiheit genießen. Außerdem ist der
Wechsel der Konjunkturen zu bedenken, der die Grundstückswerte
steigen und sinken läßt. Die öfter im Verkehr gewesenen Haus-
grundstücke kónnten, wenn sie mehrmals in Zeiten wirtschaftlicher
Depressionen veräußert wurden, gegenüber anderen zu solcher Zeit
unveräußert gebliebenen benachteiligt werden.
Bei einem in 30 Jahren 6mal veräußerten Hausgrundstück sei
z. B. in 4 Verkaufsfällen eine Konjunkturgewinnsteuer gezahlt worden.
Während derselben Zeit ist ein anderes von gleicher Beschaffenheit
(vielleicht einer juristischen Person gehörend) immer in derselben
Hand geblieben. Wird das letztere jetzt verkauft, so ist die bei dem
einmaligen Verkehrsakt gezahlte Steuer geringer als die Summe der
Steuern, womit das erste Grundstück belastet wurde.
B. 2 Grundstücke von je 100000 M. Wert.
I. 6mal veräußert 6 Proz. Konjunkturgewinnsteuer
1) 105000 M. (+ 5 000) 300 M.
2) 110000 ,, (+ 5 000) 300 „
3) 120000 , (+ 10000) 600 ,,
4) 115000 „
5) 110000 „
6) 120000 „ (+ 10 000) 600 ,
Summa 1800 M.
II. (mal verkauft 7 Proz.!) Konjunkturgewinnsteuer
1) 120000 M. (+ 20 000) 1400 M.
Da bei der Verkehrsform immer die letzte Wertermittelung des
letzten Tauschaktes der Berechnung zu Grunde gelegt wird, so sind
bei dem ersten Hausgrundstück Summa 1800, bei dem zweiten nur
1400 M. an Steuern entrichtet worden. Die Gemeinde hat 400 M.
weniger Steuern erhalten, obgleich sich die Wertbewegung der beiden
Steuerobjekte in gleicher Weise vollzogen hat.
Solche Ungleichheiten in der Belastung des Steuerobjektes müssen
aber vermieden werden. Die Ungerechtigkeit erhöht sich noch da-
durch, daß bei den seltener verkauften Gebäuden noch eine bedeutende
Zinsersparnis infolge der nicht so oft erfolgenden Steuerzahlung
stattfindet.
1) Vergl. Schema der Progression des Steuerfußes weiter unten.
366 F. Pabst,
Nicht allein die Gerechtigkeit, auch die Möglichkeit, der Gemeinde
laufende Einnahmen zu sichern, empfiehlt für die Besteuerung der
Hausgrundstücke ein anderes Verfahren !).
Hier handelt es sich um Ertrag gebende Steuerobjekte; hier ist
eine nach dem Ertrage sich bemessende Gewinnsteuer durchaus an-
gebracht. Auf Hausgrundstücke beschränkt, verursacht die von
Neumann vorgeschlagene Steuerform keine Bedenken. Der Konjunk-
turgewinn läßt sich berechnen aus dem Vergleich der Erträge und
zwar der Nettomieten (nach Abzug der sogenannten Nebenabgaben).
Die Wertermittelung würde jedoch mindestens alle 5 Jahre statt-
finden müssen, wenn man der Wertbewegung folgen und Ungerechtig-
keiten vermeiden will. Eine 15-jährige Wiederholung der Veranlagung
vermag notorisch dem Wechsel der Konjunkturen nicht Rechnung zu
tragen und Wertverminderungen gebührend zu berücksichtigen ?).
Ein Moment verdient jedoch noch besonders hervorgehoben zu
werden, was die Benutzung des Ertrags als Berechnungsmañstab
anbetrifft. Bekanntlich werden bei einer Besteuerung der Gebäude
nach dem Nutzungswert die Häuser mit kleinen Wohnungen relativ
zu hoch, die mit großen und eleganten Wohnungen zu niedrig be-
lastet, weil bei der ersten Kategorie der Verkehrswert unverhältnis-
mäßig viel geringer als der (aus den Mieten sich ergebende)
Nutzwert ist. Die Ursache dieses Mißverhältnisses ist der relativ
höhere Preis der kleinen Wohnungen, den das größere Risiko des
Besitzes, die größeren Unkosten, die schnellere Abnutzung solcher
Gebäude bedingen ë). Dieser Mißstand hat neuerdings dazu geführt,
die Grundwertsteuer in vielen Gemeinden nach dem „gemeinen
Wert“ zu erheben. Auch unser Vorschlag darf diese Tatsache nicht
außer acht lassen. Es müßte durch Abzug einer bestimmten Pauschal-
summe der Nutzwert dem wirklichen Wert nahe gebracht werden.
Um hierbei auch Gebäuden gerecht zu werden, die eine geringe
Anzahl kleiner Wohnungen neben größeren haben, dürfte eine ab-
gestufte Skala, vielleicht in folgender Form, angebracht sein:
Skala:
Von den Nettomieten werden in Abzug gebracht:
3 Proz. wenn 1) — 3
Rea
t x : an), der Wohnungen
D 3 „ mehr als ?/,
des betreffenden Gebäudes „kleine Wohnungen“ sind. Der Begriff
„kleine Wohnung“ müßte vom Gesetz festgelegt werden.
Die Schuldenzinsen dürften natürlich nicht abgezogen, vielmehr
müssen die Roherträge immer verglichen werden. Es wäre sonst
1) Auch beim Bauland sind derartige Ungleichheiten denkbar, aber aus vorher
dargelegten Gründen von geringerer Bedeutung.
2) Es ist nieht anzunehmen, daß die Kosten sich verdreifachen; überhaupt darf
den Kosten zu Liebe nicht die Gerechtigkeit zurückgesetzt werden.
3) Vergl. die Ausführungen bei W. zur Nieden „Gebäudesteuer und Wohnungsfrage
in Preußen‘, Schmollers Jahrb. für Gesetzgebung, ete., N. F. Bd. 24, 1900, 8.8 u. fg,
wo auch Zahlenmaterial beigebracht ist.
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 367
möglich, durch entsprechende Mehrbelastung des Grundstücks mit
Hypotheken einen tatsächlichen Wertzuwachs zu verschleiern.
Neben dieser Steuerform ist aber bei Hausgrundstücken die
Besitzwechselform beizubehalten. Sie wird ergänzend wirken, wenn
einmal der Ertrag sich als unzuverlässiges Kriterium für die Wert-
ermittelung erweist. Sie ist auf jeden Fall ein korrigierender Faktor,
dessen Anwendung eine sichere Gewähr gegen Ueberschätzung des
Wertes bietet.
Man wird vielleicht geneigt sein, eine solche Kombination für
überflüssig zu halten, in der Erwägung, daß Wert und Ertrag bei
Hausgrundstücken parallel zu laufen pflegen. Aber es gilt Fälle
wie folgenden zu berücksichtigen. Ein Gebäude ist alt und un-
modern geworden, es läßt Mieteerhöhungen nicht mehr zu — ja es
können sogar Mietereduktionen eingetreten sein. Trotzdem ist sein
Bodenwert gestiegen. Dann besteht eine Differenz zwischen Nutz-
und Verkehrswert, die beim Besitzwechsel an den Tag tritt!). Weit
wichtiger ist die eben erörterte Erscheinung einer Divergenz der
Werte bei Häusern mit kleinen Wohnungen. Wenn auch die Skala
für Abzüge hier ausgleichend wirken wird, so ist doch eine Unter-
stützung, wie sie in der Verkehrsform sich darbietet, nicht abzulehnen.
Natürlich soll keine Doppelbesteuerung eintreten, beide Systeme sind
in harmonischen Zusammenhang zu bringen. Folgendes Beispiel diene
zur Erläuterung:
Ein Gebäude liefert bei zwei aufeinanderfolgenden Ermittelungen
1000 bezw. 1200 M. Ertrag. Da Aufwendungen nicht vorliegen, ist
ein steuerbarer Wertzuwachs eingetreten, der aus der Ertragsdifferenz
erhellt. Würde in den folgenden 5 Jahren kein Besitzwechsel statt-
finden, so würde auch erst nach 5-jähriger Frist eine neue Veranlagung
erfolgen. Nun wird aber das Objekt nach 3 Jahren verkauft. Hierbei
wird ein Konjunkturgewinn von 5000 M. erzielt, bezeichnet durch die
Differenz zwischen zuletzt ermitteltem Nutzwert und dem jetzt er-
zielten Verkaufspreis. In diesem Fall wird die Verkehrsgewinnsteuer
erhoben. Nach weiteren 2 Jahren findet wieder die gewöhnliche
Veranlagung statt. Hierbei fungiert natürlich der zuletzt realisierte
Verkaufspreis als Bemessungsgrundlage u. s. f.
Es bleibt noch in Erwägung zu ziehen der letzte Fall, wo Bau-
stellenland nicht veräußert, sondern bebaut wird und auch weiterhin im
Besitz des bisherigen Eigentümers bleibt. Hier müßte ein Jahr nach
1) Hier ist ausdrücklich vor dem Gedanken zu warnen, bei einem solchen Beispiel
ausnahmsweise die Steuer nach dem Verkehrswert zu bemessen. Dieser ist immer eine vage
Größe und bietet kein steuertechnisch unbedenkliches Merkmal. Vielmehr ist ein solches
Grundstück einem unbebauten — das auch schon einen höheren Wert involviert, der
aber erst beim Verkauf realisiert wird — steuertechnisch A tout prix gleichzustellen.
Es sollen prinzipiell nur Steuern von wirklichen Eingängen —
seien es Mieten, seien es Verkaufsgewinne — erhoben werden. Ein
noch nicht realisierter Wertzuwachs ist ein steuertechnisch nicht nutzbares Moment.
Jede Präsumtion ist ein trügerisches Mittel und hat in einem fortgeschritteneren Ver-
anlagungsverfahren keinen Platz mehr. Nur bei strikter Beobachtung dieser Maxime
werden Fehlschläge, wie der verunglückte Bremer Versuch von 1873 und die gescheiterte
Bauplatzsteuer zu vermeiden sein.
368 F. Pabst,
Vollendung des Gebäudes der Nutzungswert ermittelt werden, der dann
mit dem Erwerbspreis bezw. Kostenpreis in Beziehung gesetzt wird.
Je geschickter die Steuertechnik den realisierbaren Wert bei
den Gebäuden zu ermitteln vermag, um so weniger sind Benach-
teiligungen und offenbare Ungerechtigkeiten zu befürchten, zumal
in der Verkehrsform ein korrigierendes Moment gegeben ist.
Jedenfalls vermag erst die Verbindung beider Systeme der
Verkehrssteuer für das unbebaute Land und der Ertragsform und
der Verkehrsform beim Hausgrundeigentum eine ergiebige und ge-
rechte und vor allen Dingen durchführbare Besteuerung des Kon-
junkturgewinns am Grund und Boden herbeizuführen.
Der Steuerfuß der Konjunkturgewinnsteuer ist gemäß dem Prinzip
der Leistungsfähigkeit progressiv zu halten. Ob es dabei zweckmälig
ist, dies so zu tun, „daß sie bei kleinen Grundstücken, die im wesent-
lichen Wohn- und Werkstätte einer einzelnen Familie bilden, in ganz
mäßigen Grenzen bliebe“ [Damaschke !)], erscheint uns sehr zweifel-
haft. Denn erstens wird der Fall, daß solche Eigentümer nennens-
werte Konjunkturgewinne machen, sehr selten vorkommen und zweitens
ist kein Grund ersichtlich, weshalb gerade diese weniger in Frage
kommende Kategorie besonders berücksichtigt werden soll. Ist der
Besitz eines kleinen Grundstückes etwa ein Beweis für eine sehr
geringe oder der eines großen Miethauses in einer Großstadt gerade
ein Zeichen besonders großer Leistungsfähigkeit? Ueberdies darf
großer oder kleiner Vermögensbesitz des Steuerpflichtigen bei gleicher
Höhe des Gewinnes in keiner Weise auf den Steuerfuß der
Gewinnsteuer(!) von Einfluß sein. Auch nach der absoluten
Größe des Konjunkturgewinnes kann der Steuerfuß nicht modifiziert
werden, wie wir selbst es irrigerweise bei dem ersten Versuch in
Vorschlag brachten. Am richtigsten erscheint eine Bemessung nach
der Verbindung von Kosten- bezw. Erwerbspreis und Gewinnhöhe.
Man könnte daher vielleicht folgende Skala anwenden:
Vom steuerbaren Konjunkturgewinn sind zu zahlen: 1) bei Ge-
bäuden (G.), 2) bei Baustellen (B.)
G. B.
6 Proz. 10 Proz. <10 Proz.
7 HI II » 10— 25 »
9 ^ 13 » 25— 45 »
12 HI 16 n 45— 70 HI
16 » 20 n 70—100 »
21 » 25 HI > 100 nm
6 bezw. 10 Proz. etc., wenn derselbe weniger oder mehr als 10, 25,
vi Proz. etc. des Selbstkostenwertes des Besteuerungsobjektes
eträgt.
Die Zahlung der Steuer erfolgt im Falle des Verkaufs sofort, bei der
laufenden Besteuerung des Hausbesitzes immer im Verlauf der näch-
sten Steuerperiode, am besten in der Weise, daß man pro Jahr die
gleiche Rate erhebt. Doch kann es natürlich in das Belieben des Steuer-
pflichtigen gestellt werden, die ganze Summe auf einmal zu zahlen.
1) Vergl. Vom Gemeindesozialismus, S. 79.
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 369
Was endlich die Verschiedenheit des Steuerfußes für bebautes
und unbebautes Grundeigentum betrifft, so rechtfertigt sich diese
aus verschiedenen Gründen. Erstens ist der reine Konjunkturgewinn
bei Gebäuden schwieriger, als bei unbebauten Grundstücken zu er-
mitteln, die Gefahr, den Steuerpflichtigen zu Unrecht zu belasten,
mithin größer. Zweitens spricht auch die Zinsersparnis, die der im
allgemeinen nur ein- oder zweimal eine Verkehrssteuer zahlende
Bodenbesitz gegenüber dem Hausbesitz macht, für diese Unter-
scheidung. Es ergebe sich beispielsweise bei der Veräußerung eines
15 Jahre in derselben Hand gebliebenen Terrains ein Konjunktur-
gewinn von 30000 M. Dieser sei mit 10 Proz. zu versteuern. Dann
sind 3000 M. Korjunkturgewinnsteuer zu entrichten. Während der-
selben Zeit ist ein gleichwertiges Hausgrundstück z. B. dreimal be-
steuert worden; sein Wert soll sich in gleicher Weise erhöht haben.
Die Gewinnsteuer beträgt hier in Summa nur 1800 M.
Der Betrag der dem Hausbesitzer infolge der jährlichen Zahlung !)
verloren gegangenen Zinsen ist in diesem Falle durchaus nicht un-
bedeutend. Außerdem ist zu beachten, daß die Werterhöhung des
Hausgrundstückes bereits dauernd der Einkommensteuer! unterlag,
weil sie in höheren Erträgen zum Ausdruck gelangte.
Nicht nur, um eine Benachteiligung der Hausbesitzer als solchen
gegenüber dem Baustellenbesitz zu verhindern, sondern namentlich aus
dem Gesichtspunkt gleicher Belastung von Grund und Boden! erscheint
deshalb ein differenzierter Steuerfuß zweckmäßig und angebracht.
Alle von der heutigen schablonenhaften Verkehrsbesteuerung
untrennbaren Ungerechtigkeiten fallen bei diesem spezialisierenden
Verfahren fort. Wird z. B. bei der Berechnung ermittelt, daß ein
eigentlicher Konjunkturgewinn nicht erzielt wurde, so wird keine
Gewinnsteuer erhoben. Ergibt sich vielleicht, daß investiertes Kapital
sich nur regelrecht verzinst, so kommt nur die Einkommen- bezw.
die Vermógenssteuer?) in Anwendung. Die aller Gerechtigkeit
spottende Besteuerung von Einbußen bei Notverkäufen hört auf.
Für die Verwirklichung der Konjunkturgewinnsteueridee erscheint
es aussichtsvoller, wenn der Staat die Initiative ergreift und die
Ausführung nicht den Gemeinden überläßt. Nur wenige Kommunen
haben bisher Schritte zu einer gründlichen und zeitgemäßen Reform
des kommunalen Steuer- und Finanzwesens getan. Nur der Staat
1) Der Steuerbetrag (6 Proz.!) sei bei dreimaliger Abschätzung beispielsweise mit
4004+800+4+600 M. ermittelt worden und die Zahlung dieser Summen wurde jedesmal
auf die nächsten 5 Jahre verteilt.
2) Die Einkommensteuer bei ertraggebendem Grundeigentum (Hausbesitz), die
Vermögenssteuer bei Baustellenland. Hier scheint bei oberflächlicher Betrachtung das
Bauland bevorzugt, der Hausbesitz benachteiligt zu sein, weil der Steuerfuß der Ver-
mögenssteuer ein verhältnismäßig geringer ist. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen,
daß das Bauland von der Vermögenssteuer schon dann getroffen wird, wenn es über-
haupt keinen oder wenigstens nicht einen dem der Vermögenssteuer unterliegenden
Steuerwert entsprechenden Ertrag liefert. Dies Mißverhältnis der Besteuerung zwischen
ertraggebendem und ertragslosem Vermögen wird natürlich noch um so stärker werden,
wenn später auch die Gemeinden das Recht der Erhebung der Ergänzungssteuer erhalten.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 24
370 F. Pabst,
wird eine Reform in großem Stile vornehmen können, da sein Vor-
gehen gleichzeitig Allgemeinheit und Einheitlichkeit der Durchführung
verbürgt. Die Steuer müßte also vom Staat obligatorisch gemacht
und die Gemeinden zu ihrer Erhebung verpflichtet werden, soweit
und sobald dieselbe auf Grund ihrer Entwickelung eine Bedeutung
erlangt und die Erträge die Erhebungskosten übersteigen.
Wenn sich die neue Form der Konjunkturgewinnbesteuerung
bewährt, was nicht zu bezweifeln ist, so werden damit natürlich die
älteren Steuern überflüssig, Die Notwendigkeit der Beseitigung der
Verkehrssteuern haben wir dargetan. Die Bauplatzsteuer hat sich
bereits selbst erledigt. Aber auch die heutige Erfassung derartiger
Gewinne mit der Einkommensteuer erübrigt sich dann. Wir be-
haupten das auch für die „gewerbsmäßig‘“ gemachten Gewinne, die
ebenso zweifellos ein Einkommen darstellen, wie einzelne derartige
Gewinne nur ein Vermógenszuwachs sind. Man erreicht so,
indem man diese besondere Kategorie von Einnahmen aus den Ob-
jekten der Einkommenbesteuerung ausschaltet, für die finanzpolitische
Praxis dieselbe Klarheit, wie sie G. Schanz und andere mit einer
Ausdehnung des Einkommenbegriffes !) angestrebt haben, und wird da-
mit zugleich den Rücksichten der Wirtschaftstheorie gerecht, die nun
und nimmer auf den Begriff des „Einkommens“ und seine Unterscheidung
vom „Vermögenszuwachs“ verzichten kann. Soweit man eine besondere
Belastung der Baustellenspekulation für opportun hält — auf deren
Konto ja wohl das Gros der „gewerbsmäßig‘‘ gemachten Konjunktur-
gewinne an Grund und Boden zu setzen ist — erreicht man dieselbe
zum Teil schon in der oben anempfohlenen Differenzierung des
Steuerfußes der Konjunkturgewinnsteuer.
V.
Die Erträge der Konjunkturgewinnsteuer würden zum größten
Teil der Gemeinde zuzuwenden sein. Wünschenswert wäre es jedoch,
wenn ein bestimmter Prozentsatz — sagen wir !’, der Einkünfte —
ausgesondert und zu bestimmten Zwecken festgelegt würde, nämlich
zur Bildung von zwei staatlichen Fonds:
1) eines Wohnungsverbesserungsfonds,
2) eines Unterstützungsfonds für kleine Stüdte und lündliche
Gemeinden.
Dem ersteren kónnten vielleicht */,, dem zweiten !/, des den
Gemeinden entzogenen Drittels überwiesen werden.
Der Wohnungsfonds soll zur Reform des Wohnungswesens in
den Städten, z. D. zur Kostendeckung der obligatorisch zu machenden
fachmännischen Wohnungsinspektion ?),, ferner zur Gewährung von
Entschüdigungen an Hausbesitzer, die durch einschneidende gesetz-
liche Bestimmungen bezüglich der Benutzung von Wohnungen oder
durch Verbot des Bewohnens bestimmter Gebäudeteile materielle
Schädigungen erleiden. Da diese Fonds ausschließlich von Grund-
1) Vergl. G. Schanz, a. a. O.
2) Vergl. hierzu die vortrefflichen Ausführungen von Zweigert, Essen, „Die Beauf-
gichtigung der vorhandenen Wohnungen“. Schr. d. Vereins f. S.P., Bd. 95, 1901, Leipzig.
Die Besteuerung des unverdienten Wertzuwachses von Grund und Boden. 371
und Hauseigentümern herrühren, so wäre es natürlich ungerecht,
wenn man damit dieser Erwerbs- und Berufsklasse in irgend einer
Weise Konkurrenz bereiten wollte, z. B. durch Unterstützung soge-
nannter gemeinnütziger Baugenossenschaften, durch Bau von Be-
anten- und Arbeiterwohnungen etc. Zur Beobachtung dieser Rück-
sicht zwingt nicht nur die Gerechtigkeit an sich, welche sich auch
mit der Schädigung eines Einzelnen zum wirklichen oder vermeinten
Besten der Allgemeinheit nicht verträgt, sondern das wohlverstandene
Interesse der Gesamtheit selbst. Um derartige Tendenzen von vorn-
herein auszuschalten, würden dem Gesetz entsprechende Kau-
telen beizugeben sein, wie andererseits den Grund- und Hauseigen-
tümern ein gesetzliches Anspruchsrecht auf diese Zuwendungen
einzuräumen wäre. Es entspricht durchaus dem Prinzip der aus-
geichenden Gerechtigkeit, wenn diejenigen Grund- und Hauseigen-
tümer, welche durch Verkauf zu günstiger Zeit mühelose Gewinne
gemacht haben, durch diese Steuer und speziell den Fonds zu I
zu den Lasten herangezogen werden, welche den dauernden Be-
sitzer treffen. Derjenige Hausbesitzer, welcher in seinem Besitz kein
Handels- oder Spekulationsobjekt erblickt, sich vielmehr freut, eine
seinen Mühen und Aufwendungen entsprechende Rente herauszu-
wirtschaften, muß im Laufe der Zeit allerlei materielle Opfer bringen
— weil die Anforderung an die Wohnung qualitativ und quantitativ
beständig steigt — und kann dafür Entschädigung erheischen,
soweit es sich um Ausgaben handelt, zu denen ihn das Gesetz im
Interesse der allgemeinen Wohlfahrt zwingt und die ihm eine direkte
Einbuße aufnötigen.
Beide Forderungen, die der Unterstützung wie die der Kon-
kurrenzrücksicht, werden in der Presse bestimmter Richtungen ein
gewaltiges Halloh hervorrufen, was jedoch weder den Nachdruck,
mit dem die Hausbesitzer daran festhalten werden, schwächen noch
ihre Gerechtigkeit in Frage stellen kann. Jede Verletzung dieser
Grundsätze wird sich bitter an der Allgemeinheit, insbesondere den
weniger kapitalkräftigen Klassen der Wohnungsmieter infolge trivialer
Gesetze der Wirtschaft rächen müssen.
Der zweite Fonds soll zu weiterer Ausdehnung des Dotations-
und Subventionsprinzips die Mittel bieten. Insbesondere ist hierbei
an gewisse finanzpolitische Reformen, wie die Beseitigung der kom-
munalen Grund- und Gebäudesteuer und ähnlicher Sonderlasten ge-
dacht; aber auch das Schul-, Armen-, Kranken-, Medizinal- und
Sparkassenwesen kann berücksichtigt werden, wie es ja auch heute
bereits, wenn auch lange noch nicht ausreichend, geschieht. Es ist
nicht zu leugnen, daß die Stagnation, ja sogar der Rückgang vieler
kleinerer Gemeinden, besonders mancher Kleinstädte mit dem allge-
meinen Zuge nach der Großstadt bezw. schnell sich entwickelnden
größeren Städten zusammenhängt, und man wird es nicht als unbillig
bezeichnen dürfen, wenn ein Teil der Erträge der Steuer auf den
Konjunkturgewinn in dieser Weise zur Abwehr finanzieller Nöte
und im Interesse des Kulturfortschritts verwendet wird.
— 24*
372 Miszellen.
Nachdruck verboten.
Miszellen.
IV.
Die Bewegung für Bildung eines ständigen statistischen
Zentralamtes für die Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Von Dr. F. W. R. Zimmermann, Finanzrat (Braunschweig).
Die Vereinigten Staaten von Nordamerika besitzen zwar als ständige
Behörden für die Gesamtheit und für den Gesamtumfang des Gebiets
eine Reihe durchweg an die verschiedenen Staatsdepartments ange-
gliederter statistischer Spezialstellen wie das Bureau of Statistics im
Department of Treasury für eigene Handels-, Verkehrs- und Einwande-
rungsstatistik, die Division of Statistics mit der Section of Foreign
Markets im Department of Agriculture für Anbau- und Erntestatistik etc.,
das Bureau of Foreign Commerce im Department of State für die
Konsularberichterstattung und die auswärtigen Handelsbeziehungen und
andere (vergl. Handwörterbuch der Staatswissenschaften, herausgegeben
von Conrad etc, 2. Auflage 1901, Bd. 2, S. 1054), Spezialstellen, die
auf ihrem innerlich mehr oder weniger abgegrenzten Gebiete immerhin
ganz erhebliche und Achtung gebietende, regelmäßige wie außerordent-
liche Arbeiten geleistet und sich nach ihren Erfolgen selbständig
weitere Anerkennung erworben haben; den Vereinigten Staaten mangelt
dagegen ein stándiges statistisches Zentral- oder Hauptamt (Permanent
Census Office), dem namentlich und in erster Linie die Leitung und
die weitere Bearbeitung der gróften und wesentlichsten allgemeinen
statistischen Erhebungen der Vereinigten Staaten, des sich nunmehr
seit 1790 wiederholenden und mit der Zeit immer breiter auswachsen-
den Zensus obzuliegen haben würde. In dem Department of the Interior
besteht allerdings als ständige Sektion ein Census Office, es ist dieses
aber lediglich eine Verwaltungsabteilung des Department, der es als
solcher nur zusteht, wegen der Anordnung des Zensus durch die gesetz-
gebenden Faktoren und wegen der allgemeinen Durchführung die not-
wendigen Verfügungen auszuarbeiten u. s. w., die aber niemals mit der
speziellen Durchführung des Zensus und der Ausarbeitung seiner Er-
gebnisse sich befaßt und deshalb auch als ein statistisches Hauptamt
oder als ein statistisches Amt überhaupt nicht anzusehen ist, denn für
PC
neu
Miszellen. 313
jede der großen zehnjährigen Zensuserhebungen ist bislang eine
eigene statistische Behörde nur für den besonderen Zweck des einen
Zensus eingesetzt worden, welche die ganze Erhebung als solche, mit-
hin die Gesamtstatistik in derselben, zu besorgen hatte.
Was die großen regelmäßigen Zensuserhebungen der Vereinigten
Staaten von Nordamerika, die den unmittelbaren Anlaß der Bewegung
fir Schaffung eines ständigen statistischen Zentral- oder Hauptamtes
bilden, im einzelnen zu bedeuten haben, ist in den Jahrbüchern, 3. Folge
%.Bd., S. 674 ff. bezüglich des letzten, des zwölften Zensus vom 1. Juni
1900 eingehender zur Darstellung gebracht. Zwei besondere Eigen-
heiten der Zensuserhebungen sind es, die für uns hier hauptsächlich
in Frage kommen. Einmal beschränkt sich der amerikanische Zensus
keineswegs wie durchweg die großen Erhebungen der alten Welt auf
einen einzelnen abgeschlossenen Gegenstand; den Ausgangspunkt bildete
ıwar die Feststellung der Bevölkerung nach Zahl, Gliederung u. s. w.,
aber an diese ursprüngliche Volkszählung, die sonst im wesentlichen
der unserigen entsprach und noch entspricht, sind im Laufe der Zeit
namentlich seit Mitte des vorigen Jahrhunderts in großer Ausdehnung
weitere Erbebungsgegenstände, welche an und für sich mit einer Volks-
zäblung gar nicht in innerer Verbindung stehen, rein äußerlich an-
gegliedert worden, so daß sich jetzt der Zensus neben dem Bevölke-
rungsstand nicht nur auf die Einzelverhältnisse von Landwirtschaft,
Industrie, Handel und Verkehr, sondern ebenso auch im speziellen auf
die öffentlichen Verhältnisse des Staates, der Gemeinden, der Kirche
u s. w. bezieht und in gleicher Weise die Einzelheiten der landwirt-
schaftlichen, industriellen, handwerksmüfigen etc. Betriebe, wie auch
Erziehung und Unterricht, Armenwesen und Wobltätigkeit, Kriminal-
wesen, soziale Verhältnisse, öffentliches Finanzwesen u. s. w. zur Dar-
stellung bringt. Diese ungewöhnliche Vielseitigkeit der Zensuserhebungen,
die aber doch durchweg mit einem verhältnismäßig weitgehenden Ein-
dringen in das Einzelne verbunden ist, gibt den einen für uns in Frage
kommenden Punkt, während der zweite, der schon oben berührte ist,
daß der ganze gewaltige Erhebungs- und Verarbeitungsapparat für jeden
einzelnen Zensus, welcher sich je nach 10-jährigem Zwischenraum an
den vorhergehenden anschließt, vollständig neu gebildet und organisiert
wird, daß also für jeden einzelnen Zensus eine eigene Zensusbehörde
selbständig geschaffen wird. Daß aus diesen beiden eigenartigen Um-
ständen an und für sich gewisse nachteilige Folgen sich fühlbar machen
können, dürfte wohl auf der Hand liegen; daß sie sich tatsächlich
geltend gemacht haben, zeigt sich auch an Auswüchsen, wie wir einen
solchen bereits in diesen Jahrbüchern 3. Folge 23. Bd., S. 799 ff. be-
rührt haben.
Den ersten sachlichen Hinweis auf die Zweckmäligkeit einer Aende-
rung, welcher die Bewegung für ein ständiges statistisches Hauptamt
einleitete, gab der verdienstvolle Leiter des neunten (1870) und zehnten
(1880) Zensus General Francis A. Walker in einem Artikel des Quar-
terly Journal of Economics (Januar 1888), in welchem zunächst der
erstere der beiden oben bezeichneten Punkte berührt wurde, dann aber,
374 Miszellen.
wenn auch mehr folgeweise, der zweite. Im Interesse einer besser
durchzuführenden statistischen Gesamtfeststellung verlangt der General
Walker in erster Linie, daß der Zensus wie früher lediglich wieder auf
eine Volkszählung beschränkt werde, an welche höchstens noch eine
Festlegung bezüglich der landwirtschaftlich genutzten Anwesen an-
zugliedern wäre. Alle die übrigen weitgehenden und mit der Volks-
zählung durchaus in keinem inneren Zusammenhang stehenden Einzel-
fragen müßten gesondert in eigenen Erhebungen statistisch verfolgt
werden in der gleichen Weise, wie solches in den Ländern der alten
Welt geschähe. Die Volkszählungen müßten in Zeitabschnitten von 10
oder auch von 5 Jahren wiederholt und die übrigen statistischen Er-
hebungen über die jetzt auszuscheidenden Gegenstände, die auch wieder
eine gewisse Anzahl zu bilden haben würden, auf die Zwischenzeiten natür-
lich auch unter Wiederholung nach entsprechenden Zeitabschnitten ver-
teilt werden. Die gleichzeitige, ungemein umfassende Verarbeitung, wie
sie das bisherige Zensusverfabren gibt, würde dann wegfallen und es
würde nunmehr jede einzelne Kategorie in den jetzigen Erhebungen
besser zu ihrem Rechte kommen, jeder Gegenstand würde nach allen
Richtungen hin den Anforderungen der Praxis und der Wissenschaft
entsprechend durchgearbeitet werden können. Es würden sodann auch
die Schwierigkeiten wegfallen, welche dadurch entstehen, daß für eine
so vielseitige Erhebung jedesmal eine behördliche Organisation von
einem entsprechend bedeutenden Umfang geschaffen werden mäülte.
Man könnte die ausschließliche Volkszählung mit einem wesentlich
kleineren Behördenkörper in jeder Beziehung vollkommen durch-
führen und dieser Behördenkörper hätte sodann in den Zwischenzeiten,
in denen er durch die Volkszählungsarbeiten nicht in Anspruch ge-
nommen wäre, die anderen statistischen Erhebungen, welche gleichfalls
nach einem regelmäßigen Turnus sich wiederholen, zu bearbeiten. Da-
durch ist dann ohne weiteres schon von selbst eine ständige statistische
Behörde gegeben. Von einem ständigen statistischen Zentral- oder
Hauptamt spricht General Walker allerdings noch nicht, sein weiterer
praktischer Vorschlag geht dahin, die Bearbeitung des derzeit bevor-
stehenden elften Zensus (1890) dem im Department of the Interior bereits
bestehenden ständigen Bureau of Statistics of Labor zu übertragen.
Die Walkersche Anregung wurde sodann unter Anerkennung der
geltend gemachten Gründe von Caroll D. Wright, United States Com-
missioner of Labor, sehr warm aufgegriffen (Popular Science Monthly,
1891 November) Wright spricht sich schon unverhoblen für ein
ständiges statistisches Hauptamt aus. Auch er ist für eine Zerteilung
des Zensus in seine einzelnen begrifflich nicht zusammengehörigen
Kategorien, die dann zu verschiedenen Zeitpunkten zu verarbeiten sein
würden. Der erste und wesentlichste Schritt für eine Besserung liegt
seiner Ansicht nach in der Bildung eines ständigen statistischen Haupt-
amtes, das dann eine größere Zahl wissenschaftlich gebildeter und prak-
tisch geschulter Kräfte in sich vereinigen wird und die große Gesamt-
arbeit, die jetzt in einer kurzen Spanne Zeit überhastet werden mul,
sachgemäß auf 10 Jahre verteilen kann. Das ständige Hauptamt wird
Miszellen. 315
an Zahl weniger Hilfskräfte nötig haben, diese werden sich aber weit
mehr in die Sachen selbst einarbeiten und daher weit Besseres leisten
können. Kosten, wenn auch ungleich geringere wie in dem Zensusjahr,
werden jetzt allerdings dauernd für jedes Jahr entstehen, es mag sein,
daf die Gesamtkosten sich dadurch etwas höher als bisher belaufen
werden, demgegenüber ist aber auch zu berücksichtigen, wie das, was
geschaffen wird, einen ganz anderen Wert besitzen muf, gegen den die
Mehrausgabe nicht in das Gewicht fallen kann.
Inzwischen hatte aber auch der Senat der Vereinigten Staaten die
Sache amtlich in Angriff genommen und das Department of the Interior
mit entsprechender näherer Prüfung beauftragt. Für letzteres erstattete
zunàchst der Leiter des elften Zensus (1890) Robert P. Porter einen
sehr eingehenden Bericht, in welchem in gleicher Weise die Einrichtung
eines ständigen statistischen Hauptamtes empfohlen wird. Der Bericht
geht auch schon näher auf die zu treffenden Einzelheiten ein; neben
den alle 10 Jabre vorzunehmenden Volkszählungen sollen periodische
Erhebungen über Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, Bergbau,
Fischerei, Kirchen- und Erziehungswesen, Finanzverhältnisse, Verkehr,
Versicherungswesen etc. stattfinden; über die Zahl und den Geschäfts-
kreis der Beamten werden Vorschläge gemacht ebenso über eine Reihe
weiterer Einzelpunkte, auf die wir hier nicht spezieller eingehen können.
Der Portersche Bericht wurde vom Senat nach zweimaliger Lesung
dem Zensuskomitee überwiesen. Etwa gleichzeitig 1892 hatte aber auch
das Repräsententenhaus die Frage, ob ein ständiges statistisches Haupt-
amt einzurichten sei, aufgegriffen; das für die Durchführung des elften
Zensus erwählte Komitee sollte die nähere Sachuntersuchung vornehmen.
Dieses Komitee zog ein Gutachten von 10 erstklassigen Sachkundigen
ein, unter welchen sich auch Porter, Wright und General Walker be-
fanden. Namentlich die letzteren drei sprachen sich mit großer Ent-
schiedenheit für ein ständiges Amt aus und begründeten ihre Ansicht
in eingehender Weise. Porter führt speziell an, wie bei der jetzigen
Organisation die Zensusbehörde die nötige Zeit, um sich selbst ein-
zuarbeiten und die Erhebung sachgemäß und gut vorzubereiten, gar
nicht haben könne. General Walker warnt davor, die Kostenfrage
irgendwie entscheidend sein zu lassen, es sei hier wirtschaftlich weit
rationeller einen etwas höheren Kostenaufwand zu machen, weil das-
jenige, was mit diesem Mehr zu erreichen stände, einen unverhältnis-
mäßig höheren Wert haben würde. Wright betont geradezu, daß es
keinen noch so großen Statistiker oder Verwaltungsbeamten geben könne,
welcher bei dem jetzigen System den Zensus leiten und zu den er-
zielten Ergebnissen ein volles Vertrauen haben würde.
Das Zensuskomitee der Repräsentantenhauses kam dann 1893 zu
einem abschließenden Bericht, der etwa folgendes besagte: „Das Tätig-
keitsfeld der Zensusbehörden ist jetzt ein so ausgedehntes und der
Kreis der einzelnen Gegenstände, welche durch die verschiedenen Er-
hebungsabteilungen berührt werden, ein so weiter, daß es unmöglich
ist, bei der derzeitigen Regelung allen für das Einzelne zu stellenden
Anforderungen gerecht zu werden, mag die Behörde in dieser oder jener
376 Miszellen.
Weise vorgehen. Um alle die Aufgaben, welche jetzt dem 10-jährigen
Zensus gesetzt sind, zu erfüllen, bedarf es eines derartig ausgedehnten
Arbeitsorganismus, daß derselbe an und für sich schon unbehülflich
sein muß, ebenso wie es ausgeschlossen erscheint, denselben aus ein-
heitlichem, tauglichem Material zu bilden. Würde das statistische Amt
so eingerichtet, daß es ständig in Tätigkeit wäre, so würde nur ein
verhältnismäßig kleinerer Beamtenkörper dazu erforderlich sein; dadurch
ist aber wiederum die Möglichkeit gegeben, alle die einzelnen Stellen
mit wissenschaftlich gebildeten Statistikern und Spezialkundigen zu be-
setzen. Ein derartiges, entsprechend ausgestattetes, ständiges statistisches
Amt, welches die jetzigen Zensusaufgaben unter sachgemäßer Vereinzelung
und Verteilung in dem ganzen 10-jährigen Zeitraum erfüllt, wird tat-
sächlich einen geringeren Kostenaufwand verursachen als die Zensus-
erhebung bei der jetzigen Organisation. Dazu ist aber noch besonders
hervorzuheben, daß die Sammlung und Verarbeitung des Materials und
die Zusammenstellung der Ergebnisse eine weit sorgfältigere und nach
allen Richtungen hin befriedigendere werden würde, daß mithin das
schließliche Endergebnis des Ganzen von einem ungleich höheren Werte
sein müßte.“ Trotzdem sich dieser Komiteebericht mit großer Entschieden-
heit für die Errichtung einer ständigen Stelle aussprach, gab man der
ganzen Sache keine weitere Folge, der Kongreß beschäftigte sich weder
in seiner laufenden Session noch in der folgenden überhaupt mit der
Frage.
Erst im Jahre 1896 erinnerte sich der Kongreß der Angelegenheit
und forderte wiederum einen Bericht bezüglich Schaffung eines ständigen
statitischen Amtes von dem Commissioner of Labor Wright ein, der
nach dem Rücktritt Porters die letzten Arbeiten für den 11. Zensus
(1890) übernommen hatte. Wright vertrat dabei lediglich seine frühere,
uns bekannte Ansicht, die er nochmals eingehend begründete; er stellte
anheim, das ständige Amt schon so einzurichten, daß es den nächsten,
12. Zensus (1900), der dann gleich entsprechend zu beschränken sein
würde, einzuleiten und durchzuarbeiten hätte; bezüglich der demnächstigen
Erhebungen brachte er in Vorschlag: Volkszählungen in 5-jährigen
Zwischenräumen, jährliche Aufnahmen über die landwirtschaftliche Pro-
duktion, entsprechende Aufnahmen nach je 2 Jahren über Gewerbe
und Industrie, fortwährende Sammlung von Daten über die Geburts-
und Sterbefälle, fortlaufende Feststellung über Sklaven, Verbrecher und
Gebrechliche etc. Auch vor dem Senat mußte zu Anfang des Jahres 1896
Wright in Gemeinschaft mit S. N. D. North die Frage nochmals er-
örtern, was natürlich auch in dem gleichen Sinne geschah; es wurde
dabei aber auch mit Rücksicht auf den bevorstehenden 12. Zensus die
Dringlichkeit einer Entscheidung betont, da der Direktor des Zensus
mindestens 3 Jahre vor dem Zensustermin notwendig habe, um sich
für seine Aufgabe entsprechend vorzubereiten und alles, was zur Ein-
leitung des großen Werkes erforderlich sei, anzuordnen. Nach Maßgabe
der Wrightschen Vorschläge wurde demnächst ein Antrag an den
Kongreß gebracht, wobei jedoch vorbehalten war, die Gegenstände, auf
welche sich der 12. Zensus (1900) beziehen solle, durch einen besonderen
|
Miszellen. 377
Kongreßbeschluß, [näher zu bestimmen. Gleichzeitig gelangten an den
Kongreß und an den Senat noch zwei weitere unter sich bis auf
einige untergeordnete Punkte übereinstimmende Anträge Sayers und
Chandler, welche von dem vorbezeichneten wiederum nur darin ab-
wichen bezw. denselben darin ergänzten, daß sie die gesamten Zensus-
erbebungen dem Commissioner of Labor übertragen und dadurch ein
ständiges Hauptamt schaffen wollten. Nachdem auch die besonderen
Eingaben die beiden großen wissenschaftlichen Vereinigungen der Ver-
eingten Staaten, American Economie Association und American Statisti-
cal Association, die Notwendigkeit einer Verbesserung und Vertiefung
des Zensus durch eine anderweite Regelung desselben betont hatten,
gelangte das Komitee des Kongresses zu dem Beschluß, eine Vereinigung
des Department of Labor und des Zensus zu empfehlen; das Depart-
ment of Labor sei besonders für statistische Arbeiten ausgestattet, es be-
sitze für solche eine durchgebildete und erfahrene Beamtenschaft, welche
sehr wohl den Kern für die weitergehenden Aufgaben des Zensus bilden
könne; die Aufgaben des Department of Labor seien im allgemeinen
denen des Zensus Office verwandt und im Interesse einer Kosten- und
einer Behördenersparniß erschiene es nicht angebracht, neben dem
Department of Labor noch ein eigenes selbständiges statistisches Amt
zu errichten. Ungeachtet der Dringlichkeit der Angelegenheit, gelangte
der Kongreß in dieser Session zu keinem definitiven Beschluß. In den
beiden folgenden Jahren 1898 und 1899 haben Senat sowohl wie Kon-
greß unsere Frage in sich und unter sich in reger Weise verhandelt.
Diese Verhandlungen drehten sich aber weniger um die Hauptfrage,
ob ständiges Amt oder nicht, als um das Wie eines ständigen Amtes.
Im einzelnen gingen die Ansichten namentlich darüber auseinander, ob
das ständige statistische Amt mit dem Department of Labor zu ver-
binden oder ob es als eine eigene Behörde zu errichten sei, ob es dem
Department of the Interior als Unterbehörde unterstellt oder ob es als
selbständiges Departement hingestellt werden solle, ob es am Sitz der
Regierung oder sonstwo eingesetzt werden müsse, ob die sämtlichen
Angestellten und Hilfskräfte des statistischen Amtes nach Maßgabe der
Vorschriften über Beamtenanstellung und auf Grund der Staatsdiener-
gesetze angenommen werden sollen, oder ob dem Direktor des Amtes
freigestellt bleibe, die Hilfskräfte mehr oder weniger ausgedehnt auch
in dem bisher beim Zensus üblichen Verfahren zu verpflichten etc.
Ueber alle diese Fragen, zu denen noch weitere Unterfragen und
Einzelheiten hinzukamen, konnte man aber trotz wiederholter und ein-
gehender Verhandlungen zu einer Einigung und einem befriedigend ab-
schließenden Resultat nicht gelangen und so mußte an diesen zunächst
nicht zu klärenden Nebenfragen die Hauptsache, die Errichtung eines
ständigen statistischen Zentralamtes, überhaupt scheitern. Der Termin
für den 12. Zensus, 1. Juni 1900, stand vor der Tür und es erschien
unbedingt notwendig, die erforderlichen gesetzlichen Vorschriften für
die Einleitung und Ausführung dieses Zensus baldigst zu treffen. Das
Zweckmäßigste und deshalb auch zuerst in Aussicht Genommene, die
Verbindung der Zensusgesetzgebung mit der über Errichtung eines
378 Miszellen.
ständigen statistischen Amtes, ließ sich bei den nicht so schnell zu be-
seitigenden Meinungsverschiedenheiten über die vorbehandelten Punkte
nicht erreichen und so mußte man denn in der bisherigen Weise zu
einem Gesetz lediglich für den 12. Zensus schreiten, das sich auch
sonst dem bisherigen Verfahren im wesentlichen anschloß, Nach ent-
sprechender Beratung und Vereinbarung wurde ein solches unter dem
3. März 1899 erlassen und später durch eine Novelle vom 1. Februar
1900 ergänzt.
Diese gesetzliche Regelung bezog sich aber ausschließlich und ganz
im Anschluß an die frühere bezügliche Gesetzgebung auf den zwölften
Zensus (1900), welcher auch seinem Umfang nach im wesentlichen an
die früheren 10-jährigen Erhebungen angeschlossen wurde. Für den
Zensus wurde wie bisher ein Census Office lediglich als Behörde ad hoc
bestellt und dem Department of the Interior, wenn auch mehr formell
wie materiell, untergeordnet. Von der Bildung eines ständigen statisti-
schen Amtes sah man vollständig ab, ja in dem Zensusgesetz selbst
wurde ausdrücklich bestimmt, daß keine Vorschrift desselben so aus-
gelegt werden dürfe, als hätte dadurch ein ständiges statistisches Bureau
über die Aufgaben und das Bedürfnis des zwölften Zensus hinaus ge-
schaffen werden sollen. Damit war nun allerdings die zunächst gehegte
Hoffnung, im Anschluß an die Anordnung des zwölften Zensus eine
Neuorganisation und damit ein ständiges statistisches Amt zu erreichen,
vereitelt. Die Bewegung auf Besserung des bisherigen Zustandes hatte
aber doch schon zu kräftig eingesetzt und einen zu großen Umfang an-
genommen, um hierdurch als solche zurückgedrängt oder niedergedrückt
zu werden. Für den Kongreß liegt allerdings ein unmittelbar zwingender
Anlaß, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie er vorher durch die
unbedingt notwendige Regelung des zwölften Zensus gegeben war, nicht
mehr vor und wird deshalb das Interesse desselben an und für sich
kein so lebhaftes sein und besonderer Anregung bedürfen. Bei der
verhältnismäßig großen Ausdehnung der Bestrebungen für Schaffung
einer ständigen statistischen Zentralstelle und der unverkennbaren gene-
rellen Einhelligkeit aller beteiligter Kreise in diesen Bestrebungen wird
es aber an derartigen Anregungen wohl kaum fehlen können. Eine
erste solche und zwar eine an sich schwerwiegende ist auch bereits er-
folgt. Der Direktor des zwölften Zensus William R. Merriam hat einen
eingehenden Bericht über die Frage der Errichtung eines ständigen
satistischen Amtes an das Kongreßkomitee für den Zensus erstattet,
welcher einerseits eine eingehendere Darstellung der geschichtlichen
Entwickelung der Frage, der wir auch das Tatsächliche für unsere vor-
liegende Behandlung im wesentlichen entnommen haben, gibt und anderer-
seits besondere Gutachten des Vizedirektors und der Abteilungsvorstände
des inzwischen zur Verarbeitung gekommenen’ zwölften Zensus enthält,
in denen diese auf Grund ihrer unmittelbaren praktischen Erfahrungen,
und zwar je unter besonderer Berücksichtigung des ihnen unterstellten
Spezialgebietes, sich über die Errichtung eines ständigen statistischen
Amtes aussprechen. Gerade diese so frisch und unvermittelt aus der
sachkundigsten Praxis hervorgehenden Gutachten werden eine vorragen-
Miszellen. 379
dere Beachtung in Anspruch nehmen können und ihrem ganzen Wesen
nach auch verdienen. Wir können hier natürlich nicht auf das einzelne
derselben eingehen, sondern müssen uns darauf beschränken einiges
wesentliche aus denselben herauszuheben. Vorweg sei aber noch be-
merkt, daß sämtliche Gutachten sich unbedingt und mit Entschieden-
heit für die Bildung eines ständigen statistischen Zentralamtes aus-
sprechen.
Das Gutachten des Vizedirektors des Zensus Fredrick H. Wines
berührt hauptsächlich die allgemeinen Gesichtspunkte. Eine Vereini-
gung des Census Office mit einem der bestehenden statistischen Spezial-
bureaus oder eine Verteilung der einzelnen Erhebungsgegenstände des
Zensus auf diese Bureaus wird als unpraktisch nachgewiesen. Dem
Kongreß muß die Bestimmung über die einzelnen Erhebungen verbleiben,
wie er jetzt auch die Gegenstände des Zensus beschließt. Einem stati-
stischen Amt für die durch den Zensus bewirkten Ermittlungen fällt
eine doppelte Aufgabe zu, einmal die Sammlung des Materials in tun-
lichster Vollständigkeit und sodann die Verarbeitung desselben in sach-
gemäßer den Anforderungen der Wissenschaft und der Praxis ent-
sprechenden Weise. Eine Trennung der einzelnen Erhebungen über
Gegenstände, welche nicht in unmittelbarem Zusammenhang oder in
irgendwelcher Beziehung zu einander stehen, erscheint an sich als ge-
boten. Ein ständiges Amt ist die logische Konsequenz der an die
Statistik zu stellenden Anforderungen. Einen Stamm gelernter und
eingeschulter wissenschaftlicher wie technischer Beamten, wie er zur
nutzbringenden und zuverlässigen Erfüllung der einzelnen Aufgaben un-
bedingt notwendig ist, kann nur ein ständiges Amt haben. Ebenso
wird auch nur ein solches eine volle Kontinuierlichkeit in den offiziellen
Bearbeitungen als solchen und gleicherweise wiederum auch in der Art
und dem ganzen Charakter dieser Bearbeitungen gewähren können. Das
wissenschaftliche Hilfsmaterial von Bibliothek, Sammlung der Publikationen
namentlich auch der fremden, ist nur ein ständiges Amt sich in ge-
nügender Vollständigkeit zu verschaffen in der Lage. Dasselbe wird
die geographische Seite bei den Erhebungen, welche bisher ungebührend
vernachlässigt worden, besser berücksichtigen. Es wird regelmäßig eine
ausgiebigere Zeit für die Vorbereitung der Erhebungen haben und diese
daher sachentsprechender ausgestalten können. Es kann der Kritik der
früheren Publikationen und Arbeiten mehr Rechnung getragen werden,
die wissenschaftliche und soziologische Seite besser gepflegt, auch dem
tatsächlichen Bedürfnis in allen seinen Einzelheiten in weitergehendem
Maße entsprochen werden. Trotz alledem wird immer noch eine Kosten-
ersparnis zu erzielen sein. Nur bei einem ständigen Amt kann die
Regierung und das Land einen vollen Nutzen durch die Erfahrung der
einrichtenden und leitenden Beamten haben und allein durch ein ständiges
Amt läßt sich ein systematisches, freiwilliges Zusammenwirken der
staatlichen, Grafschafts- und städtischen Organe und auch der Privat-
organisationen, wie solches für einen richtigen Erfolg notwendig ist,
erzielen und aufrecht erhalten.
Der Abteilungsvorstand für Bevölkerungsstatistik William C. Hunt
380 Miszellen.
hebt namentlich die Schwierigkeit der gleichzeitigen Behandlung der
verschiedenartigen wichtigen Gegenstände in den einzelnen Abteilungen
hervor, welche sich sowohl bei der Gewinnung der geschulten Beamten
und sonstigen Hilfskräfte, wie bei der Beschaffung der Lokalitäten für
deren zweckentsprechende Unterbringung, wie bei der Herausgabe und
dem Druck der verarbeiteten Ergebnisse zeigt. Die Herausgabe der
Volkszühlungsdaten, die tunlichst schnell geschehen muß, wird durch
die Verbindung mit anderen Erbebungsgegenständen aufgehalten. Die
Vorbereitung der Volkszählung ist bei dem jetzigen Verfahren wegen
Mangels der erforderlichen Zeit keine vollkommene, sie würde durch
ein ständiges Amt besser ausgeführt werden. Namentlich gilt dieses
auch für die besondere Schwierigkeiten verursachenden Distrikte. Für
die Volkszählungsdaten ist Zuverlässigkeit und schnelles Erscheinen
die Hauptsache, beides wird durch ein ständiges Amt besser verbürgt.
Die gewaltige Arbeitslast der Volkszählung muß in verhältnismäßig
kurzer Zeit bewältigt werden, das umfangreiche Personal wird daher
jetzt nur für kurze Zeit angenommen, dadurch ist die Arbeitsleistung
an sich schon minderwertiger, denn alle müssen sich schon während der
Arbeit nach einer neuen Beschäftigung umsehen. Ein geschultes und
eingearbeitetes Personal ist auch für die Volkszählung von großer Be-
deutung, ein solches wird aber nur ein ständiges Amt bieten können.
Ebenmäßig kann nur durch ein solches eine Erweiterung und Vertiefung
der Bevölkerungserhebungen, wie sie von vielen Seiten mit vollem Recht
gefordert wird, erfolgen. Die Vermehrung und stärkere Vermischung
der Bevölkerung erschwert die Aufgaben der Bevölkerungsstatistik immer
mehr, nur ein ständiges Amt wird für die Folge den von Wissenschaft
und Praxis zu stellenden Anforderungen in einem ausreichenden Maße
genügen können.
Der Abteilungsvorstand für die Industriezählung S. N. D. North
weißt darauf hin, wie gerade die Industriezählung behufs sachgemäßer
Durchführung ein besonderes Personal verlangt, das nicht nur statistisch
geschult sein, sondern sich daneben auch noch bis zu einem gewissen
Grade mit den charakteristischen Einzelheiten der verschiedenen in-
dustriellen Betriebe vertraut gemacht haben muß, ein Personal, wie es
voll eingearbeitet nur ein ständiges Bureau haben kann. Es gilt dieses
aber nicht nur für das wissenschaftliche und höhere Personal, sondern
gleicherweise auch für die gewöhnlichen Hülfskräfte, welche erst durch
eine ständige Uebung diejenige Leistungsfähigkeit erlangen, welche für
die Industrieaufnahmen erforderlich ist. Das Verfahren bei der Auf-
nahme und die unmittelbare Sachprüfung, welche für die Industrie-
zählung am ausschlaggebendsten sind, wird allein ein ständiges Amt in
zufriedenstellender Weise regeln und durchführen können. Die historische
Ueberlieferung des Erhebungsverfahrens in seinen Einzelheiten und die
dadurch bedingte innere Uebereinstimmung in den Ergebnissen der
zeitlich aufeinanderfolgenden Erhebungen wird ausschließlich durch ein
ständiges Amt erreicht werden können, für die Industriezählung liegt
aber hierin wieder eine ganz wesentliche Bedeutung. Bei dem Vor-
handensein eines ständigen statistischen Amtes wird man sich der
Miszellen. 381
jeweiligen Lage und dem speziellen Bedürfnis ungleich besser anpassen
können und ist solches durch den teilweise schnelleren Wechsel in den in-
dustriellen Verhältnissen und die Eigenart der Industrieerhebungen zweifel-
los vielfach bedingt; man wird die allgemeinen Industrieerhebungen in
5-jährigen Zwischenräumen, wie schon wiederholt und wohl mit Recht
verlangt worden, wiederholen, für einzelne Industrien besondere ein-
gehendere Erhebungen veranstalten, auch für solche zu jährlichen Er-
hebungen schreiten können etc. Dabei muß es fraglich bleiben, ob nicht
trotz der ungleich größeren und wertvolleren Leistung am Kostenaufwand
erspart werden würde. Schließlich wird aber ein ständiges Amt auch
dem sich schon lebhaft fühlbar machenden, voraussichtlich aber noch
verstärkenden Bedürfnis nach einer weiteren Ausgestaltung der Industrie-
zählungen überhaupt allein in einem ausreichenden Maße Genüge leisten
können.
Der Abteilungsvorstand für die landwirtschaftliche Erhebung Le
Grand Powers stellt in gleicher Weise auch für die Landwirtschafts-
statistik als wesentlichstes und immer mehr sich geltend machendes
Erfordernis das Vorhandensein einer sachkundigen und speziell ein-
gearbeiteten Beamtenschaft, wie sie nur durch ein ständiges Bureau
zu erreichen ist, in den Vordergrund, weil die Kultivierung des Grund
und Bodens nicht nur eine immer ausgedehntere, sondern auch in ihren
Einzelheiten immer verschiedenartigere wird. Ein ständiges Beamten-
und Hilfsarbeiterpersonal wird sich außerdem nicht nur die statistischen
Fertigkeiten, sondern gleicherzeit auch Kenntnisse bezüglich der land-
wirtschaftlichen Verhältnisse erwerben, was für die Ergebnisse der
Erhebungen von nicht zu unterschätzendem- Vorteil sein muß. Auch
für die Instruktion der Zähler, auf welche ein immer größeres Gewicht
zu legen ist, muß ein geschultes Personal verlangt werden. Der Wert
der statistischen Ergebnisse kann bei einem ständigen Amt nur ge-
winnen, denn das Erhebungsverfahren wird ein vollkommeneres, die Ueber-
einstimmung mit den früheren Erhebungen wird besser gewahrt, die
innere Vergleichbarkeit der Resultate wird gehoben. Der Aufwand an
Kosten wird sich veringern, namentlich bezüglich der eigentlichen un-
mittelbaren Erhebungskosten. Das jeweilige aktive Interesse des Landes
und der Bevölkerung an den Erhebungsergebnissen wird weitgehender
und sorgfältiger berücksichtigt werden können. Die Erhebungen selbst,
auch in ihren Resultaten, werden sich ohne erheblichen Kostenaufwand
wissenschaftlich mehr vervollkommenen, erweitern und spezialisieren lassen.
Endlich bezeichnet der Abteilungsvorstand der Sterblichkeitsstatistik
William A. King die Bildung eines ständigen statistischen Amtes be-
züglich seines Ressorts für ein unbedingt notwendiges Erfordernis.
Gleichmälig für das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten werden
jetzt die Geburts- und Sterbefälle oder speziell sogar nur die letzteren
lediglich für ein Jahr unter zehn, für das Zensusjahr, festgestellt. Bei
der ungemeinen und vielseitigen Bedeutung, welche die Verfolgung ‘der
fraglichen Bewegung der Bevölkerung, die sachgemäße Feststellung der
Geburts- und Sterbefälle in der mannigfachsten Beziehuug für Fragen
des Gemeinwohls zweifellos und allseits anerkanntermaßen hat, ist eine
382 Miszellen.
derartige periodische Statistik vollkommen ungenügend, es sind in dieser
Beziehung jährliche und stetig fortgesetzte Feststellungen ohne alle
Frage zu fordern. Es kann auch keinen Ersatz bieten, wenn in einer
Reihe einzelner Staaten, aber keineswegs in sämtlichen, durch die
staatliche Machtbefugnis eine fortgesetzte Statistik über die Geburts-
und Sterbefälle zur Einführung gebracht ist und wenn durch wissen-
schaftliche Vereinigungen etc. dieser Statistik eine tunlichste Ausdehnung
und sachgemäße Vertiefung gegeben wird. Ein ständiges statistisches
Hauptamt muß diesen Zweig der Statistik in die Hand bekommen und
gleichmäßig und dauernd für das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten
zur Durchführung bringen.
Aus diesen nur in den Hauptpunkten wiedergegebenen Gutachten
läßt sich wiederum erkennen, daß gewichtige Gründe für die Aufgabe
des bisherigen Zensussystems und die Errichtung eines ständigen
statistischen Haupt- und Zentralamtes sprechen. Auch in den Kongrel-
verhandlungen ist das Vorhandensein dieser Gründe eigentlich von keiner
Seite in Abrede gestellt, di» Durchführung der im Prinzip als notwendig
anerkannten Neuerung ist lediglich an Nebenpunkten gescheitert. Unter
diesen Umständen steht wohl zu erwarten, daß sich mit der Zeit und
wohl kaum in zu ferner Zeit das Schwerwiegende der Gründe für die
Errichtung des ständigen statistischen Amtes doch Bahn brechen wird
und daß die gesetzgebenden Körperschaften zu einer Uebereinstimmung
bezüglıch der Form der zu treffenden Regelung kommen werden.
Miszellen. 383
Nachdruck verboten.
Ve
Die landwirtschaftlichen Syndikate Italiens.
Von Dr. Heinrich Pudor.
Bei der nachstehenden Darstellung beziehen wir uns in der Haupt-
sache auf das ausgezeichnete Werk ,La Prévoyance sociale en Italie“
par Léopold Mabilleau, Charles Rayneri, Comte de Rocquigny (Paris,
Armand Colin & Cie.) Das zweite Buch dieses Werkes ist von dem
bekannten, hochverdienten Comte de Rocquigny bearbeitet und behandelt
das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen.
In Italien hat sich das ländliche Genossenschaftswesen, ähnlich
wie in Deutschland, anfangs in der Hauptsache als Kreditgenossenschafts-
wesen entwickelt, im besonderen sind es die Volksbanken, welche die
anderen Formen des Genossenschaftswesens erst hervorgerufen haben.
Und zwar entwickelte sich zuerst das städtische Genossenschaftswesen,
und danach das ländliche, welches die weitgehendsten Hoffnungen zu
erfülen imstande ist.
Bereits vor dem eigentlichen landwirtschaftlichen Genossenschafts-
wesen besaß Italien eine ländliche Associationsform in den sogenannten
Comices agricoles. Letztere, gegründet im Jahre 1866 und reorganisiert
durch ein kónigliches Dekret vom 23. Dezember 1883, sind heute in der
Zahl von 250—800 in allen Teilen des Königreiches, wenn auch in ver-
schiedener Form, ausgebreitet. Einige derselben umfassen das Terri-
torium einer Provinz, andere nur ein einfaches Arrondissement (Be-
zirk, Circondario) Mehrere der letztere entfalten nur eine geringe
Wirksamkeit und existieren nur dem Namen nach. Im übrigen tragen
sie einen offiziellen Charakter und empfangen Staatsunterstüzung. Ihre
Mitglieder rekrutieren sich aus der Elite der landwirtschaftlichen
Klassen. Jede Kommune stellt einen Deligierten, jeder Hauptort
deren drei. Auf diese Weise ist eine gewisse Repräsentation der
organisierten landwirtschaftlichen Bevölkerung geschaffen. Die Auf-
gabe der Deligierten ist es, zwischen der ländlichen Bevölkerung
und dem landwirtschaftlichen Ministerium eine Vermittlungsstelle zu
schaffen. Ein Reglement vom 8. Dezember 1878 gab den Comices mehr
praktische Befugnis, z. B. Verbesserung der Tierrassen, und übertrug
ihnen die Rolle, „für die Verbesserung der physischen und sittlichen
Bedingungen der landwirtschaftlichen Klasse thätig zu sein“ — ein
Programm, welches bekanntlich die Aufgaben des landwirtschaftlichen
Genossenschaftswesens überhaupt in sich begreift. Freilich haben den
Comices nicht genügende Geldmittel zur Verfügung gestanden, um diese
wichtigen Aufgaben zu erfüllen. Immerhin veröffentlichen einige perio-
dische Bulletins, organisieren Konkurse, Ausstellungen, Kongresse,
Konferenzen, Vorlesungen über technische Fragen und sind wesentlich mit-
beteiligt an der Gründung der Molkereigenossenschaften. Als dann die
384 Miszellen.
französischen ländlichen Syndikate ins Leben traten, organisierten auch
die italienischen Comices ihrerseits den gemeinsamen Einkauf von Sämereien,
Düngemitteln und anderer landwirtschaftlicher Produkte: sie begannen
in der That die Funktionen landwirtschaftlicher Syndikate auszuüben,
entweder direkt oder indem sie sich Syndikaten angliederten. Man
kann sagen, daß diese Comices unter dem Drucke der ökonomischen
Verhältnisse genötigt waren, ganz und gar in das landwirtschaftliche
Genossenschaftswesen hineinzuwachsen und die große soziale Aufgabe
zu erfüllen, daß der Profit, der aus dem Verkaufe eines Produktes er-
wächst, allen denen zukommt, welche an der Erzeugung des Produktes
mitgearbeitet haben. Und somit haben die italienischen Comices mit
der Zeit der ländlichen Bevölkerung Italiens dieselben Vorteile, wie die
Berufssyndikate der landwirtschaftlichen Bevölkerung Frankreichs ge-
bracht. Dazu kam, daß neben den alten und den reorganisierten Comices
Syndikate gegründet wurden, nach dem Vorbilde der französischen. Im
Jahre 1887 begann die landwirtschaftliche Behörde sich mit der Frage
zu beschäftigen und gab der Meinung Ausdruck, daß die italienischen
Comices angethan sind, dieselben Aufgaben zu erfüllen, wie die fran-
zösischen Sy yudikate,
Im Jahre 1888 fand in Ecloga der dritte Kongreß der italienischen
Genossenschafter statt, welcher sich auch mit der Frage der lündlichen
Syndikate befaßte, und in Ansehung des Umstandes, daß Italien eines
Syndikatsgesetzes, wie es Frankreich hat, entbehrt, auf den Vorschlag
Maggiorino Ferraris folgenden Beschluß fafte: Der Kongreß hält es für
gut, daß sich die genossenschaftliche Organisation der Konsumenten
auch der Landwirtschaft zuwendet und unter der Form landwirtschatt-
licher Vereinigungen den gemeinsamen Einkauf und Verkauf landwirt-
schaftlicher Produkte organisiert.
Im Jahre 1892 tauchte dieselbe Frage vor dem Oberhause auf.
Man gab der Meinung Ausdruck, daß die Syndikate besser als die
Comices den Bedürfnissen der modernen Landwirtschaft angepaít sind
und citierte das Beispiel aus der Provinz Reggio Calabria, wo das land-
wirtschaftliche Comice nur 20 Mitglieder zählt, während das Syndikat
deren 4000 in sich begreift. Professor Ferrari, Rektor der Universität
Padua, erklärte, daß die Syndikate die Vermittelung zwischen den
allgemeinen und den individuellen Interessen herstellen. Der Minister
Boselli ernannte im Jahre 1894 eine Specialkommission, um die Mittel
zu studieren, die landwirtschaftlichen genossenschaftlichen Organisationen
geeignet zu machen, das Los der ländlichen Bevölkerung zu verbessern.
Diese Kommission faßte unter dem Präsidium des Senators Garelli den
Beschluß, daß „die Comices, in geeigneter Weise reorganisiert und ge-
festigt, durch die Regierung aufgefordert werden, landwirtschaftliche
Berufsgenossenschaften zu gründen und sich anzugliedern !)*.
Die eigentlichen landwirtschaftlichen Syndikate oder Einkaufs-
1) Annali di agricoltura, 1896, La cooperazione nell'agricoltura italiana. —
Dieses offizielle Regierungsorgan hat die Verhandlungen der oben genannten Gesellschaft
veröffentlicht.
Miszellen, 385
genossenschaften haben der genannten Kommission durch den Präsi-
denten des landwirtschaftlichen Syndikates Turin einen Bericht er-
stattet, welcher konstatiert, daß sie in hervorragender Weise befähigt
sind, für die Erfüllung der sozialen Aufgaben auf dem Lande zu wirken
und daß die Genossenschaft in gleicher Weise wie das Syndikat hierzu
m wirken berufen ist. Auch der Generalbericht der Kommission für
landwirtschaftliches Genossenschaftswesen, welcher am 11. April 1896
dem Landwirtschaftsminister vorgelegt wurde, konstatiert die Nützlich-
keit der Syndikate und die Notwendigkeit, für ihre tunlichst rasche
Ausbreitung Sorge zu tragen.
Die üblichen Operationen der französischen ländlichen Syndikate,
also gemeinsamer Einkauf und Absatz der für die Landwirtschaft nötigen
Dinge, wurden also in Italien ebensowohl durch die ländlichen Syndikate
verschiedener Form als durch eine Zahl von Comices erfüllt, durch letztere
besonders in den venezianischen Provinzen. Außerdem trifft man, be-
sonders in Piemont, landwirtschaftliche Konsumvereine, welche als Syn-
dikate wirken. Dabei hat der Staat überall helfend eingegriffen.
Wir wollen zunächst die Comices, welche als Syndikate wirken,
einer Betrachtung unterwerfen. Das älteste ist das Comice agricole
de Plaisance, welches im Jahre 1868 gegründet wurde, unter dem
Vorsitz des bedeutenden Agronomen Giacomo Riva; es zählt 600 Mitglieder,
welche einen jährlichen Beitrag von 6 fres. zahlen. Auch dieses Comice
wird vom Staate subventioniert. Seit dem Jahre 1880 besorgt es den
gemeinsamen Einkauf von Sümereien in Rieti (Provinz Perouse) und
seit 1883 und 1884 auch denjenigen von Düngemitteln. Im Jahre
1889 regte es die Gründung des Syndikates de Plaisance an, welches
die Comices de Plaisance und de Frierenzuola d'Arda für den gemein-
samen Einkauf vereinigte. Die Aufträge werden zweimal im Jahre
gesammelt, und die Mitglieder müssen 5—10 Proz. des Wertes der
bestellten Waren deponieren. Die Düngemittel, deren Kauf das Syn-
dikat vermittelt, werden auf peinliche Weise analysiert und geprüft,
desgleichen die Sämereien. Der Umsatz beträgt jährlich ca. 200000 L.
Die Wirksamkeit des Syndikates auf diesem Gebiete hat zur Folge
gehabt, daß die Preise für Düngemittel um ungefähr 20 Proz. gefallen sind.
Außerdem wurde mit anderen landwirtschaftlichen Associationen eine Föde-
ration geschaffen für den direkten Einkauf der Mineraldünger in den
Produktionscentren. Das Syndikat belastet dafür die Mitglieder mit
nur ungefähr 15/, des Wertes der Einkäufe. Es hat nur einen ein-
zigen Angestellten mit einem Salär von 100 L. den Monat. Auch den
gemeinsamen Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte hat das Syn-
dikat organisiert. Ferner hat das Syndikat Geschäftsbeziehungen mit
der Heeresverwaltung eingeleitet, Tarifermäßigungen auf Eisenbahnen
durchgesetzt und mit Hilfe der Volksbank de Plaisance die Lieferung
auf Kredit ermöglicht.
In der Provinz Cremona wirken die drei Comices de Cremone,
Crema und Casalmaggiore als landwirtschaftliche Berufssyndikate. Das
wichtigste ist dasjenige von Cremona, gegründet im Jahre 1880. Es zählt
340 ordentliche Mitglieder. Der jährliche Mitgliederbetrag beträgt 7 L.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX.) 25
386 Miszellen.
Der Präsident ist Dr. Antonio Boddini. Im Jahre 1895 hat das Comice
Käufe in der Höhe von 67000 L. vermittelt.
Das Comice von Padua hatte vom 1. Januar bis 1. Oktober 1896
einen Umsatz von 130000— 140000 L. Das Comice liefert auch auf
Kredit und befaßt sich viel mit der Viehrassenverbesserung. Es besteht
unabhängig von dem Syndikat von Padua.
Das Comice von Conegliano in der Provinz von Treviso zählt
200 Mitglieder und steht unter der Präsidentschaft des Doktor Vitale
Calissoni. Dieses Comice hatte im Jahre 1890 innerhalb seiner Orga-
nisation ein Syndikat gegründet für den Einkauf von landwirtschaft-
lichen Bedarfsartikeln. Dieses Syndikat hat enorme Fortschritte ge-
macht: im Jahre 1893 betrug der Umsatz 191000 L., während der
ersten 11 Monate des Jahres 1894 hatte er sich bereits auf 258 000 L.
erhoben und die Kassenbewegung dieses Jahres überstieg 610000 fres.
Dieses Syndikat hat für das Bekanntwerden und die vermehrte Anwen-
dung des Mineraldüngers sehr viel gethan, desgleichen für die Anwen-
dung von landwirtschaftlichen Maschinen. Es liefert Waren nicht bloß
an Mitglieder, sondern auch an auferhalb stehende Personen, wenn-
gleich mit einer geringen Preiserhóhung. An erstere verkauft es unter
der Bedingung der Zahlbarkeit innerhalb 30 Tagen, wobei der Käufer
eine Ersparnis von 20 Proz. erzielt. Der Präsident des Syndikates ist
zugleich Präsident des Comices. Letzteres besaß Ende September 1896
ein Kapital von 45000 frcs.; dasselbe dient unter anderem dazu, den
kreditbedürftigen Mitgliedern ausnahmsweise Geld für die Zeit eines
Jahres und zu einem Zinsfuß, welcher 5 Proz. nicht überschreiten darf,
zu leihen. Für die Rassenviehverbesserung hat das Comice viel gethan,
indem es Zugvieh aus Tyrol ankaufte und Remontestationen errichtete.
Außerdem verteilt es gratis Sàmereien für Küchengemüse und verleiht
landwirtschaftliche Maschinen an die Mitglieder. Es hat ferner dem
Lande eine neue landwirtschaftliche Industrie geschaffen, nàmlich die
Trockenkonservierung von Früchten und Gemüsen. Endlich hat es das
landwirtschaftliche Facherziehungswesen in hohem Mafe gehoben.
Auch viele andere Comices in allen Teilen des Königreiches, be-
sonders in Venetien, funktionieren als landwirtschaftliche Syndikate.
Wir nennen das Comice agricole von Como und diejenigen von Alessudris,
Parma, Brescia u. s. f.
* *
*
Des weiteren wollen wir die landwirtschaftlichen Einkaufsvereini-
gungen „institutions agricoles d'achat“, wie sie Graf von Rocquigny
unter einer gemeinsamen Bezeichnung zusammenfaßt, in Italien sindacato,
consortio agrario oder unione agricola genannt, der Betrachtung unter-
ziehen. Sie ähneln sehr den französischen landwirtschaftlichen Berufs-
syndikaten, sind indessen unter verschiedenen Formen gegründet worden,
da Italien eines Syndikatgesetzes entbehrt.
Diese italienischen Organisationen sind in ähnlich konzentrischer
Weise eingerichtet, wie in Amerika, Frankreich und Portugal. Dem
Syndicat locale, d. i. dem amerikanischen local Grange entspricht hier
Miszellen. 387
das sogenannte „Syndicat agricole initial“, gebildet unter den Landwirten
eines und desselben Ortes. Dieses Syndikat kann sowohl einem größeren
eigentlichen Syndikate angeschlossen sein, und zwar als Mitglied oder
eine centrale Institution, wie die Federation italienne des Syndicats
agricole de Plaisance. In der Hauptsache dienen diese Syndikate
dazu, den kleinen Orten die Vorteile der großen Handelsplätze zu ver-
schaffen. Die Arbeitsthätigkeit derselben ist derartig, daß sie auf der
einen Seite die Bestellungen, auf der anderen Seite die Verteilung der
bestellten Waren zentralisieren. Am zahlreichsten sind sie in Piemont.
Herr Luzzatti hat für dieselben ein Modellstatut vorbereitet, um sie
sie der Vorteile des italienischen Handelskodex teilhaftig zu machen.
Dieser Entwurf ist veröffentlicht in dem Organ der italienischen Volks-
banken ,Credito e cooperazione*. Danach ist es Aufgabe dieser Syn-
dikate, die möglichst größte Anzahl von lokalen Warenbestellungen zu
sammeln, eine möglichst große Anzahl von Warenangeboten zu erlangen
und die einen mit den anderen in Verbindung zu setzen.
Weiter kommen wir zu den „Syndicats agricoles ordinaires“. Sie
sind von der italienischen Gesetzgebung nicht anerkannt, und werden
vom Fiskus ignoriert. Das Recht der juristischen Personen geht ihnen
ab, wodurch große Schwierigkeiten entstehen. Wir erwähnen zuerst
das Syndikat agricole von Padua, gegründet im Jahre 1889 auf Ver-
anlassung Luzzattis Am 31. Mai 1897 zählte es 746 Mitglieder, der
jährliche Beitrag ist 2 L., der Präsident ist der Ingenieur G. Trieste,
der Direktor der Ingenieur Theodor Gruber, Professor der Landwirt-
schaft am technischen Institut in Padua.
Das Syndikat diente erstens für den Einkauf aller für die Land-
wirtschaft notwendigen Artikel, zweitens für die Kontrolle der Lieferungen
und drittens für Ausführung von Analysen jeder Art. Auch darf es
sich mit dem Verkauf landwirtschaftlicher Produkte befassen. Der
Umsatz überstieg im Jahre 1896 315000 L. Das Syndikat hat seinen
Sitz und seine Magazine in dem Hause der Volksbank von Padua,
welche unentgeltlich das Kassenwesen des Syndikates besorgt. Weiter
hat das Syndikat sich beteiligt an der Gründung eines Laboratoriums
für landwirtschaftliche Chemie, im Anschluß an das technische Institut
von Padua, desgleichen an der Einrichtung’ von Wanderkursen für land-
wirtschaftliches Erziehungswesen, welche auch hier wieder auf Anregung
von Luigi Luzzatti die Tätigkeit der Syndikate und der Volksbanken
aufs heilsamste ergänzen werden. In den 7 Jahren, welche seit der
Gründung des Syndikates bis Ende des Jahres 1896 verflossen sind,
hat dasselbe den Einkauf von 6036 Bestellungen für 1450000 L. ver-
mittelt.
Das landwirtschaftliche Syndikat von Turin wurde im Februar
1888 gegründet, und entspricht fast vollkommen dem Typus desjenigen
von Padua. Indessen funktioniert das Syndikat von Turin auch als
Centralsyndikat und zwar für den gemeinsamen Einkauf. 56 lokale
Vereinigungen sind demselben angegliedert. Wir haben es hier also
mit den konzentrischen Syndikatgliederungen zu thun, von denen oben
die Rede war, und diese Organisation hat vortreffliche Resultate er-
25*
388 Miszellen.
geben, indem das Syndikat von Turin der gesamten piemontesischen
Landwirtschaft von hervorragendem Nutzen ist. Der jährliche Beitrag
ist 8 fres. Die Zahl der Mitglieder belief sich am 1. Januar 1898 auf
1463. Der Umsatz des Syndikates war im Jahre 1897 mehr als 727 000 L.
Die Kontrolle der gelieferten Bedarfsartikel geschieht mit Hilfe minutióser
Analyse. Zudem sucht das Syndikat das landwirtschaftliche Erziehungs-
wesen zu heben, und giebt eine vortreffliche Fachzeitschrift „Il sinda-
cato agricole de Torino“ heraus, welches zweimonatlich erscheint,
auferdem Broschüren und Instruktionen über die Anwendung des
Mineraldüngers, über Versuchsfelder, über landwirtschaftliche Vor-
lesungen und landwirtschaftliche Museen. Es wird präsidiert durch
den Grafen Eugene Rebaudengo.
Die weiteren landwirtschaftlichen Syndikate dieser Klasse brauchen
wir nur kurz zu erwähnen. Dasjenige von Florenz „Consorzio Agrario“
wurde 1889 gegründet und hatte im Jahre 1890 einen Umsatz von
129 000 L. allein für Mineraldünger. Weiter giebt es Syndikate in
Modena (Consorzio Agrario Modenese), in Arizzo (Consortio Agricolo
[gegr. 1890]) Voghera (Consorzio Agricolo Vogherese [gegr. 1887].
Legnago [gegr. 1899], Syndicato Agricolo Eviticolo Valdostano |gegr.
1890], Pesaro, Piovera, Mailand, Grava etc. Genauer müssen wir das
Syndikat von Udine (Associatione, Agrario Friolana) erwähnen, welches
im Jahre 1856 bereits gegründet wurde, und vom Jahre 1886 ab durch
seinen Präsidenten, Leone Wollemborg, in Anlehnung an die franzö-
sischen Syndikate organisiert wurde. Im Jahre 1890 beliefen sich die
gemeinsamen Einkäufe auf 271000 £. Die Besorgung von Maschinen
für die Meierei-Industrie bildet wegen der großen Anzahl von Genossen-
schaftsmeiereien, welche diesem Syndikate angegliedert sind, eine wichtige
Aufgabe desselben. Einen Antrieb zur Entwickelung dieser Meiereien
hat das Syndikat im Jahre 1885 gegeben, indem es einen Konkurs und
Kongreß der Genossenschaftsmeiereien der Provinz organisierte.
Weiter kommen wir auf die eigentlich genossenschaftlichen Syndi-
kate der italienischen Landwirtschaft zu sprechen. Einige derselben
nämlich haben von Anfang an den genossenschaftlichen Charakter an-
genommen und nennen sich „Sindacato agricolo cooperativo“. Von den-
selben erwähnen wir zuerst dasjenige von Parma (Consorzio agrario
cooperativo parmense). Es wurde gegründet im Jahre 1893 durch die
landwirtschaftlichen Wanderlehrstühle und zwar mit Hilfe der Spar-
kasse von Parma. Das Syndikat ist eingetragen als anonyme Konsum-
genossenschaft, ist aber vielmehr sowohl eine Produktiv- als Konsum-
genossenschaft. Dasselbe leiht landwirtschaftliche Maschinen aus,
fabriziert künstlichen Dünger, erleichtert die landwirtschaftlichen
Kreditoperationen, richtet landwirtschaftliche Kurse ein, und besorgt
landwirtschattliche Versicherungen. Die Beitrittsgebühr beträgt nur
50 Centesimi. Die Kontrolle der Warenlieferung und die Analyse der
Dünger wird auf eine sehr strenge Art gehandhabt. Das Syndikat
verkauft auch an Nichtmitglieder, aber mit einer Preiserhöhung von
1 Proz. Die Verteilung des Profites vollzieht sich auf eine sehr
ingeniöse Weise zum Zwecke der Erhöhung des Genossenschaftskapitales:
Miszellen. 389
Nach den verschiedenen Abschreibungen zu Gunsten des Reservefonds,
des Amortisationsfonds, der Verteilnng von Zinsen an die Aktionäre
und Angestellten wird der etwaige Ueberschuß in zwei Teile geteilt,
von denen der eine zur Reserve geschlagen wird, der andere aber zum
Kredit jeden Genossenschafters zum Zwecke der Ersparnis kommt im
Verhältnis zum Totalbetrage der Käufe und Verkäufe. Dieser Teil, in
neuen Aktien konvertiert, betrug im Jahre 1895 3847 L. und im Jahre
1896 3600 L. Im übrigen hat das Syndikat unter der Leitung des
Professors Bizzozzero große Fortschritte gemacht. Am 1. Januar 1897
zählte es 482 Mitglieder mit 678 Aktien. Der Umsatz, welcher im
ersten Jahre (1893) 70000 L. betragen hatte, stieg im Jahre 1894 auf
150000, im Jahre 1895 auf 220000 und im Jahre 1896 auf 280000.
Der Nettoprofit betrug im Jahre 1895 8960 L. und im Jahre 1896
9034. Die Reserve wird bald die Höhe des subskribierten Kapitales
erreichen, worauf die den Aktionären gezahlten Zinsen auf 8 Proz. er-
hoben werden — als Maximum, welches nicht überschritten werden
darf. Das Reservekapital ist bei der Sparkasse in barem Gelde deponiert
und trägt 21/, Proz. Zinsen. — Das Syndikat versucht landwirtschaft-
liche Versicherungen in der ganzen Provinz Parma zu propagieren und
vertritt selbst eine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit gegen
den Hagel, welche ihren Sitz in Suzzara hat. In Ausnahmefällen liefert
das Syndikat auch auf Kredit, sei es auf einfache Unterschrift, sei
es auf Wechselbrief. Vor der Gründung des Syndikates besorgten
20 Düngerfabriken in Mailand den betreffenden Handel in der Provinz
Parma. Durch Intervention des Syndikates wurde der Preis für künst-
lichen Dünger um 20 Proz. herabgosetzt, und der Deputierte Cornelio
Guerci, welcher neben dem Professor Bizzozzero die Seele des Syndi-
kates ist, meint, daß bei einem jährlichen Verkaufe innerhalb der Provinz
von 1 Mill. L. den Landwirten auf diese Düngereinkäufe 200000 L.
gespart werden. Auch in Italien ist der Konsum künstlicher Dünger
heute 20mal bedeutender als früher.
Das Syndikat hat auch beigetragen, den Landwirten der Provinz
die Vorteile des Genossenschaftswesens zu Gemüte zu führen. Be-
sonders erwähnenswert sind ferner die günstigen Beziehungen zwischen
dem Syndikat und dem landwirtschaftlichen Wanderlehrstuhl. Das
genannte Syndikat wird geradezu in ganz Italien als Muster hin-
gestellt.
Das Consorzio agrario von Mantua, zu dem wir nunmehr kommen,
wurde am 19. Dezember 1895 ebenfalls durch den landwirtschaftlichen
Wanderlehrstuhl gegründet und zwar mit Beihilfe des landwirtschaft-
lichen Comices und der Volksbank. Am 11. März 1897 zählte das Syndikat
bereits 355 Mitglieder mit 440 Aktien. Der Präsident ist der Marquis
Benedetto Sordi, der Direktor Professor Giovanni Cannova. Bereits im
Jahre 1896 überstiegen die gemeinsamen Einkäufe 210000 L.
Das landwirtschaftliche genossenschaftliche Syndikat von Pieve di
Soligo wurde im Jahre 1890 gegründet. Es ähnelt demjenigen von
Parma. Im Jahre 1891 hat es mit Beihilfe der Volksbank von Pieve
di Soligo wichtige Maiseinkäufe für den Konsum ausgeführt, wobei es
390 Miszellen.
nicht nur den Mitgliedern günstigere Kaufbedingungen verschaffen und
dem Wucher entgegensteuern wollte, sondern auch die weitere Aus-
breitung der schrecklichen Krankheit Pellagre genannt, welche unter der
sich mit Polenta nährenden armen Bevölkerung häufig ist, verhindern
wollte.
In Canneto Pavese wurde bereits im Jahre 1894, also vor der
Gründung der französischen Syndikate eine Genossenschaft genannt
Unione Viticola gegründet, zum Zwecke des billigen Wareneinkaufes
für die Landwirtschaft und den Weinbau und für den günstigen Ver-
kauf der Trauben — in letzterer Beziehung hat die Genossenschaft
günstige Ergebnisse erzielt.
Weitere landwirtschaftliche genossenschaftliche Syndikate giebt es
in Mailand, Roucade, S. Dona di Piave, Forli etc.
Endlich kommen wir zu den katholischen landwirtschaftlichen
Unionen (Cercles, Unions Agricoles), welche als Syndikate funktionieren.
Dieselben sind gegründet worden durch die Opera dei Congressi e dei
Comitati cattolici in Italia, werden durch den Klerus geleitet, und haben
sich besonders in Oberitalien stark entwickelt. Auf ihre Propaganda
ist die Gründung von mehr als 700 katholischen Raiffeisenkassen, be-
kannt unter dem Namen des Don Louis Cerutti, zu verdanken. Diese
Organisation wurde auf dem 10. italienischen katholischen Kongreß in
Genua im Jahre 1892 geplant zu dem Zwecke, die sozialistische Pro-
paganda niederzuschlagen. Wir erwähnen unter diesen Syndikatunionen
zuerst die katholische landwirtschaftliche venezianische Union, welche
im Jahre 1892 in Treviso gegründet wurde zu dem Zwecke, die sämt-
lichen katholischen Associationen der Gegend zu vereinigen. Sie befaßt
sich mit dem Einkauf von künstlichem Dünger und von Sümereien, mit
dem gemeinsamen Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte, mit der
genossenschaftlichen Versicherung gegen den Hagel, Feuersbrunst und
Viehsterblichkeit.
Eine andere katholische landwirtschaftliche Union, l'Unione cattolica
en voie d'organisation wurde im Jahre 1894 gegründet, und bildet einen
Vereinigungspunkt für alle kleineren katholischen Associationen der
Lombardei, wie landwirtschaftliche Kassen, Meiereigenossenschaften,
landwirtschaftliche Arbeitergenossenschaften, Viehversicherungs-Gesell-
schaften etc. Der besondere Zweck der Union besteht darin: erstens
gemeinsame Einkäufe und Verkäufe von Sämereien, landwirtschaftlichen
Instrumenten, künstlichen Dünger und andere Waren zu betreiben, und
sie direkt bei der Fabrik einzukaufen; zweitens die Gründung von allen
solchen Genossenschaften, welche die Landwirtschaft schützen und ver-
teidigen, zu propagieren. Im übrigen funktioniert die Union als land-
wirtschaftliches Centralsyndikat. Die Zahl der der Union angegliederten
Associationen beträgt nahe an 300. Im Jahre 1895/96 war der Kassen-
umsatz 100000 L., im darauf folgenden Jahre fast das doppelte. Die
offizielle Zeitschrift der Union ist la Cooperazione Popolare, Rivista
cattolica di agricoltura pratica, welche in Parma unter der Redaktion
von Don Louis Cerutti erscheint, und das Specialorgan der Centralkasse
der landwirtschaftlichen katholischen Kassen bildet, die in Parma ihren
Miszellen. ‘391
Sitz hat. Diese Zeitschrift ist ein Hauptblatt für die Landwirtschafts-
kultur, einer der Redakteure ist der berühmte Agronom Stanislaus
Solari.
Einer der besonderen Zwecke der Union ist die Entwickelung der
Versicherungen. Im Jahre 1896 hat sie im Einverständnis mit der katho-
lischen landwirtschaftlichen venezianischen Union eine Versicherungs-
genossenschaft, la Societa cattolica d’assicuratione, sowohl Hagel- als
Feuersicherungs-Gesellschaft, welche in Verona ihren Sitz hat, gegründet.
Auch kleine lokale Viehversicherungs-Gesellschaften sucht die Union zu
propagieren. Endlich ist es ihr besonderes Streben, das landwirtschaft-
liche Facherziehungswesen zu heben, und zwar mit Hilfe von Vorlesungen
über den Gebrauch der Mineraldünger und über das System Solari.
Die Seele der Union ist Ambrogio Portaluppi.
Die Unione cattolica agricola Bergamesca wurde nach demselben
Modell am 14. Juni 1894 gegründet. Aber sie ist nicht regional, sondern
lokal. Sie versucht die Landwirte moralisch, intellektuell und ökono-
misch zu heben und sie zu vereinigen, um der antichristlichen und
antisozialen Propaganda zu steuern. Ihre Mittel sind landwirtschaft-
liche Kassen, Versicherungen, gemeinsame Einkäufe, Vorlesungen und
Veröffentlichungen, sowie juristische Belehrungen. Der Präsident ist
der Graf St. Medolago Albani.
Weitere derartige katholische landwirtschaftliche Unionen finden
sich in Parma, Novara, Turin etc.
Gestatten wir uns nunmehr einen Ueberblick über die bisher be-
sprochenen landwirtschaftlichen Syndikate Italiens. Diejenigen, welche
sich Sindicato oder Consorzio nennen, sind nur in der Anzahl von
60—75 vorhanden (wenigstens bis zum Jahre 1898), von denen 50
genossenschaftlich organisiert sind. Dazu kommen aber noch die vielen
Comices, landwirtschaftlichen Unionen, Cercles, welche als wahrhaftige
Syndikate funktionieren, während eine ganze Reihe kleinerer landwirt-
schaftlicher Associationen als initiale landwirtschaftliche Syndikate zu
denken sind. Die Regierung unterstützt und subventioniert das Syndikat-
wesen; dasselbe tun die Kommunen. Der Landwirtschaftsminister hat
ihnen oft Erleichterungen zugestanden und ihre Entwickelung gefördert,
besonders durch Ausschreibung eines öffentlichen Wettstreites. Dieser
letztere wurde durch ein Königl. Dekret vom 3. April 1900 gesetzlich
festgelegt, mit der Begründung, zwischen „den landwirtschaftlichen
Gesellschaften, welche sich mit dem gemeinsamen Einkauf von Maschinen,
Düngermitteln, Sämereien befassen, wird ein Konkurs eröffnet, wobei
10 Preise, jeder zu 600 L. ausgesetzt werden“. Ein zweiter der-
artiger Konkurs, besonders für die kleineren landwirtschaftlichen Syn-
dikate gedacht, wurde durch die Regierung im Jahre 1897 ausgeschrieben.
Im übrigen sind die Meiereigenossenschaften. die landwirtschaftlichen
Konsumgenossenschaften, die cantinie sociali, die Viehversicherungs-
gesellschaften, die Produktions- und Arbeitsgenossenschaften diesem
Vorgange der Regierung gefolgt und haben ebenfalls mit Erfolg Wett-
streite abgehalten. Bei dem offiziellen Konkurs erhielt das Syndikat von
Turin den ersten Preis.
392 Miszellen.
Es erübrigt, ein Wort zu sagen über die Föderation der landwirt-
schaftlichen Syndikate. Nach einigen Versuchen, die Syndikate von
Piemont, Venezien und Umbrien regional zusammenzufassen, bildete sich
im Jahre 1892 die Federazione italiana dei consorzio agrari mit dem
Sitze in Plaisance, welcher indessen später nach Rom verlegt wurde.
Ihre besondere Aufgabe ist es, den nicht, genossenschaftlichen Sydikaten
zu Hilfe zu kommen und die Geschäfte der kleinen initialen landwirt-
schaftlichen Syndikate zusammenzufassen. Diese Federation ist also im
Grunde eine Art Zentralsyndikat. Indessen ist sie als Genossenschaft
organisiert und genießt alle Vorteile des italienischen Handelskodex.
Die Kassenführung besorgt ihr die Volksbank in Plaisance. Der
Ehrenpräsident ist Luzzatti, der geschäftsführende Präsident Enea
Cavalleri und der Direktor Raineri, Präsident der Volksbank in Parma.
Alle Associationen, welche als Syndikate funktionieren, wie die Comices,
dürfen ihr beitreten. Im September 1896 waren ihr 103 Gesellschaften
angegliedert, nämlich 17 Syndikate, 86 Comices, und außerdem einige
Volksbanken. Jede Association zeichnet für 5 Aktien, deren Anfangs-
wert 5 L. betrug. Dieser Aktienwert steigt im Verhältnis zur Er-
höhung der Reserve und betrug im September 1896 42 L. Die
Eintrittgebühr beträgt 5 L. Einzelmitglieder wurden 258 gezählt,
das Kapital betrug 17000 L., die Reserve 12595 L.; der Umsatz
betrug im Jahre 1895 mehr als 2 Mill. L. Zum Programm der
Föderation gehört der gemeinsame Verkauf der landwirtschaftlichen
Produkte, deren sie schon 1893 nach Frankreich abgesetzt hat. Weiter
vermittelt die Föderation zwischen der Regierung und der Landwirt-
schaft, versucht die Gesetzgebung zu ihren Gunsten zu beeinflussen,
und ist bestrebt, Tarifermäßigungen durchzusetzen. Auch als Agentur-
genossenschaft, ähnlich wie die Gesellschaft Pellervo in Finnland, ist sie
thätig, und regt zu Syndikatsgründungen in den verschiedenen Provinzen
Italiens an. Sie hat 2 Filialen, eine in Castelfranco, die andere in
Macerata.
Man muß im Auge behalten, daß die italienischen Syndikate, im
Gegensatz zu den französischen, sich in der Hauptsache nur mit dem
Einkauf von landwirtschaftlichen Konsumartikeln befassen, mit Aus-
nahme einiger Gegenden Oberitaliens. Abgesehen von den katholischen
landwirtschaftlichen Unionen, deren Programm sehr erweitert ist, sind
die italienischen Syndikate landwirtschaftliche Einkaufs-
genossenschaften. Allerdings ist vorauszusehen, daß diese Syndi-
kate mit der Zeit ihre Wirksamkeit ausdehnen werden. Schon heute
darf man sagen, daß sie außerordentlich viel Gutes für die italienische
Landwirtschaft getan haben. Die Produktion ist sowohl eine größere
geworden, als eine einträglichere. Die Kultur ist bedeutend ver-
bessert worden, das System Solari hat die Getreidekultur zu einer ein-
träglicheren gemacht. Die Verwendung des Mineraldüngers ist eine
allgemeine geworden: man hat ausgerechnet, daß die italienische Land-
wirtschaft im Jahre 1895 für etwa 30 Mill. L. Mineraldünger ein-
gekautt hat.
Miszellen. 393
Nachdruck verboten.
VI.
Beiträge zur englischen Betriebsstatistik.
Von Dr. G. Brodnitz, Privatdozent in Halle a, S.
Im folgenden bringen wir einige Angaben über einzelne Zweige
der englischen Industrie, die derselben Quelle entstammen, wie die kürz-
lich von uns veröffentlichte Betriebsstatistik der dortigen Textilindustrie !).
Es liegen ihnen wiederum die Berichte zu Grunde, die im Jahre 1898
der Zentralstelle der englischen Fabrikinspektion von allen mit
motorischer Kraft arbeitenden Betrieben über die im Jahre
1897 durchschnittlich beschäftigte Arbeiterzahl gemacht wurden. Für
alle übrigen Betriebe fehlt bekanntlich jeder einigermaßen zuverlässige
Nachweis. Immerhin haben auch schon die uns zur Verfügung stehen-
den Zahlen trotz ihrer Lückenhaftigkeit einigen Wert. Einmal lassen
sie erkennen, wie weit in den betreffenden Industriezweigen sich auch
der Klein- und Mittelbetrieb der motorischen Kraft bedient, sodann
geben sie ein Bild der absoluten Ausdehnung des Großbetriebes,
so daß in dieser Hinsicht sogar ein Vergleich mit den entsprechenden
Angaben der deutschen Betriebsstatistik von 1895 möglich ist?) Der
relative Anteil der einzelnen Betriebsklassen ist natürlich aus unseren
Tabellen nicht zu ersehen, da eben die ganzen ohne motorische Kraft
arbeitenden Betriebe fehlen, wodurch vor allem der Klein- und Mittel-
betrieb mehr zurücktritt, als es den Tatsachen entspricht.
Wir finden zunächst in Tabelle 1 S. 395 die Betriebsstatistik der
Schneiderei. Sie gliedert sich folgendermaßen :
| Betriebe | Proz. Personen | Proz.
— — Le ES == L
Kleinbetrieb 9 | 3,36 | 36 0,09
Mittelbetrieb 83 30,97 2 263 5,36
GroBbetrieb 176 65,07| 39 896 94,55.
zusammen | 268 | 100,00 | 42 195 | 100.00
Es läßt sich hieraus ersehen, daß der motorische Betrieb fast aus-
schließlich auf den Großbetrieb beschränkt ist. Nur Leeds, der Hauptort
der ganzen Industrie, weist einen stärkeren Anteil des Mittelbetriebes
auf. Es ist dies wohl auf die dort übliche Einrichtung gemeinschaft-
licher Fabrikgebäude zurückzuführen, die von einer großen Maschine
mit Dampfkraft versehen werden und deren einzelne Räumlichkeiten
man dann getrennt vermietet, wie wir dies in der englischen Textil-
und Kleineisenindustrie des öfteren finden. Der Großbetrieb der Schnei-
derei hat in England eine weit größere Ausdehnung als in Deutschland.
So zählen wir Betriebe mit mehr als 100 Personen:
1) In unseren ,Vergleichenden Studien über Betriebsstatistik und Betriebsformen
der englischen Textilindustrie“.
2) Vergl. Statistik des Deutschen Reichs, N.F. Bd. 113, S. 116, 118, 124.
394 Miszellen.
D
in Deutschland 11 mit 1678 Personen,
„ England 115 , 35 388 Y
Und während unser größter Betrieb nur 237 Personen zählt, finden wir
in England 12 Betriebe mit mehr als 500, darunter 3 mit mehr als
1000 Personen !).
Nicht ganz so groß, jedoch immer noch erheblich, sind die Unter-
schiede in der Entwickelung der Schuhmacherei. Für sie ergibt sich
in England (Tabelle 2 S. 395):
| Betriebe | Proz. | Personen Proz.
Kleinbetrieb 77 7,03 243 0,27
Mittelbetrieb 496 45,30 | 13 144 14,80
GroBbetrieb 522 47,67 | 75 423 84,93
zusammen | 1095 |100,00| 88 810 | 100,00
Hier tritt der Mittelbetrieb allgemein stärker hervor, da, wie schon
Marshall zeigte 2, die Verwendung mit Dampf betriebener Nähmaschinen
in der englischen Schuhfabrikation immer üblicher wird. Demgemäß ist
auch die Ausdehnung des Großbetriebes der deutschen nicht so sehr
überlegen wie in der Schneiderei. Schuhfabriken mit mehr als 100 Per-
sonen finden wir:
in Deutschland 103 mit 16011 Personen
„ England 251 „ 56073 »
Was die absolute Größe der Betriebe anlangt, bleibt Deutschland
wiederum in bescheideneren Grenzen: bei uns wird kein Betrieb mi
mehr als 500 Personen gezählt, die englische Statistik dagegen führ
12 Betriebe mit 500—1000 und 2 Betriebe mit mehr als 1000 Per
sonen auf.
Beachtenswert ist die relativ große Zahl der weiblichen Arbeiter.
Ihre Zahl ist bei uns geringer, weil durchweg mehr Handarbeit ver-
langt wird, die in der Schuhmacherei den Männern vorbehalten ist.
Es zeigt sich wiederum eine starke geographische Konzentration,
hauptsächlich in Leicester und Northampton, ähnlich wie Massachusetts
das Zentrum der nordamerikanischen Schuhindustrie geworden ist, die
überhaupt in ihrer Entwickelung eine gewisse Aehnlichkeit mit eng-
lischen Verhältnissen zeigt. Man zählt nämlich 3):
in England 1095 Fabriken mit 88810 Personen
„ den Verein. Staaten von Nordamerika 1600 " » 142 922 A
Im großen Durchschnitt beschäftigt also in beiden Ländern jede
Fabrik 89 Personen. Die gesamte Ausdehnung der Industrie ist in den
Vereinigten Staaten wesentlich mit durch den Export gerade nach England
gefördert worden, das, unterstützt durch die Gleichheit der Moden, ein
Drittel des amerikanischen Gesamtexportes an Schuhwaren aufnimmt.
Wir wenden uns von der Bekleidungsindustrie zunächst zur Uhren-
fabrikation (Tabelle 3 S. 396):
1) Möglicherweise sind jedoch Betriebe der Konfektion mitgezählt worden.
2) Elements of Economies of Industries, 3. ed. p. 164.
3) Vergl. Journal des Economistes vom 15. Dezember 1902, p. 384: L'Industrie
de la Chaussure aux Etats-Unis.
395
Miszellen.
9292 c | L088 eng £z|zg|6zo 12|SS1loSE 61 1Zz|bgZ o1 eif 6Sg1/611/1oS|S9|£61|6t rt zz| 9 | 9 org ggjtz6 be Zgg zo| $601 | vuumg
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"T 9uea*n
ER Ar beefeegenegeen
- 54 = au = . Ee
396 Miszellen.
Tabelle 3. Uhrenfabrikation.
Zu- Zahl der Betriebe und der darin beschüftigten Personen in der Grófenklase
sammen der Betriebe mit . . . . Personen
z zi |11— | 51— |101— |201— | 501— | mehr als |
Bezirk 1 | 2 3—516—10| an |21—50' ‘560 | 200 | 500 1000 | 109i
Bein Pos geg gleja lle le] g |s| é SlEISIE SIE IE €
o © 0,0 o- oo o, EN 2 2 o o E © Q o © o v V
á _| | Beaelalela & jdm à [Al à alé Ale lA] à lé, E
North ] opges 8| 292 | 3 | 2| 35 3 116| 2 138. | |
West London 1| 28 [ AA | 28 | |
Warwik 8 |1041 216 1! 8| 1j 25 187, 1309| 1 506|
Birmingham 16| 785| 1| 1 1| 5| 3| 24| 4| 511 4| 132| 1| 55| 1145| 1|372|. |
Liverpool 3| 798 2 1, 791
Uebrige Bezirke zu- |
sammen 28| 482| 4| 4| 1| 2| 7/25| 6 50| 6/104] A 95 1|202
Summa | 6413426! 5| 5| 1| 2 13/46 10) 82 12|190 12] 396| 5| 380 1/145 31883. 211297 |
| Betriebe ; Proz. | Personen | Proz.
Kleinbetrie b 19 29,69 | 53 | 1,55
Mittelbetrieb 34 53,12 | 668 19,49
Großbetrieb II 17,19] 2705 78,96
zusammen | 64 | 100,00 | 3426 | 100,00
Der Großbetrieb beschränkt sich auf Birmingham und Warwik (Coven-
try), wo man sich mit der Massenfabrikation beschäftigt. Sonst halten
sich die Betriebe in bescheidenen Grenzen, so daß Deutschland hier eine
erhebliche Ueberlegenheit zeigt. Die absolut größte Ausdehnung ist
zwar in beiden Ländern gleich, je 2 Betriebe mit 500—1000 Personen.
Aber Betriebe mit mehr als 100 Personen finden wir zusammen:
in Deutschland 25 mit 6118 Personen
» England 6 , 2325 i
Aehnlich ist die Entwickelung der Gold- und Silberverarbeitung in
England (Tabelle 4):
Tabelle 4. Gold- und Silberverarbeitung.
Zu- | Zahl der Betriebe und der darin beschäftigten Personen in der Größenklasse
sammen der Betriebe mit . . . . Personen.
i | dl jM— | 51 101— 201— | 501— | mehr als
Bezirk | 1 | 2 posu] 20 2150| oo | 200 | 500 | 1000 | 1000
Betr. Pers. VTT S zl 7" P : DECH CUSTO e cl E n ;
see sel Esel] CR IS) EIE s S s
| SIE ES £a a & (m'a lñle lé] à Al Re
London 15| 122| 1 il 3 6 416 4 33 2 33! d 21 | | | | |
Birmingham 127 5456 | | Jar\as| 9| 74/20 313 ddl ne 5 690
5 | 45 5 3 3| 3453| 3 |
Uebrige Bezirke zu- | | |
| sammen 15| 171| t| 1, 1 a 7124: 3 31.3 ii E 1| 94 i Gel
Summa | 57 15749 2| 2i 2 A 822 85 16 [128/24 375 /511731/32|2277| 3453| 3690 | T
E Betriebe | | Proz. | Personen | Prok:
Kleinbetrieb 28 — 17,84 Er 95 1 ,95
Mittelbetrieb 91 57,96! 2234 38.86
GroBbetrieb — 38 | 24,201 3420 | 59,49
zusammen | 157 100,00| 5749 |100,00
Miszellen. 397
Dieser Industriezweig ist noch stärker lokalisiert: der Großbetrieb
mit Maschinen hat seinen Sitz in Birmingham, während alle feineren
Arbeiten in London ausgeführt werden. Aber selbst unter Nicht-
berücksichtigung der rein handwerksmáligen Betriebe werden, wie unsere
Zusammenstellung zeigt, noch 40 Proz. aller Arbeiter in Klein- und
Mittelbetrieben beschäftigt !).
Eine Tatsache ergeben also auch diese Tabellen: daß die Ent-
wickelung zum Großbetriebe hin durchaus keine gleichmäßige ist.
Während dieser in der englischen Bekleidungsindustrie stark und weit
mehr als in Deutschland ausgebildet ist, haben wir in der Uhrenfabrikation
und der Gold- und Silberverarbeitung wesentlich andere Verhältnisse,
obgleich doch die Vereinigten Staaten zeigen, daß auch diese Industrie-
zweige den Riesenbetrieben zugänglich sind.
Zum Schluß sei noch auf eine Tabelle hingewiesen, die unlängst
von der englischen Fabrikinspektion selbst auf Grund der auch von uns
benutzten Zahlen zusammengestellt worden ist?). Sie bezieht sich allein
auf die Stadt London und gibt für alle Industriezweige einmal die Zahl
aller Fabriken und ihrer Arbeiter, sodann die Zahl der Fabriken mit
mehr als 100 Arbeitern. Eine weitere Unterscheidung ist nicht vor-
genommen. Es ergibt sich, daß in der englischen Hauptstadt von
8478 Betrieben mit 353 288 Beschäftigten in diese Klasse 748 Betriebe
mit 199630 Beschäftigten gehören. Auf die einzelnen Industriezweige
verteilen sie sich in sehr verschiedener Weise. So findet sich kein
derartiger Betrieb in der Zement-, Glas-, Ziegel-, Emaille-, Feilen-,
Messer- und Uhrenfabrikation, um nur die wichtigsten Gruppen zu
nennen. Selbst von den 125 Elektrizitätswerken beschäftigen nur zwei
mehr als 100 Arbeiter. Auf der anderen Seite haben derartige Betriebe
einen großen Anteil einmal natürlich an Gasanstalten (19 von 32), am
Schiffs- und Bootsbau (10 von 40) und Wagenbau (14 von 77), aber
auch an der Wäschekonfektion (18 von 44), Konservenherstellung (12
von 22) und an Bäckerei, Biskuit- und Konfitürenherstellung (30 von
129 Betrieben).
Im ganzen könnte danach der Anteil des Großbetriebes außerordentlich
hoch geschätzt werden. Doch ist zu erwägen, daß gerade bei dieser
Tabelle die Mängel der benutzten Erhebungen besonders hervortreten.
Denn London ist, wie Ch. Booths eingehende Untersuchungen zeigen ),
noch immer eine Hauptstätte des reinen Kleinbetriebes, der hier un-
berücksichtigt bleibt.
Immerhin ist es erfreulich, daß man nun auch in England an der-
artigen statistischen Zusammenstellungen mehr Interesse nimmt. Um
so dankbarer wäre man, wenn einmal eine vollständige Gewerbestatistik
der britischen Industrie in Angriff genommen würde.
1) Ein Vergleich mit den deutschen Angaben, die einen viel größeren Anteil des
Großbetriebes aufweisen, ist nicht angängig, da sie die Bijouteriewarenindustrie mit um-
fassen.
2) Annual Report of the Chief Inspector of Factories and Workshops for the year
1901, Part II, p. XII und 57.
3) Charles Booth, Life and Labour of the people in London, Vol. IX, p. 56.
398 Miszellen.
Nachdruck verboten.
VII.
Landwirtschaftlicher Export in England.
Von Dr. Hermann Levy.
Der Export von Stammbaumvieh gewinnt in der englischen Land-
wirtschaft mehr und mehr Bedeutung. Die Zucht ausgezeichneter Vieh-
waren ist eines jener Produktionszweige, deren Erweiterung die englischen
Landwirte unter dem Druck der ausländischen Konkurrenz besonders
lebhaft erstreben. In der Stammbaumviehzucht haben die Engländer
ein gewisses Monopol, das von dem Wettbewerb der ausländischen
Landwirtschaft bisher noch nicht eingeschränkt ist. Dies zeigen uns
die wachsenden Exportziffern, welche Mr. Rew, ein Beamter des land-
wirtschaftlichen Ministeriums, in einem Aufsatze veröffentlicht hat (Journal
of the Formers Club. The development of the Pedigree Live Stock
Interest in Great Britain, London 1901). Die Ziffern stellen uns den
Export derjenigen Tiere dar, welche mit Zertifikaten der Zuchtgesell-
schaften (Breed Society) versehen ins Ausland versandt wurden. Es ist
daher anzunehmen, daß die Zahl aller exportierten Tiere noch etwas
größer ist. Immerhin gibt die folgende Tabelle einen gewissen Ueber-
blick. Es betrug der Export von
Stammbaum-
in den Jahren Pferden Rindvieh Schafen
1861—1865 4 302 481 3773
1866—1870 4342 540 3727
1871—1875 3913 723 4756
1876—1880 3 606 626 2818
1881—1885 6619 3048 5277
1886—1890 11 370 2003 7404
1891—1895 14 490 4629 7167
1896—1900 32 909 3345 8705
Wir ersehen aus diesen Zahlen, welche starke Zunahme der Export
von Stammbaumvieh in den letzten 40 Jahren erfahren hat. Der Export
der Pferde betrug in der Periode 1896—1900 ca. 8mal, der des Rind-
viehes ca. 6mal, der der Schafe ca. 2!/,mal so viel wie in der Periode
1861—1865.
Auch der Wert der Ausfuhr zeigt eine beträchtliche Steigerung.
Es betrug der Wert des Exports von
1861—1865 1896—1900
£ £
Stammbaum-Pferden 238 378 - 755 341
» Rindvieh I2 173 114 519
D Schafen 23 469 100 188
Miszellen. 399
Der Wert des exportierten Rindviehes und der exportierten Schafe ist,
wie wir sehen, in einem noch stärkeren Maße gestiegen wie die Anzahl
der exportierten Tiere. Besonders interessant aber ist die aus der ersten
Tabelle ersichtliche Tatsache, daß der Export des Stammbaumviehes erst
in den 80er Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung genommen hat,
Bekanntlich beginnt mit dem Jahre 1879 die englische Agrarkrisis.
Der Getreidebau und die Produktion von Fleisch geringerer Qualität
büßt mit dem Anwachsen der überseeischen Konkurrenz seit dieser Zeit
immer mehr an Rentabilität ein. Man denkt nicht daran, die Rentabilität
der alten Produktionszweige durch hohe Schutzzölle künstlich zu er-
halten. Es gilt vielmehr, neue Produktionszweige heranzubilden, in
denen eine ausländische Konkurrenz nicht stattfindet. Unter diesen
neuen Produktionszweigen gewinnt aber nun die Zucht von Stammbaum-
vieh eine besondere Bedeutung, vor allem für den großen Pächter. So
sehen wir die Exportziffern, welche in der Zeit von 1861—1880 stag-
nierten, ja sogar eine leichte Abnahme zeigten, nach 1880 plötzlich rapide
wachsen und zwar mit Uebereinstimmung in allen drei von uns ge-
nannten Kategorien. Die Zahl der exportierten Pferde beträgt in dem
Zeitraume von 1881—1885 ca. 2mal, die des Rindviehes ca. 5mal, die
der Schafe ca. 1,5mal so viel wie in den vorangehenden 5 Jahren. Auch
die Zahl der Zuchtgesellschaften hat sich in den letzten Jahrzehnten
rasch vermehrt. Es gibt jetzt in England mehr als 50 solcher Gesell-
schaften, welche sämtlich für die von ihnen herausgegebenen öffentlichen
Stammbaumlisten die Verantwortung tragen.
Nach einer mir ungedruckt vorliegenden Liste der Shorthorn Society
erreichte deren Export an Shorthorns im Jahre 1902 allein die Zahl von
864. Davon wurden exportiert:
nach Stück nach Stück
Canada 464 Australien 6
Südamerika 145 Schweden 5
Vereinigte Staaten 115 Jamaika 4
Rußland 85 Japan 3
Südafrika 26 Indien 2
Deutschland 8 Neuseeland 1
Aehnliche Angaben aus Berichten der Zuchtgesellschaften finden sich
in dem Aufsatze von Rew vor. Sie zeigen, daß auch Holland, Oesterreich,
Italien, Dänemark und die Schweiz Abnehmer englischen Stammbaum-
viehes sind. Bei der Mannigfaltigkeit des Absatzmarktes können wir
also wohl eine weitere Steigerung des Exports für die Zukunft erwarten.
Die Vorteile, welche die englischen Pächter aus der Rasseviehzucht
ziehen, traten in dem Verhöre der letzten Agrarenquete (1894—1896)
deutlich zu Tage. Auch wurde in einem der Ausschußberichte aus-
drücklich hervorgehoben (Final Report of her Majestys Commissioners
appointed to inquire into the subject of agricultural Depression, London
1897, p. 254), daß „in vielen Grafschaften Pächter, die sich durch die
Zucht bestimmter Viehtypen, durch die Zucht von Stammbaumvieh oder
Stammbaumschafen, sowie durch ihr Gestüt einen Stamm zu machen
400 Miszellen.
gewußt haben, Vorteile genossen, die kein Preisfall auf-
heben konnte“.
Die wachsende Bedeutung des Stammbaumviehexportes ist aber ein
neuer Beweis, daß die englische Landwirtschaft nicht, wie viele meinen,
zu Grunde geht, sondern daß sie nur einen Umwandlungsprozeß durch-
macht. Der Getreidebau, vor allem auf schlechten Böden, und die
extensive Viehzucht muß immer mehr eingeschränkt werden. Natürlich
geht dieser Prozeß nicht schmerzlos vor sich. Viele müssen leiden und
zu Grunde gehen, weil sie den Weg zu neuen, rentableren Produktions-
zweigen nicht finden oder finden wollen. Der von uns behandelte ist
einer dieser Produktionszweige Diejenigen aber, welche sich um
seine Weiterbildung bemühen, haben nicht nur pekuniäre Vorteile aus
ihm gezogen, sondern sich auch damit das Verdienst erworben, als echte
Nachfolger Bakewells an dem Fortschritt der Landwirtschaft mitgewirkt
zu haben.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 401
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Bernheim, Ernst (Prof. d. Geschichte, Univ. Greifswald), Lehrbuch der histo-
rischen Methode und der Geschichtsphilosophie. 3. u. 4., völlig neu bearbeitete Aufl.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1903. gr. 8. X—781 SS. M. 15.—.
Kindermann, C. (Prof. d. NatOekon., Heidelberg), Volkswirtschaft und Kunst.
Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. 46 SS. M. 1.—.
Platter, Jul. (Prof. d. Staatswissensch., eidg. Polytechnik., Zürich), Grundlehren
der Nationalökonomie. Kritische Einführung in die soziale Wirtschaftswissenschaft.
Berlin, J. Guttentag, 1903. gr. 8. XI—588 SS. M. 11.—.
Rein, W. (Prof., Jena), Ethik und Volkswirtschaft. Eine Skizze. Berlin, J. Harr-
witz Nacht, o. Jahr (1903). 24 SS. M. 0,50. (Soziale Streitfragen. Herausgeg. von
Ad. Damaschke, Heft 13.)
Schmidt, Rich. (Drot, Univers. Freiburg i/B.), Allgemeine Staatslehre II. Bd.,
1. Teil: Die verschiedenen Formen der Staatsbildung. 1. Kapitel (Abteilung 1: Die
älteren Staatsgebilde. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903. gr. 8. X—399 SS. M. 12,50.
(A. u. d. T.: Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden,
begründet von K. Frankenstein, fortgesetzt von Max v. Heckel. III. Abteilung: Staats-
und Verwaltungslehre. II. Bd. 1. Teil.)
Cauderlier, Em., L'évolution économique du XIX” siècle (Angleterre, Belgique,
France, Etats-Unis). Paris, Giard & Brière, 1903. gr. in-8. 246 pag. fr. 4,50. (Table
des matières. Livre I: Transformations radicales dues à la science et à l'industrie depuis
le début du XIX" siècle. — L'ancien régime corporatif; sa phase d'équilibre, sa déca-
dence. Le nouveau régime économique; sa force de diffusion, son principe. — Exposé
historique de l'évolution économique en Angleterre; progrès énormes des travailleurs
anglais. — Le ressort de l'évolution industrielle; ses effets sur la marche des salaires
et sur celle des profits. — Exposé historique de l'évolution économique en France.
Déclin des tendances révolutionnaires. — Exposé historique de l’évolution économique
en Belgique. K. Marx et le manifeste du parti communiste. Constitution du parti
ouvrier belge. La filature du lin depuis cent ans de Flandre. — Livre II: Angleterre :
Les nombres indicateurs. Salaires des métiers du bâtiment en Angleterre. Salaire
agricoles. Tous deux suivent les mouvements des salaires industriels. Baisse du prix
des subsistances. Toutes les consommations augmentent. Alcool, bière et tabac; cent
trente-deux milliards bien employés. Le XIX* siècle triple les ressources de l'ouvrier
anglais. — France: Hausse des salaires agricoles et ceux du bâtiment. Tous deux suivent
les mouvements des salaires industriels. La défaite des dogmes marxistes. Baisse du
prix des subsistances. Effets du régime protectionniste. Hausse des loyers. Le XIX*
siècle double les ressources du travailleur français. Le peuple se nourrit beaucoup mieux.
Budget annuel de quatre milliards en vins, cidres, bières, alcools. Progrès rapides de
l'alcoolisme dans les villes et dans les campagnes. — Livre III. Développement des
moyens de transport au XIXe siècle. — Belgique: Hausse simultanée des salaires dans
l'industrie, l'agrieulture, la construction et les métiers. Baisse du prix des subsistances.
Le XIX* siècle augmente les ressources de l'ouvrier dans la proportion de 100 à 270.
— Etats-Unis d'Amérique: Leur expansion industrielle; leur concurrence menace de
plus en plus l'Europe. — etc.)
Laurie, S. S., Studies in the history of educational opinion from the renaissance.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 26
402 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Cambridge, at the University Press, 1903. 8. VI—261, cloth. 6/.—. (Contents: The
renaissance, 1320—1600. — The modern period, from 1600: Francis Bacon, 1561—1626.
— Comenius, the sense-encyclopaedist and founder of method, 1592—1671. — John
Milton, the classical encyelopaedist, 1608—1674. — John Locke, the English ratio-
nalist, 1632 — 1704. — Herbert Spencer, the modern sense-realist.)
Pierson, N. G., Principles of Economies, translated from the Dutsch by A. A.
Wotzel. Vol. I. London, Macmillan, 1902. gr. 8. 10/.—. (Contents: Economie laws.
— The method of economies. — The origin of value in exchange. — The rent of land
and houses. — Interest on capital. — The wages of labour. — Money. — etc.)
Almanacco dei socialisti per l'anno 1903. Lodi, tip. nuova, 1903. 12. 80 pp.
e 6 tavole. 1. 0,40.
Ciccotti, Ettore, Psicologia del movimento socialista: note e osservazioni. Bari,
G. Laterza e figli, 1903. 12. 317 pp. LA
Labriola, Antonio (prof) In memoria del manifesto dei comunisti. 3* ediz.
aggiuntavi la traduzione del manifesto. Roma, E. Loescher di Bretschneider & Regen-
berg, 1902. 12. 118 pp. (Saggi intorno alla concezione materialistica della storia, I.)
Pinsero, Nic. (prof), Elementi di economia politica. Modica, G. Maltese, 1902.
8. VII—292 pp. 1. 3.—.
Puglia, Ferdin. (prof), La funzione del diritto nella dinamica sociale. Messina,
A. Trimarchi, 1903. 8. XXXV—162 pp. 1. 3.—. (Contiene: Individus e società. —
Il dinamismo sociale. — L'idea della giustizia o del diritto e la sua funzione sociale.)
Meereboom, M. O., Socialisme en malthusianisme. Amsterdam, C. Daniels,
1903. 8. 76 blz. fl. 0,30.
Vandervelde, Em., Het verval van het kapitalisme. Voordracht gehouden voor
de jonge balie te Brussel op 7 IV 1892. Gent 1903. 8. 26 blz.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Beck, Ludwig, Die Geschichte des Eisens in technischer und kulturgeschicht-
licher Beziehung. Abteilung V, das XIX. Jahrh. von 1860 an bis zum Schluß. Braun-
schweig, Fr. Vieweg & Sohn, 1903. gr. 8. VII—1419 SS. mit 344 Textabbildgn. M. 40.—.
Duncker, Herm., Das mittelalterliche Dorfgewerbe (mit Ausschluß der Nahrungs-
mittelindustrie) nach den Weistumsüberlieferungen. Leipzig, (L—ger Druckerei) 1903.
gr. 8. XI—137 SS. M. 2.—.
Ganz, Hugo (Wien), Reiseskizzen aus Rumänien. Berlin, H. S. Hermann, 1903.
gr. 8. 154 SS. M. 2.—. (Aus dem Inhalt: Die Bevólkerung. — Die Finanzen. — Die
Donaustüdte Braila und Galatz. — Jüdische Wohlfahrtsbestrebungen. — Die rumänische
Wirtschaft und deren Zukunft.)
Goetze, K. (Rektor der Stadtknabenschule, Demmin), Geschichte der Stadt Demmin.
Demmin, Frantzsche Buchhandl., 1903. gr. 8. XII—520 SS. mit 30 Plänen und An-
sichten. M. 6,50.
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deutschen Städte- und Wirtschaftsgeschichte. Ulm, Gebr. Nübling, 1902. 8. CXVI—
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Pohle, Lud w. (Prof, Frkft. a/M.), Bevölkerungsbewegung, Kapitalbildung und
periodische Wirtschaftskrisen. Eine Betrachtung der Ursachen und sozialen Wirkungen
der modernen Industrie- und Handelskrisen mit besonderer Berücksichtigung der Kartell-
frage. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1902. gr. 8. 92 SS. M. 1,60. (Erweiterte
Ausgabe eines auf dem 13. evangelisch-sozialen Kongreß in Dortmund gehaltenen Vortrages.)
Schmaltz, K. (Pastor), Geschichte der Hofgemeinde zu Schwerin. Schwerin, F.
Bahn, 1903. 8. VII—102 SS. M. 1,80.
Trauer, Ed., Chronik des Dorfes Marieney i. Vogtl. bis zur Einführung der
sächsischen Landesverfassung. Plauen i. V., A. Kell, 1903. gr.8. 111 SS. mit 1 Karte.
M. 2,40.
Blondel, Georges, La situation économique comparée de la France et de l'étranger.
Paris, Victor Lecoffre, 1903. 8. VI—44 pag. fr. 0,40.
Courtet, M., Etude sur le Sénégal. Productions, agriculture , commerce, ethno-
graphie, travaux publies, main-d'oeuvre. Paris, Aug. Challamel, 1903. 8. fr. 4,50.
Deschamps, Ph., La Russie au 20° siècle. Paris, Guillaumin & C*, 1902. 8.
284 pag. fr. 3,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 403
Métin, Alb., L'Inde d'aujourd'hui. Etude sociale. Paris, Arm. Colin, 1903. 8.
304 pag. fr. 3,50. (Table des matières: Diversité de l'Inde. — Une exception: Les
Parsis et l'influence Européenne. — Le sentiment religieux indou. — Passé et présent
de l'ISIam aux Indes. — Principautés indigènes. — L'administration anglaise: 1. Les
deux services, le civil et le militaire; 2. La ville et la société anglaises; 3. La méthode.
— L'opposition indigene: 1. L'instruction publique; 2. Le prolétariat intellectuel; 3. Le
mouvement national; 4. Les cótés faibles de l'opposition. — La culture indienne et ses
charges: 1. L'Inde rurale et l'exportation européenne; 2. La propriété foncière et l'ad-
ministation; 3. Part de la culture dans l'impót et les travaux publics; 4. Emigration.
Famines. — Ancienne et nouvelle industrie: 1. Artisans et marehands; 2. Les Européens
et le commerce des produits de la petite industrie. 3. Commencement de la grande
industrie. 4. Condition des ouvriers.)
Rapport du Consulat général de Belgique à Yokohama. Yokohama, le 18 juillet
1902. gr. 8. (enthalten in Recueil consulaire, tome 118, 3° livraison) Bruxelles, impr.
P. Weissenbruch, 1903, pag. 177 à 328.
Vossion, Louis, L'Australie nouvelle et son avenir. 2° éd. Paris, Guillaumin
& C^, 1903. 8. 270 pag. fr. 3,50.
Bacou, E. M., The Hudson river from Ocean to source. London, Putnam's Sons,
1903. 8. 18/.—.
Gibbins, Henry de Beltgens, Economie and industrial progress of the cen-
tury. London, Chambers, 1903. 8. 556 pp. 5/.—.
3. Bevölkerungslehre und Bevólkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Ademeit, Wilh., Beiträge zur Siedlungsgeographie des unteren Moselgebietes.
Stuttgart, J. Engelhorn, 1903. gr. 8. 104 SS. M. 3,90. (A. u. d. T.: Forschungen zur
deutschen Landes- und Volkskunde, hrsg. von (Prof.) A. Kirchhoff, Bd. XIV, Heft 4.)
Dove, Karl (Prof.), Deutsch-Südwest-Afrika. Berlin, W. Süsserott, 1903. gr. 8.
VI—208 SS. mit Karte. M. 4.—. Süsserotts Kolonialbibliothek, Bd. V.)
Kolonialhandelsadreßbuch 1903. VII. Jahrg. Berlin, Unter d. Linden 40,
1903. gr. 8. 198 SS. mit der Karte der Kolonien in Buntdruck. M. 1,50. (Herausgeg.
von dem Kolonialwirtschaftlichen Komitee.)
Müller, G. (Pfarrer zu Groppendorf), Entwickelung und Stand der evangelischen
Missionsarbeit in den deutschen Kolonien. Berlin, Buchhdl. der Berliner evangelischen
Missionsgesellschaft, 1903. 8. 33 SS. M. 0,30.
Vossberg-Reckow, Der Grundgedanke der deutschen Kolonialpolitik. Berlin,
H. Paetel, 1903. gr. 8. 60 SS. M. 1,20.
Decharme, Pierre (redacteur au Ministère des colonies, Paris), Compagnies et
sociétés coloniales allemandes. Paris, Masson E C", 1903. gr. in-8. XII—305 pag.
fr. 6.—.
Bourne, H. R. Fox, Civilisation in Congoland: a story of international wrong
doing. With a prefatory note by (Sir) Charl. W. Dilke. London, P. S. King & Son,
1903. gr. 8. XVI—311 pp. with map, cloth. 10/.6. (Contents: King Leopold's project
(1876—1884). — The Berlin conference (1884—1885). — The Congo State's commen-
cement (1885—1889). — Early explorations and enterprises (1855—1890). — The
Brussels conferenee (1889—1890). — Commercial developments (1890—1893). — Anti-
selavery erusading (1890—1894). — International complieations (1894— 1895). — Admi-
nistrative abuses (1894—1897). — Raids and rebellions (1895—1899). — Monopolist
persecutions (1897—1901). — Belgium’s inheritance (1901—1902). — The Congo States
neighbours, — The outlook.)
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Bericht über die III. Hauptversammlung des deutschen Forstvereins. (30. Ver-
sammlung deutscher Forstmünner) zu Leipzig vom 15. bis 20. IX. 1902. Berlin, Jul.
Springer, 1903. gr. 8. 240 SS. M. 3.—.
Gruner, H. (Prof, z. Zt. Rektor d. kgl. landw. Hochschule, Berlin), Die Marsch-
ländereien im deutschen Nordseegebiete einst und jetzt. Rede. Berlin, Parey, 190%.
gr. 8 18 SS.
Jahrbuch der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Herausgeg. vom Direktorium.
26*
404 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Bd. XVII. Berlin, P. Parey, 1902. Lex.-8. XVII—694 SS. M. 6.—. (Inhalt: Die
Entwickelung der dtsch. Landwirtschaftsgesellschaft vom 1. X. 1901 bis dahin 1902. —
Die Winterversammlung 1902 zu Berlin. — Die 17. Wanderversammlung zu Mannheim. —
Die 16. Wanderausstellung Mannheim. — Berichte über Unternehmungen der Gesell-
schaft. — etc.)
de Launay, L., Les richesses minérales de l'Afrique. Paris, Ch. Béranger, 1903,
8. 395 pag.
A tutorat returns, 1902. Tables showing the total produce and yield per
acre of the principal crops in each county of Great Britain with summaries for the
United Kingdom. London, printed by Wyman & Sons, 1903. gr 8. VII—33 pag.
(Parl. pap.)
Coffee. Extensive information and statistics. Amsterdam, J. H. de Bussy, 1903.
gr. 8. 110 blz. fl. 1,20. (Reprinted from the original edition published by the Inter-
national Bureau of the American Republics.)
Vietoria. — Annual report of the Secretary for mines and water supply to J.
Balfour Burton (Minister of mines and water supply for Victoria), including reports on
the working of part III of Mines Acts 1890 and 1897, Water supply. etc. ete. during
the year 1901. Melbourne, R. S. Brain printed, 1902. gr. Folio.
Almanacco del giornale di agricoltura „l’Italia Agricola" per l'anno 1903. Pia-
cenza, tip. V. Porta, 1903. 8. 206 pp. 1. 2.—.
Vacirca, Ant., Il problema agrario in Sicilia, con prefazione di Napol. Cala-
janni. Palermo, A. Reber, 1903. 8. IV—150 pp. 1. 2.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Brants, Victor, La petite industrie contemporaine. Paris 1902.
V. Lecoffre. VIII + 230 pp.
Die gesetzgeberische Aktion zu Gunsten des Handwerkes scheint
bei uns zu einem gewissen vorläufigen Abschluß gelangt zu sein; man
will offenbar erst die Wirkungen der neuen Organisation abwarten, bevor
man weitere Schritte unternimmt. Eine nochmalige Umschau über die
Lage und die Ziele des gewerblichen Mittelstandes ist gerade darum wohl
angebracht. Der Verfasser, Professor an der katholischen Universität
Lówen, hat sich wiederholt in kleineren Aufsátzen mit dem Gegenstande
beschäftigt; er kennt in umfassendster Weise die gesamte einschlägige
Literatur Deutschlands, Oesterreichs, Belgiens und hat diese Länder
selbst bereist. Das Urteil eines Ausländers über unsere Verhältnisse
muß von besonderem Werte sein, zumal wenn man so eingehende Studien
gemacht und den umfangreichen Stoff so völlig beherrscht. Brants be-
handelt die Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse nur kurz; er legt
vielmehr das Hauptgewicht auf die wirtschaftspolitische Seite, d. h. auf
die Mittel zur Erhaltung und Stärkung der Kleingewerbetreibenden.
Denn er geht davon aus, daß gerade diese soziale Gruppe zum Wohle
des Ganzen unentbehrlich sei und daß ihre Erhaltung ein Hauptstück
der Sozialpolitik werden müsse: der Grund ist (S. 157) Unabhängigkeit,
konservativer Geist, Gleichgewicht, Sicherheit, Familiensinn, die alle in
besonderem Maße dem Handwerke eigen seien. Sein Standpunkt ist im
ganzen der der fortgeschritteneren katholischen Schriftsteller, wie er
denn z. B. den Anschauungen des Prof. Hitze nahe steht. Dabei hält
er sich von Uebertreibungen oder engherziger Auffassung der Dinge
frei. Er ist durchaus davon überzeugt, daß man den Fortschritt nicht
künstlich aufhalten weder könne noch solle, daß das Kleingewerbe nicht
„immobilisiert“ werden dürfe. Aber was noch zu retten und zu er-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 405
halten sei von dem selbständigen Handwerke — dafür dürfe kein Opfer
gescheut werden, wenn er sich auch letzthin der Erwägung nicht ver-
schließen kann, daß manches in diesem gewerblichen Mittelstand sehr
faul aussieht.
Es ist erklärlich, daß diese Grundauffassung auch die Darstellung des
Tatsächlichen stark beeinflußt. Der Verf. wiegt sich bezüglich der Zukuntt
des Handwerks in ziemlichem Optimismus und er glaubt an eine weitere
Stärkung der Kleinindustrie, wenn nur die richtigen Mittel angewendet
werden. Er bietet hierin wohl das Gegenstück zu W. Sombarts
modernem Kapitalismus, bei dem der Siegeszug des Großbetriebes auf
allen Gebieten als ein unaufhaltsamer erscheint. Brants stützt seine
Diagnose und Prognose im wesentlichen auf die Ermittelungen der amt-
lichen Statistik in Deutschland und Frankreich. Dagegen verwertet er
die Ergebnisse der Handwerkerenquete des „Vereins für Sozialpolitik“
gar nicht, obwohl wir erst ihr die wesentlichsten Aufschlüsse verdanken.
Er meint von ihr (S. 38), daß sie ,forcément ne porte que sur des cas
particuliers (?), comporte et réserves et critiques“. Es ist dasselbe merk-
würdige und schiefe Urteil, das seiner Zeit in Köln und auch anderwärts
Professor Hitze abgegeben. Aber mit diesen Bemerkungen wird man doch
den prinzipiellen Aufklärungen, die man erst jener Enquete verdankt,
nicht gerecht. Denn die Statistik als solche gibt nur dann Antwort auf
die Fragen, wenn man sie richtig interpretiert. Aber aus den bloßen ganz
äußerlichen Daten derer, die sich selbständige Kleinmeister nennen,
ist doch kein weitgehender Schluß auf einen Fortbestand zu machen.
Die äußere Form des Handwerkes besagt über den inneren Gehalt
noch rein gar nichts. Und von dieser tausendfachen inneren Zersetzung
und weitdringenden absoluten Abhängigkeit spricht Brants nichts: für
ihn deckt sich der Handwerker, der sich selbst „selbständig“ nennt
und den die Gloriole der eigenen Werkstatt im eigenen Heim umgibt,
auch mit dem wirtschaftlich unabhängigen. An diesem xgwrov
deine scheint mir aber die ganze Auffassung des Verfassers zu leiden.
Denn gerade jene angebliche „Autonomie“ ist es, die das charakte-
ristische Merkmal des Kleingewerbes ausmachen soll. Aber Br. kommt zu
diesem Ergebnis nur, indem er die Selbständigkeit ganz formell und äußer-
lich faßt. Er kennt doch auch die tatsächlichen Verhältnisse nicht, wenn
er behauptet, daß man die Notwendigkeit oder Nützlichkeit eines Groß-
betriebes der Maurer, Gärtner, Tapezierer, Schornsteinfeger nicht be-
greifen könne (S. 80). Entsprechend stellt er der gewerblichen Mittel-
standspolitik die Aufgabe (S. 76): Mittel zu suchen, um das Handwerk
zu heben, auf den umstrittenen Gebieten zu kämpfen, die gegenwärtigen
Positionen mindestens zu bewahren, womöglich zu verbessern, endlich
neue Gebiete zu erobern. Aber ich halte es nicht für angängig, eine
einzelne Klasse aus dem gesamten zeitlichen Zusammenhang heraus-
zugreifen und ihr, unbekümmert um die vorhandenen Beziehungen und
Tendenzen, ein besonderes Ziel anweisen zu wollen, das der Lage der
Dinge nach unmöglich ist. Ein hinreichendes Feld der Betätigung wird
dem Kleingewerbe und dem Handwerk sicherlich gewahrt bleiben, wie
auch Conrad in seiner Volkswirtschaftspolitik hervorhebt. Es ent-
406 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
spricht jedoch durchaus nicht mehr den heutigen Tatsachen, wenn B.
behauptet (S. 26): „Le petit industriel fait d’ordinaire un produit
complet; parfois il en fait plusieurs, rarement il n'en fait qu'une partie.
Mais il travaille avec soin, souvent en artiste". Denn das geht doch
aus allen neueren Untersuchungen über die Frage hervor, und vor allem
ist dieser Nachweis wohl Sombart in der Hauptsache gelungen, daf
die innere Abhängigkeit von der Großindustrie eine unaufhaltsame und
unabwendbare ist. Dem vermógen die vorgeschlagenen Mittel keinen
Abbruch zu tun.
' Brants ist einsichtig genug, nicht durch Gewaltmaßregeln retten zu
wollen, was nicht zu retten ist. Er steht nicht auf dem Standpunkte
des Reaktionàrs, dem die moderne Entwickelung eine Abirrung von dem
Richtigen ist. Aber einmal sieht er die Vergangenheit des Hand-
werkes entschieden zu günstig an; er verkennt z. B. ganz, worauf
Bücher mit soviel Nachdruck hingewiesen, dal das Handwerk selbst
erst ältere Formen des Gewerbebetriebes verdrängt und sich in einem
bestándigen Kampfe mit diesen „Störern“ und „Bönhasen“ der älteren
Zeit befunden hat; daß die Differenzierung zwischen dem -ärmeren und
reicheren Meister bereits im 15. und 16. Jahrhundert eine außerordentlich
grole gewesen; dab die üble Lage der Sitzgesellen zu jahrhundertelangen
Gesellenkämpfen geführt hat, die keineswegs immer ein erfreuliches
Licht auf die ältere Handwerksgeschichte werfen. Andererseits
überschätzt er für die Gegenwart infolge seiner irrigen Auffassung über die
„Selbständigkeit“ des Kleinmeisters ganz erheblich die Tragweite einer
künstlichen und gesetzlichen Organisation. Dabei wird es nicht einmal
klar, ob er einer Zwangsorganisation das Wort redet, obgleich er zu-
gibt, daß deren Erfolge in Oesterreich bisher sehr gering gewesen und
in keinem Verhältnis zu dem großen geschaffenen Organismus stehen.
Es ist schade, daß er auf die Ausführungen von Wäntig, Gewerbliche
Mittelstandspolitik, gar nicht eingeht, ja das Buch geflissentlich ignoriert;
allerdings bleibt ja danach an den österreichischen Versuchen kein
gutes Haar: sie bedeuten ein vollkommenes Fiasko der erstrebten Neu-
belebung. Die Genossenschaften haben hier gänzlich versagt und sie
haben den Umwandlungsprozeß des alten Handwerkes nicht aufzuhalten
vermocht, obwohl Regierung und Parteien seit 20 Jahren ihm alle
Sympathien entgegengebracht (vergl. Philippovich, Referat über
die Handwerkerfrage auf der Generalversammlung des Vereins für Sozial-
politik 1897). Die Fragen der äußeren Organisation reichen eben an
die innere Struktur des Betriebes, des Absatzes, der Kapitalkonzentration
und Konsumveränderung, was alles ausschlaggebend für die Lage des
Kleingewerbes ist, in keiner Weise heran. Uebrigens muß Brants auch
für Deutschland (S. 206) zugeben, daß die Hoffnungen, die die Mittel-
standspolitiker auf die Schaffung der neuen Organisation — der fakul-
tativen Zwangsinnungen und der Handwerkerkammer — setzten, sich
bisher nur sehr teilweise erfüllt haben. Die Schwierigkeiten liegen eben
auf ganz anderem Gebiete.
Brants verkennt die Schattenseiten des heutigen Kleingewerbes
durchaus nicht: ihren Mangel an Initiative und ihr zu starkes Vertrauen
`
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 407
auf staatlichen Schutz; den Individualismus im Kampfe gegen die Kon-
kurrenz ; die üble Lage der Gehilfen und die Lehrlingszüchterei; den Mangel
an Hygiene, wie er an dem Beispiel der Unsauberkeit in Bäckereien
anführt; den Mangel an Anpassungsfühigkeit, an kaufmännischer Ge-
schicklichkeit; auch ist er weit davon entfernt, das Familienleben der
Handwerker durchgängig als ein Paradies anzusehen. Aber er meint,
daß sich auf allen diesen Gebieten außerordentlich viel tun ließe — sei
es durch genossenschaftlichen Zusammenschluß der Handwerker selbst,
als Werk-, Rohstoff-, Magazingenossenschaften, sei es durch staatliche
Unterstützung; so auf dem Gebiete des Lehrlingswesens, der Ausstellungen
und Prämiierungen, der Erschließung “eines besseren und billigeren
Kredites durch Handwerker- und Innungsbanken, durch Flüssigmachung
der Sparkassenfonds und anderes. Er will überall mit Vorsicht zu Werke
gehen, ohne sich zu großen Illusionen hinzugeben. Es ist hier nicht der
Ort, in eine eingehendere Erörterung der einzelnen Maßnahmen einzutreten:
eine ganze Reihe von ihnen halte ich für empfehlenswert und durch-
führbar: so vor allem die Beschränkung des Borgsystems durch Ver-
besserung der Kredit- und Scheckeinrichtungen u.v.a. Die Frage des
Befähigungsnachweises läßt er offen, obwohl er den österreichischen
Verwendungsnachweis für ungenügend erklärt, Auch die Ausdehnung
der Arbeiterschutzbestimmungen auf das Handwerk erörtert er auf-
fallenderweise nicht, so sehr gerade dies von den vorgeschritteneren
Sozialpolitikern verlangt wird. Von der allgemeinen Zugänglichmachung
der elektrischen Kraft erwartet er für das Handwerk eine Verlangsamung
(S. 156) der Konzentrationstendenz: es wird dabei meines Erachtens ganz
übersehen, daß die Anwendung sich erst rentiert in einem großen arbeits-
teiligen Betrieb, wo die Werkzeuge voll ausgenutzt werden können.
Man sieht, der Verf. gibt ein vollständiges durchgeführtes Hand-
werkerprogramm nach dem einen Leitsatz (S. 14): „das Handwerk mul
erhalten werden aus Gründen der Allgemeinheit; aber es muß sich ent-
sprechend der neuzeitlichen Entwickelung umbilden.“ Der Verf. ist
jedoch radikaler als er selbst denkt. Denn ein so modernisiertes Hand-
werk, das mit motorischer Kraft: arbeitet, das sich eventuell zu großen
kartellierten Produktivgenossenschaften (S. 118) zusammenschließt, das
Scheck- und Giroverkehr benutzt, das magazinfühig wird und womöglich
selbst ein großes Warenhaus einrichtet: das ist mit all diesen Um-
formungen und all ihren Konsequenzen schon ein anderes geworden.
Es würde in dieser Form auch kaum noch die große Zahl von Existenzen
mitzuschleppen vermögen, die heute einen Teil des Handwerkerprole-
lariates ausmachen! Diese verschiedenen Bestandteile innerhalb des
Kleingewerbes scheidet jedoch B. gar nicht. Nur der Tauglichste aber
verdient wirklich erhalten zu werden. Denn nicht darauf kommt es
an, zu zeigen, daß ein Teil der Kleinmeister und Handwerker noch
besteht und mit allen jenen Mitteln auch noch ferner bestehen kann:
das wird von niemandem bestritten. Sondern der Nachweis wäre zu
führen, daß sie tatsächlich ein selbständiges Dasein haben und daß
ihnen in Zukunft eine eigene sichere aussichtsreiche Domäne bleibt.
Dieser Nachweis ließ sich natürlich nicht führen. Und doch ist dies
408 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die Vorbedingung für die Möglichkeit eines selbständigen Kleingewerbes,
widrigenfalls der Anpassungsprozef an die modernen Betriebsformen
nur aufgehalten wird. Denn alle jene Mittel gewährleisten noch nicht
einen wirtschaftlich unabhängigen „Stand“, dessen Fortbestehen
eine soziale Notwendigkeit wäre und zu dessen Erhaltung eine berufliche
Organisation überhaupt beitragen könnte.
Leipzig. F. Eulenburg.
Bericht der Zentralanstalt für unentgeltlichen Arbeitsnachweis in Mannheim
(S. 1, 17) über das Geschäftsjahr 1902, Mannheim, Hofbuchdr. Hahn & C*, 1903. gr. 4.
19 SS.
Bringmann, August, Geschichte der deutschen Zimmererbewegung. I. Bd.
Stuttgart, J. H. W. Dietz, Nachf., 1903. gr. 8. XII—400 SS. mit 12 Taf. M. 6.—.
Dietzel, H. (Prof, Univ. Bonn), Das Produzenteninteresse der Arbeiter und die
Handelsfreiheit. Ein Beitrag zur Theorie vom Arbeitsmarkt und vom Arbeitslohn.
Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. VIII—118 SS. M. 3.—.
Doren, Alfr., Deutsehe Handwerker und Handwerkerbruderschaften im mittel-
alterlichen Italien. Berlin, R. L. Prager, 1903. gr. 8. IV—160 SS. M. 5.—.
Erweiterung, die, der Erwerbsfühigkeit des weiblichen Geschlechts ohne Uni-
versitätsstudium der Frauen und ohne Müdchengymnasien. Berlin, Wiegandt & Griebern,
1903. 8. 31 SS. M. 0,50.
Führer durch die Papierindustrie Deutschlands. Leipzig, Th. Weber, 1902. gr. 8
43 SS. M. 3.—.
Harms, Bernh., Die holländische Arbeitskammer, ihre Entstehung, Organisation
und Wirksamkeit. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1903. gr. 8. XII—198 SS. M. 5.—.
Jahresbericht des Bundes der Industriellen. E. V. für das Geschäftsjahr
1901/1902. Im Auftrage des Vorstandes herausgeg. vom (Generalsekretür) Wilh. Wend-
landt. Berlin, Druck von H. Klokow, 1903. gr. 8. III—86 SS.
Jahresbericht des deutschen Kellnerbundes Union Ganymed. Bezirksverein
Berlin (NW 7) 1902/1903. Berlin, Januar 1903. gr. 4. 13 SS.
Tschierschky, S., Kartell und Trusts. Vergleichende Untersuchungen über
deren Wesen und Bedeutung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1903. gr. 8.
M. 2,80.
v. Wiese, Leop., Beiträge zur Geschichte der wirtschaftlichen Entwickelung der
Rohzinkfabrikation. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. IV—221 SS. mit 3 Taf. M. 5.—.
Bernard, F., Les caractères particuliers de l'industrie agricole. Montpellier,
Coulet & fils, 1903. 8. 72 pag.
Briat, Apprentissage. Rapport au nom de la Commission permanente. Enquete
et documents. Paris, imprim. nationale, 1902. in-4. 489 pag.
Congrès, troisième, national du syndicat national des ouvriers des postes, télé-
graphes et téléphones, tenu à Paris (bourse du travail) les 23, 24 et 25 octobre 1902.
Paris, impr. Mangeot, 1905. 8. 176 pag.
Guillet, L. (prof. de technologie chimique au collège libre des sciences sociales),
L'industrie des métalloides et de leurs dérivés. Paris, Gauthier-Villars, 1903. 8.
187 pag.
Lambert, A. (avocat à la Cour d'appel de Paris), Manuel de la propriété indu-
strielle et commerciale. Brevets d'invention, marques de fabrique et de commerce, des-
sins et modèles de fabrique, ete. Paris, Giard & Brière, 1903. 8. 252 pag. fr. 3.—.
Raffalovich, A., La dynastie Krupp. Paris, Guillaumin & C'*, 1903. 8. 20 pag.
de Seilhac, Léon, Les grèves. Paris, V. Lecoffre, 1903. 8. 256 pag. fr.2.—.
(Table des matières: Les grèves d’autrefois. Les grèves d'aujourd'hui. — Le coût des
grèves. — Rapide historique du mouvement gréviste. — Le droit de grève. — La grève
et les socialistes, La grève générale. — Le scénario d'une grève. — Les différents
types de grèves, — La conciliation et l'arbitrage. — Les conseils de conciliation.)
Statistique des grèves et des recours à la conciliation et à l'arbitrage survenus
pendant l’année 1901. Paris, imprim. nationale, 1902. gr. in-8. XVI—400 pag. (Publi-
cation du Ministère du commerce, de l'industrie, des postes et des télégraphes, Direction
du travail.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 409
Annual report, XV", of the Board of mediation and arbitration for nine months
ended Sept. 30, 1901. Albany, J. B. Lyon printed, 1902. gr. 8. 424 pp. (Publication
of New York State Department of Labor.)
Annual report, XIX", of the Bureau of Labor Statistics for the year ended
Sept. 30, 1901. 2 parts. Albany, J. B. Lyon printed, 1902. gr. 8. IX—640 pp. and
(part 2). 128 pp. (Contents: The economic condition of organized labor. — The labor
laws of New York.) [Publieation of New York State Department of Labor.]
Annual report, I", of the Commissioner of Labor and the XVI" annual report
on factory inspection, 1901. Albany, J. B. Lyon printed, 1902. gr. 8. 615 pp. (Publi-
cation of New York State Department of Labor.)
Annual report, XXVI*, of his Maj—'s Inspectors of explosives, being their annual
report for the year 1901. London, printed by Darling & Son, 1902. Folio. 230 pp.
1/.10. ;
Potter, H. Codman (Bishop of New York), The citizen in his relation to the
industrial situation. Yale lectures. London, Harper & Brothers, 1902. 8. 248 pp.
cloth. 4/.6. (Contents: The industrial situation. — The citizen and the working man.
— The citizen and the capitalist. — The citizen and the consumer, — The citizen and
the corporation. — The citizen and the State.)
Atti del Consiglio dell’ industria e del commercio. Sessione ordinaria dell’ anno
1901. Roma, tip. di Bertero & C., 1902. 8. 50 pp. (Annali dell' industria e del
commercio.)
Zaniboni, E., L'Alta Italia industriale e il problemo di Napoli: inchiesta del
Pungolo con une prefazione di M. Ricciardi e une lettera di F. S. Nitti. Napoli, L.
Pierro, 1903. 8. XIV—121 pp.
Kooreman, P. J., De koelie-ordonnantie tot regeling van de rechtsverhouding
tusschen werkgevers en werklieden in de residentie Oostkust van Sumatra toegelicht.
Amsterdam, J. H. de Bussy, 1903. gr. 8. 61 blz. fl. 0.25.
6. Handel und Verkehr.
Gensel, Julius, Der deutsche Handelstag in seiner Eutwicke-
lung und Tätigkeit, 1861—1901. Berlin (Carl Heymann) 1902. 184 SS.
gr. 8°.
Einer der kundigsten und unbefangensten Führer geleitet uns hier
durch die Wandel-, um nicht zu sagen „Irr“-Gänge des deutschen
Handelstages, einer Vereinigung von Handelskorporationen, von deren
Geschichte uns die deutsche Literatur bisher wenig zu sagen gehabt
hat. Sonderlich erfreulich kann ihm die Führung nicht immer gewesen
sein; denn die Reise geht vielfach durch die öden Strecken unerquick-
licher Geschäftsordnungs-Verhandlungen und nicht eben häufig auf aus-
sichtsreiche Höhepunkte und durch fruchtbare Gefilde. Aber der Histo-
riker muß seinen Stoff nehmen, wie er ihn findet und dem einigermaßen
aufmerksamen Leser dieser Geschichte gewähren schon die Reflexe,
welche die politische Geschichte der für Deutschland ereignisreichen
Zeit auf die Arbeiten jener der wirtschaftspolitischen Entwickelung des
Vaterlandes zugewandten Vereinigung wirkt, nicht geringes Interesse.
Und das leuchtet aus der Darstellung deutlich hervor und das muß
ınan dankbar anerkennen, daß der Handelstag in seiner 40-jährigen
Tätigkeit keine Angelegenheit von wirtschaftspolitischer Bedeutung hat
vorübergehen lassen, ohne zu ihr Stellung zu nehmen und sie mit
Kräften allerersten Ranges im wohlverstandeuen öffentlichen Interesse
zu gestalten und zu fördern, wenn auch seinen Bestrebungen von seiten
der Staatsgewalt nicht immer die gebührende Würdigung zu teil ge-
worden ist. Wo das letztere nicht geschah, hat es vielleicht öfter an
dem gehörigen Nachdruck, an dem dem deutschen Kaufmann nicht nur
410 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
als einzelnem, sondern auch als Glied einer großen Korporation noch
allzu sehr fehlenden Selbstgefühl und Rückgrat, als an den guten Gründen,
mit der der Handelstag seine Sache vertrat, gefehlt.
Daß der Handelstag um die Schaffung von einheitlichem Maß und
Gewicht, um die Geldwährung, um die rationelle Regelung unseres
Bankwesens, um manche Fortschritte des Verkehrswesens, um die Ver-
sicherungsgesetzgebung, um den Abschluß nützlicher Handelsvertrüge,
endlich auch um die deutsche Steuer- und Zollpolitik sich große Ver-
dienste erworben hat, erhellt aus Dr. Gensels lichtvoller und akten-
mäßiger Darstellung deutlich. Und so wird niemand von den Hunderten,
ja Tausenden, welche in irgend welcher unmittelbaren oder mittelbaren
Beziehung zu dieser wichtigen Institution stehen, das schóne Buch un-
befriedigt aus der Hand legen. Ein alphabetisches Inhaltsverzeichnis,
in ein Personen- und Sachregister geteilt, erhöht dessen Brauchbarkeit
wesentlich.
Wenn der Verf. in einem Schlußworte anerkennt, daß der Handelstag
dem Bedürfnis des Handels und der Industrie Deutschlands im groben
und ganzen gut entsprochen, daß er eine treffliche Schule für manche
im öffentlichen Leben hervorragend wirksame Männer gebildet habe, so
ist das gewiß ebenso zu unterschreiben wie die letzten Sätze dieses
Schlußwortes, wo es heißt: :
„Daß von allen in diesen 40 Jahren gefaßten Beschlüssen nur ein
verhältnismäßig kleiner Teil von unmittelbarem Erfolg begleitet ge-
wesen ist, liegt in der Natur der Dinge begründet. Viele von den ge-
gebenen Anregungen haben sich, wenn auch nicht sofort, doch im Laute
der Zeit als fruchtbar erwiesen, und von manchen Schritten, die gegen
den Rat des Handelstages getan worden sind, hat man nachträglich
erkannt, daß es besser gewesen wäre, dem Rate zu folgen. Jedenfalls
ist das Ansehn des Handelstages im Steigen begriffen. Und, wenn er
fortfährt, mit demselben Sinne für das Wohl und die Ehre des Vater-
landes, mit demselben Verständnis für die wirklichen Bedürfnisse des
Handels und der Industrie als wichtiger Glieder des gesamten Volks-
lebens und mit demselben Eifer, aber auch in derselben maßvollen Weise
weiter zu arbeiten, dann wird er dereinst auch auf die weiteren Zeit-
abschnitte seiner Tätigkeit mit Befriedigung zurückblicken können“.
A. Emminghaus.
Wiedfeldt, Genossenschaftliche Getreideverwertung im König-
reich Sachsen. Eine agrarpolitische Untersuchung. Berlin (Paul Parey)
1902. 47 SS.
Eine der interessantesten Formen der den Landwirten viel gepredigten
Selbsthilfe ist die genossenschaftliche Verwertung des Getreides, die
freilich wiederum nicht verfehlt hat, den Widerstand der betroffenen
Handelskreise hervorzurufen. "Wenn trotzdem in Preuflen und Bayern,
zum Teil mit, zum Teil ohne staatliche Unterstützung der genossen-
schaftliche Getreideverkauf einen steigenden Umfang nimmt, so ist das
im wesentlichen als eine Konsequenz der Genossenschaftsidee zu er-
klären: die durch die Bezugsgenossenschaften geschädigten Dünger- und
Futtermittelhändler erklären, das Getreide nicht abnehmen zu wollen,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 411
wenn die Landwirte ihnen nıcht wieder Dünger- und Futtermittel ab-
kaufen, und zwingen so diese selbst, wenn sie die Errungenschaft des
genossenschaftlichen Bezugs nicht aufgeben wollen, den weiteren Schritt
zum genossenschaftlichen Verkauf zu tun. Für diese in den klein-
bäuerlichen Distrikten der Rheinprovinz von dem Referenten öfter be-
obachtete Tatsache bringt Wiedfeldt zahlreiche Belege (S. 8, 11, 14, 17).
Sachsen hat auch wie die Rheinprovinz und Schlesien gewagt, zur
genossenschaftlichen Verarbeitung des Mehls und Getreides überzugehen,
trotz der gerade in Sachsen so einflußreichen „Mittelstandsbewegung“.
Die Bedeutung der Wiedfeldtschen Arbeit liegt in dem Nachweis, daß
dieser Schritt, wie die Erfolge der Müllerei- und Bäckereigenossenschaft
Oberes Müglitztal beweisen, volkswirtschaftlich berechtigt vom Stand-
punkt der Produzenten wie der Konsumenten ist. Die Ewartung, daß
Müllerei und Bäckerei in dem Maße ländliche Nebengewerbe werden
wie die Brauerei, vielleicht auch wie die Brennerei, wenn auch nicht
wie die Zuckerfabrikation, erscheint nicht unbegründet.
Angehängt sind zwei kleinere Aufsätze über ländliche Müllerei-
und Bäckereigenossenschaften in Frankreich.
Bonn. W. Wygodzinski.
Berndt, Wilhelm, Die Konkurrenzverhältnisse auf dem Welt-
markt. Wien und Leipzig 1901.
Eine kartographische Darstellung des Welthandels und des Welt-
verkehrs nach dem Durchschnitt der letzten drei Jahre. Die Haupt-
karte gibt ein Bild der wichtigsten Verbindungen zu Wasser und zu
Lande, während sechs Nebenkarten durch verschiedene Farbengebung
den Anteil der bedeutendsten Staaten am Handel der übrigen Länder
darstellen. Das Ganze erscheint sehr geeignet für Unterrichtzswecke,
um einen stärkeren Eindruck der wirtschaftlichen Machtverhältnisse zu
geben, als bloße Zahlen dies vermögen. Leider sind alle Angaben über
Ein- und Ausfuhr nur in österreichischer Währung gemacht.
Halle a. S. . G. Brodnitz.
Bericht der Auskunftei W. Schimmelpfeng. Januar 1903. Berlin 1903. 8. 24 SS.
Bericht über den Getreide-, Ocl- und Spiritushandel in Berlin und seine inter-
nationalen Beziehungen im Jahre 1902 erstattet von Emil Meyer (vereidetem Waren-
und Produktenmakler) Berlin, Selbstverlag des Verfassers, 1903. Roy.-4. 36 SS.
Bericht über Handel und Industrie von Berlin nebst einer Uebersicht über die
Wirksamkeit des Aeltestenkollegiums im Jahre 1902 erstattet von den Aeltesten der
Kaufmannschaft von Berlin. I. Teil. Berlin, gedruckt bei R. Boll, 1903. gr. Folio.
108 SS.
Bericht der Handelskammer in Bremen über das Jahr 1902 erstattet an den
Kaufmannskonvent. Bremen, Druck von H. M. Hauschild, 1903. gr. 8. 85 SS.
Bericht der Handelskammer zu Düsseldorf über das Jahr 1902. I. Teil. Düssel-
dorf, Druck von L. Schwann, 1902, 31. XII. gr. 8. 177 SS.
Cosack, Konr., Lehrbuch des Handelsrechts. 6. Aufl. Stuttgart, Ferd. Enke,
1903. gr. 8. X—780 SS. M. 16.—.
v. Damnitz, G., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Feldbahnen. Mit 2 An-
hängen : 1. Die Feldbahnanlagen in Muskau; 2. Die Feldbahnanlagen im Bereich der
Mecklenburg-Pommerschen Schmalspurbahnen. Berlin, E. Ebering, 1902. gr. 8.
165 SS. M. 4.—.
Geschäftsbericht über den Betrieb der Main-Neckar-Eisenbahn im Jahre 1901
Darmstadt, J. C. Herbertsche Hofhuchdruckerei, 1902. Imp.-4. 8 SS. nebst XII Anlagen.
412 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Gelpke, R. (Ingen.), Die Ausdehnung der Großschiffahrt auf dem Rhein von
Straßburg nach Basel. Eine technische und wirtschaftliche Studie zur Förderung der
Binnenschiffahrtsbestrebungen in der Schweiz. Basel, Hans Lichtenhahn, 1902. 8.
26 SS. M. 1.—. .
Gezeitentafeln für das Jahr 1904. Herausgeg. vom Reichsmarineamt. Redak-
tion: Observatorium zu Wilhelmshaven. Berlin, S. Mittler & Sohn, 1903. 8. XII—
267 SS. mit 14 Blättern in Steindruck, enthaltend Darstellungen der Gezeitenströmungen
in der Nordsee, im englischen Kanal und der irischen See.
Handelsgebräuche. Gutachten, erstattet von der Handelskammer zu Magde-
burg auf gerichtliche Anfragen vom Jahre 1902. Magdeburg, Druck von E. Baensch jun.,
1903. Imp.-8. 28 SS.
Handel und Industrie Ungarns im Jahre 1901. Herausgeg. von der Budapester
Handels- und Gewerbekammer. Budapest, Pester Buchdruckerei, AG., 1902. gr. 8.
VII—395 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hamburg über das Jahr 1902. Ham-
burg, Ackermann & Wulff Nachf., 31. XII. 1902. Lex.-8. 40 SS.
Lage, die, der in der Seeschiffahrt beschäftigten Arbeiter. I. Bd. 2. Abteilung.
Leipzig, Duneker & Humblot, 1903. gr. 8. 399 SS. M. 8,80. (Inhalt: Die wirtschaft-
liche und technische Entwickelung der Seeschiffahrt von der Mitte des 19. Jahrhunderts
bis auf die Gegenwart. — Entwickelung des Seehandels und seines Rechts, von (Prof.)
Pappenheim. — Die Verhältnisse in den Emshäfen , von (Navigationslehrer Spillmann)
in der Seefischerei von Gestemünde (Hafenmeister Duge), in Rostock und Wismar (D'
Asmus), in Stettin Ur Meister), in den west- und ostpreußischen Häfen (Kapitän a. D.
Dóbler) sowie in England (Henry W. Macrosty) und Frankreich (L. de Seilhac). [Schriften
des Vereins für Sozialpolitik. Bd. 103.]
Lenschau, Thom., Das Weltkabelnetz. Halle a/S., Gebauer-Schwetschke, 1903.
gr. 8. 74 SS. mit Karte, M. 1,50. (A. u. d. T.: Angewandte Geographie. Hefte zur
Verbreitung geographischer Kenntnisse in ihrer Beziehung zu Kultur und Wirtschafts-
leben, Serie I, Heft 1.)
Liste, amtliche, der deutschen Seeschiffe mit Unterscheidungssignalen, als Anhang
zum internation. Signalbuche. Berlin, G. Reimer, 1903. gr. 8. 112 SS. kart. M. 1,60.
Prinzhorn, Karl, Ueber die finanzielle Führung kaufmännischer Geschäfte und
Unternehmungen. Berlin, H. Spamer, 1903. 8. 83 SS., geb. M. 1,50.
Sehiffahrt, die, der deutschen Ströme. Untersuchungen über deren Abgaben-
wesen, Regulierungskosten und Verkehrsverhültnisse. I. Bd. Leipzig, Duncker & Hum-
blot, 1903. gr. 8. VIII—341 SS. M. 8,20. (Inhalt: Entwickelung des Abgabewesens
und der Regulierungskosten der Elbschiffahrt 1871 bis 1900, von Geo. Bindewald. (Mit
1 Karte.) -— Die Bedeutung der Wasserstraßen im östlichen Deutschland für den Trans-
port landwirtschaftlicher Massengüter, von O. G. Giersberg. (Mit 1 graph. Darstellung.)
— Die RE von Gust. Seibt. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik.
Bd. 100.
Schriften des kaufmännischen Hilfsvereins für weibliche Angestellte zu Berlin.
N' 3. Berlin, Verlag des Vereins, C. Seydelstr. 25, 1903. gr. 8. 24 SS. M. 0,15.
(Inhalt: Fortbildungsschulzwang für jugendlicbe weibliche Handlungsgehilfen und
Lehrlinge.)
Verwaltungsbericht der königl. Württembergischen Verkehrsanstalten für das
Etatsjahr 1901 (1. IV. 1901 bis 31. III. 1902). Stuttgart, J. B. Metzlersche Buchhdl.,
1903. Lex.-8. VI—400 SS. mit Karte. (Herausgeg. von dem kgl. Ministerium der aus-
wärtigen Angelegenheiten, Abteilung für die Verkehrsanstalten.)
Congrès international du commerce et de l'industrie tenu à Ostende du 26 au
30 août 1902. Compte rendu complet des discussions, travaux et mémoires publié sous
la direction de M. Jul. Hayem (secrétaire général adjoint) Paris, Guillaumin & C",
1902. gr. in-8. 488 pag. fr. 10.—.
Delaunay, P., Des ports francs. Y a-t-il intérêt à créer en France des ports
franes? Paris, Giard & Briere, 1902. 8. 134 pag.
Haguet, H. (directeur du „Journal des transports"), Le rachat des chemins de
fer suisses et ses conséquences. 2* édition. Par., Béranger, 1903. 8. 128 pag. fr. 3.—.
Yver, Georg., Le commerce et les marchands dans l'Italie méridionaleau XIII*
& au XIV* siecle. Paris, Alb. Fontemoing, 1903. gr. in-8. VIII—437 pag. fr. 12.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes 413
(Table des chapitres: I'* partie. Conditions générales et manifestations de la vie écono-
mique: 1. La politique commerciale des Angevins. — 2. Conditions générales du com-
merce A l’époque angevine: (Les impôts; Les monnaies; Les poids et les mésures;
l'usure.) — 3. La circulation des marchandises; La sécurité publique; Les routes; Les
foires. — 4. L'industrie. — 5. L'agrieulture et le commerce des grains. — 6. La vie
maritime. — II* partie. Les marchands: 1. Les marchands régnicoles. — 2. Nations et
consuls. — 3. Marchands étrangers fréquentant la royaume de Sicile. — 4. Les Venetiens
dans l'Italie méridionale. — 5. La conquéte florentine. — 6. Les opérations des compagnies
florentines dans le royaume de Sicile. — etc.
Foll, Arth., The failure of free trade as proved by the”foreign commerce of
England. London, Drane, 1903. 12. 61 pp. 1/.—.
Tables showing the progress of merchant shipping in the United Kingdom and
the principal maritime countries. London, prindet by Wyman Sons, 1902. gr. Folio.
87 pp. /.0,10.
Tables relating to the trade of British India with British possessions and foreign
countries, rg to 1901/02. London, printed by Wyman & Sons, 1903. Folio.
119 pp. 1/.4.
Thompson, Gordon, The canal system of England: its growth and present
condition, with particular reference to the cheap carriage of goods. London, Fisher
Unwin. s. 1. (1903). 12. 70—IV pp. 1/.6.
Young, T. M., Manchester and the Atlantic traffic. London & Manchester, Sher-
ratt & Hughes, 1902. Lex.-8. 84 pp. with a plan and illustrations. 3/.—. (Contents:
Preface. — Canada. — New York. — Philadelphia. — Boston. — The cotton ports. —
Marine insurance in the Manchester-Atlantie trade. — Jamaica.)
Commissione centrale dei valori per le dogane. Atti per la sessione 1901—02.
Roma, tipogr. di G. Bertero & C., 1903. 8. 414 pp. l. 4.—. (Annali dell’ industria e
del commercio, 1902.)
Magrini, Effren., I nuovi sistemi di ferrovie in Europa: ferrovie sotterrance,
ferrovie ad una rotaia. Torino, Roux & Viarengo, 1903. 8. 99 pp. 1. 2.—.
Handboek voor cultuur- en handelsondernemingen in Nederlandsch-Indre. XV*
jaarg., 1903. Amsterdam, J. H. de Bussy, 1903. gr. 8. 12 en 1182 blz. fl. 8.—.
7. Finanzwesen.
Fuisting, B. (Wirkl. GORegR.), Die Einkommensbesteuerung der Zukunft in
Anknüpfung an das preußische Einkommensteuergesetz. Berlin, C. Heymann, 1903.
gr. 8. 276 SS. M. 6.—.
Hoffmann, Albr. (FinzR. im k. sächs. Finanzministerium), Deutsches Zollrecht.
I. Band: Geschichte des deutschen Zollrechts. Leipzig, Roßberg, 1902. gr. 8. XVI—
456 SS. M. 11.—.
Rostowzew, M., Geschichte der Staatspacht in der römischen Kaiserzeit bis
Diokletian. Leipzig, Dieterich, 1902. gr. 8. 154 SS. M. 5,40 (aus „Philologus‘‘).
Budget des recettes et des dépenses (du Département de la Seine) exercice 1902.
Paris, imprim. nouvelle (association ouvrière) 1902. Roy. in-4. 221 pag.
Dessart, E., Traité de l'impót foncier contenant l’exposé et le commentaire de
la législation des règlements, de la jurisprudence et de la doctrine administrative sur
la matière. Paris, Guillaumin & Ce, 1902. 8. 629 pag. fr. 7,50.
Régime fiscal des valeurs mobilières en Europe. Tome II. Paris, impr. natio-
nale, 1902. gr. in-8. 552 pag.
Bollettino di legislazione e statistica doganale e commerciale. Anno XIX (Gennaio-
Dicembre). Roma, stabilimento Calzone-Villa, 1902. Lex. in-8. (Pubblicazione del
Ministero delle finanze, Direzione generale delle gabelle.)
Libelli, Marsili, Per l'imposta progressiva. Firenze, tip. S. Giuseppe, 1905.
gr. 8. 80 pp.
Nina, L., L'imposta di successione nella scienza, nella storia el nel diritto ita-
liano. Torino, Unione tip editrice, 1902. 8. 275 pp.
Pich, Carlo (avvoc.), Le imposte personali e reali nel sistema delle imposte
dirette, loro differenze principali e sonseguenze giuridiche, economiche e sociali di tali
differenze. Torino, tip. eredi Botta, 1902. 8. 202 pp.
Plebano, Achille, Storia della finanza Italiana dalla costituzione del Regno
414 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
alla fine del socolo XIX. Volume III ed ultimo dal 1888—89 al 1900—01. Torino-
Roma, Roux & Viarengo, 1902. gr. in-8. 590 pp. 1. 6.—.
Relazione del Direttore generale alla Commissione di vigilanza sul rendiconto
dell’ amministrazione del debito pubblico per l’esercizio dal 1° luglio 1901 al 30 giugno
1902. Roma, tipogr. di Bertero & C., 1902. Imp. in-4. 286 pp. (Pubblicazione del
Ministero del tesoro, Direzione generale del debito pubblico.)
Gil y Pablos, Franc., Estudios sobre el credito público y la deuda pública
española. Madrid, 1900.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Manes, Alfred, Dr. phil et jur, Die Haftpflichtversicherung,
ihre Geschichte wirtschaftliche Bedeutung und Technik, insbesondere
in Deutschland. Leipzig (C. L. Hirschfeld) 1902.
Die Idee der Versicherung und die Erkenntnis von der hohen wirt-
schaftlichen Bedeutung derselben hat sich im Laufe des 19. Jahrhunderts
immer kräftiger Bahn gebrochen. Insbesondere aber bildet der Ausgang
desselben für Theorie und Praxis des Versicherungswesens in Deutsch-
land eine wichtige Epoche. Die Einführung der öffentlich-rechtlichen
Arbeiterversicherung hat das Versicherungsprinzip trotz des ursprünglich
bei den Gegnern aller Sozialreform vorhandenen offenen und latenten
Widerstandes gegen diese Art der Fürsorge in weiten Kreisen volks-
tümlich gemacht; sie hat indirekt auch zum weiteren Ausbau des privaten
Versicherungswesens beigetragen und nach dieser Seite hin außerordent-
lich befruchtend gewirkt. Die private Unfallversicherung und im engen
Zusammenhang damit auch die Haftpflichtversicherung, die uns hier
beschäftigt, haben ihre Entwickelung direkt im Anschluß an die Arbeiter-
versicherungsgesetzgebung des Reiches genommen. Allenthalben be-
schäftigen sich spekulative Köpfe damit, die Versicherung für alle mög-
lichen und unmóglichen Fälle zur Einführung zu bringen — zunächst
ein Beweis dafür, daß man mit einem wachsenden Verständnis der
breiten Schichten der Bevölkerung für die segensreiche Wirkung des
Versicherungsprinzipes rechnet. Durch das Reichsgesetz vom 12. Mai
1901, betr. die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen,
dem in Bälde ein Reichsgesetz folgen wird, welches einheitliche Grund-
sátze für die Regelung des Versicherungsvertrages schaffen soll, ist end-
lich die in Art. 4 der Reichsverfassung vorgesehene Betätigung der
Gesetzgebung auf diesem Gebiete inauguriert worden, — ein mächtiger
Anstoß dazu, daß sich weitere Kreise, Theoretiker wie Praktiker,
nicht nur vom geschäftlichen, sondern auch vom wissenschaftlichen
Standpunkte aus mit dieser vielverzweigten Materie näher befassen.
In diesem inneren Zusammenhange beginnen sich die Versicherungs-
wissenschaften als ein besonderes Spezialgebiet aus der Nationalökonomie
herauszuheben und gerade auch in dieser Beziehung hat der Ausgang
des 19. Jahrhunderts für das Versicherungswesen in Deutschland eine
epochale Bedeutung. Während bisher auf den Hochschulen keine Ge-
legenheit war, Versicherungswissenschaften im Zusammenhange zu
studieren, vielmehr der Nationalökonom nur einiges über die volkswirt-
schaftlichen Funktionen des Versicherungswesens in den allgemeinen
Vorlesungen zu hören bekam, der Jurist die Lehre vom Versicherungs-
vertrage vorgetragen erhielt und der Mathematiker in kurzen An-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 415
deutungen hörte, daß die Prinzipien der Wahrscheinlichkeits- und Aus-
gleichungsrechnung auch in der mathematischen Statistik und in der
Versicherungswissenschaft zur Anwendung gelangen könnten, werden
nun diese Disziplinen: Versicherungsökonomik, Versicherungsrecht, Ver-
sicherungsrechnung (und vielleicht später noch andere, wie Versicherungs-
medizin) an verschiedenen Hochschulen im Zusammenhange vorgetragen
für solche Studierende, welche später praktisch im Versicherungswesen
tätig sein wollen, oder infolge ihres sonstigen Berufes mit dem Ver-
sicherungswesen in Berührung kommen. Die erste diesem Zwecke
dienende Einrichtung war das unter Lexis’ Leitung stehende königliche
Seminar für Versicherungswissenschaften an der Universität Göttingen,
in welchem auch der Autor des hier angezeigten Buches seine Aus-
bildung genossen hat. Wir verdanken ihm schon manche wertvollen
Arbeiten aus dem Gebiete des Versicherungswesens. Die Monographie
über Haftpflichtversicherung behandelt einen der jüngsten, zugleich aber
einen der interessantesten und schwierigsten Zweige der Privatver-
sicherung. Bisher hatte weder die inländische noch ausländische Literatur
eine nur einigermaßen erschöpfende Darstellung dieses Versicherungs-
zweiges aufzuweisen. Es ist ein großes Verdienst des Verfassers, auf
Grund eifrig gesammelten und nicht allgemein zugänglichen Materiales
eine genaue Beschreibung der Praxis des Haftpflichtversicherungs-
geschäftes geliefert und die theoretischen Unterlagen derselben eingehend
untersucht zu haben. Diese theoretischen Untersuchungen gaben dem
Verfasser Gelegenheit, an zahlreichen Stellen auch auf allgemeine Lehren
der Versicherung näher einzugehen, und bekunden durchweg ein ver-
ständiges Urteil. Wie der Titel des Buches besagt, ist vorwiegend die
ökonomische Seite der Haftpflichtversicherung berücksichtigt; auf die
Juristische Seite derselben ist um deswillen vorläufig nicht näher ein-
gegangen, weil das in Aussicht stehende Reichsgesetz über den Ver-
sicherungsvertrag es zweckmäßig erscheinen ließ, diese Materie einer
besonderen Darstellung vorzubehalten.
Die ältere Haftpflichtversicherung umfaßte bekanntlich nur die
Ersatzpflicht des Betriebsunternehmers auf Grund des Reichshaftpflicht-
gesetzes vom Jahre 1871; sie trat nur ein, wenn ein ersatzpflichtiger
Unfall vorlag, für dessen Folge der Betriebsunternehmer einzutreten
hatte. Sie wurde entweder streng getrennt von der Unfallversicherung
betrieben, oder aber in mehr oder minder engem Zusammenhang mit
einer Kollektiv-Unfallversicherung. Der Fehler des Reichshaftpflicht-
versicherungsgesetzes war vor allem darin gelegen, daß dem Verunglückten
die Beweislast für das Verschulden des Betriebsunternehmers oder seiner
Organe zugeschoben war, eine Bestimmung, die zu zahllosen Prozessen
und Mißstimmungen führte und im Falle der Unvermöglichkeit eines
nicht versicherten Betriebsunternehmers die Verwirklichung des eigent-
liches Zweckes des Gesetzes vereitelte. Die private Haftpflichtver-
sicherung in ihrer älteren Form genügte daher nicht. Vom Jahre 1884
ab sahen sich dann die Haftpflichtversicherungsgesellschaften veranlaßt,
mit der reichsgesetzlichen Unfallversicherung zu rechnen, welche die
Sicherstellung der Arbeiter gegen die wirtschaftlichen Folgen der bei
416 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der Arbeit eintretenden Unfälle in möglichst weitem Umfange bezweckte.
Es war fraglich geworden, ob neben der reichsgesetzlichen Unfallver-
sicherung noch Raum für die private Haftpflichtversicherung vorhanden
war; wie auf dem Gebiete der Privatunfallversicherung sich Reformen
vollzogen (indem man an Stelle der Kollektivunfallversicherung die
Einzelunfallversicherung einführte), so war aber auch auf dem Gebiete
der Haftpflichtversicherung schließlich die Folge der reichsgesetzlichen
Versicherung die, daß die Privatgesellschaften sich einen Ausweg suchten
und der privaten Haftpflichtversicherung neue Aufgaben stellten. Zu-
nächst faßte man die Versicherung der sogenannten Haftpflichtreste ins
Auge; da, wo die staatliche Unfallversicherung Lücken ließ (insofern
durchaus nicht alle Angestellten versicherungspflichtig geworden waren,
ebensowenig die betriebsfremden Personen), setzte die Privatversicherung
ein. Daneben aber keimte der fruchtbare Gedanke auf Erweiterung des
Gebietes. Der Begriff der Haftpflicht und der Haftpflichtversicherung
wurde erweitert; nicht nur die Schadensersatzpflicht der Betriebsunter-
nehmer. wird jetzt versichert, sondern auch die übrigen Kreise aller
Berufsarten und Stände. Außer den Unfällen werden in der weiteren
Entwickelung auch Gesundheitsschüden, innere Erkrankungen, Sach-
schäden, Vermögensbeschädigungen im allgemeinen, die auf Grund einer
Hattpflichtbestimmung zu ersetzen sind, in die Versicherung einbezogen.
Diese Entwickelung des Haftpflichtversicherungsgeschäftes ist unter
sorgfältiger Benutzung der Literatur und auf Grund der eingehenden
Studien des Verfassers im ersten Kapitel des theoretischen Teils aus-
führlich beschrieben; im zweiten Kapitel wird von der Stellung der
Haftpflichtversicherung in der Volkswirtschaft, im dritten von den
Unternehmungsformen gehandelt. Im speziellen und praktischen Teil
werden die einzelnen Haftpflichtversicherungsarten näher beschrieben,
als welche zu benennen sind:
A. Die Versicherungen gegen Haftpflicht aus körperlichen Unfällen,
inneren Erkrankungen und Sachbeschädigungen (allgemeine private,
sportliche Haftpflichtversicherung, solche für Haus- und Grundbesitzer,
Industrielle, Kaufleute und Handwerker, für das Transportgewerbe, für
Hotels, Wirtschaften, Theater- und Vergnügungsetablissements, -— die
allgemeine landwirtschaftliche Haftpflichtversicherung, solche für Bienen-
züchter, — die Haftpflichtversicherung der Aerzte und Unternehmer von
Heilanstalten, der Tierärzte, Hufschmiede, der Apotheker, Drogisten,
Chemiker, — die Lehrerhaftpflichtversicherung, — die Versicherung von
Vereinen, Korporationen, Gemeinden, Kommunalverbänden, Kirchen-
gemeinden u. s. w.); B. Die Versicherung gegen Haftpflicht aus Ver-
mögensschädigung (durch Amtshandlungen von Beamten, Rechtsanwälten
und Notaren, — Versicherung von Beamtenkollegien, — die Bankiers-
haftpflichtversicherung u. s. w.).
Durch diesen beschreibenden II. Teil wird das Werkchen vor-
nehmlich auch ein Handbuch für die Praxis; wir lernen hier die
zahlreichen Spezialitäten eines Versicherungszweiges näher kennen,
welcher seit Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches mit seinen ver-
schärften Haftpflichtbestimmungen — welche dem sozialpolitischen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 417
Charakter der neueren Gesetzgebung entsprechen — entschieden an
Bedeutung erheblich gewonnen hat. Referent hält die Darstellung des
geschäftlichen Betriebes in seinen Einzelheiten für besonders verdienst-
voll und wichtig für den Theoretiker wie den Praktiker. Wenn auf
irgend einem Gebiete, kann gerade zumeist auf dem des Versicherungs-
wesens eine theoretische Behandlung des Gegenstandes nur stattfinden
unter der Voraussetzung einer genauen Kenntnis der Praxis, und die
Praxis sich in richtigen Bahnen nur weiter entwickeln, wenn sie Nutzen
aus der theoretischen Kritik bestehender Einrichtungen zieht. In letz-
terer Beziehung war der Verfasser in seinem beschreibenden Teile
vielleicht etwas zu zurückhaltend; zum Teil mit Recht, da die moderne
Haftpflichtversicherung noch am Beginn ihrer Laufbahn steht und sich
ein endgültiges Urteil über die Berechtigung einzelner Spezialitäten —
für welche der Verfasser S. 266 noch andere, zum Teil weithergeholte
Beispiele aufzählt — über die richtige Bemessung der Prämiensätze und
andere Fragen heute noch nicht bilden läßt. Referent hätte aber jeden-
falls gewünscht, daß der Verfasser gegenüber den neueren Versuchen,
lebenslängliche Haftpflichtversicherung gegen einmalige Prämie zu ge-
währen, energisch Stellung genommen hätte. Auch möchte der Unter-
zeichnete aus Gründen, deren Entwickelung hier zu weit führen würde,
sich durchaus nicht auf den Standpunkt des Verfassers stellen, welcher
von dem der Haftpflichtversicherung zu Grunde liegenden Gedanken
eine Revolution im ganzen Versicherungswesen erhofft, indem man viel-
leicht dazu kommen wird, bei allen Versicherungen das Prinzip fallen
zu lassen, daß für Fahrlässigkeit seitens der Versicherer nicht gehaftet
wird. Der Verfasser hält die Scheu vor der Einbeziehung aller fahrlässig
herbeigeführten Schüden in allen anderen Versicherungen für eine grolle
Inkonsequenz (S. 267), namentlich in Anbetracht des Umstandes, daß
die Haftpflichtversicherung als die Versicherung gegen Schäden aus
eigener Fahrlässigkeit mit Erfolg betrieben wird und überall gesetzlich
genehmigt ist.
Kein Zweifel: die ganze Entwickelung des Versicherungswesens
drängt zu einer immer liberaleren Fassung und Auslegung der Ver-
sicherungsbedingungen, welche die Verpflichtung des Versicherers in
tunlichst umfassender Weise garantieren — nie und nimmer aber wird,
solange der private Versicherungsvertrag das Versicherungsgeschäft im
großen beherrscht, dazu übergegangen werden können, daß die zu
Gunsten des Versicherers getroffenen Kautelen alle aufgegeben werden.
Nach dem ganzen Tenor seines Werkes stellt sich der Verfasser als
ein aufrichtiger Freund der Privatversicherung dar; hätte er den am
Schlusse hingeworfenen Gedanken weiter ausgesponnen, so hätte er
sich sagen müssen, daß er in letzter Konsequenz der bedingungslosen
Zwangsversicherung das Wort redet. Denn nur bei öffentlich-recht-
lichen Institutionen läßt sich jener Gedanke voll in die Tat umsetzen.
Nahe mit dieser Auffassung berühren sich übrigens die Ausführungen
des Verfassers an der Stelle, wo er von der Einführung der Haftpflicht-
versicherung bei den Berufsgenossenschaften spricht, welche er in der
durch das Unfallversicherungsgesetz vom Jahre 1900 festgesetzten Form
Dritte Folge Bà, XXV (LXXX). 21
418 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
entschieden mißbilligt (S. 101 ff) Losgelöst von der oben berührten
Frage, kann man dem Verfasser nur beistimmen, wenn er am Schlusse
seiner Ausführungen über die Verfehltheit der jetzigen gesetzlichen Be-
stimmungen wegen der berufsgenossenschaftlichen Haftpflichtversicherung,
wie sie an der Hand der Entstehungsgeschichte des $ 23 genannten
Gesetzes dargetan wird, entweder die Beseitigung der Regreßpflicht bei
den Berufsgenossenschaften fordert, da ein drohendes Strafverfahren
genügende Sicherheit gegen Fahrlässigkeit biete, oder aber, wenn die
Beseitigung Bedenken errege, Kollektivhaftpflichtversicherung großer
Unternehmerverbände bei einer Privatgesellschaft. Tatsächlich haben
sich ja inzwischen bereits bei solchen Genossenschaften, welche sich das
Recht, ihre Angehörigen gegen Haftpflichtfälle aller Art zu versichern,
zu nutze gemacht haben, die sonderbarsten Konsequenzen ergeben: in
Wahrung ihrer ursprünglichen Aufgabe hat die Genossenschaft zu be-
weisen, daß der Genosse durch Fahrlässigkeit den Schaden verursacht
hat und ersatzpflichtig ist; als Haftpflichtversicherer muß sie nachzuweisen
bestrebt sein, daß der Genosse nicht haftpflichtig ist. .
Daß der Verfasser bei seinem Versuche, eine auf alle "Fälle der
Haftpflichtversicherung passende Definition derselben zu geben (S. 85),
insbesondere auf die ökonomischen Grundlagen der Versicherung ge-
nügend Wert legt, ist ganz besonders anzuerkennen. Wegen der Einzel-
heiten hierzu und der trefflichen Ausführungen über das altruistische
Moment der Haftpflichtversicherung, ihre Verwandtschaft mit der Rück-
versicherung und ihre Stellung gegenüber der Personen- und Sach-
versicherung mag auf das Studium des Buches selbst verwiesen werden.
Dieses sei insbesondere auch den Gegnern der Haftpflichtversicherung
empfohlen, welche vielfach in dieser eine im Widerspruch mit den guten
Sitten stehende, vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus ungerecht-
fertigte Einrichtung erblicken, die gar nicht in den Rahmen der Asse-
kuranz passe. Vielleicht bekehrt sie die von Manes mit warmer Ueber-
zeugung vorgetragene Auffassung von der hohen volkswirtschaftlichen
Bedeutung dieses Versicherungszweiges. Und schließlich möchten wir
wünschen, daß die vorliegende fleißige Arbeit dazu beitragen möge, bei
den Praktikern der Versicherung die Ueberzeugung zu befestigen, daß
die Pflege und Unterstützung gründlicher wissenschaftlicher Forschungen
auf ihrem Arbeitsgebiete dem Versicherungsgeschäfte nur zum Vorteil
gereichen kann.
Frankfurt a. M. H. Bleicher.
Veröffentlichungen des deutschen Vereins für Ver-
sicherungswissenschaft. Herausgegeben von Dr. phil. u. jur.
Alfred Manes, Generalsekretär des Vereins. Heft 1: Bericht über die
am 12. Dez. 1902 abgehaltene wissenschaftliche Mitgliederversammlung
des Vereins. Berlin (E. S. Mittler und Sohn) 1903 4 M.
Der deutsche Verein für Versicherungswissenschaft beabsichtigt
nunmehr neben seiner regelmäßig erscheinenden „Zeitschrift für die
gesamte Versicherungswissenschaft“ in zwangloser Reihenfolge noch be-
sondere „Veröffentlichungen“ herauszugeben, welche neben Versammlungs-
AL.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 419
berichten insbesondere solche versicherungwissenschaftliche Arbeiten
dauernden und erheblichen Wertes, die ihrem Umfange nach nicht in den
Rahmen des Vereinsorganes passen, den Mitgliedern des Vereins und
anderen Interessenten zugänglich machen sollen. Das 1. Heft enthält den
Bericht über die am 12. Dez. 1902 in Berlin stattgehabte Mitgliederversamm-
lung, durch welche der Verein, dessen einzige Tätigkeit seit 3-jährigem
Bestehen die Herausgabe des Vereinsorganes gewesen war, zu neuem
Leben erweckt worden ist. Schon der wissenschaftliche Inhalt dieser
ersten Veröffentlichung ist ein reicher und läßt hoffen, daß der Verein
seine Aufgabe, wie sie der neue Geschäftsführer in seiner von warmer
Begeisterung für sein Amt getragenen Programmrede entwickelt hat,
lösen wird. Diese Aufgabe ist: die Brücke zu schlagen zwischen Theorie
und Praxis, die Aussprache herbeizuführen zwischen allen, die sich beruf-
lich mit dem Versicherungswesen und der im Entstehen begriffenen Ver-
sicherungswissenschaft befassen — zwischen dem mit der Aufsicht be-
trauten Staatsbeamten, dem ausübenden Praktiker und dem Gelehrten —
und endlich beizutragen zu einer weiteren Popularisierung des Versiche-
rungswesens zu Nutz und Frommen der ganzen Volkswirtschaft. Möge
speziell in den an jenem Versammlungstage konstituierten drei Fach-
abteilungen für Versicherungsmathematik, für Versicherungsrecht und
-Wirtschaft und für Versicherungsmedizin bald reiches Leben erblühen!
Die erste größere Abhandlung des angezeigten Heftes gibt den
Vortrag von RR. Dr. Pietsch, Zur Frage der Invaliditäts-
versicherung wieder, in welchem von den Ergebnissen der im Reichs-
versicherungsamte angestellten Untersuchungen über das Ausscheiden
der Empfänger reichsgesetzlicher Inivalidenrenten aus dem Rentengenuß
berichtet wird. Die Konstruktion einer solchen Ausscheideordnung,
speziell die Berechnung von Invalidensterblichkeitstafeln ist
auch für die Privatversicherung von eminenter Wichtigkeit; die hierzu
von Direktor Gerecke (Berlin) gemachten Vorschläge sollen in der
Fachabteilung für Versicherungsmathematik geprüft werden. Referent
kann nur wünschen, daß die Frage auf breitester Grundlage in Angriff
genommen wird; insbesondere kann wohl kein Zweifel darüber sein —
worüber die Ansichten der Redner in der Versammlung allerdings aus-
einandergingen — daß auch das Material bezüglich Unfall-Invalidität
berücksichtigt, dabei allerdings getrennt behandelt werden muß.
Von den beiden Referaten über die Aenderung der gesetz-
lichen Haftpflicht der Reeder aus dem Frachtvertrage
schlägt das eine (von Dr. Gütscho w-Hamburg) den Weg internationaler
Vereinbarung, das von Generalsekretär Ulrich erstattete den von der
Versammlung gutgeheißenen Weg nationaler Gesetzgebung vor, um unter
anderem zu erzielen, daß solche Vertragsbestimmungen nichtig sind, welche
die Haftung des Verfrachters für ordnungsgemäße Fürsorge für die
Seetüchtigkeit und Ausrüstung des Schiffers und die ordnungsgemäße Be-
handlung der Güter aufheben oder beschränken. — Die Referate von
Dr. Goldschmidt (Gotha) und Direktor Dr. Jost (Magdeburg) be-
handeln die Abgangsvergütung in der Lebensversicherung,
bezüglich deren anerkannt wird, daß eine Steigerung des absoluten Aus-
27*
420 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
falles mit der Versicherungsdauer im Interesse der Sicherheit notwendig
ist und keine Veranlassung besteht, die bei deutschen Gesellschaften
geübte Praxis (Berechnung des Rückkaufspreises als eines mit der Ver-
sicherungsdauer steigenden Wertes in Prozenten des Deckungskapitales)
zu verlassen. Der in der Diskussion gestellte und der Abteilung für
Versicherungsmathematik überwiesene Antrag, daß die im Vereine ver-
tretenen Lebensversicherungsgesellschaften baldmöglichst eine Statistik
aufnehmen sollen über den Verlauf der Sterblichkeit unter den in den
letzten Jahren durch Rückkauf ausgetretenen Todesfallversicherten —
um die Wirkung der Selektion beurteilen zu können — erscheint
dem Referenten praktisch unausführbar, wenn man einwandfreies Material
erhalten will.
In interessanten Ausführungen berichtet der Meteorologe Dr. Süring
(Berlin) über das Wetterschießen zum Zwecke der Verhütung
von Hagelfällen, für welches sich praktische Erfolge nicht nach-
weisen lassen und welches, wie der Vorsitzende, Generaldirektor Dr. Hahn
(Magdeburg), darlegt, im großen Stile durchgeführt, weit größere finanzielle
Aufwendungen erheischen würde, als an Prämien für den gemeinsamen
Versicherungsschutz auszugeben sind, — Man sieht, das besprochene
Heft bietet dem Versicherungsfachmann eine Fülle von Anregungen;
die rasche Fertigstellung desselben verdient Anerkennung.
Frankfurt a. M. H. Bleicher.
Baumgartner, Eug., Philosophische Betrachtungen zum Bank- und Börsenwesen.
Graz, Leuscher & Lubensky, 1903. gr. 8. 173 SS. M. 3.—. (Inhalt: Die Moral im
Bank- und Bórsenwesen. — Die Zusammenbruchstheorie des Marxismus und die Banken.
— Preis- und Werttheorie im Bank- und Bórsenwesen.)
Beigel, R., Handbuch des Bank- und Bórsenwesens. Ein Nachschlagebuch für
praktische Kaufleute, Juristen und Handelsschulen. Leipzig, B. F. Voigt, 1903. gr. 8.
VIII—415 SS. M.-6.—.
Geschäftsbericht der Bayerischen Landesvichversicherungsanstalt für das Ver-
sicherungsjahr 1901/02. München, Druck von C. Gerber, 1902. 4. 10 SS. nebst
1 graph. Darstellung.
Geschäftsübersicht der Landesversicherungsanstalt Königreich Sachsen für das
Jahr 1901. Dresden, Druck von W. Baensch, 1902. 4. 32 SS. u. Tabelle in Imp.-Folio.
Heymann, Wilh. (Prakt. Arzt), Praktische Vorschläge zur Richtigstellung der
deutschen Krankenkassenstatistik. Für den Verband der Aerzte Deutschlands zur Wah-
rung ihrer wirtschaftlichen Interessen. Leipzig, Otto Regel, o. J. (November 1902). Folio.
M. 2,25.
Jahrbuch des allgemeinen Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Ge-
nossenschaften für 1901. VIII. Jahrg. Darmstadt, Verlag des allgemeinen Verbandes,
1902. gr. 4 301 SS. (Aus dem Inhalt: Statistik über die 1900er Geschäftsergebnisse
von 6558 Verbandsgenossenschaften.)
Kampffmeyer, Paul, Die Mission der deutschen Krankenkassen auf dem Ge-
biete der öffentlichen Gesundheitspflege. Programmatische Gedanken zur Reform des
Krankenversicherungsgesetzes. Frankfurt a. M., Verlag der sozialpolitischen Rundschau,
1903. gr. 8 52 SS. M. 1,25.
Lange, Ernst, Die finanziellen Grundlagen der deutschen Unfallversicherung
und ihre rationelle Umgestaltung. Berlin-Grunewald, A. Troschel, 1903. gr. 8.
Pommersche land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft. Berichtsjahr
1901. o. O. u. J. (Stettin 1902). 4. 19 SS.
Spangenthal, S., Die Geschichte der Berliner Börse. (Bd. I von 1805 bis 1870
reichend.) Berlin, Spangenthals Verlag, 1903. gr. 8. 151 SS. geb. M. 4.—. (Ein
II. Bd., der die Zeit von 1871 bis zur Gegenwart behandeln soll, wird, nach der Ein-
leitung, später erscheinen.) |
Versicherung, die, der Mutterschaft. Aus dem Französischen von L. Frank,
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 49]
Dr. Keifer und Louis Maingie übers. von Nina Carnegie Mardon. Leipzig, H. See-
mann Nachfolger, 1902. 8. XV—101 SS. M. 2.—.
Versicherungsunternehmungen, die privaten, in den im Reichsrate ver-
tretenen Königreichen und Ländern im Jahre 1900. Wien, k. k. Hof- und Staats-
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The Bank as agent of the mint. — The principal currency drains. — Banks and the
creation of credit. — The battle of the banks. — The London money market. — The
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Hildesheim, Druck von Gebr. Gerstenberg, 1903. kl. 4. 98 u. 75 SS.
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Abbildgn.
Jahresbericht über die Ergebnisse der Landeskommunalverwaltung für die
Zeit vom 1. X. 1901/02. Sigmaringen, M. Liehner, 1902. gr. 8. 129 SS.
Königsberg i. Pr. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der kgl. Haupt- u. Residenzstadt Kónigsberg i. Pr. wührend des Rechnungsjahres
1. IV. 1901/1902, Königsberg, K—ger Allgem. Zeitungs-Druckerei, 1902. gr. 4. VIII—
300 SS. mit 3 Tafeln graphischer Darstellungen. — Hauptübersicht über die der Stadt-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 493
hauptkasse zu K. i. Pr. zugewiesenen Verwaltungszweige pro 1. IV, 1901/1902. Ebd.
gr. 4. 99 SS.
Krick, Alfr., Der Bundesrat als Schiedsrichter zwischen deutschen Bundesstaaten.
Leipzig, A. Deichert Nachf., 1903. 8. VIII—48 SS. M. 1.—.
Mühlhausen i. Th. — Bericht des Magistrats der Stadt Mühlhausen i. Th. über
den Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten von M. im Verwaltungs-
jahre 1901/1902. Mühlhausen i. Th., Druck von Róth & Köhler, 1902. gr. 4. 41 SS.
München-Gladbach. — Bericht über den Stand und die Verwaltung der
Gemeindeangelegenheiten der Stadt M.-Gladbach für die Zeit vom 1. IV. 1901 bis
31. III. 1902. M.-Gladbach, Druck von W. Hütter, 1903. 4. 92 SS.
M.-Gladbach. Finalabschlüsse der Stadtkasse zu M.-Gladbach und deren Neben-
fonds für 1901. M.-Gladbach, Druck von A. Korten, 1902. gr. 4. 148 SS.
Rechenschaftsbericht, 71., des Obergerichtes und Kassationsgerichtes über das
Jahr 1901. Erstattet an den h. Kantonsrat des Kantons Zürich. Winterthur, Buch-
druckerei Geschw. Ziegler, 1902. 8. 184 u. 82 SS.
Staatshandbuch, Hamburgisches, für 1903. Amtliche Ausgabe. Hamburg,
gedruckt bei Lütcke & Wulff, 1902. kl. 4 415 SS.
Stettin. — Verwaltungsbericht der Stadt Stettin vom 1. IV. 1901 bis dahin 1902.
U. Spezialberichte. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1902. gr. 4. 189 SS.
Abribat, J. M., Le détroit de Magellan au point de vue international. Paris,
Chevalier-Marescq & C", 1902. 8. 318 pag.
Annuaire de la magistrature pour 1903. (France, Algérie et colonies), publié
par Aug. Pédone. 12° édition. La Rochelle, impr. Texier & fils, 1902. 8. 284 pag.
Conseil général du département de la Seine, II*"* session de 1901: Mémoires de
M. le préfet de la Seine et de M. le préfet de police et procès-verbaux des délibérations.
Paris, impr. municipale, 1902. gr. in-8. 1643 pag. — Conseil général ete. Dir: session
de 1902: Mémoires de M. le préfet de la Seine et de M. le préfet de police. Paris
1902. gr. in-8. 158 pag.
Hess, J., La question du Maroc. Paris, Dujarric & C", 1903. 8. 458 pag.
Lemire, Ch. (résident honoraire de France), La France et le Siam. Nos rela-
tions de 1662 à 1903. Le traité de 1902. Paris, Aug. Challamel, 1903. 8. Av. cartes
et gravur. fr. 2.—.
Ville de Bruxelles. Rapport présenté au Conseil communal en séance du
6 octobre 1902 par le collège des bourgmestre et &chevins. Bruxelles, typogr. E. Guyot,
1902. 8. 452 pag.
Annual report of the Registry Department of the city of Boston for the year
1901. Boston, Municipal Printing Office, 1902. gr. 8. V —152 pp.
Local taxation, England and Wales. Returns for 1900—01. Part I: Poor rate
accounts. Valuation for the poor rate. 1/.1.—. Part II: Accounts of county councils.
Lunatic asylums. /.0,6.—. Part VI: Accounts of burials boards and other local autho-
rities, acting under the Burial Acts. 1/.—. Part VII: Accounts of school boards,
harbour, dock and pier authorities, drainage boards, fisheries, rivers and commons con-
servators, bridges and ferry trustees, commissioners of markets, ete. 1/.—. London 1903.
gr. 8. (Parliam. pap.)
Morey, Will. (Prof. of history and political science in the University of Rochester
[Un. States], The government of New York State: its history and administration. Lon-
don, P. S. King & Son, 1902. 8. 3/.—. (Contents: The dutsch and new Netherland.
— New York as an English province. — New York as an American State. — Character
of the State constitution. — Citizenship and the suffrage. — The central and local
governments. — The administration of justice. — Police. — Education. — Charities.
— Publie finances.)
Ostrogorski, Democracy and the organisation of political parties. Translated
from the French by Fred. Clarke. With a preface by James Bryce. 2 vols. London,
P. S. King & Son, 1902. 8. 25/.—.
Row-Fogo, J. (sometime examiner in polit. economy at Edinburgh), An essay
on the reform of local taxation in England. London, P. S. King & Son, 1902. 8.
6/.—. (Contents: Development of English rates and taxes. — The poor rate and its
influence on local taxation. — The effects and the transfer of local rates. — The com-
missioners’ proposals. — Local taxation according to ability. — Indirect local assess-
ment of income. — National subventions. — The amalgamation of rates. — The methods
424 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
of defraying expenditure on matters of local interest, — Payments founded on value
received. — Rates on owners.)
12. Statistik.
Allgemeines.
Lexis, W., Abhandlungen zur Theorie der Bevölkerungs- und Moralstatistik.
Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. 253 SS. M. 6.—.
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik der Stadt Essen. Im Auftrage des OBürgermeisters bear-
beitet durch das statistische Amt. N' 5: Der Besuch des Essener Stadttheaters in den
beiden letzten Spielperioden. Essen, Druck von E. Schoreck, 1902. gr. 4. 12 SS.
Bericht des Medizinalrates über die medizinische Statistik des Hamburgischen
Staates für das Jahr 1901. Hamburg, Leop. Voss, 1903. 4. 108 SS. mit 5 Abbildgn.
im Text u. 9 Taf.
Blau, Bruno, Kriminalstatistische Untersuchung der Kreise Marienwerder und
Thorn. Zugleich ein Beitrag zur Methodik kriminalstatistischer Untersuchungen. Berlin,
Guttentag, 1903. gr. 8. M. 2.—. (Abhdlgn. des kriminalistischen Seminars an der
Universität Berlin. N. Folge Bd. II, Heft 2.)
Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle im preußischen Staate während des
Jahres 1901. Berlin, Verlag d. kgl. statistischen Bureaus, 1903. Imp.-4. XXII—612 SS.
(A. u. d. T.: Preußische Statistik (Amtliches Quellenwerk) Heft 178.)
Jahrbücher, württembergische, für Statistik und Landeskunde. Herausgeg. von
dem kgl. statistischen Landesamt. Jahrg. 1902. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1903. 4. X XIV
—291 SS. mit Kartenbeilagen. (Inhalt: Geschichtliches und Kulturgeschichtliches aus
Gmünd, von Bruno Klaus (GymnasRektor). — Zur Geschichte des Nonnenklosters in
Lauffen a. N., von Fr. (Frh.) v. Gaisberg-Schöckingen. — Ueber das Maßwesen und
die Maße in der ehemaligen freien Reichsstadt Ulm, von A. Kölle. — Die Ergebnisse
der Volkszählung vom 1. XII. 1900 für das KReich Württemberg. A. Tabellen. B. Be-
sprechung, von (FinzR.) Losch, — Die Fleischteuerung des Jahres 1902 in Württem-
berg. Denkschrift des k. statist. Landesamts. — etc.)
Mitteilungen des herzoglich Anhaltischen statistischen Bureaus. Jahrg. 1903,
N" 42. Weitere Ergebnisse der Volkszählung vom 1. XII. 1900 im Herzogtum Anhalt.
Dessau, Hofbuchdruckerei Dünnhaupt, 1903. gr. 4. 29 SS. (Inhalt: Die ortsanwesende
Bevólkerung nach der Staatsangehórigkeit, dem Religionsbekenntnis, dem Familienstand,
den Haushaltungen, dem Alter und Geburtsjahr, nach Altersstufen, nach der Gebürtig-
keit, nach Reichstagswahlkreisen, nach der Muttersprache; Die ermittelten Blinden und
Taubstummen; Gemeinden und Wobnplàtze nach Größenklassen.)
Mitteilungen des statistischen Bureaus des herzoglichen Staatsministeriums zu
Gotha. Jahrgang 1902. Gotha, C. F. Thienemann, 1903. 4. 102 SS. (Inhalt: Volks-
zühlung in den Herzogtümern Sachsen-Koburg und Gotha vom 1. XII. 1900. Abschnitt 1.
Haushaltungen und ortsanwesende Bevölkerung ; Abschn. 2. Wohnstütten ; Abschn. 3—5:
Ortsanwesende Bevölkerung nach Religionsbekenntnis und Staatsangehörigkeit; nach
Alter, Geschlecht und Familienstand; nach dem Geburtsland.)
Monatsberichte des statistischen Amts der Stadt Hannover für das Jahr 1902.
Jahrg. VIII. Hannover, Berth. Pokrantz, 1903. Lex.-8. 122 SS.
Preußische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Herausgeg. in zwanglosen Heften
vom kgl. statistischen Bureau. Heft 176. Das gesamte niedere Schulwesen im preußi-
schen Staate im Jahre 1901. Teil III. Die öffentlichen Volksschulen in den einzelnen
Kreisen und Oberämtern des preußischen Staates, mit Unterscheidung der Schulen in
den Städten und auf dem Lande. Im Auftrage (des Herrn Kultusministers) bearbeitet
vom kgl. statistischen Bureau. Berlin, Verlag des Bureaus, 1902. Imp.-4. 553 SS.
Protokolle überdie Verhandlungen des Beirats für Arbeiterstatistik vom 13. XII.
1902. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1903. Folio. 30 SS. M. 0,40. (Drucksachen des
Beirats für Arbeiterstatistik, Verhandlungen N° 2.)
Schematismus des Bistums Breslau und seines Delegaturbezirks für das Jahr 1903.
Breslau, fürstbischöfliche geh. Kanzlei, Druck von J. Nischkowsky, o. J. (1903). 170 SS.
Statistik des Deutschen Reichs, Neue Folge, Bd. 144, 1. Abteilung. Berlin,
Puttkammer & Mühlbrecht, 1903. Imp.-4. (Inhalt: Die Seeschiffahrt im Jahre 1901.
I. Abteilung: Bestand der deutschen Seeschiffe (Kauffahrteischiffe); Schiffsunfälle an der
deutschen Küste; Verunglückungen deutscher Seeschiffe. 175 SS. M. 4.—.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 495
Statistik des Deutschen Reichs, Neue Folge, Bd. 144, II. Abteilung. (Inhalt:
Die Seeschiffahrt im Jahre 1901. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. Abteil. 2: See-
verkehr in den deutschen Hafenplätzen ; Seereisen deutscher Schiffe. Berlin, Putt-
kammer & Mühlbrecht, 1903. Imp.-4. 144 u. 132 SS. M. 4.—.)
Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands nach den An-
gaben der Eisenbahnverwaltungen bearbeitet im Reichs-Eisenbahnamt. Bd. XXII. Rech-
nungsjahr 1901. Berlin, Mittler & Sohn, 1903, größtes Imper.-Folio.
Statistik der Knappschaftsvereine des preußischen Staates im Jahre 1901. Berlin,
Ernst & Sohn, 1902. 4. 56 SS.
Statistik der während des Rechnungsjahres 1901 in Köln in offener Armenpflege
Unterstützten. Bearbeitet vom statistischen Amte. Köln (1902). 4. 15 SS. (Sonder-
abdruck aus dem Verwaltungsbericht.)
Statistik über die Volksschulen der Stadt Barmen im Schuljahre 1901. Barmen,
Druck von D. B. Wiemann, 1902. gr. 4. 178 SS.
England.
London Statisties, 1900—1901 (vol. XI). Longon, P. S. King & Son, July 1902.
gr. Folio. CXXVIII—803 pp. (Publication of the London County Council, Local Govern-
ment and Statistical Department.) [Contents: Statistics relating to the life of the people:
Population and houses; Health; Labour; Pauperism ; Reformatory and industrial schools ;
Education ; Lunacy, ete. — Statistics relating to the publie services of London. — Statistics
relating to London finance. — Statistics relating to the local government of London. —
Statistical comparison between London and the rest of England.)
Oesterreich.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Krankheitsstatistik der nach dem Gesetze
vom 30./3. 1888, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, eingerichteten Kranken-
kassen im Jahre 1900. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei 1902. 4. 163 SS.
Gebarung, die, und Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des Gesetzes
vom 28. XII. 1887, betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter, errichteten Arbeiter-
unfallversicherungsanstalten im Jahre 1900. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei,
1902. 4. 279 SS.
Oesterreichische Statistik. Herausgeg. von der k. k. statistischen Zentralkom-
mission. LXI. Bd., Heft 1—4. Wien, C. Gerolds Sohn, 1902. Imp.-4. (Inhalt: Heft 1:
Die Ergebnisse der Zivilrechtspflege mit EinschluB des Exekutions- und Konkursver-
fahrens im Jahre 1898. Bearbeitet von dem Bureau der k. k. statistischen Zentralkom-
mission unter Mitwirkung des k. k. Justizministeriums, XLVIII—179 SS. K. 7.—.
Heft 2. Statistische Nachweisungen über das zivilgerichtliche Depositenwesen, die kumu-
lativen Waisenkassen und über den Geschäftsverkehr der Grundbuchämter im Jahre
1898. Bearbeitet von dem Bureau der k. k. statistischen Zentralkommission. XX XIII—
114 SS. K. 4.—. Heft 3: Die Ergebnisse der Strafrechtspflege in den im Reichsrate
vertretenen Kónigreichen und Ländern im Jahre 1898. Bearbeitet vom Bureau der
k. k. statistischen Zentralkommission unter Mitwirkung des k. k. Justizministeriums.
XLVI—161 SS. K. 6.—. Heft 4. Statistische Uebersicht (XXXI.) der Verhältnisse
der österreichischen Strafanstalten und der Gerichtsgefängnisse im Jahre 1898. Bear-
beitet im k. k. Justizministerium. XXVII--91 SS. K. 4,60. [Die Hefte 1—3 des
LXI. Bds. führen den Nebentitel: Statistik der Rechtspflege in den im Reichsrate ver-
tretenen Kónigreichen und Ländern für das Jahr 1898, Heft 1 bis 3.]
Schweiz.
Mitteilungen, statistische, betreffend den Kanton Zürich. Herausgeg. vom kanto-
nalen statistischen Bureau. Jahr 1900, Heft 1: Viehversicherungsstatistik für das Jahr
1900. Winterthur, Buchdruckerei Geschwister Ziegler, 1902. 8. XXXI—131 SS.
Schweizerische Handelsstatistik. Provisorische Zusammenstellung des Spezial-
handels der Schweiz im Jahre 1902. Bern, Buchdruckerei A. Benteli, ausgegeben am
16. II. 1903. Imp.-4. 16 SS. (Herausgeg. vom schweizerischen Zolldepartement.)
Schweden.
Bidrag till Sveriges officiela Statistik. A. Befolkningsstatistik. Ne foljd. XLII.
1. Berättelse för År 1900, I. Afdelningen: Folkmängd vigde, födde och döde samt
emigranter och immigranter (Trauungen, Geburten, Todesfälle nebst Aus- und Ein.
426 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wanderungen) Ar 1900. XXIII—55 pp. — F. Handel. Kommerskollegii berättelse
för är 1901. XVII—238 pp. — I. Telegrafväsendet, ny följd 41. Berättelse för àr
1901. XXVII—25 pp. — L. Statens jernvägstrafik 395: Allmän svensk jernvägstrafik
för är 1900. (Statistik der gesamten schwedischen Eisenbahnen für das Jahr 1900.)
32 & 36 pp. mit Karte. — L. Statens jernvägstrafik 40°: Kongl. jernvägs-styrelsens
underdänige berättelse för är 1901. (Statistik der schwedischen Staatsbahnen für 1901.)
121 pp. mit graphischer Darstellung. — M. Postverket. 38. Generalpoststyrelsens be-
rättelse för är 1901. XXVI--62 pp. — N. Jordbruk och boskapsskötsel. Aarsväxt-
berättelser för år 1902. (Ernteschätzungen für 1902.) 17 pp. — O. Landtmäteriet.
XXXIV. Berättelse für àr 1901. 22 pp. (Landvermessungswesen.) — S. Almänna
arbeten. 30. (Oeffentliche Arbeiten.) Berättelse för äret 1901. 101 pp. — U. Kom-
munernas fattigvard och finanser. XXVII. Berättelse för år 1900. XXIV—112 pp.
(Oeffentl. Armenpflege der Gemeinden und Gemeindefinanzen.) — Y. Sparbankstatistik.
II. Postsparbanken. Berättelse för är 1901. XXIX—34 pp. Zusammen 11 Hefte.
Stockholm 1902 & 1903.
Asien (Japan).
Jahrbuch, statistisches, des Kaiserreichs Japan. Jahrg. XXI. Tokio 1902. gr. 8.
1206 SS. (Inhalt: Areal und Bevölkerung. — Öffentlicher Unterricht und Kultus. —
Justizverwaltung, Polizei und Gefängniswesen. — Handelsmarine. — Landwirtschaft und
Forstwesen, Jagd. — Betrieb der Salinen und der Bergwerke. — Außen- und Binnen-
handel, Schiffahrt. — Aktiengesellschaften, Sparkassen. — Verkehrswesen zu Wasser und
zu Land. — Oeffentliche Bauten. — Gesundheitswesen. — Oeffentliches Wohltätigkeits-
wesen. — Finanzen. — Banken und Börse. — Wahlen. — Verwaltung. — etc.) [Text
des Titels und des Inhalts in japanischer Sprache.)
— (Britisch-Indien).
India. — Census of 1901: Baroda. 3 parts. (Report. Tables. Provincial tables.)
21/.—. Madras. 3 parts. (Report. Provincial tables. Imperial tables.) 15/.—. Ba-
luchistan. Part III. (Provincial tables.) 7/.6. Calcutta and London, 1903. Folio. (Pu-
blication of the Government of India and the India Office.
Australien.
Australasian statistics, for the year 1900. Adelaide (South Australia) 1902,
gr. Folio. 64 pp.
South Australia. Agricultural and live stock statistics for the year ending March
31", 1902, with prefatory report. Adelaide, C. E. Bristow printed, 1902. gr. Folio.
XXIV—69 pp.
13. Verschiedenes.
Daude, P. (Geh. RegR. u. UnivRichter) und M. Wolff (Privdoz.), Die Ordnung
des Rechtsstudiums und der ersten juristischen Prüfung in den deutschen Bundesstaaten.
Halle a. S., Buchhdl. des Waisenhauses, 1903. gr. 8. XVI—292 SS. M. 4,40.
Eickhoff, R. (Mitglied des Reichstags), Berliner Schulreform. Braunschweig, Fr.
Vieweg & Sohn, 1902. gr. 8. 25 SS. M. 0,50.
Ferri, Enrico, Die positive kriminalistische Schule in Italien. Uebersetzung aus
dem Italienischen von E. Müller-Róder. Frankfurt a. M., Neuer Frankfurter Verlag,
1902. gr. 8. 64 SS. M. 1,20.
Festschrift der öffentlichen Gesundheitspflege in Rheinland-Westfalen während
der letzten Jahrzehnte von (Prof) Kruse und Laspeyres (Bonn) Bonn, Em. Strauß,
1903. gr. 8. 25 SS. mit 6 Karten u. 3 Abbildgn. (Sonderabdruck aus dem Central-
blatt f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXII.)
Geschichtskalender, deutscher, für 1902. Sachlich geordnete Zusammen-
stellung der politisch wichtigsten Vorgänge im In- und Ausland, von (Prof. Karl
Wippermann. I. Band. Leipzig, Grunow, 1903. gr. 8. XV—384 SS. geb. M. 6.—.
(Inhalt: Das Deutsche Reich und Preußen. — Oesterreich-Ungarn. — Rußland. — Frank-
reich. — Großbritannien und Irland. — Italien. — Spanien. — Belgien. — Niederlande.
— Dänemark. — Schweden. — Osmanisches Reich. — Südafrika. — Ver. Staaten von
Amerika, — Kuba. — Mexiko. — etc.)
Helenius, Matti (Helsingfors, Finland), Die Alkoholfrage. Eine soziologisch-
statistische Untersuchung. Jena, G. Fischer, 1903. Lex.-8. VI—334 SS. M. 6.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 497
Jahresbericht, XXXIII., des kgl. Landesmedizinalkollegiums über das Medizi-
nalwesen im KReiche Sachsen auf das Jahr 1901. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1902.
gr. 8. 297 SS. $
Korum (Bischof von Trier), Unerbauliches aus der Diózese Trier. Darlegung der
Verhältnisse höherer Töchterschulen in Trier, St. Johann und Kreuznach, mit Akten
belegt. 3. Aufl. Trier, Druck und Verlag der Paulinusdruckerei, 1903. gr. 8. 48 SS.
M. 0,60.
Korrespondenz, politische, Friedrichs des Großen. XXVIII. Band. Berlin,
Alex. Duncker, 1903. gr. 8. 515 SS. M. 15.—.
Kriege, die, Friedrichs des Großen. III. Teil: Der siebenjührige Krieg 1756—
1763. IV. Bd.: GroB-Jügersdorf und Breslau. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1902.
gr. 8. X—254 SS. u. Anlagen 52 SS. Mit 12 Karten, Plünen u. Skizzen. M. 15.—.
(Herausgeg. vom Großen Generalstabe, kriegsgeschichtliche Abteilung II.)
Legahn, A. (Berlin) Erbliche Belastung und Gattenwahl. Berlin, Vogel & Kreien-
brink, 1903. kl. 8. 63 SS. M. 1,20.
Lorenz, Karl, Die kirchlich-politische Parteibildung in Deutschland vor Beginn
des 30jährigen Krieges im Spiegel der konfessionellen Polemik, München, C. H. Beck-
sche Verlagsbuchhdl., 1903. gr. 8. IX—163 SS. M. 3,50.
Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. Begründet von
J. J. Herzog, in 3. verbess. u. vermehrter Aufl. herausgeg. von Albert Hauck (Prof.,
Leipzig.) Band XII: Lutheraner-Methodismus. Leipzig, J. C. Hinrichssche Buchhdl.,
1903. gr. 8. 820 SS. geb. M. 12.—.
Schieler, C. (ehemal. Prof. d. Theol., jetzt Prediger, Danzig), Dr Julius Rupp,
ehemal. Privatdozent, Oberlehrer und Divisionsprediger zu Königsberg i. Pr. und die
freie religiöse Bewegung in der katholischen und evangelischen Kirche Deutschlands im
19. Jahrhundert. Dresden, E. Piersons Verlag, 1903. 8. XVI—336 SS. M. 6.—.
Silber, Max (Arzt, Breslau), Womit sind die ansteckenden Geschlechtskrank-
heiten als Volksseuche im Deutschen Reiche wirksam zu bekümpfen? Preisschrift, ge-
krónt mit dem Preise des Herrn Kommerzienrat D' Wilh. Schwabe zu Leipzig, Vor-
sitzender der Ortskrankenkasse für Leipzig und Umgegend. Leipzig, B. Konegen, 1902.
gr. 8. 64 SS. M. 0,60.
Stróhmberg, C. (Stadt- u. OArzt des Stadthospitals, Jurgew), Die Bekämpfung
der ansteckenden Geschlechtskrankheiten im Deutschen Reich. Stuttgart, Ferd. Enke,
1903. VI—87 SS. mit einer farbigen Uebersichtskarte. M. 2,80.
Daniel, André, L'année politique 1902, avec un index alphabétique, une table
chronologique, des notes, des documents et des pièces justificatives. X XIX""* année.
Paris, Perrin & C^, 1903. 8. VI—430 pag. fr. 3,50.
Fouillée, Alfr., Esquisse psychologique des peuples Européens. Paris, F. Alcan,
1903. gr. in-8. XIX—450 pag. fr. 10.—. (Bibliothèque de philosophie contemporaine.)
Richard (capitaine du 29* bataillon de chasseurs à pied), L'armée et les forces
morales. Paris, Plon-Nourrit & C'*, 1902. 8. 246 pag. fr. 3,50.
Annual report of the Board of regents of the Smithsonian Institution, showing
the operations, expenditures, and condition of the institution for the year ending June 30,
1901. Washington, Government Printing Office, 1902. gr. 8. LXVII—782 pp. with
143 plates.
Report, statistical, of the health of the navy for the year 1901. London, printed
by Eyre & Spottiswoode, 1902. gr. 8. 173 pp. with 37 graphical tables. 2/.9. (Parl. pap.)
Roosevelt, Theodore, American ideals and other essays. Social and political.
London, Putnam's Sons, 1903. Roy.-8. 378 pp. with illustrations. 10/.6.
Graziano, Gius. (della R. biblioteca nazion. di Torino), Umberto de Savoja.
Bio-bibliografia. Torino, tipogr. G. Sacerdote, 1902. gr. in-8. 292 pp. con ritratto ad
aequaforte di C. Turletti. 1. 10.—.
Memoria correspondiente al año 1901 presentada á la Dirección general de in-
strucciôn pública por el inspector nacional de instrucción primaria: Abel J. Pérez.
Montevideo 1902. gr. 8. 296 pp.
Dodsaarsagerne i Kongeriget Danmarks byer i Aaret 1901. Udgivet af det
kgl Sundhedskollegium, ved J. Carlsen (D' med.) Kjobenhavn 1902. 4. (Ursachen
der Todesfälle in den Städten des KReichs Dänemark im Jahre 1901.)
498 . Die periodische Presse des Auslandes,
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich,
Journaldes Economistes. 62° année, Février 1903: La convention de Bruxelles
est-elle conforme au principe du libre échange? par G. de Molinari. — Histoire d'une
grève, par Paul Ghio. — Les lois et les moeurs dans les sociétés de secours mutuels,
par A. de Malarce. — Le mouvement agricole, par L. Grandeau. — Revue des princi-
pales publications économiques en langue française, par Rouxel. — Correspondance, par
Frédér. Passy. — Bulletin: Lois relatives au régime des sucres; La crise des caisses
d'épargne à Nantes. — ete. — Société d'économie politique (réunion du 5 février 1903):
Nécrologie: M. Casasus; Discussion: De la nouvelle baisse de l'argent, de ses consé-
quences, en partieulier au point de vue d'un certain nombre de pays asiatiques et
amérieains (suite). — Chronique.
Journal de la Société de Statistique de Paris. XLIV""* année, N° 1 et 2, Jan-
vier & Février 1903: Procès-verbal de la séance du 17 décembre 1902. — Rapport au
Ministre du commerce, de l'industrie, des postes et des télégraphes sur le mouvement
de la population de la France en 1901. — Comment nous defendre contre le trust de
lOcéan, par M. G. Cadoux (suite et fin). — Le coüt de la vie à Paris à diverses
époques, par Gust. Bienaymé (art. 1 et suite & fin). — La population de l'Angleterre
en 1901, par Paul Meuriot (art. 1). — Variétés: 1. La statistique des réclamations
postales; 2. Production du eaoutehoue en 1901. — Chronique des transports, par Hertel.
— Procès-verbal de la séance du 21 janvier 1903. — Les effets de commerce en
France et à l'étranger: l'escompte. — Bibliographie: „Essai sur le prix du charbon en
France au XIX” siècle, par Franc. Simiard", par Lucien March. — Chronique trimestrielle
des banques, ehanges et métaux précieux, par Pierre des Essars. — etc.
Revue générale d'administration. XXV'*" année, 1902, Novembre et Décembre:
M. Edouard Laferrière, par Baudouin (procureur général à la Cour de cassation). —
Le domaine des hospices de Paris depuis la Révolution, par Amédée Bonte (suite 2
et 3). — Les sous-préfets, par Alb. Bluzet (ancien sous-préfet). — Introduction à l'étude
du droit administratif frangais, par Maur. Haurion (prof. de droit administr. à l'Université
de Toulouse) — Chronique de l'administration francaise. — etc.
Revue d'économie politique. XVII* année, n? 1, Janvier 1903: L'économie poli-
tique de M. Tarde, par Ern. Mahaim. — La culture indienne et ses charges, par Alb.
Métin. — La réforme de l'instruction moyenne au point de vue social, par Wilh. Frei.
— Chronique législative, par Edm. Villey. — ete.
Revue internationale de sociologie. VI" année, N° 1, Janvier 1903: Après dix
ans, par René Worms. — Discours prononcé à la séance d'ouverture de l'Ecole russe
des hautes études sociales, le dimanche 16 IX 1902, par Anatole Leroy-Beaulieu. — De
la criminologie des sociétés: le crime national, par Raoul de la Grasserie (pag. 15—48).
— Société de sociologie de Paris, séance du 10 XII 1902: L'invention, comme moteur
de l'évolution sociale. Observations de E. Delbet. Discussion par Ch. Limousin, P. Gri-
manelli, Ed. Salomon, A. Lévy-Oulmann, F. Gaucher. — Revue de livres. — etc.
B. England.
Contemporary Review. February 1903: The government and the London edu-
cation problem, by T. J. Macnamara. — Morocco and the powers, by S. L. Bensusan.
— Senor Sagasta, by John Foreman. — Sounday in the country, by Ashton Hilliers.
— The prize of corn in war time, by W. Bridges Webb. — The South African natives,
by Alfr. A. MacCullah. — The value of a degree, by Will. Ramsay. — The mechanism
of the air, by John M. Bacon. — The jews in Roumania, by Bern. Lazare. — Railways
in China, by Demetr. C. Boulger. — The House of Commons and the army estimates,
by ,Togatus." — Service and farm-service, by D. C. Pedder. — etc.
Economie Review, the, published for the Oxford University branch of the Christian
Social Union. Vol. XIII, N" 1. January 1903: Commercial education and University
degrees, by Ernest Ritson Dewsnup. — Co-operation and the poor, by Henry W. Wolff.
— The natural outcome of free trade, by G. Bing. — Some aspects of the native question
in South Africa, by E. Fallaize. — Legislation, parliamentary inquiries and official
returns, by Edw. Cannan. — etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 429
Journal of the Institute of Actuaries: N° 210, January 1903: Opening address
by the President, Will. Hughes. — The use of quadrature formulae and other methods
of approximation for the calculation of survivorship benefits, by Jam. Buchanan. —
The liability of life assurance companies to pay income tax upon income arising from
investments in foreign countries. — IV" International Congress of Actuaries, 1903. — etc.
Nineteenth Century, the, and after. N° 312 & 313, February and March 1903:
An agricultural parcel post, by J. Henniker Heaton. — The effect of corn laws, a
reply, by Harold Cox (Secretary of the Cobden Club). — A working man’s view of
Trade Unions, by Jam. G. Hutchinson. — The present position of wireless telegraphy,
by Ch. Bright. — The beginning of Toynbee Hall, a reminiscence, by (Mrs.) S. A.
Barnett. — etc. — The agitation against England’s power, by (Prof.) A. Vambery. —
The success of American manufacturers, by John Foster Fraser. — The new education
authority for London, by E. Lyulph Stanley. — Macedonia and its revolutionary com-
mittees, by G. F. Abbot. — Agricultural education in the Netherlands, by John C. Medd.
— The effects of the corn laws, a rejoinder, by (Sir) Guilford L. Molesworth. — The
erusade against professional criminals, by (Sir) Rob. Anderson. — Social reform: The
obligation of the Tory party, by (Sir) John Gorst. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Mitteilungen des k. k. Finanzministeriums. Jahrg. VIII, 1902, Heft 4: Rede
des Finanzministers D' Ritter Bóhm v. Bawerk anläßlich der Einbringung des Staatsvor-
anschlages für das Jahr 1903. — Die österreichischen Banken im Jahre 1901. — Ergeb-
nisse der Verzehrungssteuer im Jahre 1900. — Nachweisung der Ergebnisse der indivi-
duellen Verteilung jener Alkoholmenge, welche von den unter die Konsumabgabe fallen-
den Branntweinbrennereien in je einer Betriebsperiode zum niedrigeren Satze dieser
Abgabe erzeugt werden darf. — Ergebnisse des Tabakverschleißes in den im Reichsrate
vertretenen Königreichen und Ländern im I. Semester 1902. — Die Salinen Oesterreichs
im Jahre 1900. — Kassaerfolg des Stempel-, Tax- und Gebührengefälles im Jahre 1901
(verglichen mit jenem des Vorjahres). — Gebührenerleichterungen bei Konvertierung
von Hypothekarforderungen im Jahre 1901. — Nachweisung der in den Jahren 1899,
1900 und 1901 aus den Verlassenschaften eingehobenen gesetzlichen Vermächtnisse (Fonds-
beiträge). 1
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Ge-
sellschaft österreichischer Volkswirte. XII. Bd., 1903, Heft 1: Die Notenbankfrage in
der Schweiz, von L. Landmann. — Das österreichische Gewerbe im Zeitalter des Merkan-
tilismus, von H. Rizzi. — Verhandlungen der Gesellschaft österreichischer Volkswirte.
— August Meitzen, von K. Th. v. Inama-Sternegg. — Ueber staatliches Archivwesen
in Oesterreich, von M. Mayr. — etc.
Bulletin de l’Institut international de statistique. Tome XIII, livraison 2. Buda-
pest, imprim. Athenaeum, 1902. Lex. in-8. 434 pag. (Table des matieres: Compte-
rendu de la Bim session de l’Institut international de statistique tenue à Budapest du
29 septembre au 4 octobre 1901. II. volume. Rapports, communications et mémoires
présentés à la session II*"* série: Les procédés de la statistique agricole, par E. Lévas-
seur. — Rapport sur le dernier recensement, par J. Bertillon. — L'évaluation de la
richesse nationale, par Fr. Fellner. — De la méthode suivie pour l'enquéte statistique,
faite en Hongrie en 1899, sur la production industrielle, par L. de Hegyeshalmy. —
Armenkataster als Grundlage der Armenstatistik, von E. Mischler. — Du meilleur mode
à indiquer au point de vue statistique international pour la confection des bilans des
Sociétés anonymes, par A. Neymarck. — Sur la méthode la plus simple de mesurer la
fécondité des mariages, par Z. Ráth. — Zur Theorie der Privatwirtschaftsstatistik, von
G. Schnapper-Arndt. — Des moyens de la politique industrielle en Hongrie et ses
résultats, par A. Szterényi. — Du poids comparatif des charges fiseales qui pesent sur
la propriété immobiliere et sur les valeurs mobilieres en France, par L. Vacher. —
Natalité, mortinatalité et mortalité enfantine selon le degré d'aisance dans quelques
villes et un nombre de communes rurales dans les Pays-Bas, par C. A. Verrijn-Stuart.
— Des points de vue sociaux et économiques dans les dénombrements effectués à la fin
du XIX*"* et au commencement du XX*"* siècle, par A. Vizaknai.
E. Italien.
Giornale degli Economisti, Febbraio 1903: Dell’ indice unico (studio di semiologia
eeonomica), per F. Coletti. — Il trattato con l’Austria-Ungheria e la clausola dei vini,
430 Die periodische Presse des Auslandes.
per A. Bertolini. — Sul contratto d’affitto „a ventennale“ e sulle condizioni dell’ agri-
coltura in provincia di Trapani, per A. Bruttini. — Polemiche: A proposito del massimo
di ofelimità; L’acquedotto Pugliese, per V. Pareto. — Municipalizzazione dei pubblici
servigi, per G. Montemartini. — Cronaca (Legname e zucchero), per A. Papafava. — etc.
Rivista della beneficenza pubblica, delle istituzioni di previdenza e di igiene
sociale. Anno XXX, N°1, Gennaio 1903: Dell’ assistenza ai bambini lattanti illegittimi,
per Romano Romani. — Il questionario ministeriale sui servizi della pubblica beneficenza,
per Enrico Stiatti. — Inchiesta sull’ assistenza in Francia, per T. Minelli. — Cronaca:
Per i minorenni detenuti; L'azione ed i progressi della „Casa benefica di Torino“;
XI Congresso internationale d'igiene e demografia (Sept. 1903, Brüssel). — etc.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Redaktion (Prof.) J. Beck, Frei-
burg (Schweiz) Jahrg. XXV, 1903, N° 2, Februar: Notwendigkeit des Kinderschutzes,
von K. Beck (Arzt in Sursee [Schweiz]. — Der neue schweizerische Zolltarif, von
E. Laur. — Zeitschriftenschau, von C. Decurtius. — Für die sozialen Vereine: Skizze 10.
Staatshilfe. — etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. XI, 1903, Heft 1: Das Sachenrecht (1) des Entwurfes zum schweizerischen Civil-
gesetzbuch in der Expertenkommission, von (Prof.) H. Oser (Freiburg, Schweiz). —
Verband schweizerischer Erziehungsvereine, von J. R. Eppler (Pfarrer, Unterkulm). —
Soziale Chronik. — Statistische Notizen. — ete. — Jahrg. XI, 1903, Heft 2: Mittel
und Einriehtungen zur Förderung und Durchführung des Realkredites, von W. Marcusen
(Prof., Univ. Bern). — Zur Reform des schweizerischen Banknotenwesens, von J. Ernst
(Adjunkt des Inspektorates der schweizerischen Emissionsbanken, Bern). — Soziale
Chronik.
M. Amerika.
Annals, the, of the American Academy of Political and Social Science. Vol. XX,
N° 3, November 1902: Responsibility of the National Bank in the present crisis, by
Alb. S. Bolles. — Is the United States Treasury responsible for the present monetary
disturbance? by Fred. A. Cleveland. — The currency of the Philippines islands, by
Ch. A. Conant. — The financing of the South African war, by F. R. Fairchild. — The
work of the promoter, by Edw. Sherwood Meade. — The independent treasury vs.
bank depositories; a study in State finance, by Ch. S. Potts. — Trusts and prices, by
J. A. Hourwich. — Communication: The test of the Minnesota primary election system,
by Frank Maloy Anderson. — etc.
Bulletin of the Department of Labor. N° 43, November 1902: Report to the
President on anthracite coal strike by C. D. Wright (Commissioner of Labor). — Agree-
ments between employers and employees. — Italian bureau of labor statistics. — Digest
of recent reports of State bureaus of labor statisties: Massachusetts; North Carolina ;
Ohio; Virginia. — etc.
Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia
University (Boston). Vol. XVII, N^ 4, December 1902: Authoritative arbitration, by
J. B. Clark. — The Commission and the railways, by H. T. Newcomb. — The muni-
eipal referendum, by John R. Commons. — Radical democracy in France, by W. M.
Sloane. — Senators by popular vote, by John W. Burgess — San Francisco labor
movement, by Th. Walker Page. — Record of political events, by J. W. Garner. — etc.
Quarterly Publications of the American Statistical Association. New series,
N° 60, December 1902: The vital statistics of the Census of 1900, by Fred. L. Hoff.
mann (pag. 127—202).
Yale Review, the. Vol. XI, N° 4, February 1903: The passing of Pacific blockade,
by Theod. S. Woolsey. — The poverty of an English town (York), by David J. Green.
— The centralisation of bank-note issues in Sweden, by A. W. Flux. — Industrial
bonds, by Lyman S. Spitzer. — Comment: Some paradoxes of the anthracite coal strike ;
The coming of age of English trade unionism; The American Economie Association. —
Notes: English legislation in 1902; The coal strike hearings; Coóperative undertakings
of Danish eraftsmen. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands. 431
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs. Jahrg. XXXVI, 1903, N° 2 u. 3: Zum künftigen
Gesetz über die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben des Deutschen Reichs, von
W. Thrün (Schluß). — Versuche über allgemeines Staatsrecht, von A. Affolter (Solo-
thurn) (Art. I u. Schluß.) — Vorbesprechung über das Kartellwesen vom 14. XI. 1902.
— Zolltarifgesetz vom 25. XII. 1902. Nebst Anlage dazu (Zolltarif). — Skizzen und
Notizen: Die Art der Ausübung des Anfechtungsrechts, nach der Konkursordnung und
dem Anfechtungsgesetze ; Die Begnadigung jugendlicher Verurteilter nach österreichischem
Rechte. — Die Stellung des aufsichtführenden Richters. — etc.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Herausgeg. von Heinrich Braun.
Bd. XVIII, Heft 1 u. 2, 1903: Beruf und Besitz, von (Prof.) Werner Sombart (Breslau).
— Die Revision des sehweizerischen Fabrikgesetzes, von F. Schuler (ehemal. schweiz.
Fabrikinspekt.). — Die Rückkehr nach dem Lande, von (Prof.) Emil Vandervelde (Mit-
glied der Deputiertenkammer, Brüssel) — Das Reformprogramm für die Wohnungs-
und Ansiedlungsfrage in Deutschland, von Karl v. Mangoldt (Dresden). — Gesetz-
gebung: Gesetzgeberische Fortschritte auf dem Gebiet des Wohnungswesens, von
H. Lindemann (Stuttgart - Degerloch.) — Die Arbeitsbedingungen bei Vergebung
öffentlicher Arbeiten in Frankreich, von Raoul Jay (Prof., Paris). — Der neue öster-
reichische Gesetzentwurf zu Hintanhaltung der Trunksucht, von (Prof.) Max Gruber
(München). — etc.
Finanzarchiv. Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. XX. Jahrg., 1903,
I. Bd.: Die Finanzpolitik Rumäniens in ihrer neuesten Gestaltung und die für die
Sanierung der Finanzkrisis getroffenen Maßnahmen, von G. D. Creanga. — Die Novelle
von 1902 zum deutschen Branntweinsteuergesetz, ven Georg Schmauser (kgl. OZollAss.,
München). — Geschichte und Kritik des Oktrois im Großherzogtum Hessen, von (Reg.-
Ass.) Georg Hellwig. — Die sächsische Steuerreform vom Jahre 1902, von Georg
Schanz. — etc.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte, Jahrg. III, N° 1, Januar
1903: Die Kostenerstattung bei Zurücknahme der Nichtigkeitsklage, von (JustizR.)
A. Seligsohn. — Eingabe des Vorstandes betreffend Titelbezeichnungen der Gebrauchs-
muster. — etc.
Neue Zeit, die, Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie, Jahrg. XXI, 1903,
Bd. I, N° 17—21, vom 24. I. — 21. II. 1903: Pour le roi de Prusse. Eine Ent-
gegnung von Frz. Mehring. — Die badische Landwirtschaft und die Getreidezólle von
Em. Eichhorn. — Industriewucher, von Gust, Hoch (II. Art.) — Wohin treiben wir?
von Oda Olberg (Genua) — Das Ziehkinderwesen, von Henriette Fürth. — Ein alt-
preußischer Demokrat (Franz Ziegler) von F. Mehring. — Sombarts „historische Sozial-
theorie“, von Max Adler (Art. II). — Das Jahrhundert des Kindes, von Oda Lerda-
Olberg. — Der Lehrermangel, von Otto Rühle. — Sozialpolitische Umschau, von Em.
Wurm. — Die Metamorphose eines Skeptikers, von Casimir v. Keller. — Die rheinisch-
westfälische Industrie und ihre Arbeiter, von Wilh. Düwell. — Pflanzen als Lebewesen,
von Kurt Grottewitz. — Zentrum und Sozialdemokratie in Preußen. — Eine wahl-
statistische Studie, von Wilh. Stein. — Parteimoral, von G. Bernhard. — Heinrich
Heine als Politiker, von W. Th. Meyer. — Die große Arbeiterhatz in Argentinien,
von German Avé-Lallemand. — Eine moderne Frau vor hundert Jahren, von H. B.
Adams-Lehmann. — Zur Biographie Lassalles, von Franz Mehring. — Der norwegische
Vereinsgesetzentwurf, von Erik Brunte. — Das Hamburger Schulwesen, von C. Schaum-
burg. — Notiz: Die Entwickeluug des Textilgewerbes in Bayern, von Marcel. — Krise
und Kartell, von Heinrich Cunow. — Der Massenstreik der Eisenbahner in Holland,
von Herm. Gorter. — Eine Ungeschichte Amerikas, von Maximilian Bach (London).
— ete.
Politisch-Anthropologische Revue. Monatsschrift für das soziale und geistige
Leben der Völker. Jahrg. I, N" 11, Februar 1903: Anthropologische Untersuchungen
an jugendlichen Personen (I. Art.), von G. Marina. — Einwanderung und Bevölkerungs-
bewegung in den Verein. Staaten, von R. Kuczynski. — Die Bedeutung der Kartelle für
das wirtschaftliche Leben der Vólker, ven Fritz Flechtner. — Soziale und anthropologische
Ideen in der Hygiene, von Alex Koch. — Bekleidung und Sittlichkeit, von Gust. Fritsch.
432 Die periodische Presse Deutschlands.
— Der philosophische Idealismus, von W. Kinkel. — etc. — No. 12, März 1903:
Anthropologische Untersuchungen an jugendlichen Personen, von G. Marina (IL. Art.) —
Ueber die Beziehungen der Anthropologie zur Geschichte und Politik, von L. Wilser. —
Das Problem der Ahnentafeln, von E. Devrient. — Ueber Björnsons „Monogamie und Poly-
gamie“ und die einschlägigen Forschungen Westermarcks, von Christian v. Ehrenfels. —
Zur Frage des Ziehkinderwesens, von A. Just. — Entwickelungspädagogik, von H. Buhmann.
— Zur Psychologie des Kunsttriebes, von J. Lübke. — Nachtrag zum Aufsatz: Bekleidung
und Sittlichkeit, von Gust, Fritsch. — ete.
Preußische Jahrbücher. 111. Bd. Heft 3, März 1903: Politischer Sinn bei
Deutschen und Russen, von Arn. Diezmann. — Condorcet und der demokratische Gedanke,
von (Prof.) P. Sakmann (Stuttg.). — Die Berechnung der Legislaturperiode in Preußen,
von Ad. Arndt (GehOBergR., Prof., Königsberg). — Der planmäßige Domänenankauf in
in den Provinzen Westpreußen und Posen, von (LandR.) Petersen. — etc.
Rechtsschutz, gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. VIII, N° 1, Januar 1903:
Das Vorbenutzungsrecht in der Union, von R. Wirth. -— Versuch einer Statistik der
Patenterteilungen in Rußland, von (PatentAnw.) C. v. Ossowski. — Die rechtliche Be-
deutung des Inkrafttretens der Internation. Union im Deutschen Reiche für die An-
meldungen, von F. Damme. — Gewährt das Urheberrechtsgesetz einen Schutz gegen
unbefugte Titelentnahmen? von Karl Schaefer. — Die Aenderung des britischen Patent-
gesetzes, von J. F. Iselin (barrister at law, London). — ete.
Verwaltungsarehiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts-
barkeit. Bd. XI, Heft 2/3, November 1902: Die deutsche Staatssprache, von (GehJustR.,
Prof.) Zorn (Bonn). — Gerichtsbarkeit und Verwaltungshoheit, von (GehOJustR., Prof.)
F. Vierhaus (Berlin). — Die Verhältniswahl, ihre theoretischen Grundlagen und ihre
praktischen Ziele, von (RegAss.) P. Siller (Berlin). — Ueber die Straßenreinigungspflicht
der Hausbesitzer, von (GehRegR. Prof.) Gust. Cohn (Göttingen). — Geistliche als Mit-
glieder von Schuldeputationen, von (Privdoz., StadtR.) J. Jastrow (Charlottenburg). —
Die Veränderung von Gemeindegrenzen und ihre Rechtsfolgen, von (PolizeiR.) O. Stephan
(Kiel). — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Jul. Wolf (Breslau).
Jahrg. VI, 1903, Heft 2: Das sozialókonomische System J. F. Brays, von (RegRef.) Erh.
v. Heintze (I. Art.). — Die Entwiekelung Japans, von M. v. Brandt (Gesandter a. D.).
— Friderizianischer Sozialismus, von (PrivDoz.) Max Fleischmann. — Die Rechtsstellung
der Frau im Vorentwurf eines schweizerischen Zivilgesetzbuches in vergleichender Dar-
stellung mit dem deutschen und österreichischen Recht, von Anna Mackenroth (Dr.,
Rechtsanw., Zürich). — Miszellen: Stutzer gegen Bebels Gesetz von der unbegrenzten
Steirerungsfühigkeit der Bodenerträge, ete.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissensehaft, Jahrg. LIX, 1903, Heft 1: Der
Kampf um die adeligen Güter in Bayern nach dem dreißigjährigen Kriege und die ersten
bayerischen Amortisationsgesetze, von Arth. Cohen. — Zur Frage der Errichtung eines
obersten Rechnungshofes für das Königreich Württemberg mit besonderer Berücksichtigung
der bestehenden Einrichtungen im KReich Bayern und Sachsen, von O. Reinhard. —
Die Beschleunigung der Verladung und Beförderung des Frachtstückgutes auf den Eisen-
bahnen und die Regelung des Stückgutdienstes auf den k. k. österreichischen Staats-
bahnen, von (Frh. zu) Weichs-Glon. — Das Wesen der Ministerverantwortlichkeit im
monarchischen Staat, von Rich. Psssow. — Beiträge zur Artelkunde, von Herm. Beck.
— ete.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) ia Jena,
Georg Brodnitz, Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 433
Nachdruck verboten,
VIII.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung.
Von
Georg Brodnitz, Halle a. S.
Englische Verhältnisse haben lange Zeit hindurch eine starke Ein-
wirkung auf Deutschland ausgeübt. Waren es zuerst philosophische
und literarische Einflüsse gewesen, die sich geltend machten, so waren
es später politische und wirtschaftlich-soziale. Manche Anschauungen
der Engländer auf diesen Gebieten sind bei uns viel entschiedener
und extremer vertreten worden, als im britischen Reiche selbst. Als
wir aus einem mehr politischen in ein mehr sozialpolitisches Zeit-
alter getreten waren, da meinte man vielfach, in England ein soziales
Dorado, für den Praktiker wie für den Theoretiker, erblicken zu können.
Diesem böte die englische Entwickelung Gegenheit, in exakter
Weise seine Theorien zu bilden und zu prüfen, denn bei dem wirt-
schaftlichen Vorsprung Englands gegenüber Deutschland könnten wir
uns ein genaues Bild machen, welchen Weg auch wir gehen würden
und welche Maßnahmen wir ergreifen müßten, wenn dieser Weg uns
ebenfalls zum „sozialen Frieden“ führen sollte, Damit ergebe sich
der außerordentliche Wert der englischen Verhältnisse auch für den
Praktiker: er habe nur die gleichen Mittel anzuwenden, um zum
gleichen Ziel zu kommen.
Man zweifelte nicht, daß England den „sozialen Frieden“ bereits
erreicht habe, und man wurde nicht müde, uns die englischen Ar-
beiterorganisationen als die Grundlage desselben in den glänzendsten
Farben zu schildern. Aber je entschiedener man eine gleiche Aus-
gestaltung der Arbeitervereine auch bei uns geradezu als das alleinige
Mittel zur Herstellung befriedigender Zustände hinstellen wollte, desto
energischer wurde der Widerspruch gegen diese Theorien laut. Und
diese Stimmen mußten sich mehren, je klarer es wurde, daß der so-
ziale Friede Englands nichts anderes war als höchstens ein sozialer
Waffenstillstand, der von einer neuen Kampfperiode abgelöst wurde.
Die Veränderung der Sachlage forderte auch Unparteiische zur Nach-
prüfung jener Theorien und der tatsächlichen Gestaltung der Ver-
hältnisse geradezu heraus!). Jetzt waren die Gegner der Arbeiter-
1) Biermer, Die britische Arbeiterbewegung. Jahrbuch der Internat. Vereinig. f.
vergl. Rechtswiss. u. Volkswirtschaftslehre, 1898, S. 131.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 28
434 Georg Brodnitz,
organisationen im Vorteil, und wie man früher nur ihre günstigen
Seiten hatte sehen wollen, so wurde jetzt energisch alles ausgenutzt,
was gegen sie zu sprechen schien.
Gerade die gegenwärtige Krisis der englischen Arbeiterbewegung
hat wiederholt Veranlassung gegeben, ihre Vorzüge zu negieren, da-
für aber die Nachteile, die eine weitere Verbreitung ähnlicher Ein-
richtungen in Deutschland mit sich bringen müßte, aufs entschiedenste
hervorzuheben. Man ist hierin unserer Ansicht nach zu weit gegangen.
Indem man die eigentlichen Ursachen der neuesten Entwickelung
außer acht ließ, legte man zu großes Gewicht auf die äußeren Er-
scheinungen der Krisis und erhielt, da man ihnen ohne genauere
Nachprüfung traute, nicht nur ein falsches Bild der gegenwärtigen
Situation, sondern wurde auch verhindert, die voraussichtlichen
Folgen richtig einzuschätzen.
Der Eintritt der Krisis kann niemand in Erstaunen setzen, der
die gesamte Entwickelung der englischen Arbeiterbewegung unbe-
fangen überblickt. Auch der soziale Waffenstillstand von 1850 bis
in die 80er Jahre hinein war nur durch ein Zusammentreffen ver-
schiedener, für die Arbeiter außerordentlich günstiger Momente er-
möglicht worden. Das Aufsteigen des englischen Arbeiterstandes
fällt in die glänzendsten Zeiten des englischen Unternehmertums, in
die Jahrzehnte, in denen sich England seine Herrschaft auf dem
Weltmarkte eroberte. „Daraus ergeben sich für die Arbeiterschaft
die wichtigen Folgen: eine überaus günstige Gestaltung der Arbeits-
marktverhältnisse; stetig wachsende Nachfrage nach Arbeit, geringe
Arbeitslosigkeit; Geneigtheit und Fähigkeit des Unternehmers, dem
der Gewinn in Strömen zufließt, den Arbeiter besser zu entlohnen,
ihn an dem Goldregen bis zu einem gewissen Grade teilnehmen zu
lassen. Und neben dieser eigentümlichen wirtschaftlichen Verum-
standung,. die in keinem Lande sich wiederholen konnte, weil ihm
die nachstrebenden, inzwischen erstarkten Nationen die Alleinherr-
schaft auf dem Weltmarkt streitig machten, die höchst absonderliche
Gestaltung, die das politische Parteileben in England erfahren hat“!).
Das Schaukelsystem der englischen Politik war für die Inter-
essen der Arbeiter wie geschaffen: es enthob sie der Notwendigkeit,
eine selbständige Politik zu betreiben. Wechselseitig bemühten sich
die Parteien, ihre Stimmen durch legislative Konzessionen für sich
zu gewinnen, die bei der günstigen Wirtschaftslage von den Unter-
nehmern nicht bekämpft wurden.
Es kam aber noch ein weiteres hinzu, das in das Gebiet der
Imponderabilien gehört, aber doch von großem Einfluß auf die Ar-
beiterbewegung war: die Stimmung des Publikums. Ihre beste Zeit
war frei von großen, die ganze Existenz und Weiterentwickelung des
englischen Staates berührenden politischen Fragen. Man hatte Muße,
sich mit den inneren, sozialen Verhältnissen zu beschäftigen. Und
wenn es auch richtig ist, daß weder Carlyle noch Ruskin die eng-
1) Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung im 19. Jahrh., 3. Aufl., S. 36.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 435
lische Arbeiterbewegung auf ihre Höhe gebracht haben, so ist es
doch beachtenswert, daß diese „Sozialideologen“ sich überhaupt Gehör
verschaffen konnten. Das war nur möglich in einer Zeit, in der
man wirtschaftlich und politisch eine unbestrittene Machtstellung
einnahm. Da konnten sich die Interessen des Publikums den Ar-
beitern zuwenden und darauf hinwirken, daß man sie an den glän-
zenden Erfolgen der Arbeitgeber partizipieren ließ.
Alle diese, die Arbeiterbewegung begünstigenden Umstände,
haben sich nun in den letzten Jahren geändert. England sah seine
überragende Stellung bedroht, es wurde unruhig in seiner „splendid
isolation“. Fragen tauchen auf, die wichtiger sind als ein Gewerk-
vereins- oder Fabrikgesetz, Fragen, von deren richtiger Entscheidung
die ganze Zukunft abhängt.
Die veränderte Situation wirkt bald auf die inneren Verhältnisse
ein. Die Schaukelpolitik ist bedroht: auf der einen Seite eine feste
Majorität, die energisch an die Lösung der neuen Fragen herangeht,
auf der anderen eine durch dieselben Fragen zersplitterte liberale
Partei. Das Publikum muß zu ihnen Stellung nehmen: die Imperial
Federation, der Imperial Zollverein, die Armeereform und der Wieder-
aufbau Südafrikas stehen im Vordergrund der Interessen; hier ruht .
die Entscheidung, das fühlt ein jeder. Und je schärfer die imperia-
listische Strömung hervortritt, desto weniger Aufmerksamkeit kann
man der Arbeiterbewegung widmen.
Man war früher der Ansicht, die imperialistische Politik werde
in England von Unternehmern und Arbeitern geschlossen betrieben
werden. Diese würden erkennen, daß nur die Expansion, wirtschaft-
licher wie politischer Natur, im stande wäre, die englische Industrie
auf ihrer Höhe zu erhalten und ihnen Arbeit und hohe Löhne zu
gewähren!). Aber die jüngste Phase des englischen Imperialismus
hat die Billigung der Arbeiter bisher nicht gefunden, denn es zeigte
sich, daß die neue Richtung die Arbeiterbewegung durchaus ungünstig
beeinflußt.
Zwar hat der „konstruktive“ Imperialismus die Arbeiterfrage
ausdrücklich in sein Programm aufgenommen ?), aber es fehlt auch
nicht an Stimmen, die eine günstige Einwirkung desselben, wenigstens
auf die Gewerkvereine, für ausgeschlossen halten). Nicht etwa, daß
man plötzlich alle Fürsorge für die Hebung der arbeitenden Klassen
aufgegeben hätte. Im Gegenteil, die Arbeiterschutzgesetzgebung
schreitet erfreulich weiter, zumal der Workmen’s Compensation Act
mit seinen Ergänzungen und das neue Fabrikgesetz bilden einen be-
1) Georg Adler, Die Zukunft der sozialen Frage, 1901, S. 63.
2) Hewins, Der Imperialismus und seine voraussichtliche Wirkung auf die Handels-
politik des Vereinigten Königreichs. Schriften des Ver. f. Sozialpolitik, Bd. 91, S. 117.
3) J. A. Hobson, The Economie Taproot of Imperialism. Contemporary Rev.,
August 1902, p. 230: Trade Unionism and Socialism are thus the natural enemies of
Imperialism, for they take away from the „imperialist“ classes the surplus incomes
which form the economie stimulus of Imperialism . . . We shall perceive that the
tendency of Imperialism is to crush Trade Unionism.
28*
436 Georg Brodnitz,
deutenden Fortschritt. Auch die Bildungsbestrebungen, University
Extension und Settlements, nehmen einen guten Fortgang; neben
der Londoner Toynbee Hall ist nun in Oxford gerade während der
letzten Jahre in Ruskin Hall ein viel weiter gehendes Volkser-
ziehungsinstitut entstanden, und ein Oxforder College hat erst un-
längst den entscheidenden Schritt getan, einen durch die University
Extension ausgebildeten Arbeiter als vollberechtigtes Mitglied des
Lehrkörpers aufzunehmen.
Trotzdem kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die ganze
Arbeiterbewegung heute weit weniger Interesse erregt, als in früheren
Zeiten. Eine Teilnahme, wie sie etwa zur Zeit des großen Dock-
arbeiterausstandes sich zeigte, wäre heute nicht denkbar. Ja, die
Stellung des Publikums den Arbeitern gegenüber ist in der letzten
Zeit teilweise geradezu feindselig geworden. Entscheidend hierfür
war vor allem der südafrikanische Krieg, der von den demokratischen
Arbeitern mißbilligt wurde und sie in den Ruf von „Proboers*
brachte. Die Folgen davon zeigten sich schon bei den Parlaments-
wahlen von 1900, indem die Zahl der Arbeitervertreter von 12 auf
9 herunterging.
Der Krieg war den arbeitenden Klassen um so weniger sym-
pathisch, als er auch eine finanzielle Belastung notwendiger Lebens-
mittel, wenn auch nur in geringer Höhe. mit sich brachte. Eine
größere Hinneigung zu indirekten Steuern wäre in England wohl
auch sonst früher oder später eingetreten !), aber man empfand es
unangenehm, daß man gerade Tee und Zucker, dann auch Getreide
besteuerte, den gleichzeitig vorgeschlagenen Scheckstempel aber wieder
fallen ließ. Der Finanzminister erklärte den Kornzoll für geeigneter,
da seine geringe Höhe doch keinen Einfiuß auf die Brotpreise aus-
üben könne. Als sich aber trotzdem in manchen Fällen das Gegen-
teil feststellen ließ, suchte Sir Michael Hicks-Beach diese Heran-
ziehung der arbeitenden Klassen als politische Notwendigkeit hin-
zustellen: er erklärte am 12. Mai 1902 im Unterhause, daß er anderen-
falls ja einen Zweifel an ihrer Vaterlandsliebe zum Ausdruck ge-
bracht hätte; die Aermsten seien ebenso patriotisch wie die Reichsten
und ebenso bereit, die Last des von ihnen gebilligten Krieges zu
tragen; Reiche gäbe es nur wenige, deshalb wäre es feige, ihnen alle
Kosten aufzubürden, da sie sich infolge ihrer geringen Zahl bei den
Wahlen gar nicht dagegen wehren könnten ?). Tatsächlich haben
aber die arbeitenden Klassen durchaus nicht so allgemein, wie der
Finanzminister es hinstellen wollte, den Krieg gebilligt, und das
„Arbeiterparlament“, der 1902 in London tagende Gewerkvereins-
kongreß, unterließ es auch nicht, als Antwort auf die Ausführungen
1) Hewins a. a. O. S. 116 und 118; Economic Journal 1900: Some Economie
Aspects of the War (Artikel von Sir Robert Giffen und L. L. Price).
2) Vgl. über diese Ausführungen den , Economist" vom 17. Mai 1902: The
Chancellor of the Exchequer on his defence.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 437
des Ministers eine entschiedene Resolution gegen die Getreidezólle
zu fassen!).
Viel wichtiger aber als diese Vorgünge waren die mehr und
mehr hervortretenden Veründerungen in der wirtschaftlichen Situation
Englands. Die Arbeiterbewegung hatte ihre Höhe pari passu mit
der gesamten industriellen Entwickelung erreicht, und als diese
sich bedroht fühlte, mußte eine Rückwirkung auch auf die Arbeiter-
bewegung eintreten.
Biermer wies schon vor einigen Jahren darauf hin, wie sich „jen-
seits des Kanals, seitdem sich die dortige Industrie und der Groß-
handel in ihrer so lang behaupteten Monopolstellung eingeengt sehen,
eine eigentümliche Unruhe und Unsicherheit geltend macht“ ?). Viel-
leicht das erste Anzeichen dieser Nervosität war der Merchandise
Marks Act — ein vollständiger Fehlschlag. Die Konkurrenz nahm
trotz und teilweise sogar wegen der Marken zu. Man meinte, sie
arbeite mit unlauteren Mitteln, aber der Erfolg des Made in Germany
erwies das Gegenteil, und die Rundfrage, die Chamberlain 1897 über
den Grund der zunehmenden Konkurrenz an alle Kolonien richtete,
ergab, daß sie vollkommen „fair“ sei. Diese Erklärung wird kaum
dazu beigetragen haben, die Unruhe der englischen Industriellen zu
mindern. Im Gegenteil, wir sehen sie wachsen, von Williams’ „Made
in Germany“ bis zum Ceterum censeo Germaniam esse delendam
der Saturday Review.
Zu allem Ueberfluß hatte die englische Industrie aber nicht nur
nach außen hin Schwierigkeiten. Die Gewerkvereine hatten sich in
den günstigen Zeiten eine feste Position errungen, sie boten einen
erprobten Rückhalt, und die Arbeiter waren nicht geneigt, erkämpfte
Vorteile aufzugeben und etwa durch geringere Lohnansprüche die
Situation der Unternehmer zu erleichtern. Und jetzt treten noch
die „neuen“, aggressiven Gewerkvereine auf, die sich selbst als figh-
ting bodies bezeichnen, stets bereit, den Kampf aufzunehmen. Für
die englische Industrie war es zweifellos ein unglückliches Zusammen-
treffen, daß die Entstehung des neuen Unionismus gerade in die
Periode wirtschaftlicher Schwierigkeiten fiel.
Alles das wirkte darauf hin, die nervöse Spannung zu erhöhen,
und da sie sich nach außen nicht wirksam entladen konnte, wandte
sie sich nach innen. Die englischen Arbeitgeber sahen ihre Kon-
kurrenten unbehindert von einer Gewerkvereinsbewegung großen
Stiles. Sie glaubten daher vielfach, gerade hierin den Grund ihrer
Stärke sehen zu müssen. Nun lag der Gedanke nicht mehr fern,
sich auf das gleiche Niveau mit der Konkurrenz zu bringen, indem
man daran ging, die Macht der Trade Unions zu brechen, um dann
die Ansprüche der Arbeiter, die Löhne, herabzudrücken und womög-
lich einen Vorsprung vor dem Ausland zu gewinnen.
1) Die Brotpreise sind übrigens ungeachtet der Zölle im Jahre 1902 im all-
gemeinen niedriger als gewöhnlich geblieben.
J'ai" Os 197
438 Georg Brodnitz,
Diese Idee trat bei dem großen Maschinenarbeiterstreike 1896/97
hervor. Mit Recht konnte Brentano damals von einer „atomistischen
Reaktion‘ der Unternehmer sprechen !). Sie vermochten jedoch ihren
Plan nicht durchzusetzen. Wenn die Maschinenbauer auch nach-
geben mußten, so wurde doch die prinzipielle Wiederanerkennung
des gemeinsamen Arbeitsvertrages erreicht. Zu optimistisch war es
aber, wenn Brentano daraufhin meinte, es sei hierdurch „der alte
Ruf der englischen Arbeitgeber, daß sie keine romantische Politik
der Wiedereinführung untergegangener Herrschaftsverhältnisse ver-
folgten, wiederhergestellt* ?). Soweit es sich um den offenen
Kampf gegen die Gewerkvereine handelte, haben die englischen
Unternehmer allerdings ihre atomisierenden Neigungen aufgegeben.
Ein letzter Rest hiervon besteht nur noch in dem Streite des Marquis
von Penrhyn mit den Arbeitern seiner Schieferbrüche in Bethesda
(Nordwales), der mit Unterbrechungen seit 1896 besteht. Er ist
hervorgerufen durch die Weigerung des Marquis, mit der Organi-
sation seiner Angestellten in Unterhandlung zu treten, und hat durch
seine lange Dauer und die herrschende Erbitterung außerordentlich
unglücklich auf die ganze dortige Gegend eingewirkt. Viele Familien
sind ausgewandert. andere sind vollständig in zwei Heerlager ge-
spalten. Die wenigen Arbeitslustigen mußten durch die Polizei zu
den Brüchen und zurück eskortiert werden, und wiederholt wurde
die Requisition militärischer Hilfe notwendig 3). Die Arbeiter haben
sich in ihrer Not sogar unmittelbar an den König gewandt, jedoch
ohne Erfolg, da die Krone in diesen Streit nicht eingreifen kann.
Von solchen Einzelfällen abgesehen, hat man, wie gesagt, den
offenen Kampf aufgegeben, nicht aber den Wunsch, die Macht
der Gewerkvereine auf die eine oder die andere Weise zu brechen.
Man begann das Publikum nervös zu machen mit dem ständigen
Hinweis auf die wachsende Konkurrenz anderer Länder, in denen
die Gewerkvereine keinen Einfluß hätten und deren Industrie
wesentlich aus diesem Grunde so außerordentlich gedeihe*). Den
Trade Unions und ihrem Terrorismus suchte man allmählich die
ganze Schuld an den bestehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten in
die Schuhe zu schieben. Schon während des Maschinenbauerstreikes
1) Brentano, Die atomistische Reaktion in England. Soziale Praxis 1897, No. 11
und 12. Vergl. auch ebenda 1898 Sp. 187 den Brief K. S. Watsons: es gebe Unter-
nehmer, „die von oben herab handeln, herrisch und unverständig, welche am liebsten
die Unions zertrümmerten und lediglich ihren eigenen Weg gingen“. Doch sei dies die
Minderheit.
2) Handwörterbuch d. Staatswiss. Art. „Gewerkvereine (England)‘“, 2. Aufl. Bd. IV,
S. 638.
3) Bericht des Grafschaftsrates im „Standard“, 23. Januar 1903.
4) Ein gutes Beispiel aus neuester Zeit bildet der Artikel ,,German versus British
Trade“ in der „Times“ (Weekly ed. 4. April 1902): If as a nation we continue to
advance, it cannot be denied that Germany progresses still more rapidly. It is in part
due, no doubt, to many special advantages which she enjoys... there is no trade
unionism in the British sense, if trade unionism and sense may be
mentioned together in one sentence. — Aehnlich „Times“ vom 5. Dezember
1902: English and Continental Glass Making.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 439
hatte man die Meinung verbreitet, es handele sich um einen Kampf,
wer Herr im Hause sein solle, und sorgfältig nutzte man jetzt jede
übertriebene Forderung und jeden Uebergriff, wie er zumal von den
jungen, aggressiven Vereinen des öfteren verübt wurde, gegen die
Arbeiterorganisationen überhaupt aus.
So wußte man gegen die Gewerkvereine Stimmung zu machen,
und der Erfolg blieb nicht aus. Denn nur aus dem Umschwung der
öffentlichen Meinung erklärt sich die völlige Veränderung der recht-
lichen Lage der Unions, die allmählich ohne jedes Eingreifen der
Gesetzgebung Platz gegriffen hat. Schlag auf Schlag ergingen ge-
richtliche Urteile gegen die Gewerkvereine, die geeignet waren, die
Wünsche der Unternehmer der Erfüllung ganz erheblich näher zu
bringen. Nicht etwa, daß die Richter irgendwie direkten Einflüssen
zugänglich waren oder in Widerspruch zu den Grundsätzen des eng-
lischen Rechtes traten — das braucht nicht erst betont zu werden.
Aber auf der anderen Seite wäre es zu der neuen Gesetzesinterpre-
tation ohne die anhaltende gewerkvereinsfeindliche Strömung nicht
gekommen.
Das erste dieser Urteile, in der Sache Allan v. Flood, erging
bald nach der Beendigung des Maschinenbauerstreikes am 14. Dez.
1897. Hier wurde der Anfang damit gemacht, den Arbeitern den
Kampf gegen die Unternehmer zu erschweren. Immer weiter wurde
der Begriff dessen, was bei einem Ausstand als „ungesetzlich“ im
Sinne der Gewerkvereinsgesetze von 1871 und 1875 anzusehen sei,
interpretiert, viel weiter, als jemals früher. Streikposten, die sich
nicht auf die Nachrichtenübermittelung beschränken, dürfen nicht ge-
stellt werden; schwarze Listen von „blacklegs“ oder von Unter-
nehmern, die solche beschäftigen, sind verboten; strafbar ist es, Ge-
werkvereinler von einem solchen Betriebe abzurufen; ungesetzlich
ist die Drohung, von einem Unternehmer Kunden fernhalten zu
wollen, ebenso wie der Beschluß, kein Material einer bestimmten
Firma zu verarbeiten, welche einer anderen während eines Streikes
Lieferungen machte.
All das bezeichnete man als strafbare „unlawful means“, und
man erreichte es hierdurch, daß nach dem Urteil nicht nur den
Beteiligten, sondern auch hervorragenden Juristen, ein erfolgreicher
Streik heute nahezu unmöglich gemacht worden ist!) Bei weitem
am wichtigsten aber ist die Entscheidung, die am 22. Juli 1901 vom
Oberhause zu Gunsten der Taff Vale-Eisenbahn erging. Diese Gesell-
schaft hatte, ungeachtet des Umstandes, daß nach den bisherigen
Grundsätzen eine Trade Union civilrechtlich nicht haftbar gemacht
werden konnte, den Gewerkverein der Eisenbahner auf Ersatz des
anläßlich eines Streikes entstandenen Schadens verklagt. Der Richter
erster Instanz entsprach dem Antrag der Eisenbahngesellschaft, die
1) Ueber die einzelnen Urteile wird regelmäßig in der „Sozialen Praxis“ berichtet.
Eine zusammenhängende Darstellung gibt Georges Howell, Labour Legislation, Labour
Movement and Labour Leaders. London 1902, S. 478 ff.
440 Georg Brodnitz,
zweite Instanz entschied umgekehrt zu Gunsten des Gewerkvereins,
das Oberhaus aber als höchste Instanz stellte das erste Urteil wieder
her. Zur Begründung zog man den Umstand heran, daß im Gewerk-
vereinsgesetze von 1871 nicht ausdrücklich bestimmt sei, ein Verein
dürfe nicht haftbar gemacht werden. Es sei zwar richtig, daß die
Union keine juristische Persönlichkeit sei, so daß sie an sich nicht
verklagt werden könne. Aber auf der anderen Seite stellte sie doch
eine „legal entity“ dar, deren Vermögen nicht in der Luft schweben
könne und daß deshalb der Verfolgung vor den Gerichten zugänglich
gemacht werden müsse.
Dieser Gedanke ist an sich vollkommen richtig!) und ist auch
von eifrigen Verteidigern der Gewerkvereine, wie S. und B. Webb,
anerkannt worden?). Bedenklich ist nur, daß er durch einfache Inter-
pretation von Gesetzen, die man 25 und 30 Jahre hindurch im ent-
gegengesetzten Sinne ausgelegt hatte, durchgeführt wurde und zwar
gerade in dem Augenblicke, in dem es vollkommen zweifelhaft ge-
worden war, was alles als „unlawful means“ anzusehen sei, für die
man haftbar gemacht werden könnte. Die Stellung der Gewerk-
vereine wird dadurch doppelt prekär. Ist sie gegen früher schon
schwieriger, weil sie nunmehr für jedes Versehen ihrer Organe
haften müssen, so kommt hinzu, daß sie bei der Unsicherheit der
ganzen Rechtslage ihren Beamten gar keine Instruktionen für den
Fall eines Streikes geben können, ohne befürchten zu müssen, die
Grenze des Erlaubten zu überschreiten.
Damit ergibt sich die einschneidende Bedeutung der neu ge-
schaffenen Rechtslage für die Trade Unions. Sie sehen sich vor die
Alternative gestellt, in Zukunft auf einen Streik überhaupt zu ver-
zichten, oder aber Gefahr zu laufen, daß für ein Versehen eines
ihrer Organe ihr gesamtes Vermögen haftbar gemacht wird, d. h.
daß die Summen, die allmählich für Versicherungszwecke u. s. w.
gesammelt waren, mit einem Schlage verloren gehen. Um welche
Beträge es sich hierbei handeln kann, beweist gerade der Fall der
Taff Vale-Eisenbahn, die 540 000 M. Schadenersatz beanspruchte °).
Es liegt somit auf der Hand, daß durch die neue Gesetzesinterpretation
ein sehr starker psychischer Druck ausgeübt wird, sich des Streikes
1) Aehnlich bestimmt auch unsere Civilprozeßordnung $ 50 Abs. 2, daß ein
nicht rechtsfühiger Verein verklagt werden kann.
2) Die neueste Geschichte des Gewerkvereinswesens im Vereinigten Königreich
und ihr vermutliches Ergebnis. „Soziale Praxis“ 1902 Sp. 609 ff.
3) Die Taff Vale-Angelegenheit ist jetzt erst ganz zum Abschluß gekommen.
Nachdem das Oberhaus die prinzipielle Frage der Haftbarkeit bejaht hatte, entwickelte
sich ein weiterer Prozeß, ob von dem Gewerkverein der Eisenbahner auch wirklich
ungesetzliche Maßnahmen getroffen worden seien. Diese Frage bejahte die Kings Bench
am 19. Dezember 1902, überließ aber die weitere Festsetzung der Höhe der Entschädigung
dem Richter. Am 11. Februar 1903 kam jedoch ein Vergleich zustande, demzufolge
der Gewerkverein der Taff Vale-Gesellschaft 460 000 M. als Ersatz des Schadens und
der Prozeßkosten zu zahlen hat. Schon vorher hatten die Eisenbahner ihre Kosten
anf 1000000 M. angegeben. Ihr Gesamtvermögen belief sich 1900 auf 4 901 120 M.,
ihr Jahreseinkommen auf 1 456 420 M. bei 1 043 100 Ausgaben. Der Verein wird dem-
naeh durch den Prozeß sehr schwer, aber keineswegs vernichtend getroffen.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 441
zu enthalten, da es immer ungewisser wird, welche Maßnahmen als
ungesetzlich angesehen werden, und die Arbeiter nicht leichten Herzens
die Aussicht auf Versorgung aus dem Vereinsvermögen riskieren
werden.
Die Beurteilung, welche die neue Rechtslage in England fand,
war eine sehr verschiedene. Die Blätter, welche den Unternehmern
nahe stehen, sahen in ihr eine entschiedene Verbesserung. Der
„Standard“ führte aus, erst durch sie werde der soziale Friede
wirklich angebahnt, denn nun würden die Arbeiter nicht mehr bei
jeder Differenz mit dem Arbeitgeber gleich zum Streik schreiten,
sondern sie würden sie durch friedliche Ueberredung aus der Welt
zu schaffen suchen; so würde sich die Zahl der Arbeitsstreitigkeiten
zusehends mindern. Allerdings verrät der „Standard“ nicht, was
die Arbeiter tun sollen, wenn ihr Versuch zu friedlicher Ueberredung
erfolglos bleibt. Offenherziger ist die „Times“. Sie hat wiederholt!)
ihrer Freude Ausdruck gegeben, daß es endlich gelungen sei, des
„organisierten Terrorismus“ Herr zu werden. Bei der augenblicklichen
Lage sei der Beginn eines größeren Streikes aussichtslos; damit ist
also, das kann man zwischen den Zeilen lesen, den Wünschen der
Unternehmer Genüge getan. Aber auch in den Kreisen der Gewerk-
vereinler selbst sah man die veränderte Situation anfangs nicht als
ungünstig an. So äußerte Richard Bell, der Generalsekretär der
zunächst betroffenen Eisenbahner, die Hoffnung, das Gefühl der
Verantwortlichkeit und die Möglichkeit, durch einen unüberlegten
Schritt das ganze Vermögen zu riskieren, werde die Disziplin inner-
halb der Vereine stärken und werde alle Mitglieder veranlassen,
den Anordnungen der Führer strikt nachzukommen. Auch werde
die Stellung der Gewerkvereine dadurch eine bessere, daß sie jetzt
jedem Unternehmer die Garantie eines haftbaren Kontrahenten böten,
die er bei einzelnen unorganisierten Arbeitern nicht habe?).
Seither hat aber eine pessimistische Auffassung die Oberhand
gewonnen. Zumal die älteren Führer der Gewerkvereinsbewegung
betonten, daß diese sich in einer entschiedenen Krisis befinde®). Man
mußte daher zusehen, eine Besserung herbeizuführen. So wandte
sich das parlamentarische Gewerkvereinskomitee unter Führung von
Charles Dilke am 6. Februar 1902 an den Minister des Innern, um
ihm die schweren Folgen der Taff Vale-Entscheidung vorzuführen.
Der Minister gab nur eine sehr ausweichende Antwort: es handle
sich um so schwierige Rechtsfragen, daß man sich vorläufig noch ab-
wartend verhalten müsse, da ev. nicht nur eine Aenderung der Spezial-
gesetze, sondern des gemeinen Rechtes erforderlich würde Zum
Schluß verwies er die Deputation auf die in Aussicht genommene
parlamentarische Erörterung der ganzen Angelegenheit, die denn
auch am 14. Mai 1902 stattfand. An diesem Tage beantragten die
1) Zuletzt anläßlich des eben erwähnten Urteils im Leitartikel vom 20. Dez. 1902.
2) Vgl. „Soziale Praxis“. 1901, Sp. 1146.
3) Howell, a. a. O. S. 455.
442 Georg Brodnitz,
4
Abgeordneten Beaumont und Bell (der Generalsekretär der Eisen-
bahner) die Anwendung gesetzgeberischer Maßnahmen, welche es
verhindern sollten, daß die Arbeiter durch das neue „Juristenrecht“
in eine ungünstigere rechtliche Lage gebracht würden, als sie das Par-
lament im Gewerkvereinsgesetze von 1875 ihnen habe gewähren
wollen. Zur Begründung wies Beaumont auf die Taff Vale-Ent-
scheidung hin und verlangte, wenn man die Gewerkvereine wie ju-
ristische Personen haftbar machen wolle, ihnen auch die entsprechen-
den Rechte einzuriumen. Gegen die Resolution wandte sich
namens der Regierung der Attorney General. Er verteidigte die
Entscheidungen der Gerichte, da sie nur das gemeine Recht auch auf
die Gewerkvereine zur Anwendung brächten; diese müßten für ihre
Organe so gut haften, wie ein Arbeitgeber für seine Angestellten.
Darauf beantragte Haldane, wenigstens eine Kommission zur Kodi-
fikation des Gewerkvereinsrechtes einzusetzen, das durch die ver-
schiedenen, einander teilweise widersprechenden Urteile ganz in Ver-
wirrung gebracht sei. Diesen Antrag unterstützten auch die liberalen
Parteiführer Campbell- Bannerman und Asquith, er wurde jedoch
vom Minister des Innern zurückgewiesen. Darauf wurde mit ge-
ringer Majorität, 203 gegen 174 Stimmen, eine Gegenresolution
Renshaws angenommen, es seien keine legislativen Schritte zu tun,
da sich das bestehende Gewerkvereinsrecht als ausreichend erweise.
Somit war der Versuch der Gewerkvereinler, auf diesem Wege eine
Aenderung der Situation herbeizuführen, gescheitert‘). Es wurden
seither verschiedene andere Vorschläge gemacht. So tauchte der
alte Plan wieder auf, die provident funds ganz von der trade funds
zu trennen, um erstere dem Zugriff der Unternehmer zu entziehen.
Dieser Vorschlag ging vom parlamentarischen Gewerkvereinskomitee
aus, wurde aber auf das Anraten der Rechtsgelehrten abgelehnt.
Ebensowenig drang das London Trades’ Council mit der Anregung
durch, freiwillige Strikeposten-Organisationen zu gründen, die unab-
hängig und ohne Verantwortlichkeit der Vereine vorgehen sollten, so
daß man diese nicht mehr haftbar machen könnte. Dagegen spricht
jedoch die Erfahrung, daß sich ein größerer Streik ohne einheitliche
Direktiven nicht durchführen läßt.
Vor der Hand hat man sich auf eine strengere Fassung der
Statuten beschrünken müssen, um Fehlgriffe der leitenden Organe
tunlichst zu vermeiden. So haben die Eisenbahner die Bestimmung
gestrichen, daß der Vorstand zweifelhafte Stellen der Satzungen selb-
ständig auslegen dürfe.
Es ist hiernach klar, daß die englischen Gewerkvereine durch
die neu geschaffene Rechtslage und die vorläufige Unmöglichkeit,
einen Wandel hierin zu schaffen, in eine außerordentlich schwierige
Lage gekommen sind. Gerade die einsichtsvollsten und ruhigsten
Führer betonen, wie kritisch die gegenwärtige Situation ist ?).
1) Der Antrag soll jedoch in dieser Session wieder eingebracht werden.
2) Howell, a. a. O.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 443
Merkwürdigerweise hat man aber in Deutschland diesen Wandel
in der britischen Arbeiterbewegung, abgesehen von der Tagespresse,
keineswegs gebührend gewürdigt, um sich dafür aber um so ein-
gehender mit gewissen Begleiterscheinungen der gegenwärtigen Krisis
zu beschäftigen. Denn nur eine sekundäre Bedeutung können wir
den mannigfachen Versuchen der englischen Presse, die Trade Unions
auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zu diskreditieren, zu-
schreiben, wie dies auch seitens der Gewerkvereine selbst geschah.
Gewisse Bestrebungen in dieser Richtung machten sich schon
während des Maschinenbauerstreiks geltend, um neuerdings weit ent-
schiedener hervorzutreten. Zuerst behauptete man nur im allge-
meinen und bei Besprechung anderer Fragen, die Gewerkvereine
verschuldeten den Rückgang der englischen Industrie, indem sie durch
systematische „restriction of output" die Produktion verteuerten
und konkurrenzunfähig machten. Aber man glaubte sich damit trösten
zu können, daß auch Deutschland und Amerika nicht dauernd von
diesen Uebeln verschont bleiben würden!) Dann wurden spezielle
Klagen über die Bauhandwerker geäußert; das Bauen werde immer
langwieriger und kostspieliger, da die Arbeiter vorsätzlich alles in
die Länge zögen. Hiergegen wird von einem Architekten das Ein-
greifen der Gesetzgebung und die Androhung schwerer Strafen ver-
langt, da die bisherige Rechtsprechung nicht ausreiche?). Diese Aus-
führungen werden wieder von Benjamin Taylor unterstützt: die Trade
Unions seien einst geschaffen zum Schutze der Arbeiter gegen die
Uebergriffe des Kapitals, heute aber strebten sie ihrerseits danach,
sich die Kapitalisten zu unterwerfen: „it is Trade Unionism that
cripples us by enhancing the cost of production and by constantly
restricting the output‘).
Während es sich aber hier immer um vereinzelte Stimmen han-
delte, nahm es nun gegen Ende des Jahres 1901 die „Times“ in die
Hand, einen vollständigen Feldzug gegen die Gewerkvereine zu er-
öffnen. Unter dem Titel „The Crisis in British Industries" ließ sie
vom November 1901 bis zum Januar 1902 eine Reihe von 11 Ar-
tikeln erscheinen, die sich ausschließlich gegen die Trade Unions
richteten und in ganz England Aufsehen machten, denn seit langer
Zeit waren so starke Angriffe gegen die Arbeiterorganisationen nicht
erhoben worden. Die Artikel sind nur gezeichnet „from a correspon-
dent“, aber es ist jeder Zweifel ausgeschlossen, daß ihr Verfasser
eine den einflußreichen Unternehmerkreisen sehr nahe stehende und
von ihnen mit Nachrichten versehene Persönlichkeit ist.
Der Gewührsmann der „Times“ ist mit außerordentlichem Ge-
schick vorgegangen. Er gibt zunächst ohne weiteres zu, daß sich
1) Benjamin Taylor, The Decline of British Commerce. North American Review,
October 1900.
2) William Woodward, The British Workman and his competitors. Nineteenth
Century, März 1901.
3) Benjamin Taylor, How Trade Unionism affeets British Industries. North
American Review, August 1901.
444 Georg Brodnitz,
die Zahl der Arbeitsstreitigkeiten gewalttätigen Charakters in Eng-
land sehr gemindert habe. Man dürfe jedoch darauf nicht zu viel
Gewicht legen, denn dieser Fortschritt werde teilweise schon dadurch
aufgewogen, daß manche Industrien noch immer unter den Nach-
wirkungen früherer Kämpfe zu leiden hätten, während andere den
Frieden nur dadurch sich erkauft hätten, daß sie den Forderungen
der Arbeiter nachgegeben und die unvermeidlichen Mehrkosten der
Produktion auf die Konsumenten abgewälzt hätten. Schließlich aber
— und das sei das Schlimmste — habe man auch nur den Teufel
durch Beelzebub ausgetrieben. Denn wenn jetzt weniger Gewalt-
tätigkeiten vorkämen, so sei der Grund hierfür wesentlich auch darin
zu suchen, daß an Stelle des „neuen‘ (d. h. aggressiven) Unionismus
ein „neuerer“ getreten sei, der harmlos aussähe, aber wegen seiner
latenten Form viel gefährlicher sei; die Gewerkvereinler brächten
das Prinzip der restriction of output oder des Ca’ canny, wie sie
selbst zu sagen pflegten, systematisch zur Durchführung. Planmäßig
schränken sie — so behauptet der Korrespondent der „Times“ —
die Arbeitsleistung ein, während Arbeitsdauer und Ar-
beitslohn gleich bleiben. Auf diese Art können sie in Zukunft
jeden Streik vermeiden, da sie es nun selbst in der Hand haben,
wie viel sie für den Arbeitslohn leisten wollen. Werde hierdurch
schon die gesamte Industrie in ihrer Existenzfähigkeit bedroht, so
seien die politischen Folgen des Ca’ canny noch weit gefährlicher,
denn dieses System stelle sich dar als eine Vermengung der Ge-
werkvereinstheorien mit den Forderungen des extremen Sozialismus.
Man hoffe, durch Beschränkung der Arbeitsleistung den Unternehmer
zur Einstellung immer neuer Arbeiter zn zwingen, und nachdem man
alle Arbeitslosen untergebracht habe, werde man selbst den Betrieb
in die Hand nehmen. Das sei das Ziel, dem die sozialistischen
Führer mit Hülfe der Gewerkvereine zustrebten.
Der Verfasser bringt nun gleich im ersten Artikel Beweise für
die Herrschaft des Ca'canny. Er beschäftigt sich zunächst mit dem
Baugewerbe und zeigt, wie dieses unter den geringen Leistungen der
Maurer zu leiden habe. Daran schließen sich dann im folgenden
Schilderungen aus allen wichtigeren Industrien Englands vom Schiffs-
und Maschinenbau bis zur Möbelfabrikation und Goldschlägerei.
Ueberall nichts als beschränkte Leistung, Widerstand gegen die Ein-
führung neuer Maschinen, Terrorismus gegenüber den Arbeitgebern
und den nicht unierten Arbeitern. Der Schlußartikel „The Board of
Trade and its Labour Department“ nimmt dann eine besondere
Stellung ein, indem er sich nicht mehr gegen die Gewerkvereine.
sondern gegen die Regierung richtet. Es ist bekannt, daß diese
verdienstvolle Führer und Verteidiger der Gewerkvereinsbewegung
im Handelsministerium und im Arbeitsamt angestellt hat. Diese
werden nun, teilweise unter Namensnennung, scharf angegriffen und
der Regierung der Vorwurf gemacht, daß sie sich der Trade Unions
in unzulässiger Weise zum Nachrichtendienste bediene, daher auch
ein unzuverlässiges Bild selbst erhalte und in den amtlichen Ver-
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 445
öffentlichungen weiter verbreite. Mit dem Verlangen, das Labour
Department umzugestalten in ein Industrial Intelligence Department
schließt der Verfasser seine Ausführungen.
Dieselben haben natürlich lebhafte Erörterungen in der eng-
lischen und amerikanischen Presse zur Folge gehabt. Freunde und
Gegner der Gewerkvereine haben prüfend oder ergänzend zu ihnen
Stellung genommen. In eigenartiger Weise wurde das Vorgehen der
„Times“ aber in Deutschland aufgenommen. Während man, wie er-
wähnt, den vorangehenden, überaus wichtigen Gerichtsentscheidungen
kaum Beachtung geschenkt hatte, sprach man nun diesen Artikeln
außerordentliche Bedeutung zu. Ohne sie eingehender zu prüfen,
ohne zu fragen, was sie veranlaßt habe und welchem Zwecke sie
dienen, nahm man sie als vollgültigen Beweis der Schädlichkeit der
ganzen Gewerkvereinsbewegung; ihre Theorien verglich man mit
geistigen Bacillen, Sporen und Pilzen, gegen die es keine Absper-
rungs- und Abtötungsmittel gäbe: „gegen die Gefahren, die sie mit
sich führen, schützt nur die Erkenntnis ihrer Schädlichkeit, und um
diese zu erwerben, bedarf es vor allem der Kenntnis der Tatsachen
und der denselben zu Grunde liegenden Ursachen und Motive* !).
Diese Kenntnis glaubte man durch Verbreitung der englischen An-
klagen fördern zu müssen, und wenn man auch zugab, daß sie wohl
kaum unparteilich seien, meinte man doch, auf Grund derselben eine
„vernunftgemäße Beschränkung des Koalitionsrechtes* fordern zu
können ?).
Auch wir werden hier keine Prüfung der Einzelheiten jener
Artikel vornehmen. Wollte man diese in zuverlässiger Weise durch-
führen, so müßte man dem Vorgange der amerikanischen Regierung
folgen, die Professor J. H. Gray speziell zur Untersuchung der
Frage nach England entsandte, inwieweit dort eine restrietion of
output auf seiten der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber festzu-
stellen sei?). Wir wollen nur den Geist, in dem jene Anklagen ver-
1) von Brandt, Die Krisis in der englischen Industrie. Zeitschrift für Sozial-
wissenschaft, 1902, 8. 153.
2) von Reiswitz, Ca ’canny (Nur immer hübsch langsam!) Ein Kapitel aus der
modernen Gewerkschaftspolitik. Berlin 1902, S. 4 und 87 ff.
3) Nach der „Frankfurter Zeitung“ vom 13. August 1902 hat auch in Sachsen im
Auftrage der amerikanischen Regierung eine Umfrage über etwa zu Tage getretene Nach-
teile der Gewerkvereinsbewegung stattgefunden. Man wird gut tun, die Berichte über
diese Erhebungen abzuwarten. Zur Orientierung über die Frage des Ca’canny sei hier
die hierüber bereits vorhandene Literatur zusammengestellt. Die Aufsätze von Brandts
sind schon erwähnt, ebenso die Schrift von v. Reiswitz, die im wesentlichen nur eine
Vebersetzung aus der „Times“ enthält (vgl. hierzu Weinhausen in der nationalsozinlen
„Zeit“ vom 9. Oktober 1902 und Legien in der „Neuen Zeit“ vom 4. Oktober 1902);
ferner Nótzel in der „Gegenwart“ vom 14. und 21. Februar 1903. Aus der englischen
Literatur seien vor allem die Erörterungen in der „Times“ selbst hervorgehoben, die
sich an ihre Angriffe während der Zeit vom November 1901 bis März 1902 an-
schlossen; von Fachschriften das Monthly Journal der United Builders’ Labourers’ Union,
März 1902; sodann Clement Edwards, Do Trade Unions limit the output? Contempo-
rary Rev., Januar 1902; Hugh Bell, The crisis in British Industry. National Rev,
April 1902. Th. Good, A Defence of trade unionism. Westminster Rev., November
1902; sehlieBlich John Martin, Do Trade Unions limit Output? im amerikanischen
Political Science Quarterly, September 1902.
446 Georg Brodnitz,
faßt sind, beleuchten. Sie sind uns vor allem ein bedeutsames
Zeichen der gegenwärtigen Krisis des englischen Wirtschaftslebens,
und wir hoffen, den richtigen Zusammenhang klarstellen zu können.
Der Gewährsmann der „Times“ hat seinen Artikeln bezeichnender
Weise die Ueberschrift gegeben: The Crisis in British Industries.
Man muß diese zum Ausgangspunkt nehmen, wenn man die gegen-
wärtige Lage richtig beurteilen will. Die Umstände, welche die kri-
tische Situation der englischen Industrie herbeigeführt haben, sind
bekannt. Allerdings darf man von einer ,Krisis* hier nur cum grano
salis sprechen. Es handelt sich vorläufig nur darum, daß England
in seiner alles überwiegenden Monopolstellung im Welthandel be-
droht ist. Die auslündische Konkurrenz nimmt in einer Weise zu,
die auf die englischen Industriellen sehr beunruhigend wirkt. Die
Welt ist heute nicht mehr auf England allein angewiesen, im Gegen-
teil, sie findet bei seinen Konkurrenten mehr Entgegenkommen. Der
britische Kaufmann hält an seiner Sprache, seinem Maß- und Ge-
wichtssystem fest, er vermag nicht einzusehen, daß er heute seine
Kunden aufsuchen und sich ihren Wünschen anpassen muß, wenn er
nicht ins Hintertreffen geraten will. Die Jahrzehnte hindurch un-
angefochten behauptete Stellung auf dem Weltmarkt hat etwas ein-
schläfernd auf den englischen Gewerbefleiß eingewirkt. Einsichtige
Beurteiler klagen darüber, daß man sich noch immer nicht dazu auf-
raffen kann, alle Vorteile der modernen Technik sich zu nutze zu
machen, um mit Deutschland und Amerika gleichen Schritt halten
zu können. Zahlreiche Beispiele liefern den Beweis, daß die englische
Industrie vielfach gerade durch die rückständige Politik der Unter-
nehmer in diesen Fragen geschädigt wird !).
Die Nachlässigkeit der Arbeitgeber, ihr schlechtes Beispiel konnte
natürlich nicht anspornend auf die Arbeiter einwirken. „Man wird
nicht irre gehen“, schreibt ein Gegner der Gewerkvereine, „wenn
man annimmt, daß der Ca'eannysm der Arbeiter in einem gewissen
Sichgehenlassen der Arbeitgeber, was wir Loddrigkeit nennen würden,
eine bedenkliche Unterstützung gefunden hat“ ?). Mehr noch aber
haben andere Umstände dahin geführt, die Arbeiter an der vollen
Anspannung ihrer Kräfte zu hindern. Es zeigt sich dabei eine ganz
ähnliche Erscheinung, wie bei den Arbeitgebern. Hatten diese
sich in den günstigen Zeiten nach außen eine gesicherte Stellung
erworben, auf die sie pochten, so hatten die Arbeitnehmer durch
1) So berichtet jüngst die „Times“ selbst (weckly ed. 6. Februar 1903: Machinery
in the Boot Trade) von der tadelnswerten Praxis der Maschinenfabrikanten in Leicester,
neuerfundene Maschinen nicht zu verkaufen, sondern nur gegen sehr hohen Zins zu ver-
mieten. Zugleich werden die Stiefelfabriken gezwungen, ihre sämtlichen Zuschneide-,
Näh- und anderen Maschinen von einem Fabrikanten zu beziehen, da selbst die Miete
nicht gestattet wird, falls Maschinen anderen Ursprungs gleichzeitig daneben benutzt
werden. Es liegt auf der Hand, daß es hierdurch der Stiefelindustrie unmöglich ge-
macht wird, für die einzelnen Prozesse jeweils die neuesten und besten Maschinen zu
benutzen, so daß sie mit der zunehmenden amerikanischen Konkurrenz nicht Schritt
halten kann.
2) von Brandt, a. a. O. S. 421,
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 447
ihre großen Organisationen das Gleiche für sich im Inneren erreicht.
Im Gefühl des starken Rückhalts, den diese gewährten, wurden sie
oft zu einer unrichtigen Politik verleitet und oft genug mag der
Einzelne in diesem Bewußtsein weniger fleißig gearbeitet haben,
als ein nicht organisierter Arbeiter. Dieser Mangel an Strebsamkeit
machte sich dem großen Publikum namentlich durch das Vordringen
der Gewerkvereine unter den Handwerkern des täglichen Lebens
fühlbar. So verläßt ein Tapezier, der eine ganze Wohnung einrich-
tet, seine Arbeit mit dem Glockenschlage 6 und verschiebt die Be-
festigung von einem oder zwei Bildern, die allein noch übrig sind,
auf den nächsten Tag, um nur ja die festgesetzte Arbeitszeit nicht
zu überschreiten. Oder — um einen anderen uns berichteten Fall
anzuführen — ein Gasarbeiter, der längere Zeit in einer Wohnung
gearbeitet hat, weigert sich, eine kleine Reparatur an der Wasser-
leitung, die er sehr wohl besorgen könnte, vorzunehmen, weil das
Sache des Rohrlegers sei.
Weit schlimmere Folgen hat eine derartige Einhaltung der
„demarcation of labour“ natürlich für die Industrie. Ist es beispiels-
weise doch auf den Schiffswerften am Tyne hierüber zu einem hef-
tigen Streite zwischen den Schiffszimmermeistern (Shipwrights) und
den übrigen Zimmerleuten (Joiners) gekommen, und als ein Schieds-
gericht unter Thomas Burt, selbst einem der angesehensten Arbeiter-
führer, zu Gunsten der Shipwrights entschied, unterwarfen sich die
Zimmerleute nicht, sondern begannen einen mehrmonatlichen Streik,
so daß die Werkstätten still stehen mußten, ohne daß die Unter-
nelımer es verhindern konnten.
Ein gutes Beispiel einer verkehrten Gewerkvereinspolitik gibt
auch die ,Times* in dem ersten ihrer Artikel, das deshalb auch
geschickter Weise so vorangestellt wird. Es heißt dort, durchschnitt-
lich habe ein Maurer vor 30 Jahren 1200 Steine täglich gelegt, vor
20 Jahren immer noch 1000, jetzt aber sei der Satz infolge der
„go-easy“-Politik auf 400 heruntergegangen. Aber auch diese Leistung
werde nur bei Privatbauten erreicht. Bei öffentlichen Gebäuden,
namentlich für Londoner Behórden, werde lange nicht so viel er-
zielt: in einem Falle seien durchschnittlich nur 70 Steine (!?) tüg-
lich gelegt worden. Die „Times“ glaubte auch ein Statut eines Bau-
gewerkvereins entdeckt zu haben, das ausdrücklich ein solches System
beschrünkter Arbeitsleistung vorschreibe; es stellte sich jedoch her-
aus, daß es sich hierbei um das Statut einer seit 33 Jahren aufge-
lósten Trade Union in Bradford handle, das man bereits 1867 der
damals tagenden Gewerkvereinskommission als Beweis der allgemeinen
Schädlichkeit der Arbeiterorganisationen vorgelegt hatte. Aehnliche
Mißgeschicke sind der „Times“ auch sonst noch widerfahren !), und
1) Vergl. besonders Clement Edwards in der Contemporary Rev., Januar 1902,
der verschiedene Punkte als vollkommen unrichtig erweist. Einzelne Klagen der
„Times“ charakterisieren sich von selbst, z. B. die Entrüstung über die verkürzten
Dienststunden der Eisenbahner, die nun in ihren Mußestunden etwas Schuhmacherei
nebenbei betreiben und so den Berufsschustern „das Brot vor dem Mund wegschnappen“.
448 Georg Brodnitz,
selbst der Bericht über das Baugewerbe ist nicht frei von Ueber-
treibungen.
Gegen ihn ist nicht nur von 16 Gewerkvereinen, sondern auch
von S. und B. Webb Protest erhoben worden. Die Sekretäre der
angegriffenen Trade Unions bestritten uns gegenüber vollständig alle
erhobenen Anschuldigungen. Nur einer meinte, man arbeite heute
weniger, da man eben kein „weißer Sklave“ sei. Eine absonder-
liche Begründung der geringeren Leistungen wurde auch bei einer
Diskussion hierüber in der Londoner Toynbee Hall geäußert, indem
dem Mangel an künstlerischen Entwürfen die Schuld beigemessen
wurde; es sei eben bei der gleichmäßigen Wiederholung immer der-
selben häßlichen Bauten die Liebe zur Arbeit und die tatsächliche
Leistung zurückgegangen. Man erkennt hierin leicht mißverständ-
liche und mißverstandene Lehren John Ruskins.
Unbefangene Fachleute bestätigten "uns, daß die Klagen über
Rückgang der Leistungsfühigkeit im Baugewerbe berechtigt seien,
auch wenn man nicht gerade an die 70 Steine und an ungeschrie-
bene go-easy-Regeln glaube. Man muß aber erwägen, daß gerade
in diesem Gewerbe (wie in der Baumwollindustrie) das ,driving* und
die Beschäftigung von „bell-horses“ sehr beliebt war. Deshalb sind
die Klagen über die Maurer schon historisch. Vor 30 Jahren hob
Brentano !) bereits das Ungehórige ihrer Gewerkvereinspolitik her-
vor; es war den Mitgliedern ausdrücklich verboten, bei ihren Wegen
schnell zu gehen: man beschränkte die Zahl der Ziegel, die ein
Gehülfe auf einmal tragen durfte und verlangte, daß sie auch wirk-
lich getragen und nicht etwa in größerer Zahl auf Karren ge-
schoben würden. Also schon in jener Zeit Ca’ canny!
Gerade von deutscher Seite ist ja auch schon wiederholt darauf
hingewiesen worden, daß die englischen Gewerkvereine in ihren Forde-
rungen in Bezug auf Beschränkung der Arbeitszeit vielfach zu weit
gegangen sind und einen den allgemeinen Interessen schädlichen
Weg betreten haben. Nicht minder mag in einzelnen Fällen ihr
Widerstand gegen die Einführung neuer Maschinen unbegründet
gewesen sein, obgleich auch die Unternehmer hierbei nicht immer
schuldlos waren, indem sie die Arbeiter nicht, wie in der amerika-
nischen Industrie, an dem erhöhten ökonomischen Erfolg partizipieren
lassen wollten ?).
Sicherlich haben die englischen Unternehmer mancherlei Anlaß
zu Klagen über ihre Arbeiter, aber die vorhandenen Uebelstände
sind keineswegs neu. Selbst der aggressive Unionismus bestand
schon zur Zeit der Royal Commission on Labour, die sich trotzdem
zu Gunsten der Gewerkvereine aussprach. Nicht die Fehler der
1) Arbeitergilden der Gegenwart Bd. 2, S. 46, 69.
2) Klagen hierüber werden jedoch auch in Amerika laut. Vergl. „Restriction of
output in Amerien“, in der „Times“, weekly ed. 19. Dezember 1902. Es heißt hier
ausdrücklich: The restriction of output caused by a deliberate adoption of the ,,ca' canny“
principle with the idea of making work for a greater number of men is scarcely heard
of in Amerika.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 449
Trade Unions haben seither zugenommen, sondern ihr Einfluß, und
diese Tatsache in Verbindung mit der kritischen Gesamtlage hat zu
den jetzigen Angriffen geführt.
Es muß doch jedem unbefangenen Leser auffallen, daß man sie
mit der Behauptung eröffnete, England sei auf dem besten Wege,
durch die neueste Gewerkvereinspolitik dem Sozialismus ausgeliefert
zu werden. Nun ist ja allerdings die Stellung der Trade Unions
zum Sozialismus eine Zeit lang strittig gewesen. Als ihr Kongreß
vor 10 Jahren zum ersten Male eine sozialistische Resolution annahm,
meinte man vielfach, sie seien mit Pauken und Trompeten ins
sozialistische Lager übergegangen. Aber die seitherige Entwickelung
hat doch gezeigt, daß die Bemühungen, die Gewerkvereine ernstlich
für die sozialistische Bewegung zu interessieren, ohne Erfolg bleiben.
„Darüber kann kein Zweifel sein: Die Gewerkvereinler nehmen So-
zialisten gern zu Verbündeten, zu Führern, zu Anregern. Allein
wenn es zur Annahme ihrer Grundsätze, ihres Programms kommt,
sind sie, wie „Justice“ klagt, zu zaghaft, das „Vorurteil“ macht sich
zu stark geltend“!). Haben nicht gerade sozialistische Führer, wie
Hyndman, Engels und Bernstein, es offen ausgesprochen, daß ihre
Theorien gegenüber den englischen Arbeiterorganisationen versagten ?
Und hat nicht der „Vorwärts“ nach der ablehnenden Haltung des
Gewerkvereinskongresses zu. Swansea im Jahre 1901 von seinem
Standpunkte aus der ganzen englischen Arbeiterbewegung die Toten-
glocken läuten zu müssen geglaubt?
e Nun erwäge man noch, daß obendrein die Idee des Ca’canny,
mit dessen Hülfe die verbündeten Sozialisten und Gewerkvereinler
nach der Behauptung der „Times“ ihre Herrschaft begründen wollen,
von einem entschiedenen Gegner des Sozialismus herrührt! Denn
der Plan, systematisch die Arbeitsleistung zu beschränken, wurde
zuerst 1889 während des großen Dockausstandes von Richard Mc Ghee
entwickelt, einem reichen Kaufmann, der sich für sozialpolitische
Fragen, jedoch in ausgesprochen antisozialistischem Sinne, interessierte
und von der National Dock Labourers’ Union zum Ehrenpräsidenten
ernannt wurde. Er meinte, durch restriction of output die Bezahlung
der Arbeit dem Gesetz von Angebot und Nachfrage entziehen zu
können, indem die Regulierung allein den Arbeitern zufallen würde.
Einen Erfolg hat er mit seinen Anregungen in keiner Weise gehabt ?).
Das alles dürfte doch dem Gewährsmanne der „Times“ auch
bekannt gewesen sein, und trotzdem stellte er jene Behauptungen
auf? Dieser Widerspruch wurde erst gelöst durch eine zweite Artikel-
serie, die er bald darauf unter dem Titel „Municipal Socialism“ er-
scheinen ließ. Sie ist von seinen deutschen Anhängern gänzlich un-
berücksichtigt geblieben, obgleich erst durch sie jene ersten Artikel
in das richtige Licht gestellt wurden. Jetzt erst wurde es klar,
1) H. W. Wolff, Die sozialistische Bewegung in England. Jahrb. f. Nat., 1901,
8. 363.
2) Clement Edwards, a. a. O.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 29
450 Georg Brodnitz,
weshalb er dort gerade den Londoner Grafschaftsrat als den schwersten
Stein des Anstoßes bezeichnet und was er mit seiner Drohung von
der kommenden Sozialistenherrschaft gemeint hatte.
Man muß sich erinnern, daß seit der Reform der Selbstver-
waltungsbehörden die Arbeiter einen großen Einfluß in allen Kom-
munalangelegenheiten erlangt haben. So wußten sie die Aufnahme
der „fair wages“-Klausel in die Verträge der städtischen Behörden
durchzusetzen und damit die Unternehmer zur Anerkennung der
Trade Unions-Forderungen zu zwingen. Aber sie gingen noch weiter,
sie begannen obendrein den Unternehmern, die schon von der aus-
ländischen Konkurrenz bedrängt waren, auch manche der ertrag-
reichsten Gebiete im Inneren durch ,Municipalisierung* von Elektri-
zitäts- und Gaswerken, von Pferdebahnen etc. zn versperren.
Dieses Zusammentreffen äußerer und innerer Schwierigkeiten
erbitterte die englischen Unternehmer derart, daß sie durch den
Gewährsmann der „Times“ rund heraus erklären, „that the well-being
of British local government, the vigorous assaults by foreign rivals
on our industrial and commercial position and the best interests of
the nation at large all lend emphasis to the demand, that carte
blanche should not be given to socialists, semi-socialists, trade-
unionists, political agitators and faddists of all deseriptions“. Hier
ist es nun endlich offen ausgesprochen, welches die Gründe und
welches das Endziel der ganzen Angriffe: hervorgerufen sind sie
durch das gleichzeitige Wachsen einerseits der ausländischen Kon-
kurrenz, andererseits des Einflusses der Trade Unions; ihr Ziel ist,
da man die ausländische Konkurrenz erfolgreich nicht zu unterdrücken
vermochte, wenigstens die Macht der Gewerkvereine zu brechen.
Mit anderen Worten: die Anklagen sind nichts als cine neue Form
der atomistischen Reaktion, und ihre letzte Ursache ist nicht im
Verhalten der Gewerkvereine, sondern vor allem in der Machtlosigkeit
gegenüber den Erfolgen der ausländischen Industrie zu suchen.
Es ist kein Zufall, daß diese Angriffe zusammenfallen mit der
ungleich wichtigeren Veränderung der rechtlichen Situation der Ge-
werkvereine. Hier hatte man einen großen Erfolg errungen. Nun
galt es, weiterhin ihren sozialen und wirtschaftlichen Einfluß zu
brechen !).
Ein ähnliches Verfahren hat man in England schon einmal an-
gewandt: 1867 erklärte der Lordoberrichter Cockburne, der 1851 ein
Gutachten zu Gunsten der Gesetzlichkeit der Trade Unions erstattet
hatte, die Gewerkvereine nur für ein Hemmnis der Industrie, für
unerlaubt und dadurch für unfähig, Eigentum zu erwerben. Und
kaum war diese Verschlechterung der rechtlichen Lage eingetreten,
1) Es ist daher irrig, wenn man das Vorgehen der „Times“ als eine Folge der
nenen Gerichtsentscheidungen ansieht: man habe die Gewerkvereine diskreditieren wollen,
damit sie nicht etwa bei den nächsten Parlamentswahlen sich eine einfluBreichere Ver-
tretung verschaffen und eine neue Gesetzgebung herbeiführen könnten. (Vergl. Legien,
Neueste Scharfmacherpraktiken, in der „Neuen Zeit“ vom 4. Oktober 1902.) Der Zu-
sammenhang ist richtig erkannt, jedoch die gemeinsame letzte Ursache übersehen.
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 451
als, ganz wie gegenwärtig, die „Times“ mit ihren Anschuldigungen
gegen die Arbeiterorganisationen hervortrat und ihnen die Sheffielder
Verbrechen in die Schuhe zu schieben suchte. Eine Parallele zwischen
damals und heute zu ziehen liegt wohl nahe.
Einzelne Vertreter der Unternehmerinteressen sind seither noch
weiter gegangen. Sie fordern die Arbeitgeber geradezu zum offenen
Kampfe gegen die Arbeitervereine auf: „Wir müssen die Unions zer-
schmettern*, lehrt einer von ihnen !). „Wenn wir das erreicht haben,
wird es keine Arbeitsstreitigkeiten mehr geben. Wären die Arbeit-
geber Herren im Hause, so würden Maschinen und Arbeitsmethoden
weit schneller verbessert werden, die Produktion wäre größer und
billiger, der Unternehmergewinn größer und die Löhne höher. Alle
die absurden Produktionsbeschränkungen wären beseitigt und Groß-
britannien könnte wieder unter den gleichen Bedingungen wie alle
übrigen auf dem Weltmarkte konkurrieren.“
Es kann natürlich nicht fehlen, daß auch die englischen Gewerk-
vereinler die eigentliche Ursache des gegen sie geführten Kampfes
suchen, und auch bei ihnen bricht sich die Erkenntnis Bahn, worum
es sich in Wahrheit handelt.
Sie fühlen, daß die schwierige Lage der Industriellen selbst
sie zum Kampfe geführt hat und daß nur deren Besserung den
Frieden wieder herstellen kann. Zum Beweis sei hier der Jahres-
bericht des Gewerkvereins der Buchdruckergehilfen angeführt ?).
Der Sekretär, den wir als einsichtigen Mann kennen lernten, führt
dort aus, die „Times“ schiebe die Krisis der englischen Industrie zu
Unrecht den Trade Unions in die Schuhe: „Ich behaupte vielmehr,
daß diese Krisis die Folge des sich immer nachteiliger fühlbar
machenden Einflusses der Entwickelung fremder Konkurrenz ist, die
gleichmäßig von den ausländischen Regierungen wie von unserem
falschen Finanzsystem unterstützt wird. Man nennt dieses irrtüm-
lich ,Freihandel*, tatsächlich ist es weiter nichts als freie Konkurrenz
des gesamten Auslandes auf allen Gebieten der Industrie, ohne
Schutz oder Erschwerung irgendwelcher Art. Der ausländische
Industrielle und seine Arbeiter verdrängen so eine gewisse Menge
heimischer Ware und heimischer Arbeit. Das nötigt den englischen
Arbeitgeber, wenn er konkurrenzfähig bleiben will, zu Lohnreduk-
tionen und führt zu Streitigkeiten mit den Arbeitern, da man sich
der wahren Sachlage nicht bewußt wird. Wir können das Auslanıl
nicht tadeln, daß es durch unsere offenen Türen eindringt. Wir
sehen die einzige Hilfe dagegen in einem Hand-in-Hand-Gehen von
Kapital und Arbeit, um Reziprozität im Verkehr mit dem Ausland
zu erlangen. Wir brauchen einen das ganze britische Reich um-
fassenden Vorzugstarif.
Unter einem vernünftigen Schutzzollsystem werden wir Arbeiter
1) T. S. Cree, Business Men and Modern Economies, Glasgow 1903, p. 26.
2) Operative Printers Assistants’ Society. Twelfth Annual Report for the year
ending December 28th, 1901, p. 12.
29%
452 Georg Brodnitz,
zwar eine geringe Prämie zahlen müssen, aber dafür werden wir
größere Rentabilität für die Unternehmer und dadurch wieder höhere
bóhne für uns erzielen. Das wird zum erheblichen Teil den Anlaß
aller Arbeitsstreitigkeiten beseitigen“ !).
Und in diesem Ideengang trifft der Gewerkvereinssekretär be-
reits mit Vertretern der Großindustrie zusammen. „Hören Sie doch
endlich auf, unsere Arbeiter und ihre Vereine aller möglichen Ver-
fehlungen zu bezichtigen, zu denen nichts anderes als unser Wirt-
schaftssystem sie zwingt!“ ruft ein Industrieller seinen Konkurrenten
zu und knüpft daran eine leidenschaftliche Anklage der vernichtenden
Wirkungen des Freihandels: er mache die Industrie unrentabel, er
mache die Unternehmer nervös, er verhindere die genügende Aus-
bildung der Arbeiter — und für all das wolle man die Trade Unions
verantwortlich machen, denen man das beste Zeugnis ausstellen
könne ?).
Das Dogma vom Freihandel ist in England längst erschüttert.
Ueber die Forderungen, die einst Howard Vincent aufstellte, ist man
erheblich hinausgegangen. Niemand wunderte sich mehr, als am
13. Februar 1902 David Mc Iver im Unterhause beantragte, die Ein-
kommensteuer sogleich auf die Hälfte herabzusetzen und dafür Wert-
zölle von 5 Proz., für Fabrikate von 10 Proz. einzuführen. Gewiß
war dies nur die Aeußerung einer unmaßgeblichen Stelle, aber man
kann doch annehmen, daß auch die Regierung mit den Getreide-
zöllen einen vorsichtigen Versuch machen wollte. Darin wird man
bestärkt durch die jüngsten Aeußerungen des Ackerbauministers in
der Landwirtschaftskammer zu Leicester am 10. Januar 1903. Der
„Standard“ berichtet über seine Ausführungen: „Was Einfuhrzölle
anlangt, gehöre er nicht zu denen, die Unmögliches verlangen, und
jede Art eines Schutzzollsystems gehöre hierzu. Das würde ihnen
(den Landwirten) keine Partei und keine Regierung zur Zeit be-
willigen. Wenn das Verlangen nach Schutzzöllen jemals Aussicht
auf Erfolg haben wolle, müsse es von den großen Industriezentren aus-
gehen, und dort könne es sich wohl früher erheben, als Viele heute
noch glauben (Beifall). Sie hätten jetzt gesehen, daß die Kornzölle,
die Hunderttausende einbrachten, die Konsumenten nicht mit einem
Pfennig belasteten. Die Brotpreise seinen nicht gestiegen, und es
wäre danach ein interessanter Versuch, wie weit man die fremde
Einfuhr überhaupt in dieser Weise zahlen lassen könne, ohne die
Konsumenten zu schädigen. Er halte die Kornzölle für einen prak-
tischen Versuch auf diesem Gebiete“ 3).
1) Aehnlich, wenigstens in Bezug auf Amerika, spricht sich der 165. Vierteljahrs-
bericht der Amalgamated Society of Boot and Shoe Makers vom 14. Januar 1901,
S. 5, aus.
2) G. Byng, Protection. The Views of a Manufacturer. London, Eyre and Spottis-
woode, 1901; besonders p. 174—178 und 247.
3) Ganz ähnlich hat sich der Parlamentssekretär im Handelsamt Bonar Law am
22. Januar 1903 in Glasgow geäußert. Vergl. „Standard“ vom 11. und 23. Januar 1903.
Ueber die schutzzöllnerischen Wünsche agrarischer Kreise unterrichtet eingehend Ridder
lMaggard: Rural England, London 1902,
Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung. 453
Nun, die großen Industriezentren haben schon angefangen, ihre
Wünsche zu äußern !), und wenn sie in ihrem „cry of protection“
erst durch die Arbeiterstimmen unterstützt werden, sollte dann nicht
der Moment gekommen sein, auf den der Minister hinweist? Fehlt
es doch auch nicht an anderen Symptomen, die auf einen gewissen
Wandel der bisherigen Anschauungen schließen lassen. Erinnert sei
hier nur an die Erörterungen aus Anlaß der Brüsseler Konferenz,
insbesondere an die Auseinandersetzung Yves Guyots mit dem
Sekretär des Cobdenklubs. Ferner tagen gegenwärtig zwei Kommis-
sionen, deren eine über Maßregeln zum Schutze der englischen
Kohlenschätze beraten soll, während die andere sich mit der Ein-
wanderungsfrage beschäftigt. Dieser wurde unlängst von einem
Londoner Polizeibeamten ein vollständiger Gesetzentwurf vorgelegt
zum Zwecke der Fernhaltung von „undesirable aliens“, die augen-
blicklich in manchen Zeitungen eine ständige Rubrik bilden.
Uns will scheinen, daß es richtiger ist, diese Symptome schon jetzt
aufmerksam zu verfolgen, statt auf Grund der englischen Verhältnisse
eine „vernunftgemäße Einschränkung des Koalitionsrechtes* zu ver-
langen. Zumal der gegenwärtige Augenblick scheint wenig hierzu
geeignet, in dem man darangeht, die Untersuchungen über die Unter-
nehmerverbände zu veranstalten — wenn wir auch nicht in den Arbeiter-
organisationen das alleinige Hilfsmittel gegen deren Uebergriffe
zu sehen vermögen ?).
Es scheint keineswegs ausgeschlossen, daß es in England zu
einem Bündnis zwischen der herrschenden Partei und den Arbeitern
kommt, wenn erst die südafrikanischen Angelegenheiten mit allen
ihren Folgen zur Ruhe gekommen sind, und daß dann den Arbeiter-
organisationen für die Unterstützung der neuen Wirtschaftspolitik die
Wiederherstellung ihrer früheren Rechte gewährt wird.
Allerdings haben sie bisher nur bei den Liberalen Entgegen-
kommen für ihre Wünsche gefunden. Gerade in der jüngsten Zeit
haben Lord Tweedmonth und Asquith, der schon am 14. Mai 1902
im Parlament für die Unions eingetreten war, die Revision des Ge-
werkvereinsrechts für einen liberalen Programmpunkt erklärt). Die
liberale Partei hat auch am 1. April 1903 den Antrag des Arbeiter-
1) Vergl. die oben erwähnte Schrift G. Byngs, sowie dessen „Fiscal Problems of
To-Day" in der Fortnightly Rev., September 1902.
2) So hatte Kulemann dem 26. Deutschen Juristentag (Berlin 1902) Leitsätze über
die Kartellfrage vorgelegt, deren 5. lautet: Die bisher zur Bekämpfung der Kartelle
vorgeschlagenen Mittel des Zivilrechts, des Strafrechts und des Verwaltungsrechts sind
nicht allein praktisch unausführbar, sondern aueh unberechtigt. da sie grundsätzlich die
Unterdrückung oder wenigstens die möglichste Beschränkung des Kartellwesens be-
zwecken. An Stelle dieser auf den unmittelbaren Eingriff der Staatsgewalt abzielenden
mechanischen Mittel ist vielmehr eine auf Erhaltung des wirtschaftlichen Gleich-
gewichts gerichtete und auf die Eigenkraft der Beteiligten gestützte organische Rege-
lung zu empfehlen, die in der Begünstigung der gewerkschaftlichen Bestrebungen der
Arbeiter, insbesondere soweit sie auf Erhöhung des Arbeitslohnes gerichtet sind, zu schen
ist. Die gesteigerte Kaufkraft der Arbeiterklasse wird zugleich dem gewerblichen Mittel-
stande und der Landwirtschaft zu gute kommen.
3) Bei dem Festessen des „Eighty Club“ am 6, Februar 1903,
454 Georg Brodnitz, Die Krisis der englischen Arbeiterbewegung.
vertreters Crooks, die Regierung solle die Wahlunkosten aus Staats-
mitteln bestreiten und den Abgeordneten Diäten bewilligen, um eine
entsprechend starke Arbeitervertretung zu ermöglichen, im Unter-
hause unterstützt, und gedenkt aus politischen Gründen in der
nächsten Zeit die oben erwähnten Vorgänge in Penrhyn zu einer
parlamentarischen Aktion zu benutzen. Aber die Arbeiter werden
sich trotzdem schwerlich der zersplitterten und führerlosen Partei
anschließen, um ihr zum Siege zu verhelfen und durch sie ihre
Zwecke zu erreichen. Natürlich werden diese Fragen erst in Zu-
kunft zu entscheiden sein. Vorläufig steht nur fest, daß sich die
Arbeiter am nächsten Wahlkampf sehr energisch beteiligen und tun-
lichst zahlreiche eigene Vertreter aufstellen, die übrigen Kandidaten
aber eingehend auf ihre Stellungnahme zur Reform der Gesetzgebung
prüfen werden. Man hat in den Kreisen der deutschen Sozial-
demokratie daraus schon den Schluß ziehen wollen, daß es im näch-
sten Parlament zur Bildung einer eigenen Arbeiterpartei kommen
werde, deren Führung Sozialisten übernehmen würden !). Aber das
Labour Representation Committee hat ausdrücklich trotz aller Zu-
sammenarbeit mit sozialistischen Organisationen die von ihnen ein-
gehrachten Resolutionen und den Antrag auf Bildung einer selb-
ständigen Partei abgelehnt. Die weitere Stellungnahme zu den großen
Parteien bleibt daher abzuwarten. Doch sei daran erinnert, daß auch
bei den Wahlen von 1874, als es sich für die Arbeiter ebenfalls um
eine Aenderung der Streikgesetzgebung handelte, die dann 1875 zur
Durehführung kam, der Sieg der Konservativen durch die Unter-
stützung der Arbeiter errungen wurde.
Während man bei uns die englischen Vorgänge in einer Weise
verwertet, die kaum zur Förderung des „sozialen Friedens“ bei-
tragen kann, bricht sich jenseits des Kanals seither die Ueberzeugung
doch wieder Bahn. daß Kapital und Arbeit bei friedlichem Zusammen-
wirken beide am besten fahren. Man erkannte, daß das „Wake up“
des englischen Thronfolgers allen Kreisen gelte. Ein wichtiges
Zeichen hierfür ist die Reise, die Mr. Mosely wesentlich auf seine
Kosten mit Vertretern der bedeutendsten Gewerkvereine nach den
Vereinigten Staaten unternommen hat, um gemeinschaftlich mit ihnen
zu untersuchen, was man von den Vettern jenseits des Ozeans lernen
könne. Und auch die „Times“, auf die man sich hei uns stützt, ist
unlängst zu dem Schlusse gekommen 2): „Arbeitnehmer und Arbeit-
geber in England haben in gleicher Weise zu lernen, daß „die gute
alte Zeit“ für sie vorbei ist und kaum jemals wiederkehren wird*.
Das ist der Kernpunkt und die Ursache der gegenwärtigen Krisis.
1) M. Beer in der „Neuen Zeit“ vom 20. September 1902,
2) Leitartikel am 27. Dezember 1902.
Ernst Pistor, Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 455
Nachdruck verboten.
IX.
Ein Beitrag zur Psychologie des amerika-
nischen Arbeiters').
Von
Ernst Pistor, Gr. hess. Regierungsassessor,
Durch den starken Aufschwung, den die Industrie des Landes
in den letzten Jahren erhalten, ist die Arbeiterbewegung ungemein
gefördert worden. Der Arbeiter sah die großen Gewinne, die die
Industrie abwarf und glaubte die Zeit gekommen, sich einen Anteil
daran zu sichern. In seinem Zusammenschluß fand er von dritter
Seite keinen Widerspruch. Die Organisationen waren von dem
großen Publikum und damit von der Regierung anerkannt. Ja, die
Sympathie eines großen "Tee des Volkes neigte sich ihnen zu.
Die Gründe hierfür sind in der Abneigung zu finden, die der Durch-
schnitts-Amerikaner, soweit unbeeinflußt, gegen die gewaltigen Kapital-
zusammenlegungen hat, welche ihm als der Industrie und der Frei-
heit des Amerikaners in gleicher Weise gefährlich erscheinen. Auch
mag die Beschäftigung der Gebildeten mit der „sozialen Frage“ und
die damit erlangte Einsicht, daß eine Aufhaltung der Entwickelung
für Amerika verderblich werden könnte, sowie die Furcht vor revolu-
tionären Erscheinungen eben dahin gewirkt haben. So konnte die
Arbeiterbewegung ungehindert von Dritten ihre Kräfte sammeln und
gegen das Kapital führen. Die Folge dieser Anerkennung ist eine
im großen und ganzen bei allen Unvollkommenheiten gemäßigteRichtung `
1) Die amerikanische Literatur über die Arbeiterbewegung ist nicht reichhaltig.
Zur Charakterisierung des Arbeiters und der Arbeiterführer bietet sie wenig. Aber
gerade die persönlichen Eigenschaften der in Betracht kommenden sind für die Erklärung
der bestehenden Verhältnisse wichtig. Es füllt dies dem Ausländer, der einen Ver-
gleichungsmaßstab mitbringt, mehr auf, wie dem Amerikaner; daher die schwache Be-
tonung dieses Momentes in der amerikanischen Literatur. Um mir darüber Rechenschaft
geben zu können, habe ich monatelang mit Arbeitern zusammen gelebt und auch mit
ihnen gearbeitet. Die Beobachtungen, die ich dabei machen konnte, habe ich durch
den Verkehr mit Arbeiterführern, Professoren, Beamten und Industriellen zu ergänzen
gesucht. New York Ende 1902.
456 Ernst Pistor,
ihrer Bestrebungen. Sozialistische oder anarchistische Ideen finden
ex officio keine Vertretung in den Arbeitervereinen (Unions)!) und
sind auch als Privatansicht nur in den untersten Schichten zu finden.
Mr. Gompers, der Präsident der „American federation of labor“, der
größten Arbeiterorganisation in U.S.A., erklärte mir gegenüber, daß
er der Politik fernstehe. Und tatsächlich existiert keine Arbeiter-
partei, sondern nur eine republikanische und eine demokratische.
Sie beide buhlen um die Stimmen der Arbeiter. Wer gerade am
Ruder ist, der sucht sich die Gunst der Arbeiter und damit ihre
Stimmen zur nächsten Wahl zu erhalten, während die andere Partei
goldene Berge verspricht, um mit Hilfe der Arbeiterstimmen obenan
zu kommen. Eine Vertretung des Arbeiters im Kongreß als „Ar-
beiter* existiert nicht. Er wählt den Vertreter der einen oder anderen
Partei und fährt damit auch am besten, da sie ihn beide bei guter
Laune erhalten müssen.
Um ein Bild der Bewegung zu geben, móchte ich versuchen,
den amerikanischen Arbeiter zu zeichnen. Das Individuum bildet
das Material, aus dem der Geist des Landes in Wechselbeziehung
beeinflußt und beeinflussend seine Gebilde aufbaut. Wir werden da-
durch auf die Zusammensetzung der Arbeiterschaft geführt. Eine
Unterscheidung des Arbeiters nach verschiedenen Kategorien gemäß
seinen persönlichen Eigenschaften und seinem Verhältnisse zum Lande
ist dabei nicht zu umgehen. Es kann diese Unterscheidung nur als
eine oberflüchliche betrachtet werden und ist für jeden, der die Ver-
hültnisse aus eigenen Anschauungen kennt, überflüssig. Für jeden
anderen mag sie jedoch nützlich sein, da die Arbeiterschaft Amerikas
auf keinen Fall ein einheitliches Ganze bildet, sondern infolge der
Einwanderung eine ungleichmäßige Zusammensetzung zeigt. Dabei
mag bemerkt werden, daß der Ausdruck ,amerikanisiert^, der unten
gebraucht ist, insofern als unterscheidende Bezeichnung seine Be-
rechtigung hat, als der erziehende Einfluß, den Amerika auf alle
diejenigen ausübt, die von ihm berührt werden können, ein außer-
ordentlich großer ist. Die Menschen sind hier mehr auf sich selbst
gestellt. Wenn einmal aus den untersten Klassen emporgekommen,
fällt es einem tüchtigen Menschen nicht schwer, sich weiter in die
Hóhe zu arbeiten. Das Fehlen von Klassen, das sich in mancher
Beziehung als Mangel fühlbar macht, hat doch sicher die Wirkung,
die an weniger bevorzugtem Platze Geborenen zu hoffnungsvollem
Aufstreben anzuspornen. „Every body has a chance“ ist ein Zauber-
wort, das denjenigen, der es fühlt. d. h. der „amerikanisiert“ ist, zu
einem konservativ denkenden Mann macht.
Zu der ersten Kategorie móchte ich rechnen: den Vollblut-
Amerikaner, der meist ein tüchtiger gelernter Arbeiter ist, ferner
den Amerikaner fremder Abkunft, soweit er durchaus amerikani-
siert ist, und alle diejenigen Eingewanderten, die sich auf derselben
1) Ich benütze für Arbeitervereine den englischen Ausdruck „Unions“, die meist
Gewerkvereine (trade unions) sind. Daneben werden „Unions“ gefunden, die ohne
Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einem Gewerbe gebildet sind (Federal-Unions).
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 457
ökonomischen Stufe befinden, z. B. ein deutscher gelernter Ar-
beiter, der mit einem kleinen Kapital herüberkommt und prosperiert.
Er ist oder wimi Vollbürger im ganzen Sinne des Wortes, d. h. er
hat nicht allein die Rechte, sondern auch die Pflichten, die Amerika
von seinen Angehörigen verlangt, voll erkannt. Er bildet das kon-
servative Element in der Arbeiterschaft. Als die zweite Kategorie
können diejenigen Arbeiter angesehen werden, die schon halbwegs
amerikanisiert sind: das Verständnis für die amerikanischen Staats-
einrichtungen, mit den großen Anforderungen, die sie an Intelligenz
und Urteilsreife stellen, beginnt ihm aufzugehen. Er spricht, schreibt
vielleicht englisch und entwickelt sich im ganzen auf den Arbeiter
der ersten Kategorie hin. Was unten von diesem gesagt werden
wird, hat auch für ihn, wiewohl in geringerem Maße, Geltung.
Seine Ansichten sind, wie diejenigen des anderen, mäßig, wenn auch
weniger fest begründet. Seine Kinder werden zum mindesten in den
Reihen der ersten Kategorie gesehen werden. Die dritte Kategorie
umschließt einen großen Teil der jüngst Eingewanderten und die-
jenigen, die schon länger im Lande sind, soweit sie in ihrer Zu-
sammenpferchung in einzelnen elenden Stadtteilen der großen Städte
durch ihre schlechte Lage und Unkenntnis des Landes wie der
Sprache von amerikanischem Einfluß nicht berührt worden sind.
Während wir in der zweiten Kategorie viele Deutsche finden, besteht
die dritte mehr aus Slaven, Italienern und russischen Juden. New
York und Chicago sind die Hauptplätze für diese Arbeiter. Sie sind
durchaus unwissend, viele Analphabeten ohne politisches Verständnis
und doch in 5 Jahren stimmfähig. Soweit katholisch, stehen sie
unter dem Einfluß der katholischen Kirche, soweit nicht, unter dem
der politischen Parteien, die ihre Stimmen kaufen!). Sie werden
verstärkt durch die Schar der Wanderburschen (tramps), die arbeits-
scheu im Sommer durchs Land streichen und nur im Winter in die
Städte ziehen, um dort Arbeit zu erlangen. Sie sind ein Gegenstand
der Furcht, soweit ihre untersten Schichten in Betracht kommen,
aber auch ein Objekt zahlloser, privater und öffentlicher Wohltätig-
keitsbestrebungen, die sich mit ihrer Hebung und Erziehung be-
schäftigen. Sie bilden gewissermaßen die dunkle Ecke im amerikani-
schen Staat — ungekannt — unerforschlich. Niemand kann wissen,
was diese unwissenden Massen eines Tages vielleicht aus ihren Quar-
tieren aufstört und sie den Brand der Revolution über das Land
tragen läßt. Manchmal ertönt ein lauter Ruf nach strengerer Aus-
schließung der Einwanderung. Ein Gesetz verbietet bereits die Ein-
wanderung von Chinesen. Ein anderes sucht die Einwanderung von
Europäern unter Kontrakt zu verhindern. Neue Stadtschulen
werden erbaut, Einwanderungsschulen aus privaten Mitteln errichtet.
Und doch kann die Erziehung mit der Einwanderung nicht Schritt
halten 21. Diese Kategorie hat mit den beiden ersten, soweit sie auf
1) Der Preis einer Stimme bei Wahlen schwankt zwischen 8 und 20 M.
2) In manchen Teilen von New York ist es unmöglich, den Sehulzwang voll-
ständig durchzuführen; infolge der großen Anzahl der Schulpflichtigen können sie dort
nur einen halben und nicht einen ganzen Tag Unterricht erhalten.
458 Ernst Pistor,
dieser Stufe verharrt, nichts gemein. Sie bildet eine fremde un-
gleichartige Masse im Staat. Zwei Punkte sind jedoch dabei im
Auge zu behalten: Bei der Prosperität des Landes ist die Möglichkeit
für jeden nicht ausgeschlossen, sich heraufzuarbeiten. Diese wird in
dem Grade größer, als sich das Individuum von der zusammenge-
drängten Masse loslöst und unter den Einfluß amerikanischen Lebens
kommt, was auch bei geringer ökonomischer Erhebung der Fall sein
kann. Auch ist, wie das Aufsteigen einzelner, ein langsames Heben
ganzer Nationalitätenmassen zu beobachten. So wohnen nicht mehr
Iren und Deutsche, sondern russische Juden und Italiener in den
schlimmsten Quartieren New Yorks. Aber wenn auch die Indi-
viduen wechseln, wenn sogar eine Rasse an die Stelle einer anderen
Rasse tritt, das Bild, das diese unterste Kategorie darstellt, bleibt
dasselbe, da stets neuer Zuwachs ihr Schwinden verhindert. Dieser
dritten Kategorie kann, soweit der Süden in Betracht kommt, der
auf der entsprechenden Stufe stehende Teil der Negerbevölkerung
angegliedert werden. Doch ist die Negerfrage in U.S.A. eine Frage
für sich, die eine gesonderte Behandlung verlangt, und nur die
Notwendigkeit einer Einleitung im großen rechtfertigt ihre Er-
wähnung hier.
Kehren wir zur ersten Kategorie zurück. Was uns bei diesem
Arbeiter am meisten in die Augen springt, ist, daß er eigentlich
kein Arbeiter in unserem Sinne ist. Er gehört seinen Anschau-
ungen und der intellektuellen Ausbildung nach mehr der Be-
völkerungsschicht an, die unserer Mittelklasse entspricht. —Dlickt
man in Philadelphia von dem hohen Turm des Stadthauses über
den Rauch und Dampf der ungeheuren Fabrikstadt, so sieht man
nach der Peripherie hinziehend und zwischenlaufend unzählige
asphaltierte, saubere Straßen, die von Tausenden kleinen Ar-
beiterhäusern gebildet werden. 4 Zimmer, Küche und Bade-
zimmer, das, nebenbei gesagt, eifrig benutzt wird, eine kleine
Veranda vor dem Hause, die Einrichtung einfach, doch gediegen, der
Tisch sauber, sogar mit einem gewissen Komfort gedeckt, das ist
das Heim dieses Arbeiters. Viele dieser Häuser gehören den Ar-
beitern zu eigen; viele Arbeiter sparen daraufhin. Seine Frau ist
oft besser erzogen als er — wenn jung, kleidet sie sich mit dem
Bestreben, den „neuesten Schnitt" zu erreichen, was hier bei Massen-
fabrikation billiger und doch eleganter Kleidungsstücke leichter mög-
lich ist als in Europa: wenn alt, zeigt ihr Kleid den Stempel wohl-
feiler, aber behäbiger Wohlhabenheit. Hr: hat eine relativ gute
Erziehung in der Volksschule erhalten, die durch Abendschule und
durch „öffentliche Vorträge mit freiem Eintritt“ vielleicht noch er-
gänzt worden ist. Er liest eine tägliche Zeitung, die meist das
billigste Blatt seines Wohnortes ist. Arbeiterblätter von Bedeutung
existieren nicht, die Nachfrage nach solchen fehlt. Der Arbeiter, so-
weit er regelmäßig Zeitungen liest, fühlt sich in seinem
Privatleben mehr als Bürger, wie als Arbeiter. Er dünkt sich nicht
schlechter als ein Ladenbesitzer oder Farmer oder überhaupt jeder
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 459
beliebige amerikanische Bürger und unterscheidet sich von dem
ersteren auch nicht viel mehr, als durch eine etwas geringere Selb-
ständigkeit des Urteils. Das Bewußtsein, einer bestimmten Klasse
anzugehören, ist ihm als Individuum durchaus fremd. Es soll damit
nicht gesagt werden, daß das Gefühl der Notwendigkeit der Arbeiter-
organisation nicht vorhanden sei, dieses ist sogar in den Kreisen der
genannten Arbeiter sehr stark. Aber es entspringt nicht einem Gefühl
des Hasses gegen eine Unternehmer- oder Kapitalistenklasse, sondern
vielmehr einem auf kühler Ueberlegung basierten politischen Talent,
das ihn befähigt, sich zu verbinden, ohne dazu die Vorspiegelung
utopistischer Glücksträume nötig zu haben. Ich möchte dies als eine
Art „sozialen Instinkts* bezeichnen, den er mit allen Amerikanern
gemeinsam hat.
Infolge der demokratischen Verfassung, des Fehlens ausgeprägter
Klassen mit ererbten Rechten und des Zweiparteiensystems ist das
Land — nicht „horizontal, sondern vertikal“ — geteilt. Man mag über
einen Vorfall der inneren Politik mit einem Arbeiter, einem Laden-
besitzer, einem Börsenmann oder einem Senator reden, man wird,
wenn die öffentliche Meinung sich gewissermaßen in einzelnen Formeln,
die die Streitfrage decken, kristallisiert hat, stets nur zwei Anschau-
ungen hören, republikanisch und demokratisch. Ob Senator oder
Arbeiter, die Frage, ob er der einen oder der anderen Partei ange-
hört, wird nicht durch die Zugehörigkeit zu einem „Stande“ beant-
wortet. Es kommt dem Arbeiter ein Gefühl der Klassenzugehörigkeit
mit seinen Mitarbeitern erst in dem Augenblick, in dem ein Handeln
in diesem Sinne von ihm verlangt wird. Dann tritt er aus seinem
Privatleben heraus, tritt in den gemeinschaftlichen Wirkungskreis
der Arbeiter in den „Unions“ ein. Erst dann fühlt er sich mehr
alsein Glied der vereinigten Arbeiterschaft, dennals
ein Glied des Staates, als Bürger. Aufihn,als Privat-
mann, hat die Vereinigung wenig Einfluß, sie faßt ihn
nur als Arbeiter. Die „Union“ erscheint ihm als notwendiges
Anhängsel seiner täglichen Arbeit, die diese angenehmer und gewinn-
reicher machen soll. Sie muß deshalb, um ihm vernünftig
und praktisch zu erscheinen, mit dieser Arbeit eng
verbunden, aufder Angehörigkeit zueinem bestimmten
Gewerbe aufgebaut sein. Er hat gewissermaßen 3 Röcke —
Sonntags-, Arbeits- und Unionrock. Hat er den ersteren an, so ist
er „Gentleman“ und Bürger der Vereinigten Staaten, trägt er den
zweiten, so ist er der geschickte und fleißige Maschinist, Schreiner ete.
Mit dem dritten geht er zur Unionzusammenkunft. In ihm fühlt er
sich ganz als Angehöriger der Arbeiterschaft seines Gewerbes und
auch der ganzen Arbeiterschar und agitiert dort mit derselben
Energie, mit der er vielleicht am Tage den Hammer geschwungen
hat. Im ganzen Lande finden wir dieselben Männer. In San Fran-
. Cisco von etwas rauherem und sorgloserem (don't care) Schlag, dem
Charakter Kaliforniens entsprechend. In New Orleans vielleicht etwas
weniger konservativ und unruhiger. Im großen und ganzen überall
460 Ernst Pistor,
derselbe gutmütige, vernünftige und gerecht denkende Arbeiter, der
sich und seiner Familie neben dem bloßen Lebensunterhalt auch
einen kleinen Anteil an den Freuden des Lebens sichern kann. Die
Löhne sind durchweg weit höher, als die der gelernten Arbeiter
Europas, auch wenn man die höhere Miete, den höheren Preis
mancher Lebensmittel und vor allem Luxusartikel (Cigarren, Bier etc.)
in Betracht zieht. Die besten Arbeiter arbeiten meist nicht länger
als 8 Stunden!). Für die gelernten Grubenarbeiter und Maschinisten
gilt dies fast ausnahmslos. Daß trotzdem in Anbetracht der unteren
Arbeiterschichten, besonders soweit sie nicht Unions angehören, und
der Kinder- und Frauenarbeit ungeachtet der Gesetzgebung große Miß-
stände in Amerika bestehen, ist bekannt. Die Frage liegt wohl nahe,
warum der Arbeiter, soweit er sich in den besprochenen Verhält-
nissen befindet, nicht ,,zufrieden‘* jeder Agitation entsagt. Wer
Amerika kennt, wird sich darüber nicht wundern. Ein jeder sucht
hier mit Ungeduld seine materielle Lage zu verbessern und das
Recht, mit gesetzlichen Mitteln darauf hinzuwirken, wird dem Ar-
beiter so wenig bestritten wie jedem anderen. Ja, man hört allge-
mein die Meinung äußern, daß diese „hoffnungsvolle Unzufriedenheit“
(„hopeful discontent“) des Arbeiters mit zur Größe Amerikas bei-
trägt, da die Anstrengung, seine Lage zu verbessern, eine Anspan-
nung aller seiner Kräfte involviert. Man glaubt, daß diese
Unzufriedenheit den Arbeiter nicht unbescheiden, auf
jeden Fall aber strebsamer und tüchtiger macht?) Ich
habe es versucht, ein Bild des amerikanischen Arbeiters der ersten
Kategorie meiner Einteilung zu geben. Behalten wir im Auge, daß
der Arbeiter der zweiten Kategorie dieselben Züge, nur unent-
wickelter zeigt, so fällt wohl auch auf seine Erscheinung ein klares
Licht. Die dritte Kategorie haben wir als ungleichartig für sich allein
betrachtet.
Die Unionbewegung entnimmt nun ihr Material aus allen drei
Kategorien. Doch bestehen die ältesten und stärksten „Unions“
aus Mitgliedern der ersten oder der ersten und zweiten Kategorie.
Naturgemäß bestimmt sich damit auch die Politik der
„Unions“ nach ihrer Zusammensetzung neben anderen,
später zu erwähnenden Einflüssen. Je konservativer
das Element, das die „Union“ bildet, je mehr die Männer
der ersten Kategorie auf die Leitung bestimmend ein-
wirken, desto vernünftiger und ruhiger ist der Kurs.
1) In der Stadt New York arbeiteten von allen Lohnarbeitern (Final Report of
the Industrial Commission pro 1902):
8 Stunden 13,1 Proz.
I 363 n
A 10 » 48 "
über 10 T 2 o
100,0 Proz.
2) Auch in den leitenden Kreisen der Politik ist diese Ansicht gewöhnlich, Teh
hörte sie ınir gegenüber Mr. Right (Commission of Labor) äußern.
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 461
Ehe wir weiter gehen, müssen wir auf die Gefahr hin, Bekanntes
zu wiederholen, einen Blick auf die Geschichte und Art der Organi-
sationen werfen.
Die ersten Anfänge der Unionbewegung reichen bis zum Jahre
1806 zurück, doch blieben sie bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
bedeutungslos. Dann begannen die auf Gewerbezusammengehörigkeit
aufgebauten ,, Unions“ (trade Unions) zu wachsen. In den 60er und
TOer Jahren nahmen sie besonders in der Eisen-, Schuh-, Cigarren-
industrie und unter den Druckerei- nnd Eisenbahn-Angestellten einen
starken Aufschwung. Die 80er Jahre brachten ein rapides Zusammen-
fließen sowohl der zu „Unions“ als auch der nicht zu „Unions“ ge-
hórenden Arbeiter in dem neu gegründeten Orden der Knights of
labor (Ritter der Arbeit). Dieser Orden versuchte einen Zusammen-
schluß der einzelnen Arbeiter als Angehörige einer Arbeiterklasse
ohne Rücksicht auf die bestehenden Unions zustande zu bringen.
Vorübergehend gewann er viel Anhünger — 1866 hatte er ca. 700 000
Mitglieder — heute ist ihm keine Bedeutung mehr beizumessen. Wie
oben bemerkt, ist der bessere Arbeiter für die Arbeiterbewegung
nur zu haben, wenn sie im engeren Anschluß an sein
Gewerbe stattfindet. Er ist zu praktisch, um Zukunftsträumen
nachzujagen. Zufrieden mit den Staatseinrichtungen, erstrebt er das
Nächstliegende: Ein kräftige Vertretung der Interessen seines Ge-
werbes. Erst auf dieser Basis entwickelt sich sein Verständnis
für Interessen der Arbeiterschaft im allgemeinen. Dieser bessere
Arbeiter (besonders erster Kategorie) aber ist das Rückgrat der ganzen
Bewegung. Die Sympathien der geringeren Arbeiterschaft für eine
Organisation sind flüchtig und ohne Bestand. Mit ihnen läßt sich
keine Koalition ausbauen. Da die besseren Arbeiter nach einem
kurzen Rausch zu ihrem alten Prinzip zurückkehrten, so brach der
Orden der Ritter der Arbeit zusammen. An seine Stelle trat die
American Federation of Labor (abgekürzt A. F. of L.. Dieser Ver-
band sucht eine Vereinigung aller Arbeiter nach dem System
der Gewerbeangehörigkeit zu stande zu bringen. Mitglieder
sind nicht die einzelnen Arbeiter (wie dies bei den
Knights of Labor der Fall war), sondern „Unions“ oder,
Soweit sie zu größeren Verbänden zusammengetreten
sind, diese größeren Unionverbünde. Während die Mit-
glieder der „Unions“ von 1887 an aus dem Orden der „Knights of
Labor“ wieder austraten, hielten sie in den „Unions“ fest zusammen,
ja bis zur industriellen Krisis im Jahre 1893 war ein stetes An-
wachsen der einzelnen Unions und Unionverbände zu bemerken.
Von 1893—95 fällt die Zahl der Organisierten; nimmt dann wieder
zu, um in den letzen Jahren der Prosperität des Landes eine über-
raschende Höhe zu erreichen.
Als die American Federation of Labor — A. F. of L. — im Jahre
1887 fest konstituiert wurde, benützte sie die vorhandenen Unions,
Sich als eine Zusammenfassung dieser zur einheitlichen Verfolgung
gemeinsamen Zwecke darstellend. Man kann somit den jetzigen Zu-
462 d Ernst Pistor,
á
stand damit illustrieren, daß man die „Unions“ mit Tausenden von
kleinen, nach dem Prinzip der Gewerbezusammengehörigkeit auf-
gerichteten Gebäuden vergleicht, die unter sich wieder, sowohl in
Rücksicht auf gleiches Gewerbe (z. B. alle Glasarbeiterunions der
U. S. A), als auch im Hinblick auf ihre lokale Lage (alle Unions einer
Stadt), eng verbunden sind. Die A. F. of L. aber gliche in diesem
Bilde einer ungeheuren Halle, die noch luftig und ungefestigt über
alle die kleinen Gebäude und Gebäudekomplexe hingebaut ist, deren
Bauart in ihrer Einfachheit und guter Fundamentierung oft eine
größere Dauer zu verbürgen scheinen, als das kompliziertere Ge-
bilde der A. F. of L. Selbstverständlich hat die A. F. of L. durch
ihre Agitation neue „Unions“ geschaffen, auch berücksichtigt sie
die Formation von „Unions“, deren Mitglieder verschiedenen
Gewerben angehören. Doch werden diese „Unions“ nur als „pro-
visorische* angesehen. Sobald genügend Mitglieder eines Gewerbes
in diesen sogenannten ,Federal Unions* sich befinden, um eine
,Gewerbeunion* (trade union) zu gründen, soll sofort diese ins
Leben gerufen werden!) Die feste Basis der A. F. of L. wird
also vor allem durch die „Unions“ gebildet, die schon bei Ent-
stehung der A. F.ofL. fest gefügt dastanden, und die Ent-
wickelung der A. F. of L. wird zu einem grofien Teil da-
von beeinflufit werden, ob und wie weit sie der Politik
der älteren und stärkeren Unionverbände folgen wird.
Dies ist für unten zu machende Folgerungen von Wichtigkeit. Zwei
Punkte sind hier noch zu bemerken. Einige der stärksten Unions-
verbände sind der A. F. of L. nicht beigetreten, vor allem die der
sogenannten Bruderschaften der Eisenbahnangestellten (brotherhood
of Engineers, fire men, conducters and train men)?) Diese
glauben in ihrer alten Organisation eine so starke Vertretung
zu besitzen, daß sie den Allgemeinverband entbehren können. Auch
sind sie in ihrer am weitesten fortgeschrittenen Entwickelung, und
der damit Hand in Hand gehenden größeren Abschließung ihrer Reihen,
in einen gewissen Gegensatz zu der A. F. of L. getreten, die vor allem
jetzt die Zahl der organisierten Arbeiter vermehren will
und daher eine umfassendere, nicht exklusive Politik treibt. Es
existieren außerdem viele Einzelunions, die sich der A. F. of L. noch
nicht angegliedert haben. Doch hängen sie mit dieser durch die Gleich-
artigkeit ihrer Bestrebungen zusammen und ihr Beitritt ist, wenn
die A. F. of L. weiter prosperiert, für den größten Teil derselben
wohl nur eine Frage der Zeit. Genaue Zahlen festzustellen ist bei
der Unzuverlässigkeit der Berichte und dem rapiden Wechsel un-
móglich?). Die A. F. of L. gibt die Anzahl ihrer Mitglieder auf
1) Constitution of the A. F. of L. Article VIII (Section Il).
2) Im Westen entwiekelt sich gerade jetzt eine Vereinigung von Grubenarbeitern,
die ebenfalls außerhalb der A. F.ofL. steht. Sie vertritt radikalere Ideen, und es ist
nicht unmöglieh, daß (in Anbetracht ihrer gemischten Zusammensetzung) die Sozial-
demokratie teilweise ein Wirkungsfeld dort findet.
3) Report of Samuel Gompers S. 11. 1901, During the year (1901) we have
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 463
1100000 an; doch nach Nachrechnung der Beitragssumme er-
scheint dies zu hoch gegriffen zu sein, was bei dem natürlichen
Bestreben der „Unions“, die Mitgliederzahl möglichst hoch darzustellen
und der Unmöglichkeit einer Kontrolle nicht in Erstaunen setzt.
Schätzungsweise mag die Stärke der A. F. of L. auf 900 000—1 000 000
angegeben werden, während die Anzahl aller Organisierten nicht weit
von 1400000 entfernt sein wird. Doch kann das nächste Jahr bei fort-
schreitender Prosperität des Landes schon ein erhebliches Anwachsen
dieser Zahl bringen t). Die Landwirtschaft steht, wie natürlich, dieser
Bewegung fremd, ja ablehnend gegenüber, da die Unions mit der
Erhöhung der Löhne, die sie erreichen, auch die Löhne der land-
wirtschaftlichen Arbeiter beeinflussen. Die in Betracht kommende
Arbeiterschaft (mining manufacturing mechanical Industries) mag
sich jetzt auf 7 000000 belaufen. Wie ersichtlich, ist der Prozentsatz
ein ziemlich starker. Die Tatsache, daß die besseren Arbeiter
allgemein „Organisationen“ angehören, verstärkt den Einfluß der
Unions. Außerdem erhöht ein anderer Umstand noch ihre Kraft.
Die Organisation ist im ganzen Lande nicht gleichmäßig verteilt. In
manchen Orten sind die „Unions“ schwach. Ganze Gegenden sind
,Union-frei*. Dafür beherrschen sie an anderen Orten viele Ge-
werbe (vor allem das Baugewerbe) vollständig: „Die Konzentration
ihrer Kräfte fördert sie mehr, als eine gleichmäßige Verteilung der-
selben im ganzen Lande es tun könnte“, denn was den Erfolg für
die Zukunft gewährleistet, sind die praktischen Resultate, die die
Unionidee erzielt. Ein großer Sieg einer der Unions an irgend
einem Orte macht im ganzen Lande Propaganda und fördert die
Entstehung neuer Unions durch moralische Einwirkung. So bedeutet
die Berufung des Präsidenten der großen Grubenarbeiterunion durch
den Präsidenten Roosevelt zu einer Konferenz mit den Grubenbesitzern
zur Beilegung des Kohlenstreiks (2. Oktober 1902) und die Ernennung
eines Unionmannes in das Sechs-Männer-Schiedsgericht des Kohlen-
streiks 1902 eine offizielle Bestätigung der Anerkennung der Union
als ein bemerkenswerter, wirtschaftlicher Faktor und damit ein
moralischer Sieg der Unionidee überhaupt ?).
Der Plan der ganzen Organisation der A. F. of L. ist folgender:
„Unions“, bestehend aus Arbeitern desselben Gewerbes, zu großen
Verbänden aller ,, Unions“ des betreffenden Gewerbes im
ganzen Lande (national and international „Unions“) zusammen-
geschlossen. Diese Art des Zusammenschlusses bildet den Haupt-
faktor. Daneben schließen sich die „Unions“ zu lokalen Verbänden
zusammen. Beide Arten der Verbände haben Vertretung in der
„Convention of the A. F. of L., so daß jeder Arbeiter dort zweimal
formed and chartered 575 trade unions. 1902, During the year (1902) trade and federal
unions 877.
1) Vergl. American Federationist, Dezember 1902, S. 925.
2) Gompers Pres. d. A. F. of L. Dezember 1902 im Federationist. A great victory
has been won for the miners, for the cause of organized labor and for humanity.
Material advantage is therefore inevitable.
464 Ernst Pistor,
vertreten ist. Doch während bei namentlicher Abstimmung in der
„Convention“ der Vertreter der „national and international Unions“
für je 100 Mitglieder, die er vertritt, eine Stimme hat, was die
Stimmenzahl bei großen Verbänden in die Tausend bringen kann,
haben die lokalen Verbände stets nur je eine Stimme zur Verfügung.
Es zeigt dies zur Genüge ihre geringere Bedeutung. Dieser Plan
ist nun, wie ersichtlich aus der Existenz von Einzelunions, noch nicht
durchgeführt. Entweder ist das Gewerbe überhaupt nicht organisiert,
z. B. an einem kleinen Platze befinden sich nur einige Schreiner,
einige Schlosser ete.: dann kommt es zu provisorischen Gebilden,
aus denen aber sofort eine auf der Gewerbeangehórigkeit be-
ruhende „Union“ herauswächst, wenn genügend Arbeiter desselben
Gewerbes vorhanden sind. Oder das Gewerbe ist zwar organisiert
und es bestehen einzelne „Unions“ in ihm, jedoch diese haben sich
noch nicht in größeren Verbänden zusammengefunden. Solange diese
Einzelunions als solche allein bestehen, haben sie ihre eigene Ver-
tretung in der „Convention“. Treten sie zu „national oder inter-
national unions“ zusammen, so geht ihre Vertretung in der dieser
größeren Verbände auf. Abgesehen von dieser, durch den Kon-
struktionsplan der A. F. of L. gedeckten Entwickelung, beginnt sich
als Resultat der entsprechenden Trust- und Mergerbildung eine weitere
Vereinigung zu vollziehen, nämlich die der zu einer und derselben
Industrie gehörigen Gewerbe. Es bilden z. B. alle mit der Schuh-
fabrikation zusammenhängenden Gewerbe an einem Orte eine Ver-
einigung zur Wahrung gemeinschaftlicher Interessen. Sehr aus-
geprägt finden wir dieselbe in den sogenannten „building trades“.
Alle „Unions“ einer Stadt, die mit dem Hausbau zu tun haben
(Maurer, Schreiner, Tapezierer, Anstreicher etc.) bilden eine Ver-
einigung. Diese Verbände stehen als solche nicht mit der A. F. of L.
in Verbindung. Die zu ihnen gehörigen „Unions‘ können natürlich
durch die vorherbesprochene Organisation in der A.F. of L. vertreten
sein und sind es auch meist.
Die Zusammensetzung der A. F. of L. Ende 1901 und 1902
war folgende:
1901 1902
1) National und International Unionverbünde 87 101
2) Central bodies | -Lokélverb&nds 327 454
State-federations f
Diese stellen die Zusammenfassung von Tausenden von Unions und
zwar derselben Unions nach zwei Systemen dar. Die Einzel-
unions d. h. solche, die noch nicht zu „national oder international
unions^ zusammengetreten sind, zeigen folgende Zahlen:
1901 1902
Tradeunions (Arbeiter desselben Gewerbes) 750
Federalunions (Arbeiter verschiedener Gewerbe) 399 2026
Viele derselben befinden sich schon in den Lokalverbänden. Aus
den Federalunions sollen nach dem erwähnten Plane Tradeunions
wachsen und diese sich zu national und international Verbänden zu-
sammenfinden.
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 465
Das ist die Organisation, die die Arbeiter der drei Kategorien
zusammenführt. Die Frage liegt nun nahe: Wer sind die An-
führer dieser Massen, die Leiter dieser Unions, die
offenbar durch ihre Stellung einen starken Einfluß
auf die Politik der Unions ausüben müssen. Auch hier
lautet die Antwort nicht für alle Unions gleich. Wo das konser-
vative Element der Arbeiterschaft überwiegt, ist auch die Führer-
schaft eine ruhige. Doch wo dies nicht der Fall ist, erstehen als
Arbeiterführer selbstsüchtige Agitatoren; ihr oft geradezu gewissen-
loses Treiben würde bei der sonst vernünftigen und ruhigen Natur
des Amerikaners in Erstaunen setzen, fänden wir nicht in einer
Eigentümlichkeit des dortigen Lebens die Erklärung. Der Ameri-
kaner ist im jetzigen Stand seiner Entwickelung kein Idealist, son-
dern ein Praktiker. — Das ganze Land blüht und wächst. — Bald
hier, bald dort öffnen sich neue Quellen des Reichtums. — Kaum
ist die Zeit der Goldfelderüberraschungen Kaliforniens vorüber, so
kommen Nachrichten von reichen Funden in Alasca. — Tausende
strömen dorthin. „Alles fließt“. — Ungeheuere Wertumsätze ge-
bären über Nacht neue Dollar - Giganten. — Die Blätter bringen
Berichte über den Millionär, der als Arbeiterjunge begann. Eine
neue Eisenbahn ist in Sicht — eine fieberhafte Spekulation in Boden-
werten beginnt. Die Nachricht von einem Agrikulturtrust bringt die
Massen in Aufregung: „Eine neue Gelegenheit reich zu werden.“ —
Im Süden werden Oelquellen entdeckt. New-Orleans träumt von
Gold und Wachstum, wenn diese genügend ausgenützt sind und der
Panamakanal fertiggestellt ist. — Wie ein Sturm braust die Nach-
richt durch das Land, daß Mr. Morgan, der Finanzherkules von
Amerika, die Kontrolle über eine weitere Eisenbahn erringen will.
Ein Börsenkampf bis zur Unbarmherzigkeit beginnt. Papiere steigen
von 100 auf 1000, um am abend nach der Schlacht wieder tiefer ge-
sunken zu sein. Viele sind bankerott geworden und manche zu neuem
Reichtum gekommen. — Und in dieser ganzen aufregenden Atmo-
sphäre lebt der Amerikaner, lebt auch der amerikanische Arbeiter.
Keine Schranken ererbter Standesrechte bauen sich vor ihm auf.
Es ist nur das Geld, der Erfolg, der den Mann macht. Er sieht
aus seinen Mitarbeitern einige zum größten Reichtum gelangen !).
Mag auch der Einfluß geringer sein, wie in den Kreisen der Ge-
schäftswelt, da ihm das Kapital fehlt, das ihn zum Mitspieler machen
könnte, der Geist, der aus diesem drängenden Kampf mit dem
fliehenden Geld aus den großen Städten aufsteigend über das ganze
Land zieht, dieser Geist des Vorwärtsdringens, dieses Sehnens nach
Aufsteigen, nach dem materiellen Erfolg, kann auch auf ihn nicht
ohne Eindruck bleiben. Und jemehr er sich von dem
ruhigen Arbeitsfeld entfernt, jemehr er Hand- mit
Gehirnarbeit vertauscht, jemehr er in die Oeffentlich-
1) Mr. Carnegie, der seine Stablwerke für 300 Mill. an den Steeltrust verkaufte,
begann als Arbeiter.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 30
466 Ernst Pistor,
keit tritt, desto stärker wirkt dies aufihn, desto lau-
ter tönt der Ruf in sein Ohr: Go ahead — voran — auf
würts — ein Ruf, der seit Benjamin Franklins Zeiten die Essenz
der Lebensphilosophie eines großen und gerade des aktiven Teils
des amerikanischen Volkes darzustellen scheint. Unter einem
solchen Einfluß sehen wir vor allem die Leiter der
„Unions“, und besonders die der jungen, weniger kon-
servativen Unions stehen. Mit wachsender Bedeutung ihrer
Stellung treten sie aus der ruhigen Arbeit der Werkstatt mehr in
die Oeffentlichkeit, und damit in mannigfachere Beziehung zu den
Regionen des amerikanischen Lebens, in denen dieser Geist seine
eifrigsten Jünger hat. Auch bringt es die erwähnte Eigentümlichkeit
des Landes mit sich, daß, wenn auch intelligente, doch in den jungen
Unions gewiß, verschlagenere und rücksichtslosere Elemente an die
Spitze treten. So ruft die „Go-ahead-Stimmung“ die egoistischen
Streber vor die Front und wirkt auf sie wieder in ihrer exponierten
Stellung am stärksten, sie in ihrer Anschauung befestigend. Da
weiter bei dem unausgeprägten Klassenbewußtsein und dem mehr
oder minder starken Streben Aller „als Individuum“ auf der
sozialen Leiter emporzusteigen, derjenige, der die Arbeitssache verläßt
und auf die Seite der Unternehmer übertritt, kein Ueberläufer, kein
Verrüter ist, so steht auch von der Arbeiterseite seinem Strebertum
nichts im Wege. Man läßt ihn ruhig ziehen und sagt ihm vielleicht
mit einer gewissen Hochachtung ein „smart fellow“ nach. Ein solcher
Uebertritt von der Arbeit zum Kapital ist nichts Ungewöhnliches,
sondern eine alltägliche Erscheinung. Man schaut hier zu Lande
eifrig aus nach „scharfen praktischen Männern“. Industrie und
Politik, in deren Hintergrund meist auch ein gutbezahlter Posten
winkt, bemühen sich um sie; teils um ihre Kräfte zu nützen, teils
um sie von der Gegenseite als unangenehme Gegner herüberzuziehen
und sie zum Schweigen zu bringen. Die Chancen für denjenigen,
der einmal bemerkt, der bekannt geworden ist, sind
daher groß. So drängen alle Verhältnisse den Arbeiterführer dahin,
seinen persönlichen Vorteil im Auge zu haben, und die Mittel, mit
denen er dieses Ziel erreicht, sind möglichst erfolgreiche turbulente
Agitation, vor allem die Durchführung einer siegreichen
Streikbewegung, wobei die Frage, ob der Streik gerechtfertigt
war, erst in zweiter Linie in Betracht kommt. Es muß etwas
gemacht werden. — Der Unionführer mußausderReihe
der Konkurrenten hervorstechen, dann wird er von
Kapital, Arbeit und auch Politik (in Rücksicht auf seinen
persönlichen Einfluß) als ein Faktor erkannt werden, mit
dem man rechnen muß. So wird er unmerklich der Ansicht
zugeführt oder in ihr bestärkt, daß rücksichtslose Streikpolitik für
die Arbeitersache das einzig Richtige sei, und die vielleicht unbe-
wußte Erwägung des eigenen Vorteils, der wie nichts anderes die
menschliche Urteilskraft verwirrt, mag ihm das als Forderung der
„Kampfesrechte der Arbeit“ gegen das Kapital er-
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 467
scheinen lassen, was am Ende nur der Hebung seiner eige-
nen Person dient und in Wahrheit der Arbeitersache schadet. -
Daher die unruhige Politik so vieler Unions, das Inscenesetzen
grundloser Streiks und die ganze mißständige Wirtschaft in der
Arbeiterbewegung Amerikas, über die man so viele Klagen hört.
Wohlbemerkt sind diese Mißstände in ihrem ganzen Umfang nur
bei den jungen Unions, insbesondere dort zu finden, wo die schlechteren
Elemente der Arbeiterschaft noch eine große Rolle spielen. Die
älteren Unions, die mehr oder ganz aus gelernten Arbeitern
bestehen, sind längst zu der Ansicht durchgedrungen, daß nur eine
ruhige Politik der Arbeiterschaft zum Heil gereichen kann. Sie
sind daher vorsichtig in der Wahl ihrer Leiter. Wenn,
wie später berührt werden wird, die Tendenz der Unions im all-
gemeinen dahin geht, die unruhigeren Elemente abzustoßen und die
Leitung in demselben Maße uneigennütziger und damit mäßiger sich
gestaltet, als dies schon geschieht, so ist für die Zukunft eine fort-
Schreitende Besserung dieses Uebelstandes mit Sicherheit zu er-
warten. Auch sehen wir jetzt schon bei den Leitern der
größeren Verbände (national und international Unions und
A.F.ofL.)eine durchaus konservative Haltung. Sie haben
eine ihrem Ehrgeiz entsprechende Stellung errungen, gedenken
nicht mehr zu wechseln, und für sie ist gerade umgekehrt jeder
Streik nur die Ursache von Mühe, Arbeit und Unannehmlichkeiten.
Außerdem stehen sie auf einem durchaus höheren Niveau, als die
Leiter der Einzelverbände, teils, weil ihre größere Intelligenz sie
auf den hervorragenden Platz gestellt, teils, weil sich das Amt seinen
Mann schafft. Ein Mann mit dem Wirkungskreis des Präsidenten
der A.F.ofL. muß über einen weiten Blick verfügen, und die
größere Verantwortung wird eine nüchternere und objektivere Politik
zur Folge haben. Allerdings dringen diese Männer bei dem
Fehlen einer strengen Disziplin in dem Allgemeinverband und in
vielen Einzelunions, das überall dort zu beobachten ist, wo die un-
ruhigeren Elemente eine Rolle spielen, oft nicht mit ihrer Ansicht
durch. Die Berechtigung der Annahme, daß eine Aenderung zum
Besseren, sowohl was Disziplin als auch was die Güte des Arbeiters
und Führermaterials und damit die ganze Politik der , Unions" be-
trifft, eintreten möge, wird wesentlich von der Beantwortung
der Frage abhängen, ob eine „exklusive Tendenz“ der
Unions anzunehmen ist. Solange die untersten Schichten
der Arbeiterschaft in den ,Unions* eine Rolle spielen, ist eine
Aenderung zum Besseren ausgeschlossen. Solange die Tore der
Unions für die minderen Elemente, insbesondere der dritten Kategorie,
offen sind, solange werden dieselben Mißstände in Wirkung bleiben.
Wie bemerkt, verschwindet diese unterste Kategorie nicht, sondern
ergänzt sich fortwährend durch neuen Zuzug. Und doch ist es
gewissermaßen eine Lebensfrage für die „Unions“, ein von soliden
Grundsätzen beherrschtes System auszubauen. Wie ist ihnen dies
Du
468 Ernst Pistor,
möglich, wenn sie nicht die Elemente ausstoßen, die sie weder er-
ziehen, noch beherrschen können.
Verschiedene Gründe wirken hier zusammen, um den Unions die
exclusive Richtung zu geben. Wie schon bemerkt, haben wir es nicht
mit einem Kampf einer Arbeiterklasse gegen eine Unternehmer-
klasse zu tun, sondern mit einem Zusammenschluß der einem
Gewerbe Angehörenden. Der bessere, höher stehende Arbeiter
fühlt daher nur so lange mit den unteren Schichten der Arbeiterschaft,
als dieser der Erreichung seines Zieles nicht im Wege ist. Solange
aber die Vereinigung mit ihm ein Hindernis für seine Entwickelung
ist, muß er ihn notwendigerweise fallen lassen. Unzulänglichkeit der
Führer, Fehlen jeder Disziplin und die daraus folgende Unzuver-
lässigkeit bei Durchführung von Kontraktabschlüssen, das sind Vor-
würfe, die, wie bemerkt, für den einen Teil der Unions berechtigt
sind, doch als Argumente gegen die Unionbewegung über-
haupt können sie keine vollständige Geltung beanspruchen. Alle
diese Uebelstünde nehmen in dem Maße ab, in dem die
besseren Arbeiter der Union die Oberhand gewinnen.
Da diese Mißstände die Kraft der Koalitionen schwächen, vor allem
den Unternehmer an der Anerkennung der Unions und damit Berück-
sichtigung ihrer Forderungen hindert, außerdem den „Unions“ natur-
gemäß das Bestreben inhäriert. eine Lohnfestsetzung auf breiter, mehr
die minderen Arbeiter begünstigenden Basis zu schaffen, so haben die
besseren und besten Elemente auf die Dauer nur Nachteile von
einer solchen Vereinigung zu befürchten. Sie werden sich also
bei der ersten günstigen Gelegenheit diese Last vom Halse zu
schaffen trachten. Sie werden versuchen, eine „Reinigung
der Unions“ herbeizuführen. Die Möglichkeit hierzu liegt in der
Einführung hoher Anforderungen, die man beim Eintritt stellt, und
vor allem in der Beschränkung der Lehrlingszahl, die langsam eine
Monopolisierung eines Gewerbes durch die dasselbe beherrschenden
„Unions“ herbeiführen kann. Dabei ist noch zu bemerken, daß die-
jenigen Arbeiter, die mehr «das konservative Element darstellen, als
gelernte und besser bezahlte Arbeiter über einen höheren Grad von
Lebenserziehung verfügen. Ihre Erhebung über das Niveau des
gewöhnlichen Handarbeiters mag durch die stärkere Ausprägung
der sozialen Instinkte ein festeres Zusammenhalten gewährleisten.
Während also schlechte Zeiten die untersten Schichten auseinander-
treiben, mögen sie diese Arbeiter gerade umgekehrt zu einem festeren
Zusammenschluß unter sich, im Gegensatz zu dem dann abbröckelnden
minderen Material, führen. Ein Beweis für die exklusive
Tendenz liegt in der jetzt schon zu beobachtenden Ab-
schließung vieler, und gerade der krüftigsten Unions
dureh hohe Beitrittsgelder und Beschrünkung der
Lehrlingszahl. Die meisten Maurer-Unions verlangen einen Bei-
trag von dem Eintretenden, der zwischen 40 und 80 M. schwankt.
Die Anstreicher New Yorks einen solehen von 100 M.; manche
kleine, aber kräftige „Unions“ einen solchen von 400 M. Glasblaser
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 469
lassen Amerikaner für 20 M., Fremde für 200—400 M. eintreten.
Es mögen diese Beiträge in dem Versicherungssystem der Union zum
Teil ihre Erklärung finden. Auf jeden Fall wirken sie ausschließend.
Die Proportion zwischen der Zahl der Lehrlinge und der der Aus-
gelernten ist in vielen Unions auf 1:5, in manchen sogar auf 1:15
beschränkt, je fortgeschrittener, besser und stärker organisiert die Union
ist, desto strenger sind die Einschränkungen, mit denen sie ihre Reihen
abzuschließen sucht. Gegenüber diesen Tatsachen kann
schwer der Ansicht ausgewichen werden, daß die Ten-
denz des ganzen Unionsystems in Amerika eine ex-
klusive ist. Es mag dagegen eingewandt werden, daß die Politik
der A. F. of L., die einstweilen nur die Zahl ihrer Anhänger zu
erhöhen versucht, dem widerspricht. Aber diese kann auf
die Dauer keine andere Politik verfolgen als die
großer Unionverbände, die als Organisationen fester
zusammengefügt sind. Sie steht oder fällt mit ihnen. Jede
große Bewegung, und mit einer solchen haben wir es hier zu tun,
scheint am Anfang einen gewissen Ueberschuß an Energie zu ent-
wickeln, der sie in weitere Kreise übergreifen läßt, als die sind, die
tatsächlich später die Ernte einbringen. So mag auch hier vielleicht
die Entwickelung eine stärkere Abstoßung der unteren Schichten der
Arbeiterschaft und einen exklusiveren Zusammenschluß der oberen
Schichten bringen. Die Parallele mit den mittelalterlichen Zünften,
die durch ihre Exklusivität einen besonderen Gesellenstand geschaffen,
der sich nach Entstehung der Großindustrie zu unserem Arbeiter aus-
wuchs, ist nicht unmöglich. Daß nach dem Ausscheiden der konservativen
Elemente, auch wenn es den Ausgeschlossenen gelingen sollte, sich unter
sich wieder zu organisieren, die Politik der Massen eine radikalere Fär-
bung annehmen kann, ist außer Frage. Es kommt hier alles größer,
plötzlicher, gewaltsamer zur Erscheinung, als in Europa. Wie ein Feuer
in den Prärieen, das der Sturm jagt, flammt jede Bewegung durchs
Land, die Gemüter vom Atlantic bis zum Pacific, von den grünen
Waldbergen der nordigen Seen bis zu den heißen Steppen Mexikos
in Aufregung versetzend. So mögen diese Elemente den geeigneten
Boden für sozialistische oder anarchistische Ideen bilden, die jetzt
schon in den dunklen Quartieren New Yorks eifrig verkündet werden,
oder es mag ein amerikanischer Tolstoj aufstehen, der die Auflehnung
gegen den Egoismus der modernen Kultur, nicht wie jener als dulden-
der, russischer Negativismus, sondern als tätiger amerikanischer Posi-
tivismus predigt, und Millionen mit sich reißt. Ungeheurer Schaden
vermag dadurch angerichtet werden, wenn auch kein Zweifel besteht,
daß Amerika in seiner demokratischen Verfassung und in seinen regu-
lären und Miliztruppen Kräfte besitzt, die teils vorbeugend, teils
unterdrückend, das Ueberhandnehmen dieser Gefahr verhindern
könnten.
Es sei erlaubt, auf eine andere, in Anbetracht der Exklusivität
nicht unmögliche Entwickelung hinzuweisen. Es handelt sich dabei
nicht um den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, sondern um
470 Ernst Pistor,
den zwischen Produzierenden und Konsumierenden. Die Vereini-
gung gewaltiger Kapitalmassen unter der Diktatur einiger industrieller
Giganten, die Monopolisierung ganzer Industrien schreitet unauf-
haltsam vorwärts. In gleichem Tempo vollzieht sich der Zusammen-
schluß besonders der gelernten Arbeiterschaft, wobei auch sie in ihrer
exklusiven Tendenz dem Monopol zustrebt. Daß die Trusts und
Mergers mit ihrer Entstehung stets auch die Preise erhöht haben,
ist nicht durchweg erwiesen. Man weiß, daß sie große Gewinne aus
der Verbilligung des Betriebs und anderen Vorteilen ziehen, die ein
derartiger Zusammenschluß der Kräfte im Gegensatz zur Ein-
zelunternehmung oder zum Kartell bietet und statistisch
steht fest, daß ihre weitschauende Politik eine gleichmäßigere Regu-
lierung der Preise zur Folge gehabt hat. Sie verschmähen es wohl,
auf Kosten der Zukunft die Gegenwart auszurauben, auf die
Dauer werden sie doch den Profit, der nach Lage der Verhältnisse
der höchste ist, den sie erlangen können, anstreben.
Bei Zollschutz kann der Teil der Industrie, der ein Monopol
errichtet hat, die Preise bis zu der Höhe treiben, die den Eintritt
freien Kapitals gewinnbringend erscheinen läßt. Die Möglichkeit
dieses Eintritts bildet also eine Art „Regulator“. Ist aber nicht
allein das Kapital, sondern auch die Arbeit monopo-
lisiert oder nähert sie sich wenigstens diesem Sta-
dium, so wird das neu eintretende Kapital sowohl
Schwierigkeiten haben, die nötige Anzahl gelernter
Arbeiter zu erhalten, als auch, wenn ihm dies möglich,
in der Gefahr sein, von der Vereinigung des monopo-
lisierten „Kapital und Arbeit“ erdrückt zu werden, in-
dem dieser, bei Zustimmung des Arbeiters zur zeit-
weisen Herabsetzung ihrer Löhne, eine billigere Pro-
duktion möglich ist. Allerdings würde eine derartige Entwicke-
lung mit ihrer Zunahme auch schon ein Gegengewicht in sich selbst
tragen, da der Arbeiter ja zu gleicher Zeit auch auf der Seite der
Konsumierenden steht; auch würde eine zu große Erhöhung der
Preise eine starke Nachfrage nach außerhalb des Arbeitermonopols
stehenden Arbeitern erzeugen und damit dieses brechen. Doch liegt
die Möglichkeit eines wenigstens vorübergehenden Eintretens eines
solchen Zustandes nicht fern. Ein Vorfall, der hier zu beobachten,
gibt in dieser Richtung manches zu denken. Die Arbeiter der Glas-
industrie sind stark organisiert. Sie haben es verstanden, durch ex-
klusive Politik ihre Anzahl so zu beschränken, daß sie die Industrie,
soweit „Arbeit“ in Betracht kommt, beherrschen, ja, daß aus Mangel
an Arbeitern manche Betriebe gsschlossen werden mußten. Wir
sehen als Resultat der Machtstellung dieses Unionver-
bandes eine friedliche Regulierungaller Streitigkeiten
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber auch
ein gemeinsames Vorgehen gegen die Konsumierenden.
Die erste Frage lautet: Was können wir vom Publikum erlangen,
indem wir zusammenhalten ; die zweite Frage erst ist die der Gewinn-
Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters. 471
teilung. Der hohe Preis der Fensterscheiben ist die Folge dieser
Vereinbarung. Was hier in einer Industrie schon tatsächlich be-
steht, kann für die Zukunft Ausdehnung auf andere erhalten.
Ziehen wir das Resumee der ganzen Lage, so finden wir: Organi-
sation der Arbeit nach dem Prinzip der Gewerbeangehörigkeit in
Unions. Der größte Teil dieser Unions zusammengefaßt in einem
Allgemeinverband (A. F. of L.), der ein noch ungleichmäßiges Bild
bietet. Wir sehen in ihm alte Unions, meist bestehend aus amerika-
nischen gelernten Arbeitern (erster Kategorie) die, fest geschlossen,
eine gemäßigte Politik treiben, daneben aber andere, unentwickelte
Unions, bei denen undisziplinierte, unruhige Elemente einem selbst-
süchtigen Agitator folgen. Und blicken wir über sie alle als Ganzes,
so erscheinen die Leiter der Bewegung in demselben Verhältnis
konservativer und vernünftiger, in welchem sie an mehr verantwortungs-
voller Stelle stehen. So kann man wohl sagen, daß die Haupt-
leitung und das konservative Element der Arbeiter (erster und teil-
weise zweiter Kategorie) in den alten Unions, und soweit es sich
in den jungen Unions befindet, Streiks zu vermeiden sucht, daß
aber die Unterleitung, soweit gestützt von der unruhigen Arbeiter-
schaft, dazu aufgelegt ist, Schwierigkeiten vom Zaun zu brechen,
— wodurch zur Zeit eine starke Belästigung und Schädigung der
Industrie erzeugt wird. Die Reinigung der Unions (insbesondere
von den Arbeitern der dritten Kategorie), die im Interesse der besseren
Arbeiterschaft und der Unternehmer liegt, ist angesichts der exklu-
siven Tendenz zu erwarten. Durch sie mag dieser Mißstand gehoben
werden. Zu gleicher Zeit kann aber auch das Herausziehen der
konservativen Elemente aus der übrigen Arbeiterschaft zusammen
mit der Benachteiligung, die ein strenger Abschluß der oberen für
die unteren Schichten mit sich bringt, hier radikalere Stimmungen
erzeugen, was sich bei Krisen und eventueller Desorganisation zu
einer sozialen Gefahr auswachsen mag. Betrachten wir die Sachlage
unter Berücksichtigung des Gegensatzes zwischen Produzierenden und
Konsumierenden und nicht des von Kapital und Arbeit, so scheint
die Entwickelung im Hinblick auf die exklusive Tendenz der Unions
auf einen Zusammenschluß von monopolisierter Arbeit und mono-
polisiertem Kapital hinzudeuten, welcher die Gefahr der Benachteilung
aller Außenstehenden (wie die ganze Landwirtschaft und Kapital und
Arbeit — soweit sie nicht organisiert sind) nahe rücken dürfte.
Die hier versuchten Ausblicke mögen nur als eine Hindeutung
auf die Zukunft unter Betonung einer der kräftigsten Entwickelungs-
bedingungen aufgefaßt werden. Bei der großen Mannigfaltigkeit der
hier wirkenden Faktoren, bei der Möglichkeit des Auftauchens neuer
Bedingungen, die die Bewegung hemmen, oder ihr eine andere
Richtung geben, ist es schwer, ein Bild der Zukunft zu entwerfen.
Doch kann bei aller Vorsicht der Schlußfolgerung angenommen
werden, daß die augenblicklichen Zustände eine Entwickelung an-
deuten, die ihre Hauptrichtung durch die Einwirkung der oben an-
geführten Faktoren erhält. Lassen wir die Zukunft ganz aus dem
472 Ernst Pistor, Ein Beitrag zur Psychologie des amerikanischen Arbeiters.
Spiel, so können bei aller Anerkennung der Notwendigkeit derartiger
Organisationen in Amerika, die Schattenseiten nicht übersehen werden.
Abgesehen von den kleineren Nachteilen, denen sich auf der anderen
Seite ebensoviele Vorteile wohl entgegenstellen lassen, bleiben zwei
Hauptpunkte bestehen, die eine Schädigung der Industrie darstellen.
Die Beunruhigung der Industrie durch unruhige Politik (Streiks etc.)
und die Verteuerung der Arbeit, die mit der Entwickelung des
Unionwesens gleichen Schritt hält. Die Größe und der Reichtum
des Landes, seine Prosperität und die Findigkeit des Amerikaners,
unter ausgedehnter Anwendung von Maschinen, die größten Resultate
mit den Arbeitskräften, die er bezahlt, zu erzielen, haben zusammen
mit dem kommerziellen Genie des Amerikaners diese Schwierigkeiten
bis jetzt noch überwunden. Doch die Forderungen der Unions werden
von Tag zu Tag mit größerer Kraft geltend gemacht und den fetten
Jahren mögen dürre Zeiten folgen, die es der Industrie Amerikas
schwer machen werden, diesen Anforderungen zu genügen, ohne sich
damit selbst zu schädigen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 473
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
I.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung des Deutschen Reiches
im Jahre 1902.
Von Dr. phil. Felix Wissowa (Berlin).
Gesetz vom 30. Dezember 1901 zur Abänderung der Stran-
dungsordnung (R.G.B. 1902 No. 1 S. 1 f.).
Bekanntmachung vom 23. Januar 1902, betr. die Beschüftigung
von Gehilfen und'Lehrlingen in Gast- und in Schank wirt-
schaften (R.G.B. No. 4 S. 33 £.; 40).
, Auf Grund des $ 120e der Gewerbeordnung hat der Bundesrat nachstehende Be-
stimmungen über die Beschüftigung von Gehilfen und Lehrlingen in Gast- und
in Schankwirtschaften erlassen:
.. 1 1) In Gast- und in Schankwirtschaften ist jedem Gehilfen und Lehrling
über 16 Jahre für die Woche 7mal eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens
8 Stunden zu gewühren. Der Beginn der ersten Ruhezeit darf in die vorher-
gehende, das Ende der siebenten Ruhezeit in die nachfolgende Woche fallen.
. Für Gehilfen und Lehrlinge unter 16 Jahren muß die Ruhezeit mindestens
H Stunden betragen . . .
. „Die höhere Verwaltungsbehörde ist befugt, in Bade- und anderen Kurorten
die Ruhezeit für Gehilfen und Lehrlinge über 16 Jahre in Gastwirtschaften wüh-
rend der Saison, jedoch nicht über eine Dauer von 3 Monaten, bis auf 7 Stunden
herabzusetzen. Neben dieser Ruhezeit müssen tüglich, abgesehen von den Mahl-
zeiten, Ruhepausen in der Gesamtdauer von mindestens 2 Stunden gewährt werden.
2) Der Zeitraum zwischen 2 Ruhezeiten, welcher auch die Arbeitsbereitschaft
und die Ruhepausen umfaßt, darf in den Fällen der Ziffer 1 Abs. 1 höchstens
16 Stunden, in den Fällen der Ziffer 1 Abs. 2 höchstens 15 Stunden und in den
Fällen der Ziffer 1 Abs. 3 höchstens 17 Stunden betragen.
3) Eine Verlängerung der in Ziffer 2 bezeichneten Zeiträume ist für den
Betrieb bis zu 60mal im Jahre zulässig. Dabei kommt jeder Fall in Anrechnung,
BER nur für einen Gehilfen oder Lehrling diese Verlängerung stattgefunden
. 4) An Stelle einer der nach Ziffer 1 zu gewährenden ununterbrochenen Ruhe-
zeiten ist den Gehilfen und Lehrlingen mindestens in jeder 3. Woche einmal eine
ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 24 Stunden zu gewühren.
In Gemeinden, welche nach der jeweilig letzten Volkszühlung mehr als
20000 Einwohner haben, ist diese Ruhezeit mindestens in jeder 2. Woche zu
gewühren.
In denjenigen Wochen, in welchen hiernach eine 24-stündige Ruhezeit nicht
gewührt zu werden braucht, ist aufer der ununterbrochenen Ruhezeit von der
474 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Lë qques Dauer (Ziffer 1) mindestens einmal eine weitere ununterbrochene
Ruhezeit von mindestens 6 Stunden zu gewähren, welche in der Zeit zwischen
8 Uhr morgens und 10 Uhr abends liegen muß.
5) enthält Bestimmungen über die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anlage von
Verzeichnissen der Gehilfen und Lehrlinge und der erteilten Ruhezeiten.
6) Gehilfen und Lehrlinge unter 16 Jahren dürfen in der Zeit von 10 Uhr
abends bis 6 Uhr morgens nicht beschäftigt werden. Außerdem dürfen Gehilfen
und Lehrlinge weiblichen Geschlechts, welche nicht zur Familie des éise ae
gehören, während dieser Zeit nicht zur Bedienung der Gäste verwendet werden,
II. 7) Als Gehilfen und Lehrlinge im Sinne dieser Bestimmungen gelten
solche Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, welche im Betriebe der
Gast- und der Schankwirtschaften als Oberkellner, Kellner oder Kellnerlehrlinge,
als Köche oder Kochlehrlinge, am Buffet oder mit dem Fertigmachen kalter Speisen
beschäftigt werden. Ausgenommen sind jedoch Personen, welche hauptsächlich
in einem mit der Gast- oder der Schankwirtschaft verbundenen kaufmännischen
oder sonstigen gewerblichen Betriebe beschäftigt werden, sofern ihre tägliche Ar-
beitszeit in diesem Betrieb anderweiten reichsrechtlichen Vorschriften unterliegt.
III. 8) Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1. April 1902 in Kraft.
Bis zum 31. Dezember 1902 ist Ueberarbeit (Ziffer 3) höchstens 45mal
>
on dem in Ziffer 6 Satz 2 enthaltenen Verbote sind diejenigen Personen
ausgenommen, welche bei der Verkündung dieser Bestimmungen Kellnerinnen sind.
Bekanntmachung vom 25. Januar, betr. das Verfahren bei An-
trägen auf Verlängerung der Ladenschlußzeit (R.G.B. No.5
S. 38—40).
Bekanntmachung vom 31. Januar, betr. die Beschäftigung von
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Cichorien-
fabriken und den zur Herstellung von Cichorie dienenden Werk-
stätten mit Motorbetrieb (R.G.B. No. 6 S. 42).
Auf Grund des $ 139a der Gewerbeordnung hat der Bundesrat nachstehende
Bestimmungen, erlassen.
L In Cichorienfabriken sowie in solchen zur Herstellung von Cichorie dienen-
den Werkstätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf, Wind, Wasser, Gas,
Luft, Elektrizität u. s. w.) bewegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend zur Ver-
wendung kommen, darf Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Räumen,
in welchen Darren im Betriebe sind, während der Dauer des Betriebs eine Be-
schäftigung nicht gewährt und der Aufenthalt nicht gestattet werden.
Verordnung vom 3. Februar, betr. die Beaufsichtigung hes-
sischer und bremischer privater Versicherungsunterneh-
mungen (R.G.B. No. 7 S. 43).
Die Beaufsichtigung wird dem Kaiserlichen Aufsichtsamte für Privatversicherung
übertragen.
Bekanntmachung vom 18. Februar, betr. gesundheitsschäd-
liche und täuschende Zusätze zu Fleisch und dessen Zuberei-
tungen (R.G.B. No. 9 S. 48).
Auf Grund der Bestimmungen im $ 21 des Gesetzes, betr. die Schlachtvieh-
und Fleischbeschau, vom 3. Juni 1900, hat der Bundesrat die nachstehenden Be-
stimmungen beschlossen :
Die Vorschriften des $ 21 Abs. 1 des Gesetzes') finden auf die folgenden
Stoffe sowie auf die solche Stoffe enthaltenden Zubereitungen Anwendung.
1) 2 21 Abs. 1 lautet: Bei der gewerbsmäßigen Zubereitung von Fleisch dürfen
Stoffe oder Arten des Verfahrens, welche der Ware eine gesundheitsschädliche Beschaffen-
heit zu verleihen vermögen, nicht angewendet werden. Es ist verboten, derartig zube-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 475
Borsäure und deren Salze, Formaldehyd, Alkali- und Erdalkali-Hydroxyde und
-Karbonate, schweflige Säure und deren Salze, sowie unterschwefligsaure Salze,
Fluorwasserstoff und dessen Salze, Salicylsäure und deren Verbindungen, chlor-
saure Salze. :
Dasselbe gilt für Farbstoffe aller Art, jedoch unbeschadet ihrer Verwendung
zur Gelbfárbung der Margarine und zum Fürben der Wursthüllen, sofern diese
Verwendung nicht anderen Vorschriften zuwiderläuft.
Bekanntmachung vom 1. März, betr. die Einrichtung und den
Betrieb gewerblicher Anlagen zur Vulkanisierung von
Gummiwaren (R.G.B. No. 12 S. 59— 63).
Bekanntmachung vom 1. März, betr. den Fett- und Wasser-
gehalt der Butter (R.G.B. No. 12 S. 64).
Auf Grund des $ 11 des Gesetzes, betr. den Verkehr mit Butter, Käse,
Schmalz, und deren Ersatzmitteln, vom 15. Juni 1897 hat der Bundesrat beschlossen:
Butter, welche in 100 Gewichtsteilen weniger als 80 Gewichtsteile Fett oder in
ungesalzenem Zustande mehr als 18 Gewichtsteile, in gesalzenem Zustande mehr
als 16 Gewichtsteile Wasser enthält, darf vom 1. Juli 1902 ab gewerbsmäßig nicht
verkauft oder feilgehalten werden.
Bekanntmachung vom 5. März, betr. die Beschäftigung von
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glashüt-
ten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sand-
bläsereien (R.G.B. No. 18 S. 65—71).
Auf Grund der 88 120e, 139a der Gewerbeordnung hat der Bundesrat die
nachstehenden Bestimmungen . . . erlassen:
I. Die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Glas-
hütten, Glasschleifereien und Glasbeizereien sowie Sandbläsereien unterliegt folgen-
den Beschränkungen:
1) Insolchen Räumen, in denen vor dem Ofen (Schmelz-, Kühl-, Glüh-, Streck-
ofen) gearbeitet wird und in solchen Räumen, in denen eine außergewöhnlich hohe
Wärme herrscht (Häfenkammern u. dgl.) darf Arbeiterinnen und Knaben unter
14 Jahren eine Beschäftigung nicht gewährt und der Aufenthalt nicht gestattet
werden. Ausnahmen hiervon kann der Bundesrat zulassen.
2) In solchen Räumen, in denen Rohstoffe oder Glasabfälle zerkleinert oder
arg werden, oder in denen mit flüssigem Fluorwasserstoffe gearbeitet wird,
arf Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern eine Beschäftigung nicht gewährt
und der Aufenthalt nicht gestattet werden.
3) Mit Arbeiten am Sandstrahlgebläse dürfen Arbeiterinnen und jugendliche
Arbeiter nicht beschäftigt werden.
4) Mit Schleifarbeiten dürfen Knaben unter 14 Jahren und jugendliche Ar-
beiterinnen nicht beschäftigt werden. Mit denjenigen Schleifarbeiten, bei welchen
die Glaswaren trocken geschliffen werden oder das Schleifrad nicht durch mecha-
nische Kraft angetrieben wird, dürfen auch erwachsene Arbeiterinnen nicht be-
schäftigt werden. Ausnahmen von ihrer Verwendung beim Trockenschleifen kann
die höhere Verwaltungsbehörde auf Antrag des Arbeitgebers gestatten, sofern durch
zweckentsprechende Betriebsanlagen für eine ständige wirksame Absaugung des
entstehenden Staubes gesorgt ist.
5) Junge Leute männlichen Geschlechts dürfen, soweit deren Beschäftigung
nach diesen Bestimmungen zulässig ist, nur beschäftigt werden, wenn durch ein
Zeugnis eines von der höheren Verwaltungsbehörde zur Ausstellung solcher Zeug-
nisse ermächtigten Arztes dargetan wird, daß die körperliche Entwickelung des
Arbeiters eine Beschäftigung ohne Gefahr für die Gesundheit zuläßt . ..
II. In Glashütten, in denen die Glasmasse gleichzeitig geschmolzen und ver-
arbeitet wird — abgesehen von denjenigen Spiegelglashütten, welche gewalztes
reitetes Fleisch aus dem Ausland einzuführen, feilzuhalten, zu verkaufen oder sonst in
Verkehr zu bringen.
476 Nationalökonomische Gesetzgebung."
Glas herstellen — dürfen für die Beschäftigung junger Leute männlichen Geschlechts
bei den Arbeiten vor dem Ofen (Schmelz-, Kühl-, Glüh-, Streckofen) die Bestim-
mungen des $ 136 der Gewerbeordnung mit folgenden Maßgaben außer Anwen-
dung bleiben:
1) Die Arbeitsschicht darf einschließlich der Pausen nicht länger als 12 Stunden,
ausschließlich der Pausen nicht länger als 10 Stunden dauern.
Die Gesamtdauer der Beschäftigung darf innerhalb einer Woche ausschließ-
lich der Pausen 60 Stunden nicht überschreiten.
Die Arbeit muß in jeder Schicht durch eine oder mehrere Pausen in der
Gesamtdauer von mindestens einer Stunde unterbrochen sein. Unterbrechungen
der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde kommen auf die Pausen in der
Regel nicht in Anrechnung. Eine der Unterbrechungen muß mindestens eine
halbe Stunde dauern . ..
e? Bei Tag- und Nachtarbeit muß wöchentlich Schichtenwechsel eintreten.
Diese Bestimmung findet auf diejenigen Glashütten keine Anwendung, in denen
die Beschäftigung so geregelt ist, daß für die jungen Leute zwischen je zwei Ar-
beitsschichten eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden liegt.
3) Während der Pausen für die Erwachsenen dürfen junge Leute nicht be-
schäftigt werden.
4) Zwischen je zwei Arbeitsschichten muß eine Ruhezeit von mindestens
12 Stunden liegen.
5) An Sonn- und Festtagen darf die Beschäftigung nicht in die Zeit von
6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends fallen. Die Vorschrift findet, wenn mehrere
Festtage aufeinander folgen, nur auf den ersten Festtag Anwendung.
III. In Glashütten, in denen die Schmelzschicht und die Verarbeitungs-
schicht miteinander wechseln, dürfen für die Beschäftigung junger Leute männ-
lichen Geschlechts bei den Arbeiten vor dem Ofen (Schmelz-, Kühl-, Glüh-, Streck-
ofen), die Bestimmungen des $ 135 Abs. 3, $ 136 der Gewerbeordnung mit folgen-
den Maßgaben außer Anwendung bleiben :
1) Die Gesamtdauer der Beschäftigung darf innerhalb einer Woche ausschließ-
lich der Pausen nicht mehr als 60 Stunden betragen.
Innerhalb zweier Wochen darf von der Gesamtdauer der Beschäftigung in
die Zeit von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens nicht mehr als die Hälfte fallen.
Die Dauer der Pausen muß für Schichten von höchstens 10 Arbeitsstunden
mindestens eine Stunde, für Schichten mit längerer Arbeitszeit mindestens 1'/, Stunde
betragen. Unterbrechungen der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde Dauer
werden auf die Pausen nicht in Anrechnung gebracht; eine der Pausen muß
mindestens eine halbe Stunde dauern.
2) In der Zeit von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens darf die Beschäftigung
ausschließlich der Pausen die Dauer von 10 Stunden nicht überschreiten.
3) Während der Pausen für die Erwachsenen dürfen junge Leute nicht be-
schäftigt werden. j
4) Zwischen je zwei Arbeitsschichten muf eine Ruhezeit liegen, welche min-
destens die Dauer der zuletzt beendigten Schicht erreicht. Innerhalb der Ruhe-
zeit ist eine Beschüftigung mit Nebenarbeiten gestattet, wenn die jungen Leute
vor Beginn oder nach dem Ende dieser Beschäftigung noch für eine Zeit von der
Dauer der zuletzt beendigten Schicht ohne jede Beschäftigung bleiben. Die Dauer
der Beschäftigung mit Nebenarbeiten kommt auf die Gesamtdauer der wöchent-
lichen Arbeitszeit in Anrechnung.
5) An Sonntagen darf die Beschäftigung nur einmal innerhalb zweier Wochen
in die Zeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends fallen.
IV. und V. enthalten Bestimmungen über die von den Glashütten u. s. w. zu
führenden Tabellen über die Arbeitszeiten und Pausen der jungen Leute.
Bekanntmachung vom 5. März, betr. die Beschäftigung von
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Rohzucker-
fabriken, Zuckerraffinerien und Melasseentzuckerungs-
anstalten (R.G.B. No. 13 S. 72).
^ Nationalókonomische Gesetzgebung. 477
Auf Grund des $ 139a Abs. 1 Ziffer 1 der Gewerbeordnung hat der Bundes-
rat die nachstehenden Bestimmungen . . . erlassen:
I. Die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Roh-
zuckerfabriken, Zuckerratfinerien und Melasseentzuckerungsanstalten unterliegt fol-
genden Beschränkungen:
1) Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter dürfen zur Bedienung der Rüben-
schwemmen, der Rübenwäschen und der Fahrstühle, sowie zum Transporte der
Rüben und Rübenschnitzel in schwer zu bewegenden Wagen nicht verwendet werden.
2) Im Füllhaus, in den Zentrifugenräumen, den Kristallisationsräumen, den
Trockenkammern, den Maischräumen, den Räumen zum Decken des Brotzuckers,
den Nutschräumen, den Trockenanlagen der Strontianziegeleien, sowie an anderen
Arbeitsstellen, an welchen eine außergewöhnliche Wärme herrscht, darf Arbeiterinnen
und jugendlichen Arbeitern während der Dauer des Betriebes eine Beschäftigung
nicht gewährt und der Aufenthalt nicht gestattet werden.
Bekanntmachung vom 30. März, betr. die Einrichtung und den
Betrieb von Steinbrüchen und Steinhauereien (Steinmetz-
betrieben) (RG.B. No. 16 S. 78—80).
Auf Grund des $ 120e der Gewerbeordnung hat der Bundesrat die nach-
stehenden Bestimmungen . . . erlassen.
$ 1. In solchen Steinbrüchen und Steinhauereien, in denen regelmäßig 5
oder mehr Arbeiter beschäftigt werden, müssen für die im Freien beschäftigten
Arbeiter zur Unterkunft während der Arbeitspausen ausreichend große und wetter-
dichte Räume vorhanden sein, welche genügend erhellt, mit einem dichten Fuß-
boden versehen und bei kalter Witterung geheizt sind; sie müssen für jeden dauernd
beschäftigten Arbeiter einen Sitzplatz enthalten. Auch müssen Vorrichtungen zum
Wärmen der Speisen vorhanden sein . ..
$ 9. In Steinbrüchen dürfen Arbeiter, die bei der Steingewinnung (dem
Brechen, dem Unterschrämen, dem Hohlmachen, dem Herstellen und Besetzen von
Bohrlöchern, dem Sprengen und dergleichen verwendet werden, nicht länger als
10 Stunden täglich beschäftigt werden.
In Steinbrüchen und Steinhauereien dürfen Arbeiter, die bei dem Bossieren
oder der weiteren Bearbeitung von Sandstein verwendet werden, nicht länger als
9 Stunden täglich beschäftigt werden.
Ausnahmen von den vorstehenden Bestimmungen können von der unteren
Verwaltungsbehörde zugelassen werden für Arbeiten, welche in Notfällen oder im
öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen. Die Erlaubnis
darf nicht für mehr als 2 Stunden täglich und höchstens auf die Dauer von
14 Tagen erteilt werden.
$ 10. In Steinbrüchen dürfen Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter nicht
bei der Steingewinnung ($ 9 Abs. 1) oder bei der Rohaufarbeitung von Steinen
beschäftigt werden. In Steinhauereien dürfen jugendliche Arbeiter nicht bei der
trockenen Bearbeitung von Sandstein, Arbeiterinnen auch nicht mit anderen Arbeiten
beschäftigt werden, bei denen sie der Einwirkung von Steinstaub ausgesetzt sind.
Außerdem dürfen in Steinbrüchen und Steinhauereien Arbeiterinnen und
jugendliche Arbeiter nicht beim Transport oder Verladen von Steinen beschäftigt
werden. Für Schieferbrüche kann die höhere Verwaltungsbehörde Ausnahmen
dahin zulassen, daß jugendliche Arbeiter beim Transport oder Verladen von Steinen
mit ihren Kräften angemessenen Arbeiten beschäftigt werden dürfen.
Gesetz vom 20. März, betr. die Feststellung des Reichs-
haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1902 (R.G.B. No. 17 S. 81—113).
2 1. Der Etat wird für 1902 in Ausgabe und Einnahme auf 2 $03 188 115 M.
(1971527823 M. fortdauernde, 180 560 423 M. einmalige Ausgaben des ordentlichen
Etats und 151094819 M. einmalige Ausgaben des aufserordentlichen Etats) festgesetzt.
$ 2. Der Reichskanzler wird ermächtigt, zur Bestreitung einmaliger außer-
ordentlicher Ausgaben die Summe von 113 200 439 M. im Wege des Kredites flüssig
zu machen.
$ 3. Der Reichskanzler wird ermächtigt, zur vorübergehenden Verstärkung
478 Nationalökonomische Gesetzgebung.
der ordentlichen Betriebsmittel der Reichshauptkasse nach Bedarf, jedoch nicht
über den Betrag von 275 Mill. M. hinaus, Schatzanweisungen auszugeben.
Gesetz vom 20. März, betr. die Feststellung des Haushalts-
etats für die Schutzgebiete auf das Rechnungsjahr 1902 (R.G.B.
No. 17 S. 114—123).
Der Etat der Schutzgebiete auf das Rechnungsjahr 1902 wird in Einnahme und
Ausgabe auf 37 402 496 M. (im Vorjahre 36 608 600 M.) festgesetzt und zwar 1) für das
ostafrikanische Schutzgebiet 8 051496 M. (im Vorjahre 8 491 000 AM.) 2) für Kamerun
4236600 (8775 800) M., 3) für Togo 1650000 (1448 000) M., 4) für das südwest-
afrikanische Schutzgebiet 9 458 900 (10451600) M., 5) für Neu-Guinea 822 000 (809 700) M.
6) für die Karolinen, Palau und Marianen 338100 (311500) M., 7) für Samoa
441400 (266 000) M., 8) für Kiautschou 12 404 000 (11 050 000) M. Die eigenen Ein-
nahmen der Schutzgebiete betragen bei 1) 8 186 296, der Reichszuschufs 4 865 200 M.
bei 2) 2031500, der Reichszuschufs 2 205100 M., bei 3) 685 000, der Reichszuschu/s
1015 000 M., bei 4) 1824 000, der Reichszuschufs 7634900 M., bei 5) 100 000, der
Reichszuschufs 722 000 M., bei 6) 33 100, der Reichszuschu/s 305 000 M., bei 7) 271000,
der Reichszuschufs 170 400 M., bei 8) 360000, der Reichszuschufs 12044 000 M., ins-
gesamt die eigenen Einnahmen der Schutzgebiete 8 440896 M., und der Reichszuschu/s
28 961 600 M.
Gesetz vom 22. März, zum Schutze des Genfer Neutralitäts-
zeichens (R.G.B. No. 18 S. 125 f.).
Bekanntmachung vom 6. Mai, betr. die Feststellung des Börsen-
preises für Zucker (R.G.B. No. 24 S. 166),
Der Feststellung des Börsenpreises für Zucker ist allgemein die Gewichtseinheit
von 100 kg zu Grunde zu legen.
Schaumweinsteuergesetz vom 9. Mai (R.G.B. No. 24 S. 155
—163).
8 1. Schaumwein aus Traubenwein, aus Obst- oder Beerenwein (Fruchtwein),
sowie alle schaumweinähnlichen Getränke unterliegen, sofern sie zum Verbrauch
im Inlande bestimmt sind, einer in die Reichskasse flieBenden Verbrauchsabgabe
(Schaum weinsteuer).
Schaumwein im Sinne dieses Gesetzes sind alle der Schaumweinsteuer unter-
liegende Getränke.
Schaumwein, welcher nachweislich der Verzollung unterlegen hat, bleibt von
der Abgabe befreit.
2) Die Schaumweinsteuer beträgt:
a) für Schaumwein, der aus Fruchtwein ohne Zusatz von Traubenwein her-
gestellt ist, 10 Pfennig für jede Flasche;
b) für anderen Schaumwein und schaumweinähnliche Getränke 50 Pfennig
für jede Flasche.
Für jede halbe Flasche ist die Hälfte und für jede kleinere Flasche ein Viertel
der auf die Flasche entfallenden Steuer zu entrichten . ..
$ 3. Die Schaumweinsteuer ist vom Hersteller des Schaumweins mittels An-
bringung eines Steuerzeichens an der Umschließung zu entrichten, bevor der fertige
Schaumwein aus der Erzeugungsstätte entfernt oder innerhalb derselben getrunken
wird. Die näheren Bestimmungen über die Form, die Anfertigung, den Vertrieb
und die Art der Verwendung der Steuerzeichen trifft der Bundesrat. Er stellt
dıe Voraussetzungen fest, unter welchen für verwendete Steuerzeichen ein unent-
geltlicher Ersatz und für noch nicht verwendete Steuerzeichen ein unentgeltlicher
Umtausch oder eine Rückzahlung gewährt werden darf. Steuerzeichen, welche
nicht in der vorgeschriebenen Weise verwendet worden sind, werden als nicht vor-
handen angesehen. ;
. Die Anbringung eines Steuerzeichens ist nicht erforderlich, wenn der Schaum-
wein vor der Entnahme aus der Erzeugungsstütte zur Ausfuhr unter amtlicher
kostenfreier Kontrolle angemeldet wird.
Gegen Sicherheitsstellung ist die Schaumweinsteuer für eine Frist von wenigstens
Nationalökonomische Gesetzgebung. 479
9 Monaten zu stunden. Für eine Frist bis zu 3 Monaten kann sie auch ohne
Sicherheitsstellung gestundet werden.
BY. Wer Schaumwein herstellen will, hat vor der Eröffnung des Betriebes der
Steuerbehörde einen Grundriß und eine Beschreibung der Betriebs- und Lager-
räume, sowie der damit in Verbindung stehenden oder unmittelbar daran an-
grenzenden Räume vorzulegen.
. Diejenigen Räume, welche zur Lagerung von fertigem unversteuertem Schaum-
weine dienen sollen, bedürfen der Genehmigung der Steuerbehórde.
iume, in denen der Ausschank oder der Verkauf von Schaumwein in ein-
zelnen Flaschen betrieben wird, müssen auf Verlangen der Steuerbehórde von den
erräumen für fertigen unversteuerten Schaumwein derartig getrennt sein, daß
Schaumwein nicht anders als auf offener Straße in sie übergeführt werden kann.
$ 9. Fertiger unversteuerter Schaumwein darf nur in den dazu genehmigten
Lagerräumen gelagert, behandelt und verpackt werden. Ueber Zu- und Abgang
desselben sind nach näherer Anordnung des Bundesrats Anschreibungen zu führen,
welche der Bestimmung der Steuerbehörde entsprechend aufzubewahren und den
Beamten zugänglich zu halten sind.
Die Bestände sind von Zeit zu Zeit amtlich festzustellen und mit den An-
schreibungen zu vergleichen. Von der Erhebung der Steuer für Fehlmengen ist
abzusehen, wenn und soweit dargetan wird, daß eine Steuerhinterziehung nicht
stattgefunden hat, sondern daß die Sue auf andere, eine Steuerschuld nicht
begründende Umstände zurückzuführen sind.
$ 13. Die Schaumweinsteuerzeichen sind an den Umschließungen so lange
zu erhalten, bis diese geöffnet werden.
Wer Schaumwein empfängt, welcher der Vorschrift des Gesetzes zuwider mit
den erforderlichen Steuerzeichen nicht versehen ist, hat hiervon binnen 3 Tagen
der Steuerbehörde Anzeige zu machen.
Händler mit Schaumwein und Wirte sind verbunden, den Oberbeamten der
Steuerverwaltung ihre Vorräte an Schaumwein zum Nachweise, daß solche mit den
vorgeschriebenen Steuerzeichen versehen sind, auf Verlangen vorzuzeigen.
. .8 28. Die Erhebung und Verwaltung der Schaumweinsteuer erfolgt durch
die Landesbehörden. Für die erwachsenden Kosten wird den Bundesstaaten nach
Maßgabe der vom Bundesrate zu erlassenden Bestimmungen Vergütung gewährt.
Die Reichsbevollmüchtigten für Zólle und Steuern und die Stationskontrolleuro
üben in Bezug auf die Ausführung des Schaumweinsteuergesetzes dieselben Rechte
und Pflichten, welche ihnen bezüglich der Erhebung und Verwaltung der Zólle
und Verbrauchssteuern beigelegt sind.
Die außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Teile des Reichs-
pites zahlen an Stelle der Schaumweinsteuer einen entsprechenden Ausgleichungs-
trag an die Reichskasse.
. .881. Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1902 mit der Maßgabe in Kraft, daß
für bestehende Fabriken die nach § 7 und § 8 Abs. 2 erforderlichen Anzeigen bei
Vermeidung der im $ 19 vorgesehenen Ordnungsstrafen bis zum 1. Juni 1902 zu
erstatten sind.
Vom 1. Juli 1902 werden Landessteuern vom Schaumweine nicht mehr er-
hoben. Schaumwein, der sich am 1. Juli 1902 außerhalb einer Schaumweinfabrik
oder einer Zollniederlage befindet, unterliegt nach näherer Bestimmung des Bundes-
rats der Schaumweinsteuer in Form einer Nachsteuer.
Schaumwein im Besitze von Haushaltungsvorständen, die weder Ausschank
noch Handel mit Getränken betreiben, bleibt, sofern die Gesamtmenge nicht mehr
als 30 Flaschen beträgt, von der Nachsteuer befreit.
Die übrigen Paragraphen betreffen die Verjährung der Steuer, Einzelheiten der
Steuerkontrolle, weitere Strafbestimmungen, das Strafverfahren u. a.
Abkommen vom 10. Mai, zwischen dem Deutschen Reiche
und dem Großherzogtum Luxemburg wegen Begründung einer
Gemeinschaft der Schaumweinsteuer (R.G.B. No. 31 S. 232 f).
„Art. 1. Im Großherzogtum Luxemburg werden am 1. Juli 1902 vorläufige
Bestimmungen über die Besteuerung des Schaumweins in Kraft treten, die mit
480 Nationalökonomische Gesetzgebung.
dem im Deutschen Reiche an dem gleichen Tage in Kraft tretenden Gesetz über
denselben Gegenstand inhaltlich übereinstimmen werden. Mit Rücksicht hierauf
soll vom 1. Juli 1902 an zwischen dem Deutschen Reiche und dem Großherzogtume
Luxemburg eine Gemeinschaft der Schaumweinsteuer eintreten.
Gesetz vom 20. Mai, betr. den Gebührentarif für den Kaiser
Wilhelm-Kanal (R.G.B. No. 25 S. 167).
Die nach $ 1 des Gesetzes vom 20. Juni 1899 mit dem 30. September 1%2
ablaufende Frist, binnen welcher die Festsetzung des Gebührentarifs für den Kaiser
Wilhelm-Kanal dem Kaiser im Einvernehmen mit dem Bundesrat überlassen bleibt,
wird bis zum 30. September 1907 erstreckt.
Bekauntmachung vom 24. Mai, betr. das Außerkraftreten des
Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages mit
dem Freistaate Salvador (R.G.B. No. 25 S. 168).
Verordnung vom 26. Mai, zur Ausführung des Patent-
gesetzes vom 7. April 1891 (R.G.B. No. 26 S. 169).
Im Patentamte werden zwei weitere Abteilungen, Anmeldeabteilung IX und X
gebildet, gegen deren Beschlüsse die Beschwerdeabteilungen I bezw. II zuständig sind.
Bekanntmachung vom 27. Mai, betr. die Beschäftigung von
Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Walz- und
Hammerwerken (R.G.B. No. 26 S. 170—173). |
Auf Grund des $ 139a der Gewerdeordnung hat der Bundesrat die nach-
stehenden Bestimmungen . . . erlassen:
I. Die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern in Metall-,
Walz- und Hammerwerken, welche mit ununterbrochenem Feuer betrieben werden,
unterliegt folgenden Beschränkungen :
1) Arbeiterinnen dürfen bei dem unmittelbaren Betriebe der Werke nicht
beschäftigt werden ;
2) Kinder unter 14 Jahren dürfen in den Werken überhaupt nicht beschäf-
tigt werden.
II. In Walz- und Hammerwerken, welche Eisen oder Stahl mit ununter-
brochenem Feuer verarbeiten, dürfen für die Beschäftigung der jungen Leute männ-
lichen Geschlechts bei dem unmittelbaren Betriebe der Werke die Beschränkungen
des $ 136 der Gewerbeordnung mit folgenden Maßgaben außer Anwendung bleiben:
1) Vor Beginn der Beschäftigung ist dem Arbeitgeber für jeden jugendlichen
Arbeiter das von einem Arzte, der von der höheren Verwaltungsbehörde zur Aus-
stellung solcher Zeugnisse ermächtigt ist, auszustellende Zeugnis einzuhändigen,
nach welchem die körperliche Entwickelung des Arbeiters eine Beschäftigung in
dem Werke ohne Gefahr für die Gesundheit zuläßt . . .
2) Die Arbeitsschicht darf einschließlich der Pausen nicht länger als 12 Stunden,
ausschließlich der Pausen nicht länger als 10 Stunden dauern. Die Arbeit muß
in jeder Schicht durch Pausen in der Gesamtdauer von mindestens einer Stunde
unterbrochen sein.
Unterbrechungen der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde kommen auf
die Pausen in der Regel nicht in Anwendung. Ist jedoch in einem Betriebe die
Beschäftigung der jugendlichen Arbeiter so wenig anstrengend und naturgemäß
mit so zahlreichen, hinlängliche Ruhe gewährenden Arbeitsunterbrechungen ver-
bunden, daß schon hierdurch eine Gefährdung ihrer Gesundheit ausgeschlossen
erscheint, so kann die höhere Verwaltungsbehörde einem solchen Betrieb auf An-
trag unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gestatten, diese Arbeitsunter-
brechungen auch dann auf die 1-stündige Gesamtdauer der Pausen in Anrechnung
zu bringen, wenn die einzelnen Unterbrechungen von kürzerer als einviertelstündiger
Dauer sind. Werden die jugendlichen Arbeiter in längeren als 8-stündigen Schichten
beschäftigt, so muß eine der Pausen stets mindestens eine halbe Stunde dauern
und zwischen das Ende der vierten und den Anfang der achten Arbeitsstunde fallen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 481
Die Gesamtdauer der Beschäftigung darf innerhalb einer Woche ausschließ-
lich der Pausen 60 Stunden nicht überschreiten.
Bei Tag- und Nachtbetrieb muß wöchentlich Schichtwechsel eintreten. Bei
Betrieben mit täglich 2 Schichten darf für junge Leute die Zahl der in die Zeit
von 8'/, Uhr abends bis 5'/, Uhr morgens fallenden Schichten (Nachtschichten)
wöchentlich nicht mehr als 6 betragen.
3) Zwischen zwei Arbeitsschichten muß eine Ruhezeit von mindestens 12 Stunden
liegen. Innerhalb dieser Ruhezeit ist eine Beschäftigung mit Nebenarbeiten nicht
estattet.
" 4) An Sonn- und Festtagen darf die Beschäftigung nicht in die Zeit von
6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends fallen. In die Stunden vor oder nach dieser
Zeit darf an Sonntagen die Beschäftigung nur dann fallen, wenn vor Beginn oder
nach Abschluß der Arbeitsschicht den jungen Leuten eine ununterbrochene Ruhe-
zeit von mindestens 24 Stunden gesichert bleibt.
5) Wührend der Pausen für die Erwachsenen dürfen junge Leute nicht be-
schäftigt werden.
III. und IV. beziehen sich auf die von den Arbeitgebern zu führenden Verzeich-
nisse der jugendlichen Arbeiter und Tabellen der gewährten Pausen sowie die auszu-
hängenden Tafeln mit den Bestimmungen der Bekanntmachung.
Seemannsordnung vom 2. Juni (R.G.B. No. 27 S. 175—211).
Tritt an Stelle der Seemannsordnung vom 27. Dezember 1872.
Gesetz vom 2. Juni, betr. die Verpflichtung der Kauffahr-
teischiffe zur Mitnahme heimzuschaffender Seeleute
(R.G.B. No. 27 S. 212—214).
Tritt an Stelle des Gesetzes vom 27. Dezember 1822, betr. die Verpflichtung deut-
scher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hilfsbedürjtiger Serleute.
Gesetz vom 2. Juni, betr. die Stellenvermittelung für
Schiffsleute (R.G.B. No. 27 S. 215—217).
Gesetz vom 2. Juni, betr. Abänderung seerechtlicher Vor-
schriften des Handelsgesetzbuchs (R.G.B. No. 27 S. 218—221).
Enthält Abänderung der 22 481, 547—549, 558, 749 des Handelsgesetzbuchs , be-
trit also Einzelheiten der Anrechte der Schifsleute auf Heuer und in Krankheits-
Jüllen auf Verpflegung und Heilung, ferner die Teilung des Bergelohns bei Bergung
eines Schiffes.
Bekanntmachung vom 5. Juni, betr. den Aufruf und die Ein-
ziehung der Noten der Bank für Süddeutschland in Darm-
stadt (R.G.B. No. 29 S. 225).
Bekanntmachung vom D. Juni, betr. den Anteil der Reichs-
bank an dem Gesamtbetrage des steuerfreien ungedeck-
ten Notenumlaufs (R.G.B. No. 29 S. 226).
Nach dem Verzicht der Bank für Süddeutschland in Darmstadt auf das Recht
zur Ausgabe von Banknoten hat sich der Anteil der Reichsbank an dem Gesamtbetrage
des steuerjreien ungedeckten Notenumlaufes von 460 auf 470 Mill. M. erhöht.
Bekanntmachung vom 18. Juni, betr. Aenderungen der Eisen-
bahnverkehrsordnung (R.G.B. No. 32 S. 236).
Betrifit die Beförderung von Leichen.
Gesetz vom 20. Juni, betr. die geschäftliche Behandlung
des Entwurfs eines Zolltarifgesetzes (R.G.B. No. 32 S. 235).
Den Mitgliedern der vom Reichstage zur Vorberatung des Entwurfes eines
Zolltarifgesetzes eingesetzten Kommission wird für die Teilnahme an den Sitzungen
tte Folge Bd, XXV (LXXX). 31
482 Nationalökonomische Gesetzgebung.
der Kommission, welche während der Unterbrechung der Plenarverhandlungen des
Reichstags stattfinden, ein Betrag von je 2000 M. aus der Reichskasse gewährt.
Von dem gewährten Betrage werden die Tagegelder abgerechnet, welche ein Mit-
lied der Kommission in seiner besonderen Eigenschaft als Mitglied eines deutschen
andtages für dieselbe Zeit bezieht. Die hierzu im Gesamtbetrage von 60 000 M.
STEE Mittel sind bei dem Etat des Reichstags außeretatsmäßig zu ver-
ausgaben.
Die näheren Bestimmungen erläßt der Präsident des Reichstag».
Verordnung vom 26. Juni, zur Ausführung des Gesetzes,
betr. die Freundschaftsverträge mit Tonga und Samoa und
den Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag mit
Zanzibar (RG.B. No. 39 S. 261).
Gesetz vom 7. Juli, betr. den Servistarif und die Klassen-
einteilung der Orte sowie Abänderung des Gesetzes über die Be-
willigung von Wohnungsgeldzuschüssen (R.G.B. No. 34
S. 239 f.).
Gesetz vom 7. Juli, betr. die Abänderung des Branntwein-
24. Juni 1887
— — ————— (R.G.B. . . 243—252).
16. Juni 1896 (R.G.B. No. 36 S. 243—252)
Art. bà Ir 8$ 1, 2, 41 und 42 des Gesetzes, betr. die Besteuerung des Brannt-
. Juni 1887
weins vom 16. Juni 1895 werden in nachstehender Weise abgeündert:
1 81 Abs. 4 und 5. Von der Verbrauchsabgabe befreit und bei Feststel-
lung der nach dem vorstehenden maßgebenden Jahresmenge außer Ansatz bleibt:
1) Branntwein, welcher ausgeführt wird;
2) Branntwein, welcher zu gewerblichen Zwecken, zur Essigbereitung oder zu
Putz-, Heizungs-, Koch- und Beleuchtungszwecken verwendet wird, Tach näherer
Bestimmung des Bundesrats. Die Brennereibesitzer sind gegen Uebernahme der
Kosten berechtigt, die amtliche Denaturierung ihres Branntweins in ihren Brenne-
reien zu verlangen . ..
2) § 2 Abs. 3—8. Von 5 zu 5 Jahren wird für die einzelnen bisher betei-
ligten Brennereien und für die inzwischen entstandenen landwirtschaftlichen oder
Materialbrennereien die Jahresmenge Branntwein, welche sie zu dem niedrigeren
Abgabesatze herstellen dürfen (das Kontingent) neu bemessen. Die Neukontingen-
tierung erfolgt im Laufe des letzten Jahres der jeweiligen 5-jährigen Periode für
die folgenden 5 Betriebsjahre nach folgenden Grundsätzen:
a) Regelmäßiges Verfahren.
Die bisher beteiligten Brennereien werden nach Maßgabe der in den vorher-
gehenden 5 Betriebsjahren durchschnittlich zum niedrigeren Abgabesatze herge-
stellten Alkoholmengen weiter beteiligt. Bei Brennereien, die in einem oder meh-
reren der 5 Jahre das Kontingent überhaupt nicht oder nicht vollständig herstellen,
wird für diese Jahre gleichwohl die volle Kontingentsmenge als hergestellt ange-
nommen, wenn wenigstens in einem der 5 Jahre das Kontingent vollständig her-
gestellt worden ist. In Abfindungsbrennereien (8 13) werden die Kontingente auch
dann als hergestellt angenommen, wenn dieselben in der Kontingentsperiode über-
haupt nicht oder nicht vollständig hergestellt worden sind.
b) Kontingentsminderung beim Betriebswechsel.
Die für die einzelne Brennerei bei der Neukontingentierung in Rechnung zu
stellende Alkoholmenge wird
1) wenn eine diekmaischende Getreidebrennerei während der letzten 5 Betriebs-
jahre zur Hefenerzeugung übergegangen ist, um ®/,,
2) wenn eine Brennerei, die zuvor andere Stoffe als Getreide verarbeitet hat,
in dieser Zeit zur Hefenerzeugung übergegangen ist, um die Hälfte, und wenn sie
zur Getreideverarbeitung ohne Hefenerzeugung übergegangen ist, um "e gekürzt.
Ist der Uebergang nur ein teilweiser gewesen, so erfolgt Kürzung zu einem ent-
steuergesetzes vom
Nationalökonomische Gesetzgebung. 483
sprechenden Teile. Bei Wiederholung eines Betriebswechsels derselben Art findet
eine erneute Kürzung nur insoweit statt, als die Aenderung der Betriebsart bei
der früheren Kürzung noch nicht berücksichtigt ist.
c) Neuveranlagung zum Kontingent.
Die Neuveranlagung zum Kontingent findet statt:
1) für die bis zum Beginne des letzten Jahres der jeweiligen Kontingents-
periode neu entstandenen und betriebsfähigen hergerichteten landwirtschaftlichen
und Materialbrennereien,
2) für diejenigen bisher beteiligten landwirtschaftlichen Brennereien, deren
wirtschaftliche Lage durch Verringerung oder Vergrößerung der regelmäßig be-
ackerten oder sonst landwirtschaftlich genutzten Fläche während der letzten 5 Be-
triebsjahre eine wesentliche Veränderung erfahren hat,
3) für diejenigen landwirtschaftlichen Brennereien, welche als dickmaischende
Getreide- oder als Hefebrennereien am Kontingent beteiligt waren und im Laufe
der vorhergehenden 5 Jahre dauernd entweder zur Verarbeitung von Kartoffeln
übergegangen sind oder die Hefenerzeugung aufgegeben haben,
4) für diejenigen landwirtschaftlichen Brennereien, bei deren früherer Neu-
ontingentierung wesentliche Veränderungen des Areals unberücksichtigt geblieben
sind.
Für die bezeichneten Brennereien ist nach dem Umfang ihrer Betriebsein-
richtungen unter Berücksichtigung des beackerten oder sonst landwirtschaftlich ge-
nutzten Areals und der gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse sowie des Betriebs-
umfanges anderer am Kontingent beteiligter Brennereien nach Anhörung zweier
Sachverständigen aus den Kreisen der Besitzer landwirtschaftlicher Brennereien
diejenige Alkoholmenge zu ermitteln, deren jährliche Herstellung als angemessen
zu erachten ist. Der Bemessung des künftigen Kontingents ist von dieser Menge
derjenige Teil zu Grunde zu legen, welcher dem Verhältnis entspricht, das in den
ohne Neuveranlagung am Kontingent zu beteiligenden Brennereien derselben Art
zwischen ihrer Gesamterzeugung und der von ihnen zum niedrigeren Abgabesatze
hergestellten Alkoholmenge wärend der vorhergehenden 5 Jahre durchschnittlich
bestanden hat.
d) Falls die auf Grund der Vorschriften unter a, b und c in Rechnung zu
stellenden Alkoholmengen 150000 1 übersteigen, werden sie um Lan, jedoch nicht
unter den Betrag von 150000 1 herabgesetzt.
Die auf Grund der Vorschriften unter e in Rechnung zu stellenden Alko-
holmengen dürfen im Falle einer Neubeteiligung am Kontingent oder einer Kon-
tingentserhóhung für landwirtschaftliche Brennereien 80000 I, für Materialbrenne-
reien 8000 1 nieht übersteigen.
e) Die auf Grund der Vorschriften unter b, c und d neu zugeteilten Kon-
tingentsmengen sind bei der nüchsten Neubemessung auch für das letzte Jahr der
vorangegangenen Verteilungsperiode in Rechnung zu stellen.
Für Brennereien, welche bis zum 1. Oktober 1902 betriebsfähig hergerichtet
sind, darf die in Rechnung zu stellende Alkoholmenge (S 2 des Gesetzes) 50000 1
nicht überschreiten. Jedoch kann für neue Brennereien, welche bis zum 1. Oktober
1901 betriebsfähig hergerichtet sind, diese Menge bis auf 80 000 1 bemessen werden,
sofern die Verträge über den Bau des Brennereigebäudes sowie die erforderlichen
Maschinen und Brenngeräte vor dem 16. April 1901 rechtsverbindlich abgeschlossen
sind. Das Gleiche gilt für die bisher beteiligten Brennereien, sofern der Grund
zur Neuveranlagung bereits vor dem 16. April 1901 bestanden hat.
Die nach Abs. 3 unter b für den Fall der Neukontingentierung vorgesehenen
Kontingentsmindernngen sind unbeschadet der endgültigen Festsetzung des Kon-
tingents am Schlusse jeder Periode nach den dort bezeichneten Grundsätzen schon
am Schlusse jedes Betriebsjahrs vorzunehmen.
Landwirtschaftliche und Materialbrennereien, die zum gewerblichen Betriebe
übergehen, dürfen Branntwein zu dem niedrigeren Abgabesatze nicht herstellen . . .
3) $ 41. I. Die Erhebung der Maischbottichsteuer erfolgt nur noch in den
landwırtschaftlichen Brennereien.
Als landwirtschaftliche Brennereien gelten diejenigen während des ganzen
Betriebsjahres ausschließlich Getreide oder Kartoffeln verarbeitenden Brennereien,
31*
484 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bei deren Betriebe die sämtlichen Rückstände in einer oder mehreren den Eigen-
tümern oder Besitzern der Brennerei gehörenden oder von denselben betriebenen
Wirtschaften verfüttert werden und der erzeugte Dünger vollständig auf dem den
Eigentümern ... der Brennerei gehörigen ... Grund und Boden verwendet wird ...
Brennereien, welche nach dem 1. September 1902 betriebsfähig werden, gelten
nur dann als landwirtschaftliche Brennereien , wenn die für die Brennereien erfor-
derlichen Rohstoffe an Kartoffeln und Getreide, mit Ausnahme von Roggen,
Weizen, Hafer und Gerste, in der Hauptsache von den Besitzern der Brennereien
selbst gewonnen sind. Bei Genossenschaftsbrennereien müssen die so gewonnenen
Rohstoffe in der Hauptsache von den einzelnen Teilnehmern auch nach Verhältnis
ihrer Beteiligung an der Brennerei geliefert und außerdem die sämtlichen Brenne-
reirückstände von den Teilnehmern in gleichem Verhältnisse verfüttert werden.
Der Bundesrat ist ermächtigt. im Falle von Mißernten Ausnahmen zu gestatten.
II. Die Maischbottichsteuer beträgt 1,31 M. für jedes Hektoliterdes Rauminhalts
der Maischbottiche und für jede Einmaischung. Bei der Steuerberechnung bleibt
der überschießende Rauminhalt, welcher 25 1 nicht erreicht, außer Betracht.
In Brennereien, welche nur während der Zeit vom 16. September bis 15. Juni
nicht länger als 8!,, Monate betrieben werden, wird die Maischbottichsteuer,
a) wenn an einem Tage durchschnittlich nicht über 1050 1 Bottichraum be-
maischt werden, nur zu */,,,
b) wenn an einem Tage durchschnittlich mehr als 1050, jedoch' nicht über
1500 | Bottichraum bemaischt werden, nur zu 5/,,,
€) wenn an einem Tage durchschnittlich mehr als 1500, jedoch nicht über
3000 1 Bottiehraum bemaischt werden, nur zu ?/,,
des im Abs. 1 festgesetzten Steuerbetrags erhoben. Gelangen während eines Kalender-
monats in einer der bezeichneten Brennereien mehr als 1050, 1500 oder 3000 1
Bottichraum durchschnittlich täglich zur Bemaischung, so wird für den Monat
der entsprechend höhere Steuersatz erhoben. Wird die Betriebsfrist von 8';, Mo-
naten überschritten, so ist der volle Maischbottichsteuersatz für die ganze Betriebszeit
zu entrichten.
III. Als Materialbrennereien gelten diejenigen Brennereien, welche während
des ganzen Betriebsjahrs lediglich nıchtmehlige Stoffe mit Ausnahme von Melasse,
Rüben und Rübensaft verarbeiten.
Die Branntweinmaterialsteuer beträgt vom hl:
a) Treber von Kernobst und eingestampfte Weintreber 0,25 M.
b) Kernobst 0,35 „
c) Beerenfrüchte aller Art ... 0,45 „
d) Brauereiabfälle, Hefenbrühe, gepreßte Weinhefe und Wurzeln aller Art 0,50 ,,
e) Trauben- und Obstwein, flüssige Weinhefe und Steinobst 0,85 „
Die Materialsteuer wird
a) von denjenigen Brennern, welche in einem Jahre nicht mehr als 50 | reinen
Alkohols erzeugen, nur zu *;,,,
b) von denjenigen Brennern, welche in einem Jahre mehr als 50 l, jedoch
M über 1 hl reinen Alkohols erzeugen, nur zu */,, der vollen Steuersätze er-
oben ...
4) $ 42. In den gewerblichen Brennereien findet die Erhebung der Maisch-
bottichsteuer und der Branntweinmaterialsteuer nicht mehr statt.
Als gewerbliche Brennereien gelten alle Brennereien, welche weder zu den
landwirtschaftlichen noch zu den Materialbrennereien gehören.
II. Von dem in gewerblichen Brennereien hergestellten Branntweine wird,
soweit er der Verbrauchsabgabe unterliegt, ein Zuschlag zu dieser erhoben, welcher
0,20 M. für das Liter reinen Alkohols Beträgt
Bei solchen gewerblichen Brennereien, welche vor dem 1. April 1887 bereits
bestanden haben und nicht mehr als 10000 1 Bottichraum an einem Tage bemaischen,
tritt für den Umfang des vor dem 1. Oktober 1587 geübten Betriebs, nach näherer
Bestimmung des Bundesrats, eine Ermäßigung des Zuschlags um 0,04 M. für das Liter
reinen Alkohols ein. Bemaischen Brennereien dieser Art mehr als 10000 1, jedoch
Hicht tiber 20000 1 Bottichraum, so beträgt diese Ermäßigung des Zuschlags
02 M...
Nationalökonomische Gesetzgebung. 485
III. Auf Antrag sind auch landwirtschaftliche und Materialbrennereien von
der EEN der Maischbottich- oder Branntweinmaterialsteuer freizulassen.
Sofern hiervon Gebrauch gemacht wird, werden von dem hergestellten Brannt-
vn folgende Zuschläge zur Verbrauchsabgabe für das Liter reinen Alkohols
erhoben :
a) an Stelle der Maischbottichsteuer `
1)in Brennereien, die in einem Jahre nicht mehr als 100 hl reinen Alkohols
erzeugen,
wührend derjenigen Monate, in denen sie ohne Hefenerzeugung betrieben
werden 0,10 M., während derjenigen Monate, in denen sie mit Hefenerzeugung
betrieben werden 0,14 M.;
2) in Brennercien, die in einem Jahre mehr als 100, jedoch nicht über 150 hl
reinen Alkohols erzeugen 0,11 bezw. 0,15 M.,
3) in Brennereien, die in einem Jahre mehr als 150, jedoch nicht über 300 hl
reinen Alkohols erzeugen 0,12 bezw. 0,16 M.,
4) in Brennereien, die in einem Jahre mehr als 300, jedoch nicht über 500 hl
reinen Alkohols erzeugen, 0,13, bezw. 0,17 M.,
5) in Brennereien, die in einem Jahre mehr als 500 hl reinen Alkohols er-
zeugen, 0,16 bezw. 0,20 M.
b) an Stelle der Branntweinmaterialsteuer `
1) soweit von einem Brenner in einem Jahre nicht mehr als 50 1 reinen
Alkohols erzeugt werden 0,04 M.,
2) soweit .... mehr als 50, jedoch nicht über 1001... erzeugt werden 0,08 M.,
3) soweit... mehr als 100, jedoch nicht über 2001... erzeugt werden 0,12 M.,
4) soweit ... mehr als 200 1... erzeugt werden 0,20 M.
Art. 1I. An Stelle der S8 43a, 43b, 43c, 43d und 43e des Gesetzes, betr. die
24. Juni 1887?
Besteuerung des Branntweins, vom i6. Juni 1895 treten folgende Bestimmungen:
5
1) § 43a. Neben den bestehenden Branntweinsteuern wird in denjenigen
Brennereien, welche in einem Jahre mehr als 200 hl reinen Alkohols erzeugen,
von der mehr erzeugten Alkoholmenge ein besonderer Zuschlag zur Verbrauchs-
abgabe (Brennsteuer) erhoben, und zwar:
für die Erzeugung über 200 bis 300 hl je 2 M.
Te s » 300, 400 , ,2,0 ,
vor ux P » 400, 600 , „3 »
LE DI Hi LU 600 LL 800 » » 3,50 »
ITEMS x » $800 , 1000 , „4 »
ds ; ; 1000 , 1200 , an 450 ,,
H D H ” 1200 ,, 1400 » » 5 n
Se E » 1400 , 1600 ,, , 5,50 „
Bigi 3 » 1600 , 1800 „ „6 y
" , Di " 1800 hl n 6,50 »
vom Hektoliter reinen Alkohols.
In denjenigen Brennereien, welche ausschließlich Roggen, Weizen, Hafer und
Gerste verarbeiten,. wird die Brennsteuer für die Erzeugung bis zu 300 hl über-
MU nicht und für die Erzeugung über 300 hl bis zu 600 hl nur zur Hälfte er-
oben.
In landwirtschaftlichen Genossenschaftsbrennereien, die als solche am 1. April
1895 bestanden haben, wird für den Umfang des damaligen Betriebes die Brenn-
steuer nur zu */, der vorbezeichneten Sätze erhoben.
In landwirtschattlichen Brennereien, welche im Laufe des Betriebsjahres Kar-
toffeln oder Mais verarbeiten, wird außerdem für jedes in der Zeit vom 16. Juni
bis 15. September hergestellte Hektoliter reinen Alkohols eine Brennsteuer von
3 M. erhoben. Die Steuer fällt weg, insoweit für den Branntwein Zuschlag von
mindestens 16 M. zu entrichten ist. In Brennereien, die in der Zeit vom 16. Juni
bis 15. September der Maischbottichsteuer unterliegen, findet eine Ermäßigung
statt, und zwar:
486 Nationalökonomische Gesetzgebung.
a) sofern während dieser Zeit an einem Tage durchschnittlich mehr als 1050,
aber nicht über 1500 1 Bottichraum bemaischt werden, auf 1 M.;
b) sofern während dieser Zeit an einem Tage durchschnittlich mehr als 150,
aber nicht über 3000 1 Bottichraum bemaischt werden, auf 2 M.;
außerdem bleiben die Brennereien, die während dieser Zeit an einem Tage
durchschnittlich nicht über 1050 1 Bottichraum bemaischen, von der Steuer befreit.
Die auf den Sommerbrand gelegte Brennsteuer ist auch zu erheben, soweit der
Betrieb vom 16. September bis 15. Juni 8!/, Monate überschreitet-
In denjenigen am Kontingent beteiligten gewerblichen Brennereien, die Melasse,
Rüben oder Rübensaft verarbeiten, wird, insofern sie in einem Betriebsjahre eine
Alkoholmenge herstellen, die das im Betriebsjahre 1804/95 inne gehabte Kontingent
um mehr als ?/, übersteigt, die Brennsteuer um 6 M. für jedes weitere Hektoliter
reinen Alkohols erhöht. In denjenigen Brennereien der bezeichneten Art, welche
nicht kontingentiert sind, tritt die gleiche Erhöhung insoweit ein, als ihre Gesamt-
erzeugung 20000 hl reinen Alkohols übersteigt; gehen diese Brennereien zur Er-
zeugung von Hefe über, so wird von dem betreffendem Betriebsjahre an die Alkohol-
menge, die der um 6 M. erhöhten Brennsteuer nicht unterliegt, um die Hälfte
ekürzt. Nach dem 1. Juli 1895 neu entstandene oder neu entstehende Brennereien,
ie Melasse, Rüben, Rübensaft oder Zellstoffe verarbeiten, unterliegen für ihre ge-
samte Erzeugung einer erhöhten Brennsteuer von 15 M. mit der Maßgabe, daß
auch für die Erzeugung bis zu 200 hl je 15 M. vom Hektoliter reinen Alkohols
erhoben werden.
Süßstoffgesetz vom 7, Juli (R.G.B. No. 36 S. 253—256).
$ 1. Süßstoffe im Sinne dieses Gesetzes sind alle auf künstlichem Wege ge-
wonnenen Stoffe, welche als Süßmittel dienen können und eine höhere Süßkraft
als raffinierter Rohr- oder Rübenzucker, aber nicht entsprechenden Nährwert be-
sitzen.
82. Soweit nicht in den $$ 3 bis 5 Ausnahmen zugelassen sind, ist es verboten:
a) Süßstoff herzustellen oder Nahrungs- und Genußmitteln bei deren gewerb-
licher Herstellung zuzusetzen ;
b) Süßstoff oder süßstoffhaltige Nahrungs- oder Genußmittel aus dem Aus-
lande einzuführen;
c) Süßstoff oder süßstoffhaltige Nahrungs- oder Genußmittel feilzuhalten oder
zu verkaufen.
$ 3. Nach näherer Bestimmung des Bundesrats ist für die Herstellung oder
die le von Süßstoff die Ermächtigung einem oder mehreren Gewerbetreibenden
zu geben.
$ Die Ermächtigung ist unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zu erteilen
und der Geschäftsbetrieb des Berechtigten unter dauernde amtliche Ueberwachung
zu stellen. Auch hat der Bundesrat in diesem Falle zu bestimmen, daß bei dem
Verkaufe des Süßstoffes en gewisser Preis nicht überschritten, sowie ob und unter
welchen Bedingungen eine Ausfuhr von Süßstoff in das Ausland erfolgen darf.
8 4. Die Abgabe des gemäß $ 3 hergestellten oder eingeführten Süßstoffes
ins Inland ist nur an Apotheken und solche Personen gestattet, welche die amtliche
Erlaubnis zum Bezuge von Süßstoff besitzen.
Diese Erlaubnis ist nur zu erteilen:
a) an Personen, welche den Süßstoff zu wissenschaftlichen Zwecken ver-
wenden wollen ;
b) an Gewerbetreibende zum Zwecke der Herstellung von bestimmten Waren,
für welche die Zusetzung von Süßstoff aus einem die Verwendung von Zucker
ausschließenden Grunde erforderlich ist;
c) an Leiter von Kranken-, Kur-, Pflege- und ähnlichen Anstalten zur Ver-
wendung für die in der Anstalt befindlichen Personen ;
d) an die Inhaber von Gast- und Speisewirtschaften in Kurorten, deren Be-
suchern der Genuß mit Zucker versüßter Lebensmittel ärztlicherseits untersagt zu
werden pflegt, zur Verwendung für die im Orte befindlichen Personen.
$ 5. Die Apotheken dürfen Süßstoff außer an Personen, welche eine amtliche
Nationalökonomische Gesetzgebung. 487
rs ($ 4) besitzen, nur unter den vom Bundesrate festzustellenden Bedingungen
abgeben.
Die im $ 4 Abs. 2 zu b) benannten Bezugsberechtigten dürfen den Süßstoff
nur zur Herstellung der in der amtlichen Erlaubnis bezeichneten Waren verwenden
und letztere nur an solche Abnehmer abgeben, welche derart zubereitete Waren
ausdrücklich verlangen. Der Bundesrat kann bestimmen, daß diese Waren unter
bestimmten Bezeichnungen und in bestimmten Verpackungen feilgehalten und ab-
gegeben werden müssen.
Die zu c) und d) genannten Bezugsberechtigten dürfen Süßstoff oder unter
Verwendung von Süßstoff hergestellte Nahrungs- oder Genußmittel nur innerhalb
der Anstalt (zu c) oder des Ortes (zu d) abgeben.
$ 11. Den Inhabern der Süfstofffabriken, die als solche bereits vor dem
l. Januar 1901 betrieben worden sind und diese Fabrikation auch innerhalb der
Zeit vom 1. April 1901 bis 1. April 1902 fortgesetzt haben, wird eine vom Bundes-
rat unter Ausschluf des Rechtsweges festzustellende Entschüdigung gewührt.
Die Entschädigung soll das Sechsfache eines Jahresgewinnes nach dem Durch-
schnitte der Betriebsjahre 1808/1899, 1899/1900, 1900/1901 unter Annahme der
Gewinnhóhe von 4 M. für jedes Kilogramm des innerhalb dieser Zeit hergestellten
chemisch-reinen Süßstoffes betragen.
Wird der Inhaber einer Süßstofffabrik gemäß $ 3 zur Herstellung von Süß-
stoff für eigene Rechnung ermüchtigt, so tritt eine entsprechende Verminderung
der Entschädigung ein; wird die Ermächtigung widerrufen, so ist die Entschädigung
entsprechend nachzuvergüten.
Die Inhaber der Fabriken sind verpflichtet, von der ihnen gewährten Ent-
schädigung ihren Beamten und Arbeitern, die infolge des Verbotes aus ihrer Be-
schäftigung entlassen werden, eine Entschädigung zu gewähren, die bei Arbeitern
dem von ihnen in den letzten 3 Monaten vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes
bezogenen durchschnittlichen Arbeitsverdienste, bei Beamten dem von ihnen in
den letzten 6 Monaten vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes bezogenen Gehalt
entspricht.
8 13. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1903 in Kraft. Mit diesem Zeit-
punkte tritt das Gesetz, betreffend den Verkehr mit künstlichen Süßstoffen, vom
6. Juli 1898 außer Kraft.
Bekanntmachung vom 22. Juli, betr. die wechselseitige Be-
nachrichtigung der Militär- und Polizeibehörden über das
Auftreten übertragbarer Krankheiten (R.G.B. No. 37 S. 257 f.).
Die Bekanntmachung bezieht sich besonders auf Unterleibstyphus, Aussatz, Cholera,
Fleckfieber, Gelbfieber, Pest, Pocken, Ruhr, Diphtherie und Scharlach.
Vereinbarung vom 1. August, zwischen dem Deutschen Reiche
und Belgien zur Regelung des Verkehrs mit Branntwein
und Spirituosen an der deutsch-belgischen Grenze (R.G.B. No. 51
S. 301 £).
Art. 1. Steuerfreiheit bei der Ausfuhr von Branntwein und Spirituosen über
die zuständigen Zollämter an der deutsch-belgischen Grenze wird nur unter der
Bedingung gewährt, daß der Ausführende dem Ausgangsamt eine Bescheinigung
vorlegt, aus der erhellt, daß die Ware bei der Zollbehörde des Einfuhrlandes
ordnungsgemäß zur zollamtlichen Abfertigung angemeldet worden ist.
Art. 2. Die Bestimmung des Art. 1 findet keine Anwendung auf alkohol-
haltige flüssige Parfümerien, Kopf-, Zahn- und Mundwasser, die mit der Post in
das Rusland versandt werden.
Bekanntmachung vom 16. Oktober, betr. den Befähigungs-
nachweis und die Prüfung der Maschinisten auf Seedampf-
Schiffen der deutschen Handelsflotte (R.G.B. No. 41 S. 265).
Bekanntmachung vom 16. Oktober, betr. die Außerkurssetzung
der Zwanzigpfennigstücke aus Nickel (R.G.B. No. 42 S. 267).
488 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Zwanzigpfennigstücke aus Nickel gelten vom 1. Januar 1908 ab nicht mehr
als gesetzliches Zahlungsmittel, werden aber, soweit sie nicht durchlöchert oder im Ge-
wichte verringert oder verfälscht sind, bei den Reichs- und Landeskassen bis zum 81. De-
zember 1908 in Zahlung und zur Umwechselung angenommen.
Bekanntmachung vom 22. Oktober, betr. die Einrichtung und
den Betrieb der Roßhaarspinnereien, Haar- und Borsten-
zurichtereien, sowie der Bürsten- und Pinselmachereien
(R.G.B. No. 43 S. 269—274).
Verordnung vom 16. November, betr. die Beaufsichtigung
schaumburg-lippischer privater Versicherungsunterneh-
mungen (R.G.B. No. 46 S. 279).
Die Beaufsichtigung wird dem Kaiserlichen Aufsichtsamte für Privatversicherung
übertragen.
Verordnung vom 21. November, betr. die Rechte an Grund-
stücken in den deutschen Schutzgebieten (R.G.B. No. 47
S. 283 — 290).
Verordnung vom 5. Dezember, betr. die Erfüllung der Dienst-
pflicht bei der Kaiserlichen Schutztruppe für Südwest-
afrika (R.G.B. No. 50 S. 297 — 299).
Zolltarifgesetz vom 25. Dezember (R.G.B. No. 52 S. 303—441).
Miszellen. 489
Nachdruck verboten.
Miszellen.
VIII.
Ledigenheime.
Ein Beitrag zur Wohnungsfrage.
Von Arthur Dix.
Die Wohnungsfrage erscheint in ihrer öffentlichen Behandlung in
Deutschland fast ausschließlich als eine Frage der billigen und guten
Unterbringung von Familien des Arbeiter- und des Mittelstandes.
Fast ganz vernachlässigt wird daneben die Frage der Unterbringung
alleinstehender Personen. Wohl gibt es eine reichhaltige
Literatur über die Schäden des Schlafstellenwesens; aber zu diesen
negativen Feststellungen gesellen sich nicht annähernd in entsprechendem
Maße positive Vorschläge für eine angemessene Beherbergung lediger
Arbeiter. Erfreulicherweise steht es in der Praxis zum Teil besser;
aber nur zum Teil. Vielfach ist auch hier die Rückständigkeit ebenso
groß. Zumal in der größten Stadt des Reiches vermissen wir nahezu
vollständig Maßregeln, die sich in dieser Richtung bewegen. Wohl
ist in Berlin für die vorübergehende Unterbringung Obdachloser
auf dem Wege der öffentlichen Wohltätigkeit manches geschehen, in
wesentlich geringerem Umfange schließlich auch für den vorübergehenden
Aufenthalt armer, aber nicht gänzlich mittelloser Personen — für die
dauernde Beherbergung alleinstehender Arbeiter gegen angemessenen
Entgelt dagegen so gut wie gar nichts. Auf einer ganz anderen Stufe
steht in dieser Beziehung, wie wir später sehen werden, das rheinisch-
westfälische Industriegebiet.
Um die Notwendigkeit der Errichtung von Unterkunftshäusern für
Einzelstehende in den Großstädten und Industriezentren zu begründen,
müßte man alles wiederholen, was über das Schlafstellenunwesen an
Material zusammengetragen worden ist. Angesichts der vielfachen
Untersuchungen auf diesem Gebiet können wir jedoch den Tatbestand
im allgemeinen als bekannt voraussetzen und uns auf eine Prüfung
dessen beschränken, was gegen die hier hervortretenden schweren sitt-
lichen und gesundheitlichen Schäden geschehen ist und weiter geschehen
kann.
Um sich ferner einen Begriff von dem Umfange zu machen, in
dem Abhilfe erwünscht wäre, wird man sich die Ergebnisse der Volks-
490 Miszellen.
zählung in Bezug auf die Binnenwanderung vergegenwärtigen müssen.
An dieser Binnenwanderung beteiligen sich in ganz hervorrageudem
Maße die unverheirateten Arbeiter, und auch von den verheirateten ist
bei der Wanderungsbewegung ein großer Teil „alleinstehend‘“, indem
nur einzelne Familienmitglieder auf Erwerb in die Fremde ziehen und
dort einzeln Unterkunft suchen müssen. Wir werden uns auch in
diesem Punkte die nähere Begründung unter Voraussetzung der be-
kannten Tatsachen ersparen kónnen und brauchen wohl nur daran zu
erinnern, daß nach der letzten Volkszählung Berlin einen Ueberschul
von 800000 Zuwandernden verzeichnete, Hamburg einen solchen von
257 000 Köpfen, Rheinland-Westfalen über 550000, das Königreich
Sachsen 254 000, München 248 000, die Provinz Brandenburg 177000,
Leipzig 172000, Breslau 162 000, Elsaf-Lothringen 145 000, Dresden
144 000, Charlottenburg 133 000, Frankfurt a. M. 130 000, Cóln 120 000,
Nürnberg 118 000 u.s. f. Um den genauen Anteil der „alleinstehenden“
Arbeiter an diesen Ziffern festzustellen, dazu bedarf es noch weiterer
Mitteilungen aus den Details der Volkszählung, die erst später zu er-
warten sind. Daß es sich um viele Hunderttausend handelt, die in der
Fremde als alleinstehende Personen untergebracht sein wollen, ist aber
ohne weiteres klar.
An den weitaus meisten Plätzen sind diese Personen nun ganz
oder doch ganz überwiegend auf das Hausen in Schlafstellen angewiesen
und nur in begrenzten Bezirken hat man für ihre besonderen Bedürf-
nisse durch die Errichtung von Ledigenheimen, oder wie man die
Unterkunftshäuser für Alleinstehende nun im Einzelfalle genannt haben
mag, Sorge getragen.
Wie wenig Beachtung die Frage trotz einer Reihe bedeutsamer
Fortschritte in der Praxis doch in der öffentlichen Diskussion der
Wohnungsfrage in Deutschland bisher gefunden hat, mag man daraus
ersehen, daß nicht nur die ältere Litteratur sie nur ganz selten und
beiläufig erwähnt, sondern auch auf dem großen internationalen Woh-
nungskongreß in Düsseldorf, der die Wohnungsfrage nach den ver-
schiedensten Seiten sehr eingehend behandelte, deutscherseits kaum ein
Wort über diese Seite gefallen ist. Der dickbändige Kongreßbericht
enthält überhaupt nur wenige Sätze von Ausländern über Ledigenheime:
Einen kurzen Bericht über die Lodging Houses in Glasgow, eine Er-
wähnung österreichischer Ledigenheime und einige Mitteilungen über
Arbeiterasyle in Stockholm. Das sonst gründliche Referat von Legations-
rat Hans von Nostitz über Wohnungsfürsorge im Königreich Sachsen
erwähnt zwar beiläufig, daß in den großartigen Stiftungen des Biblio-
graphischen Instituts in Leipzig neben 1824 Familienwohnungen
40 Einzelwohnungen vorhanden sind, äußert sich aber mit keinem
weiteren Wort hierüber, obwohl dem Verfasser, wie aus seinem großen
Werk über die Lage der Arbeiter in England ersichtlich ist, das Muster
der englischen Ledigenheime wohlbekannt ist.
Die Mitteilungen der ausländischen Referenten des Wohnungs-
kongresses zu unseren Thema beschränken sich auf folgendes: In
Wien bezw. dem Fabriksvorort Floridsdorf hat die Arbeiterunfall-
Miszellen. 491
versicherungsanstalt für Nieder-Oesterreich ein Ledigenheim für 25 Per-
sonen neben mehreren Familienhäusern erbaut. Es enthält 17 Zimmer
für je eine Person (9,6 qm Fläche) und 4 Zimmer für je 2 Personen
(13,5 qm). „Diese Zimmer sind einfach aber nett eingerichtet.“ Die
Zimmer mit einem Bett werden zum Wochenpreise von 3 Kronen ver-
mietet, wogegen in den Zimmern mit 2 Betten für jedes Bett 2,50 Kronen
erhoben werden. Diese Preise sind einschließlich der Bedienung und
Bettwäsche verstanden. Das Kapital verzinst sich in der Gesamtanlage
mit 4 Proz.
Aus Stockholm wurde über großes Schlafstellenelend berichtet.
Mehr als die Hälfte der Arbeiterheime sind Schlafstellen. Die Anzahl
der Schlafstelleninhaber beläuft sich auf fast 40000, d. i. ein Viertel
der ganzen Arbeiterbevölkerung. Man zählte nicht weniger als 1182
kleine Wohnungen, die fünf und mehr Schlafgänger beherbergen. Von
diesen Schlafgängern waren obendrein 9 Proz. verheiratet! Von Be-
strebungen, die angesichts dieser Zustände auf die Errichtung von
Ledigenheimen hinzielen, weiß der Berichterstatter jedoch nichts zu
melden. Er berichtet nur davon, daß in Arbeiterheimen, die als Wohl-
fahrtseinrichtung für Familien gegründet sind, den Bewohnern in der
Regel die Aufnahme von Schlafgängern verboten ist — eine Maßnahme,
die jedenfalls nur zur Folge haben wird, daß die Schlafgänger auf
schlechtere, nicht kontrollierte Stellen angewiesen bleiben. Den Inhabern
der aus 2 Zimmern und Küche bestehenden Wohnungen in den Arbeiter-
heimen ist aber erlaubt, das eine Zimmer an unverheiratete Arbeiter
zu vermieten, wenn dieselben in städtischen Diensten beschäftigt sind.
Für die Unterbringung Alleinstehender ist nur in den städtischen Asylen
gesorgt, doch sind diese ausschließlich für die Zwecke eines vorüber-
gehenden Aufenthalts in den alleräußersten Fällen bestimmt. Sie sind
offenbar sehr unbeliebt und nur wenig besucht. „Gleichzeitig sind
auch besondere Herbergen für Obdachlose von der Heilsarmee ein-
gerichtet worden, welche stets von Besuchern überfüllt sind, und das
private Herbergswesen floriert nach wie vor.“ Also nur von Herbergen
für vorübergehenden Aufenthalt Armer und Obdachloser hören wir hier,
nichts von Ledigenheimen für den dauernden Aufenthalt alleinstehender
Arbeiter.
Aus Amsterdam wurde in der Düsseldorfer Diskussion beiläufig
erwähnt, daß dort Logierhäuser für weibliche Personen, wie sie für arme
Frauen schon lange bestehen, jetzt auch für nicht ganz unbemittelte
gebaut werden. Entsprechende Einrichtungen für Männer werden nicht
erwähnt.
In der Tat ist sowohl im Ausland wie in Deutschland für die Er-
richtung von Ledigenheimen sehr viel mehr geschehen, als die erwähnten
Kongreßverhandlungen erkennen lassen. Für Deutschland legt die dem
Kongreß unterbreitete Festschrift des Rheinischen Vereins zur Förde-
rung des Arbeiterwohnungswesens davon Zeugnis ab, auf die wir noch
zurückkommen. Aus dem Auslande sei folgendes berichtet:
Ein im Juni 1902 im österreichischen Abgeordnetenhause
angenommenes Wohnungsgesetz, das sich die Förderung des Baues
492 Miszellen.
billiger Arbeiterwohnungen namentlich durch Steuerbefreiung zur Auf-
gabe macht, enthält besondere Bestimmungen über Ledigenheime,
Schlaf- und Logierhäuser. Es untersagt in den Wohnungen, die unter
staatlicher Förderung (Steuererleichterung) gebaut sind, die After-
vermietung und die Aufnahme von Schlafgängern. Ueber die Ledigen-
heime ist folgendes bestimmt:
Die Ledigenheime dienen zur Aufnahme von einzelnen Personen
desselben Geschlechts in abgesonderten Wohnräumen. Jeder Wohnraum
soll in der Regel nur von einer, höchstens aber drei Personen, bewohnt
werden. Einzelstehende Personen verschiedenen Geschlechtes dürfen
in einem und demselben Gebäude nur in voneinander vollkommen ge-
sonderten Abteilungen untergebracht werden. Die Bodenfläche dieser
Wohnräume zur Aufnahme einer Person hat mindestens 8 qm, zwei Per-
sonen mindestens 12 qm, drei Personen mindestens 20 qm zu betragen.
Schlaf-und Logierhäuser, welche zur gemeinsamen Beherbergung
einzelstehender Personen desselben Geschlechtes bestimmt sind, können
entweder nur von juristischen Personen oder von Arbeitgebern für die
im eigenen Betriebe beschäftigten Arbeiter errichtet werden.
Die Kaiser Franz Josef I. Jubiläumsstiftung für Volkswohnungen
und Wohlfahrtseinrichtungen hat in den von ihr errichteten Gebäuden
von Anfang an die Aufnahme von Bettgehern und Aftermietern grund-
sätzlich ausgeschlossen und durch die Erbauung zweier Ledigenbeime
für die Unterbringung von einzelstehenden Arbeitern und Arbeiterinnen
nach englischem Muster vorgesorgt. Die Stiftung rechnet bei mäßigen
Preisen und ausgedehnten Wohlfahrtseinrichtungen zur gemeinsamen,
kostenfreien Benutzung auf eine Verzinsung von 3 Proz. Von den
beiden Ledigenheimen ist das Männerheim mehr als das Frauenheim
in Anspruch genommen. Die Stiftung steht im Begriff, noch ein zweites
großes Ledigenheim für Männer zu errichten,
An der Spitze schreitet auf dem uns hier beschäftigenden Gebiet
unter den europäischen Staaten England. Dort war das öffentliche
Logierhaus früher die Zuflucht der Aermsten der Armen, der wirtschaft-
lich und sittlich Tiefstehenden, oft auch der Vagabunden, Arbeitslosen
und des Gesindels. Seit die Gemeinden hier eingriffen, ist die Scheu
der besseren Arbeiter vor den Logierhäusern verschwunden, sofern diese
zeitgemäß eingerichtet sind. Der ledige Arbeiter findet dort abends
stets sofort ein warmes und helles Zimmer, ein gutes Bett und meist
auch eine gute und billige Kost. Nach Wunsch kann er allein sein
oder geselligen Anschluß finden, Unterhaltung, Lektüre, Spiele u. s. w.,
dazu sichere Aufbewahrung seiner Habseligkeiten, was in den gewöhn-
lichen Herbergen nicht immer der Fall ist — und das alles zu mäligen
Preisen, die vor allem nach seinem Einkommen zugeschnitten sind.
Die englische Wohnungsgesetzgebung unterscheidet 2 Arten von
Wohnungen: solche für die Minderbemittelten, das sind die gewöhn-
lichen Mietwohnungen (Houses let in lodgings) und die öffentlichen
Logierhäuser (common lodging houses). Die erste Klasse umfaßt die
Häuser, die von mehr als einer Familie gegen Wochenzins bewohnt
werden, ohne daß Angehörige von mehr als einer Familie in einem
Miszellen. 493
Raume vereinigt sind. Die zweite Klasse umfaßt die Häuser, in welchen
einander fremde, arme Personen für kürzere Zeit in demselben Raume
untergebracht sind. `
London zählte schon im Jahre 1888 ca. 900 solcher Häuser, die
zusammen 32000 Insassen hatten, auf das Haus im Durchschnitt 35,
manchmal aber mehrere Hundert Personen. Der Schmutz und die
Unreinlichkeit in diesen Häusern, die Gesellschaft, die sich dort be-
wegte, mußten zu jener Zeit aber noch meist in hohem Grade Ab-
scheu erwecken; die Wirkung dieser Unterkunft wurde noch ver-
schlimmert durch den sittlichen Tiefstand der Eigentümer und Ver-
walter solcher Häuser. Die Städte wurden nun ermächtigt, unter
ministerieller Genehmigung Ortsstatuten zu erlassen über Ordnung
und Reinlichkeit in diesen Logierhäusern, über die Zahl der Per-
sonen in den Wohn- und Schlafräumen, über die Trennung der Ge-
schlechter, über die Zufuhr von Wasser, Licht und Luft, Wegschaffung
des Unrats, Aufstellung der Asch- und Abfallkästen, über die Aborte
u. s. w. So wurden zunächst die schlimmsten Zustände beseitigt, was
sich verbessern ließ, verbessert, die Erlaubnis zur Errichtung solcher
Häuser mit größerer Vorsicht, schärferen Bedingungen und verstärkter
polizeilicher und gesundheitlicher Aufsicht gegeben. Besonders wert-
voll war es, daß viele Städte eigene Musterlogierhäuser (modell
lodging houses) errichteten.
Die Stadt Glasgow hat bereits 7 solcher städtischen Logierhäuser
erbaut, in welchen zusammen über 2400 Personen nächtigen können.
Eines derselben ist für Frauen, die anderen sind für Männer. Der
Luftraum ist für eine Person 11,5 cbm, der Preis für eine Nacht 31],
bis 41/, Pence (30—40 Pf). Die Häuser sind nach dem Kabinensystem
errichtet, so daß jeder Gast seinen eigenen Schlafraum hat.
Eine günstige Folge jenes Vorgehens war, daß die alten und
schlechten privaten Logierhäuser nach und nach in Verruf kamen und
die private Unternehmungslust das städtische Vorbild nachahmte. Neuer-
dings hat Glasgow auch ein öffentliches Logierhaus für ganze Familien
errichtet, das 160 Personen und deren Kindern Unterkunft gewährt.
Dabei übernimmt die Anstalt auch die Pflege der Kinder während der
Zeit, da die Arbeiter, und besonders die Mütter, auf Arbeit abwesend
sind. Eine Witwe mit einem Kinde zahlt wöchentlich 3 sh. 2 d., eine
Witwe mit 4 Kindern 4 sh, Witwer zahlen 1 sh. mehr; erwachsene
Personen zahlen für das Frühstück 21/, Pf, das Mittagessen 4 Pf;
ein Kind wird wöchentlich für 1 sh. 10 Pf, zwei Kinder werden für
8 sh. 2 Pf., drei Kinder für 4 sh. verkóstigt. Speisesaal, Kinderkrippen,
Wasch- und Baderäume sind frei und doch wird die Anstalt sich ver-
zinsen. Die 7 Logierhüuser in Glasgow sind mit einem Kostenaufwand
von rund 2 Millionen Mark erbaut und eingerichtet; die Summe ver-
zinst sich nach den Mitteilungen des Glasgower Deputierten auf der
Düsseldorfer Wohnungskonferenz mit 4—5 Proz.
Auch der Londoner Grafschaftsrat hat 1892 ein großes Logier-
haus, ein municipal lodging house, erbaut. Durch Errichtung eines großen
Logierhauses in London hat sich Lord Rowton verdient gemacht. Das
494 Miszellen.
Londoner Rowtonhouse (eröffnet 1893 und jetzt im Besitze einer
Aktiengesellschaft) und das municipal lodging house sind wohl die best-
eingerichteten Musterlogierhäuser der Erde. In beiden Häusern be-
finden sich außer den gut ausgestatteten Schlafräumen für 325 bezw.
470 Personen, von welchen jede in einem besonderen Kabinette für
sich schläft, mächtige Küchen, Speise-, Erholungs- und Lesezimmer,
Bibliothek, Wasch- und Badeeinrichtung u. s. w. Der Preis für Bett
und Nacht ist 6 Pence (50 Pf.), die Verzinsung rund 4 Proz. In
Liverpool suchen täglich ungefähr 14 000 Personen Unterkunft für
die Nacht. Im Jahre 1900 wurde dort für diese Bedürfnisse nach dem
Muster des Londoner Rowton-Hauses ein Haus, Revington-house ge-
nannt, errichtet für die Beherbergung lediger Männer. Das Haus ent-
hält 500 getrennte Schlafräume (cubicles) zwei große Küchen, einen
Lesesaal, einen Erholungssaal, Waschküchen, Badezimmer u. s. w. Die
Miete für eine Nacht wird mit 6 Pence berechnet. Selbstverständlich
herrscht in all diesen Anstalten eine strenge Hausordnung mit festen
Stunden zum Schließen der Anstalt, zum Aufstehen der Gäste, Verbot
des Rauchens in den Zimmern, sowie des Lärmens und Schreiens.
Alkoholgenuß ist meist untersagt. Trunkenbolde und Unruhestifter
werden unnachsichtlich ausgewiesen. Sehr wertvoll für die Bewohner
solcher Häuser ist auch der bessere Umgang, den sie hier finden, die
geistige und gesellschaftliche Anregung in den Mubestunden, die Mög-
lichkeit, vielfach eine kleine, aber ausgewählte Bibliothek benützen zu
können, was alles mildernd auf die oft rohen Sitten einwirkt. Wenigstens
ein Bruchteil der alleinstehenden Arbeiter und Arbeiterinnen hat so
eine billige, reinliche und gesunde Wohnung, ja vielleicht erst ein
menschenwürdiges Dasein erhalten. Selbst bei den teuren Bodenpreisen
der englischen Großstädte wird dabei noch eine genügende Verzinsung
erzielt, während die Gegenleistung des Arbeiters im Verhältnis zu seinem
Einkommen steht. Nur durch die Vereinigung vieler Räume in einem
einzigen Hause ist es möglich, all diese Vorteile und Bequemlichkeiten
zu so geringem Preise zu liefern. Vielfach wurden die Besitzer privater
Logierhäuser dadurch zu wohltätiger Nacheiferung und Verbesserung
ihrer Einrichtungen angespornt.
Diejenigen Stellen, an denen zuerst das Bedürfnis nach Unter-
bringung von Arbeitern, die außerhalb von Familien, eigenen oder
fremden, zu übernachten gezwungen waren, sich fühlbar machte, sind
neben den Großstädten namentlich die Bergwerke gewesen. Man ist auch
hier, wo die Arbeiter aus meilenweilen Entfernungen zusammenkamen
und nicht täglich nach ihrer Heimat zurückkehren konnten, an die Er-
richtung von Schlafhäusern gegangen. Es mag deshalb hier die ge-
nauere Schilderung eines solchen, das sich im Laufe der Zeit bewährt
haben soll, folgen.
In der Nähe der Grube Hasard bei Lüttich liegt das Arbeiter-
hotel Louise; es bedeckt eine Bodenfläche von 1000 qm und faßt aufer
dem Beamtenpersonal 200 Arbeiter. Es befinden sich in ihm ein Café,
ein Erholungsraum für 100 Personen, Bäder, Waschgelegenheit.
Bibliothek etc. Die großen Schlafsäle sind durch 2,5 m hohe Scheide-
Miszellen. 495
wände in Zellen für 1—3 Personen geteilt: jeder Insasse hat ein eisernes
Bett mit Strohsack, Seegrasmatratze, zwei Leintücher, zwei wollene
Decken im Sommer, drei im Winter, einen Stuhl und einen Schrank zur
Verfügung. Das Mobiliar jeder Zelle kostet 100 fr. Trotz strenger
Hausordnung sollen die Insassen sehr zufrieden sein. Die drei Mahlzeiten
erhält jeder Mann auf Bons, welche er für 14 Tage entnimmt. Die
Ernährung soll vorzüglich sein, unter anderen werden mittags 125 g
Fleisch verabreicht. Für 1 Frane 20 Centimes pro Tag erhält der
Mann volle Nahrung in drei Mahlzeiten und ein Frühstück, welches er in
der Grube verzehrt, Wohnung, Wäsche, besonders die seines Arbeits-
anzuges. Das Reinigen der täglich frisch verabfolgten Wäsche geschieht
mechanisch. — Dieses Hotel hat 180 000 fr. gekostet, es ist seit 1872
eröffnet und gewöhnlich mit 200 Bergleuten belegt, teils Verheirateten,
teils Junggesellen. Es hat sich so gut bewährt, daß 1875 ein zweites
für 180 Arbeiter in gleichem Stil errichtet und zwischen diesen ein
Arbeiterkasino zum Vergnügen und zur Zerstreuung der Bergleute er-
baut wurde.
In Deutschland sind es gleichfalls die Bergwerksbezirke, die
zuerst mit Schlafhäusern ausgestattet worden sind. Allerdings scheint
bier im allgemeinen keine große Neigung zu bestehen, das Schlafstellen-
wesen aufzugeben. Wenigstens lagen 1890 von den 31814 ledigen
Arbeitern der Hütten und Gruben Oberschlesiens trotz der Bemühungen
der Verwaltungen in den Schlafhäusern nur 5,8 Proz., in Schlafstellen
dagegen 27,6 Proz. und bei den Eltern 64 Proz.; von den 2974 Schlaf-
stellen in Schlafhäusern waren nur 21683 belegt, d. h. ca. 80 Proz.
Auch im Oberbergamtsbezirk Halle waren die mit Schlafhäusern
gemachten Erfahrungen keine günstigen. So sind die größeren, 1873
und 1874 auf den fiskalischen Braunkohlengruben bei Eggersdorf und
Langenbogen erbauten Schlafhäuser nicht mehr in Gebrauch, und von den
drei für 3—400 auswärtige Arbeiter bei Rüdersdorf errichteten waren
1890 nur ein einziges und zwar mit 11 Maun belegt. Auch in Staßfurt
beherbergte das für 100 Arbeiter erbaute Schlafhaus zu derselben Zeit
nur 8 Mann. Dagegen sollen die auf den Privatwerken errichteten sehr
einfachen Baracken, welche Kochgelegenheit zur Herstellung des eigenen
Essens bieten, mehr gesucht sein.
Die bedeutendsten Schlafhäuser, 9 an der Zahl mit 2414 Betten,
besitzt die Mansfelder kupferschieferbauende Gewerkschaft, darunter
eins mit 48 Betten für Mädchen. Trotz hygienisch vorzüglicher Ein-
richtung, trotz Lesezimmer, Bibliothek, Kegelbahn etc. und trotz des
geringen Preises von 5 Pfennig pro Tag im Sommer und 8 Pfennig im
Winter für Wohnung, Licht und Feuerung, hat die Zahl der Benutzer
so abgenommen, daß ein Teil dieser Bauten in Familienwohnungen um-
gewandelt wurde. Die jungen Burschen lieben nun einmal nicht die
strenge Hausordnung.
In Westfalen, wo viele aus den östlichen Provinzen eingewanderte
junge Leute beschäftigt werden, die vielleicht nur einmal jährlich nach
Hause kommen, gibt es eine größere Reihe von Schlafhäusern, mit denen
gleichzeitig eine Speisewirtschaft verbunden ist; zur Benutzung dieser
496 Miszellen.
besteht vielfach ein Zwang. Für dieses Gebiet liegen die umfassendsten
Nachrichten in verschiedenen Denkschriften vor. Weitere Materialien
liefert das Werk von Jäger über die Wohnungsfrage und das neue
Handbuch der Arbeiterwohlfahrt.
Die aus Anlaß der Düsseldorfer Ausstellung vom Verein für die
bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk Dort-
mund herausgegebene Denkschrift über die Bergarbeiterwohnungen im
Ruhrreviere zählt in diesem Reviere rund 26 000 im Besitz der Zechen
befindliche Arbeiterwohnungen auf, in denen neben den Familien
13649 ,Einlieger^ wohnen. Während die Unterbringung der Arbeiter-
familien mit Sorgfalt und Erfolg gepflegt wird, kann über die Errichtung
von Ledigenheimen nur wenig und Unbefriedigendes vermeldet werden.
Ueber den Bau von Schlafhäusern und Menagen besagt die Denkschrift:
Die unverheirateten Bergleute deutscher Nationalität ziehen eine
Unterkunft in Familien der Unterbringung in Schlafhäusern vor; der
Regel nach sind sie nur dort zum Bezug von Schlafhäusern oder Me-
nagen zu bewegen, wo geeignete Unterkunft in Familien nicht zu er-
halten ist. Fremde Arbeiter ohne Familie, besonders Polen und Italiener,
geben dagegen vielfach dem billigeren Wohnen in Schlafhäusern und
Menagen den Vorzug, namentlich den Schlafhäusern, wo sie für 2—3 M.
monatlich wohnen und ihre Speisen sich selbst zubereiten können. Zur
Zeit sind 14 Schlafhäuser, eingerichtet zur Unterbringung von ins-
gesamt 500 Arbeitern, auf den Zechen des Ruhrkohlenreviers vor-
handen. Von ihnen ist eins unbewohnt, während die anderen durchweg
voll besetzt sind. Der Preis, welchen die Arbeiter hier zahlen, wechselt
zwischen 1 und 5 M. monatlich, je nachdem lediglich Logis oder auch
Licht und Brand gewährt und Kochherde nebst sämtlichen Hausgeräten,
wie es seitens der Zeche Monopol geschieht, zur Verfügung gestellt
werden.
Weniger besucht, auch von fremden Arbeitern, sind die 20 vor-
handenen Menagen, welche zusammen 1820 Arbeiter beherbergen und
beköstigen können. Die Menagen der Zechen Prosper und Hansa, zur
Aufnahme von 250 Arbeitern eingerichtet, stehen schon seit Jahren
leer; die Menage der Zeche Hibernia war zur Zeit der Erhebungen nur
mit 1 Mann, diejenige der Zeche Viktor mit 20 Mann besetzt, während
die Einrichtungen für 96 und 120 Mann ausreichen. Eine größere An-
zahl von Menagen ist wegen des anhaltend schlechten Besuches und
anderer bervorgetretener Mißstände in Arbeiterwohnungen umgebaut.
Die in den Menagen zu entrichtenden Sätze sind der Regel nach auf
0,60 M. für Logis und Mittagessen, 0,80 M. für Logis, Mittag- und
Abendbrot, 1 M. bis 1,30 M. für Logis und volle Pension einschließlich
Instandhaltung der Leibwäsche bemessen. Bei einer Unterkunft in
Familien stellt sich der Preis auf durchschnittlich 45 M. monatlich.
Eine Verpflichtung zur Aufnahme von Kostgängern wird den In-
habern von Mietswohnungen der Zechen nicht auferlegt. Die Aufnahme
derselben bedarf der Regel nach in jedem Einzelfalle der Genehmigung
der Zechenverwaltung und pflegt nur dann erteilt zu werden, falls es
sich um nahe Anverwandte oder um Arbeiter der Zeche handelt. Bei
Miszellen. 497
Wohnungen mit einer besonders großen Zahl von Zimmern werden auch
wohl in erster Linie diejenigen Arbeiter berücksichtigt, welche zur
Aufnahme eines oder mehrerer auf der Zeche arbeitender Kostgänger
geneigt sind.
Umfassendes Material bietet die gleichfalls anläßlich der Düssel-
dorfer Ausstellung und des 6. internationalen Wohnungskongresses vom
Rheinischen Verein zur Fürderung desArbeiterwohnungs-
wesens herausgegebene Festschrift. Sie hat auch die Aufmerksam-
keit der Minister auf sich gelenkt. Der preußische Handelsminister und
der Minister des Innern haben sie den sämtlichen Regierungspräsidenten
übersandt und in ihrem Begleiterlaß auch ausdrücklich auf die Pflege
der Ledigenheime hingewiesen. In dem Erlaß hieß es: „Besondere Be-
achtung verdienen ferner die Darlegungen über die in der Rheinprovinz
und in Westfalen begründeten Arbeiterheime für unverheiratete Per-
sonen, die eine wichtige Ergänzung der polizeilichen, auf eine Regelung
des Abmieter-, Kost- und Quartiergängerwesens gerichteten Maßnahmen
bilden und vornehmlich geeignet erscheinen, den mit diesem verbun-
denen Uebelständen erfolgreich entgegenzutreten.^ Die Regierungs-
präsidenten wurden aufgefordert, zu erwägen, inwieweit ein Vorgehen
nach den gleichen Richtungen auch für ihren Bezirk wünschenswert
erscheint, und gegebenen Falls durch geeignete Anregungen auf ein solches
hinzuwirken.
Aus dieser Denkschrift heben wir die folgenden bemerkenswerten
Mitteilungen über die Errichtung von Ledigenheimen im rheinisch-
westfälischen Industriegebiete hervor:
In Rheinlaud-Westfalen bestehen 9 katholische Arbeiterheime mit
ca. 800 Betten, darunter das große und trefflich organisierte katholische
Arbeiterinnenhospiz in M.-Gladbach, welches für 120—130 Personen
Raum gewährt. Unter evangelischer Leitung stehen 4 Heime für
Arbeiterinnen, drei in der Rheinprovinz und eins in Westfalen, das
älteste davon seit 1869 in Barmen. Ferner sind zu nennen das Lydia-
heim zu Elberfeld (für Arbeiterinnen) und das Mädchenheim zu Hagen,
welches Mädchen aller Berufsarten Wohnung bietet.
Die Gesellschaft für Volkswohlfahrt zu Duisburg-Hochfeld hat im
Jahre 1898 ein Arbeiterhospiz, verbunden mit Vereinshaus, errichtet.
Die Anstalt repräsentiert einschließlich Inventar einen Wert von 320 000
Mark. Es sind 50 Betten vorhanden. Für Wohnung und Verpflegung
sind per Tag 1,50 M. zu zahlen. Das Evangelische Vereinshaus zu
Meiderich, welches mit Arbeiterheim, christlichem Hospiz und Herberge
zur Heimat verbunden ist, gewährt Personen beiderlei Geschlechtes
Unterkunft. Die Zahl der Betten beträgt 82, die durchschnittliche
Belegung per Tag stellt sich auf 72. Für Wohnung sind per Tag
1,290 bis 1,60 M., für Verpflegung 0,90 bis 1 M. zu zahlen. Erwähnens-
wert ist ferner das Arbeiterheim St. Josefshaus zu Essen (Ruhr), dessen
Wert sich einschließlich Inventar auf 275 000 M. stellt und in welchem
85 Betten vorhanden sind. Das im Jahre 1892. errichtete Heim war
bisher stets voll besetzt, nur in letzter Zeit, wahrscheinlich im
Zusammenhang mit der niedergehenden Konjunktur, war die Belegung
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 32
498 Miszellen.
etwas geringer. Der Preis für Wohnung und Verpflegung stellt sich
auf 1,50 M. per Tag. Das mit einem Kostenaufwande von ca. 100 000
Mark erstellte Marienhospiz zu Aachen wurde im Jahre 1895 ins Leben
gerufen. Dasselbe umfaßt neben verschiedenen anderen Wohlfahrts-
einrichtungen (Haushaltungs- und Kleinkinderbewahrschule u. s. w.)
eine Herberge für Fabrikarbeiterinnen, welche sonst — wie es in dem
Statut des Hospizes heißt — in Fabrikräumen und Lagerhäusern zu
nächtigen pflegen. Auch werden elternlose einheimische Mädchen gern
aufgenommen. Die Verwaltung liegt in der Hand des aus 6 angesehenen
Damen bestehenden Kuratoriums. Die unmittelbare Leitung aller in
der Anstalt befindlichen Wohlfahrtseinrichtungen wird durch eine weib-
liche Ordensgenossenschaft besorgt, deren Oberin in Gemeinschaft mit
der Vorsitzenden des Kuratoriums alle die häusliche Disziplin betreffen-
den Angelegenheiten regelt. Das ganze Unternehmen ist von dem Be-
sitzer der St. Josefskirche als milde Stiftung überwiesen worden mit
der Bedingung, daß die Verwaltung durch das bisherige Kuratorium
auch fernenhin geführt werde. In dem Hospiz sind 55 Betten vor-
handen, welche stets sämtlich belegt sind. Der Preis für die Nächtigung
beträgt wöchentlich 60 Pfg., für Verpflegung einschließlich Wäsche per
Tag 0,80. Die Aktiengesellschaft für gemeinnützige Bauten in Benrath
hat neben einer bedeutenden Anzahl von Familienwohnungen auch ein
sehr gut eingerichtetes Logier- und Speisehaus für Arbeiter mit einem
Kostenaufwande von 233000 M. erbaut. Die Anstalt enthält 220 Betten
und ist mit Badeeinrichtung (Einzelzellen und Schwimmbassin) und mit
einem Dampfwaschapparat behufs Reinigung der Wäsche der Haus-
insassen versehen. In nächster Zeit soll auch eine Bibliothek mit Lese-
zimmer eingerichtet werden, auch ist die Anschaffung eines Billards
ins Auge gefaßt, um die Bewohner noch mehr an das Haus zu fesseln
und es ihnen angenehm zu machen. Es sind per Wohnung 30 und für
Verpflegung 65 Pfg. per Tag zu zahlen. Daß die Anstalt bei diesen
niedrigen Sätzen und wenn die Frequenz der Zahl der vorhandenen
Betten nicht entspricht, sich nicht selbst erhalten kann, liegt auf der
Hand. Es werden deshalb alljährlich von den an der Gesellschaft be-
teiligten industriellen Werken Zuschüsse nach der Zahl der leerstehen-
den Betten geleistet.
Von Arbeitgebern ist in umfassender Weise für die Unterkunft
ihrer unverheirateten Arbeiter gesorgt worden, einerseits, weil für letztere
in angemessener Entfernung von der Arbeitsstätte anderweit kein Unter-
kommen zu beschaffen war, andererseits aber auch, um dem für viele
Familien schon so verderblich gewordenen Kostgängerwesen möglichst
zu Steuern. Die von der Firma Krupp in Essen eingerichtete Menage
ist mit etwa 500 Arbeitern belegt. Die Mahlzeiten werden gemein-
schaftlich in dem großen Speisesaal eingenommen, außerdem dienen be-
sonders möblierte Zimmer, in welchen Zeitungen ausliegen, dem ge-
meinsamen Aufenthalt. Die Menage enthält auch eine kleine Bibliothek,
ein Billard und ein Kegelspiel zur Benutzung durch die Arbeiter. Für
die Menage gilt eine Hausordnung, welche auch die hygienische Er-
ziehung der Arbeiter und die Gewöhnung derselben an Ordnung und
Miszellen. 499
Pünktlichkeit anstrebt. Jeder über 16 Jahre alte Arbeiter zahlt für
Logis und Beköstigung pro Tag 80 Pfg., jeder unter 16 Jahre alte
Arbeiter 60 Pfg. pro Tag. Die Firma hat ferne 2 Logierhäuser für
besser gestellte Facharbeiter mit höheren Sätzen für Wohnung und
Verpflegung eingerichtet. Die Verwaltung dieser Logierhäuser ist nach
dem Wunsche ihres Gründers — des jüngst verstorbenen Firmeninhabers
— den Mitgliedern auf möglichst freier Grundlage selbst
überlassen. Die Mitglieder sollen als eine Familie betrachtet werden,
deren aus ihrer Mitte gewählter Vertreter mit der Kruppschen Wohnungs-
verwaltung zu verhandeln hat und der verantwortlich ist für alles, so-
weit ein Familienoberhaupt der Wohnungsverwaltung gegenüber ver-
antwortlich gemacht werden kann. Der Mietpreis beträgt für ein
Einzelzimmer 10 M. monatlich, für ein mit 2 Betten belegtes Zimmer
8M. pro Person. Für Kost werden 1,25 M. pro Tag berechnet.
Ueber die Einrichtungen bei Krupp liegen an anderen Stellen aus-
führlichere Mitteilungen vor. Im Handbuch der Arbeiterwohlfahrt finden
sich auch Grundrisse der betreffenden Gebäude Auf der Kolonie
Schederhof sind Logierhäuser für ledige Facharbeiter errichtet, die allen
Komfort enthalten, um die jungen Arbeiter zur Weiterbildung anzuregen
und sie von allzu frühem Heiraten abzuhalten. So ein Gebäude enthält
außer den Logierzimmern für 30 Mann, teils einzeln, teils zu zweien in
einem Zimmer, ein größeres Arbeitszimmer, einen Speisesaal, Waschraum,
Putzzimmer, Badezimmer, Wohnung für den Verwalter, Küche etc.
Die Firma Johann Wülfing & Sohn hat für die in ihrer Kamm-
garnspinnerei zu Lennep beschäftigten Mädchen im Jahre 1886 ein
Mädchenheim errichtet und dasselbe im Jahre 1898 durch einen Neu-
bau erweitert, so daß dasselbe jetzt für 168 Arbeiterinnen Raum bietet.
Die Aufnahme ist freiwillig. Zur Beaufsichtigung ist eine Vorsteherin
angestellt, die auch allabendlich den Mädchen Unterricht im Stricken,
Nähen und Flicken für eigenen Bedarf an Kleidungsstücken und Leib-
wäsche erteilt. Für Wohnung und volle Beköstigung hat jede Arbeiterin
über 16 Jahre täglich 60 Pfg. und jede Arbeiterin unter 16 Jahre
50 Pfg. zu zahlen, welche Beträge an jedem Lohntage vom Lohne ab-
gehalten werden. Für die Aufrechterhaltung der Ordnung ist eine be-
sondere Hausordnung erlassen. Auch für alleinstehende männliche Ar-
beiter hat die genannte Firma in ihrem Männerheim eine Heimstätte
geschaffen, die zur Aufnahme von 45 Personen eingerichtet ist. An
Kostgeld sind hier von Arbeitern über 16 Jahre 80 Pfg., von Arbeitern
unter 16 Jahren 60 Pfg. täglich zu entrichten. Erwähnenswert ist auch
das von der Firma Fr. Karcher & Co. in Beckingen a.d. Saar im Jahre
1888 errichtete Arbeiterheim nebst Speiseanstalt, welches 100 Arbeitern
Unterkunft gewährt, aber demnächst für 200 eingerichtet werden wird.
Der Preis für den Aufenthalt im Hause beträgt monatlich 1 M., ebenso
ist für Kaffee morgens und nachmittags pro Monat 1 M. zu bezahlen.
Das Mittagessen kostet pro Tag 20 Pfg, das Abendessen 10 Pfg.
Außerdem hat die genannte Firma vor einigen Jahren ein Mädchenheim
erbaut, das unter Leitung von Schwestern steht. Die Preise für Woh-
nung und Aufenthalt sind dieselben wie im Männerheim.
32*
500 Miszellen.
In dem Arbeiterinnenheim der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld
sind gegenwärtig etwa 120 Arbeiterinnen in 29 Stuben untergebracht.
Im allgemeinen bewohnen immer 4 Mädchen ein Zimmer, dabei wird
hinsichtlich der Verteilung der Räume in der Weise verfahren, dal
möglichst befreundete oder bekannte Mädchen zusammen bleiben, wo-
durch nicht nur Anlaß zu Streitigkeiten vermieden wird, sondern auch
die Insassen der Räume sich wohler und heimischer fühlen. Die mehr
als 1,45 M. verdienenden Arbeiterinnen zahlen für Kost und Wohnung
zweiwöchentlich 9 M., die weniger verdienenden 8,25 M. Bettwäsche
und Handtücher werden von der Spinnerei geliefert.
Die Firma Joh. Wilh. Scheidt in Kettwig hat ein Mädchenheim
errichtet, welches 60 Personen Raum bietet. Dasselbe liegt mitten in
einem Baumhof. Für Wohnung und Beköstigung zahlen die Mädchen
70 Pfg. pro Tag. Nach der bestehenden Hausordnung hat jede Arbeiterin
ihr Bett kurz nach dem Aufstehen selbst zu machen, die Reinigung der
Zimmer wird von den Bewohnerinnen abwechselungsweise besorgt. Die
Firma Villeroy & Boch in Mettlach errichtete im Jahre 1870 eine große
Schlaf- und Speiseanstalt und vertraute deren Leitung katholischen
Ordensschwestern an. In dieser Anstalt finden gegenwärtig etwa 350
Mädchen und 80 Knaben Kost und Wohnung. Es sind dies meist
Personen, deren Familien auf den umliegenden Dörfern wohnen; die
Entfernungen sind jedoch zu groß, als daß die Leute des Abends nach
Haus gehen könnten, so daß dieselben nur die Sonntage in der Familie
verbringen. Der Preis für die tägliche Beköstigung beträgt 45 Die,
außerdem wird ein Schlafgeld von 10 Pfg. erhoben, welches aber den-
jenigen, die weniger als 1 M. pro Tag verdienen, erlassen wird. Eine
weitere von der Firma errichtete Anstalt enthält mehrere mit je 12 Betten
versehene Schlafsäle und dazu für je 2 solcher Säle ein gemeinschaft-
liches Speise- und Wohnzimmer. In diesen Räumen wirtschaften kleine
Gesellschaften für eigene Rechnung mit einer von ihnen angestellten
und bezahlten Haushälterin. Jeder Mann hat für Benutzung dieses
Schlafhauses einschließlich Reinbaltung des Bettes 10 Pfg. zu zahlen.
Die Firma Schoeller, Bücklers & Co. zu Düren (Flachsspinnerei) hat
bereits im Jahre 1857 Logierhäuser für Arbeiter und Arbeiterinnen
errichtet. Bei 461 Betten beträgt die Durchschnittsbelegung 399 pro
Tag. Die Brüggener Aktiengesellschaft für Tonwarenindustrie zu
Brüggen (Rhld.) hat die in der Fabrik beschäftigten ca. 100 Wander-
arbeiterinnen in einem mit allen Bequemlichkeiten der Neuzeit ein-
gerichteten Pflegehause untergebracht. Die Firma Basse & Selve in
Altena besitzt ebenfalls ein Arbeiterheim, dessen Belegschaft von 250
allmählich auf etwa 150 Köpfe herabgegangen ist, teils weil der Bedarf
an Arbeitern aus der näheren Umgebung des Werkes gedeckt werden
konnte, teils weil viele auswärtige Arbeiter ihre Familien nachkommen
ließen. Ein früher vorhandenes Arbeiterinnenheim ist im Jahre 1891
aus ähnlichen Gründen gänzlich aufgehoben worden.
Von Arbeitgebern, welche Arbeiter- oder Arbeiterinnenheime, zum
Teil mustergiltiger Art, besitzen, zählt die Denkschrift noch über 30
auf, darunter in den Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elber-
Miszellen. 501
feld, ein Junggesellenheim in Leverkusen für durchschnittlich 200 Per-
sonen (Schlafgeld 30 Pfg., volle Verpflegung für 1 M.); in dem Port-
land-Cementwerk, Wesel, ein sehr gut eingerichtetes Unterkunftshaus
für 200 Arbeiter; im Westdeutschen Eisenwerk ein Arbeiterheim für
150 Personen mit Speisesaal, Lesesülen, 4 Waschräumen u. s. w.;
Friedrich-Wilhelmshütte, Mülheim a. d. Ruhr, und Gutehoffnungshütte,
Oberhausen: Arbeiterkasernen für 80 bezw. 1000 einzelstehende Arbeiter;
Kammgarnspinnerei Eitorf: Mädchenheim, Frequenz durchschnittlich 50
Personen (Preis für Aufenthalt und volle Bekóstigung etwa 57 Die
vortrefflich eingerichtet); Königl. Geschoßfabrik, Siegburg: für allein-
stehende männliche Arbeiter (Zahlung für Beleuchtung, Heizung, Wäsche
u. s. w. 14 Pie pro Tag); Gebr. Stumm, Neunkirchen: Schlafhäuser
mit 772 Betten; Dillinger Hüttenwerk, Diilingen: Schlafhaus mit 120
Betten nebst Menage (in der Morgenkaffee für 3 Die, Mittagessen für
30 Pfg. abgegeben wird); Schalker Gruben- und Hüttenverein, Gelsen-
kirchen: 2 Logierhüuser für je 150 Arbeiter.
Auf den Zechen des Ruhrkohlenreviers sind nach den
Angaben der Festschrift zum VIII. deutschen Bergmannstag in Dortmund
1901 gegenwärtig 14 Schlafhäuser zur Unterbringung von insgesamt
500 Arbeitern vorhanden. Ferner bestehen 20 Menagen, welche zu-
sammen 1820 Arbeiter beherbergen und bekóstigen kónnen, doch sind
dieselben nicht voll besetzt. In den Menagen sind in der Regel zu
zahlen 0,60 M. für Logis und Mittagessen, 1—1,30 M. für Logis
und volle Pension einschließlich Instandhaltung der Leibwäsche.
Die neueren Menagen sind in jeder Beziehung zweckentsprechend
eingerichtet und gewähren den Bergleuten eine durchaus behagliche
und dabei billige Unterkunft. Erwähnt sei hier nur die auf der der
Harpener Bergbauaktiengesellschait gehörigen Zeche Gneisenau bei
Herne bestehende Menage, welche 200 Personen aufnehmen kann. In
dieser erhält jeder Arbeiter sein besonderes heizbares und elektrisch
beleuchtetes Zimmer. Lese- und Schreibzimmer, sowie gute Bücher und
Zeitungen stehen zur Verfügung. Es wird warmes Mittag- und Abend-
essen, beides mit Fleisch, verabreicht; Kaffee, Brot und Butter erhalten
die Leute zum Selbstkostenpreis Der Preis für Wohnung und Ver-
pflegung beträgt 27—30 M. monatlich.
Auf fast allen fiskalischen Kohlengruben des Saarreviers sind
für diejenigen Bergleute, denen es wegen zu großer Entfernung ihrer
Wohnungen nicht möglich ist, während der Woche nach Hause zu
gehen, Schlafhäuser eingerichtet, in denen nach der gehaltenen Umfrage
gegenwärtig ca. 4000 Personen Unterkunft finden. Die Schlafhäuser
sind meist mit Zentralheizung, Dampfküche, Dampfwaschanstalt, Wasch-
und Unterhaltungsräumen ausgestattet. Der Mietspreis für eine Schlaf-
stelle beträgt monatlich 2 M., wofür Bett mit Bettwäsche, Schrank,
Handtuch, Heizung und Beleuchtung gewährt wird. Für die Unter-
haltung der Schlafhäuser leistet der Bergfiskus namhafte Zu-
schüsse, so beispielsweise für die 8 Schlafhäuser der Königl. Berg-
inspektion Dudweiler, die mit ca. 1000 Arbeitern belegt sind, 25 000
bis 30000 M. im Jahr.
502 Miszellen.
Außer den vorstehend aufgeführten sind auch sonst noch von
Arbeitgebern in Rheinland und Westfalen zahlreiche Unterkunftsräume
für unverheiratete Arbeiter geschaffen worden. In besonders umfang-
reichem Maße ist dies — soweit dies die angestellten Erhebungen er-
kennen lassen — geschehen im Kreise Neuwied für die in den dort
befindlichen zahlreichen Schwemmsteinfabriken und Ziegeleien beschäf-
tigten Wanderarbeiter sowie in den Kreisen Saarbrücken, Ottweiler und
St. Wendel.
Der vorübergehenden Beherbergung ortsfremder, zuziehender
oder wandernder Arbeiter dienen die Herbergen zur Heimat, Volks-
gasthäuser auf christlicher Grundlage mit christlicher Hausordnung,
ohne Trinkzwang und mit Ausschluß des Branntweins. Die Anregung
zur Gründung solcher Herbergen ging von dem Professor Clemens
Perthes in Bonn aus. Die 29 Herbergen zur Heimat in Westfalen mit
338 Betten haben im Jahre 1900 139141 durchwandernde Personen in
203333 Nächten verpflegt, daneben aber auch 2609 Kostgänger in
57128 Nächten. Außerdem haben sie als Verpflegungsstationen mehrere
Tausend Personen in 57833 Nächten verpflegt und zugleich 14352
Arbeitsstellen vermittelt. In Rheinland gibt es 32 Herbergen zur
Heimat mit ca. 1340 Betten. Im Jahre 1898 logierten in den rheini-
schen Herbergen als Durchreiseude 178 035 Personen in 239879 Nächten,
als Kostgänger 959 in 36 175 Nächten.
Von seiten der katholischen Gesellenvereine wird in der Be-
herbergung zugereister Handwerker und Arbeiter ebenfalls Hervor-
ragendes geleistet. Von den in Rheinland und Westfalen bestehenden
Vereinen haben 83 eigene sogenannte Gesellenhäuser. In denselben
finden Durchreisende für eine Nacht frei Logis, Abendbrot und Morgen-
imbiß, damit sie sich nach Arbeit umsehen können. Folgt auf den Tag
der Zureise ein Sonn- oder Festtag, so wird in der Regel auch freies
Mittagessen gewährt. Die in den Häusern für längere Zeit wohnenden
zahlreichen Gesellen zahlen 1,20—1,40 M. per Tag für Kost und
Logis. In den meisten Vereinshäusern befindet sich eine Bibliothek,
in einigen, wie z. B. in Coesfeld, ist ein Volksbureau eingerichtet.
Sämtliche Vereinshäuser führen Arbeitsnachweise und es erfragen dort
die Meister ihre Gesellen. Die gemachten Aufwendungen sind bedeutend;
sie betragen beispielsweise in Duisburg ca. 50000 M., in Münster
und Ruhrort ca. 40000 M. in Bocholt 20000 M. Dieselben werden
bestritten durch das Kostgeld, die Beiträge der Vereinsmitglieder
und Wohltäter. Letztere, unter dem Namen Ehrenmitglieder, sind bei
jedem Verein namentlich aus dem Kreise der Handwerksmeister zahlreich
vertreten. Diejenigen Vereine, welche eigene Häuser nicht besitzen,
sorgen für ein freies Nachtlogis.
Für andere Landesteile finden diese Mitteilungen ihre Ergänzung
in der für die Pariser Weltausstellung 1900 im Auftrage des Gruppen-
vorstandes der deutschen Untergruppen für soziale Wohlfahrtspflege
von Professor Albrecht herausgegebenen Schrift über „Soziale Wohl-
fahrtspflege in Deutschland*. Sie berichtet über die in Deutschland
vorhandenen Lehrlings- und Gesellenherbergen:
Miszellen. : 503
Die Zahl der Heimstätten, die den Lehrlingen nicht nur die Unter-
kunftsräume für das Zusammensein in der arbeitsfreien Zeit, sondern
auch einen Ersatz für die privaten Schlafstellen mit ihren auf der Hand
liegenden Gefahren bieten, ist bedauerlicherweise eine zu der Zahl
der Fürsorge bedürftigen in gar keinem Verhältnis stehende. Die
Statistik des Zentralausschusses für innere Mission weiß nur von acht
Lehrlingsheimen, in denen heimatfremden Lehrlingen Wohnung und
Kost geboten wird. Das älteste ist die 1867 begründete Lehrlings-
herberge des Jugendvereins in Stuttgart, die 130 jungen Leuten Platz
bietet. Diesem reihen sich unter anderem die Lehrlingsheime des Stadt-
vereins für innere Mission in Leipzig, der Verein Volkswohl in Dresden,
die Herberge zur Heimat in Magdeburg, dés evangelischen Vereins in
Hannover an. Ebensowenig zahlreich sind die entsprechenden Ein-
richtungen der katholischen Charitas; in Köln bestehen zwei Heime:
das von dem Verein für jugendliche Arbeiter unterhaltene St. Joseph-
Asyl, das neben Handwerkslehrlingen auch jugendliche Fabrikarbeiter
beherbergt, und das von dem Verein für katholische Handwerkslehrlinge
errichtete Hermann Joseph-Haus, ausschließlich für Handwerkslehrlinge
bestimmt. Ein drittes Heim in Aachen steht in keinem Zusammenhange
mit den vier dort befindlichen Jugendvereinen. Endlich ist noch das
1897 eröffnete Lehrlingsheim des Vereins „Lehrlingsschutz“ in München
zu nennen, das für etwa 70 junge Leute Platz bietet. Hier reihen sich
ferner einige Fabrikheime an, deren Zahl indessen ebenfalls hinter
der der entsprechenden Einrichtungen für die weibliche Jugend weit
zurückbleibt.
In erheblicherem Umfange als die Jugend- und Lehrlingsvereine
haben sich die katholischen Gesellenvereine die Errichtung von Herbergen
angelegen sein lassen. Hier dürfte vor allem das Bestreben, auch den
auf der Wanderschaft befindlichen Mitgliedern vorübergehend Unter-
kunft gewähren zu können, maßgebend gewesen sein. In den größeren
Vereinshäusern der Gesellenvereine finden fast durchweg auler einem
Teil der am Orte in Arbeit stehenden auch wandernde Mitglieder Kost
und Herberge. So enthält z. B. das Vereinshaus des katholischen
Zentralgesellenvereins in München, das in erster Linie Vereinszwecken
dient, 34 Zimmer mit 86 Betten für ortsangehörige Mitglieder, daneben
aber 4 Zimmer mit 25 Betten für Zugereiste, die beiden Hospize des
Gesellenvereins in Köln 260 Betten, von denen in der Regel 50 mit
Durchreisenden belegt sind, die beiden Hospize in Düsseldorf etwa 250
Betten, die ebenfalls zu einem Teil für Ortsfremde reserviert sind.
Auch der evangelische Jugendverein in Stuttgart unterhält im Anschluß
an das erwähnte Lehrlingsheim ein Kost- und Logierhaus für Gesellen.
— Von den zu den Schöpfungen der inneren Mission der evangelischen
Kirche Deutschlands gehörenden Herbergen zur Heimat und Ver-
pflegungsstationen wird weiter unten in anderem Zusammenhange die
Rede sein.
Dieselbe Quelle berichtet über Wohnung und Unterkunft für
einzelstehende Arbeiter überhaupt, daß für alleinstehende
Erwachsene noch sehr viel weniger getan ist als für die Jugend-
504 z Miszellen.
lichen. Lokale Verordnungen haben zwar versucht, die gröbsten Mil-
stände des Schlafstellenwesens zu beseitigen, unter anderen durch Vor-
schriften über den Mindestluftraum der an Schlafleute abvermieteten
Räume, durch das Verbot der gleichzeitigen Beherbergung von Personen
verschiedenen Geschlechts und andere Bestimmungen, die aber zum Teil
mangels der schwer durchführbaren Kontrolle, zum Teil deshalb ‘ihren
Zweck verfehlen, weil die strenge Durchführung zahllose Individuen
ganz obdachlos machen würde. Man steht hier noch vor einem un-
gelösten Problem, denn auch die wenigen Einrichtungen, die einen Ver-
such der Lösung durch positive Maßnahmen angebahnt haben, kommen
gegenüber der Größe des Notstandes kaum in Betracht. Zu einem
wesentlichen Teil trägt hierzu auch die Abneigung des erwachsenen
männlichen Arbeiters bei, sich dem Zwange einer Hausordnung zu fügen,
ohne die geschlossene Anstalten zur Beherbung vieler nicht gedacht
werden können.
Unter den wenigen von Vereinen unterhaltenen Logierhäusern für
Erwachsene nimmt die hervorragendste Stelle das gleichzeitig Zwecken
des Arbeiterbildungsvereins dienende „Arbeiterheim“ des Vereins für
das Wohl der arbeitenden Klassen in Stuttgart ein. Für die Unter-
bringung einzelstehender Arbeiter sind in 4 Stockwerken 125 vollständig
eingerichtete Zimmer vorhanden, von denen 25 zum Alleinbewohnen
bestimmt, 100 mit je 2 Betten ausgerüstet sind. Die Einzelwohnungen
kosten 2—3 M., die Zimmer mit 2 Betten 1,20—1,60 M. pro Person
und Woche. Das Haus ist stets gut besetzt, und der Wechsel der
Bewohner ein verhältnismäßig geringer. Ferner unterhält der Verein
für Volkskaffeehallen in Hamburg in Verbindung mit einer Volksküche
ein Logierhaus von 400 Betten für männliche Logiergäste Die Zimmer
enthalten 1 und 2 Betten; der Mietpreis beträgt 3,50, bezw. 5 M. pro
Woche. Auch die Volkskaffee- und Speisehallen-Gesellschaft in Berlin
hat das Hinterland eines ihrer Grundstücke zur Einrichtung eines Logier-
hauses zu 50 Betten in Zimmern zu 2, 4 und 6 Betten ausgenützt.
Wir kommen darauf noch ausführlich zurück.
Abweichend von dem System der Unterbringung der ledigen
Arbeiter in besonderen Kosthäusern, hat die Kaiserliche Torpedowerk-
statt in Friedrichsort, die eine größere Zahl unverheirateter Arbeiter
beschäftigt, bei dem Bau ihrer Arbeiterwohnhäuser darauf Rücksicht
genommen, dab eine genügende Anzahl von der eigentlichen Familien-
wohnung abgetrennter Einzelzimmer vorhanden ist, die an alleinstehende
Leute abvermietet werden können. Andere Räume, als die für diesen
Zweck bestimmten, dürfen nicht vermietet werden, und diese letzteren
nur an eine, höchstens an zwei Personen.
Die fürsorgliche Bekämpfung der Uebelstände, die sich in fast noch
größerem Umfange als bezüglich der Ortsanwesenden bei der vorüber-
gehenden Beherbergung ortsfremder, zuziehender oder wandernder
Arbeiter geltend machen, liegt zum wesentlichen Teil in der Hand
konfessioneller Vereinigungen. Namentlich sind es — von den
katholischen Gesellenvereinen ist an anderer Stelle die Rede ge-
wesen — die als eine Schöpfung der evangelischen inneren Mission
Miszellen. i 505
zu betrachtenden Herbergen zur Heimat, die hier in Betracht kommen.
Die Herbergen zur Heimat sind Volksgasthäuser auf christlicher
Grundlage, mit christlicher Hausordnung, ohne Trinkzwang und mit
Ausschluß des Branntweins. Sie wollen, ohne daß allerdings dieser
Zweck durchgehends erreicht würde, nicht Unterkunftsstätten für die
eigentlich vagabondierende, auf die Wohltätigkeit reflektierende Klasse
von Wanderern sein, sondern gewähren Unterkunft in der Regel nur
gegen Entgelt. Die meisten der grófleren Herbergen zur Heimat er-
halten sich selbst, die kleineren werden dureh einmalige oder laufende
Beiträge von einzelnen Wohltätern, Herbergsvereinen, Kreis- und Stadt-
zuschüssen, sowie Teilbeträgen von provinziell erhobenen Kirchen-
kollekten erhalten. Die Hausväter der Herbergen sind zum Teil in
Bruderhäusern vorgebildet. Einen der wichtigeren Nebenzweige ihrer
Tätigkeit bildet der Arbeitsnachweis; ein großer Teil der bestehenden
Herbergen zur Heimat steht mit Naturalverpflegungsstationen in Ver-
bindung. Die Zahl der über ganz Deutschland verbreiteten Her-
bergen zur Heimat betrug zum Schluß des Jahres 1897 465. Ihre
Zentralisation finden diese Bestrebungen in dem 1883 begründeten
Deutschen Herbergsverein mit dem Sitz in Bielefeld, der 14 Pro-
vinzial- und Landesverbände umfaßt. Zu erwähnen sind unter anderen
die Herberge des Vereins für kirchliche Zwecke in Berlin, der die
erste Herberge zur Heimat im Jahre 1853 ins Leben rief, ferner
die Herbergen in Leipzig, Hameln und Meiderich.
In umfassender Weise sorgt die Königlich preußische Eisenbahn-
verwaltung für das Fahrpersonal, welches genötigt ist, außerhalb seines
Heimatsortes zu übernachten oder längere Zeit zuzubringen, durch
wohnlich eingerichtete Uebernachtungs- und Unterkunftsräume auf den
Bahnhöfen. —
Wie in den obigen Mitteilungen erwähnt, ist stellenweise durch
lokale Verordnungen der Versuch gemacht worden, den ärgsten
Schäden des Schlafstellenwesens zu begegnen. Eine Reihe von preuli-
schen Regierungsbezirken, sowie eine Anzahl von Einzelstaaten sind mit
Polizeiverordnungen vorgegangen. Unter den ersteren sind die Regierungs-
bezirke Arnsberg, Düsseldorf, Oppeln, Minden und Lüneburg zu er-
wähnen, unter den letzteren Baden, Hessen und Braunschweig. Ge-
fordert wird im allgemeinen ein Luftraum von 10 cbm pro Person bei
3 qm Bodenfläche und 2,80 m Höhe, Trennung der Geschlechter, Abort
für je 20 Personen, gute Erleuchtung, Lüftbarkeit, Anzeigepflicht von
Zahl und Geschlecht der Schlafleute und Länge, Breite und Höhe der
Schlafräume. Diese Polizeiverordnungen sind wenigstens imstande, den
allerschlimmsten Uebelständen abzuhelfen.
Auf dem Wege der Gesetzgebung ist dagegen auf diesem
Gebiete noch sehr wenig geleistet. Die Beispiele, in denen Versuche
dieser Art unternommen worden sind, beschränken sich bisher auf eine
recht geringe Zahl und auch inhaltlich auf einen bescheidenen Umfang.
Das neueste Beispiel ist ein unterm 22. Juli 1902 publiziertes „Gesetz,
betreffend die Wohnungspflege in der Stadt Lübeck und deren Vor-
städten“, das von Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansastadt
506 Miszellen.
Lübeck erlassen ist; es enthält eine Reihe bemerkenswerter Bestim-
mungen über das Schlafstellenwesen, und zwar in folgenden Paragraphen:
$ 10. Die Vermietung einzelner Teile einer Wohnung ist nur ge-
stattet, sofern
a) dem Vermieter mindestens ein verschließbarer und heizbarer,
am unmittelbaren Licht liegender Raum zur ausschließlichen Be-
nutzung verbleibt und
b) sowohl in Bezug auf die dem Vermieter verbleibenden als auch
in Bezug auf die dem Mieter zugewiesenen Räume den durch $ 8
bestimmten Mindestanforderungen an Luftraum für Schlafräume ge-
nügt ist.
$ 11. Diejenigen, welche anderen Personen in ihren Räumen eine
Schlafstelle gewähren, sind gehalten, einer jeden Person ein be-
sonderes Bett und mindestens für zwei Personen ein Wasch- und Trink-
geschirr zur Verfügung zu stellen. Bett und Geschirr sind täglıch in
Ordnung zu bringen und sauber zu unterhalten. Die mit Einlogierern
belegten Räume sind vom Quartiergeber tunlichst täglich 1—2 Stunden
zu lüften, täglich besenrein zu halten, die Fußböden sind mindestens
einmal wöchentlich zu scheuern und die Räume jährlich zweimal, tun-
lichst nach Entfernung sämtlicher Möbel, von Grund aus zu reinigen.
Im übrigen wird das Einlogiererwesen besonderer polizeilicher
Regelung vorbehalten.
Die Kontrolle wird durch eine Behörde für Wohnungspflege aus-
geübt, die aus dem Dirigenten des Polizeiamts, einem zweiten Mitgliede
des Senats und 30 bürgerlichen Deputierten (Wohnungspflegern) besteht.
Das Gesetz enthält keine positiven Maßnahmen zur Förderung des
Wohnungsbaues, sondern nur hygienische Vorschriften und die Hand-
haben zur Ueberwachung ihrer Durchführung.
In Deutschland ist uns ferner bisher kein Beispiel bekannt, wo
eine Gemeinde die Fürsorge für die Unterbringung lediger Arbeiter
übernommen hätte. Hier sind es im allgemeinen religiöse Vereine ge-
wesen, die mit dem Hintergrunde der religiösen Fürsorge die Unter-
bringung unverheirateter oder überhaupt heimatloser Arbeiter in „Her-
bergen zur Heimat“ und ähnlichen Unternehmungen sich zur Aufgabe
machen. Ueber ihre Erfolge fehlt die Statistik, jedoch können sie einen
großen Einfluß auf das Schlafstellenwesen schon deshalb nicht haben,
weil sie, ihren Bestimmungen gemäß, nur für den vorübergehenden
und nicht für den dauernden Aufenthalt ihrer Pflegebefohlenen sorgen.
Anders schon steht es mit Instituten wie dem „Müuchener Arbeiterinnen-
heim“, welches alleinstehenden Frauen und Mädchen, Ladnerinnen,
Kontoristinnen, Arbeiterinnen u. s. w. gegen geringes Entgelt gesunde,
reine Schlafstellen, nahrhalte Kost und einen Aufenthaltsraum für freie
Stunden bietet. Die Schlafstelle kostet 1,20, 1,50, 2 M. wöchentlich,
je nach der Zahl der Insassen eines Zimmers, Das Haus wird von
einem gemeinnützigen Verein unterhalten und scheint sich nicht zu
rentieren.
Wir wenden uns nunmehr zu den speziellen Verhältnissen in der
Reichshauptstadt, in der, wie eingangs erwähnt, trotz großer Aus-
Miszellen. 507
dehnung des Schlafstellenwesens noch so gut wie nichts dagegen ge-
schehen ist. In Berlin wohnten nach den Volkszählungsberichten von
Schwabe im Jahre 1871 von den sämtlichen Arbeitnehmern 22,7 Proz.
beim Arbeitgeber, 29,1 Proz. in eigener Wohnung, 21,3 Proz. bei An-
gehörigen, 5 Proz. als Chambregarnisten und 21,9 Proz. als Schlaf-
gänger. Der Prozentsatz der letzteren war in den einzelnen Gewerben
sehr verschieden. Er stieg auf 44,7 Proz. bei den Zimmerern, 45 Proz.
bei den Schuhmachern, 47,6 Proz. bei den Schneidern und 53,3 Proz.
bei den Maurern. Diese Leute sind, wie Schwabe es ausdrückt, zum
Aufenthalt in der Wohnung „nur in der Nacht berechtigt, am Tage ge-
duldet“‘— sehr oft aber auch am Tage überhaupt nicht geduldet. Nach
der Zählung von 1890 hatten 56 Proz. der Haushaltungen, in denen
Schlafgänger aufgenommen wurden, eine Schlafstelle, 29,5 Proz. zwei,
10,5 Proz. drei, 3 Proz. vier und 1 Proz. noch mehr Schlafstellen. Dabei
wohnten von den 95365 Schlafleuten ?/, bei einem Ehepaar und
fast ?|, in Haushaltungen mit 2 Kindern, 39 Proz. in Wohnungen mit
nur einem und 51 Proz. in Wohnungen mit nur zwei Zimmern. In
seiner bekannten Untersuchung über „Die soziale Lage der arbeitenden
Klassen in Berlin“ bemerkt Dr. Hirschberg hierzu: Sehr der Ver-
breitung des Schlafstellenwesens förderlich ist der verhältnismäßig billige
Mietspreis derselben, etwa 6—9 M. monatlich, während das eigene
möblierte Zimmer kaum unter 15 M. zu haben ist. Der Wunsch des
Mieters nach einem billigen Unterkommen begegnet sich hier mit dem
des Vermieters, einen Teil seiner Wohnungsausgabe wieder eingebracht
zu sehen, meist ohne Rücksicht darauf, ob die Wohnung die Aufnahme
von Miteinwohnern zuläßt.
Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1900 gab es in Berlin
71571 männliche und 26373 weibliche Schlafgänger nebst 848 Kindern,
zusammen also 98792 Personen. Am 1. Dezember 1895 waren in
Berlin auf 1000 männliche Personen 77 Schlafgänger gezählt, auf 1000
weibliche 25,6.
Von den bisher in Berlin gemachten Versuchen zur Unterbringung
alleinstehender Arbeiter in Ledigenheimen berichtet Dr. Hirschberg 1897:
„Erst neuerdings ist es von Emil Minlos in dem Hause seiner Volks-
speisehallen versucht worden, Ersatz für Schlafstellen zu schaffen. Sein
Gesellenheim hat 50 Betten, die Miete beträgt 2,75 M. einschließlich
Frühstück und Heizung pro Woche Für junge, unbescholtene
Arbeiterinnen ist durch den Verein Jugendschutz gesorgt, welcher
Pension mit Wohnung für 30—45 M. monatlich abgibt. Ferner will
die Gemeinnützige Baugesellschaft versuchsweise ein Haus für ledige
Arbeiter, Gesellen, ein Stockwerk mit einzelnen Zimmern für 1—2 Per-
sonen, ein anderes zur gemeinsamen Benutzung bauen.“ — In ihrem
1901 erstatteten Bericht sagt die zuletzt genannte Gesellschaft:
„Es ist neuerdings in Anregung gebracht, bei den auf Bremerhöhe
zu erbauenden Grundstücken versuchsweise ein Haus für ledige Arbeiter
in der Weise herzustellen, daß die Parterre-Etage als Wohnung eines
Hausvaters und mit Raum für gemeinsame Benutzung der Mieter, die
oberen Etagen in einzelnen Parzellen für 1—2 Personen eingerichtet
508 Miszellen.
würden. Die Mieter solcher Plätze würden dann in der Lage sein,
ihren Mietraum nicht bloß nachts, sondern auch tagsüber zur Verfügung
zu haben, auch die für den gemeinsamen Gebrauch bestimmten Räume
jederzeit benutzen zu können. Die Schlafburschen hierorts haben meist
nur das Recht, ihren Mietsplatz von abends 9 bis morgens 6 Uhr inne
zu halten, sind also gezwungen, sich in der Frühzeit in öffentlichen
Lokalen aufzuhalten. Sollte die Idee realisiert werden, so wäre damit
ein Versuch gemacht, ob das Schlafburschenwesen Berlins besserungs-
fähig ist. Ob sich rechnerisch die Sache durchführen läßt, muß noch
geprüft werden.“
An Wohltätigkeitsanstalten für vorübergehenden
Aufenthalt fehlt es nicht; sie decken sich aber in keiner Weise mit
den Einrichtungen, die wir hier im Auge haben. Es sind Anstalten
nach dem Muster des Asyls für Obdachlose, das seit seinem Bestehen
rund 4 Millionen Personen Obdach gewährt hat. Das Asyl ist im
Jahre 1869 begründet. Es darf von Obdachlosen nicht länger als
5 Tage in Anspruch genommen werden. Um einen ganz kurzen Aufent-
halt Mittelloser handelt es sich auch lediglich in den Herbergen zur
Heimat in der Oranienstrale, die im Jahre 1899 15500 Gäste für
50000 Schlafnächte aufnahm, und in der Augustastraße, die in dem-
selben Jahre von 11000 Personen für 34000 Schlafnächte aufgesucht
wurde. Hier wurden 20—50 Pf. pro Bett gezahlt.
Die mit der gemeinnützigen Baugesellschaft verbundene Alexandra-
Stiftung hat im Jahre 1894/95 auf dem Hinterterrain der Grundstücke
Alexandrinenstraße 18— 21 ein großes Haus zur Aufnahme einzelner
Frauen und Mädchen errichtet. Der unter dem Protektorat der Kaiserin
stehende Verein für die Fürsorge für die weibliche Jugend hat dies
unter Berücksichtigung seiner Wünsche gebaute Haus mietweise über-
nommen und seine Tätigkeit darin am 1. April 1896 begonnen. Die
Räume dieses „Marienheimes“ gestatten eine Aufstellung von 100 Betten.
Dem für alleinstehende Mädchen noch mehr als für einzelne Männer
vorhandenen Bedürfnis nach anständiger, eigener Unterkunftsstelle trägt
das Heim in zweckmäliger Weise Rechnung, indem es Wohnung, Ver-
pflegung und Arbeitsnachweis für billigen Preis gewährt, seinen In-
sassen durch Veranstaltung von Unterhaltungen, Lesezimmer u. dergl.
den Anschluß an Gleichstehende ermöglicht und das Gefühl einer Heim-
stätte zu geben sucht. Die letzten Jahresberichte der Alexandra-Stif-
tung verzeichnen für Ende Oktober einen Besuch des Heims von je
60 Insassen.
Die Herberge des Gewerkschaftshauses, Engel-Ufer 15,
ist mehr für Passanten berechnet. Sie ist im Mai 1900 eröffnet und
ergab im Jahre 1901 bei einer Einnahme von 30000 M. über 9500 M.
Ueberschuß. Das Herberge-Restaurant ist in diesen Zahlen nicht in-
begriffen; es hatte einen Umsatz von 33 500 M. und erforderte einen Zu-
schuß von 350 M. Der Ueberschuß der Herberge wird vermindert durch
die Unterhaltungskosten der mit ihr verbundenen Badeanstalt, die sich
durch ihre eigene Einnahmen nicht erhalten kann. Der danach tat-
sächlich verbleibende Ueberschuß wird als knapp 3-proz. Verzinsung des
Miszellen. 509
für die Herberge in Rechnung zu setzenden Grund- und Gebäudewertes
bezeichnet. Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, zur näheren Be-
urteilung der finanziellen Grundlagen und Aussichten von Unternehmungen
dieser Art hier die letzte Jahresbilanz dieser Herberge anzufügen, zu-
mal ähnliche Aufrechnungen verwandter Untersuchungen uns nicht zur
Verfügung stehen:
Einnahmen. | Ausgaben.
| {m (PE La [bt
Schlafgelder: Januar 2338 |20 ||| Lohn und Gehalt 9941 |25
Februar 2399 | 25 || Beleuchtung 1624 |59
März 2705 |80 || Heizung 1240 | 12
April 2567 |60 ||| Fensterreinigen 225 | —
Mai 2435 |OS || Wäsche 2464 |20
Juni 2429 | 30 || Seife 234 | —
Juli 1989 | 90 ||| Wichse 38 |70
August 2328 |9o | Bürsten, Scheuertücher, Soda 394 |50
September 2481 | — ||| Wasser 1501 | 50
Oktober 2661 |os || Kohlen der Badeanstalt 1875 |30
November 2330 |45 ||| Matratzen-Aufarbeiten 84 |—
Dezember 1877 |20 ||| Drucksachen 167 | 50
Badekarten 836 | 10 ||| Verschiedenes 444 |76
Schließergeld 388 | 50 || UeberschuB 9532 |88
Sa. | 29768 | 30 | Sa. | 29768 |30
Ueber den Verkehr in der Herberge gibt die Verwaltung folgende
Uebersicht für die Zeit seit ihrer Gründung bis Ende 1901 (die Haupt-
zahlen beziehen sich auf das Jahr 1901, die eingeklammerten auf das
Vorjahr):
Von den Zuge-
A e isten waren
F Ueber- Leer geblie- " Desin- | "€
Bees SSES nachtungen | bene Betten | Bäder | .ktion eet
ganl- gani-
siert siert
Januar 795 (—) 4909 (—) 1167 (—) 954 | 36 | 635 | 160
Februar 799 (—) 4892 (—) | 596 (—) 963 | 39 610 | 189
März 1066 (—) 5400 (—) 676 (—) 1213 39 795 271
April 1191 (—) 5132 (—) 748 (—) | 1277 | 29 | 815 | 376
Mai 1171 (697) | 4879 (2535)| 1197 (3541)| 1237 | 24 | 858 | 313
Juni 1241 (1054)| 4859 (4486) 1021 (1294)| 1297 | 20 924 317
Juli 1102 (1401) | 3981 (5564) | 2095 (512) | 1301 13 768 334
August 1295 (1440)| 4660 (5884)| 1416 (192) | 1318 22 941 354
September 1200 (1256) | 4950 (5830)| 930 (50) 1283 | 32 816 | 384
Oktober 1108 (1277)| 5317 (5933)| 759 (143) | 1182 19 767 341
November 824 (909) | 4693 (4K47)| 1187 (1033) 857 16 578 246
Dezember 611 (636) | 3832 (3666), 2244 (2410) 647 32 447 | 164
12403 57504 | 14036 ‚13529 | 321 |8954 |3449
Aus einem Vergleich der beherbergten Personen und der Zahl der
Uebernachtungen, 12 403 : 57 504, ergibt sich, daß die Herberge durch-
510 Miszellen.
aus Hotelcharakter trägt und ganz überwiegend nur zu einem Aufent-
halt von wenigen Tagen, im Durchschnitt noch nicht eine Woche, be-
nutzt wird. Von Interesse ist auch ein Ueberblick über den Beruf der
Uebernachteten. Es wurden im Berichtsjahre gezählt:
Apotheker 2, Arbeiter 699, Architekten 1, Bäcker 194, Bade-
meister 2, Bandagisten 3, Barbiere 181, Bauaufseher 5, Bahnbeamte 1,
Bildhauer 275, Böttcher 36, Brauer 83, Buchbinder 483, Buchdrucker
und Schriftsetzer 1080, Büchsenmacher 5, Bureauangestellte 27,
Bürsten- und Kammacher 42, Chemiker 3, Dachdecker 15, Elekro-
techniker 4, Fabrikanten 5, Färber 7, Feuerwehrleute 5, Former 359,
Galvaniseure 7, Gärtner 42, Gastwirte 8, Gastwirtsgehülfen 118,
Glaser 61, Goldarbeiter 152, Graveure und Ciseleure 53, Gürtler 98,
Handelshülfsarbeiter 12, Händler 85, Handschuhmacher 27, Haus-
diener 215, Holzarbeiter 1790, Hutmacher 33, Instrumentenmacher und
Orgelbauer 13, Konditoren 75, Kammerjäger 1, Kaufleute 389, Kranken-
pfleger 22, Kupferschmiede 294, Kürschner 16, Kutscher 18, Lackierer 20,
Landwirte 10, Lederarbeiter 132, Lehrer 6, Lithographen und Stein-
drucker 117, Maler 396, Maschinisten und Heizer 27, Maurer 312,
Mechaniker 157, Metallarbeiter 1731, Möbelpolierer 17, Mon-
teure 35, Müller 35, Musiker 25, Photographen 15, Porzellanarbeiter 16,
Portefeuiller 8, Posamentiere 14, Redakteure und Schriftsteller 18,
Rentenempfänger 5, Rohrleger 17, Sattler 309, Schauspieler 11,
Schlächter 83, Schleifer 52, Schmiede 147, Schneider 409, Schornstein-
feger 3, Schriftgießer 23, Schuhmacher 304, Seeleute 8, Seiler 5, Souft-
leure 1, Steinmetze und Steinhauer 60, Stuckateure 35, Studenten 3,
Tapezierer 252, Techniker 22, Textilarbeiter 54, Töpfer 134, Uhr-
macher 39, Vergolder 104, Werkmeister 3, Xylographen 2, Zigarren-
macher 18, Zeichner 14, Zimmerer 209.
Es zeigt sich, daß die Arbeiterkreise mit der besten Organisation
das größte Kontingent der Besucher stellen — eine Tatsache, die sich
leicht aus dem Charakter des Gewerkschaftshauses erklärt, zu dem die
Herberge gehört.
Die älteste und anscheinend erfolgreichste einschlägige Einrichtung
in Berlin ist das oben bereits wiederholt erwähnte Gesellenheim der
Volkskaffee- und Speisehallen-Gesellschaft, Neue Schönhauserstr. 13. In
Zimmern zu 2, 4 und 6 Betten erhalten hier junge, ledige Arbeiter für
wöchentlich 2,50 M. einschließlich Beleuchtung und Frühstück (eine Tasse
Kaffee und Zubrot), ein sauberes, gutes Logis. Das Logierhaus ist im
Jahre 1895 mit 50 Betten eingerichtet worden, die stets voll besetzt
sind. Mit dem 1. November v. J. konnte eine Erweiterung um 18 Logis
vorgenommen werden, von denen schon geraume Zeit vor der Eröff-
nung ein Teil vergeben war. Im Hintergebäude des erwähnten Hauses,
das im Erdgeschoß die Lesehalle der Deutschen Gesellschaft für ethische
Kultur beherbergt, sind die beiden folgenden Stockwerke zu einer Folge
von populären Chambregarnies umgewandelt worden. Das ganze Ge-
bäude, vordem eine höhere Töchterschule und lauter helle, luftige Räume
aufweisend, ist seinen Zwecken in sorgsamer und praktischer Weise
angepaßt worden. Boden und Wände sind sauber und freundlich mit
Miszellen. 511
Oelfarbe gestrichen. Gute Betten in eisernen Bettstellen, Waschtische
mit Marmorplatten und emaillierten Waschgeräten, Nußbaumschränke,
in denen jeder Bewohner für seine Kleider einen völlig abgeschlossenen,
nur durch einen besonders angefertigten Schlüssel zu öffnenden Anteil
‘hat, weitere verschließbare Kästen für Wäsche und sonstiges Eigentum
in den Schränken und in den zierlichen Nachttischchen, Spiegel an den
Wänden, ein Arbeitstisch von angemessener Größe und Solidität, Stühle
und sonstige Erfordernisse, einer behaglichen Einrichtung bilden die
Ausstattung der Wohnräume, die einen anheimelnden Eindruck machen.
Ein Hauswart und seine Frau besorgen die Bedienung, denn die
„Mieter“ haben dasselbe Anrecht, wie jeder Chambregarnist, in Bezug.
auf alle kleinen Dienste, auf Wäschewechsel und Aufräumung der Stuben.
Die Hausordnung ist weder die einer Kaserne noch die einer klöster-
lichen Gemeinschaft, aber sie sorgt für Aufrechthaltung der guten Sitte.
Jeder, der seine Unbescholtenheit nachweisen kann, hat Anrecht auf
Aufnahme.
Eine Besichtigung dieser Anstalt hat in mir die Ueberzeugung
befestigt, daß es durchaus möglich sein muß, in Berlin auch ohne finan-
zielle Opfer das hier eingeschlagene System weiter auszubauen. Ohne
die Erfahrungen eines Baumeisters und Hausbesitzers zu haben, glaube
ich aus praktischer Beobachtung heraus getrost behaupten zu dürfen,
daß sie sogar zu recht befriedigenden finanziellen Erträgen gebracht
werden können. Es sei gestattet, zur Begründung dieser meiner Ueber-
zeugung folgendes einzuschalten:
Unweit des Gesellenheims, aber in einer günstiger gelegenen und
ihrem ganzen Habitus nach relativ „besseren“ Straße findet man im
Vorderhaus große, gut möblierte Zimmer für 25 Mark monatlich, wenn
ich mich recht entsinne, inkl. Bedienung. In Zimmern von gleicher
Größe, aber im Hinterhaus auf den zweiten Hof und bei einfachster
Möblierung, werden im Gesellenheim sechs Personen untergebracht, die
einschließlich des Morgenkaffees monatlich zusammen 60 Mark zahlen.
Nach einem entsprechenden Abzug für den Kaffee wird der Raum, der
einen geringeren Mietswert repräsentiert, hier also etwa doppelt so hoch
bezahlt wie dort im gut möblierten Zimmer des Vorderhauses. Die
Zimmer mit sechs und mehr Betten sind freilich weniger gesucht und
beliebt, als die mit zwei oder höchstens vier Betten; in denjenigen für
nur zwei Personen stellt sich der Preis aber auch um eine Kleinigkeit
höher. Die Stammgäste des Gesellenheims sind Schreiber, Köche, Hand-
werker verschiedener Art und qualifizierte Arbeiter. Die Hausordnung
ist milde; Einlaß muß der Verwalter bis 12 Uhr ohne weiteres gewähren,
von 12 bis 1 Uhr nachts gegen eine Gebühr von 10 Pfg., die natürlich
zugleich einen Erziehungszweck haben soll, nach 1 Uhr aber überhaupt
nicht. Lärm und Trunkenheit sollen nicht geduldet werden, doch ist
die Hausordnung derart, daß ein einigermaßen ordentlicher junger Mann
sich durch sie nicht beengt fühlen kann, jedenfalls nicht mehr als in
einer Schlafstelle,
Eine gewisse Schwierigkeit wird ja immer, und gerade in der
Großstadt, in der Notwendigkeit einer Hausordnung für die Ledigen-
heime liegen.
512 Miszellen.
Der Arbeitnehmer, namentlich der jüngere, fügt sich ungern auch
nur dem entferntesten Zwange derjenigen Ordnung, die in großen Logier-
häusern für die Aufrechterhaltung von Sauberkeit, Sittlichkeit und der
für den Nebenmenschen nötigen Nachtruhe unbedingt erforderlich ist.
Gerade bei den jüngeren Arbeitern ist ein gewisses Pochen auf ihre
wirtschaftliche Selbständigkeit ein hervorstechender Zug, der noch da-
durch besonders gefördert wird, daß er sich in den Familien, in denen
er Kostgänger oder Schlafsteller ist, als eine sehr willkommene Ein-
nahmequelle betrachtet weiß. Vielleicht läßt sich diesem Gefühl etwas
entgegenkommen und ihm doch die Spitze dadurch abbiegen, dal
. er es mit mehreren zu teilen gezwungen ist. Befinden sich in einer
Familie mehrere, etwa 6 bis 10 Schlafsteller oder Kostgänger, so
kann sich unmöglich der einzelne allzusehr als den Herrn der Situation
fühlen; andererseits übt jeder über seinen Nachbar eine gewisse
Kontrolle in Bezug auf das Verhalten zu der Wirtin und den
Töchtern aus. Unter diesen Gesichtspunkten hat Dr. Ascher im Hand-
buch der Arbeiterwohlfahrt angeregt, Arbeiterfamilien. namentlich solchen,
in denen das Familienoberhaupt durch einen Unfall oder eine Krank-
heit außer stand gesetzt ist, den vollen Unterhalt zu verdienen, von
Vereinen oder Genossenschaften die Mittel zur Einrichtung und zur
ersten Unterhaltung eines solchen ,Arbeiterpensionats* zu gewähren,
sie sich mäßig verzinsen zu lassen und sich dafür eine Kontrolle über
dieses „Pensionat“, das sowohl Schlafsteller wie Kostgänger aufnehmen
darf, vorzubehalten.
Trotz der Bedenken gegen die Anziehungskraft der Ledigenheime,
die aus der erwähnten Abneigung gegen den Zwang entspringen, wäre
dringend zu wünschen, daß seitens der Gemeinden Versuche in
größerem Maßstab unternommen werden. Gerade wegen des Umstandes,
daß auf einen dauernden Besuch bis zu größerer Gewährung der in Be-
tracht kommenden Kreise vorläufig nicht mit Bestimmtheit zu rechnen
ist, sind die Gemeinden am geeignetsten, das Risiko für die ersten
Jahre zu übernehmen. Mit der Zeit, wenn sich zeigt, daß in keiner
Beziehung ein wirklicher Zwang empfunden wird, daß die Ledigenheine
von jeder Tendenz frei und die Bewohner gut untergebracht sind, wird
das Mißtrauen sich verlieren, und werden die Häuser zweckmälig ein-
gerichtet und gut verwaltet, so werfen sie dann jedenfalls auch, zumal
beim Großbetrieb, der Stadtkasse eine mäßige Rente und Tilgungs-
quote ab.
Die Logierhäuser in großen Städten können nicht nur für die Arbeiter,
sondern auch für Ledige anderer Stände errichtet werden. Die Not-
wendigkeit einer guten Hausordnung läßt sich mit der Bewegungsíreiheit
ganz wohl vereinigen. Das Vorgehen gegen das Schlafstellenwesen
bringt vielfach wieder andere Nachteile, wenn es nicht ergünzt wird
durch Sorge für Logierhäuser, in welchen die besseren Elemente der
dort Verdrängten Unterkunft finden können. In dem Maße, als hier-
durch die Begleiterscheinungen des Schlafgängerwesens, Roheit, Trunk-
sucht, Liederlichkeit, Verführungen und überhaupt die sittlichen und
gesundheitlichen Ansteckungsherde zurücktreten, in dem gleichen Male
Miszellen. 513
lohnt sich dieses Vorgehen der Gemeinde auch wirtschaftlich und
finanziell, indem manche Quelle der Unterstützungsbedürftigkeit ver-
stopft wird.
Ist eine Gemeinde nicht in der Lage, ein solches öffentliches Logier-
haus zu schaffen, so kann sie diese Aufgabe durch einen Verein lösen
lassen und diesen durch Stellung des Gebäudes und sonst finanziell
unterstützen. Es kann das alles auf der Basis genauester finanzieller
Kalkulation in der Weise geschehen, daß die Stadt keinerlei Opfer
bringt, sondern nur normal verzinsliche Darlehen gewährt und höchstens
für die ersten Jahre das Risiko des später einzubringenden Zinsausfalls
trägt. Wir wissen wohl, daß in Berlin der Plan wenig Aussicht hätte,
wenn man der Stadt Opfer zumuten würde, die von den Hausbesitzern
als eine Schädigung unter gleichzeitiger Förderung einer neuen, bevor-
zugten Konkurrenz betrachten würden. Nein, mit Wohltätigkeit im
Sinne von Almosen sollen die Ledigenheime nichts zu tun haben; sie
sollen nur eine Maßnahme allgemeiner Wohlfahrtspflege ohne Opfer
und ohne Geschenke sein. Die Stadt soll mit einer Mustereinrichtung
vorangehen, in der sie den Hausbesitzern keine Konkurrenz macht, da
sie sich gleichfalls auf den Standpunkt der Rentabilitätsberechnung
stellt, und den Mietern nichts schenkt, mit der sie aber gerade durch
den Beweis der Rentabilität Private zur Nacheiferung ermuntert.
Wenn in manchen Gegenden außerhalb der Reichshauptstadt der
Besuch der Ledigenheime zu wünschen übrig läßt, so wird das vielfach
daran liegen, daß entweder die Hausordnung strenger als nötig, die
Verwaltung nicht entgegenkommend genug oder die Stiftung irgendwie
durch politische oder religiöse Tendenzen belastet ist. Völlige Freiheit
von jeder derartigen Tendenz ist aber eine Grundbedingung für
das Gedeihen solcher Unternehmungen im großen Stil. Und eine andere
Grundbedingung ist, daß dem Unternehmen nichts von Almosencharakter
anhaften darf. Werden diese beiden Bedingungen erfüllt und versteht
die Verwaltung, die Ueberzeugung davon den Kreisen, aus denen die
Besucher der Wohnungen sich rekrutieren sollen, allgemein beizubringen,
so bleibt der Erfolg nicht aus. Auf dieser Grundlage wünschen wir
in der Reichshauptstadt die Errichtung von Musterledigenheimen, und
wir zweifeln nicht, daß ihr Erfolg nach den zu überwindenden Probe-
jahren gemeinnützige Gesellschaften und private Unternehmer zur Nach-
eiferung anregen würde. Damit wäre ein außerordentlich bedeutsamer
Schritt zur Besserung der Wohnungs- wie der allgemeinen sozialen
Verhältnisse in den deutschen Großstädten, zum Segen weiter Bevülke-
rungsschichten, zur Besserung der gesundheitlichen und sittlichen Zu-
stände getan.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 33
514 Miszellen.
Nachdruck verboten,
IX.
Arbeitsnachweis und Arbeitslosenversicherung auf der Ver-
sammlung des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise
vom 9. bis 11. Oktober 1902').
Von S. P. Altmann- Berlin.
Es ist eine sonderbare, in ihren letzten Zusammenhüngen noch
nicht ganz aufgeklärte Erscheinung, daß der Arbeitsmarkt bis fast in
die Gegenwart hinein einen vóllig regellosen, ja anarchischen Charakter
bewahrt hat. Die Idee des Marktes als Stelle, wo Angebot und Nachfrage
zusammentreffen sollen, ist uralt und mit der fortschreitenden Rationa-
lisierung des Wirtschaftslebens gewann sie immer größeren Einfluß.
Die Tendenz der Ausdehnung und Erweiterung der wirtschaftlichen
Kreise erfordert aus sich heraus die entgegengesetzte, der Zentrali-
sation und Organisation, als der Möglichkeit, das räumlich und zeitlich
Auseinanderliegende von einem Punkte aus zu überschauen. Die höchste
Form dieser Entwickelung ist die Börse, die für die Geldware das
Angebot und die Nachfrage fast der ganzen Welt in sich vereinigt.
Wenn der Arbeitsmarkt erst in allerletzter Zeit anfängt, aus seiner
unübersichtlichen Regellosigkeit herauszukommen, trotzdem er seiner
ziffernmäßigen Bedeutung nach jeden anderen Markt übertrifft, so sind da-
für eine Reihe von Gründen maßgebend, die hier nur angedeutet werden
können. Die Arbeitskraft ist sowohl als potenzielle wie als kinetische
Energie keine Ware, so oft man auch von der Ware Arbeit sprechen
mag. Es bleibt stets ein unlöslicher Zusammenhang zwischen Indivi-
duum und Arbeit. Der Entwickelungsgang, der das Arbeitsverhältnis
vorwiegend in der Richtung ausgestaltet hat, daß im Arbeitsvertrage
nicht mehr der ganze Mensch, sondern eine bestimmte Arbeit oder eine
bestimmte Arbeitszeit gemietet wird, hat zugleich der Arbeit einen ob-
jektiveren Charakter gegeben und sie dadurch warenähnlich gemacht.
Dabei mag übrigens nicht übersehen werden, daß andererseits durch
1) Nach den im Verlage von Carl Heymann Berlin 1903 erschienenen steno-
graphischen Berichten (Band 4 der Schriften des Verbandes deutscher Arbeitsnachweise),
die mir bereits vor der Veröffentlichung in liebenswürdiger Weise zur Verfügung ge-
stellt worden sind. Den Protokollen sind als Anhang: Materialien zur Frage der Arbeits-
losenversicherung zusammengestellt von Dr. jur. Richard Freund, beigegeben, auf die
wir ganz besonders hinweisen.
Miszellen. 515
die Individualisierung der Arbeit auch ein erschwerendes Moment, das
diese Annäherung aufhält, eintritt. Dennoch ist heute die Möglichkeit
zu einer Verwirklichung der Organisation des Arbeitsmarktes bereits
gegeben.
Die Entwickelung des Arbeitsnachweises aus den kleinsten An-
fingen privater oder zünftlerischer Stellenvermittlung mußte zu einer
Zentralisation führen, wenn der Arbeitsnachweis durch die Vereinigung
großen Angebots und großer Nachfrage überhaupt eine Bedeutsamkeit
erlangen sollte. Jedoch auch die Zentralisation an einem einzelnen
Orte konnte niemals genügen, denn schon Marx hat ja den Punkt her-
vorgehoben, daß oft zu gleicher Zeit an einem Platze Arbeitskräfte ver-
geblich gesucht werden, während an einem anderen Tausende auf dem
Pflaster liegen. Nur wenn ein größerer Teil des Arbeitsmarktes über-
blickt wird, kann von einer Ausgleichung durch Arbeitsnachweise ge-
sprochen werden, und nur dann kann man an die Verschaffung von
„passender Arbeit“ denken.
Zu den Verdiensten, die sich der Privatdozent und Stadtrat Dr. Jastrow
auf dem Gebiet der Organisation des Arbeitsmarktes erworben hat, ge-
hört es auch, daß er gemeinsam mit anderen stets die Bildung von
Verbänden, der Arbeitsnachweise angeregt hat, die neben dem Aus-
tausch von Arbeitskräften auch die statistische Kenntnis des Arbeits-
marktes erweitern sollten. Der erste Zusammenschluß waren die Landes-
verbände, die sich in Süddeutschland organisierten. Im Jahre 1898
vereinigten sich die einzelnen Verbände zu dem Verband deutscher
Arbeitsnachweise mit dem Sitz in Berlin, an dessen Spitze der Vor-
sitzende der Landesversicherungsanstalt und des Zentralarbeitsnachweises
Berlin, Dr. Richard Freund, steht. Der Verband tagt alle 2 Jahre und
hat sich bereits mit einer Reihe der wichtigsten Fragen seines Gebietes,
nämlich der Landarbeiterfrage, der Arbeitsnachweisstatistik, der Ge-
bührenfrage, der Dienstbotenvermittlung!) u. s. w. beschäftigt. Der
Verband zählt heute 128 Mitglieder, von denen 70 kommunale und
58 Vereinsarbeitsnachweise sind. Seine diesjährige Tagung fand vom
9. bis 11. Oktober in Berlin statt und die Gegenstände seiner Verhand-
lungen, an denen Vertreter der Reichs- und Landesregierungen, der Stadt
Berlin und einer Reihe sozialpolitisch-interessierter Körperschaften teil-
nahmen, soll hier einer Würdigung unterzogen werden. Auf der Tages-
ordnung stand:
Für den ersten Tag: Welche Erfahrungen haben die Arbeitsnach-
weise bei der letzten Krisis auf dem Arbeitsmarkte gemacht ?
Besondere Berücksichtigung sollen folgende Punkte finden: Ist
eine Arbeitslosigkeit in die Erscheinung getreten und in welcher Art?
Welche Schlüsse können aus dem Umfang der Arbeitsvermittlung auf
den Umfang der Arbeitslosigkeit gezogen werden? Welche Vorschläge
hat der Arbeitsnachweis zu machen?
1) Protokolle der Verhandlungen des Verbands deutscher Arbeitsnachweise. Berlin,
Carl Heymann, 1898 und 1900.
33*
516 Miszellen.
a) Zur besseren Erkenntnis des Umfanges einer Arbeitslosigkeit,
b) zum besseren Ausgleich von Arbeitsangebot und Arbeitsnachírage.
Das einleitende Referat hatte Dr. Jastrow, Charlottenburg. Er
betrachtet es als seine Aufgabe, die Gesichtspunkte festzustellen, unter
denen die Arbeitsnachweise sich mit den Krisen zu befassen haben.
Prinzipiell will er untersuchen, ob die Arbeitsbeschaffung in den
Rahmen des Arbeitsnachweises gehört. Wir stimmen ihm darin zu,
daß zur Tätigkeit des Arbeitsnachweises als Arbeitsvermittlung notwendig
auch die der Arbeitsbeschaffung gehört, wie überall die Vermittlung
den fehlenden Partner zu suchen bestrebt ist, wenn etwa nur Käufer
oder nur Verkäufer vorhanden sind. Zu einer solchen Arbeitsbeschaf-
fung, wie sie die Krise notwendig macht, reicht eben die Tätigkeit der
Armenpflege nicht aus, denn diese ist natürlicherweise rein individuell.
Die Autgabe der Arbeitsbeschaffung, um die es sich hier handelt, kann
sich aber nicht nur auf das einzelne Individuum, das wir für bedürftig
halten, richten, sondern auf die Bekämpfung der sozialen Ursachen,
unter deren Wirkung große Massen der Bevölkerung arbeitslos werden.
Das allgemeine Heilmittel für solchen Notstand sollen die Notstands-
arbeiten sein. Jastrow gibt einen kurzen Abriß einer Theorie der Not-
standsarbeit, die er in seinem neuen Buche!) entwickelt hat. Diese
Notstandsarbeiten bilden ein wichtiges Glied in der kommunalen Sozial-
politik, denn den Kommunen ist es gegeben, hier wie sonst durch Rege-
lung der Arbeitsbedingungen ihrer stattlichen Arbeiterzahl vorbildlich für
die Unternehmer zu wırken. Die Theorie ist der Notstandsarbeit nicht be-
sonders günstig gesinnt, sie sieht in ihr kein Heilmittel, sondern nur ein
Herumkurieren an Symptomen. Dies ist insofern richtig, als der Zeitpunkt
ihres berechtigten Beginnes nicht leicht festzusetzen ist. Beginnen sie
zu früh, so verstärkt ihr Bekanntwerden die Krise, beginnen sie zu
spät, so können sie wenig nützen. Eine so fortgeschrittene Kommune
wie Mannheim hat deshalb die Notstandsarbeit zu einer dauernden
Einrichtung gemacht und nach Jastrows Ansicht dadurch voraussicht-
lich das Dilemna gelöst. Gewiß muß auch die Notstandsarbeit indivi-
duell sein, aber sie ist dennoch nicht in die Armenpflege einzureihen;
soll sie doch gerade dazu dienen, den Arbeiter nicht zu jenem Grade
der Bedürftigkeit herabsinken zu lassen, bei dem die Armenpflege ein-
zutreten pflegt. Aeußerlich kann dies dadurch gekennzeichnet werden,
daß dem Notstandsarbeiter nicht das Wahlrecht entzogen wird. Ist
die Notstandarbeit eine vorbeugende Armenpflege, so läuft Jastrows
weitere Forderung natürlich darauf hinaus, daß eine richtige Gewerbepolitik
Notstandsarbeiten überflüssig macht. Treten dennoch Krisen ein, so ist
die Verstärkung der Panik durch etwaige Entlassung von Arbeitern bei
Beginn der Krisis zu vermeiden. Jastrow geht sogar so weit, dal er
sagt: der Staat und die öffentlichen Körperschaften sollen bei Beginn
der Krisis nicht nur von der Entlassung von Arbeitern, durch die sie nur
die Aufregung vergrößern, abstehen, sondern ihre Arbeiten sogar aus-
dehnen und dadurch das Heer der Arbeitslosen verringern. Psychologisch
1) Sozialpolitik und Verwaltungswissenschaft, Berlin, Georg Reimer, 1902, S. 223.
Miszellen. 517
ist diese Anschauung sicher richtig, vielleicht liegt aber doch in ihr
eine Ueberschätzung der Folgen einer solchen Handlungsweise der öffent-
lichen Verbände. Nur wenn Staat und Commune eine außerordentlich große
Zahl von Arbeitslosen aufzunehmen imstande wären, könnte sie den dauern-
den Niedergang der Konsumption und damit auch der Produktion aufhalten.
Dem ist aber der Staat nicht gewachsen. Zweifellos hat Jastrow aber
damit doch Recht, daß der Staat, dessen Kredit in Krisenzeiten unerschüttert
bleibt, die ihm zufließenden billigen Gelder, die Anlage suchen, dazu be-
nutzen soll, nach Möglichkeit neue Arbeit zu schaffen. Dies ist denn auch
bei der gegenwärtigen Krisis mehrfach geschehen. Ueberhaupt haben die
Behörden eine sehr vorsichtige Arbeiterpolitik getrieben. Wo Entlassungen
nötig wurden, hat mar durchweg eine 6-wöchige statt einer 14-tägigen Kün-
digung eingehalten. Einzelne Verwaltungen, wie das Kriegsministerium,
haben für das Unterkommen entlassener Arbeiter tunlichst gesorgt, und
die Eisenbahnverwaltung hat in sich selbst einen Arbeitsnachweis ent-
wickelt. Der Arbeitsnachweis ist überhaupt als Glied der öffentlichen
Verwaltung zu betrachten !). Die Verwaltung, bei der ja Konkurrenz-
rücksichten nicht wie bei der Privatunternehmnng herrschen, kann durch
Ausdehnung der Arbeiten über das ganze Jahr die Schwankungen auf
dem Arbeitsmarkte verringern helfen ?). Nach einem Hinweis auf den
Umschwung in den Anschauungen über das Eingreifen des Staates geht
Jastrow auf die Frage der statistischen Erfassung zur Erkenntnis der
Marktklage über. Bekanntlich hat Dr. Jastrow durch die Darstellung
des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage eine einheitliche Arbeits-
marktstatistik erst geschaflen. Aus seinen Ausführungen heben wir nur
hervor, daß die statistische Kurve für 1900 in ihrer Darstellung der
Arbeitsmarktverhältnisse eher als irgend ein anderer Gradmesser den
Beginn der Wirtschaftskrisis angezeigt hat?) Bereits im April 1900
ist eine ungünstige Entwickelung zu konstatieren, während der ent-
scheidende Kurssturz bei der Berliner Börse erst am 7. und 8. Juni
stattfand. Wenn auch kein Zweifel ist, daß die gegenwärtigen Zahlen
noch mangelhaft sind und Verbesserungen erfordern, so können durch
Arbeitslosenzählungen und Zählungen der Beschäftigten Ergänzungen
vorgenommen werden. Im ganzen aber ist die Methode richtig. Seine
Forderung kommt darauf hinaus, die Arbeitsnachweise einheitlich so
auszugestalten, daß sie eine Spezialisierung der statistischen Angaben
zulassen. An dieser Ausgestaltung werden die Arbeitsnachweise auf
Generationen hinaus zu tun haben, denn die gegenwärtigen Zahlen sind
erst eine Handhabe zur späteren statistisch streng zuverlässigen Er-
fassung des Arbeitsmarktes. Die Zahlen, die wir so besitzen, sind jeden-
falls schon ein großer Fortschritt gegen die Zeiten der früheren Krisen,
deren Wirkung auf dem Arbeitsmarkt uns fast völlig unbekannt ist.
Jastrow ist es ja auch, der bei der nächsten Tagung des Vereins für
1) ef. Sozialpolitik und Verwaltungswissenschaft, Kap. 11.
2) Ein Hinweis darauf befindet sich bereits in dem preußischen Zirkular betr.
Organisation der Arbeitsvermittlung vom 31. Juli 1594.
3) Siehe Protokolle S. 21 u. 23.
518 Miszellen.
Sozialpolitik den Gang der jetzigen Wirtschaftskrise auf dem Arbeits-
markt zum erstenmal zur Darstellung bringen wird.
Ein Urteil über den Gang dieser Krise, soweit sie von den Arbeits-
nachweisen zu erfassen war, gestatten auch die Referate der einzelnen
Arbeitsnachweisverbände, die in geographischer Anordnung kurz wieder-
gegeben werden sollen. Die Arbeitslosigkeit ist in Deutschland in völlig
verschiedener Weise zu Tage getreten. In Bezug auf Einzelheiten ver-
weisen wir auf die Protokolle, die auch tabellarische Uebersichten
bringen. Von vornherein steht ja fest, daß eines der wichtigsten 1) Symp-
tome der Krise, nàmlich die Verkürzung der Arbeitszeit, sich der Kennt-
nis der Arbeitsnachweise fast ganz entzieht.
Der Referent des Verbandes bayerischer Arbeitsnachweise kon-
statierte für Bayern Arbeitslosigkeit in der Minderung der offenen
Stellen. Dem Beruf nach haben am meisten gelitten die Arbeiter der
Holz- und Metallindustrien, die Ungelernten im Baugewerbe, die Gold-
und Silberschläger. Der Beginn der Krise resp. der stärkeren Arbeits-
losigkeit fällt auf das Ende 1900 und erreicht seinen Höhepunkt um
Neujahr 1902. München ist von einer eigentlichen Arbeitslosigkeit ver-
schont geblieben. Die Krise erstreckte sich nicht auf die bayerische
Nahrungs-, Genußmittel- und Bekleidungsindustrie.
Württemberg hat ebenfalls unter dem Mißverhältnis von Angebot
und Nachfrage zu leiden gehabt und zwar hauptsächlich durch den
Ueberschuß zugereister Arbeiter. Eine Abwanderung von den Städten,
die auch andererseits konstatiert ist ?), ist nur zum Teil beobachtet
worden. Auch hier ist die Lage der Metallarbeiter, Maschinenschlosser,
Former, Eisendreher und Holzarbeiter am ungünstigsten. Dazu kommen
Tapezierer, Küfer und Brauer, während Schneider, Schuhmacher und
Friseure verschont bleiben. Nach den Angaben der Krankenkassen ist
ein Rückgang der Beschäftigten im ganzen nicht festzustellen, so daß die
Zuwanderung die Ursache der Arbeitslosigkeit ist.
Baden hat nur teilweise unter der Krisis gelitten. Im südlichen
Teil von Lahr bis Basel kann von einer Arbeitslosigkeit nicht ge-
sprochen werden, ebensowenig im äußersten Norden. In Heidelberg
nicht einmal beim Baugewerbe. Pforzheim hatte einen teilweisen Rück-
gang der Eisenindustrie, während in seiner Hauptindustrie, der Bijouterie,
ebensowenig wie in der Bekleidungsindustrie davon zu merken war.
Wenn in diesen Teilen die Arbeitssuchenden zugenommen haben, so
liegt dies an der starken Durchwanderung besonders von Metallarbeitern;
so waren in Freiburg 70 Proz. aller stellensuchenden Arbeiter Durch-
reisende. Wirklich von der Krisis erfaßt sind nur die beiden Groß-
städte Mannheim und Karlsruhe. In beiden ist die Zahl der offenen
Stellen stark zurückgegangen. In Mannheim lag die ganze Metall-
industrie und das Baugewerbe danieder. In Karlsruhe waren in 5 Eisen-
werken, 3 Baugeschäften, einer Möbel- und einer Tapetenfabrik sowie
1) Vergl. Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten Badens für 1901, wo den Unter-
nehmern diese Verkürzung empfohlen wird.
2) So auch von Eulenburg in diesen Jahrbüchern in dessen Aufsatz „Die gegen-
wärtige Wirtschaftskrise“, Bd. 24, S. 316.
Miszellen. 519
einer elektrischen Unternehmung die Zahl der Arbeiter von 4363 im
Jahre 1900 auf 3183 gesunken, also um etwa 1/,. Im ganzen fand
in der Großindustrie eine Personenverminderung von etwa 25 von 100 statt,
jedoch vollzog sich diese verhältnismäßig langsam, wodurch eine größere
Zahl zugewanderter Landarbeiter auf ihre Dörfer zurückkehrte. Wirk-
licher Notstand hat auch in diesen Teilen Badens nicht geherrscht;
trotzdem sind Notstandsarbeiten vorgenommen worden. Verschont
blieben die Parfum-, Seifen-, Cigarrenfabriken, die Edelmetallindustrie,
die Brennereien und die Eisenbahnwaggonfabrikation.
Die märkischen Arbeitsnachweise stehen zu stark unter dem Ein-
Auß der Nähe Berlins und sind nicht losgelöst zu betrachten. Von
einem Notstand infolge ungewöhnlicher Arbeitslosigkeit kann nicht die
Rede sein, weder in Frankfurt a./O. noch in Potsdam. Die Zahlen von
dort sind ohne Bedeutung, weil sie absolut klein sind.
Berlin kann ja wohl als der eigentliche Sitz der Krisis aufgefaßt
werden. Hier setzt sie in den letzten Monaten des Jahres 1900 voll
ein und ihre Entwickelung kann man aus dem vorliegenden Zahlen-
material der Arbeitsnachweise, der Korporationen und Aktiengesell-
schaften deutlich verfolgen. Die Lage der Maschinen- und Metallindustrie
sowie der elektrischen Unternehmungen war trostlos. In Berlin haben
im Jahre 1901 starke Betriebseinschränkungen stattgefunden, große Ent-
lassungen sind vorgekommen, Lohnreduktionen traten besonders in der
Holz- und Metallindustrie ein. Von dem Arbeitsnachweis konnte nur
etwa die Hälfte der Arbeitsgesuche Erledigung finden. Von 28159 nur
15240. Welchen Umfang die Arbeitslosigkeit in Berlin gehabt, geht
auch aus der Arbeitslosenzählung von seiten der Gewerkschaften hervor,
denn wenn auch bei der Schwierigkeit der Erfassung zweifellos Irrtümer
untergelaufen sind, so können diese nicht das Bild einer außerordent-
lichen Arbeitslosigkeit umstoßen.
Der Rhein-Mainverband muß ebenfalls von Arbeitslosigkeit infolge
Rückgangs der offenen Stellen berichten. In Offenbach und Mainz
waren Betriebsbeschränkungen festzustellen. In Frankfurt a.|M. lag die
Arbeitslosigkeit daran, daß die Gelegenheitsarbeiter im milden Winter
keinen Verdienst durch Schneeschaufeln oder Kohlentragen fanden.
Düsseldorf berichtet ebenfalls von Arbeitslosigkeit in seinem Regie-
rungsbezirk. Diese trat in der Stadt Düsseldorf durch die Vor-
bereitungen der Ausstellung nicht so deutlich zu Tage, zeigte sich aber
im Verlauf des Jahres 1901 und 1902 in den verschiedensten Industrie-
zweigen. Die Industriezentren, besonders der Eisenindustrie, haben stark
gelitten. In den großen Betrieben wurden Feierschichten eingelegt und
die Arbeit oft erst am Dienstag begonnen. Dennoch waren Entlassungen
nicht immer zu vermeiden.
In Hamburg, wo die Arbeitsnachweise hauptsächlich in Händen
der Unternehmer liegen, bieten die Zahlen der patriotischen Gesellschaft,
die nur ungelernte Arbeiter vermitteln, kein ausreichendes Material.
Mit Hilfe von weiteren Zahlen kann man jedoch konstatieren, daß Ham-
burg verhältnismäßig wenig von der Krisis erfaßt ist, wenn auch ein
kleiner Rückgang in der Metall-, Maschinen-, Werkzeug- und Holz-
520 Miszellen.
industrie festzustellen ist. Auch in llamburg war eine Abwanderung
nach dem Lande zu konstatieren.
Alle diese Angaben sind nur Bruchstücke für die Beurteilung der
Krisis, aber soviel konnte Dr. Jastrow in seinem Schlußworte jedenfalls
hervorheben, daß die Krisis sich nicht über ganz Deutschland erstreckt
hat. Vor allem hat sie Süd-Baden, Teile von Württemberg, die Nord-
und Ostseeküste verschont. Die günstige Lage Badens will Jastrow
darauf zurückführen, daß hier eine dauernde systematische Pflege der
Vermittelung von Arbeitskräften von der Stadt aufs Land durchgeführt
worden ist. In Bezug auf die weiteren Punkte war man einig, daß der
Umfang der Arbeitsvermittelung nur relative Schlüsse auf den Umfang
der Arbeitslosigkeit zulasse. Das liegt einmal an der numerisch ge-
ringen Bedeutung des vorhandenen Zahlenmaterials, zum Teil daran,
daß gerade bei beginneuden Krisen die Arbeiter den Nachweisen fern-
bleiben, weil sie doch keine Arbeit zu finden glauben. Zur besseren
Erkenntnis des Umfangs der Arbeitslosigkeit kommen periodische Züh-
lungen und die Einheitlichkeit der Feststellung, — zum besseren Aus-
gleich von Angebot und Nachfrage die stärkere Verbreitung der Nach-
weisanstalten und ihre Verbindung untereinander in Betracht. Es war
ein Verdienst der Nachweise, dal sie die Akkumulierung von Arbeits-
losen in den Großstädten durch Hinleitung auf das platte Land tunlichst
bekämpft haben. Allgemein stellt das Telephon der Nachweise unter-
einander ein wichtiges Mittel dar; Voraussetzung ist natürlich die Aus-
dehnung über das gauze Land. Einheitliche Listen- und Geschäftsführung
und paritätische Organisation, die sich das Vertrauen von Arbeit-
gebern und Arbeitnehmern erwirbt, sind besonders wichtige Forderungen.
Der Wille der Versammlung kam zum Ausdruck in nachstehender
Resolution, die bereits befolgt ist:
„Die Verbandsversammlung des Verbandes Deutscher Arbeitsnach-
weise erachtet die Aufstellung der Arbeitsnachweisstatistik nach ein-
heitlichen Grundsätzen für dringend notwendig.
Die Verbandsversammlung erklärt ihre Bereitwilligkeit, die Be-
strebungen des Kaiserl. Statistischen Amtes, welche auf eine periodische,
möglichst umfangreiche und genaue Berichterstattung über die Lage des
Arbeitsmarktes hinzielen, mit allen Kräften zu unterstützen.
Die Verbandsversammlung beschließt die Einsetzung einer Kom-
mission und beauftragt dieselbe, im Einvernehmen mit dem Kaiserl.
Statistischen Amte einheitliche Grundsätze für die Aufstellung der
Arbeitsnachweisstatistik auszuarbeiten.
Die Bestimmung über die Zusammensetzung der Kommission wird
dem Ausschuß überlassen“.
In Ausführung dieses Beschlusses trat eine Kommission unter Vor-
sitz des Dr. Freund am 23. Januar dieses Jahres in Berlin zusammen !),
in der unter Zustimmung des Kaiserlich Statistischen Amtes eine völlige
Einigung über die einzuführende einheitliche Arbeitsnachweisstatistik er-
zielt wurde. Die Grundsätze sind festgestellt; es ist beschlossen:
1) Vergl. den „Arbeitsmarkt“ vom 1. März 1903,
Miszellen. 521
1) allmonatlich bis spätestens zum 10. jeden Monats dem Kaiserlich
Statistischen Amt eine Uebersicht über die Vermittelung im Vormonat
nach beigegebenem ‚Formular zu übersenden, 2) die Formulare nebst
Briefumschlag und Adresse den Arbeitsnachweisen kostenlos zu liefern.
Ferner folgen Bestimmungen über die Art des Verkehrs und die Aus-
füllung der Formulare. Es sollen nicht die einzelnen Fälle, sondern
die Personen, welche Arbeit suchen, gezählt werden. Bei den offenen
Stellen sollen soviel Stellen gezählt werden, als Einzelarbeitskräfte wirk-
lich (nicht nur zur Auswahl) gesucht werden. Die Formulare unter-
scheiden 24 Berufsgruppen; im übrigen ist auf die genannte Nummer
des „Arbeitsmarktes“ zu verweisen.
Am zweiten Tage der Verhandlungen fand die Arbeitsnachweis-
konferenz statt, die Herr Rechtsrat Dr. Menziuger leitete. Gegenstand
der Verhandlung ist das Problem „Arbeitslosenversicherung und Arbeits-
nachweis“, Relerent Prof. Dr. Herkner, Zürich. Von den Problemen
sozialpolitischer Natur steht augenblicklich keines so im Vordergrunde
des Interesses, wie das der Arbeitslosenversicherung. Abgesehen davon,
daß eine gewaltige Literatur!) sich mit der Angelegenheit beschäftigt hat,
ist sie auch gerade wieder in der letzten Zeit Gegenstand der Beratung
von seiten der Interessenverbände, der politischen Parteien und wissen-
schaftlicher Körperschaften gewesen. Der Katholikentag, der Parteitag
der Sozialdemokratie, der Parteitag der Nationalsozialen, der Stuttgarter
Gewerkschaftskongreß, die Versammlung des Verbandes deutscher Orts-
krankenkassen, zuletzt die Verbandsversammlung der deutschen Arbeits-
nachweise haben sich damit beschäftigt. Man kann schon daraus die
Wichtigkeit wie die Schwierigkeit des Problems erkennen. Solange
die Arbeitslosenversicherung fehlt, fehlt auch der Schlulstein des ge-
waltigen Gebäudes der Arbeiterversicherung, auf das Deutschland mit
Recht stolz sein darf. Die Verbandsversammlung hat durch die Mit-
arbeit von Münnern, die auf diesem Gebiete mitzusprechen berufen sind,
zweifellos die Frage gefórdert, wenn auch nicht geleugnet werden darf,
dal noch scharfe Gegensütze bestehen.
Herkner geht in seinem Referat von den bestehenden Verhältnissen
aus. Nicht eine Konstruktion einer etwa zukünftig denkbaren, sondern
den Entwurf einer in der Gegenwart zu verwirklichenden Arbeitslosen-
versicherung will er entwickeln. Herkner hat selbst ursprünglich für
den Anschluß dieser Versicherung an die Gewerkschaften plädiert, und
er bemüht sich auch heute noch, ihren Leistungen auf diesem Gebiete
gerecht zu werden. Uebersieht man jedoch die ziffernmäligen Leistungen
der Gewerkschaften und der Gewerkvereine, so ergiebt sich zwar eiue
erfreuliche Entwickelung in den letzten Jahren, dennoch kónnen die
Leistungen der Arbeiterverbände im Vergleich zu dem notwendig zu
Erstrebenden nicht bedeutend genannt werden. Zwar ist der Mit-
gliederbestand der in der Generalkommission vertretenen Gewerkschalten
seit 1891 von 277559 auf 686 870 im Januar 1901 gewachsen. Die
1) ef. die den Protokollen beigegebenen Materialien, die allerdings noch ergänzungs-
bedürftig sind.
522 Miszellen.
Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine haben es in der gleichen Periode
von 63000 auf 88000 Mitglieder gebracht. Dazu kommen noch die
Arbeiterverbände konfessioneller Richtung. Da das Koalitionsrecht
immer noch Beschränkungen aufweist, so sind diese Erfolge sicherlich
außerordentliche zu nennen. Dennoch dürfen wir nicht allzu große
Hoffnungen auf die Gewerkschaften für die Arbeitslosenversicherung
setzen (darin können wir trotz der zahlreichen gewerkschaftlichen
Literatur der letzten Zeit unsere Meinung nicht ändern), wenn wir be-
denken, daß nach Kulemann nur 14 Proz. der in Industrie und Handel
beschäftigten Hilfspersonen gewerkschaftlich organisiert sind. Von diesen
beruflich organisierten hat noch nicht die Hälfte eine Arbeitslosen-
versicherung eingeführt. Nehmen wir hinzu, daß ein großer Teil der
Arbeiter, die Verbänden angehören, welche eine Arbeitslosenversicherung
kennen, wegen der langen Karenzfrist noch keine Ansprüche auf Arbeits-
losenunterstützung haben, so werden die Zahlen noch ungünstiger. Herkner
muß den Gewerkschaften allerdings zugeben, daß sie allein es sind, die auf
diesem Gebiet bis jetzt überhaupt Erfolge aufzuweisen haben. So haben
im Jahre 1901 die Buchdrucker allein 501 078 M. für Arbeitslosenversiche-
rung ausgegeben. Herkner knüpft daran die Frage, ob es denkbar
wäre, die Entwickelung der gewerkschaftlichen Arbeitslosenversicherung
so zu fördern, daß sie auch den Millionen von Arbeitern zu gute käme,
denen sie heute noch fehlt. Eine Reihe von Vorschlägen sind in dieser
Beziehung gemacht worden, so von dem Gewerkschaftsführer von Elm
und von dem Nationalsozialen Tischendórfer. Von Elm hat zwei Vor-
schläge ausgearbeitet. Der eine will die Gewerkschaften zu obliga-
torischen Vereinigungen erweitern, trägt also in sich schon den Ge-
danken einer Beschränkung der Freiheit der Gewerkschaften, deren
Tätigkeit sicher durch die Gesetzgebung gelähmt werden würde. Der
zweite Vorschlag !) geht auf die Forderung einer Subvention der Gewerk-
schaften durch das Reich hinaus. Auf diesen Vorschlag hat sich der Ge-
werkschaftskongreß zu Stuttgart 1902 verpflichtet. Dieser Vorschlag hat
Vorbilder in belgischen ?) Versuchen, die vor allem in Gent angestellt sind.
Die Elmschen Projekte sind aussichtslos, da das Reich auf absehbare Zeit
zweifellos an die Gewerkschaften keine Subvention zahlen wird, ohne
sich selbst gewisse Machtbefugnisse zu sichern. Innerhalb der Sozial-
demokratie hat der von Elmsche Vorschlag einen scharfen Gegner in
dem Reichstagabgeordneten Molkenbuhr gefunden, der für öffentlich-
rechtliche Versicherung) eintritt. Molkenbuhr meint bei Besprechung
der Vorschläge von Elms®) „...... es sind Vorschläge aufgetaucht,
die Wert wären, den ralfiniertesten Gegner der Gewerkschaftsbewegung
zum Vater zu haben, nämlich den Vorschlag, daß Reich, Staat oder
Gemeinde den Gewerkschaften Gelder zur Unterstützung von Arbeits-
losen geben sollten. Die Urheber dieses Gedankens sind zwar von den
1) Vergl. die Verhandlungen des Gewerkschaftskongresses 1902 sowie die Reichs-
tagsverhandlung vom 15. Okt. 1902, Rede des Abgeordneten von Elm.
2) ef. die Rede von Dr. Varlez, Gent. Verhandlungsbericht der Konferenz, S. 209.
3) Reichstagsverhandlung vom 15. Oktober 1902, Rede des Abgeordneten Molkenbuhr.
4) „Neue Zeit“, 20. Bd., 2, S. 124. `
Miszellen. 593
besten Absichten durchdrungen und glauben durch solche Unterstützung
die Gewerkschaftsbewegung zu stärken, aber ich glaube, daß kein Mittel
gefunden werden kann, welches an Schädlichkeit an dieses herantritt.“
Wir unterschreiben die Anschauung Molkenbuhrs vollkommen, weil auch
wir der Ansicht sind, daß der Charakter der Gewerkschaften dadurch
völlig verändert werden würde.
Ein drittes Projekt stammt von dem Lithographen Tischendörfer
in Berlin!. Er will durch Erhöhung der Krankenkassenbeiträge der
Arbeiter und Arbeitgeber Fonds schaffen, aus denen dann die Gewerk-
schaften die Auszahlung an Arbeitslose übernehmen sollen. Arbeits-
losengeld sollen organisierte und unorganisierte Arbeiter erhalten, erstere
höhere Beträge dadurch, daß die Organisierten einen Zuschuß aus der
Gewerkschaftskasse erhalten. Dadurch hofft man Unorganisierte zum
Eintritt in die Gewerkschaften zu -bestimmen, was an sich ja möglich
wäre, andererseits aber glaubt man auch den Berechtigungsanspruch bei
dieser Form der Auszahlung leichter entscheiden zu können. Dieser Plan
hat dieselben Schattenseiten wie der von Elmsche. Wir müssen fürchten,
daß die Ueberweisung der Beträge aus den Krankenkassen nicht ohne
bestimmte Garantien von seiten der Gewerkschaften durchgeführt werden
könnte. Auch hier also würde die Freiheit der Gewerkschaft gefährdet,
wenn der Vorschlag zur Verwirklichung käme. So sind auch für diesen
Plan kaum Aussichten vorhanden. Ein weiterer Plan, den der Verbands-
vorsitzende Dr. Freund ausgearbeitet hat, fordert einen Anschluß der
Versicherung an den öffentlichen Arbeitsnachweis?). Die Kosten sollen
durch Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gedeckt werden. Nach
einer Wartezeit von 13 Wochen und Karenzfrist von 14 Tagen sollen solche
Versicherte, welche ohne ihr Verschulden arbeitslos geworden sind, und
denen keine Stelle nachgewiesen werden kann, zum Bezug des Arbeitslosen-
geldes, das für Ledige 1 M., für Familienväter höchstens 1,55 M. beträgt,
berechtigt sein. Gegen diesen Plan läßt sich vor allem das einwenden, was
auch von dem Abgeordneten Rösicke als Bedenken erhoben ist, daß diese
Versicherungsform keine hinreichenden Garantien bietet, die Arbeiter
also zu Beiträgen zwingt, ohne daß ihnen die Gegenleistung dauernd
zugesichert werden kann. Herkner lehnt alle diese Vorschläge völlig
ab und kommt zu der Ueberzeugung, daß nur eine öffentlich-rechtliche
Versicherung, also eine Zwangsform. Aussicht auf Durchführung haben
kónne. Auch hier muf man von vornherein den Vorschlag, der früher
besonders im Mittelpunkt der Diskussion stand, den von Schanz ver-
tretenen Sparzwang ausschließen. Der Sparzwang könnte immer nur
sehr kleine Beträge erreichen; Saisonarbeiter würden wohl niemals zu
nennenswerten Sparguthaben kommen. Der Vorzug, der bei dem
Schanzschen Plane ursprünglich insofern vorlag, als die Verschuldungs-
frage bei der Verfügung über selbsterspartes Geld naturgemäß keine
Rolle spielte, ist dadurch beseitigt worden, daß Schanz jetzt nebenher für
1) Vergl. „Soziale Praxis" vom 29. Mai und vom 11. September 1902 und
Korrespondenzblatt der Generalkommission, XII, 23, S. 391.
2) „Der Arbeitsmarkt“ vom 15. Juni 1902, sowie Verhandlungsbericht der Kon-
ferenz, S. 244.
524 Miszellen.
die Errichtung eines Fonds aus Staats-, Gemeinde- und Reichsbeiträgen
eintritt, aus dem die Arbeitslosen nach Verzehrung ihres eigenen Gut-
habens Beträge erhalten sollen. Hierbei werden natürlich Kontrollmaß-
regeln gegen eine ev. Simulation notwendig, eine Tatsache, deren Ab-
wesenheit gerade den Vorzug des Schanzschen Planes ausmachte. Der
Sparzwang wird in Arbeiterkreisen sicherlich keinen Beifall finden, und
Ilerkner will nun auf dem Boden einer öftentlich-rechtlichen Versiche-
rung, zu der er sich heute bekennt !, nachdem er früher die Versicherung
durch Gewerkschaften vertreten hat?), einen neuen Vorschlag unterbreiten.
Im Vordergrund des Interesses steht bei den öffentlich-rechtlichen Ver-
sicherungstormen immer noch die kommunale Versicherung, die besonders
in Georg Adler und in Leopold Sonnemann ihre Wortiührer hat. Für
die kommunale Arbeitslosenversicherung lassen sich eine Reihe von
Argumenten anführen. Die Städte sind heute bereits durch die Für-
sorge für Arbeitslose, durch die Armenunterstützung, Notstandsarbeiten
u. s. w. in Anspruch genommen. Sie besitzen auch in den Arbeitsnach-
weisen, den Gewerbegerichten und statistischen Bureaus, wie Herkner
sagt, bereits die Organe, die für die Arbeitslosenversicherung wertvolle
Dienste leisten, dennoch kann man vier Argumente mit Herkner be-
dingungsweise gegen die Kommunalversicherung geltend machen. Erstens
würde eine neue Versicherungsform neben den bereits bestehenden drei
notwendig werden; zweitens würde, da die vorgeschlagenen Entwürfe
nur von einem Reichsgesetz sprechen, das den Kommunen die Ermäch-
tigung zur Einführung einer obligatorischen Versicherung erteilt, eine
völlig verschiedene Handhabung eintreten, d. h. es würden nur die so-
zialpolitisch fortgeschrittenen Stádte von dem Rechte Gebrauch machen,
wührend die sozialpolitisch zurückgebliebenen, für die es vielleicht am
wichtigsten wäre, es unberücksichtigt ließen. Drittens: fragt es sich,
ob bei dem verschiedenen Risiko der Arbeitslosigkeit von Beruf zu
Beruf und bei der schweren Vorausbestimmung dieses Risikos in Bezug
auf die Zeit die Kommunen ein genügend weites Gebiet darstellen, um
dieses Risiko auszugleichen. Es ist auch denkbar, daß bei Industrie-
anlagen solche Kommunen vorgezogen werden, in denen die Arbeits-
losenversicherung fehlt. Der vierte Punkt bezieht sich auf die Schwierig-
keit der Ausdehnung einer Arbeitslosenversicherung auf solche Personen,
die außerhalb wohnen und in der Stadt beschäftigt sind oder in der
Stadt wohnen und außerhalb beschäftigt sind. Dem zweiten und dritten
Punkt kann man ohne weiteres zustimmen; bei dem ersten wird sich
dagegen zeigen, daß eine bedingungslose Angliederung an eine bestehende
Organisation in ihrer heutigen Form auch nicht das Richtige darstellt.
Der vierte Punkt ist verhältnismäßig bedeutungslos und sicher zu über-
winden. Das Ergebnis seiner vorausgeschickten Kritik ist für Herkner
die Ablehnung aller bisher gemachten Projekte und die Forderung, eine
sich über das ganze Reichsgebiet erstreckende, und sich an eine be-
stehende Organisation anschließende Versicherung zu schaffen. Diese
1) ef. Protokolle sowie Herkners „Arbeiterfrage“‘, 1902.
2) ef. Soziale Praxis, 5. Jahrgang, die Polemik Adler-Herkuer.
Miszellen. 525
Organisation können die stark zersplitterten Krankenkassen nicht sein.
Die Landesversicherungsanstalten kennen keine Berücksichtigung des
Berufsrisikos, und so bleiben nur die Berufsgenossenschaften übrig.
Der Anschluß der Arbeitslosenversicherung an diese Organisation er-
scheint deshalb Herkner als die Aufgabe Deutschlands.
Der Gedanke einer berufsgenossenschaftlichen Organisation der
Arbeitslosenversicherung liegt von vornherein nahe, so hat auch das
Zentrum eine solche früher für notwendig gehalten. Nach der 1. Auflage
des Staatslexikons der Görresgesellschaft, zu einer Zeit, als die Berufs-
genossenschaften noch als Grundlage der Invalidenversicherung gedacht
werden, soll auch die Arbeitslosenfürsorge an diese übertragen werden.
Auch Georg Adler deutet eine solche berufsgenossenschaftliche Organisation
der Arbeitslosenversicherung an, wenn er auch für die kommunale Ver-
sicherung eintritt !). Herkner will nun die Berufsgenossenschaften zu den
Trägern dieser Versicherung machen. Ihre Vorzüge bestehen darin, daß
sie die berufliche Gliederung enthalten und dem Grundsatz nachkommen
können, daß jedes Gewerbe für seine Arbeitslosigkeit aufkommen soll.
Die großen Reservefonds, über die unsere Beruísgenossenschaíten ver-
fügen und deren Notwendigkeit nicht überall anerkannt wird, kónnten
die Fonds der neuen Versicherung bilden. Ferner kónnten solche Be-
rufe von dem Versicherungszwang befreit werden, bei denen nur eine
minimale Arbeitslosigkeit herrscht, oder bei denen freie Organi-
sationen so große Leistungen aufzuweisen haben wie der Buchdrucker-
verband. Wenn die Berufsgenossenschaften heute noch nicht den ganzen
Kreis versicherungsbedürftiger Arbeiter umfassen — es fehlen diejenigen
des Handels, einzelner Kleingewerbe und der Hausindustrie — so können
für diese Zwecke besondere Ergänzungsgenossenschaften gebildet werden.
Die Abneigung der Arbeiter gegen die Berufsgenossenschaften als bloßer
Unternehmerverbände will Herkner nicht für so bedeutend halten, daß
an ihr die Versicherung scheitern könnte. Er will diese Versicherung
den Arbeitern dadurch annehmbar machen, daß sie keine Beiträge zu
entrichten hätten, auch hält er es für durchführbar, die Arbeitgeber
nach Maßgabe der bei ihnen vorgekommenen Entlassungen durch Um-
lagen zu den Kosten heranzuziehen. Dadurch würde die Arbeitslosigkeit
zweifellos vermindert und eine Regelmäligkeit der Beschäftigung herbei-
geführt. Auch die Gewerkschaften würden darunter nicht leiden. Jeder
Arbeiter, der entlassen wird, soll eine Bescheinigung des Unternehmers
bekommen, daß er arbeitslos geworden sei; Schwierigkeiten und Streitig-
keiten in Bezug auf diese Bescheinigung sollte das Gewerbegericht ent-
scheiden. Die Bescheinigung seiner Arbeitslosigkeit soll nach einer
Karenzzeit von 2—3 Wochen ?) dem Arbeiter einen Anspruch auf eine
Unterstützung von 70 Pf. bis 1 M. sichern. Eine Simulation soll durch
Auszahlung seitens des Arbeitsnachweises möglichst erschwert werden.
Das Arbeitslosengeld soll bei Ablehnung einer passenden Stelle
1) H. W. d. St. W. Artikel Arbeitslosigkeit, S. 954.
2) Diese Karenzzeit ist entschieden zu lang. Mehr als 1 Woche ist zuviel, da der
Arbeiter sonst der Armenpflege zur Last füllt und 1 Woche genügt, um die prinzipielle
Bedeutung der Karenzzeit zu wahren.
526 Miszelllen,
entzogen werden, bei Streiks soll das Gewerbegericht entscheiden. Die
Willkür in der Entlassung würde bei der berufsgenossenschaftlichen
Organisation verringert. Für Arbeitslose könnten durch die Berufs-
genossenschaften Lehrwerkstütten zur weiteren beruflichen Ausbildung
errichtet werden. Ein enger Anschluß an die Arbeitsnachweise, als dem
wichtigsten Mittel, das Risiko zu verringern, ist notwendig.
Das Gewerbegericht soll auch die Entscheidung im Streikfall über
die Auszahlung des Arbeitslosengeldes übertragen erhalten. Hier soll
es als Schiedsamt wirken. Die Unterwerfung unter den Schiedsspruch
ist die Voraussetzung der Auszahlung von Arbeitslosengeld. Auch die
Arbeitgeber, die sich dem Schiedsspruch nicht unterwerfen, haben davon
einen Nachteil, insofern, als die Arbeiter, zu deren Gunsten das Urteil
gesprochen hat, einen Anspruch an die Berufsgenossenschaft erheben
kónnten. Herkner sagt mit Recht, ,indem die Arbeiter dem Schieds-
spruch zu folgen bereit sind, hóren sie ja in der Tat vom Standpunkt
der unparteiischen óffentlichen Meinung auf, freiwillig Arbeitslose zu sein."
Das Korreferat des Herrn Dr. Freund kónnen wir kürzer behandeln,
da er seine Anschauungen bereits an anderer Stelle niedergelegt hat!)
und wir auch oben schon darauf hingewiesen haben. Er weist nach-
drücklich auf den innigen Zusammenhang zwischen Arbeitsnachweis und
Arbeitslosenversicherung hin. Beide wollen den Arbeiter möglichst
schnell in Arbeit bringen. Die Kenntnis des Arbeitsmarktes ist absolut
notwendig, um das Risiko der Versicherung zu verringern. Die Aus-
breitung der Arbeitsnachweise von einer paritätischen Zusammensetzung
und mit einem unparteiischen Leiter ist die Voraussetzung der Ver-
sicherung. Freund hält die Uebertragung an die Gewerkschaften für
unmöglich, aber das, was an den Gewerkschaften die günstige Seite
innerhalb ihrer eigenen Arbeitslosenversicherung darstellt, nämlich die
berufliche Organisation, wünscht er auch auf die Arbeitsnachweise zu
übertragen; ein Verlangen, das natürlich erst durchführbar ist, wenn
die absoluten Benutzungsziflern der Nachweise höhere sind als heute.
Er wünscht eine staatliche Regelung der Nachweise auf kommunaler
Grundlage, also ein Gesetz, das den Gemeindebehörden das Recht bei-
legt, unter bestimmten Voraussetzungen eine jede weitere gewerbs-
mäßige Arbeitsvermittelung auszuschließen, wie es die Abgeordneten
Rösicke und Pachnicke im Reichstag leider vergeblich beantragt haben.
In Bezug auf die Verschuldungsfrage hält er es für nötig, das Arbeits-
losengeld nur bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit auszuzahlen. Ueber
die Verschuldung resp. über eine „angemessene Stelle“ soll der pari-
tätische Arbeitsnachweis entscheiden. Zur Kontrolle gegen Simulation
soll das Arbeitslosengeld täglich durch den Arbeitsnachweis ausgezahlt
werden. Solche Arbeiter, die dauernd Beiträge geleistet, ohne je An-
sprüche auf Arbeitslosengeld erhoben zu haben, sollen Rückvergütungen
erhalten.
Gegen die Anschauungen der Referenten wendet sich eine Reihe
von Rednern, vor allem die Angehörigen der Gewerkschaften, welche
1) „Der Arbeitsmarkt vom 15, Juni 1902.“
Miszellen., 527
wünschen, daß die Verschuldung keine Rolle spielen dürfe, zumal das
Problem, was eine „angemessene Stelle“ sei, nicht bureaukratisch ent-
schieden werden könne. Nur für die ungelernten Arbeiter wollen die
Gewerkschaften eine öffentlich-rechtliche Versicherung. Ein Gewerk-
vereinler glaubt, daß die Arbeiterschaft solche Beträge, wie sie der
Freundsche Plan verlange, die den Arbeiter mit etwa 12 M. im Jahr
belasten, nicht aufbringen könne. Gegen Herkners Anschauung, die
Berufsgenossenschaften zu alleinigen Trägern der Versicherung zu machen,
läßt sich das einwenden, was Geheimrat Böhmert und der Lithograph
Tischendörfer am schärfsten ausgesprochen haben: Die Arbeiter wollen
an den Pflichten teilnehmen; kommt doch die Unpopularität der Berufs-
genossenschaften gerade daher, daß sie im Gegensatz zu den anderen
Versicherungsorganisationen die Arbeiterschaft ausschließen. Sonnemann-
Frankfurt a.M. glaubt, daß es leichter sei, die Kommunalversicherung durch-
zuführen als eine Reichsversicherung und begrüßt es, daß man sich über
drei Dinge in ziemlicher Uebereinstimmung befinde, nämlich in der An-
erkennung der Notwendigkeit eines Versicherungszwanges, der Teilnahme
von Arbeitern und Arbeitgebern und über die Beurteilung der Stellung
des Arbeitsnachweises. Seine Anschauung, daß die Landarbeiter die
Versicherung nicht brauchten, ist zurückzuweisen !). Es ist nicht richtig,
daß auf dem Lande keine Arbeitslosigkeit herrscht, und der Zuzug nach
den Städten, in denen eine Arbeitslosenversicherung besteht, würde
bei Versicherungsfreiheit auf dem Lande entschieden zunehmen. Rösicke-
Dessau glaubt, daß beim Erlaß eines Gesetzes, das den Kommunen das
Recht gibt, die Versicherung einzuführen, die Arbeitsnachweise schon
von selbst eine so große Ausdehnung erlangen würden,, daß man nicht
nötig haben werde, die Entwickelung der Arbeitsnachweise abzuwarten.
Auch er hält die Berufsgenossenschaften, deren Verwaltung die Unter-
nehmer in den Händen haben, nicht für die geeignete Grundlage. Den
Vorschlag, den Flesch-Frankfurt a. M. entwickelt, halten wir für be-
sonders wertvoll. Er sieht eine Umwandlung der Berufsgenossenschaften
als den Weg an, der eine Versicherung möglich macht. Wenn die
Berufsgenossenschaften auch keine reinen Interessenverbände sind, so
fehlt ihnen doch die Mitarbeit der Arbeiter auf jeden Fall. Flesch
glaubt, daß die Kommunalversicherung einen vorbereitenden Schritt zu
einer beruflichen Organisation darstellt. Der einzige Gegner einer
Arbeitslosenversicherung überhaupt ist Professor Stieda-Leipzig. Er
hält die Leistungen der Gewerkschaften auf diesem Gebiete für be-
deutungslos; für eine öffentlich-rechtliche Versicherung fehlten die
statistischen Grundlagen. Die Versicherung würde die Simulation groß-
ziehen; sie sei ein Ideal, das man nicht erreichen könne. Hervorge-
hoben sei dagegen die Anschauung des Senatspräsidenten im Reichsver-
sicherungsamte Geheimrat Zacher. Er glaubt, daß gerade die Arbeitslosen-
versicherung vermögen werde, die Simulation, die in die Krankenkassen
durch Arbeitslose hineingetragen wird, zu vermindern. Gewerkschaften
1) Vergl. hierzu die Reichstagsverhandlung vom 15. Oktober 1902; Rede des
Abgeordneten Molkenbuhr und des Grafen Kanitz.
528 Miszellen.
und Gemeinden können nicht Träger der Versicherung sein; die Gewerk-
schaften nicht, weil sie heute und vermutlich auch in Zukunft die
Ansprüche nicht zu erfüllen vermögen, die man an eine Arbeitslosen-
versicherung stellen muß. Auch die Gemeinden sind ein zu kleines
Gebiet, um das Risiko zu übernehmen. So bleiben nur die Berufs-
genossenschaften übrig. Die Abneigung der Arbeiter könne man be-
kämpfen, indem man ihnen die Mitarbeit an den Beaufsgenossenschaften
gewährt. Er sagte wörtlich: .... „Es wird zugegeben werden müssen
— und diese Ansicht wird jetzt ziemlich allgemein geteilt — daß, wenn
wir soziale Probleme zu Gunsten der Arbeiterschaft lösen wollen, wir
nur mit den Arbeitern und nicht gegen sie vorwärtskommen können.“
Zweifellos ist es richtig, daß durch die Vereinigung von Unternehmertum
und Arbeiterschaft bei der Arbeitslosenversicherung die Produktions-
anarchie als eine Hauptursache der Arbeitslosigkeit stark abnehmen
würde.
Es ist unmöglich, alle die Vorschläge zu behandeln, die auf dem
Kongreß ausgesprochen wurden, Wir müssen es uns auch versagen,
die Namen derer zu nennen, die mit großem Geschick und großer Sach-
kenntnis ihre Anschauung vertreten haben. Es soll nur noch eine kurze
Skizze eines Planes, den wir mit bestimmten Modifikationen für durch-
führbar halten, wiedergegeben werden.
1) Träger der Arbeitslosenversicherung soll eine berufliche ge-
gliederte Zwangsorganisation sein, die aus den Berufsgenossenschaften
erwächst und die in paritätischer Zusammensetzung mit einem un-
parteiischen Leiter gebildet wird. Beiträge!) werden von Arbeitgebern
und Arbeitnehmern geleistet.
2) Jede Berufsgenossenschaft ist verpflichtet, einen paritätischen
Arbeitsnachweis?) auszubilden, der durch seine Vermittlung für den
ganzen Beruf das Risiko der Versicherung bedeutend erniedrigt.
3) Der Arbeitsnachweis soll über die Berechtigungsansprüche auf
Arbeitslosengeld 3) entscheiden.
4) Berufsgenossenschaften sind für solche Berufe zu bilden,
in denen eine Arbeitslosigkeit herrscht und die heute noch nicht
genossenschaftlich zusammengefaßt sind.
Im Streikfall sowie bei Aussperrung kann selbstverständlich Arbeits-
losen kein Geld aus der Versicherungskasse gezahlt werden und gerade
dadurch wird ja das Interesse der Gewerkschaften gewahrt, indem man
ihnen überläßt, die Lohnkàmpfe der Arbeiter aus eigenen Mitteln
durchzuführen, so daß sie eine Notwendigkeit für den Arbeiter bleiben.
Dadurch, daß ihnen die Arbeitslosenversicherung abgenommen wird,
werden ihre Mittel für speziell gewerkschaftliche Interessen frei.
Die Berufsgenossenschaften in ihrer heutigen Organisation, also nur
1) Die Höhe der Beträge kann nach Klassen für die verschiedenen Berufe abgestuft
werden, auch sind verschiedene Klassen innerhalb der einzelnen Berufe nötig.
2) Der Arbeitsnachweis soll an die Berufsgenossenschaft angegliedert werden, weil
man dadurch die Abneigung der Unternehmer gegen die paritätischen Arbeitsnachweise
überwinden kann.
3) Die Karenzzeit soll eine Woche nicht übersteigen.
Miszellen. 529
aus Unternehmern gebildet, lehnen wir ab. Wir wollen, daß die
Arbeiter darin Pflichten und Rechte bekommen. Ob mit dieser Um-
wandlung der Berufsgenossenschaften zum Zweck der Arbeitslosen-
versicherung auch ihre Organisation innerhalb der Unfallversicherung
geändert wird, ist eine Nebenfrage. Wünschenswert wäre auch dieses.
Der gesamte Kongreß zeigte, daß keiner der Anwesenden eine An-
gliederung an Kranken- oder Invalidenversicherung für wünschenswert
hielt. Auch der Sparzwang spielte keine Rolle mehr. Im ganzen
stellte man sich auf den Boden einer öffentlich-rechtlichen Versicherung
in enger Verbindung mit dem Arbeitsnachweis. Wenn auch kein Zweifel
darüber herrschen kann, daß die Durchführung der Arbeitslosenver-
sicherung noch weitaus: schwerer sein wird als die der großartigen
3 Versicherungszweige, die wir bisher geschaffen haben, so dürfen wir
uns doch nicht davon fern halten lassen, den ,Sprung ins Dunkle* zu
wagen, den jede Versicherung auf schwankender Grundlage darstellt. Die
Arbeitslosenversicherung wird zweifellos die Leistungen der deutschen
Arbeiterversicherung für den deutschen Arbeiter um ein grolles Stück
fórdern. Sie wird dazu beitragen, den groflen Kampf zu erleichtern,
der heute auf dem "Weltmarkte herrscht und in dem der Staat Sieger
bleiben wird, der über die besten Arbeiter verfügt.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 34
530 Miszellen.
Nachdruck verboten.
X.
Die holländische Berufszählung von 1899.
Von Privatdozent Dr. Bernhard Harms (Tübingen).
Die Organisation der amtlichen Statistik in den Niederlanden war
bis in die neueste Zeit hinein überaus mangelhaft. Erst seit 1892
besitzt Holland eine „statistische Zentralkommission“, die dann durch
Königliche Verfügung vom 9. Januar 1899 in ein „Centraal- Bureau
voor de Statistiek“ umgewandelt wurde. Vorher war man über eine
von den einzelnen Ressorts besorgte Verwaltungsstatistik nicht hinaus-
gekommen. Die Volkszählungen — seit 1829 alle 10 Jahre; dreimal
in Verbindung mit Berufszählungen — inaugurierte das Ministerium des
Innern. Zwar hat es an gelegentlichen Ansätzen zu einer durchgreifen-
den Reform nicht gefehlt, einschneidende Maßnahmen aber scheiterten
immer an der konsequent vertretenen Anschauung, daß statistische Er-
hebungen am zweckmüfigsten von den unmittelbar beteiligten und inter-
essierten Verwaltungsbehörden vorgenommen würden. Erst angesichts
der Erfolge statistischer Zentralämter des Auslandes bekehrte man sich
allmählich zu moderner Auffassung vom Wesen der amtlichen Statistik.
Bahnbrechend wirkte hier der jetzige Direktor des statistischen Zentral-
bureaus Verrijn Stuart. Ihm ist es auch zu danken, daß die hol-
ländische Statistik, namentlich hinsichtlich methodischer Durchführung
und wissenschaftlicher Materialverwertung, in den letzten Jahren unver-
kennbare Fortschritte gemacht hat. Daß er sich dabei eng an deutsche
Methode anlehnte, soll ihm gewiß nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Noch mehr würde Verrijn Stuart ohne Frage geleistet haben, wenn
das holländische Parlament in der Bewilligung der notwendigen Mittel
immer die erforderliche Einsicht gehabt hätte, Manches Vorhaben multe
vorläufig unausgeführt bleiben, weil die finanzielle Fundierung nicht zu
erreichen war. So liegt der holländischen Regierung seit Jahr und
Tag ein ausgearbeiteter Plan für eine Reichsgewerbezählung vor. Mehrere
Beamte des Zentralbureaus waren sogar in Berlin, um sich über die
Erfahrungen, die man hier anläßlich der deutschen Berufs- und Gewerbe-
zählung von 1895 machte, Auskunft zu holen. Bis heute aber hat die
Regierung es nicht für opportun gehalten, die nötigen Mittel vom Parla-
ment zu fordern. Berücksichtigt werden muß allerdings, daß selbst ein-
fache Volkszühlungen in Holland ziemlich teuer werden, da man das
System der freiwilligen Zähler nicht kennt.
Neuerdings ist unter der Leitung Stuarts sogar eine auf breiter
Basis gehaltene Arbeitsstatistik eingerichtet. Mit Hilfe der durch Gesetz
vom 2. Mai 1897 ins Leben gerufenen Arbeitskammern wird in einer,
vorläufig vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift!) überaus wertvolles
Material für die Weiterbildung der sozialpolitischen Gesetzgebung —
1) Tijdschrift van het Centraal Bureau voor de Statistiek. Die erste Nummer
erschien Dezember 1902,
Miszellen. 531
die freilich unter dem jetzigen Ministerium, das sich auf eine sozial-
politisch durchaus rückständige Kammermehrheit stützt, sobald nicht
vor sich gehen dürfte — gesammelt und systematisch verarbeitet. Von den
übrigen periodischen Veróffentlichungen des Zentralbureaus im Haag ver-
dienen die „Jaarcijfers“, ein Jahrbuch, das den besten Leistungen anderer
Staaten auf diesem Gebiete nicht nachsteht, hervorgehoben zu werden. —
In nachfolgendem soll nun versucht werden, im Rahmen des mir
zur Verfügung gestellten Platzes eine kurze Uebersicht über die soeben
veröffentlichten Ergebnisse der Berufszählung vom 31. Dezember 1899
zu geben. Soweit als möglich sollen dabei auch die früheren Zählungen
berücksichtigt werden. Vorgenommen wurden diese 1849, 1859 und
1889, wie bereits erwähnt, immer im Anschluß an Volkszählungen. Vor-
ausschicken will ich, daß mit Rücksicht auf den zu Gebote stehenden
Raum die von mir zusammengestellten Tabellen in mancherlei Hinsicht an
sich reden müssen. Die Interpretation muß sich auf die wichtigsten Erschei-
nungen beschränken. Aus denselben Gründen werde ich, mit einer
einzigen Ausnahme, -mich methodologischer Erórterungen enthalten +).
Bei sämtlichen Zäblungen wurde nur nach dem Hauptberuf gefragt.
Die Spezialisierung der einzelnen Berufsarten machte naturgemäß mit
jeder Zählung größere Fortschritte. 1899 unterschied man in 35 Gruppen
836 Berufstätigkeiten. Die Erwerbstätigen wurden eingeteilt in
A. Unternehmer für eigene Rechnung.
B. Unternehmer für fremde Rechnung.
C. Leitende Beamte und Bureaupersonal, wissenschaftliches und
technisches Personal (sogenannte „Angestellte“).
D. Sonstige Gehilfen, Lehrlinge, Fabrik-, Lohn- und Tagearbeiter.
Die letzte Zählung schließt sich eng an diese Einteilung an, un-
wesentliche Aenderungen können hier außer Betracht bleiben. Eine tief
einschneidende, prinzipielle Andersgestaltung aber fordert zur Kritik
heraus. Während man früher nämlich lediglich den Beruf, ganz unab-
hängig von der Art des Betriebes, in dem er ausgeübt wurde, erfaßte,
hielt man sich 1899 an den Betrieb. Beschäftigte z. B. eine Brauerei
15 Brauer, 3 Böttcher, 1 Zimmerer, 2 Maschinisten und 3 Buchhalter,
so wurden diese nicht den bezüglichen Berufskategorien zugewiesen,
sondern sie erschienen in der Statistik als 24 Zugehörige zum Brau-
gewerbe. Eine Verarbeitung des Materials derart, daß daneben, in
summarischen Zusammenstellungen, die rein berufliche Gliederung er-
sichtlich gemacht wäre, ist nicht erfolgt. Als Fortschritt vermag ich
diese Neuerung nicht zu bezeichnen, denn abgesehen von der Schwierig-
keit des Vergleichs mit früheren Zählungen, ist das so gewonnene und
veröffentlichte Material für praktische Maßnahmen — aber auch für
theoretische Folgerungen — nicht in dem Maße ergiebig, als dies bei
einer reinen Berufszählung der Fall gewesen wäre. Die beruflichen
1) Als Quellen standen mir zur Verfügung: 1) Uitkomsten der Beroepstelling in
het Koninkrijk der Nederlanden op den een-en-dertigsten December 1889. Dasselbe
für 1899. „Totaal voor het geheele Rijk“. 2) Jaarcijfers voor het Koninkrijk der
Nederlanden. Rijk in Europa, 1901. 3) Verslagen van den Inspecteurs van den arbeid
in het Koninkrijk der Nederlanden 1891— 1900.
34*
532 Miszellen.
Organisationen z. B. vermögen mit den vorliegenden Ergebnissen so gut
wie nichts anzufangen. Was nützt es einer Brauergewerkschaft, wenn
sie weiß, daß im Braugewerbe so und so viele Personen beschäftigt
werden, ohne daß ihr gleichzeitig gesagt wird, wie viele davon für ihre
Organisation in Frage kommen. Oder wie soll eine Lebens- oder Kranken-
versicherung das Durchschnittsalter der Zugehörigen bestimmter Berufe
ermitteln, wenn in der Statistik die Berute nach den Betriebswerk-
stätten, in denen sie ausgeübt werden, gruppiert sind. Ebensowenig
können mit Hilfe solcher Berufszählung die Unterlagen für gesetzliche
präventive Maßuahmen in besonders gesundheitsschädlichen Betrieben
gefunden werden. Denn der Einfluß der beruflichen Tätigkeit auf die
Lebensdauer läßt sich nach dieser Methode nur ganz oberflächlich kon-
statieren. Nehmen wir als Beispiel eine Maschinenfabrik. Werden die
Altersangaben schlechthin für alle in ihr beschäftigten Arbeiter gemacht,
so läßt das absolut keinen Rückschluß auf die mehr oder minder ge-
sundheitsschädliche Wirkung der einzelnen Beschäftigungen zu. Man
denke an die Tätigkeit der Gießer, Dreher und Modelltischler, die unter
durchaus verschiedenen äußeren Umständen arbeiten. Die summarischen
Angaben über die durchschnittliche Lebensdauer werden, auf jede einzelne
Berufsart angewendet, entweder zu hoch oder zu niedrig, jedenfalls aber
durchaus unzutreffend sein. Der Einwand, daß die Zählung nach dem
Beruf oder nach der Betriebszugehörigkeit zu ins Gewicht fallenden
Unterschieden nicht führe, ist ohne weiteres hinfällig. Unsere ganze
gewerbliche Großproduktion tendiert ohne Frage zum ,Gesamtbetrieb*
(im Sinne der deutschen Reichsstatistik) bezw. zur ,Fabrikationsanstalt*
(Bücher). Die in einem derartigen Unternehmen beschäftigten Personen
bilden niemals eine Berufseinheit, in vielen Fällen handelt es sich nicht
einmal um verwandte Berufe. Sehr treffend wird dieses Vorkommen
betriebsfremder Arbeiter in der amtlichen Bearbeitung der deutschen
Berufs und Gewerbezählung von 1895 (Band 119, S. 17) dargelegt.
Danach hatte die Schlosserei am 14. Juni 1895 einen Bestand von
295 700 Personen, darunter 268502 Lehrlinge und Arbeiter; in der
Gewerbeart Schlosserei hingegen wurden in 26546 Betrieben bloß
104 885 Personen gezählt, darunter 77 930 Arbeiter. Von diesen gehörten
aber nur 72374 wirklich der Schlosserei an, die übrigen 5556 waren
in anderer Eigenschaft in den Schlossereibetrieben beschäftigt, anderer-
seits arbeiteten außerhalb der Schlosserei in Betrieben der verschiedensten
Art 122679 Arbeiter als Schlosser. Ganz ähnlich, wenn auch nicht so
stark ausgesprochen, liegen die Verhältnisse in den Niederlanden. Das
Nächstliegende wäre deshalb gewesen, mit der Berufszählung eine Ge-
werbezählung zu verbinden. Konnten aber in dem reichen Holland
dafür die Mittel nicht aufgebracht werden, so hätte unbedingt an dem
System der reinen Berufszählung festgehalten werden müssen. Die
Vorteile des jetzt angewendeten Verfahrens sind gering anzuschlagen,
denn mit der bloßen Tatsache, daß in den einzelnen Gewerbebetrieben
eine gewisse Zahl von Personen beschäftigt wird, ist wenig anzufangen,
wenn nicht gleichzeitig Zahl und namentlich Umfang der Betriebe fest-
gelegt sind. Berufs- und Gewerbezählung haben durchaus verschiedene
Aufgaben. Während erstere eine Gliederung der gesamten Bevölkerung
Miszellen. 533
in unmittelbarem Anschluß an die persönliche Tätigkeit vornimmt, sich
also, unabhängig von der wirtschaftlichen Konstellation, direkt an
das Individuum hält, hat die Gewerbezählung es namentlich mit den
Entwickelungstendenzen in der Betriebsform zu tun. Die Erfassung
der Personen dient hier nur als Mittel zum Zweck. Schon daraus
erhellt, daß aus einer Verwischung dieser Wesensunterschiede unlieb-
same Verwirrung entstehen mul. Das Streben nach höchstmöglicher
Vorteilsvereinigung hat in diesem Falle ohne Frage zu folgenschweren
Resultaten geführt. Soll die holländische Berufszählung von 1899 wissen-
schaftlichen Ansprüchen genügen, so ist unbedingt erforderlich, daß
neben der jetzigen Aufarbeitung des Materials eine Zusammenfassung
nach dem Beruf, ohne Rücksicht auf den Betrieb, in dem dieser aus-
geübt wird, gegeben werde. Den Interessenten solche Arbeit zu-
muten, hieße die Aufgaben eines statistischen Zentralamts verkennen. —
Da die Berufszählung zugleich Volkszählung war, liegt es nahe,
zunächst einen Blick auf die allgemeine Bevölkerungszunahme zu werfen.
Insgesamt wurden 1899 5 104 137 Personen gezählt. Die Volksvermehrung
seit 1830 wird durch folgende Aufstellung veranschaulicht:
Zählungs- Auf 100 Einwohner
jahr Männer Frauen Zusammen Männer Frauen
1830 1 278 046 1335 441 2 613 487 48,9 51,1
1840 I 401 004 I 459 555 2 860 559 49 5I
1849 1498811 I 558 068 3056879 49 51
1859 1 629 035 1 680 093 3 309 128 49,2 50,8
1869 1 764 118 t 815 411 3 579 529 49,3 50,7
1879 1 983 164 2 029 529 4 012 693 49,4 50,6
1889 2 228 487 2 282 928 4511415 49,4 50,6
1899 2 520 602 2583 535 5 104 137 49,4 50,6
Die Zunahme der Gesamtbevölkerung betrug demnach 1899 gegen
1830 95,3 Proz, 1849 66,9 Proz., 1859 54,2 Proz, 1889 13,1 Proz.
Die Vermehrung der Frauen beläuft sich seit 1830 auf 93,4 Proz., die
der Männer auf 97,2 Proz. Der beiderseitige Anteil an der Gesamt-
bevölkerung hat sich um ein geringes zu Gunsten der Männer ver-
schoben. Offenbar eine Einwirkung der erhöhten weiblichen Berufs-
tätigkeit. Geboren wurden auf 100 Mädchen durchweg 104—105 Knaben.
Von der Gesamtbevölkerung lebten in Gemeinden mit über 20000
Einwohnern 1830 699056 (26,8 Proz), 1899 1857309 (36,4 Proz.), in
Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern 1830 1914421 (73,2 Proz.),
1899 3246 670 (63,6 Proz.) Personen. Im Verhältnis zu anderen Staaten
kann hier von einer überaus starken Konzentration der Bevölkerung
schlechtweg nicht die Rede sein. Allerdings bilden die vier Hauptstädte
des Landes — diejenigen mit mehr als 100000 Einwohnern — Amster-
dam, Rotterdam, Haag und Utrecht, eine Ausnahme!) Mit Rücksicht
auf die Volksvermehrung dieser Plätze ergibt sich folgendes Bild:
1) Die Städte mit mehr denn 20000 Einwohnern sind folgende: Breda 26096,
's Hertogenbosch 30517, Tilburg 40628, Apeldorn 25761, Arnhem 56812, Nijmegen
12756, Haag 206022, Delft 31589, Dortrecht 38386, Couda 22085, Leiden 53657,
Rotterdam 318 507, Schiedam 27 126, Amsterdam 510853, Haarlem 64079, Helder 25 159,
Zaandam 21146, Utrecht 102086, Leeuwarden 32162, Zwolle 30 560, Devanter 26212,
Enschede 24 353, Groningen 66537, Maastricht 34220,
534 Miszellen.
Zählungs- I. II. III. IV. Zunahme gegen 1830 in Proz.
jahr Amsterdam Rotterdam Haag Utrecht I. IH. II. IV.
1830 202 364 72 294 56 105 43 407
1849 224 035 90 073 72 225 47 781 10,7 24,6 28,7 10,6
1859 243 304 106 122 78318 52 894 20,2 46,1 39,8 21,8
1879 317 011 148 102 113 460 67 633 56,7 104,9 102,2 55,9
1889 408 opt 201 858 156 809 84346 101,7 179,2 179,5 94,8
1899 510 853 318 507 206 022 102086 152,4 340,6 267,2 135,9
Interessant ist die Gegenüberstellung der beiden alten Handelsplätze
Amsterdam und Rotterdam. Auch in den Bevölkerungszahlen dieser
Städte kommt zum Ausdruck, was die Handelsstatistik in immer stärkerem
Male erweist: Die zunehmende Bedeutung Rotterdams. Ver-
möge seiner günstigen Lage, sowohl hinsichtlich des überseeischen
Handels als desjenigen mit dem deutschen Hinterlande, absorbiert dieser
Hafen einen immer größeren Teil des Gesamthandels. Namentlich in
den letzten 10 Jahren machte diese Verschiebung enorme Fortschritte.
Die Bevölkerung Amsterdams vermehrte sich seit 1889 um 25,2 Proz,
diejenige Rotterdams um 57,4 Proz.
Auf die 11 holländischen Provinzen verteilt, gliedert sich die Be-
völkerung, wie folgt:
Zäh
lungs-
jahr [brabant
I Il IH | IV i | SC VER TO VET | dX | X pu
Nord- | Gelder-| Süd- Nord- |, Fries- | Over- | Gro- | Lin-
land | holland ` holland GER | Utrepbt land | Usel | ningen Drente burg
1830
1849
1879
1899
i 7
348 891 309 793 | 479 737413 988 137 262|132 359 | 204 909 178 895
396 420 370716| 5634251477 079 160 295|149 380 | 277 305 215 763 | 188 442| 82 738 205 161
466 497 466 805 | 803 530/679 990 188 635191 679 | 329 877,274 136 | 253 246/118 845/239453
553 842 566 549 |I 144 448|968 131 | 216 295|251 034 | 340 262/333 338 | 299 602|148 544 28195}
Die bezügliche Vermehrung gegen 1830 spiegelt sich in folgenden
Zahlen wider:
Zählungs- Das In Prozenten
jahr Reich I Il III IV V VI VI VII IX X XI
1849 16,9 13,6 19,7 17,4 15,2 16,8 12,7 20,7 20,6 19,6 29,5 10,9
1879 53,5 33,7 50,7 67,5 64,8 37,4 44,8 60,9 53,4 60,8 86,8 28,
1899 95,3 58,7 82,9 138,5 133,9 57,9 89,7 66,5 86,3 90,2 132,6 51,4
Ueber den Reichsdurchschnitt hat sich nur die Bevölkerung von
Südholland (mit Rotterdam und Haag), Nordholland (mit Amsterdam)
und der Provinz Drente vermehrt. Die hohe Durchschnittsvermehrung
ist demnach hauptsächlich auf das Konto der 3 Hauptstädte zu setzen.
Der Staatszugehörigkeit nach gab es:
Zählungs-
jahr Niederländer Deutsche Belgier Engländer Franzosen Uebrige
1889 4 462 531 28 767 13 697 1339 1398 2687
1899 5051 148 31 865 14 903 1307 1018 3626
der Ausländer betrug 1889 1,1 Proz., 1899
1,2 Proz, Das Deutsche Reich hatte vergleichsweise 1895 0,9 Proz.
Ausländer. Die verhältnismäßig hohe Zahl der Ausländer in den Nieder-
landen hängt wohl in erster Linie mit den regen Handelsbeziehungen
zusammen, die Holland mit Deutschland und Belgien unterhält. Fast */,
aller Ausländer sind Deutsche. So sehr diese in Holland im allgemeinen
zu den Sympathiearmen gehören, so sehr bevorzugt man sie in der Industrie,
namentlich wenn Handfertigkeit in Frage kommt. In den Berichten
der holländischen Fabrikinspektoren ist des öfteren zu lesen, daß die
Die Gesamtzahl
157 504| 63 868 186 a
Miszellen. 535
holländischen Arbeiter sich darüber beschweren, daß die deutschen
Arbeiter durchweg höhere Löhne beziehen, was sie auf die in Deutsch-
land zahlreich vorhandenen Fachschulen zurückführen !).
Die sog., früher sehr ausgeprägte Hollandgängerei trägt
zu den hohen Ausländerzahlen kaum noch bei. Bis auf wenige Reste
ist sie heute verschwunden. Auch das die holländischen Inseln auf-
suchende Badepublikum kommt, da die Zählungen im Dezember ab-
gehalten wurden, nicht in Frage.
Die berufliche Gliederung der Bevölkerung kann bei der
Verschiedenheit sowohl der Erhebungsmethoden als der Materialauf-
arbeitung im einzelnen nicht verglichen werden. Nach den Haupt-
berufszweigen geordnet — wobei die prinzipielle Aenderung minder
schwer ins Gewicht fällt — ergibt sich folgende Aufstellung:
(Siehe Tabelle I auf S. 536 u. 537.)
Was auf dieser Tabelle zunächst in die Augen fällt, ist dies: Es
hat sich seit 1889 eine ganz ausgesprochene Verschiebung zwischen
Landwirtschaft und Industrie herausgebildet. Die Zunahme der in-
dustriellen Bevölkerung beläuft sich auf 22,2 Proz., die der landwirt-
schaftlichen auf 8,7 Proz. Der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen
an der Gesamtbevölkerungszahl ist sogar zurückgegangen. 1889 kamen
auf 100000 Einwohner 11 628, 1899 nur noch 11172 in der Landwirt-
schaft Tätige. Die Verhältnisquote in der Industriebevölkerung indes
betrug 1889 11 796, 1899 aber 12 746.
Für denjenigen, der mit der Lage der holländischen Landwirtschaft
vertraut ist, bieten diese Zahlen nichts Ueberraschendes. Der nieder-
ländische Bauer wirtschaftet zur Zeit unter überaus mißlichen Verhält-
nissen. Seitdem ihm die deutsche Grenze für seine Viehausfuhr gesperrt
ist — angeblich aus sanitären Gründen — fehlt ihm das Absatzgebiet.
Die holländische Landwirtschaft ist aus vielen Gründen, die zu erörtern
hier zu weit führen würde, hauptsächlich auf Viehzucht angewiesen. So-
lange ihr der große deutsche Markt offen stand, prosperierte sie aus-
gezeichnet. Die stattlichen, schloßartigen Gehöfte der Provinz Groningen
sind die besten Zeugen dafür. Nun aber konnte das deutsche Rheider-
land, namentlich soweit Ost-Friesland in Frage kam, mit den holländischen
Nachbarn nicht konkurrieren, die deutschen Grenzbauern sahen sich —
da sie zum großen Teil selbst auf Viehzucht angewiesen waren — in ihrer
Existenz bedroht. Die Schließung der Grenze bewahrte sie vor der
Notwendigkeit, sich auf andere Bewirtschaftung ihrer Güter, die überdies
schwer möglich gewesen wäre, einzurichten. Da alle Bemühungen auf
holländischer Seite zur Wiedereröffnung der Grenze erfolglos blieben,
geriet die holländische Landwirtschaft, der man auch die Ausfuhr von
Hackfrüchten erschwerte, in eine unverkennbare Notlage. Eine gewisse
Landflucht war die selbstverständliche Folge davon.
Demgegenüber hat sich die holländische Industrie gerade im letzten
Jahrzehnt stark entwickelt. Namentlich Amsterdam und Rotterdam sind
Mittelpunkte industrieller Tätigkeit geworden. In neuester Zeit vor-
1) In einer Brauerei Haags erhalten die deutschen Brauer sogar ein größeres
Quantum Freibier.
536 Miszellen.
Tabelle I. Die berufliche
1889 1899
Berufszweig | = =
insgesamt | Männer | Frauen | insgesamt | Männer | Frauen
|
Industrie 532 181 466 513| 65 668! 650 574 563400! 87 174
Landwirtschaft 524 624 451756] 72808| 570 278 490 694| 79584
Fischerei und Jagd 16 650 16 586 64| 22496 21 942 554
Handel und Versicherungs-
wesen 268 730 231623| 37107| 332224 282769 49455
Liberale Berufe 30015 26 247 3768| 13110 11611 1 499
Privatlehrer 9655 4 948 4707| 15128 6 860 8 268
Armen- und Krankenpflege 3 782 I 390 2392| 11996 3 191 8 805
Persönliche Dienste 166 495 9322| 157 173| 197 511 7930| 189 581
Oeffentliche und private
Beamte 63 225 58918 4307| 67374 61 212 O 162
Im Kirchendienst 12 208 7 738 4 470 9 597 7 357 2 240
Pensionierte 5 540 5 501 39 7 072 6923| 149
Ohne Beruf 2853 281 923 446|1 929 835|3 173 431 |I 023 444!2 149 987
Ohne bestimmten Beruf 25 164 24 629 535| 33346 33 269: 7
Summa l4 511 550!)|2 228 617|2 282 933 5 104 137 ?)|2 520 602,2 583 535
nehmlich Rotterdam, das, an günstigen Verkehrswegen gelegen, immer
mehr große industrielle Unternehmungen um sich konzentrierte. Selbst
die von Alters her in Amsterdam ansässige Brillantenindustrie und Diamant-
schleiferei zeigen neuerdings große Neigung, einen Teil ihrer Betriebe
nach Rotterdam, oder gar über die Grenze hinaus, nach Antwerpen zu
verlegen. Wenn es sich vorläufig auch nur um einzelne Firmen handelt,
so wirken hier doch Tendenzen, mit denen Amsterdam in Zukunft zu
rechnen hat. Die Hauptindustrien Hollands sind folgende: Textil-
industrie in Enschede, Hengelo und Hilversum; Tabakindustrie in
Amsterdam, Eindhoven, Kampen und Rotterdam. Tonwarenfabri-
kation in Zuid-Limburg; Wollindustrie in Tillburg und Leiden;
Kartoffelmehlfabrikation in Groningen; Schnapsbrenne-
reien und Oelschlägereien in Delft; Diamantschleiferei,
Brillantenindustrie, Eisengießerei, Metallbearbeitung,
Schokolade- und Kakaofabrikation in Amsterdam, Schiffbau
in Amsterdam und Rotterdam.
Eine zahlenmälige Darlegung der Entwickelung dieser einzelnen
Industrien würde über den Rahmen vorliegender Abhandlung hinaus-
gehen. Soweit nötig, wird bei Erörterung der sozialen Gliederung der
erwerbstätigen Bevölkerung darauf zurückzukommen sein. Wenden wir
uns zunächst zu den übrigen auf Tabelle I verzeichneten Berufszweigen.
Ein unverhältnismäßig großer Teil der holländischen Bevölkerung
widmet sich dem Handel. Daß dies in stark zunehmendem Maße der
Fall ist, beweist die Tatsache, daß die Vermehrung der bezüglichen
Personen sich auf 23,6 Proz. beläuft. Ihr Anteil an der Gesamt-
bevölkerung betrug 1899 6,5 Proz., 1889 erst 5,9 Proz. Auch die
1) Die Zahl differiert mit der Volkszählung des gleichen Tages um 137.
2) Inklusive 50 unbekannten Berufes.
Miszellen. 537
Gliederung der Bevölkerung.
Von 100 000 Personen, Von 100000 männ-|Von 100000 weib-
Zu- bezw. Abnahme(—) der Bevölkerung fallen) lichen Personen lichen Personen
auf 0 fallen auf re. fallen auf ....
insges. | Männer Frauen, + | : | E 8
Prés, | Proz. | Proz. 1889 1899 1889 | 1899 1889 1899
— no — —— + — — — c m
22,2| 20,7 32,7, 11796 12 746 20 932,6 | 22 351,8 2 876,4 3 3742
8,7 8,6 9,2, 11628 II 172 20 270,6 | 19 467,3 3 191,8 3 080,4
35,1] 32,2| 765,6 369 444 744,3 870,5 | 2,8 21,4
23,6) 22, 33,2) 5956 6 508 10 393,2, 11 218,3 1625,4| 1914,
— 56,8|— 55,7 |— 60,2 665 256 | 1177, 460,6 165,0 58,0
56,6) 38,6 75,6! 544 | 296 222,1 272,1 206,1 320,0
217,1] 129,5 | 268 | 84 235 62,3 126,5 104,7 340,8
18,6 — 14,9 20,6 3 690 3569 | 418,3 315,0 6 884,2 7 338,0
6,5 3,8| 43 1072 | 1319 | 2643, 2 428,4 188,6 238,5
— 21,3| — 4,9 — 49,8 271 188 | 347,8 291,8 195,8 86,7
27,00 25,8, 282 123 | 138 246,8 274,6 1,7 5,7
11,2) 10,8 11,4! 63244 62 176 41 435,8 | 40603,1| 84 533,1 | 83 218,8
32,5, 35,1 1— 85,6) 558 653 I 105,1 1 319,8 l 24,4 2,9
3
13,1| 13,1 13,1| 100 000 100 000 | 100 000 100 000 | 100000 | 100 000
Fischerei ist eine stark besetzte Berufsart. Auffällig erscheint der
Rückgang der „Freien Berufe“, deren Vertreter einen Verlust von
56,3 Proz. aufweisen. Derselbe ist jedoch rein formaler Natur und be-
ruht auf der Verschiedenheit der Erhebungsmethoden. Die freien Berufe
umfassen nämlich auch die Buchhalter, Schreiber etc., die 1899 nur
insoweit zu einer besonderen Kategorie vereinigt wurden, als sie nicht
in einem bestimmten Gewerbe beschäftigt waren. Denn anderenfalls
galten sie ja als Zugehörige der ihnen Unterhalt gewährenden Betriebe.
Angesichts der holländischen Schulverhältnisse — allgemeiner Schul-
zwang besteht erst wenige Jahre — kann die große Zahl der Privat-
lehrer nicht wunder nehmen. Seit 1889 hat sie sich um 56 Proz.
vermehrt. Die Gesamtzahl aller Schüler und Schülerinnen belief sich
1899 auf 830688; auf die Privatschulen fielen davon 326 957 (39 Proz.).
Die in der Zahl 151258 einbegriffenen Fachschullehrer machen kaum
einige Hundert aus. Das ï'ach- und Fortbildungsschulwesen liegt in
den Niederlanden noch sehr im zroen. Weder Staat noch Gemeinde
sind bereit, dafür Mittel auszuwerfen. Bezügliche Antrüge sind un-
zühligemal gestellt.
Von Bedeutung ist die 32,5 Proz. betragende Zunahme der ,ge-
legentlichen“ Arbeiter. Auch darin drückt sich die zunehmende In-
dustrialisierung des Landes aus. Auf die Rubrik ,Berufslose* in
der sämtliche „Angehörige“ untergebracht sind, fielen 1889 63,2 Proz.,
1899 62,1 Proz. Ohne Frage weist das auf eine fortschreitende Ver-
wendung der weiblichen Arbeitskraft hin. Wir werden uns damit noch
besonders zu beschäftigen haben.
Als eigentliche Erwerbstätige kommen in Frage 1889 1299670
Männer und 353059 Frauen, 1899 1490185 Männer und 433 399
Frauen. Das bedeutet eine Zunahme bei den Männern von 10,5 Proz.,
538
bei den Frauen von 22,6 Proz.
Miszellen.
Nehmen wir die gewerblichen Gruppen
— Industrie, Landwirtschaft, Handel und Verkehr — besonders, so er-
geben sich
Männer Frauen insgesamt
1889 1 166 478 175 779 I 342 257
1899 I 358 906 216 767 1575673
Die Verteilung dieser Erwerbstätigen auf die einzelnen Gruppen
und die Gliederung nach der sozialen Stellung zeigt Tabelle II.
Tabelle II.
Die Gliederung der Bevölkerung
C.
8: B: Leitende Beamte,
Unternehmer für Unternehmer für | Büreaupersonal
eigene Rechnung fremde Rechnung | („Angestellte“)
Betofigrappin 1899 | 1899 1899
= | | | '
$ | 8 ssBu 3 |3 338; 2
= = ogEZG 5 = = E =
a NS (ARE de Ve (een à
1. Ton-, Diamant-, Glas- i , |
und Steinwerke 1568| 107| 57,1 148 3) 10,2| 1365 13, 2104
II. Buch- und Stein- | | |
druckerei 1255 26,—15,4 | 84 2 95,4 1022 34 4834
HI. Baugewerbe 32 802| 359 42, 353) I.— 5,6) 3553 8 1005
IV. Chemische Industrie I 139 68|— 4,4 173, 4|—12,4| 1336) 630 62,
V. Holzbearbeitung 11335, 188] 0,07 122 ti 24, 849) 9 175,9
VI. Konfektionsgewerbe 15 908 31896 18,71 157 231| 23,6 924| 327 230,
VII. Kunstindustrie 405 86 —22,3 | al bo 52! I 4309
VIII. Lederfabrikation 17121| 200 3,1 141 ı 36,5 495| 4 326,5
IX. Metallgewinnung 1039, 20 — 7,9 ; 63| — | —22,2 322| — | 101,*
X. Metallverarbeitung 9131| 233l— r1, 162| — | 24,6| 1006 8 2900
XI. Papierfabrikation 644! 23| 225,4 27 D 64,45 349 8 425.0
XII, Schiffbau 3278| 84| 10,8 | 65! — | Bal 861| — 2529
XIII. Maschinenfabrikation | 2773| 28 9,38, 107] 1| 217,6| 1921 9 391,1
XIV. Textilindustrie 2180| 593 — 20,1 | 147| 16| — 0,6| 1738 39 1341
XV. Gas und Elektrizität 26, I'—12,9 97| — 24,4 649 I 550,0
XVI. Nahrungs- und Ge- | |
nußmittel 26 ged T1188. 12,1 | 1197| 25° 57,5] 6323 137 387:2
XVII. Landwirtschaft 158400 20884 13,0 | 2719 64 5,5| 2765 123: 479°
XVIIL Fischerei und Jagd 7188) 46: 21,3 205| — 5, 1172 8, 225
XIX. Warenhandel 79 684,28 502| 21,5 | 29111009: —52,1/26 110, 7549, 14$
XX. Verkehrswesen 32476 6578 9,1 | 3245! 201 35,017 878] 1084 135
XXI. Kredit- u. Bankwesen| 1037° 1612162) 415) 1) Aa 3728: 22 1085.
XXII. Versicherungswesen 232 — 57,8 | 316] 1| — 65,5) 2828 68 Su
Hinsichtlich der Gliederung der Zugehörigen aller Gewerbe ergibt
sich zunàchst folgendes:
Unternehmer (A)
für eigene Rechnung
Unternehmer (B)
für fremde Rechnung
Angestellte (C)
Arbeiter etc. (D)
1899 497 536 14419 87 425 976 293
1889 439655 17 514 36 115 848 973 —
57 881 —3 095 51310 127 320
Die Unternehmer für eigene Rechnung vermebrten sich demnach um
15,2 Proz.: diejenigen für fremde Rechnung hingegen verminderten
Miszellen. 539
sich um 17,7 Proz.; die Zunahme der Angestellten beträgt 142 Proz.,
die der Arbeiter etc. 15 Proz. Auf 1 Unternehmer kamen 1889: 1,9, 1899:
2,1 Angestellte und Arbeiter. Nehmen wir die Landwirtschaft
gesondert, so ergeben sich hier
A. B. C. D.
1899 179 344 2783 2888 385 263
1889 158 761 2638 498 362 727
20 583 145 2390 22536
nach der sozialen Stellung.
D.
Sonstige Gehilfen, Lehr- Von 100 hóri
linge, Fabeikı, Lohn: und on 100 Berufszugehórigen waren
Tagearbeiter
1899 1889 1899
g -2 H
E $ | 528 i |
= Sgal À | B ©. | D. | 4. | B. | € | D.
AL |
11 388 85 10,7 | I2,51| O,36| 1,50 | 85,68 | 9,21] 0,006 | 7,59 82,56
107 669 | 155 23,9 | 26,31| oail 1,48! 71,90 | 22,88 — 0,02 | 74,41
5 952 910 26,3 | 15,57 | 2,49 | 14,95 | 66,97 | I81| 1,78 | 19,25 | 67,19
25 663 653 3,3 | 30,80 | 0,26 | 0,88 | 68,10 | 29,68 | 0,31 2,21 | 67,78
19092 | 23032 21,6 | 53,24 | O,42| 0,50 | 45,84 | 52,20 | 0,42 1,36 | 46,00
835 302 18,9 | 39,55 — 0,69 | 59,76 | 29,15 = 3,14 | 67,51
20 695 1169 7,2 | 44,90 | 0,28| 0,82 | 54,50 | 43,49 | 0,35 1,25 | 54,89
13 314 1 489 6,0 7,54| 0,53| 1,04 | 90,89| 6,56
28 607 3 285 18,6 3,74| O,46| 1,56 | 94,28 | 4,77 | 0,43 3,92 | 90,87
0,38 1,98 | 91,06
|
29 346 438 | — 6,3 | 22,80| 0,31! 0,63| 76,26 23,22 ! 0,40 2,61 | 73,86
5032| 908 125,6 7,05| 0,58| 2,29 | 90,08 | 9,53 | 0,40 5,10 | 84,95
18 437 12 81,5 | 22,46 | 0,44, 1,81| 75,29 | 14,78 | 0,28 3,78 | 81,14
14 702 411 336,0 | 39,20 | 0,53| 6,09 | 53,68 | 14,03 | 0,54 9,67 | 75,74
30 813 13 960 11,8 7,81, 0,37 1,71 | 90,11 5,60 | 0,32 3,59 | 90,47
3702, 9 132,7 1,71) 4,32| 5,64 88,41 0,60! 2,16 | 14,49 | 82,74
| |
75 017 3 734 37,4 | 29,52 | 0,92 1,57 , 67,98 | 24,40 | 1,06 5,64 | 68,87
326750, 58513 6,2 | 30,26 | 0,50, 0,10 69,14 | 31,44 | 0,48 0,50 67,55
13 377 500 36,9 | 35,81 1,16! 2,17, 60,86 | 32,15 | 0,91 5,24 | 61,68
38 224 2 121 10,7 | 69,89 | 2,31, 12,89 | 14,91 | 58,13 | 2,10 18,08 21,67
72 327 2290| —ı2,1 | 27,27 | 1,94 | 6,13 64,06 | 28,69 | 2,58 | 13,93 | 54,83
666 8| 1275,5 | 11,30 | 56,36 | 25,42 | 6,92 | 17,86 | 7,05 | 63,63 | 11,48
696 5| 70110 | 13,89 | 83,61, 3,00! — 5,59 | 7,65 | 69,82 | 16,92
862 304 | 113 989 15,0 | 3255| 1,50| 2,69! 63,24| 31,57 oan | 5,54 | 61,95
Die Zunahme beträgt hier bei A 12,9 Proz, bei B 5,5 Proz, bei
C 479 Proz, bei D 6,21 Proz. In die Augen füllt dabei die geringe
Zunahme der landwirtschaftlichen Arbeiter, auf 1 landwirtschaftlichen
Unternehmer kamen ihrer 1889: 2,3, 1899: 2,1. Von 100 landwirt-
schaftlichen Berufszugehörigen waren
A. B. C. D.
1889 30,26 0,50 0,10 69,14
1899 31,44 0,48 0,50 67,55
540 Miszellen.
Diese Zahlen ergeben zweifellos eine Verschiebung zum Klein- bezw.
Mittelbetrieb. Der relative Anteil der Unternehmer wurde größer, der-
jenige der Arbeiter geringer. Die Begünstigung der mittleren Betriebe
bei gesteigerter intensiver Bewirtschaftung kommt, wie in Deutschland,
auch in Holland immer deutlicher zum Ausdruck. Die landwirtschaft-
lichen Großbetriebe haben hier vor allem mit starkem Arbeitermangel
zu kämpfen. Ihre Produktionskosten werden durch die fast unerschwing-
lich hohen Arbeitslöhne beträchtlich hinaufgeschraubt. Man wird des-
balb nicht fehlgehen in der Annahme, daß der bereits konstatierte Rück-
gang der landwirtschaftlichen Bevölkerung in erster Linie den Grob-
betrieb trifft.
In der gesamten Industrie (I—XVI) wurden gezählt:
A. B. C. D.
1899 162 433 3332 23 993 460 816
1889 149 752 2615 7 743 372 215
12 681 717 16 250 88 bot
Wir haben es hier mit einer Zunahme der selbständigen Unternehmer
von 8,4 Proz., der Unternehmer für fremde Rechnung von 27,4 Proz.
zu tun. Indes spielt diese letzte Kategorie eine geringe Rolle, so daß
sie füglich außer Betracht bleiben kann. Eine hohe Zunahmequote
(209,8 Proz.) weisen die Angestellten auf. Die Arbeiter nahmen um
26,4 Proz. zu. Auf 1 Unternehmer kamen 1889: 2,4 1899: 2,9, An-
gestellte und Arbeiter. Die Tendenz zum Großbetrieb dürfte tatsäch-
lich ausgesprochener wirken, als es in diesen Zahlen zum Ausdruck
kommt, denn die Zahl der Betriebseinheiten ist ja wesentlich kleiner
als die der Selbständigen, da bei solcher Gegenüberstellung die soge-
nannten „Mitinhaber“ außer Ansatz bleiben müssen. In Deutsch-
land kamen auf einen der in Frage stehenden Betriebe 1882: 2,4,
1895: 3,3 Personen. Identifizieren wir, um den Vergleich zu ermög-
lichen, die holländischen „Selbständigen“ mit „Betrieb“, so kamen aut
einen solchen 1889: 3,5, 1899: 3,9 Personen. Nach Abrechnung der
„Mitinhaber“ dürfte der durchschnittliche Betriebsumfang noch größer
sein. Tatsächlich ist denn auch das eigentliche Handwerk in Holland
nicht annähernd in dem Maße erhalten geblieben als in Deutschland.
In den einzelnen Industriezweigen gestaltet sich die soziale Gliede-
rung stark verschieden. Mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen bilden
die Selbständigen nur noch im Konfektionsgewerbe. Das war auch
1889 bereits der Fall. Stark zurückgegangen sind die Selbständigen
im Schiffsbau bezw. in der Wagenfabrikation (von 22 auf 14 Proz.), in
der Maschinentabrikation (von 39 auf 14 Proz.) in der Kunstindustrie
(von 39 auf 29 Proz.) und im Baugewerbe (von 26 auf 22 Proz.). Unter
10 Proz. aller Erwerbstätigen bilden die Selbständigen in den Ton-,
Glas-, Kalk- und Diamantwerken, in der Buchdruckerei, im Bergbau,
in der Papierfabrikation, Textilindustrie, Gas und Elektrizität. Relativ
zugenommen haben die Selbständigen nur in den Diamantwerken.
Im übrigen auf der ganzen Linie Verluste, bezw. ein stärkeres An-
wachsen der Abhängigen!!) Der Großbetrieb reißt immer größere Teile
1) Die Zunahme der Selbständigen in der Pupierfabrikation ist formaler
Miszellen. 541
der Produktion an sich. Er verdankt seine Existenz nicht allein dem
vermehrten Konsum und dem ausländischen Markt, sondern er greift
in starkem Maße in das Produktionsgebiet des Kleinbetriebes ein. Die
geringe Zunahme der Selbständigen auch gegenüber der Bevölkerung
weist deutlich darauf hin. Gesetzliche Maßnahmen, die diesen Prozeß
vielleicht verlangsamen könnten, hat man bisher nicht ergriffen. Ver-
mutlich ist es auch schon zu spät.
Die Rubrik Warenhandel weist, ebenso wie das Versicherungs-
wesen, einen relativen Rückgang der Selbständigen auf. Zugenommen
haben diese allein im Kredit- und Bankwesen. Die angebliche Zunahme
im Verkehrswesen ist wieder formaler Natur. Es dürfte aber von
Interesse sein, über die tatsächliche Entwickelung des Verkehrswesens
einige Zahlen zu geben. Die holländischen Eisenbahnen beschäf-
tigten
Leitende Beamte Angestellte Arbeiter
1899 78 7909 18 062
1889 45 3270 11401
33 (73,3 Proz.) 4639 (141,9 Proz.) 6661 (58,4 Proz.)
1899 waren ca. 1100 Frauen darunter.
Hinsichtlich der Seeschiffahrt ergibt sich folgendes Bild:
A. B. C. D.
1899 248 139 2516 9916
1889 537. 437 1466 5731
—289 — 298 1050 4185
Auch hier zeigt sich ein unverhältnismälig starker Rückgang der Selb-
ständigen, die offenbar der Konkurrenz der Dampfschiffahrt erliegen.
Auf das Zurückdrängen der Segelschiffahrt weist auch die Tatsache
hin, daß die Zahl der Matrosen von 5138 auf 3871 fiel, während
gleichzeitig die der Heizer von 516 auf 1205 stieg. Die großen Dampf-
Schiffe bedürfen der Matrosen nur in geringer Zahl.
Auch in der Binnenschiffahrt ist die Zahl der Matrosen
zurückgegangen. Zur Kanal- und Flußfahrt bedient man sich statt der
Schlepper, Pferde und Segel immermehr des Dampfes. 1899 wurden
in der Binnenschiffahrt bereits 950 Heizer und 773 Maschinisten be-
schäftigt. Der Großkapitalisınus hält auch hier seinen Einzug.
Die Gliederung der holländischen Bevölkerung nach dem Alter
ist auf Tabelle III dargestellt.
(Siehe Tabelle III auf S. 542 u. 543.)
Die Interpretation kann kurz sein, da bei einem Zeitraum von
10 Jahren die Verschiebungen naturgemäß unbedeutend sein müssen.
Auffallend ist die Zunahme des relativen Anteils der Uebersiebzigjährigen.
In Deutschland lieferten diese 1890 2,6 Proz. der Gesamtbevölkerung,
in Holland 1889 2,9 und 1899 3,2 Proz. Günstiges Klima und ein-
fache Lebensweise, namentlich in Nordholland, dürften die Hauptursachen
dieser Erscheinung sein. Solche Annahme wird durch die Tatsache
Natur, da, im Gegensatz zu 1889, bei der letzten Zählung die Buchbinderei in dieser
Gruppe untergebracht wurde.
542 Miszellen.
Tabelle III. Die Gliederungir]:
Es hatten ein Alter von ... Jahren
1899
Berufszweig "eo D a wc 2 eo | xu EE.
bk E = - E Gel | à $ | © | De t-
a d d | l | | | l INS
E $123)981] 8181 8 1 2 St
Industrie 366 18 158| 38 522/153 416/193 635/143 333 59 679] 20 606, 12 381 vi
Landwirtschaft 902 8690| 22 291|113 182/153 4311123 678| 72398 31 597, 224% 1:
Fischerei u. Jagd 35 469| 1008| 4633| 7086| 5281| 2152] 850 g zl
Handel u. Versicherungs- |
wesen 108| 2457| 6804| 48 412,102 564| 95 350| 43 812 15088 oi |
Freie Berufe 6 61 258) 1711| 4916! 3675| 1288 487 39, Y,
Privatlehrer = 20 70! 2468 6573| 3800| 1365 378 a m
Armen- u. Kranken-
pflege — II 35| 1331) 4546| 2932| 1682; 683: y x
Persönl. Dienstleistungen 255| 4082| 13 418| 82 829| 59014) 21780) 9432, 3250| 1979) 14;
Oeffentliche und private | |
Beamte — 49 536 10504, 24653| 19687| 7418 2197 123! 16
Im Kirchendienst — 2 8, 360| 3050| 2961, r625| 680) 44 4
Pensionierte — Il — | 5 222 1235| 1667 1184) (on (EI
Ohne Beruf 1 456 018 180 630/123 913 235 595/391 952/349 419/177 657 78 401| 65 01144
Ohne bestimmten Beruf D 66| 293 4538| 10183. 10098 4796, 1696! 945 t5
Summa | 1 457 695 214 096|207 156,658 984 opt 825|783 229/384 97 1|157 097 116804 101 j^ |
erhärtet, daß der an Holland stoßende preulische Regierungsbezirk
Aurich mit seiner den Niederländern durchaus verwandten Bevölkerung
die niedrigsten Mortalitätsziffern Preußens aufweist.
Besonders interessant gestaltet sich in Holland die Altersgliederung
der Erwerbstätigen. In der Landwirtschaft ist der Anteil der
Beschäftigten im Alter von 12—15 Jahren von 4,30 Proz. auf 5,50 Proz.
gestiegen. Die Quote der Beschäftigten im Alter von unter 12 Jahren
ist sich mit 0,16 Proz. gleich geblieben. In der Industrie vermehrten
sich die Erwerbstätigen im Alter von 12—15 Jahren von 7,8 Proz. auf
8,7 Proz. Das höchste Alter (71 und mehr) ist in der Landwirtschaft
mit 3,8, in der Industrie mit 1,6 Proz. vertreten. Ueberragt wird dieser
Anteil von den Geistlichen, die zu 4,9 Proz. ein Alter von über
71 Jahren haben. In Frage kamen hier 1899 2 Bischöfe, 121 katholische
und 56 protestantische Pfarrer.
Von jeher sind in der holländischen Industrie Kinder und Frauen
in großer Zahl beschäftigt worden. Schon 1874 versuchte man deshalb
mit einschneidenden Maßnahmen die schlimmsten Mißstände zu beseitigen.
Der Erfolg aber blieb aus. Erst das Gesetz vom 5. Mai 1889 brachte
Wandel. Kindern unter 12 Jahren wurde die Tätigkeit in der Industrie
verboten. Für Personen im Alter von 12—16 Jahren, sowie für Frauen
führte man den 11-stündigen Maximalarbeitstag ein. Ueber den Anteil
der zur Zeit beschäftigten „Jugendlichen“ an der Gesamtzahl aller in
der Industrie tätigen Arbeiter geben die Berichte der Fabrikinspektoren
eingehende Auskunft. In Bezug auf Alter und Geschlecht der in den-
jenigen Betrieben beschäftigten Personen, die von der Fabrikin-
spektion besucht wurden, ergibt sich für die Jahre 1891—1900
folgendes Bild:
|
Miszellen.
Bevölkerung nach dem Alter.
543
Von 100 Berufszugehörigen hatten ein Alter von ... Jahren
1889 1899
= | e an | N a © e Iw jo Ia £ MIA) A
STI | |e le IS le Estelle)
EE SER dei ul Pad pb rb SR 3955 omm A
3 N + 2 | ei © - Ke © -E 5 e Ka | ©
EN ea | | € a0 | 1e Et ECS E e ow e
| | |
0,07: 2,6 | 5,2 [20,9 ER 23,2 10,4 | 3,6 2,5| 1,7 0,06 2,8 15,9 23,6 |29,8 22,0| 9,2| 3,2) 1,9
0,18, 1,8 | 3,1 |19,7 (26,2 23,1 13,7| 5,4| 4,1| 3,4 0,16 |1,5 |3,9 |19,8 |26,9 21,7|12,7| 5,5! 3,9
017/08 4,1 |19,9 30,8 23,6 [11,5 All 2,7) 1,7 0,16 |2,1 14,5 20,6 31,5.23,5 9,6| 3,8| 2,4
| | |
0,03, 0,7 ' 1,7 |12,1 29,5 130,7 |14,4 | 5,0| 3,4) 2,3 0,03 0,7 |2,0 14,6 |30,» 28,7|13,2 4,5! 2,8
0,02 0,6 3,1 |21,9 32,1 21,7 10,8 | 4,3' 3,1| 2,5 0,05 0,5 |1,9 |13,0 !37,5 28,9| 9,8, 3,7| 2,6
0,01, 0,4 , 3,0 ,25,4 |36,6 122,6 | 7,9 | 2,0| 1,2 0,9 — {0,1 |0, 16,3 |43,4 25,1| 9,0| 2,5| 1,6|
| 1 |
— 0,03 0,03 8,9 30,9 31,7 17,0 | 5,7| 3,7, 2,0 — 0,09 0,3 ‚11,1 |37,9,24,4|14,0| 5,7| 3,9
| | |
9,17, 1,7 KI 41,1 30,8 111,3 5,3 | 1,7] LY 0,6 0,13 |2,1 6,8 41,9 129,9 11,9 4,8| 1,6) 1,0
Len
— |0,02,0,8 18,9 136,1 |26,3 10,2 | 3,5, 2,3| 1,9 — 10,07 0,8 |15,6 |36,5|29,2, 11,0| 3,3 1,9)
— [0,1 19,2 | 7,3 |30,0 |31,3 |16,4 | 6,5| 4,4| 3,7 — |0,02/0,08| 3,7 |31,8/30,8|16,9| 7,1| 4,6
— | — | — | 0,2 | 4,2 |23,9 |24,6 |I2,4,13,3/21,3 — 0,01) — | 6,07| 3,1|17,523,9|16,7|15,4
45,6 (5,9 14,3 7,6 11,7 11,2 | 5.9 2,4, 2,1 3,8 45,8 5,1 3,9 7,4 [12,3] 11,0 5,6 2,5| 2,1
0,06| 0,4 : 1,0 |12,2 [28,3 131,7 115,5 | 5,4| 3,5| 2,0 | 0,01 jo,2 oa 113,6 130,5/30,3 14,4| 5,1| 2,8
28,9 14,3 14,1 |12,5 518,0 (15,8, 8,0| 3,1| 2,5! 2,9 [28,6 14,2 4,1 |12,0 |18,8|15,3| 7,5] 3,1| 2,3
Alter und Geschlecht der Arbeiter in den von
der Fabrikinspektion besuchten Betrieben 1891—1900,
E | = 5 Darunter
d S > SEAN
cu |SE | $3 männlich
5 LR, n im Alter von its Adi
ZS is 3 | E S .... Jahren =
g =
SJE | a8 [191i [15 |16 und 12 |13|
d uS KG mehr (C
| In Prozenten
1801| 1518. 70748 | 1,42,4 | 3,2/3,4 | 70,5 |0,5|1,0
1892| 1561 64753 | 1,6|2,5 | 3,1]3,2 | 70,2 |O.5|r,0 |
1893| 1502| 63 502 | 1,3|2,3 | 2,9|2,9 | 73,0 |0,5j0,9
1894| 1405 54605 |1,22,4 |3,113,1 | 71,8 |0,511,0 |
1895] 1375; 57778 13/255 | 3,2|3,2 | 73,4 | 0,4|0,8 |
18961 3220 89 204 | 1.,8,2,8 | 3,1,3,1 | 72,0 |0,5/1,1
1897| 5938 91 244 | 1,4|2,5 |3,213,2 | 73,3 |0,5!1,0
1898] 6934 89940! 1,4 2,5 | 3,213,1 | 70,4 |0,7:1,8
1899| 7 362, 97 519 | 1,4|2,4 | 2,7/2,7 | 71,1 |0,71,3
1900 | 10 067' 110 610 | 1,1/2,2 | 2,9,3,0, 70,7 |0,7 1,3 |
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Zunächst zeigt sich, daß
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L- 210%
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1.4.2171 3,6 | 11,9 9,9
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1,4'1,5| 1,4 13,1 10,5
1,61,6| 1,4 | 13,1 10,1
2,02,0| 1,8 | 12,8 10,2
i
Proz.
aller Beschäftigten
Kinder im Alter von 12—14 Jahren sind. Nur 70 Proz. aller Erwerbs-
tätigen sind Männer im Alter von mehr als 16 Jahren.
Während bei
den Männern der relative Anteil der „Jugendlichen“ nicht unerheblich
zurückging, nahm er bei den Frauen stark zu.
nur die verheirateten Frauen.
Verm
indert haben sich
Im allgemeinen weisen die Zahlen auf
eine unverhältnismäßig große Verwendung der weiblichen Arbeitskraft hin.
Tübingen, Anfang März 1908.
2,0
3,2
544 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Entwickelungsstufe, eine neue, der Volkswirtschaft. Nach dem Manuskripte
des von Franz Graf Kuefstein in der Leo-Gesellschaft gehaltenen Vortrages im Jänner
1903. Wien, Manz, 1903. gr. 8. 41 SS. M. 1.—.
Forschungen, staats- und sozialwissenschaftliche, herausgeg. von Gustav Schmoller,
Bd. XXI, 1903, Heft 5: Die deutsch-spanischen Handelsbeziehungen, von Max Westphal.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1903. gr. 8. 88 SS. M. 2.—.
Issaiff, A. A., Der Sozialismus und das óffentliche Leben. Stuttgart, J. H. W.
Dietz Nacht, 1903. gr. 8. VIII—608 SS. M. 8.—. (Aus den Russischen übersetzt
unter Mitwirkung des Verfassers.)
Detot, P., Le socialisme devant les Chambres françaises. Paris, Giard & Brière,
1903. 8. 181 pag. (thöse.)
France, Anatole, Opinions sociales. 2 vols. Paris, Société nouvelle de librairie,
1903. 8. à fr. 0,50. (Table des matières: Vol. I(100 pag.): Crainquebille. — Conte pour
commencer l'anné, — Clopinel. — Roupart. — Alloeutions. — Vol. II (120 pag.): La
religion et l'antisémitisme. — L'armée et l'affaire, — La presse. — La justice civile
et militaire). [Bibliotheque socialiste, N” 13 et 14.]
Milhaud, Edg., La science économique, leçon d'ouverture du cours d'économie
politique à l'Université de Genève (1* novembre 1902). Pithiviers, impr. Gauthier, 1902.
8. 24 pag.
Rubat du Mérac, H. (prof. à la faculté libre de droit de Paris), Premiers prin-
cipes d'économie politique. Paris, Blond, 1902. 8. 79 pag. fr. 0,60.
Adamson, John E., The theory of education in Plato's „Republic.“ London,
Sonnenschein, 1903. 8. 270 pp. 4/.6.
Brooks, John Graham, The social unrest. Studies in labor and socialist
movements, New York, The Macmillan Cr, 1903. gr. 8. 394 pp., cloth. M. 7,20. (Con-
tents: Some generalities, — Polities and business. — Social unrest. — The social question
and its economie significance. — The inevitableness of the social question. — Man
and society versus machinery. — The master passion of democracy. — Socialism:
History and theory. — Socialism in the making. — From revolution to reform. —
Socialism at work. — Next steps. — A final question. — Appendix.)
Sorel, G., Saggi di critica del Marxismo. Milano, R. Sondron, 1903. 8. 400 pp.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Berkholz, Leo, Die Wirkung der landelsverträge auf Land-
wirtschaft, Weinbau und Gewerbe in Elsaß-Lothringen. Mit einer Vor-
bemerkung von Prof. Dr. C. J. Fuchs. Mit Tabellen. (Volkswirtsch.
Abhandlungen der badischen Hochschulen. Tübingen und Leipzig,
J. C. B. Mohr, 1902.
Das vorliegende Buch enthält 3 Teile: 1) Landwirtschaft (A. Land-
wirtschaft i. e. S, B. Weinbau); 2) Industrie und Gewerbe; 3) All-
gemeines und Schluß — In seiner Behandlung der Landwirtschaft i. e. S.
konstatiert der Verf. einleitend für Elsaß-Lothringen ein Ueberwiegen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 545
der Zahl der in der Landwirtschaft beruflich beschäftigten Personen
gegenüber den in der Industrie Beschäftigten; dies Uebergewicht wird
noch gesteigert durch die Zahl der am Handel mit landwirtschaftlichen
Produkten beteiligten Personen. In der Landwirtschaft herrscht im
allgemeinen der Kleinbetrieb vor, während der Großgrundbesitz haupt-
sächlich im westlichen Lothringen vertreten ist. Aus beigegefügten
statistischen Tabellen geht hervor, daß der Getreidebau stark überwiegt,
trotzdem aber der Bedarf an Brotgetreide durch die eigene Produktion
des Landes nicht gedeckt werden kann. „Für die Deckung dieses
Fehlbetrages hat nun der Getreidehandel Sorge zu tragen, da bei dem
ohnehin schon vorherrschenden Getreidebau eine weitere Ausdehnung
kaum wünschenswert und in Anbetracht der wenig rentablen Ge-
treidepreise kaum verlockend erscheinen dürfte“ Aber nicht nur die
Fehlbeträge in der eigenen Produktion, sondern auch der Umstand, daß
z. B. der „reichsländische Roggen, da er zu leicht ist, von dem Haupt-
abnehmer, den Proviantämtern, zurückgewiesen wird und daher teils
verfüttert wird, teils nach Altdeutschland geht“, macht die Einfuhr
fremder Getreide notwendig. Dies ist der Fall nicht nur bei Roggen
und Weizen, sondern auch bei Gerste und Hafer. Diese Zustände haben
es herbeigeführt, daß die dortigen Landwirte, ganz besonders der über-
wiegende Kleingrundbesitz, an den Zollfragen nur sehr wenig Interesse
haben. „Wenn auch im allgemeinen Elsaß-Lothringen auf die Getreide-
zufuhr angewiesen ist, so hat doch die Landwirtschaft, soweit sie Ge-
treide abgiebt, ein Interesse daran, möglichst gut zu verkaufen, d. h.
ein Interesse an hohen Getreidepreisen“, so folgert der Verf. merk-
würdigerweise weiter. Ebenso befremden muß es, wenn der Verf.
nach seiner Schilderung der vorliegenden Tatsachen abschließend (S. 19)
sagt: „Sei es nun, daß der reichsländische Landwirt Getreide abgibt
— also direkt, oder aber, daß der Stand der Getreidepreise seine übrigen
landwirtschaftlichen Kulturen beeinflußt — mithin indirekt, soweit der
Zoll Einfluß auf die Preise hat — soweit ist er auch hier anzuerkennen,
eine Erhöhung zu begrüßen, eine Erniedrigung zu bedauern.“ — Das
abschließende Urteil des Verf. über die elsal-lothringische Landwirt-
schaft in ihrem Verhältnis zu den Handelsverträgen geht schließlich
(S. 51) dahin, „daß die Zollfrage infolge des im Reichslande vor-
herrschenden Kleinbetriebes, des durch das Neben- und Durcheinander
von Handel, Industrie und Landwirtschaft sich eróffnenden Absatzes
von landwirtschaftlichen Nebenprodukten gegenüber den bei den ein-
zelnen Kulturarten die Hauptsache bildenden Erscheinungen (als beim
Getreidebau — der Unrentabilität im allgemeinen, beim Hopfenbau —
der zu großen Ausdehnung, beim Tabak — der Unbeliebtheit und nicht
genügenden Pflege u. s. w.) in den Hintergrund tritt, am einzelnen
Betriebe wohl meist ohne direkt merkbare Schädigung vorbeigegangen
sein mag, daß andererseits die reichsländische Landwirtschaft auf dem
Gebiete der Landwirtschaftspflege fortschreitend durch die Feldbereini-
gung, besondere Sorgfalt bei der Ernte an Hopfen und Tabak, die bessere
Reinigung des Getreides, richtige Auswahl des Saatgutes und dergleichen
mehr noch manches erreichen kann und dank den Anstrengungen der
Dritte Folge Bd. AXV (LXXX). 35
546 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
verschiedensten Regierungs- und Privatorgane schon erreicht hat und
im weiteren Fortschritte begriffen ist.“ — Also, die Zollfrage hat für
die elsaß-lothringische Landwirtschaft nur ganz verschwindendes Interesse,
die Ursachen für ihre schlechte Lage sind anderweit zu suchen, Mittel,
derselben abzuhelfen, sind vorhanden. Wenn trotzdem eine Erhöhung
der Zölle vom Verf. befürwortet wird, geschieht es offenbar nicht im
Interesse der Landwirtschaft, noch weniger der Gesamtheit, sondern
lediglich um der höheren Zölle willen.
In der nun folgenden „gründlichen Untersuchung der Wein- und
Traubenzollfrage“, auf welche in der Vorbemerkung des Herausgebers
besonders hingewiesen wird, stellt der Verf. fest, daß die Lage des
Weinbaues in Elsaß-Lothringen infolge der gesteigerten Produktions-
kosten und sinkenden Erträge keine besonders günstige ist, obwohl
Elsaß-Lothringen unter den Wein bauenden Gebieten Deutschlands nach
der Anbaufläche die erste Stelle einnimmt. Eine Verschiedenheit ergibt
sich allerdings, je nachdem Weißwein, wie im Elsaß, oder Rotwein, wie
in Lothringen, vorherrschend gebaut wird. Jedenfalls konstatiert der
Verf., daß der Absatz elsaß-lothringischer Weine hauptsächlich im Lande
selbst liegt (der Weinverbrauch betrug 1894 dort 54 1 pro Kopf gegen-
über 4,5—6 1 im Deutschen Reiche), während zur Ausfuhr nach Alt-
deutschland in bedeutenderem Maße fast nur die Claretgewinnung kommt.
— Einer eingehenden Besprechung wird sodann die Herabsetzung des
Faßwein- und des Traubenzolles im Handelsvertrag mit Italien in ihrer
Einwirkung auf die Weinproduktion unterzogen. Das abschließende
Urteil über die Weinzollgesetzgebung faßt der Verf. dahin zusammen,
„daß der Weinzoll in seiner Ermäßigung resp. Neuerung vereinzelt wohl
genützt haben mag, in überwiegender Zahl aber, da den gehegten An-
forderungen keineswegs entsprechend, als der deutschen Weinproduktion,
und diese ist für uns maßgebend, schädlich bezeichnet werden muß“, wobei
allerdings nicht unerwähnt bleiben darf, daß sich der Verf. bei der Be-
handlung dieser Fragen bisweilen in Widersprüche verwickelt, auf die hier
nicht näher eingegangen werden kann, und daß er bei Behandlung der
Weinproduktion lediglich die Interessen der Wein bauenden Landwirte
berücksichtigt, dagegen das Interesse des Konsumenten und des Wein-
händlers gänzlich außer acht läßt. Der Verf. geht noch kurz auf die Mittel,
der Weinproduktion aufzuhelfen (z. B. durch Genossenschaften) ein und
sagt in Beziehung hierauf (S. 80): „Eine Heilung der jetzigen Zustände kann
meiner Ansicht nach ohne gleichzeitige Aenderung der Zollgesetzgebung
nicht gebracht werden, wie und in welchem Umfange eine solche jedoch
vorzunehmen ist, bleibt kompetenteren Urteilen überlassen und wird die
kommende Zeit lehren —.“ — Während der Verf. bis hierher fast ledig-
lich die Verhältnisse Elsaß-Lothringens und zwar zum Nachteil der Dar-
stellung ohne Berücksichtigung derjenigen Gesamtdeutschlands dargestellt
hat, bringt er in der Behandlung der Lage von Industrie und Gewerbe
das Typische, was er aus den vorliegenden spärlichen Berichten ge-
wonnen hat, in Zusammenhang mit der deutschen Gesamtentwickelung,
wobei er, wie er (S. 83) selbst sagt, teils aus Gründen, die dem Thema
der Arbeit entsprechen, teils aus Mangel an Quellen, wie technischen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 547
Kenntnissen, — „ein Mangel, der dem Outsider bei der engen Ver-
flechtung technischer, kommerzieller und zolltarifarischer Momente ein
solches Eindringen unmöglich macht“ —, es vermeidet, sich ins Detail
zu verlieren. Verf. behandelt, gestützt auf Handelskammerberichte und
direkte Umfragen bei Interessenten, die Textilindustrie, die Metall-
industrie, die Industrie der Steine, Erden und Erze, die chemische In-
dustrie, die Lederindustrie und die Papierindustrie. — Das Endresultat
gibt der Verf. im dritten Teil (Allgemeines und Schluf), in welchem
er nach einem kurzen Hinweis auf die geographische Lage des Reichs-
landes zu seinen natürlichen Absatzgebieten, welche als nicht günstig,
besonders infolge zu hoher Eisenbahnfrachten und des Mangels an
Wasserstraßen nach Altdeutschland geschildert werden, die Geschäftslage
vorführt, wie sie sich in der Zeitfolge von dem Jahre 1891 ab vollzog.
Dem wird eine statistische Umschau über die deutsche Volkswirtschaft
und den Weltmarkt angefügt, wobei die Beziehungen Deutschlands
(nicht Elsaß-Lothringens) zu Oesterreich-Ungarn, Großbritannien, Rußland
und den Vereinigten Staaten besondere Berücksichtigung finden. —
Als Resultat konstatiert der Verf. die Tatsache des industriellen Auf-
schwunges, dieselbe ist zum Teil auf die Wirkung der Handelsverträge
zurückzuführen, aber der Aufschwung war „nicht notwendigerweise
und in allen Stücken eine Aeußerung des Vertragswerkes“, ja teilweise
sind die in den Verträgen vereinbarten Zollsätze sogar schädlich ge-
wesen. Die Frage: wie werden sich die Verhältnisse in Zukunft ge-
stalten, erklärt der Verf. für nicht spruchreif. Statt einer genaueren
Untersuchung darüber, welche Wege einzuschlagen wären, um auf Grund
der Erfahrungen der letzten Jahre die Zukunft möglichst günstig zu
gestalten, begnügt er sich mit folgendem Satze: „Wir können nur
wünschen, daß ein Ausgleich geschieht zum Wohle der Eutwickelung
des großen Gemeinwesens, des Deutschen Reiches, und hoffen, daß die-
selben Motive hindurch blicken, die das Werk des Jahres 1892 „die
rettende Tat“ vollbracht.“ Ein Citat aus Wagners Aufsätzen in der
»làgl. Rundschau“ schließt die vorliegende Arbeit ab.
Verf. hat aus den ihm zur Verfügung stehenden Handelskammer-
berichten, Preßnotizen und eigenen Umfragen reichliches Material über
die Lage der Reichslande in der Zeit der Handelsverträge zusammen-
getragen. Einige Fragen, so z. B. die, ob eine Ausdehnung des Ge-
treidebaues in Hinsicht auf die vorhandene Anbaufläche und den Anbau
anderer erforderlicher Landesprodukte noch möglich wäre, oder eine
Darstellung der Lage der Weinproduktion vom Standpunkte anderer an
der Weinproduktion interessierter Stände als des Weinbauern, so des
Händlers, auch der Konsumenten, sowie auch eine Behandlung der
Interessen des für Elsaß-Lothringen infolge seiner Lage und der Not-
wendigkeit der Zufuhr nicht unbedeutenden Handels etc. hätten noch
einer weiteren Bearbeitung bedurft. Ueberhaupt macht es den Eindruck,
daß sich der Verf. durch das Ergebnis seiner doch nicht recht um-
fassenden Umfrage reichlich hat beeinflussen lassen; das „audiatur et
altera pars“ scheint bei dieser Umfrage nicht recht gewahrt zu sein.
Wenn auch in der Arbeit sehr reichliches Material und mit großem
35*
548 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Fleiße zusammengetragen ist, so erscheint es doch als ein Mangel, daß
besonders im ersten Teil das volkswirtschaftliche Gesamtgebiet nicht
genügend berücksichtigt ist, was allerdings vielleicht in der Stellung
des Themas begründet ist. Immerhin erscheinen Zweifel daran berechtigt,
ob eine derartige Studie über ein aus dem Ganzen herausgenommenes
Einzelgebiet für eine Frage wie die Handelsverträge, die auf inter-
nationalem Wege nur für das Staatsganze geregelt werden können,
von großer Bedeutung ist; auf diese Weise werden Einzelinteressen, wie
dies auch bei der Anhörung der Einzelinteressenten durch die Reichs-
regierung geschehen ist, übermäßig in den Vordergrund gerückt. Ob
die reichlich schutzzóllnerischen Resultate tatsächlich in den Ausführungen
selbst und in den diesen zu Grunde liegenden Tatsachen genügend be-
gründet sind, dies zu entscheiden bedürfte längerer Ausführungen, als
an dieser Stelle möglich ist. Jedenfalls muß es stark in Zweifel ge-
zogen werden, daß die vorliegenden Untersuchungen über die Wein-
und Traubenzollfrage eine Korrektur der hierüber bei den Handels-
vertragsfreunden bestehenden Anschauungen bringt, eine Erwartung,
welche der Herausgeber in seiner Vorbemerkung ausspricht.
Halensee. Dr. Leuckfeld.
Fundberichte aus Schwaben, umfassend die vorgeschichtliehen, römischen und
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Sastrow, Barth., Social Germany in Luther’s time: being the memoirs of
Bartholomew Sastrow, trad. by Alb. D. Vandam, with an introduction by Herbert A. L.
Fisher. New York, Dutton, 1903. 8. 349 pp., cloth. $ 2,50.
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Zur Lösung einer der wichtigsten der „unsettled questions“ Nord-
amerikas sucht der Verf. beizutragen. Bis in die Gegenwart hat man
dort an der ablehnenden Haltung gegenüber der Negerfrage festgehalten,
und der Widerstand gegen die freundlichere Richtung des gegen-
wärtigen Präsidenten zeigt, daß hierin zunächst keine Aenderung zu
erwarten ist. Um aber wenigstens ein unbefangeneres Urteil zu er-
möglichen, untersucht Verf., selbst der Sohn eines früheren Sklaven-
halters in den Südstaaten, welches die besonderen Eigenschaften des
Negers sind, die ihn von der übrigen Bevölkerung scheiden. Er wendet
sich zunächst den Vorfahren der amerikanischen Negerbevölkerung, den
westafrikanischen Negern, zu und schildert ihre ethnologischen, religiösen
und wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse. Indem er dann weiter die
Veränderungen behandelt, die sich aus ihrer Verpflanzung nach Amerika
und ihrer schließlichen Befreiung aus der Sklaverei ergaben, sucht er
klarzustellen, wie weit die Neger kulturellen und erziehlichen Einflüssen
zugänglich sind. Das Resultat ist für sie nicht aussichtsvoll: Verf. hält
ihre kulturelle Rückständigkeit für zu groß, um eine vollständige Assimi-
550 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
lation an die weiße Bevölkerung für möglich zu halten. Es werde ihnen
nicht gelingen, den jahrhundertelangen Vorsprung freier Entwickelung
einzuholen.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Anthes, Ed., Beiträge zur Geschichte der Besiedelung zwischen Rhein, Main
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information. — South African imports: Customs duties. — On the country. — On
emigration. — On wage-earners. — On supplying the inner man. — On the house and
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fr. 3,50.
Jacquemart, P. (inspecteur général de l'enseignement technique) et J. F. Bois
(prof. de technologie à Lyon), L'industrie de nos jours. Technologie vulgarisee. Paris,
Ch. Delagrave, 1903. 8. 750 pag. av. grav. fr. 5.—. (Table des matières: Industries
extraetives. — Industries préparatoires, — Industries de l'alimentation. — Industries du
vétement et de la toilette. — Industries du logement et de l'ameublement. — Industries
satisfaisant aux besoins intellectuels.)
de Leener, George (ingen. civil des mines, assistant à l'Institut de sociologie Solvay),
Les syndicats industriels en Belgique. Bruxelles, Misch & Thron, 1903. 8. XXVIII
—335 pag. toile. fr. 8.—.
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VIII—284 pag. fr. 2.—. (Table des matières: I. Le passé: 1. Liberte et reglementation ;
2. L'organisation industrielle avant 1791; 3. L'industrie de 1791 à 1830; 4. L'industrie
moderne avant les cartells et les trusts; 5. Ere de concurrence illimitée (1830—1870). —
II. Les cartells: 1. La cartell; 2. Allemagne. Les cartells allemands; 3. Autriche;
4. France. Les syndicats industriels (eartells) francais; 5. Autres pays étrangers. — III.
Les trusts: 1. Les trusts. Notions générales; 2. Origines des trusts, leur histoire, leur
organisation financière, la surcapitalisation ou mouillage (watering); 3. Avantages &cono-
miques dont bénéfice le trust; 4. L'œuvre économique du trust, son influence sur les con-
ditions du travail, sur le mouvement des prix de vente (bénéfices des trusts), sur l'ex-
portation (le trust de l'Océan); 5. Les partisans des trusts, leurs adversaires: Républi-
cains, démocrates, socialistes, anarchistes, l’action sociale des trusts; 6. La législation et
les trusts; 7. Revue des trusts des Etats-Unis. Statistique; 8. Les fusions (amalgamations)
industrielles en Angleterre et les trusts internationaux; 9. Les syndicats de pure specu-
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Cunningham. Cambridge, Deighton & C°, 1903. 8. XXXVII—176 pp. 7/.6. (Publics
tions of the Cambridge Antiquarian Society, No. 39.)
Campbell, Harry Huse, The manufacture and properties of iron and steel. New
edition, thoroughly rewritten and brought up to date. New York, Engineering & Mining
Journal, 1903. 8. 862 pp., illustr., cloth. $ 5.—.
Education and professions. London, Chapman & Hall, 1903. 8. 374 pp. Da
(Womens library, vol. I.)
Van Vorst, J. and Marie (Mrs.), The woman who toils: being the experiences
of two ladies as factory girls. New York, Doubleday, Page & C°, 1903. 8. 303 pp,
ill., cloth. $ 1,60. (Contents the experiences of two ladies in a Pittsburg pickle fac-
tory, in a mill town of New York, among the clothing makers of Chicago, the Lynn
makers of shoes, etc. etc.)
Wilson, H., Silverwork and jewelry: a textbook for students and workers in
metal. New York, Appleton, 1903. 12. 351 pp. with diagrams, eloth. $ 1,40.
Workhouse accounts. Report of Departmental Committee on the methods of keep-
ing accounts, with evidence. London 1903. Folio. 1/.3.
Young, T. M, The American cotton industry: a study of work and workers:
with an introduction by Elijah Helm. New York, Scribner, 1903. 12. cloth. $ 0,80.
6. Handel und Verkehr.
Meyer, Hans, Prof. Dr, Die Eisenbahnen im tropischen Afrika.
Eine kolonialwirtschaftliche Studie. Mit einer Eisenbahnkarte von Afrika.
Leipzig (Duncker & Humblot) 1902. gr. 8%. 186 SS. Preis 4,80 M.
Der Verfasser hat das zerstreute und schwer zugängliche Tatsachen-
material über die Eisenbahnen im tropischen Afrika zu einer übersicht-
lichen Studie verarbeitet, in der er diese Bahnen und Bahnprojekte,
nach großen geographischen Provinzen geordnet, einer kritischen Be-
urteilung unterzieht.
In der ersten Gruppe schildert er uns alle Bahnen, die sich um
das riesige Nigerbecken gruppieren. Als interessanteste Tatsache er-
scheint hier die Baumethode, die von der französischen Dahomeykolonie
angewendet wird. Beiihr fällt der Bau nicht völlig der konzessionierten
Bahngesellschaft zur Last, sondern die Kolonie stellt den Unterbau her,
während die Gesellschaft nur den Oberbau ausführt und die Bahn
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 553
betreibt. Diese Arbeitsteilung erklärt sich aus den Arbeiterverhältnissen.
Aus freien Stücken kommen die Eingeborenen nicht zur Arbeit, wohl
aber, wenn die Häuptlinge vermitteln. Auf die Häuptlinge kann jedoch
nur die Regierung und nicht die Bahngesellschaft einwirken. Es liegt
also ein indirekter Zwang zur Arbeit vor, der nach den französischen
Berichten, denen Meyer sich anschließt, nicht nur im allgemeinen zum
Segen der zwar gezwungenen, aber zugleich bezahlten Arbeiter wie der
Entwickelung der Kolonie gereicht, sondern auch finanziell dank der
meister- und musterhaften Behandlung der Arbeiter seitens der fran-
zösischen Ingenieure es bewirke, daß die Kosten des Unterbaues billiger
seien als die unter gleich schwierigen Bodenverhältnissen in Frankreich
zu zahlenden.
Die zweite Gruppe umfaßt die belgischen und französischen Bahnen,
die das ungeheure Becken des Kongo und seiner Zuflüsse zum Ziele
haben. Hier hebt der Verfasser hervor, daß die großartigen Erfolge der
belgischen Kongoeisenbahn allein in dem staatlich organisierten Aus-
beutungs- und Ausplünderungssystem ihre Erklärung finden, weiches die
Kolonialwirtschaft des Kongostaates kennzeichnet. Ich halte das nur
für teilweise richtig. Die überaus interessanten Streitigkeiten über die
Auslegung des Lastenheftes der Bahngesellschaft, das nach der Meinung
des Kongostaates eine energische Mahnung seiner Tarifhoheit nicht aus-
schließt, sind durch die Veröffentlichungen in der belgischen Kammer.
aus Anlaß der Verstaatlichungskampagne beleuchtet worden, eine Prognose
über die Dauer der glänzenden Erträge ist aber heute noch nicht mög-
lich. Meyer geht hierüber vollständig hinweg und scheint mir die
Wirkung der vielgetadelten Domanialpolitik für den Verkehr der Um-
gehungsbahn zu überschätzen. So sehr ich der neuerdings eingeleiteten
Bewegung gegen das völkerrechtswidrige Vorgehen des Kongostaates
den besten Erfolg wünsche, so fraglich erscheint es mir doch, ob sie
zum Ziele führen wird. Ich fürchte vielmehr — was ich schon im
Frübjahr 1900 aussprach, als ich in Schmollers Jahrbuch die außer-
ordentlich interessante Domanialpolitik des Kongostaates behandelte —
daß nämlich die sehr kluge und äußerst geschickte kongostaatliche
Politik ein ihr unangenehmes Zusammengehen der anderen Mächte immer
zu hintertreiben wissen wird.
In der dritten Gruppe finden wir die portugiesischen, deutschen
und englischen Bahnen in Südwestafrika, in der vierten die südost-
afrikanischen in Rhodesien. Hieran schließt sich als fünfte das große
hydrographische Gebiet der ostafrikanischen Seengruppe mit seinen
portugiesischen, englischen und deutschen Bahnen, ausschließlich der
Ugandabahn. Diese bildet als Bahn des zum Nilsystem gehörigen
Viktoriasees eine Gruppe für sich. Ihr folgen als siebente die Bahnen
des mittleren Nilgebietes mit ihren Zugängen vom roten Meer her,
während die achte Gruppe durch die Bahnen der tropisch-afrikanischen
Inseln Madagaskar, Reunion, Mauritius gebildet wird.
Jede einzelne Bahn betrachtet Meyer nach der Ursache ihrer Er-
bauung, der Art ihrer Ausführung, der Länge ihrer Erstreckung, den
Kosten ihres Baues und Betriebs und den wirtschaftlichen Wirkungen
554 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ihres Bestehens. Am Schluß seiner Arbeit faßt er die Ergebnisse seiner
Untersuchung in allgemeine Sätze zusammen. Der Raum verbietet mir,
näher auf sie einzugehen. Ich muß mich bescheiden, hervorzuheben, daß
sie sich ebenso fern von kolonialem Optimismus wie Pessimismus halten
und die lebhafte Aufmerksamkeit aller derer verdienen, die sich über
Eisenbahnfragen im tropischen Afrika zu unterrichten wünschen. Es
ist mir kein Buch bekannt, aus dem in ähnlich leichter und angenehmer
Weise die sonst nur mit vieler Mühe und großem Zeitaufwand erreichbare
Belehrung sich schöpfen ließe.
Für eine zweite Auflage möchte ich dem Verfasser anheimgeben,
seinem Buche ein Kapitel anzuhängen, das ich ungern vermißt habe.
Ich meine eine Untersuchung, die die Rentabilität des neuesten Verkehrs-
mittels, der Automobile, der der Eisenbahnen gegenüberstellt und einer
vergleichenden Würdigung unterzieht. Wenn die Tsetsefliege im tropischen
Afrika auch den Wagenverkehr unmóglich macht, dem Automobil kann
Sie nichts anhaben, und die hóchst lehrreichen Versuche, die die Fran-
zosen auf diesem Gebiete unternehmen, haben jedenfalls den Beweis ge-
liefert, daß für koloniale Erschließung das Automobil ein wichtiger Faktor
zu werden verspricht.
Jena. G. K. Anton.
e Borgius, Dr. W., Jahrbuch des Handelsvertragsvereins für das
Jahr 1901. Berlin, C. Liebheit u. Thiesen. gr. 8°. 350 SS.
Der im November 1900 gegründete Handelsvertragsverein ist Ja, was
sein Name besagt, ein Verein. Ein Verein muß einen Zweck haben. Kund-
gebungen, die von ihm ausgehen, müssen tendenziós sein. Der Handels-
vertragsverein hat während seiner noch nicht anderthalbjährigen Lebens-
dauer eine Fülle von Kundgebungen ausgehen lassen. Sie sind alle
tendenziós; aber sie dürfen durchweg das Prädikat, wissenschaftlich zu
sein, für sich geltend machen, wenn man darunter das Suchen und Dar-
stellen der Wahrheit versteht. Auch dient der Verein und dienen alle
seine Kundgebungen nicht den Interessen irgend einer Gruppe, irgend
eines Berufsstandes, irgend eines besonderen Interessentenkreises inner-
halb des Volkes, sondern denen des gesamten Volkes. Mit reineren
Händen und mit vornehmeren Waffen, als die er führt, ist keine Partei,
keine Richtung, keine Gruppe in den Kampf gegangen, der ihn auf
den Plan gerufen. Und auch um deswillen verdienen seine Kuud-
gebungen eine weitere und dauerndere Beachtung, als Tausende von
anderen Auslassungen, die man jetzt in dem Streit um Zollgesetz und
Zolltarif zu lesen bekommt, ja auch als fast alle offiziellen und offiziósen.
Dr. W. Borgius, der Geschäftsführer des Vereins, hat sich durch
die Herausgabe des Jahrbuches nicht nur um die Sache, der es dient,
sondern um die handelspolitische Aufklàrung, um die Klarstellung der
Streitpunkte, um die Charakteristik der streitenden Parteien, um die
Darbietung alles nótigen Informationsmateriales in hohem Grade ver-
dient gemacht. Sein Jahrbuch ist nicht ein Rechenschaftsbericht im
gewöhnlichen Sinne des Wortes, und doch ein Führer durch die Wege,
welche der Verein in seiner unablässigen und ersprießlichen Arbeit
bisher gegangen ist, wie er willkommener nicht gefunden werden kann.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 555
Ob er uns einführt in die verschiedenen Formen und Betätigungen der
agitatorischen Arbeit des Vereins (Abschn. I), ob er uns die handels-
politische Bewegung der letzten Jahre schildert (II) oder die wirt-
schaftlichen Interessenvertretungen und die politischen Parteien des
Deutschen Reiches und ihre Programme uns vor Augen führt (III u.
IV) oder die handels- und zollpolitischen Beziehungen Deutschlands
zum Auslande (VI) charakterisiert — immer bleibt er objektiv und
steht er über den Sachen. Aeußerst wertvoll ist eine Gegenüberstellung
des bestehenden Zolltarifgesetzes mit dem Entwurfe des neuen (VII),
ferner eine vergleichende Uebersicht der Zollsätze für die wichtigsten
landwirtschaftlichen Produkte nach dem geltenden Tarif, dem neuen
Tarifentwurf und den agrarischen Forderungen (VIII); nicht minder
endlich die handelspolitische Statistik, welche der letzte Abschnitt (IX)
enthält.
Die Aufnahme einer Abhandlung des Oberst a. D. Dr. von Renauld,
betitelt: „Wer trägt die Lasten der deutschen Wehrkraft“ (Abschn. V)
wird von allen unbefangenen Lesern mit Dank begrüßt werden.
Freunde und Gegner des Handelsvertragsvereins — alle werden,
wenn sie unbefangen urteilen wollen, in diesem Jahrbuche eine Schatz-
grube reichen und zumal jetzt für alles Wirken in der Oeffentlichkeit
unentbehrlichen Wissens erblicken. A. Emminghaus.
Voßberg-Rekow, Die Zolltariffrage und ihre Begründung.
Im Auftrage der Zentralstelle für Vorbereitung von Handelsverträgen.
Berlin, J. Guttentag, 1902. 8°. 62 SS.
Der Verfasser eines der tätigsten Mitglieder der auf dem Titel ge-
nannten Zentralstelle unterwirft namens dieser, aber ohne seine per-
sönliche Anschauung, wo sie etwa mit der der Mehrheit der Auftrag-
geber nicht übereinstimmen sollte, zurückzuhalten, die neue Zollvorlage
und ihre Begründung einer kritischen Beleuchtung. Die Schrift zerfällt
in fünf Hauptabschnitte: „Die äußere Gestaltung des neuen Tarifs“.
„Systemwechsel“, „Ist der Systemwechsel begründet?“ „Was die Motive
beweisen“, „Schluß“. Es befremdet uns, einen so genauen Kenner der
Materie das Schema des neuen Tarifs rühmen zu hören und ihn dann
unangenehm überrascht zu finden über den handelspolitischen System-
wechsel, der sich in der Ausfüllung dieses Schemas und im Zollgesetz
bekunde. Andere Beurteiler erblickten wohl mit Recht in dem Schema
gleich bei seinem Erscheinen einen deutlichen Vorboten des bevor-
stehenden Systemwechsels. Wenn man an dem Grundsatz der Zoll-
freiheit der Waren nicht festhalten, wenn man nicht einen erheblichen
Fortschritt nach der Seite des Schutzes hin machen will, braucht man
nicht einen Tarif von 946 wie immer gut systematisch ein- und unter-
geordneten Positionen. Freilich wird, wie der Verf. überzeugend nach-
weist, der Systemwechsel auch durch die Einführung des Minimaltarifs
für Getreide, durch Art und Ausmaß der Zollsätze, durch die Stellung-
nahme, zur Meistbegünstigungsfrage, durch die deutlich bekundete Ten-
denz nach der Zollautonomie hin, also durch Momente, die mit dem
Tarifschema nichts zu schaffen haben, genügend gekennzeichnet. Ein-
leuchtend weist der Verf. nach, daß dieser ganze Systemwechsel lediglich
556 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ein Produkt der agrarischen Herrschaft — um nicht zu sagen „Dik-
tatur“ — und daß er das gefährlichste Hindernis einer auch von der
Regierung augenscheinlich gewollten Handelsvertragspolitik sei. Der
Nachweis, daß in der Begründung zum Gesetz und Tarif die Not-
wendigkeit gerade der einschneidendsten Neuerungen und ihrer angeblich
wohltätigen Wirkungen zu beweisen kaum versucht werde und daß da,
wo die Motive den Versuch eines Beweises unternehmen, aus dem An-
geführten eher das Gegenteil, als das, was bewiesen werden soll, zu
entnehmen sei, scheint uns vorzüglich gelungen.
Der Verf. erblickt mit Recht in der Vorlage nicht ein Ergebnis
volkswirtschaftlicher Erkenntnis, vernunftgemäßer Erwägung, sondern
die Forderung und den Ausdruck einer bestimmten politischen und
sozialen Richtung. Wer mit uns ihm hierin beistimmt, muß die grobe
allgemeine Bedeutung des dem deutschen Volke durch die Vorlage auf-
gedrungenen Kampfes ermessen. Mahnungen, wie sie diese in der
vorliegenden Schrift vertretene Anschauung enthalten, können uns nicht’
ernst und eindringlich genug zugerufen werden.
A. Emminghaus.
Bericht, LXXIL, der beiden Verwaltungskörper der Ludwigs-Eisenbahngesell-
schaft in Nürnberg. Nürnberg, J. L. Stich, 1903. gr. 4. 29 SS.
Bericht des Vereins zur Förderung der Elbschiffahrt in Magdeburg für das Jahr
1902. Magdeburg, Panse'sche Buchdruckerei, 1903. gr. 4 47 SS. mit 1 graph. Dar-
stellung.
Exportkompaß 1903. ` Kommerzielle Jahrbuch für die Interessenten des öster-
reichisch-ungarischen Ausfuhrhandels. Jahrg. XV. Wien, Volkswirtsch. Verlag A. Dorn,
1903. gr. 8. XXII—227, 361, 22 u. 370 SS., geb. M. 13,50.
Grothe, Hugo, Die Bagdadbahn und das schwäbische Bauernelement in Trans-
kaukasien und Palästinagedanken zur Kolonisation Mesopotamiens. München, J. F. Leh-
manns Verlag, 1902. gr. 8. M. 1,20,
Jahresbericht der Handelskammer zu Berlin für 1902, Berlin, Druck von H.
S. Hermann, 1903. Lex.-8. X—367 SS.
Kurs, V., Hohenzollernsche Wasserstrassenpolitik im Gebiete zwischen Oder und
Elbe. Ein Vortrag. Hannover, Hofbuchdruckerei Gebr. Jünecke, 1902. 8. 60 SS. mit
5 kartographischen Beilagen. M. 1,80.
Leéder, Osk. und Heinr. Rosenberg, Die Umgestaltung der Eisenbahngüter-
tarife Oesterreichs. Eine Studie zur Frage der Verstaatlichung der Privatbahnen. Wien,
A. Hólder, 1903. gr. 8. 51 SS., mit 1 Karte. M. 1.—.
Lusensky, F., Der zollfreie Veredlungsverkehr. Berlin, ©. Häring, 1903. gr. 8.
VI—217 S8. M. 5.—.
Vollmöller, Dora, Die Fürsorge für die Handlungsgehilfinnen, Ein Vortrag.
Dresden, H. Burdach, 1903. 8. 16 SS. M. 0,40,
Werner, G. (Landrichter, Magdeburg), Vortrüge über das Binnenschiffahrtsrecht.
Gehalten im Oktober und November 1902. Magdeburg, Heinrichshofen, 1903. gr. 8.
(Herausgeg. von der Handelskammer zu Magdeburg.)
Ardouin-Dumazet, L'Europe centrale et ses réseaux d'Etat. Paris, Berger-
Levrault, 1903. 8. 342 pag. fr. 2,50.
Compte rendu des séances du 26° congrès des ingénieurs en chef des associations
de propriétaires d'appareils à vapeur, tenu A Paris en 1909. Paris, impr. E. Capio-
mont & C", s. a. (1903). gr. in-8. 259 pag.
Gauckler, P. Le port d'Alger (1530 A 1902). Alger, impr. Chaix, 1902. 8.
135 pag. et 4 plans.
Huisman, Michel, La Belgique eommerciale sous l'empereur Charles VI. La Com-
pagnie d'Ostende. Etude historique de politique commerciale et coloniale. Bruxelles,
H. Lamertin, 1902. gr. in-8. XII—556 pag. fr. 10.—. (Table des matières: Le traité
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 557
de la Barrière et l’origine de l'expansion maritime dans les Pays-Bas Autrichiens. —
Les premières factoreries belges en Orient et l'antagonisme des provinces-unies. — Les
causes de la fondation de la Compagnie d’Ostende. — La constitution de la Compagnie
des Indes. — Les premières expéditions de la Compagnie d'Ostende, — Les ligues de
Vienne et de Hanovre. — L'âge d'or de la Compagnie d'Ostende. — La controverse
juridique. — La suspension de la Compagnie d'Ostende. — La chute de la Compagnie
d'Ostende et son commerce indirect. — La situation commerciale des Pays-Bas à la fin
du règne de l'empereur Charles VI.)
de La Ruelle, J. (redacteur au ministere des travaux publies), Contróle des che-
mins de fer et des tramways. Tour, impr. Deslis freres, 1903. 8. 739 pag. fr. 12.—.
Livre d'or de la Société libre d'émulation du commerce et de l'industrie de la
Seine-Inférieure. Rouen, impr. Gy, 1903. 8. 107 pag.
Valery, Jul. (prof. de droit commercial à l'Université de Montpellier), Maison de
commerce et fonds de commerce. Paris, Arth. Rousseau, 1903. 8. 71 pag. fr. 2,50.
Colonial import duties, 1902. Return relating to the rates of import duties levied
upon the principal and other articles imported into the colonies and other possessions of
the United Kingdom. (Duties in force, so far as notified to the Board of trade, as date
of issue of this return, November 1902.) London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1902.
8. XI—459 pp. 2/.—.
English timber and its economical conversion, by „acorn“. A handbook for home
timber merchants, manufacturers, growers etc. London, W. Rider, 1903. 8. VIII—
208 pp. 3./6.
Export merchant shipper's directory for 1903. London, Dean, 1903. 8. 15/.6.
Fraser, John, English railways. Statistieally considered. London, E. Wilson,
1903. 8. 288 pp. 5/.—.
Hitchcock, Frank H., Trade of Denmark. Washington, Government Printing
Office, 1903. 8. 88 pp. with map. (United States Department of Agriculture, section
of foreign markets, bulletin n° 9.)
How to enforce payment of debt. An easy guide to business men. By a lawyer.
London, Richards, 1903. 8. 120 pp. 2/.—.
Latim er, J., The history of the Society of merchant venturers of the city of Bristol.
Bristol, Arrowsmith, 1903. Imp.-8. 345 pp. 21/.—.
„Shipping world“ year book, the. A desk manual in trade, commerce, and
navigation. XVII* yearly edition. Edited by Evan Rowland Jones, 1903. London,
„Shipping World“ Office, 1903. 8. XLVIII—1248 pp. With new map, cloth. 6/.—.
Relazione sull' esercizio delle strade ferrate Italiane per l'anno 1900. Roma,
tip. dell'Unione cooperativa editrice, 1902. Roy. in-4. XXIII—720 pp. c. carta max.
in Folio. (Pubblicazione del Ministero dei lavori pubblici, R. Ispettorato generale delle
strade ferrate.)
Dixi, Uit de vakbeweging onder handels- en kantoorbedienten. Rotterdam, Joh.
Pieterse, 1903. gr. 8. 61 blz.
Heeres, J. E, De Oost-Indische Compagnie; ter herinnering (20 Maart 1602).
's Gravenhage, Mart. Nijhoff, 1902. 8. 30 blz. fl. 0,50.
Verslag der exploitatie van den Sumatra-Staatsspoorweg en van de Ombilinmijnen
over 1891. ’s Gravenhage, M. Nijhoff, 1902. 8. 45 blz. met tabellen. fl. 1,50. (Uitgave
van het Ministerie van kolonien.)
7. Finanzwesen.
E. Zimmermann, Finanzrat, Das Wechselstempelsteuergesetz
vom 10. Juni 1869 nebst den Ausführungsbestimmungen des Bundesrats
vom 8. Màrz 1901. Mit Erlàuterungen. Karlsruhe, G. Braunsche Hof-
buchdruckerei, 1902. 112 SS. 2,20 M.
Das vorliegende Buch ist ein sehr sorgfältig gearbeiteter Kommentar
zum Wechselstempelsteuergesetz. Die Erläuterungen sind mit besonderen
sachlichen Ueberschriften versehen, die einen guten Ueberblick gewähren,
und sind ihrer Fassung nach recht klar und auch praktisch angeordnet.
Sachlich konnte ich nur Treffliches finden, da die Erklärungen er-
schöpfend sind und doch sich der Knappheit befleiligen. Die ein-
558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
schlägigen Gerichtsentscheidungen sind sorgsam berücksichtigt worden.
Umrechnungstabelle und solche Angaben, die man gleich bei der Hand
haben möchte, sind beigefügt. Ein Sachregister erleichtert die Be-
nutzung. Bei notwendigen historischen Bemerkungen sind insbesondere
die preußischen und badischen Rechtsverhältnisse berücksichtigt.
Der kleine Kommentar gehört nach alledem zu den Werken, die
man als zuverlässige und angenehm zu handhabende gern zu den brauch-
baren Nachschlagebüchern rechnet.
Jena. A. Elster.
Keller, Frz., Die Verschuldung des Hochstifts Konstanz im 14. u. 15. Jahr-
hundert. Eine finanzgeschichtliche Studie. Nach archivalischen Quellen bearbeitet,
Freiburg i. B., Herder, 1903. gr. 8. VIII—104 SS. M. 2.—.
Henry, Jos. (avocat prés la Cour d'appel de Bruxelles), L'impót sur les revenus
professionnels. Louvain, Ch. Peeters, 1903. 8. VI—107 pag. fr. 3.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Vigelius, Carl, Handbuch für Sparkassen. Breslau 1902.
375 SS. 6 M.
Der Syndikus der Kreissparkasse in Gnesen hat hier die für Spar-
kassen in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen und die
Grundlagen der technischen Organisation der Sparkassen für den Ge-
brauch der Praxis mit grofler Gründlichkeit klar, übersichtlich und
knapp zusammengestellt. Es handelt sich also nicht um eine wissen-
schaftliche Darstellung des Systems der Sparkassentätigkeit, sondern
lediglich um ein praktisches Hand- und Nachschlagebuch für Kuratorien
und Beamte von Sparkassen. Diesen Zweck erfüllt das Buch meines
Erachtens vollständig. Ein gutes Sachregister erleichtert dıe Benutzung
wesentlich. Von besonderem Wert sind die Formulare und Muster,
sowie das Normalstatut. Verf. präzisiert die Aufgabe seines Buchs
selbst dahin, daß es bestimmt sei, in allen regelmäßigen Geschäftsvor-
fällen einer öffentlichen Sparkasse juristisch und technisch Auskunft zu
erteilen. Eine systematische Darstellung der gesetzlichen Bestimmungen,
der ministeriellen Erlasse, der Judikatur, und dies meist zugleich auch
für die übrigen Bundesstaaten, nicht nur für Preußen — hiermit bietet
Verf. etwas Neues und kommt zweifellos einem Bedürfnis entgegen,
das vielleicht mehr noch beim Publikum als beim Sparkassenbeamten
besteht. Es scheint mir allerdings, als ob der technische Teil (nur 24
von 332 Seiten) zu stiefmütterlich behandelt ist. Er bringt nur eine
Programmskizze zweckmäliger Organisation der Sparkassenverwaltung,
wührend wohl auch hier selbst für Sparkassenbeamte kurze Begründungen
am Platze wären. Solche ergeben sich ja im juristischen Teil vieltach
von selbst, in diesem Teil ist sogar erfreulicherweise gelegentlich ein
kleiner Streifzug ins Volkwirtschaftliche gemacht worden. In letzterer
Beziehung ist hervorzuheben der im Wortlaut mitgeteilte Erlaß des
preußischen Ministers des Innern (vom 18. April 1856) über die Auf-
gaben der Sparkassen (S. 38) und die Ausführungen über das wichtige
Projekt eines Zentralinstituts für die öffentlichen Sparkassen (S. 252 ff).
Ich würde es für einen Vorteil halten, wenn kurze volkswirtschaftliche
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559
Bemerkungen noch der Frage der Begrenzung des Geschäftskreises der
Sparkassen, ferner bei Erörterung der juristischen Natur der Sparkassen-
einlage einige Worte der Begründung der verschiedenen Theorien, sowie
ihrer etwaigen praktisch-geschäftlichen Tragweite gewidmet würden.
Sorau N.L. Fritz Schneider.
Davis, Andrew Mc Farland, Currency and Banking in the
Province of the Massachusetts-Bay. Publications of the American
Economie Association, New York 1901.
Die eingehenden Untersuchungen des Verf. über Geld- und Bank-
wesen einer amerikanischen Provinz während des 17. und 18. Jahr-
hunderts sind im wesentlichen nur für dortige Leser von grölerem
Interesse, wenn sich auch daneben beachtenswerte Bemerkungen über
die ganzen wirtschaftlichen Verhältnisse jener Zeit finden. So sind die
Kapitel über die Vorgeschichte der Bank von England und über eng-
lische Anschauungen über das Bankwesen vom 16. bis zum 18. Jahr-
hundert für jeden Leser von Bedeutung.
Reiches Urkundenmaterial, das teilweise in photographischer Ver-
vielfältigung mitgeteilt wird, liegt dem Buche zu Grunde und gestattet
einen Einblick in das Rechts- und Verkehrsleben jener Zeit.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Arbeiterversicherungskongreß. VI. Tagung, Düsseldorf, 17. bis 24. Juni
1902. Veröffentlichung des deutschen Organisationskomitees. Breslau-Berlin, C. T. Wis-
kott, 1902. gr. 8. LXXVIII—1074 SS. Aus dem Inhalt. Referate: Die wirtschaftliche
und politische Bedeutung der deutschen Arbeiterversicherung, von J. Bódiker. — Die
Arbeiterversicherung in Europa nach ihren Systemen, von Zacher. — Essai de pro-
gramme d'une statistique internationale des accidents du travail dans l'exploitation des
chemins de fer, par V. Magaldi. — Gegenwürtiger Stand der Unfallverhütung in Oester-
reich, von Rob. Marschner. — Die Bekämpfung der Trunksucht in ihrer Bedeutung für
die Arbeiter-, Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversicherung, von J. Waldschmidt. —
Gegenwürtiger Stand der Frage der Berufsunfälle und der sozialen Versicherung in der
Sehweiz, von Chiist. Moser. — Résultats des concours publies internationaux ouverts par
PaAssociation des industriels de France contre les accidents du travail, par H. Mamy. —
Diminution des risques d'accidents dans les houillères françaises depuis 1833, par Oct.
Keller. — Das erste Dezennium der Arbeiterunfallversicherung in Oesterreich, von
Karl Kógler. — De la coopération des compagnies à primes fixes d'assurance contre les
accidents à la réparation des aecidents du travail, par Ed. Vermot. — Du róle de la
mutualité des assurances libres contre les accidents du travail, par Alb. Gigot. —
Première application de la législation française sur les accidents, par G. Paulet. — Die
Fórderung des Rettungswesens und des Roten Kreuzes durch die sozialpolitische Gesetz-
gebung des Deutschen Reiches, von Max Schlesinger. — Die Weiterentwickelung der
Arbeiterversicherung in Oesterreich, von Julius Kaan. — Die Pensions. und Hilfs-
kassen der fünf schweizerischen Hauptbahnen, von R. Leubin. — Le projet de loi belge
sur la réparation des dommages résultant des accidents du travail, par L. Wodon. —
La prévention des accidents du travail par le signalement du danger au moyen d'une
coloration spéciale. par G. Villani. — Les pensions de vieillesse en Belgique, par Jean
Dubois. — Die Arbeitergesetzgebung im Großherzogtum Luxemburg 1900—1902, von
H. Neuman. — De la marche suivie en Italie par le développement de la prévention
des accidents du travail, par Ern. de Angeli. — Développement de la caisse nationale de
prévoyanee pour l'invalidité et pour la vieillesse des ouvriers en Italie, par V. Magaldi.
— Einfluß der deutschen Arbeiterversicherung auf die Verhütung und Bekämpfung von
Volkskrankheiten, von Bielefeldt. — Des principes de l’organisation de l'assurance des
veuves et des orphelins, par Maur. Bellom. — Die Entwickelung der Unfallverhütungs-
technik in Deutschland, von Konr. Hartmann. — De la nécessité d'un enseignement de
560 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
la médecine des accidents du travail, par L. Bernacchi. — Die deutsche Unfallstatistik
für Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft, von G. A. Klein. — L’assistance sociale aux
ouvriers en Allemagne, par (M"*) Laur. Fiedler. — Die Entwickelung der österreichischen
Unfallversicherung auf Grund des Kapitaldeckungsverfahrens, von O. Pribram. — Wor-
kingmen’s insurance in the United States, by Gust. A. Weber. — Considérations sur la
loi italienne sur les accidents du travail, par A. Lucei. — La question de la réparation
des accidents du travail en Belgique, par Louis Maingie. — L'institution de caisses
pour la maternité en Italie, par H. Seodnik. — Les accidents du travail en Italie, par
V. Magaldi. — Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterversicherung in Deutschland
von T. Bódiker. — etc.
Assekuranzkompaß. Jahrbuch für Versieherungswesen, hrsg. von (Bankkontrol.)
G. J. Wischniowsky. Jahrg. XI. Wien, M. Perles, 1903. gr. 8. XIV—912 SS. gr. 8.
geb. M. 20.—.
Bauer, Ph. (Assistent am großherz. statistischen Landesamt in Karlsruhe), Die
Aktienunternehmungen in Baden. Ein Beitrag zur Kenntnis der großindustriellen und
Verkehrsentwiekelung des Landes. Karlsruhe, Macklotsche Buchhdl., 1903. gr. 8.
372 SS. M. 10.—.
Bódiker, T. (Wirkl. GehORegR.), Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiter-
versicherung in Deutschland. Breslau-Berlin, C. T. Wiskott, 1902. gr. 8. 22 SS.
(Den Mitgliedern des 6. internation. Arbeiterversicherungskongresses zu Düsseldorf ge-
widmet.)
Funke, Ernst und Walter Hering (kais. exp. Sekretüre im Reichsversiche-
rungsamt), Die reichsgesetzliche Arbeiterversicherung (Kranken-, Unfall- und Invaliden-
versicherung). Wer ist versichert? — Ansprüche der Versicherten; Verfolgung der An-
sprüche; Kosten des Verfahrens. Für die Versicherten dargestellt. Berlin, Frz. Vahlen,
1903. 8. 116 SS. M. 0,50.
Herbler, V. (oberöst. OLandesR.), Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen
in Oberösterreich. Ein Beitrag zum Ausbau der genossenschaftlichen Organisation der
Landwirtschaft in Oberösterreich. Linz, Verlag des katholischen Preßvereins, 1903. 8.
108 SS. M. 0,90.
Hübschmann, Arthur, Die obligatorische Mobiliarbrandversicherung in der
Schweiz. Leipzig, A. Deichert, 1903. gr. 8. 91 SS. M. 2,40. (Wirtschafts- und Ver-
waltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung Bayerns, herausgeg. von G. Schanz,
Bd. XVII.)
Lindenberg, O., 50 Jahre einer Spekulationsbank. Ein Beitrag zur Kritik des
deutschen Bankwesens. Berlin, A. W. Hayns Erben, 1903. gr. 8. 246 SS. M. 5.—.
Muntendorf, V. (Direkt. d. k. k. priv. mährischen Escomptebank, Brünn),
Defraudationsschutz. Ein Beitrag zum Kapitel der Bureauorganisationen mit besonderer
Berücksichtigung der Kreditgenossenschaften. Brünn, Winiker & Schickardt, 1903. gr. 8.
V—163 SS. M. 3,30.
Zacher (kais. GehRegR.), Die Arbeiterversicherung im Auslande. Heft I*. Die
Arbeiterversicherung in Dänemark. I. Nachtrag zu Heft 1 (der Arbeiterversicherung
i. A.) Berlin-Grunewald, A. Troschel, 1903. gr. 8. 65 SS. M. 2.—.
Almanach de la coopération francaise pour 1902 (10° année) Edité par E. de
Boyve. Paris, impr. Mangeot, 1902, 12. 95 pag. fr. 0,40.
L'annuaire parisien de la banque et de la bourse pour 1903. Année 19. Paris,
impr. Cayeux, 1903. 12. 82 pag. fr. 1.—.
Artibal, Jean, L'assurance ouvrière en France et à l'étranger. Paris, chez
l'auteur 29,- rue d'Argenteuil, I", 1902. 8. 54 pag.
Co-operative Wholesale Societies Annual, the, for 1903. London, P. S. King
& Son, 1903. gr. S. With numerous photographs and illustrations, cloth. 4/.6. (Con-
tents: Comparative progress of wholesale and retail co-operative societies in the United
Kingdom. — The British islands, their resources in live stock. — Co-operation in other
lands, by W. H. Wolff. — Education in England and Wales in 1902, by T. J. Macna-
mara. — Land settlement for workmen. — Robert Owen as a social reformer. —
Productive co-operation, its principles and methods, by H. W. Macrosty. — Social
movements and reforms of the Nineteenth century, by G. H. Wood. — Sugar question
in 1902, by W. M. J. Williams. — Wages and conciliation bourds, ete.)
Nelson, 8. Armstrong, The ABC of stock speculation. New York, Nelson,
1903. 12. 226 pp., cloth. $ 1,50. (Nelson's Wall street library, vol. V.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 561
Pratt, S. S., The work of Wall Street. London, Appleton, 1903. 8. 5/.—.
Scott, W. Amasa, Money and banking: an introduction to the study of modern
currencies. New York, Holt & C», 1903. 8. 10; 381 pp., cloth. $ 2.—. („The book's
subject is modern currency, and it aims to analyze and explain the complex media of
exchange of the great nations of the present day in such a way as to reveal the nature
and workings of each element and the relations between them all"; it includes a dis-
cussion of banks in their relation to the currency, of the various forms of government
notes, and of the machinery and methods of international exchange.)
Atti della cassa nazionale di assicurazione per gli infortuni degli operai sul lavoro.
Verbale della seduta del 30 Ottobre 1902 del Consiglio superiore e bilancio consuntivo
del 1901. Milano, tipogr. E. Reggiani, 1903. Lex. in-8. 77 pp.
Jaarboekje voor 1903, uitgeg. door de Vereeniging voor levensverzekering. Amster-
dam, van Holkema & Warendorf, 1903. 8. 355 en blz. fl. 2.—.
Verzekering tegen de geldelijke gevolgen van werkloosheid. Rapport, uitgebracht
door de commissie van onderzoek, benoemd door den gemeenteraad in zijne vergadering
van 20 VI 1900. Rapporteur G. W. Sannes. Amsterdam, Joh. Müller, 1903. gr. 8.
2 en 115 blz. fl. 0,50.
9. Soziale Frage.
Ca’canny. (Nur immer hübsch langsam!) Ein Kapitel aus der
modernen Gewerkschaftspolitik von W. G. H. von Reiswitz, Gencral-
sekretär des Arbeitgeberverbandes Hamburg-Altona. Berlin 1902. Verlag
von Otto Elsner. 98 SS.
Den wesentlichen Inhalt dieser Schrift bildet eine geschickte Ueber-
setzung der Angriffe, die von der „Times“ vor einigen Monaten gegen
die englischen Gewerkvereine gerichtet wurden. Daß Cobden in „Kobden“
verwandelt wurde (S. 2), ist allerdings eine zu weitgehende Verdeut-
schung, während andererseits die Ersetzung technischer Ausdrücke, wie
drillers, plumbers, hippers etc. (S. 67) durch deutsche Bezeichnungen
manchem Leser erwünscht sein würde. Verf. will keine wörtliche
Uebersetzung liefern, sondern begnügt sich damit, die weniger wichtigen
Kapitel in einer sich streng an die Absichten des Verf.s haltenden aus-
zugsweisen Form zu geben (S. 4) Dies ist ihm aber kaum durchweg
gelungen. Beispielsweise ist unter anderem in dem Abschnitte: Die
Reformbewegung im Gewerkschaftswesen (S. 77 — „Times“ vom 4. Januar
1902) auch die geringe Anerkennung der Trade Unions noch gemindert,
während die Bekämpfung des Sozialismus stärker unterstrichen ist, als
im Original.
Hätte sich Verf. auf eine Uebersetzung beschränkt, so wäre seine
Schrift sicher sehr dankenswert gewesen. Sie hätte vielen Kreisen,
die an der Gewerkschaftsbewegung interessiert sind, auf bequeme Weise
einen Einblick in die Anschauungen gewährt, die bei den Gegnern der
englischen Gewerkvereine augenblicklich herrschen. Verf. hat aber
seiner Uebersetzung ein selbständiges Nachwort folgen lassen, in dem
er aus dem Vorangehenden Nutzanwendungen für Deutschland zu ziehen
sucht, obgleich er selbst keineswegs bestreiten will, daß die Aus-
führungen der „Times“ hier und da nicht ganz unparteiisch gehalten
sind (S. 4). Indem Verf. die Rolle des einfachen Uebersetzers verließ,
ergab sich für ihn die Pflicht, in eine materielle Prüfung der vorge-
brachten Anschuldigungen einzutreten. Es genügte dann nicht mehr,
zu erklären, die zitierten Ausführungen seien durch zahlreiche Zu-
schriften aus industriellen Kreisen bestätigt und materiell ergänzt
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX), 36
562 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
worden (S. 86), sondern es hätte auch auf die Punkte hingewiesen
werden müssen, in denen der Gewährsmann der „Times“ z. B. durch
die „Contemporary Review“ und durch .zahlreiche Zuschriften an die
„Times“ selbst rektifiziert worden ist. Will man aus den englischen
Verhältnissen etwas lernen, so muß man sie, wie es seitens der ameri-
kanischen Regierung geschieht, sachgemäß an Ort und Stelle prüfen
lassen. Statt dessen polemisiert Verf. auf Grund seiner gewiß vielfach
richtigen, aber doch einseitigen Information gegen die „Theorien
unserer Sozialideologen“, die auf die Haltung maßgebender Kreise stark
abgefärbt hätten: „Man wird die Hinneigung zu einer solchen, von der
Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des praktischen Lebens nicht
weiter angekränkelten Auffassung der sozialen Zeitaufgaben ohne Be-
denken auf das Konto des romantischen Zuges setzen können, der zur
Zeit nicht nur unsere äußere Politik auszeichnet“ (S. 90). Ganz be-
sonders ist Verf. darüber aufgebracht, daß dem Stuttgarter Gewerk-
schaftskongreß verschiedene höhere Regierungsbeamte als offizielle Teil-
nehmer beiwohnten. Dem Verf. erscheint dies sachlich durchaus un-
berechtigt, denn über die Reden und Beschlüsse der Kongrebmitglieder
hätten sich die gedachten Regierungsvertreter wohl auch informieren
können, ohne den Verhandlungen persönlich beizuwohnen (S. 91). Mit
dieser Begründung kann man das Erscheinen von Regierungsvertretern
bei Kongressen überhaupt für unnötig erklären, da doch regelmälig
gedruckte Berichte vorzuliegen pflegen.
Verf. schließt mit dem Wunsche einer „vernunftgemäßen Ein-
schränkung der Koalitionsfreiheit“ ; ihn zu begründen ist dem Verf. nicht
gelungen.
Halle a. S. ` G. Brodnitz.
Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege und Wobltätigkeit.
Heft 57 und 58. Leipzig 1902.
Im 57. Heft dieser Schriften wird die Verteilung der Armenlasten
behandelt, die sich in ihrer jetzigen Form als unzulänglich erweist.
Namentlich die zeitraubenden Ermittelungen und das viele Schreibwerk
sind störend. Es handelt sich hierbei mehr um technische Fragen des
Verwaltungsrechtes. Von allgemeinem Interesse sind die Ausführungen
über die Wanderarmen von Pastor Mörchen-Bethel, der für diese an
Stelle des jetzigen Armenrechtes vorbeugende soziale Fürsorgeein-
richtungen nach dem Vorbilde von Bodelschwinghs verlangt.
Das 58. Heft bringt zwei Gutachten über eine gerade gegenwärtig
sehr wichtige Frage: Die Einrichtung von Notstandsarbeiten und ihre
Erfolge. Das erste Gutachten von Dr. Paul Hartmann schildert die bei
uns in dieser Hinsicht getroffenen Vorkehrungen auf Grund einer Um-
frage bei 230 Gemeindeverwaltungen, so daß ein recht eingehendes
Bild gegeben wird. Dr. Rudolf Schwander-Straßburg i. E. erörtert dann
die wirtschaftlichen Prinzipienfragen der Notstandsarbeiten. Beide Verf.
gehen historisch von den französischen Nationalwerkstätten aus. Sie
befürworten beide unsere gegenwärtigen Einrichtungen für die Arbeits-
losen. Sehr mit Recht wird betont, daß die Notstandsarbeiten, wenn
sie auch im Einzelfalle teurer zu stehen kommen (allerdings in sehr
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 563
verschiedener Höhe, von 5—50°/,, vgl. S. 19), doch keine unwirt-
schaftliche Ausgabe darstellen, da einmal der Armenpflege dadurch
Ausgaben erspart werden, dann aber auch im Verhindern des sozialen
Herabsinkens der Arbeiter zugleich ein wirtschaftlicher Vorteil für die
Gesamtheit liegt. Etwas weitergehend scheint uns allerdings der An-
spruch auf Fürsorge der Gemeinde für gewisse Klassen der Saison-
arbeiter (S. 57), Hier kommt es u. E. mehr auf angemessene Löhne
an, die eben den Unterhalt auch in der arbeitslosen Zeit ermöglichen
müssen.
Darin stimmen die Verf. überein, daß Notstandsarbeiten allein, so
empfehlenswert sie sind, doch keine ausreichende Fürsorge gewähren,
da nicht jeder für derartige Arbeiten sich eignet (zumal nicht Frauen und
schwächliche Personen) Deshalb wird eine rationelle Abhülfe nur
durch die allgemeine Arbeitslosenversicherung herbeigeführt werden.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Kohn, Albert, Unsere erste Wohnungs-Enquéte. Berlin 1902.
Im Auftrage der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der
Kaufleute, Handelsleute und Apotheker hat Verf. das Material zu-
sammengestellt, daß diese über die Wohnungsverhältnisse ihrer er-
krankten Mitglieder während der Monate Januar bis März 1902 ge-
sammelt hat. Das Vorgehen der Kasse in dieser Richtung ist um so
dankenswerter, als wir ja so eingehende Erhebungen nicht haben, wie
sie in England von Ch. Booth und neuerdings von Rowntree geliefert
worden sind. Ihrem Beispiel sind bereits Magdeburg und Straßburg
gefolgt, und es steht zu erwarten, daß auf diesem Wege reiches Material
nicht nur für theoretische Zwecke, sondern auch zur Anspornung zu
weitergehender Fürsorge zusammen kommen wird. Denn schon die
wenigen Seiten des vorliegenden Heftes lassen erkennen, welche großen
Milstände hier noch zu beseitigen sind, die um so schärfer hervortreten,
als es sich durchweg um Kranke handelt. Um nur eines hervorzuheben:
von 957 Kranken, unter denen sich 267 Lungenkranke befanden, hatten
nur445 in der Nacht einen Raum für sich allein, die übrigen mußten
ihn mit 1 bis 4, 49 sogar mit 5 und 23 mit 6 Personen teilen! Nicht
minder schlimm ist es mit den Heizgelegenheiten, mit Fenstern, Aborten
u. s. w. bestellt.
Es ist zu wünschen, daß diese Erhebungen weiter fortgesetzt
werden. Sie werden wohl dazu beitragen, weiten Kreisen zu zeigen,
daß auch in Berlin die Wohnungsfrage noch keineswegs gelöst ist.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Salomon, Alice, Soziale Frauenpflichten. Berlin (Otto Lieb-
mann) 1902.
Die Verf. hat in der Schrift „Soziale Frauenpflichten* eine Anzahl
Vorträge veröffentlicht, die sie in verschiedenen Städten gehalten und
mit denen sie ihre Zuhörer stets zu fesseln gewußt hat. Allen 5 Vor-
trägen, welche die Ueberschriften tragen „Soziale Hilfstätigkeit“, „Frauen
in der öffentlichen Armenpflege“, „Oeffentlicher und privater Kinder-
Elte
564 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
schutz“, „Arbeiterinnenschutz und Frauenbewegung“, „Die Macht der
Käuferinnen“, haben, wie die Verf. selbst in ihrem Vorwort sagt, eines
gemeinsam, „sie alle sind beherrscht von dem einen großen Gedanken:
von dem Glauben an die soziale Mission der Frau“. Diesen Glauben
will die Verf. in weiteste Kreise tragen, denn „es genügt nicht, auf
bessere soziale Zustände zu hoffen, sie herbeizuwünschen; sondern wir
sollten versuchen — jeder nach seinen Kräften und Fähigkeiten — sie
zu schaffen, eine bessere Gesellschaftsordnung in uns und durch uns
zu beginnen, uns einer glücklicheren Zukunft entgegenzuführen“. Aus
dem in schlichter. anziehender Form geschriebenen Buch spricht zu
uns eine mit gründlichen praktischen Kenntnissen ausgestattete, von
sittlichem Ernst erfüllte Persönlichkeit; diese Vorzüge machen dasselbe
besonders lesenswert. E, C.
M. v. Schulz, Vorsitzender des Gewerbegerichts Berlin, und
Franz Behrens, Geschäftsführer des allg. deutschen Gärtnervereins,
Die Rechtsverhältnisse im Gärtnergewerbe. Referate, dem Ausschusse
der Gesellschaft für soziale Reform in der Sitzung vom 6. Mai 1902
erstattet. Jena, Gustav Fischer, 1902. 37 SS. 25 Pie,
Diese Referate erschienen als Heft 6 der Schriften der Gesellschaft
für soziale Reform, und aus diesem Rahmen erklärt sich auch die Form, in
welcher die Ausführungen gegeben werden. Wie bei den beiden Referenten
selbstverständlich, sind die Rechtsverhältnisse im Gärtnergewerbe mit
großem sachlichen Verständnis behandelt und geben die Anschauungen
der Praxis wieder. Hier erkennt man die Kunst- und Handelsgärtnereien
als gewerbliche Betriebe an und verlangt gesetzliche Festlegung dieses
Rechtszustandes, damit die gewerblichen Schutzvorschriften auf die
Gärtnereigehülfen Anwendung finden. Die beiden Referate übersehen
meines Erachtens nur beide, daß dies auch ohne neues Eingreifen der
Gesetzgebung von der Rechtsprechung anerkannt werden muß. Immerhin
mag zugegeben werden, daß der wenn auch langsamere, so doch sichere
Weg der einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist. Den Refe-
raten ist darin unbedingt zuzustimmen, daß der gegenwärtige Zustand
der Aenderung bedarf. Die Frage besitzt auch großes wirtschaftliches
Interesse und gibt zu interessanten Untersuchungen Anlaß. Auch aus
diesem Grunde ist zu empfehlen, daß man das Heft selbst einmal liest.
Jena. A. Elster.
Eberstadt, Rud. (Privdoz., Berlin), Rheinische Wohnverhältnisse und ihre Be-
deutung für das Wohnungswesen in Deutschland. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. VII—
114 SS. M. 3.—.
Möhl, Fr. K., Die Vorläufer der heutigen Organisation der öffentlichen Armen-
pflege in München insbesondere: Das Armeninstitut des Grafen Rumford. Bamberg,
Verlag der Handelsdruckerei, 1903. gr. 8. 88 SS. M. 3.—.
Thal, Max, Mutterrecht. Frauenfrage und Weltanschauung. Breslau, S. Schott-
laender, 1903. gr. 8. XIV—170 SS. M. 2,50.
Harmois, G. et F. Alleaume, Le petit dictionnaire des oeuvres de solidarité
sociale et de bienfaisance. Publié par la maison du pauvre. Paris, impr. Gainche, 1903.
8. 73 pag. av. portr.
Sayles, Mary B., Housing conditions in Jersey City. Philadelphia, Americ.
Acad, of social ete. science, 1903. gr. 8. 72 pp.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565
Trevelyan, Will. Pitt (Rever.), Some results of boarding out poor law children.
With a preface by G. P. Trevelyan. London, P. 8. King & Son, 1903. gr. 8. VIII—
91 pp. 2/.—. (Contents: Letter from the author. — Some of our older children. —
Letter from (Captain) Bourchier, of the training ship „Exmouth.‘‘— Five typical boys.
— Diffieult cases. — Some girls lost sieht of. — Further typical cases. — Interviews. —
Extracts from letters. — Some statistics, 1871—1902. — Extract from Local Govern-
ment Board reports.)
van der Mey, R., Alleronaangenaamste bladzijden voor onze vrije vrouwtjes.
Twee moraal philosophische opstellen behandelende: I. de vrouwenbeweging; II. sexueele
moraal en prostitutie. Leiden, S. C. van Doesburgh, 1903. 8. 12 en 105 blz. fl. 1,25.
10. Gesetzgebung.
Dumas, G., Histoire de l'indissolubilité du mariage, en droit francaise. Saint-
Dizier, impr. Thévenot, 1902. 8. 96 pag.
Gouget, L. (avocat), Théorie générale du contrat avec soi-méme; (étude de droit
comparé). Caen, impr. Valin, 1903, 8. XII—2256 pag.
Malot, G., De la protection et de la tutelle des enfants naturels. Etude du
projet de loi voté par le Sénat le 17 juin 1902. Paris, H. Jouve, 1903. 8. 116 pag.
Casson, W. A. and G. C. Whiteley, The Edueation Act, 1909. London,
Knight, 1903. 8. 7/.6.
Fitzgerald, J. V. Vesey, The law affecting the pollution of rivers and water
generally. London, Knight, 1903. 8. XVI—175 pp. 7/.6. e
Hutchins, B. L. and A. Harrison, A history of factory legislation. With
a preface by Sidney Webb. London, P. S. King, 1903. 8. XVIII—372 pp. 10/.6.
Mews, J., The annual digest of all the reported decisions of the Superior Courts
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Sherlock, E. M., Synopsis of the divorce laws of all the States in the Union.
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8. 12/.6.
Ongevallenwet 1901. Wet van den 2en Januari 1901 (Stbl. N^ 1) houdende
wettelijke verzekering van werklieden tegen geldelijke gevolgen van ongevallen in
bepaalde bedrijven. Met de betreffende uitvoeringsbesluiten en formulieren, ingeleid en
voorzien van aanteekeningen, hoofdzakelijk ontleend aan de officieele bescheiden door
Ed. Philips en H. C. de Jongh. Amsterdam, uitgevers-maatschappij „Elsevier‘‘, 1903.
8. 8 en 248 blz. fl. 2,25.
Bertenburg, C., Führer durch die Gesetze und Verordnungen für die Berg-
werksbetriebe im OBergamtsbez. Dortmund. Gelsenkirchen, Bertenburg, 1903. 8. 255 SS.,
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Hafter, Ernst (Privdoz.), Die Delikts- und Straffähigkeit der Personenverbünde.
Berlin, Jul. Springer, 1903. gr. 8. XVI—166 SS. M. 3.—.
Hartwich, W. (Rechtsanw., Berlin), Der Rechtsanwalt im Hause. Deutsches Ge-
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Hubrich, Ed. (Prof.), Die Sprachenfreiheit in öffentlichen Versammlungen nach
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Schwiedland, E., Ziele und Wege einer Heimarbeitsgesetzgebung. 2. ergänzte
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Staub, Herm. (JustizR., Rechtsanw., Berlin) Kommentar zum Gesetz betreffend
die Gesellschaften mit beschrünkter Haftung. Berlin, J. Guttentag, 1903. gr. 8. VII—
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566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ulbrich, Jos. (HofR., Prof.), |Lehrbuch des österreichischen Verwaltungsrechtes.
1. Hälfte. Wien, Manz, 1903. gr. 8 S. 1—240. M. 6.—.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.;
Angermünde. — Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Kreisstadt Angermünde für das Rechnungsjahr 1901. Angermünde, Druck
von C. Windolff, 1902. Lex.-8. 24 SS.
Bericht des Provinzialausschusses über die Verwaltung der Angelegenheiten des
Provinzialverbandes von Pommern in dem Zeitraum vom 1. IV. 1901 bis Ende März
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Breslau. — Stadthaushalts-Etat für Breslau für das Rechnungsjahr 1903. 2 Bde.
Breslau, Druck von Graß, Barth & C", gr. 4. 1549 SS.
Dirschau. — Bericht über die Gemeindeangelegenheiten der Stadt Dirschau für
das Rechnungsjahr 1901 (vom IV. 1901 bis Ende März 1902). Dirschau, Druck der
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Geller, Leo (Hof- u. Gerichtsadvok.), Propinationsvorschriften für Galizien. Mit
Erläuterungen aus der Praxis. Wien, M. Perles, 1903. 8. 61 SS. M. 1.—.
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Mühlhausen i. Th. — Haushaltsplan für die Verwaltung der Stadt Mühl-
hausen auf das Rechnungsjahr 1903. Mühlhausen i. Th., Druck von Röth & Köhler,
1903. Hoy.-4. 95 SS.
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Stadt München für das Jahr 1903. München, G. Franzsche Hofbuchdruckerei, 1903.
gr. 4. 766 SS.
M. Gladbach. — Haushaltspline für das Rechnungsjahr 1903. M. Gladbach,
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Nürnberg. — Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg für das Jahr 1900. Mit
den Gemeinderechnungen in summarischer Fassung. Nürnberg, Druck von U. E. Sebald,
1903. Lex.-8. XV—656 u. 171 SS. Mit 14 Blatt Abbildgn., 3 Blatt Diagrammen und
1 Karte. (Herausgeg. vom Stadtmagistrat.)
Paderborn. — Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Paderborn für das Geschäftsjahr 1901. Paderborn, Junfermannsche
Buchdruckerei, 1902, 4. 20 SS.
Perels, Kurt (Privdoz., Kiel), Das autonome Reichstagsrecht, die Geschäftsord-
nung und die Observanz des Reichstages in systematischer Darstellung. Mit einem An-
hange: Die Geschüftsordnung für den Reichstag in kritischer Bearbeitung. Berlin, E. S.
Mittler & Sohn, 1903. 8. X—136 SS. M. 3.—.
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Tesch, Joh. (kais. HofR. in der Kolonialabt. d. ausw. Amtes), Die Laufbahn der
deutschen Kolonialbeamten, ihre Pflichten und Rechte. Berlin, O. Salle, 1902. 8. XII—
231 SS. M. 3,10.
Turba, G. (Privdoz.), Geschichte des Thronfolgerechtes in allen habsburgischen
Ländern bis zur pragmatischen Sanktion Kaiser Karls VI. 1156 bis 1732. Wien, C.
Fromme, 1903. gr. 8. IV—415 SS. M. 8.—.
Uebersicht über die Geschäftstätigkeit der Eichungsbehörden während des
Jahres 1901. Berlin, gedruckt in der Reiehsdruckerei, 1903. Imper.-4. 15 SS.
Verwaltungsbericht des Rates der kgl. Haupt- und Residenzstadt Dresden
für das Jahr 1901. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1902. gr. 8. 567 u. 30 SS.
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 567
— America's first intercourse. — The first Chinese treaties. — Independent Hawaii. —
The opening of Japan. — The transformation of Japan. — The crumbling wall of
China. — Chinese immigration and exclusion. — Korea and its neighbors. — The en-
franchisement of Japan. — The annexation of Hawaii. — The Samoan complication. —
The Spanish war and its results.)
Hatstead, Murat, The life of Theodore Roosevelt, XXV'^ President of the
United States. London, G. Richards, 1903. 8. 392 pp., illustr. 10/.6.
Moran, T. Francis (Prof. of history & economies), The theory and practice of
the English government. New York, Longmans, Green & C*, 1903. 8. 11; 379 pp., 12.,
cloth. $ 1,20. (Contents: General nature of the English government, — Succession to
the throne and the coronation. — The royal prerogative. — Origin and early develop-
ment of the cabinet. — Composition of the cabinet. — Fundamental principles of the
cabinet. — Cabinets’ responsibility to Parliament; Origin, composition, ete. of the House
of Lords and of the House of Commons. — ete.)
Bonomi, J., La finanza locale e i suoi problemi. Milano, R. Sandron, 1903. 8.
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12. Statistik.
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M. Neue Folge. Heft V: Die
Schülerzählung vom 30. XI. 1900. Bearbeitet von dem Direktor des statistischen Amtes
(Prof) H. Bleicher. Frankfurt a. M., Sauerländers Verlag, 1903. Lex.-8. 37 u. CXI SS.
mit 1 graphischen Taf.
Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M. Neue Folge. Ergänzungsheft
N' 7: Aus den Ergebnissen der Volkszühlung vom 1. XII. 1900. Frankfurt a./M.,
Druck von Mahlau & Waldschmidt, 1903. 4. 89 SS. mit 2 graph. Tafeln.
Beitrüge zur Statistik des GroDherzogtums Hessen. Bd. L, Heft 1. Darmstadt,
G. Jonghaussche Hofbuchhdlg., 1903. 4. 40 SS. mit zahlreichen Tabellen. (Herausgeg.
von der groDherz. Zentralstelle für die Landesstatistik. Inhalt: Statistische Mitteilungen
aus dem direkten Steuerwesen des GroDherzogtums Hessen. Bearbeitet im großherz.
Ministerium der Finanzen, Abteilung für Steuerwesen.)
Charlottenburger Statistik. Heft 14. Charlottenburg, Ulrich & C^, 1903. gr. 8.
50 SS. (Herausgeg. vom statistischen Amt der Stadt. Inhalt: Armenstatistik für 1900/1901
und 1901/02. — Neubauten für 1902.)
Handbuch, statistisches, für den preußischen Staat. Herausgeg. vom Kgl. stati-
stischen Bureau. Bd. IV. Berlin, Verlag des Bureaus, 1903. Lex.-8. XI—685 SS.
Monatsberichte des statistischen Amtes der Stadt Breslau für das Jahr 1902.
XXIX. Jahrg. Breslau (1903). gr. 8. 160 SS.
Preußische Statistik (amtliches Quellenwerk). Herausgeg. in zwanglosen Heften
vom kgl. statistischen Bureau, Heft 179: Die Sterblichkeit nach Todesursachen und
Altersklassen der Gestorbenen, sowie die Selbstmorde und die tódlichen Verunglückungen
im preußischen Staate wührend des Jahres 1901. Berlin, Verlag des Bureaus. 1903.
Imp.4. XXIV—267 SS.
Prinzing, Fr. (Ulm) Die tödlichen Unglücksfälle in Preußen im Vergleich mit
einigen anderen Staaten. Bonn 1903. gr. 8. (Sonderabdruck aus dem „Centralblatt für
allgem. Gesundheitspflege*, Jahrg. XXII.)
Statistik der zum Ressort des kgl. preußischen Ministeriums des Innern ge-
hörenden Strafanstalten und Gefüngnisse und der Korrigenden für das Etatsjahr 1901
(1. IV. 1901 bis 31. III. 1902). Berlin, Druckerei der Strafanstaltsverwaltnng, 1903.
Lex.-8, XXXVII—231 SS.
Wiese, L. (weiland. Wirkl.GehR.), Das höhere Schulwesen in Preußen. Historisch-
statistische Darstellung. IV. Bd., umfassend die Zeit von 1874—1901 (1902). Im Auf-
trage des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten herausgeg. von
(Prof) Irmer. Berlin, Wiegandt & Grieben, 1902. Lex.-8. XXIV—966 SS. M. 26.—.
Frankreich.
Annuaire statistique et commercial de Tours et du département l'Indre-et-Loire
pour 1903 (103° année). Tours, Deslis frères, 1903. 8. 1436 pag. avec 1 plan de la
ville de Tours et 1 carte du département d'Indre-et-Loire. fr. 2,50.
Compte général de l'administration de la justiee eriminelle pendant l'année 1900,
présenté au Président de la République par le ministre de la justice. France; Algérie;
568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Tunisie. Paris, imprim. nationale, 1902. in-4. CXL—172 pag. av. 11 planches
graphiques.
Guégo, H. (D' de médec. de l'Unv. de Paris), Etude statistique sur la criminalité
en France de 1862 à 1900. Précédée d'une préface du (Uri J. Socquet (secrétaire de
la Société de médecine légale) Paris, A. Michalon, 1902. gr. in-8. 104 pag. Av.
cartes et diagrammes. fr. 5.—.
Hugues, A., Statistique du mouvement de la population de Seine-et-Marne (1896
—1901). Melun, impr. Legrand, 1902. 8. 33 pag.
Neymarck, Alfred, La statistique internationale des valeurs mobilières, 4° rapport
présenté à l’Institut International de statistique (session de Budapest) Paris, Guil-
laumin & C^, 1903. in-4. fr. 3.—.
Renseignements statistiques relatifs aux contributions directes et aux taxe-
assimilées. XIII” année. Paris, impr. nationale, 1903. 8. 200 pag. (Publication du
Ministöre des finances.)
Statistique de l'industrie minérale et des appareils à vapeur en France et en
Algérie pour l'année 1901. Paris, imprim. nationale, 1902. Roy. in-4. XI—300 pag.
fr. 10.—. (Publication du Ministère des travaux publics, Direction des routes, de la
navigation et des mines, Division des mines.)
Oesterreich-Ungarn.
Statistik des Osterreichischen Post- und Telegraphenwesens im Jahre 1901. Mit
einer statistischen Uebersicht über die Post und den Telegraphen in Europa. Wien,
k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1902. Lex.-8. V—376 SS. M. 5.—. (A. u. d. T.:
Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr aus dem statistischen Departement im
k. k. Handelsministerium, Bd. 78, Heft 1 u. 2.)
Statystyka miasta Krakowa zestawiona przez Biuro statystyezne miejskie.
Zeszyt VIII. Kraków 1902. gr. 8. V—141 pp. (Statistik der Stadt Krakau. Herausgeg.
vom städtischen statistischen Bureau. Bd. VIII.) (Aus dem Inhalt: Ergebnisse der Zäh-
lung vom 31. XII. 1900. — Bewegung der Bevölkerung in den Jahren 1899 und 1900.
— Konfessionswechsel in den Jahren 1899 und 1900. — Städtische Gemeindefinanzen
in den Jahren 1896 u. 1897. — Eingang und Verbrauch notwendiger Lebensmittel und
Genußartikel. — Getreidepreise.)
Rußland.
Céopuukx'es CTATUCTUYecKUXB CBbabuilt MuunCreperBa ieruuiun. Boinycks cesma-
Auarbijt, 3a 1901 rox. OC.-Ilerepóyprs, Cenarckaa tunorpasin, 1902. (Statistisches
Jahrbuch des Russischen Justizministeriums für das Jahr 1901. 2 Teile. Teil I: Das
europäische Rußland; Teil II: Das asiatische Rußland. St. Petersburg, 1902. gr. in-
Folio. 239 pag. et 69 pag.)
Belgien.
Annuaire officiel de la province de Liege. XV° année: 1903: Livres d'adresses
et almanach administratif et statistique (108° année) de la province de Liege réunis.
Liege, Ch. Desoer, 1903. gr. in-8. 33; LXXXV—526 pag. av. plans et cartes hors
texte, cartonné. fr. 4.—.
Statistique médicale de l'armée Belge. Année 1901. Bruxelles 1902. Lex. in-5.
XX—49 pag.
Amerika (Ver. Staaten).
Report of the Commissioner of Education for the year 1900—1901. Volume I.
Washington, Government Printing Office, 1902. gr. 8. CXII--1216 pp. (Contents:
Statisties of State school systems: 1. Education in Central Europe; 2. A legislative history
of the publie school system of the State of Ohio; 3. American industrial education;
4. Education in the South (of the United States); 5. German instruction in American
schools; The education of the negro; 7. Education in Great Britain and Ireland; 8. Edu-
cation in France; 9. III" Annual conference of the Association of catholie colleges; 10.
Higher commercial education in the United States. — etc.)
Asien (China).
China. Imperial Maritime Customs. I. Statistical series, n° 2. Customs gazette,
n* CXXXV, July—Sept. 1902. Shanghai, Kelly & Walsh & London, P. S. King & Son,
1903. 4. 300 pp. $ 1.—. (Published by order of the Inspector General of Customs).
Die periodische Presse des Auslandes. 569
Australasien.
Coghlan, T. A. (Statistician of New South Wales), A statistical account of the
seven colonies of Australasia, 1901—1902, IX" issue. Sydney, Will. A. Gullick,
printed, 1902. gr. 8. VIII—1093 pp. with map.
Australien (Kolonie Neu-Seeland).
von Dadelszen, E. J. (Registrar-General), Report on the results of a Census of
the colony of New Zealand taken for the night of the 31" March, 1901. Wellington,
John Mackay print, & London, Eyre & Spottiswoode, 1902. gr. 4. VII—163 pp.
13. Verschiedenes.
Bibliothek livländischer Geschichte, herausgeg. von Ernst Seraphim. Bd. III:
Die Katastrophe der Stadt Dorpat während des nordischen Krieges. Nebst zeitgenössi-
schen Aufzeichnungen, von Fr. Bernemann jun. Reval, Fr. Kluge, 1902. gr. 8. XIII
—194 u. (Zeitgen. Aufzeichnungen) 110 SS. M. 6.—.
Hermann, W. (Prof., Marburg), Römische und evangelische Sittlichkeit. 3. Aufl.
Marburg, N. G. Elwertsche Verlagsbhdl. 1903. 8. IV—176 SS. M. 2.—.
Jung, Emil (ehemal. Insp. der Schulen Südaustraliens), Das Deutschtum in Austra-
lien und Ozeanien. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1902. gr. 8. 85 SS. M. 1,40.
(A. u. d. T.: Der Kampf um das Deutschtum, Heft 19.)
Lehrstuhl, der, der Nationalökonomie an der Universität Gießen vor der zweiten
hessischen Kammer. Stenogramm der Kammerverhandlungen vom 27. II. 1903. Gießen,
J. Rieker, 1905. gr. 4. III—16 SS. M. 0,60.
Des Cilleuls, F. L. (séerétaire de la faculté de médecine et de l'Ecole supér. de
pharmacie de l'Univers. de Nancy), L'Ecole supérieure de pharmacie de Strasbourg.
Nancy, Sidot, 1903. 8. 178 pag.
Eudel, P., Le comité républicain de Nantes (1870—1874). Niort, Clouzot, 1903.
8. X—383 pag.
Le Blond, M., Emile Zola. Son évolution; son influence. Paris, edition du
»Mouvement socialiste, 1903. 12. 29 pag. fr. 0,50.
Lefèvre, A., Germains et Slaves (origines et croyances). Paris, Schleicher frères,
1903. 8. 320 pag. av. 15 figur. et 32 cartes. fr. 3,50.
Sand, Maur. (étudiant), L'Université de Bruxelles en 1834 et en 1902. Bruxelles,
F. Avondstond, 1902. 12. 42 pag. fr. 0,70.
Simond, Ch., Les centennaires parisiennes. Panorama de la vie de Paris à travers
le XIX* siècle. Paris, Plon, 1902. gr. in-8. 192 pag. illustr. de plus de 400 gravures.
fr. 5.—.
Annual report of the Board of Regents of the Smithsonian Institution, showing
the operations, expenditures, and condition of the institution for the year ending June 30,
1900. Report of Un. States National Museum. Washington, Government Printing Office,
1902. gr. 8. XVI—738 pp. with numerous plates and illustrations.
Dahlinger, C. W., The German revolution of 1549: being an account of the
final struggle, in Baden, for the maintenanee of Germany's first national representative
government. New York, Putnam, 1903. 8. 297 pp. $ 1,35.
Montagu, H. (Sir, It Earl of Manchester), Manchester al mondo: a contemplation
of death and immortality; reprinted from the IV'^ impression, 1638—39. New York,
Oxford Univ. Press (Amer. branch), 1902. 24. 127 pp., cloth. $ 0,50.
Shuekburgh, E. S., Augustus. The life and times of the founder of the Roman
Empire (b. Chr. 63 to a. D. 14). London, T. Fisher Unwin, 1903. 8. XII—318 pp. 16/.—.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales des sciences politiques, année 1903, Janvier: Les puissances maritimes
en Extréme-Orient, par Z. — Un premier litige devant la Cour d'arbitrage de la Haye,
par L. Renault. — Le Congrès de la houille blanche, par P. de Rousiers.
Bulletin de statistique et de législation comparée. X XVII* année, 1903, Janvier:
A. France, colonies: Les ministres des finances depuis 1789. — Décret relatif aux règles
510 Die periodische Presse des Auslandes.
de perception de la contribution des patentes en Algérie. — Les fabriques de sucre et
leurs procédés de fabrication pendant la campagne 1901—02. — Le revenus de l'Etat.
— Le commerce extérieur de la France, mois de décembre 1902. — Le commerce
extérieur de la France pendant l’année 1902. — Achats et ventes de rentes effectués
par l'intermédiaire des comptables du Trésor. — Les produits de l'enregistrement, des
domaines et du timbre constatés et recouvrés en 1902. — Les monnaies fabriquées en
1902 à la monnaie de Paris. — B. Pays étrangers: Angleterre: Historique de la dette.
La dette nationale depuis 1891. Le commerce du Royaume-Uni. — Belgique: Le budget
des voies et moyens pour 1903. — Italie: L'exposé financier du Ministre du trésor. —
Pays-Bas: Le régime monétaire (loi du 28 mai 1901). — Russie: Le budget de l'Empire
pour 1903. — ete.
Bulletin de statistique ete, XXVII* année, Février 1903: A. France, colonies :
Loi relative au régime des sucres. — Les revenus de l'Etat, exercice 1902. — Les
revenus de l'Etat, janvier 1903. — Le commerce extérieur, mois de janvier 1903. —
Ville de Paris: Le produit des droits d'oetroi en 1901 et 1902. — La caisse nationale
d'épargue en 1901. — L'exploitation du monopole des allumettes chimiques en 1901. —
L’exploitation du monopole des tabaes en 1901. — Les opérations de la Banque de
France en 1902. — Pays étrangers: Autriche-Hongrie: Le nouveau régime des sucres,
loi du 31 janvier 1903. — Belgique: Evaluation de la fortune mobilière. — Espagne:
Le budget pour 1903. — Italie: La production des vins. — Canada: Les recettes et
les dépenses du Dominion en 1901 et 1902. — Chili: Le régime des alcools, loi du
18 janvier 1902. — Etats-Unis: Les pourparlers monétaires avec le Mexique et la
Chine. — Japan: Le commerce extérieur de 1888 à 1901. — etc.
Journal des Economistes. 62° année, 1903, Mars: Le monopole de l'alcool, par
Yves Guyot. — Rudolphe de Delbruck (1817—1902), par Arth. Raffalovich. — Mouve-
ment scientifique et industriel, par Daniel Bellet. — Revue de l'Académie des sciences
morales et politiques du 15 novembre 1902 au 15 février 1903, par J. Lefort. —
Travaux de chambres de commerce, par Rouxel. — Histoire de la péche du corail en
Barbarie, par Franc. Jourdan Pietri. — Société d'économie politique, réunion du 5 mars
1903: Nécrologie: MM. Jules Clavé et Figuerola. Discussion: Est-il nécessaire d'avoir
des colonies pour être un grand peuple? — Chronique. — etc.
Réforme sociale, la. Année 1903, n™ 1 à 5: L’assurance contre le chomâge
involontaire par les syndieats ouvriers, par E. Vossen. — La houille blanche, par C.
Pinat. — Le contrôle de l'état et les établissements de bienfaisance privée, par L. Rivière.
— Les cours pratiques d'économie politique et sociale dans l'enseignement supérieur,
par V. Brants. — Notre budget et ceux de nos voisins, par H. Valleroux. — Le droit
de l'enfant, par F. Brunetiere. — Une industrie en détresse: Les sardiniers de Con-
carneau, par G. Deviolaine. — A propos de la dépopulation, par H. Mazel. — Les
trusts, par M. de Lamarzelle. — La presse en France, par E. Pierret. — La lutte
contre la tuberculose, par A. Rendu. — etc.
Revue d'économie politique. XVII* année, 1903, n° 2, Février: Dépopulation et
législateurs, par René Gonnard (nm: art). — L'évolution du régime des salaires et
l'agrieulture moderne, par Jos. Hitier. — Le notion de l'Etat, par Maur. Heins (suite 4).
— Chronique législative. — ete.
Revue internationale de sociologie. XI* année, n° 2, Février 1903: Le concept
de société, par René Worms. (Sommaire: 1. Ce qu'implique la société. La société
u'est pas l'humanité, mais le groupe national. — 2 et 3: Peut étre moins étendue que
ce groupe? — 4. Peut-elle être plus étendue? — 5. Peuple, nation, société, Etat. —
6. Variations du concept de société dans le temps.) — Discours prononcé à la séance
d'ouverture de l'Ecole russe des hautes études sociales, par Maxime Kovalewsky. — Les
lois de la population, par G. Cauderlier. (Compte rendu.) — Société de sociologie de
Paris: Séance du 14 janvier 1903: Les classes sociales. Communication d'Arthur Bauer.
Observations de G. Tarde, Ch. Limousin, H. Monin, René Worms. — Mouvement social:
Algérie (une question algérienne non résolue), par Ch. Roussel. — etc.
B. England.
Journal of the Institute of Bankers. January 1903: The relations of commercial
geography and commercial history, by G. G. Chisholm. (art. 1.) — The work of the
London Clearing House in 1902.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXVI, part 1, 31* March 1903:
Die periodische Presse des Auslandes. 571
The finance of federal government for the United Kingdom, by T. A. Brassey (with
discussion). — A Census of the Empire, by J. A. Baines (with discussion). — Mis-
cellanea: The London valuation, by J. Calvert Spensley. — Prices of commodities in
1902, by A. Sauerbeck. — Ruppee prices in India, 1898 —1901, by Fred. J. Atkinson.
— Memorandum on the Census of 1901, by T. A. Welton. — Notes on Mr. Acworth’s
paper: (English railway statistics: Journ. of the R. Statist. Soc., vol. LXV, part 4,
Dec., 1902), by R. Price-Williams. — Commercial history and review of 1902. — ete.
Journal of Statistical and Social Inquiry Society of Ireland, year 1902, No-
vember: Municipal trading, by J. J. Shaw. — Technical education for commerce, by
C. H. Oldham. — Licensing and public-house reform in Ireland, by Will. Lawson. —
The arterial drainage of Ireland, by C. A. Stanuell.
Westminster Review. February—April 1903: The Whig element in the liberal
party, by David Freeman. — Venezuela and the Monroe doctrine, by Aconcagua. —
Redistribution of seats and proportional representation, by Mack H. Judge. — The
Indian high courts, their shortcomings, by Mart. Wood. — The ethical movement in
1902, by Franklin Thomasson. — French Republican leaders and European peace, by
Karl Blind. — The housing question in 1903, by Frankl. Thomasson. = The clec-
toral machine, by W. B. Hodgson. — Too much education, by P. S. Burrell. — Insa-
nity and morality, by W. B. Mae Dermot. — The physique of the publie schoolboy,
by J. H. Vines. — The new naval base and Russian designs, by Karl Blind. — Parties
and polities in Ireland, by T. MeCall. — Bye-eleetions, by Shirley. — Matthew Arnold
and his recent eritics, by C. H. Harvey. — Position of women in Russia, by J. Burns.
— Liberalism and labour, by H. J. Darnton-Fraser. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahr-
gang XXIII, 1903, Heft 2, Februar: Industriepolitik in Oesterreich, von Stefan Licht
(Reichsratsabgeordneter, Wien). — Der kollektive Arbeitsvertrag. — Der Bauernstreik
in Ostgalizien, von Mychajlo Lozynskyj (Zürich). — ete. — Heft 3, Mürz: Kommu-
nale Arbeiterpolitik. Vortrag, geh. am 5. III. im sozialpolitischen Verein zu Wien,
von Hugo Lindemann (Degerloch). — Ziele und Wege einer Heimarbeitsgesetzgebung.
— etc.
Handelsmuseum. Herausgeg. vom k. k. Handelsmuseum. Bd. XVIII, N" 6—14,
Wien, 5. IL.—2. IV. 1903: Der Veredlungsverkehr im neuen Zolltarif. — Der neue
russische Zolltarif. — Russische Rüstungen. — Winke für den Export von Wollwaren.
— Die industrielle Lage in Rußland. — Die russische Paeificbahn und ihr Einfluß auf
den Handel Nordamerikas, von (Prof.) Rob. Sieger. — Das neue Börsengesetz, von (Prof.)
Jos. Hellauer. — Die Brünner Wollindustrie. — Das Textiliengeschäft in Südafrika. —
Winke für den Export von Seife und Kerzen. — Europäische Handelsbilanzen im Jahre
1902. — Die jüngste Phase der amerikanischen Trustgesetzgebung, von Viktor Graetz.
— Die handelspolitische- Lage in Frankreich. (Aus dem Bericht der österreich.-ungar.
Handelskammer in Paris für das Jahr 1902.) — Winke für den Export von Schokolade
und Kakao. — Der russisch-persische Handelsvertrag. — Solonich als Handelsplatz, von
Jos. Grunzel. — ete.
Monatssehrift, statistische. Herausgeg. von d. k. k. statistischen Zentralkom-
mission. N. Folge, Jahrg. VII, November-Dezemberheft 1902: Ernteergebnisse der
wichtigsten Kórnerfrüchte im Jahre 1902, — Die binnenlündische Wanderung und ihre
Rückwirkung auf die Umgangssprache nach der letzten Volkszählung, von F. v. Mein-
zingen. — etc.
Monatssehrift, statistische. Ferausgeg. von der k. k. statistischen Zentralkom-
mission. N. Folge, Jabrg. VIII, 1903, Heft 1, Januar: Flächeninhalt und Bevölkerung
Europas. Mit einer Karte der Bevólkerungsdichtigkeit, von (HofR.) F. v. Jurasehek. —
Oesterreiehs Banken im Jahre 1901, von H. Ehrenberger. — Stand und Ergebnisse der
Fischzuchtanstalten des Herzogtums Salzburg im Jahre 1901, von G. — ete. — Heft2,
Februar: Die tödlichen Unglücksfälle im Kindesalter, von Friedr. Prinzing. — Karl
Ritter v. Seherzer. Ein Nachruf von (HofR.) F. v. Juraschek. — Die Studentenstif-
tungen des Jahres 1900, von Casimir Max. — etc.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amte im Handels-
ministerium. Jahrg. IV, 1903, N° 1, Januar 1903: Arbeitslöhne in Frankreich in den
Jahren 1900 und 1901. — Schweizerisches Gesetz, betr. die Lohnauszahlung und die
572 Die periodische Presse des Auslandes.
Verhängung von Geldstrafen in haftpflichtigen Unternehmungen. — Allgemeiner Verband
der auf Selbsthilfe beruhenden Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Deutschlands
1901. — Soziale Versicherung: Rechnungsabschlüsse der österreichischen Arbeiterunfall-
versicherungsanstalten für das Jahr 1901; Regelung der Unfall- und Invaliditätsver-
sicherung der landwirtschaftlichen Arbeiter und Dienstboten in Ungarn. — Zentralver-
band der Industriellen Oesterreichs 1892—1902. — Die englischen Gewerkvereine im
Jahre 1901. — Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Arbeitskonflikte in Oesterreich;
Die Arbeitskonflikte beim Bergwerksbetriebe Oesterreichs im IV. Quartale 1902; Die
Streikbewegung in Oesterreich im Jahre 1902; Arbeitseinstellungen und Aussperrungen
in den Niederlanden 1901; Der Streik der Hartkohlenarbeiter Ostpennsylvanieus im
Jahre 1902. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im Monat Dezember
1902. — Arbeitsmarkt: Internationaler Arbeitsmarkt: Belgien, Deutsches Reich, Eng-
land, Frankreich; Lage des Arbeitsmarktes in Westdeutschland zu Beginn des Winters
1902/03. — Einwanderung nach den Ver. Staaten von Amerika im Fiskaljahre 1901/1902.
— Arbeitslosigkeit: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch kommunale Notstands-
arbeiten im Deutschen Reiche; Arbeiterkolonie Herdern in der Schweiz. — Forderung
des Kleingewerbes in Oesterreich im Jahre 1901. — Wohnungswesen: Vorschriften zur
Durchführung des österreichischen Arbeiterwohnungsgesetzes; Wohnungsnachweis in Graz.
— Wirtschaftliche und soziale Verhältnisse in Linz 1901. — I’ Haushaltungsabendkurs
für Arbeiterinnen in Wien, 1901/02. — Gewerbegerichtliche Entscheidungen N" 499—
513. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Marzo 1903: La situazione del mercato monetario. —
Dell’ indice unico: (studio di semiologia economica), per F. Coletti. — Sul contratto
d’affitto „a ventennale“ e sulle condizioni dell’ agricoltura in provincia di Trapani, per
A. Bruttini. — Alcune osservazioni sui sindacati e sulle leghe: (a proposito di une
memoria del (prof.) Menzel) per M. Pantaleoni. — La scuola media di commercio in
Roma e l’insegnamento commerciale in Italia, per C. Ghidiglia. — Cronaca, per F.
Papafava. — ete.
Rivista italiana di sociologia. Anno VI, fase. 5—6. Roma, Settembre-Dicembre
1902: Sul rinnovamento della filosofia del diritto, per M. A. Vaccaro. — Formazione
di gruppi municipali internazionali nell' estremo Oriente contemporaneo, per E. Castel.
lani. — Di una nuova classificazione delle varie teorie intorno al fondamento intrinseco
del diritto, per A. Groppali. — I figli illegitimi nel antico diritto germanico, per E.
Loneao. — Le tracce della cattura e della compra della sposa presso i Serbi, per G.
Mazzarella. — Nervosismo e civiltà, per E. Crisafulli. — Rassegne analitiche: I fonda-
menti scientifici della filosofia del diritto, per G. Solari. — Rassegna delle pubblica-
zioni. — ete.
F. Düuemark. i
Nationaløkonomisk Tidsskrift, udgivet af Nationaløkonomisk-Forenings-Be-
styrelse. XLI. Aargang, Kebenhavn 1903, 1** Hefte (Jan.-Febr.): Børs- og Bankkrisen i
New York i Sept.-Oktober 1902, af (Prof. Will. Scharling. — Karl Marx's vierdilere
i en neddeskal, a Laurits V. Direk. — Det danske Smor (Butter): Foredrag i National-
okonomisk Forening den 27. XI. 1902, af (Konsulent) B. Beggild. — Et Par Track af
de Forenede Staters ekonomiske Udviklingshistorie, af Ad. Jensen. — Jærnbane-Per-
sontarifer i Danmark og nogle andre evrop:iske Lande, af (Cand. mag.) Rud. Haarlov.
— Notitser: Brandforsikringen i Danmark. Antallet af Hundredaarige. — ete.
G. Holland.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Jaarg. LII, 1903, Februari:
Financieele beschouwingen. — Sociaaldemokratie en handelspolitiek, door D. van Blom.
— De drankweet, door A. van Gijn. — Het Liernurstelsel in Nederland, door A. $.
van Reesema (vervolg en slot van jaarg. 1902, p. 812). — De internationale geldmarkt,
door C. Rozenraad. — Economische kroniek: Holländische Berufsstatistik ; Industrielle
RN A der Ver. Staaten von Amerika; Englische Arbeitsstatistik. — Handels-
roniek.
de Economist, 1903, Maart: Suikererisis en spoorwegtariefen op Java, de R. W.
Die periodische Presse des Auslandes. 573
J. C. van de Wall Bake. — Mijnwetgeving in Nederland, door Reinier D. Verbeek
(I. art.). — De drankwet, door A. van Gijn. — De internationale geldmarkt, door C. Rozen-
raad. — Economische kroniek: Einfuhrzoll auf Mehl; Wohnungszustände in Holland ;
Die Zuckervorlage der niederländischen Regierung; Mitteilung über die westindischen
Finanzen. — Handelskroniek. — etc.
H. Sehweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Jahrg. XXV, 1903, N°3, März:
Notwendigkeit des Kinderschutzes, von K. Beck (Arzt, Sursee, Schweiz). — Die freie
Weide. — Zeitschriftenschau, von €. Deeurtius. — Für die sozialen Vereine : Skizze XI.
Die Familie, die Urzelle, die Gesellschaft; Skizze L. Sommerprogramm für soziale
Vereine. — etc.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. XI, 1903,
Heft 3, 4 und 5: Produktivgenossenschaften sonst und jetzt, von Max May (Heidel-
berg). — Mittel und Einrichtungen zur Förderung und Durchführung des Realkredites,
von (Prof.) W. Marcusen (Univ. Bern) [Fortsetzungen]. — Die Entwiekelung des All-
gemeinen schweizerischen Gewerkschaftsbundes, von C. Hakenholz (Vorstandsmitglied
des Gewerkschaftsbundes, Bern). — Die Organisation der unentgeltlichen ärztlichen
Fürsorge mit Hilfe des Bundes in der Schweiz, von (Prof.) E. Erismann (Mitglied des
Stadtrates in Zürich). — Soziale Chronik. — Statistische Notizen. — Miszellen. — ete.
Zeitschrift für Schweizerische Statistik. Jahrg. XXIX, 1903, Lieferung I:
Hypothekenverhältnisse im Kanton Solothurn. Liegenschaftsverkehr und Bodenver-
schuldung mehrerer Gemeinden, von Gottlieb Vogt. — Statistique démographique et
pathologique de l’Asyle de Cery (Vaud) de 1881 à 1901, par A. Koller. — Die Lebens-
dauer in der Schweiz, vom Eidgenössischen statistischen Bureau. — Alfred Furrer.
Nachruf vorgetragen in der statistisch-volkswirtschaftlichen Gesellschaft zu Basel am
6. X. 1902, von T. Geering. — Statistique annuelle du corps électoral dans le canton
de Genève, par Eman. Kuhne (adjoint au Bureau cantonal de statistique. — Die frei-
willige Viehversicherung in Appenzell A.-Rh. im Jahre 1900. Mitgeteilt von Tobler
(Ratsschreiber, Herisau). — Lieferung Il: Protokoll der Jahresversammlung des Ver-
bandes schweizerischer amtlicher Statistiker und der schweizerischen statistischen Gesell-
schaft den 29. u. 30. Sept. 1902 in Luzern. — Protokoll der Jahressitzung der schweize-
rischen statistischen Gesellschaft, abrehalten Montag den 29. IX. 1902, — Lieferunglll:
Eidgenössische Betreibungsstatistik pro 1898 und 1599. Von der schweizerischen Bundes-
gerichtskanzlei Abteilung für Schuldbetreibung und Konkurs. — Ueber das Vorkommen
des virulenten Diphtheriebazillus auf der Schleimhaut des Rachens ohne typische kli-
nische Erscheinungen, von Herm. Hopf (aus Thun). — Die Ergebnisse der pädagogischen
Rekrutenprüfungen vom Herbst 1901 und die Sehulorganisation im Kanton Baselland,
von Hans Steiner-Stooss (Bern). — Die Legitimation vorehelich geborener Kinder in der
Schweiz während der Jahre 1900 und 1901. — Die Zahl der Studenten und Zuhörer
an den schweizerischen Universitäten und Akademien im Winter 1901/1902 und im
Sommer 1902.
M. Amerika.
Annals, the, of the Ameriean Academy of political and social science. Vol. XXI,
N^ 1, January 1903: Some features of the labor system and management at the Baldwin
locomotive works, by John W. Converse. — The premium system of wage payment, by
Alex. E. Outerbridge. — The effect of unionism upon the mine workers, by Frank
Julian Warne. — The investors’ interest in the demands of the anthracite, by Edw.
Sherwood Meade. — Labor unions as they appear to an employer, by W. H. Phahler. —
The evolution of negro labor, by Carl Kelsey. — The labor situation in Mexico, by
Walter E. Weyl. — ete. — Supplement to the Annals of the American Academy ete.,
January, 1903: Housing conditions in Jersey eity, by Mary F. Sayles (fellow of thé
College Settlements Association). 72 pp. and map.
Journal of Politieal Economy. (Publication of the University of Chicago.) Vol. XI,
N° 1, December 1902: The adjustment of crop statistics, by H. P. Willis. — The pass-
ing of the coal strike, by J. Cummings. — The relation between social settlements and
charity organization, by R. Hunter. — The wage earners in the manufacturing and
mechanical industries of the North-Western States, by J. Moersch.
574 Die periodische Presse Deutschlands.
Publications of the American Economic Association. III" series. Vol. II.
New York, the Macmillan C°, 1902. (Contents: N° 1: Annual meeting (XIV®): Paper
on International trade; Industrial poliey; Publie finance ; Negro problem; Arbitration of
labor disputes; Economie history. — N° 2: The negro in Africa and America, by Jos.
A. Tillinghast. — N° 3: The finances of New Hampshire, by Maur. H. Robinson. —
The rent of land in economie theory, by Alv. S. Johnson.)
Die periodische Presse Deutschlands.
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgeg. vom kgl. preußischen Ministerium für
öffentliche Arbeiten. Jahrg. 1903, Heft 1 u. 2, Januar/Februar; März/April: Die Pen-
sionskasse, die Krankenkassen und die Unfallversicherung der Arbeiter bei der preußisch-
hessischen Eisenbahngemeinschaft im Jahre 1901, von Wesener (GRegR. u. vortr. R.).
— Die anatolischen Eisenbahnen und ihre Fortsetzung bis zum persischen Golf, von
Heeser (Reg.- u. BauR., Elberfeld) [Mit 1 Karte.] — Die unter k. sächsischer Staatsverwal-
tung stehenden Staats- und Privateisenbahnen im KReich Sachsen im Jahre 1901. — Haupt-
ergebnisse der österreichischen Eisenbahnstatistik für das Jahr 1900. — Die Betriebs-
ergebnisse der Staatsbahnen und der 6 großen Eisenbahngesellschaften in Frankreich im
Jahre 1901. — Die Betriebsergebnisse der italienischen Eisenbahnen im Jahre 1900, von
H. Claus. — Die Eisenbahnen der australischen Kolonien. — Binnenwasserstraßen und
Eisenbahnen zwischen Manchester und Liverpool und der Manchester Seeschiffkanal, von
Bindewald (Hauptm. a. D., Königsberg i. Pr.). [Mit einer Uebersiehtskarte.] Forts. Inhalt:
Die Tarife des Kanals und die Behandlung der Güter auf den Docks; der Kanal und
seine Wettbewerber 1894—1896). — Deutschlands Getreideernte in 1901 und die Eisen-
bahnen, von C. Thamer. — Die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen und die Wilhelm-
Luxemburg Bahnen im Rechnungsjahre 1901. — Die vereinigten preußischen und
hessischen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahre 1901, von Tolsdorf (RechnungsR. im k.
Minister. d. öff. Arbeiten). — Die Eisenbahnen im Großherzogt. Baden im Jahre 1901.
— Die k. k. österreichischen Staatsbahnen im Jahre 1901. — Die ungarischen Staats-
bahnen im Jahre 1901, von (OIngen.) Rud. Nagel. — Die Eisenbahnen in Schweden im
Jahre 1900/01. — Die Eisenbahnen Britisch-Ostindiens im Kalenderjahre 1901. — ete.
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1903, N° 3 bis 5, Februar & März:
Deutsche Post- und Telegrapheneinrichtungen in den Kolonien und im Auslande (Schluß).
— Post- und Telegraphengesetz des Australischen Bundes, — Der Murray-Telegraph. —
Das neue Postgebüude in Oldenburg und die Geschichte der oldenburgischen Post. —
Die Gründung der ersten deutsch-amerikanischen Postdampfschiffslinie. — Die Grund-
lagen der Preisbildung im elektrischen Nachrichtenverkehre, — Die Eisenbahn von
Tehuantepec. — ete.
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Jahrg. VIII, 1903, N* 2, Februar:
Zur Frage der literarischen Neuheit der Erfindung, von (GRegR., Prof.) H. Aron (Berlin).
— „Die Reformbedürftigkeit des Firmenrechtes“ (mit besonderer Bezugnahme auf den
unter gleichem Titel in der Zeitschr. „Das Recht“, N° 2, v. 25. I. 1903 veröffentlichten
Aufsatz von (LandgerR.) Marcus, von (Rechtsanw.) Martin Wassermann (Hamburg). —
Bericht über den Turiner Kongreß der internationalen Vereinigung für den gewerblichen
Rechtsschutz, von (Patentanw.) Mintz. — Internationaler Rechtsschutz: Der Anschluß des
Deutschen Reiches an die Pariser Union. — ete,
Journal für Landwirtschaft. Im Auftrage der Landwirtschaftskammer für die
Provinz Hannover herausgeg. Unter Mitwirkung genannter Autoren redigiert von
(GRegR., Prof.) B. Tollens. Bd. LI, 1903, Heft 1: Untersuchungen über den Einfluß
eines verschieden großen Bodenvolumens auf den Ertrag und die Zusammensetzung der
Pflanzen, von O. Lemmermann (Jena). — Die landwirtschaftliche Verwertung des Haus-
mülls, von Hans Thiesing (wissensch. Mitglied d. k. Versuchs- und Prüfungsanst. f.
Wasserversorgung ete), — Zur Frage des Verhaltens der Eigenschaften verschiedener
Gersten- und Hafersorten bei mehrjährigem Anbau an einem Orte, von (Prof. C. Fru-
wirth (Hohenheim). — Ueber die landwirtschaftlichen Verhältnisse Germaniens um den
Beginn unserer Zeitrechnung, von F. Fleischmann (Göttingen). — ete.
Die periodische Presse Deutschlands. 575
Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.
Jahrg. XIII, 1903 (Berlin). N’ 1 bis 5: Der IV. belgische Gewerkschaftskongreß. —
Amtliche Arbeitslosenfürsorge in der Schweiz. — Die XXII. Jahreskonvention der
American Federation of Labor, — Koalitionsschutz und Vermittlung bei Arbeitskonflikten
in Norwegen. — Berufszählung in den Ver. Staaten von Amerika. — Gewerksbewegung
und Bodenreformer. — Kartellvertrag der Organisation der Bauarbeiter, Maurer und
Zimmerer. — Norwegischer Gewerkschaftskongreß.
Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht ete.
Neue Folge. Jahrg. XV, 1903, Heft 2: Zur Haftpflichtversicherung. — Hypothekén-
versicherung. — Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. — Rechtsprechung des Reichs-
gerichts. — ete. Heft 3: Das Neueste von den Abwehrmaßregeln gegen die Tuberkulose.
— Die sogen. Beleihung von Versicherungsscheinen durch Lebensversicherungsanstalten.
— Entscheidungen des Privatversicherungsamtes. — Oesterreichische Versicherungs-
statistik. — Die Schadenschätzung in der Hagelversicherung. — etc.
Mitteilungen vom Verband deutscher Patentanwälte. Jahrg. III, N°3, Februar
1903: Der Patentanwalt und das Handelsregister, von (Patentanw.) Th. Stort. — Das
deutsch-italienische Abkommen zur Abänderung des Uebereinkommens vom 18. I. 1902,
batreffend den gegenseitigen Patent-, Muster- und Markenscehutz, von M. Mintz. — Die
praktische Bedeutung der gewerblichen Schutzgesetze für die Industrie, von (Patentanw.)
E. Dalehow (II. Art.). — etc.
Neue Zeit. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. Jahrg. XXI, Bd. I,
N° 22—25 vom 28. II. bis 21. III. 1901: Sozialismus und Landwirtschaft, von K.
Kautsky: 1. Die Entwickelung der Theorie; 2. Die Position des Marxismus. — Kartell-
fragen, von Heinr. Cunow, Art. II: Die angebliche größere Wirtschaftlichkeit der Kar-
telle. — Sozialpolitische Umschau, von Eman. Wurm. — Notizen: Die neunjährige
Tätigkeit der Berner Arbeitslosenkasse. — Karl Marx. — Einleitung zu einer Kritik
der politischen Oekonomie, von Karl Marx: 1. Die Produktion im allgemeinen; 2. Das
allgemeine Verhältnis der Produktion zu Distribution, Austausch, Konsumtion, ete, —
Drei Krisen des Marxismus, von K. — Zum 14. März, von F. A. Sorge. — Sozialismus
und Landwirtschaft, von K. Kautsky: 3. Die neue Theorie; 4. Der Kleinbetrieb; 5
Selbstwirtschafter; 6. Wissenschaft und Landwirtschaft; 7. Genossenschaftliche Land-
wirtschaft; 8. Fundamente der Oekonomie. — Eine Urgeschichte Amerikas, von M. Bach
(London) [Schluß]. — Friedrich Gottlieb Klopstock, von Frz. Mehring. — Zum 2. Bau-
arbeiterschutzkongreß, von G. Link (Berlin). — Literarische Rundschau: „Ilse v. Arlt,
Die gewerbliche Nachtarbeit der Frauen in Oesterreich.“ —
Politisch-anthropologische Revue. Monatsschrift für das soziale und geistige
Leben der Völker. Jahrg. II, N" 1, April 1903: Die Probleme der Deszendenztheorie,
von Erz. v. Wagner. — Die anthropologische Geschichts- und Gesellschaftstheorie, von
Ludw. Woltmann. — Die Menschenrassen Europas, von Gustav Kraitschek. — Die auf-
steigende Entwickelung des Menschen, von Chr. von Ehrenfels. — Stufen und Arten der
Kulturentwiekelung, von Maxim. Borchers. — Das Strafrecht und verminderte Zurech-
nungsfähigkeit, von C. Pelmann. — Monismus und Psychologie, von August Forel. —
Anthropologisches aus der Romanliteratur, von Eberh. Kraus. — ete.
Preußische Jahrbücher, herausgeg. von Hans Delbrück. Bd. 112, Heft 1, April
1903: Die Unterdrückung der Deutschen in Ungarn, von (Privdoz.) Wilh. Dibelius
(Univ. Berlin). — Der anonyme Schuft, von Outis. — Reformen in der Türkei, von
(Laborator). — Der Nebencharakter, Kriminalpsyehologische Studie, von Gregor v.
Glasenapp (Friedensrichter in Bialaja-Zerkow, Rußland). — Die Universitätsmoschee El
Azhar, von Ad. Heilborn (k. preuß. RegAss. a. D. München‘. — Deutschland und die
Monroe-Doktrin, von Harry A. Fiedler (New York). — Politische Korrespondenz. — ete.
Verwaltungsarehiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts-
barkeit. Bd. XI, Heft 4, 1903, März: Rechtskraft und reformatio in pejus im preußi-
schen Verwaltungsstreitverfahren, von (OVerwGerR.) Schultzenstein. — Ueber Gebühren,
von (Geh. u. ORegR., Prof.) Arndt (Königsberg. i. Pr.) — Die Beschränkungen der
Marktfreiheit auf den Jahr- und Wochenmärkten, von Nelken (kais. RegR., Metz), —
Zeitschrift des kgl. bayerischen statistischen Bureaus. Redigiert von Karl Trutz
(k. ORegR.). Jahrg. XXXIV, 1902, N' 3: Die öffentlichen Sparkassen im KReich
Bayern im Jahre 1899. — Die Ernte des Jahres 1902. — Die Hagelschläge in Bayern
während des Jahres 1902. Mit Rückblicken auf die Erhebungen seit 1579. — Nach-
weisungen über den Verkauf von Getreide auf den bayerischen Schrannen sowie über
576 Die periodische Presse Deutschlands.
die erzielten Durchschnittspreise für das Jahr 1902. — Jahresdurchschnittspreise der
Viktualien u. s. w. an 69 Orten Bayerns für das Jahr 1902. — Geburten und Sterbe-
fälle in 25 bayerischen Städten im 2., 3. und 4. Vierteljahre 1902.
Zeitschrift des kgl. preußischen statistischen Bureaus. Herausgeg. von dem
Präsidenten E. Blenck. Jahrg. XLII 1902, IV. Vierteljahrsheft: Geburten, Ehe-
schliebungen und Sterbefälle im preußischen Staate während des Jahres 1901. — Sozial-
statistische Streifzüge durch die Materialien der Veranlagung zur Staatseinkommensteuer
in Preußen von 1592—1901, von (ORegR.) Georg Evert. — Die Binnenwanderungen im
preußischen Staate nach Kreisen 1895 bis 1900, von Max Broesike (kommissar. Mit-
gliede des kgl. statist. Bureaus). — Die Ehescheidungen in Preußen, von (RegR.) F.
Kühnert. — Statistische Korrespondenz. — ete.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgeg. im Ministerium der öffentlichen Ar-
beiten. X. Jahrg, 1903, Heft 1, Januar: Die Entwickelung der Kleinbahnen in
Preußen. — Selbstentladende Wagen für Voll- und Kleinbahnen, von (Ingen.) W. Gie-
secke. — Der internationale StraBenbahnkongreB in London, von (Ziviling.) E. A. Ziffer
(Wien) — Ergünzungsheft, Januar 1903: Statistik der Kleinbahnen in PreuDen und im
Deutschen Reiche: 1. Nachweisung der in Preußen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes
vom 28. VII. 1892 genehmigten und jetzt als Kleinbahnen im Sinne dieses Gesetzes
anzusehenden Eisenbahnen sowie der nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes geneh-
migten Kleinbahnen, aufgestellt im Ministerium der öff. Arbeiten nach dem Stande vom
31. III. 1902; 2. Statistik der deutschen Kleinbahnen (Straßenbahnen und nebenbahn-
ähnliche Kleinbahnen), aufgestellt vom Verein deutscher Straßenbahn- und Kleinbahn-
verwaltungen nach dem letzten Betriebsjahre. — etc.
Zeitschrift für Sozialwissensehaft. Jahrg. VI, 1903, Heft 3: Das sozialökono-
mische System J. F. Brays, von (Frh.) Traugott v. Heintze (RegRef., Potsdam) (Schluß).
— Die Lehren der jüngsten Zusammenbrüche von Privatversicherungsunternehmungen,
von J. August (Berlin. — Die Entwiekelung der menschlichen Bedürfnisse, von Alfr.
Vierkadt (Privdoz. Berlin) — Kriminalistische Heimatskunde, von (AmtsGerR. a. D.)
Paul Frauenstüdt (Breslau). — Sozialpolitik: Fortschritte der Hinterbliebenenfürsorge in
Deutschland, von Friedr. Prinzing (Ulm). — etc.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Herausgeg. von (Minist. a. D.)
A. Schäffle und (Prof) K. Bücher. IV. Ergünzungsheft. Tübingen, H. Laupp, 1902.
(Inhalt: Hacker, Paul, Die Beiräte für besondere Gebiete der Staatstátigkeit im Deutschen
Reiche und in seinen bedeutenderen Gliedstaaten. gr. 8. VI—107 SS. M. 3.—)
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. III (redigiert von
Bd. II an von dem Generalsekretär des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft,
D' jur. Alfred Manes). Heft 1 u. 2. Berlin 1902 u. 1903. Abhandlungen: Vorschläge
zur Aenderung der gesetzlichen Vorschriften, betreffend die Haftung der Reeder. Eine
Erwiderung. — Zur neueren Entwickelung der Unfall- und Haftpflichtversicherung, von
Paul Hiestand (Zürich). — Besteuerung der Versicherung, von Alfred Manes. — Zur
Statistik der Arbeitslosigkeitsversicherung, von Heinr. Unger. — Die doppelte Gruppie-
rung der Versicherungen für Berechnung der Prümienreserve, von Karl Diekmann
(Stockholm). — Die Verallgemeinerung der Versicherungshilfe, von Gottfr. Leuckfeld
(Halensee-Berlin. — Die Harndiagnostik in der Lebensversicherung, von (Ur med.)
Wilh. Sternberg (Berlin). — Die Krankenversicherung der Hausindustriellen, von Ludw.
Fuld (Mainz) — Versicherungswesen und Statistik, von (Prof. Heinrich Bleicher
(Frankf. a. M.) — Der Schutz der Hypothekengläubiger im Versicherungsrecht, von
(Referend.) Friedr. Hülsse (Magdeburg) — Die Mathematik und Technik der Arbeits-
losigkeitsversicherung, von Heinr. Unger (Versicherungstechniker, Groß-Lichterfelde).
— ete.
From mannsche Ruchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
Thilo Hampke, Die dentschen Handwerkerorganisationen. ATT
Nachdruck verboten.
X.
Die deutschen Handwerkerorganisationen.
Eine statistische Studie.
Von
Rat Dr. Thilo Hampke.
Durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 26. Juli 1897, das
sogenannte Handwerkerorganisationsgesetz, sind die Handwerksorga-
nisationen einer neuen gesetzlichen Regelung unterworfen worden.
Dieses Gesetz vom 26. Juli 1897 ist in seinem letzten Teil
bereits am 1. Oktober 1901 in Kraft getreten, so daß es doch schon
möglich ist, ein gewisses Urteil sich über die Wirksamkeit des Gesetzes
zu bilden. Am 1. April 1898 traten in Kraft die Bestimmungen dieses
Gesetzes über freie Innungen, über Zwangsinnungen, über Innungs-
ausschüsse, über Innungsverbände und die allgemeinen Bestimmungen
über Lehrlingsverhältnisse. Am 1. April 1900 folgten dann die Be-
stimmungen über die Handwerkskammern. Am 1. April 1901 traten
weiter in Kraft die besonderen Bestimmungen für das Lehrlingswesen
im Handwerk und schließlich am 1. Oktober 1901 der letzte Teil,
nämlich die Bestimmungen über die Führung des Meistertitels.
Die allmähliche Inkraftsetzung des neuen Organisationsgesetzes
war durch die Natur der Sache bedingt, denn es mußten erst die
Innungen, es mögen nun freie oder fakultative Zwangsinnungen sein,
auf Grund der neuen gesetzlichen Bestimmungen bestehen, bevor die
Mitglieder der Handwerkerkammern gewählt werden konnten. Die
Innungen sollen die hauptsächlichsten Wahlkörper für die Hand-
werkerkammer sein. Es muß also mit der Schaffung der Hand-
werkerkammer so lange gewartet werden, bis eine Reorganisation
der Innungen auf Grund der neuen gesetzlichen Bestimmungen
erfolgt. Wiederum konnten erst die besonderen Bestimmungen über
das Lehrlingswesen im Handwerk und die Vorschriften über die
Führung des Meistertitels in Wirksamkeit gesetzt werden, wenn die
Handwerkerkammern bereits funktionierten, denn gerade diesen sind
weitgehende Aufgaben der Selbstverwaltung auf den genannten Ge-
bieten zugestanden worden.
Die Krone der ganzen Handwerksorganisation sollten also die
neuen Handwerkskammern bilden.’
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 37
587 Thilo Hampke,
Die Begründung des Gesetzes sagte über die Handwerkskammern
folgendes !) :
„Die Innungen und Innungsausschüsse sind in ihrer Tätigkeit
ebenso wie die Gewerkvereine auf kleine Bezirke und die in diesen
vertretenen Handwerke beschränkt. Für das Handwerk bedarf es
jedoch eines Vertretungs- und Selbstverwaltungskörpers für größere
Bezirke, wie er für Handel und Industrie in den meisten deutschen
Staaten und in einigen Bundesstaaten auch für die Landwirtschaft
besteht. Bereits in der Begründung des dem Reichstage vorliegen-
den Gesetzentwurfs über die Errichtung von Handwerkskammern
ist darauf hingewiesen worden, daß die Regierung gegenwärtig bei
den im Interesse des Handwerks zu treffenden Maßnahmen des Beirats
und der Mitwirkung des weitaus größten Teiles der Handwerker ent-
behre; je bedeutsamer aber die Fragen seien, welche bei der modernen
Entwickelung der Verhältnisse im Handwerk an die Gesetzgebung
und die Verwaltung heranträten, um so mehr müsse Wert darauf
gelegt werden, daß diese Fragen einer Erörterung möglichst aller
Kreise der Beteiligten unterzogen werden.
Das hiernach für die Vertretung des Handwerks nötige Organ
soll nach dem Vorschlage des Entwurfs die Handwerkskammer sein.
Die Handwerkskammer wird naturgemäß eine doppelte Aufgabe
haben. Sie wird einmal die Gesamtinteressen des Handwerks und
die Interessen der in ihrem Bezirke vorhandenen Handwerke gegen-
über der Gesetzgebung und der Verwaltung des Staates zu vertreten
haben, und zwar sowohl durch Erstattung der von den Staatsbehörden
einzuholenden Gutachten als auch durch die aus ihrer eigenen Ini-
tiative hervorgehenden Anregungen. Daneben wird sie als Selbst-
verwaltungskörper die Aufgabe haben, diejenigen zur Regelung der
Verhältnisse des Handwerks erlassenen gesetzlichen Bestimmungen,
welche nach einer Ergänzung durch Einzelvorschriften bedürftig und
fähig sind, für ihren Bezirk weiter auszubauen, bei Durchführung
der gesetzlichen und der von ihr selbst erlassenen Vorschriften in
ihrem Bezirke zu regelm und, soweit erforderlich, durch besondere
Beauftragte, zu überwachen, und endlich solche auf die Förderung
des Handwerks abzielende Veranstaltungen zu treffen, zu deren Be-
gründung und Unterhaltung die Kräfte der lokalen Organisationen
nicht ausreichen.
Wird für die Lösung des ersten Teils dieser Aufgaben vorwiegend
die Handwerkskammer in ihrer Gesamtheit wirksam werden müssen,
so wird es zur Lösung des zweiten Teiles einer Tätigkeit bedürfen,
welche sich nicht in den verhältnismäßig seltenen Versammlungen
der Kammer erledigen läßt und demnach von einem aus ihrer Mitte
hervorgehenden Vorstande wahrgenommen werden muß. Außerdem
werden sowohl die Handwerkskammer als ihr Vorstand, denen natur-
gemäß nicht mehrere Mitglieder aus jedem Handwerke angehören
können, für manche Arbeiten einer Ergänzung ihrer Kräfte bedürfen:
1) Kurt v. Rohrscheidt, Das Innungs- und Handwerkergesetz. Leipzig 1897, 8. 17.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 579
diesem Bedürfnis soll durch die Möglichkeit der Bildung von Aus-
schüssen für einzelne Geschäftszweige, örtliche Bezirke und Gewerbe-
gruppen, welche nicht notwendig am Sitze der Kammer eingerichtet
werden müssen, entsprochen werden.
Die Mitglieder der Handwerkskammer sollen von denjenigen
Handwerkern gewählt werden, welche sich zur Verfolgung ihrer
gemeinsamen gewerblichen Interessen in Zwangsinnungen, freie In-
nungen, Gewerbevereine oder sonstige gewerbliche Vereinigungen
zusammengeschlossen haben. Die aus der örtlichen Zerstreuung des
Handwerks für die Wahlen sich ergebenden Schwierigkeiten lassen
ein möglichst einfaches Wahlsystem erwünscht erscheinen. Ausschlag-
gebend für den Vorschlag des Entwurfs war indessen die Erwägung,
daß in der Beschränkung des aktiven Wahlrechts auf die in einer
der bezeichneten Formen vereinigten Handwerker eine wirksame
Förderung des Zusammenschlusses der Handwerker zu erblicken ist,
auf welche um so mehr Wert gelegt werden muß, als die Bedeutung
eines, solchen Zusammenschlusses für Reformen im Handwerk auch
im Handwerkerstande selbst in zunehmendem Maße anerkannt wird.
Selbstredend werden innerhalb der Gewerbevereine und sonstigen
Vereinigungen diejenigen Mitglieder an der Wahl sich nicht betei-
ligen dürfen, welche nicht Handwerker sind oder als Innungsmit-
glieder ihr Wahlrecht durch die Innung wahrzunehmen haben.“
Diese Handwerkerkammern, die auf der einen Seite ähnlich wie
die Handelskammern oder Landwirtschaftskammern Interessenvertre-
tungen, auf der anderen Seite Selbstverwaltungskörper auf dem Gebiete
des Lehrlingswesens sind, traten also am 1. April 1900 in Kraft. In
den Hansestädten und in Sachsen wurden auf Grund des $ 103q
der R.G.O. den bestehenden Gewerbekammern resp. Handels- und
Gewerbekammern die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten der
Handwerkskammern übertragen.
A. Die Handwerkskammern.
Es sind in ganz Deutschland; 71 derartiger Organisationen
vorhanden, von denen 63 Handwerkskammern und 8 Gewerbekammern
sind. Die Bedeutung der Handwerkskammer ist natürlich je nach der
Größe und Bedeutung des Bezirks eine sehr verschiedene. Die
Bedeutung der einzelnen Kammern nach der Größe ihrer Bezirke
und nach der Anzahl der Einwohner derselben veranschaulicht fol-
gende Tabelle (s. Tabelle I S. 580—583).
In Preußen bestehen also 33 Handwerkskammern, die meist
einen ganzen Regierungsbezirk umfassen, nur die Handwerkskammer
Danzig umfaßt den Bezirk einer ganzen Provinz, nämlich den der
Provinz Westpreußen.
Was die Größe der Bezirke an Flächeninhalt betrifft, so sind
die größten Kammern in Preußen die von Stettin, Danzig, Berlin
und Königsberg, während wenn man die Größe der Einwohnerzahl
betrachtet, natürlich Berlin mit 3818152 Einwohner an der Spitze
37*
580 Thilo Hampke,
Tabelle I.
z Flächen-| Ein-
© inhalt in | wohner-
t Name Sitz Bezirk
E |
E |
1|Handwerkskammer |Kónigsberg RegierungsbezirkKönigsberg mit
f Ausschluß des Kreises Memel|20 265,72|1 144 589
2 e Insterburg Regierungsbezirk Gumbinnen
und der Kreis Memel 16 728,17) 852037
3 " Danzig Provinz Westpreußen 25 534,90|I 563 658
4 ge Berlin Stadtkreis Berlin und der Re-
gierungsbezirk Potsdam 20 703,013 818 152
5 $ Frankfurt a.O.| Regierungsbezirk Frankfurt 19 198,18/1 179 250
6 E Stettin Reg.-Bez. Stettin und Kóslin |26 109,66|1 418 492
7 s Stralsund Regierungsbezirk Stralsund 4010,88| 216340
8 a Posen ge Dosen 17 518,60|1 198 252
9 í Bromberg » Bromberg 1I 451,81| 689023
10 T Breslau » Breslau 13 483,63|1 697 719
11 » Liegnitz 8 Liegnitz 13 610,20|1 To2 992
12 de Oppeln is Oppeln 13 225,36|1 868 146
13 5 Magdeburg ee Magdeburg |11 512,87/1 176 372
14 » Halle x Merseburg IO 210,81/1 189 825
15 , Erfurt e Erfurt und
Kreis Schmalkalden 3 811,19) 504139
16 ^ Altona Südlicher Teil der Prov. Schles-
wig-Holstein und das Olden-
burgische Fürstentum Lübeck| 9 329,96| *909 534
17 Flensburg Kreis Flensburg, Stadt u. Land,
Apenrade, Sonderburg, Ha-
dersleben, Tondern, Husum,
Eiderstedt, Schleswig, Eckern-
fórde, Norder- und Süder-
dithmarschen 10 215,55| 515774
18 Hannover Reg.-Bez. Hannover, Kreis Rin-
teln und Kreis Pyrmont 6232,05| 701 569
19 5 Hildesheim | Reg.-Bez. Hildesheim 5351,70| 526758
20 á Harburg » » Lüneburg und Stade 18 129,70| 847 615
21 5 Osnabrück » » Osnabrück u. Aurich| 9312,58) 568 658
22 5 Münster » . Münster 7 253,39| 699 583
23 2 Bielefeld » » Minden 5 260,56| 636875
24 E Arnsberg Kreis Arnsberg, Brilon, Mesche-
de, Olpe, Wittgenstein, Iser-
lohn, Altena und Siegen A 996,85| 477 618
25 Dortmund | Kreis Dortmund Stadt u. Land,
| | Hörde, Hamm, Bochum Stadt
u. Land, Gelsenkirchen, Hat-
tingen, Hagen Stadt u. Land,
Schwelm, Lippstadt, Stadt-
| kreis Witten, Soest. 2 699,81|1 373 701
26 " Cassel | Reg.-Bez. Cassel mit Ausschluß
der Kreise Rinteln, Schmal-
kalden und des Fürstentums
Waldeck (auBerKreis Pyrmont)| 9458,42] 856 879
1) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Jahrgang 1901, IV.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 981
Tabelle I (Fortsetzung).
Z | Flächen-| Ein-
E inhalt in | wohner-
E Name Sitz Bezirk qkm am | zahl am
Ki 1. Dez. | 1. Dez.
3 | | 1900 1) | 1900 +)
27 Handwerkskammer Wieshaden Reg.-Bez. Wiesbaden 5 617,25|1 007 839
28 " Coblenz » » Coblenz 6 205,81) 682 454
29 a Düsseldorf » "Düsseldorf 5 473,10 2 599 806
30 5 Cóln ;» a Gol 3977,211021 878
31 D Aachen » » Aachen 4 155,17) 614 964
32 v Saarbrücken » » Trier und das Groß-
herzoglich Oldenburgische
Fürstentum Birkenfeld 7 686,54| 884 101
33 5 Sigmaringen | Reg.-Bez. Sigmaringen 1 142,27| 66 780
Bayern.
34[Handwerkskammer
für Oberbayern |München Reg.-Bez. Oberbayern 16 725,421 323 888
35|Handwerkskammer
für Niederbayern|Passau » » Niederbayern 10 756,59| 678 192
36]Handwerkskammer
für die Pfalz Kaiserslautern „ „ der Pfalz 5 927,96| 831 678
37|Handwerkskammer
für die Oberpfalz
und Regensburg |Regensburg » o der Oberpfalz 9652,28| 553841
38|Handwerkskammer
für Oberfranken |Bayreuth » » Oberfranken 6 998,71, 608 116
39|Handwerkskammer
für Mittelfranken Nürnberg » » Mittelfranken 7583,28| 815 895
40|Handwerkskammer
für Unterfranken
u. Aschaffenburg| Würzburg „ Unterfranken 8 401,52] 650 766
41]Handwerkskammer
für Schwaben u.
Neuburg Augsburg » Schwaben 9824,11) 713681
Sachsen.
42|Gewerbekammer |Chemnitz Stadt Chemnitz und Amtshaupt-
mannschaft Annaberg, Borna,
Chemnitz, Döbeln, Flöha,
Glauchau, Marienberg und
Rochlitz 3 720,45 1099 415
43 ši (Dresden Kreishauptmannschaft Dresden,
Amtshauptmannschaften
Grimma und Oschatz 5 756,10|1 376 944
44 D Leipzig Stadt Leipzig, Bezirk der Amts-
hauptmannschaft Leipzig 498,65) 593 155
45 o Plauen Kreishauptmannschaft Zwickau,
| Amtshauptmannschaften
| Plauen, Auerbach, Oelsnitz,
Sehwarzenberg, Zwickau. 2548,01| 727 529
46 " Zittau | Kreishauptmannschaft Bautzen | 2469,73| 405 173
582 Thilo Hampke,
Tabelle I (Fortsetzung).
| Flächen- | Ein.
‚inhalt in | wohner-
Name Sitz Bezirk qkm am | zahl am
1. Dez. | 1. Der,
1900 !) | 19001)
Laufende Nr. |
Württemberg.
47[Handwerkskammer
Stuttgart Stuttgart Stuttgart u. die Oberamtsbezirke
Böblingen, Cannstadt, EB-
lingen, Gmünd, Göppingen, L
Kirchheim, Leonberg, Lud-
wigsburg, Schorndorf, Stutt-
gart Amt, Waiblingen und
Welzheim. 2 500,53| 643 490
45]Handwerkskammer |
Ulm Ulm Oberamtsbezirk Aalen, Bie-
berach, Blaubeuren, Ehingen,
Ellwangen, Geislingen, Hei-
denheim,Laupheim, Leutkirch,
Münsingen, Neresheim, Ra-
vensburg, Riedlingen, Saulgau,
Tettnang, Ulm, Waldsee und
Wangen. 7 535,84| 554472
49/ Handwerkskammer
Heilbronn Heilbronn Oberamtsbezirke Backnang, Be-|
sigheim, Brackenheim, Crails-|
heim, Gailsdorf, Gerabronn,
Hall, Heilbronn, Künzelsau,|
Marbach, Maulbronn, Mergent-
heim, Neckarsulm, Oehringen,
| Vaihingen und Weinsberg A 700,85| 462 260
50fHandwerkskammer |
Reutlingen Reutlingen Oberamtsbezirk Balingen, Calw,
Freudenstadt, Herrenberg,
| Horb, Nagold, Neuenbürg,
Nürtingen, Oberndorf, Reut-|
lingen, Rottenburg, Rottweil,
Spaichingen, Sulz, Tübingen,
Tuttlingen und Urach 4776,35| 509 258
Baden.
51[Handwerkskammer
Konstanz Konstanz Kreise Konstanz, Villingen und
Waldshut 4167,69, 297 242
52|Handwerkskammer
Freiburg Freiburg Kreise Freiburg, Lörrach und d
Offenburg 474848| 510274
55]Handwerkskammer TEN
Karlsruhe Karlsruhe Kreise Baden und Karlsruhe | 2566,89| 517434
54] Handwerkskammer
Mannheim ‚Mannheim Kreise Mannheim, Heidelberg |
und Mosbach 3597,94, 542991
Die deutschen Handwerkerorganisationen.
Tabelle I (Fortsetzung).
583
Flächen-
Ein-
e inhalt in | wohner-
3 Name Sitz Bezirk qkm am | zahl am
< 1. Dez. | 1. Dez.
& -| 1900 1) | 1900 !)
Uebrigen Bundesstaaten.
55[Handwerkskammer
Darmstadt Darmstadt "Großherzogtum Hessen 7 680,77|1 119 893
56|Mecklenburgische
Handwerkskammer |Schwerin die GroBherzogtümer Mecklen-
burg-Schwerin und Mecklen-
burg-Strelitz 16 056,42| 710372
57|Handwerkskammer
Weimar Weimar | Großherzogtum Sachsen 3 617,14, 362 873
58[Handwerkskammer
Oldenburg Oldenburg s Oldenburg 5383,30| 318 434
59|Handwerkskammer
für das Herzogtum
Braunschweig Braunschweig | Herzogtum Braunschweig 3 672,18, 464 333
60|Handwerkskammer
zu Meiningen [Meiningen Sachsen-Meiningen | 2 468,28| 250 731
61|Die gemeinsame
Handwerkskammer |
zu Gera Gera e Sachsen - Altenburg
u. Fürstentum Reuß j. L. 2 150,23) 334 124
62|Handwerkskammer |
zu Gotha Gotha die Herzogtümer Coburgu. Gotha| 1977,45 229 550
63|Anhaltische Hand- |
werkskammer |Dessau Herzogtum Anhalt 2 299,38 316085
64]Handwerkskammer
Arnstadt Arnstadt die Fürstentümer Schwarzburg-
Rudolstadt und Schwarzburg-
Sondershausen 1 802,50, 173 957
65|Handwerkskammer
zu Greiz ‚Greiz Fürstentum Reuß ä. L. 316,71), 68 396
66[Handwerkskammer
des Fürstentums
Schaumburg-Lippe Stadthagen Fürstentum Schaumburg-Lippe 340,19) 43132
67]Handwerkskammer
für das Fürsten-|
tum Lippe [Detmold M Lippe 1 215,20) 138952
68|Gewerbekammer ‚Lübeck Freie und Hansestadt Lübeck 297,711 96775
69 " Bremen das Bremische Staatsgebiet 256,42] 224 882
TO|Hamburgische Ge-
werbekammer Hamburg Stadt Hamburg 415,30! 768 349
T1[Handwerkskammer
f. Elsaß-Lothringen Straßburg | Elsaß-Lothringen 14 513,05. 17719470
erscheint.
Es folgen weiter Düsseldorf, Oppeln, Straßburg, Breslau,
Danzig und Stettin, während Königsberg dann erst an 15. Stelle
folgt.
584 Thilo Hampke,
Das Königreich Bayern besitzt 8 Handwerkskammern zu
München, Passau, Kaiserslautern, Regensburg, Bayreuth, Nürnberg,
Würzburg und Augsburg. Auch hier umfassen die Handwerks-
kammern einen Regierungsbezirk, sonst ist nach Flächeninhalt
wie nach Einwohnerzahl bei weitem die größte Kammer die zu
München mit 16725,42 qkm Flächeninhalt und 1323888 Ein-
wohnern.
Im Königreich Sachsen bestehen 5 Gewerbekammern, welchen
die Rechte und Pflichten der Handwerkskammer übertragen sind.
Es bestehen Gewerbekammern in Leipzig, Dresden, Chemnitz,
Plauen und Zittau. Ueberall sind jetzt die Gewerbekammern von
der Handelskammer getrennt, nur in Zittau ist noch die alte Ver-
bindung zwischen beiden Kammern in der Handels- und Gewerbe-
kammer erhalten worden. Unter den sächsischen Kammern ist so-
wohl nach Flächeninhalt wie nach Einwohnerzahl die größte Kammer
die zu Dresden mit 5756,10 qkm Flächeninhalt und 1376 944 Ein-
wohner.
Im Königreich Württemberg bestehen nur 4 Handwerkskammern,
nämlich zu Stuttgart, Ulm, Heilbronn und Reutlingen. An Flächen-
inhalt ist die größte württembergische Kammer mit 7535,8 qkm
Flächeninhalt die zu Ulm, an Einwohnerzahl ist jedoch die größte
Kammer die Stuttgarter mit 643 490 Einwohner.
In Baden bestehen ebenfalls 4 Handwerkskammern, nümlich zu
Konstanz, Freiburg, Karlsruhe und Mannheim. Nach dem Flächen-
inhalt ist die größte Kammer die zu Freiburg mit 4748,48 qkm.
An Einwohnerzahl ist die grófite Kammer die zu Mannheim mit
542 994 Einwohnern.
Von den noch fehlenden Handwerkskammern umfassen einige
meist ganze Bundesstaaten, so die Handwerkskammer zu Darmstadt
das Großherzogtum Hessen, die mecklenburgische Handwerkskammer
zu Schwerin umfaßt sogar die der beiden Großherzogtümer Mecklen-
burg-Schwerin und Strelitz, die Handwerkskammer zu Weimar er-
streckt sich auf das Großherzogtum Sachsen, die zu Oldenburg auf
das Großherzogtum Oldenburg, ebenso erstrecken sich die Kammern
in Braunschweig, Meiningen, Gotha, Dessau, Greiz, Stadthagen,
Detmold und Straßburg auf die betreffenden Bundesstaaten. Die
Kammer zu Gera umfafit das Herzogtum Sachsen-Altenburg und das
Fürstentum Reuß jüngerer Linie, die Kammer zu Arnstadt umfaßt
die Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sonders-
hausen, endlichferstrecken sich die Gewerbekammern zu Hamburg,
Lübeck und Bremen, denen die Wahrnehmung der Rechte und
Pflichten der Handwerkskammer übertragen ist, auf die betreffenden
freien Reichsstädte.
Der Unterschied der Kammerbezirke ist nach dem Flächen-
inhalte ein sehr bedeutender. Die 5 größten Kammern in dieser
Beziehung sind die zu Stettin mit 26109,6066 qkm, Danzig mit
25 534,90 qkm, Berlin mit 20 703,01 qkm, Königsberg mit 20265,72 qkm
und Frankfurt a. d. O. mit 19 198,18 qkm. Die 5 kleinsten Kammern
Die deutschen Handwerkerorganisationen.
585
sind dagegen die zu Bremen mit 256,42 qkm, Lübeck mit 297,71 qkm,
Greiz mit 316,71 qkm, Stadthagen mit 340,18 qkm und Hamburg
mit 415,30 qkm.
Das Verhältnis der einzelnen Kammern nach der Größe der
Bezirke bezüglich des Flächeninhaltes stellt nachfolgende Tabelle dar :
Tabelle II.
Verzeichnis des Flächeninhalts der Hand-
werks- und Gewerbekammerbezirke am 1. Dezember
19001).
Z Flächen- B : | Flüchen- B
.|Sitz der Kammer| inhalt in | „mer Sitz der Kammer, inhalt in emer
3 Em kungen e? kungen
à q q
1 | Stettin | 26 109,66 | Düsseldorf 5473,10 |
2 | Danzig 25 534,90 | Oldenburg 5383,30 |
3 | Berlin 20 703,01 | Hildesheim 5351,70
4 | Königsberg 20 265,72 | Bielefeld 5260,56 |
5 | Frankfurt a. O. |19 198,18 | Arnsberg 4996,85
6 | Harburg 18 129,70 | 2| Reutlingen 4776,35 |
7 | Posen 17 518,60 | Freiburg i. B. 4748,48
8 | Insterburg 16 728,17 | Heilbronn 4700,85
9 | München 16 725,42 Konstanz 4167,69
10 | Schwerin 16 056,42 j| Aachen 4155,17
11 | Straßburg 14 513,05 | (| Strasund 4010,88
12 | Liegnitz 13 610,20 48] Cöln 3977,21
13 | Breslau 13 483,68 | 49] Erfurt 3811,19
14 | Oppeln 13 225,36 50] Chemnitz 3720,45
15 | Magdeburg II 512,81 | 51| Braunschweig 3672,18
16 | Bromberg II 451,81 52| Weimar 3617,14 |
17 | Passau 10 756,59 | 53] Mannheim 3597,94 |
18 | Flensburg IO 215,55 | 54| Dortmund 2699,81 |
19 | Halle 10 210,81 | 55] Karlsruhe 2566,89 |
20 | Augsburg 9 824,11 56| Plauen 2548,01
21 | Regensburg 9 652,28 | 97| Stuttgart 2500,53 |
22 | Kassel 9 458,12 | 58] Zittau 2469,73
23 | Altona 9 329,96 59| Meiningen 2468,28
24 | Osnabrück 9 312,58 60| Dessau 2299,38
25 | Würzburg 8 401,52 61| Gera 2150,23 |
26 | Saarbrücken 7 686,54 62] Gotha 1977,45
27 | Darmstadt 7 680,77 63| Arnstadt 1802,50
28 | Nürnberg 7 583,28 64| Detmold 1215,20
29 | Ulm 7 535,84 65] Sigmaringen 1142,27
30 | Münster 7 253,39 | | 66] Leipzig 498,65
311 Bayreuth 6 998,77 | 67| Hamburg 415,30 |
32 | Hannover 6 232,05 68] Stadthagen 340,19
33 | Coblenz 6 205,81 69] Greiz 316,71
34 | Kaiserslautern 5 927,96 70| Lübeck 297,11 |
35 | Dresden 5756,10 71| Bremen 256,42 |
36 | Wiesbaden 5617,25
Ganz anders gestaltet sich das Verhältnis der Kammern zu-
einander, wenn man die Einwohnerzahl der Bezirke zu Grunde legt.
Die größten Kammern sind dann die zu Berlin mit 3818 152,
1) Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reiches, Jahrgang 1901, Heft 4.
586 Thilo Hampke,
Düsseldorf mit 2599806, Oppeln mit 1868146, Straßburg mit
1719470 und Breslau mit 1 697 719 Einwohnern. Die kleinsten Kam-
mern sind dagegen Stadthagen mit 43 132, Sigmaringen mit 66780,
Greiz mit 68 396, Lübeck mit 96 775 und Detmold mit 138 952 Ein-
wohnern.
Wie sich das Verhältnis der Kammern nach den Einwohnerzahlen
ihrer Bezirke gestaltet, ist aus nachfolgender Tabelle ersichtlich:
Tabelle III. Verzeichnis der Einwohnerzahl der Hand-
werks- und Gewerbekammerbezirke am 1. Dezember
19001).
> | 2
„| Sitz der Hand- DD: Bemer- || .:| Sitz der Hand- Fass Bemer-
Z | werkskammern | wohner- | kungen | | werkskammern | "ohner- | kongen
zahl S A zahl ge
1
1 Berlin 3 818 152 | 37 Würzburg 650 766
2 | Düsseldorf 2 599 806 38| Stuttgart | 643 490
3 | Oppeln 1 868 146 || 39] Bielefeld | 636 875
4 | Straßburg 1 719 470 ||, 40| Aachen 614 964
5 | Breslau 1697 719 41| Bayreuth 608 116
6 | Danzig I 563 658 42] Leipzig 593 155
7 | Stettin 1418492 43] Osnabrück 568 658
8 | Dresden 1 376 944 | || 44| Ulm 554 472
9 | Dortmund 1373 701 45] Regensburg 553 841
10 | München 1 323 888 46] Mannheim 542 994
11 | Posen 1 198 252 | || 47| Hildesheim 526 758
12 | Halle 1 189 825 48| Karlsruhe 517 434
13 | Frankfurt a. O. |1179250 49] Flensburg 515 774
14 | Magdeburg I 176 372 50] Freiburg 510 274
15 | Königsberg I 144 589 | 51} Reutlingen 509 258
16 | Darmstadt I 119 893 | 52] Erfurt 504 139
17 | Liegnitz I 102 992 53| Arnsberg 477 618
18 | Chemnitz I 099 415 54| Braunschweig 464 333
19 | Cöln I 021 878 55| Heilbronn 462 260
20 | Wiesbaden I 007 839 56] Zittau 405 173
21 | Altona 909 534 | 57| Weimar 362 873
22 | Saarbrücken 884 103 | 58| Gera | 334124
23 | Cassel 856 879 59| Oldenburg 318 434
24 | Insterburg 852037 60| Dessau 316 085
25 | Harburg 847 615 61| Konstanz 297 242
26 | Kaiserslautern 831 678 62] Meiningen 250 731
27 | Nürnberg 815 895 | 63] Gotha 229 550
28 | Hamburg 768 349 64| Bremen 224 882
29 | Plauen | 727 529 65| Stralsund 216 314 |
30 | Augsburg | 713681 | 66] Arnstadt 173957 |
31 | Schwerin | 710372| 67| Detmold 138 952
32 | Hannover | 701 569 68] Lübeck 96 775
33 | Münster 699 583 69] Greiz 68 396
34 | Bromberg | 689023, | 70| Sigmaringen 66 780
35 | Coblenz | 682 454 | 71| Stadthagen 43 132
36 | Passau | 678 194]
Aus den soeben gegebenen statistischen Nachweisen kann man
nur im allgemeinen auf die verschieden große Bedeutung der Hand-
1) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, Jahrgang 1901, Heft 4.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 587
werkskammer schließen. Nähere Schlüsse sind erst möglich, wenn
man die Anzahl der Handwerker und die Zahl der bei diesen be-
schäftigten Gesellen und Lehrlinge kennt. Leider ist darüber eine
zuverlässige Statistik noch nicht vorhanden. Da diese Zahlen jedoch
von großem Interesse sind, so hatte der Vorort des deutschen Hand-
werks- und Gewerbekammertages, nämlich die Handwerkskammer zu
Hannover, im August des Jahres 1902 eine Enquête bei den einzelnen
Handwerkskammern und den Gewerbekammern veranstaltet, über
die auf dem Leipziger Handwerker- und Gewerbekammertag be-
richtet wurde. Leider hatten nicht alle 71 Kammern den Frage-
bogen beantwortet, sondern nur 60 Kammern hatten den Fragebogen
ausgefüllt.
Das Protokoll des IH. deutschen Handwerks- und Gewerbe-
kammertages, der am 25.—27. September 1902 in Leipzig stattfand,
besagt über diese Enquête folgendes !):
„Es sind 60 Fragebogen beantwortet worden, und zwar so, wie
sie aus den verschiedensten Kammerbezirken eingegangen sind. Bei
den Angaben über die Zahl der selbständigen Handwerksbetriebe,
Gesellen und Lehrlinge ist eine völlige Genauigkeit nicht zu erzielen
gewesen, dain manchen Kammerbezirken keine amtlichen Zählungen
vorgenommen worden sind. Die übrigen Angaben aber beruhen auf
genauen Feststellungen. Bei 48,5 Mill. Einw. in diesen 60 Kammer-
bezirken betrug die Zahl der selbständigen Handwerksbetriebe etwa 1,1,
die der Gesellen 0,9, die der Lehrlinge 0,35 Mill, so daß die Zahl
der Meister zu der der Gesellen und der der Lehrlinge sich verhält
wie 11 zu 9 zu 3!/,. Unwiderleglich geht aus diesen Feststellungen
hervor, daß von einer Lehrlingszüchterei im Handwerk im allgemeinen
keine Rede sein kann. Wir dürfen wohl erwarten, daß man endlich
mit diesen ungerechten Beschuldigungen gegen das Handwerk auf-
hört. 2564 Zwangsinnungen und 6271 freie Innungen sind gezählt
worden ; davon haben sich aufgelöst 174 Zwangsinnungen und 74 freie
Innungen, von denen aber 28 in Zwangsinnungen umgewandelt sind.
Diesen 248 aufgelösten stehen aber 778 neugebildete Innungen gegen-
über. Die Innungsorganisation ist mithin kräftig vorgegangen, und
die in der Presse immer aufs neue wiederholte Behauptung, die In-
nungsorganisation ginge unaufhaltsam zurück, beruht auf Unwahrheit.
Die Zahl der gewerblichen Vereine beträgt 1642. Von der Arbeit
der Handwerks- und Gewerbekammern möchten wir noch besonders
die Bildung der Gesellenprüfungsausschüsse — 14161 — und der
Meisterprüfungskommissionen — 3603 — hervorheben; wer in diesen
Angelegenheiten praktisch tätig gewesen ist, weiß, welche Fülle der
Arbeit in diesen Zahlen beschlossen liegt. Endlich sei noch darauf
hingewiesen, daß auf Anregung und mit Unterstützung der Kammer
bisher 86 Kredit- und 171 Werk- und Rohstoffgenossenschaften neu
errichtet worden sind.“
1) Protokoll des III. deutschen Handwerks- und Gewerbekammertages am 25.
26. und 27. September 1902 zu Leipzig, S. 9.
588 Thilo Hampke,
Da diese soeben dargelegten Resultate, wegen der nicht vollständigen
Beantwortung der Fragebogen keine erschöpfenden sein konnten, habe
ich versucht, das mir gütigst seitens des Vorortes zur Verfügung gestellte
Material zu vervollständigen. Es ist mir dies zu einem gewissen Grade
gelungen. Es liegt daher das Material der vom Handwerks- und Gewerbe-
kammertag veranstalteten Umfrage den folgenden Darlegungen zu
Grunde.
Leider haben die einzelnen Kammern gerade über die Anzahl der
in ihrem Bezirke vorhandenen Handwerker, Gesellen und Lehrlinge
nur unvollständige Angaben gemacht. Bei einzelnen Kammern, wie
bei den Gewerbekammern zu Hamburg, Lübeck und Bremen, fehlen
diese Zahlen vollständig, weil in diesen Bezirken die Kammern aus
staatlichen Mitteln erhalten werden und daher zu Steuerzwecken Er-
hebungen über die Anzahl der vorhandenen Handwerker noch nicht
gemacht zu werden brauchten. Bei den meisten Handwerkskammern
werden jedoch die Kosten durch Umlagen auf die Handwerker, ab-
gestuft nach der Anzahl der von ihnen beschäftigten Gesellen und
Lehrlinge, aufgebracht. In diesen Kammerbezirken sind dann zu diesen
Steuerzwecken derartige Erhebungen gemacht worden, so daß die dafür
angegebenen Zahlen ziemlich richtig sein werden. Es ist anzunehmen,
daß wenn erst die Handwerkskammern einige Jahre länger bestehen,
dann auch die einzelnen Kammern in der Lage sein werden, gerade
über diese Frage genauere Angaben zu machen.
Wenn, wie gesagt, die Angaben noch lückenhafte sind, so bieten
sie doch ein ganz interessantes Bild, so daß ich die Zahlen, soweit
sie vorhanden sind, in der nachstehenden Tabelle zusammengestellt
habe (s. Tabelle IV S. 589 u. 590).
Ueber Preußen liegen die Zahlen verhältnismäßig vollständig
vor, nur von Cassel sind die Angaben über die Gesellen und Lehrlinge
nicht vorhanden, allerdings haben auch eine Anzahl Kammern ihre
Zahlen mit dem Wörtchen ,circa^ versehen, um anzudeuten, daß die
Zahlen nicht genau, sondern schützungsweise gewonnene sind. Von
den preußischen Kammern sind nach der Anzahl der Handwerker,
die in den Bezirken ansässig sind, die größten die Kammer zu Berlin
mit 55722, Düsseldorf mit 44000, Breslau mit 35000, Magdeburg
mit 34341 und Liegnitz und Stettin mit je 30000 selbständigen Hand-
werkern. Die kleinsten Kammern sind die zu Sigmaringen mit 4000,
zu Stralsund mit 5000, zu Bromberg mit 6500, Arnsberg mit 10600
und Bielefeld mit 11432 selbständigen Handwerkern.
Es ergeben sich nach dieser Statistik für Preußen 679323 selb-
ständige Handwerker, 559738 Gesellen und 253055 Lehrlinge, d. h.
mit anderen Worten, in Preußen kommen auf 100 selbständige Hand-
werker 82 Gesellen und 37 Lehrlinge. Schlüsse lassen sich aus diesen
Zahlen auf eine etwaige Lehrlingszüchterei nicht ziehen, weil die selb-
ständigen Handwerker, alle Handwerker, also auch diejenigen, die
weder Gesellen und Lehrlinge halten, mitumfassen. Wir würden
nach dieser Richtung nur sichere Schlüsse zu machen vermögen, wenn
wir die Zahl der Meister, die Lehrlinge halten, zur Zahl der Lehr-
linge selbst in ein Verhältnis setzen könnten. Es lassen sich aber
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 589
Tabelle IV.
S à a à
Zahl der $ E E : E 3
Bits der selbstän- à FE 8 5g S ER
Lid.| Bundesstaat | Handwerks. | digen | Zahl der | Zahl der B FI ä FE t 5
No. k Hand- | Gesellen | Lehrlinge 2 E] GEIER
EE werks- 3208293
betriebe zi së ME E
= à Zeh EN im.
1 Preußen Königsberg 18 596 10 987 7778| 59 41 61
2 » Insterburg 15 300 6 200 5750| 40 37 92
3 » Danzig 21 205 I5 738 10707| 74 50 67
4 » Berlin 55 722 74 206 20 991| 133 37 28
5 e Frankfurt a/O. 25 233 20 601 11353] 8ı 44 55
6 D Stettin 30 000 13 000 9000! 43 30 68
7 n Stralsund 5 000 4 000 2400| 80 48 60
8 » Posen I9 400 15 330 9300| 79 47 60
9 » Bromberg 6 500 6 433 5048| 95 75 78
10 u Breslau 35 000 40 000 20 000| 114 57 50
11 » Liegnitz 30 000 24 000 11 500| 80 38 47
12 s Oppeln 24555 15 796 10 471| 64 42 66
13 - Magdeburg 34 341 44 832 12 I20| 130 35 27
14 » Halle a/S. 21550 II 352 9778| 52 45 86
15 # Erfurt 14 990 4775 2226| 31 14 47
16 » Altona 18 031 14 247 6267| 79 34 44
17 be Flensburg 11 Boboen, 5 350) 4086| 45 34 76
18 » Hannover ca. 16000 ,„ 16000ca. 6000| 100 38 38
19 5i Hildesheim 12 496 9 253 5084| 74 40 54
20 " Harburg 20 035 16 000, 6000| 80 30 38
21 » Osnabrück 12 375 10 856 4775| 87 38 43
22 ^ Münster 16 248 12 993 4227| 79 32 40
23 e Bielefeld II 432 15 720 4708| 136 41 29
24 » Arnsberg 10 600 7 500 3270| 70 30 43
25 PR Dortmund ca. 20 000 24 000 9000| 120 45 37
26 " Cassel 20 131 — — — — —
27 2 Wiesbaden |ca. 27 000 20 000 8500| 74 31 42
28 " Coblenz 21 000 14 000 4300| 67 20 30
29 5 Düsseldorf 44 000!ca. 55 000 C4. 24 000| 125 54 43
30 Se Cöln | 19 500 7 369 3,516] 37 18 47
31 sg Aachen ca. 18 500 10000 c4 5000| 54 27 50
32 5 Saarbrücken 18 777 13 000 „ 4300 69 22 33
33 a Sigmaringen 4 000 I 200| Gool 30 | 15 50
679323| 559738) 253055| 82 | 37 | 45
34 Bayern |München 40 092 50 451 12571| 125 31 24
35 a Passau ca. IO OOO|nieht fest-
stellbar 4000 — 40 —
36 5 Kaiserslautern|ea. 30 000 — — — — —
37 Se Regensburg 14 608 5 520 3123] 37 21 56
auBerStadt |
Regensbg. |
38 » Bayreuth ea. 26 500 — ca. 7000 — 26 —
39 5 Nürnberg » 27 500 _ » 8000 — 29 —
40 » Würzburg » 30000|ca. 19 500 5500 65 18 28
41 x Augsburg » 7000|, 8200 5210 119 74 63
| |
590 Thilo Hampke,
| à H = a%
| Zahl der E 2 $8 zi
| Sitz der Leer z88ZTER ES
Lfd| Bundesstaat | Handwerks. | gen | Zahl der Zahl der |E SZ 8 SZ SX
No. mr ade Hand- | Gesellen Lehrlinge 5 o £M $E o7
z e os% 23
werks- 520/825] -:
betriebe HE |" E "£g
s2 32 |3?
| s ls
42 [Sachsen (Dresden
43 s |Plauen 16 398 16 893 5554| 103 33 32
44 Ge (Chemnitz 32 000 — — ES
45 b Leipzig IO 241 16 619 7209 162 70 | 43
46 e ‚Zittau ca. 6800 — —
47 [Württemberg Stuttgart ca. 18 000/ea. 25 000 5829 138 31 | 23
48 T Ulm IO 107 ? 4 506! 44 E
49 = ‘Heilbronn 7 848 ca. 6000 3302| 76 42 55
50 5 Reutlingen — — | —
51 [Baden (Mannheim — — —
52 "n Karlsruhe cn, 15 400/ca. 14 000 3600| or 24 | 26
53 N Freiburg 18 105 15 400 3168| 85 17 | 20
54 35 Konstanz 11517 9014 1913| 87 16 21
55 [Hessen Darmstadt ca. 40 000 5 500 13
56 [Beide Meck- Schwerin 12 930 10 891 4820 84 37 4
lenburg
57 |S.-Weimar Weimar 8 395 12 343 4598| 146 54 37
58 [Oldenburg Oldenburg 8 500 6 700 2400) 78 28 35
59 [Braunschweig Braunschweig ca. 18 000|ea. 7 o00!ca. 5 500! 39 31 78
60 |S.-Meiningen |Meiningen 6113 6574 2444| 107 39 36
61 [S.-Altenburg |Gera 7 052 11 184 3641| 158 50 2
u. ReuB j. L.
62 |S.-Coburg- Gotha 7 226 7 599 3 492) 105 48 46
Gotha x
63 [Anhalt Dessau ca. 6500ca. 4500le.. 2000) 69 30 44
64 [Beide Arnstadt 4512 A 076 1933 90 42] A
Schwarzburg |
65 |ReuB à. L. "Greis 1893 1769 735 93 38 | 41
66 [Schaumburg- |Statdhagen ` en, r400|ca. 1000|ca. 800 71 57 80
Lippe
67 [Lippe Detmold 3 408 2 378 939 69 27 39
68 [Lübeck Lübeck — — — — —
69 |Bremen Bremen ca. 6000 — angemeldete — 59
3597
70 [Hamburg Hamburg — — — —
71 |Elsa8- Straßburg — -— — — |
Lothringen
nach anderer Richtung Schlüsse ziehen, nämlich unter dem Gesichts-
punkt des Bedarfs des Handwerks an Lehrlingen.
Es sind in Preußen nach den uns vorliegenden Zahlen 679323
selbständige Handwerker 559 738 Gesellen und 253055 Lehrlinge vor-
handen. Es gibt also in den Handwerksbetrieben selbst nur etwas
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 591
mehr als doppelt soviel Handwerksgesellen als Handwerkslehrlinge.
Bei einer durchschnittlichen Lehrzeit von 3 Jahren sind demnach nur
6 Jahrgänge Lehrlinge in der Zahl der Gesellen enthalten. Auf die
679323 selbständigen Handwerker sind ferner 8 Lehrlingsjahrgänge zu
rechnen, wenn man die Sterblichkeit berücksichtigt. Im Handwerk
selbst befinden sich also in der Gesellenmasse etwa 6; in der Meister-
masse etwa 8 zusammen, also höchstens soviel Individuen als aus
14 Lehrlingsjahrgängen hervorgegangen sind.
Andererseits dürften aber mindestens 30 Jahr tätigen Erwerbs-
lebens dem eben aus der Lehre Tretenden noch bevorstehen, wobei
das Absterben auch schon berücksichtigt ist.
Von diesen 30 Altersklassen sind jedoch nur 14 im Handwerk
nachweisbar. Soviel Gesellen wie zur Besetzung von 16 Altersklassen
gehören, fehlen also mindestens dem Handwerk, d. h. ungefähr so
viel Gesellen müssen zu den Fabriken übergetreten oder ausgewan-
dert sein oder den Beruf gewechselt haben. Für den Bedarf des
Handwerks an Lehrlingen selber ist die gegenwärtige Lehrlingszahl
also zu groß. Das ist aber, da die Großindustrie auch Arbeiter
braucht, die in der Handwerkslehre ausgebildet sind, notwendig, ob
dies allerdings in dem Maße, als es der Fall ist, notwendig ist, er-
scheint sehr zweifelhaft, da es eine große Anzahl von Handwerken
noch gibt, deren Erlernung in keiner Weise den Uebertritt in die
Großindustrie ermöglicht, wie z. B. die Barbiere und Friseure, Perücken-
macher, Bäcker, Schlachter, Konditoren, Maler und Schornsteinfeger etc.
Daß die Gesamtzahlen über das Verhältnis der selbständigen
Handwerker zu den Gesellen und Lehrlingen ungefähr richtig sind,
geht daraus hervor, daß die vor dem Erlaß des Handwerkerorgani-
sationgesetzes im Jahre 1895 veranstaltete Erhebung über die Ver-
hältnisse im Handwerk, bearbeitet durch das Kaiserliche Statistische
Amt, zu fast gleichen Resultaten kam. Damals wurden im Erhebungs-
gebiet 61199 Meister, 42043 Gesellen und 21725 Lehrlinge gezählt.
Die Verhältniszahlen sind also ungefähr ähnliche !).
Was nun das Verhältnis der selbständigen Handwerker zu den
Gesellen im einzelnen betrifft, so ist, wenn wir ebenfalls nun wieder
die Zahlen über die preußischen Kammern in Betracht ziehen, auffällig,
daß auf 100 Handwerker in der Kammer Berlin 133 Gesellen, Breslau
114 Gesellen, Magdeburg 130 Gesellen, Hannover 100 Gesellen, Biele-
feld 136 Gesellen, Dortmund 120 Gesellen und Düsseldorf 125 Ge-
sellen fallen. Es sind dies meist Kammern, in denen die Großstädte,
die in diesen Bezirken liegen, auf die Statistik einen maßgebenden
Einfluß ausüben, denn in großen Städten haben sich naturgemäß
auch im Handwerk größere Betriebe herausgebildet, oder es sind
Kammern, die in Industriebezirken liegen, wie Dortmund, Düssel-
dorf etc., in denen das Handwerk vielfach als Hilfsgewerbe der In-
1) Es sind im Handwerk 1895 also 17 Jahrgänge nachweisbar und 13 Alters-
klassen fehlen. Die Verhältnisse sind also seit 1895 in der Beziehung noch schlechter
geworden.
592 Thilo Hampke,
dustrie auftritt und dadurch größere Handwerksbetriebe bedingt sind.
Die wenigsten Gesellen auf 100 Handwerksmeister werden beschif-
tigt in vorwiegend landwirtschaftlichen Bezirken namentlich des Ostens.
Auf 100 Handwerksmeister kommen in Königsberg 59, in Insterburg 40,
in Stettin 43, in Halle 52, in Erfurt 31, in Flensburg 45, in Köln 37,
in Aachen 54 und in Sigmaringen 30 Gesellen. In Köln, Aachen
und Halle sind die Zahlen allerdings auffällig und erscheint mir die
Zuverlässigkeit derselben sehr zweifelhaft. Interessant ist, wenn man
die Zahlen zwischen selbständigen Handwerkern und Lehrlingen ver-
gleicht, denn man findet, daß die Kammern, die die größten Gesellen-
zahlen aufweisen, die also meist durch Großstädte in ihrem Bezirk
beeinflußt werden, die geringsten Lehrlingszahlen besitzen, während
in vorwiegend ländlichen Bezirken die meisten Lehrlinge gehalten
werden. In den großen Städten läßt eben die Lust, Lehrlinge aus-
zubilden, mehr und mehr nach, während auf dem Lande die Hand-
werker auf die Ausbildung der Lehrlinge angewiesen sind, wenn sie
Hilfskräfte haben wollen, denn Gesellen sind vielfach nicht zu bewegen,
die Städte zu verlassen und auf das Land oder in die kleinen Städte
zu gehen, weil sie dort nicht so unabhängig sind und ihnen Ver-
gnügungen nicht so vielseitig geboten werden, wie in den großen
Städten. Während, wie wir sehen, in Preußen im Durchschnitt auf
100 selbständige Handwerker 37 Lehrlinge kommen, kommen auf
100 Handwerker in Stettin 30, in Erfurt 14, in Harburg 30, i
Münster 32, in Arnsberg 30, in Wiesbaden 31, in Koblenz 20, i
Köln 18, in Aachen 27, in Saarbrücken 22 und in Sigmaringen
15 Lehrlinge.
Die höchsten Lehrlingszahlen weisen folgende Kammern auf.
Es kommen auf 100 Meister in Danzig 50, in Bromberg 75, in Bres-
lau 57 und in Düsseldorf 54 Lehrlinge. Noch schärfer tritt die oben
angedeutete Tendenz hervor, wenn man die Zahl der Gesellen zur
Zahl der Lehrlinge in ein Verhältnis setzt.
Während im Durchschnitt in Preußen auf 100 Gesellen 45 Lehr-
linge kommen, kommen auf 100 Gesellen in Berlin 28, in Magde-
burg 27, in Harburg und Hannover je 38, in Bielefeld 29 und in
Koblenz 30 Lehrlinge. Dagegen kommen auf 100 Gesellen in Inster-
burg 92, Bromberg 78, Halle 86, und Flensburg 76 Lehrlinge.
Auf die Zahlen der einzelnen Bundesstaaten möchten wir nicht
näher eingehen, weil sie erstens unvollständig sind und vielfach einen
noch unrichtigeren Eindruck machen als die preußischen, und wo dies
nicht der Fall ist, der Leser selbst schnell die erforderlichen Schlüsse
ziehen kann. Wenn, wie ich nochmals betonen möchte, auch die
angeführten Zahlen im einzelnen auf unbedingte Richtigkeit einen
Anspruch nicht werden erheben dürfen, denn bei der Unsicherheit
des Begriffes Handwerk, werden die einzelnen Kammern erst nach
Jahren vollständige Klarheit geschaffen haben, so kann man doch
die Tendenz der Handwerkerentwickelung ganz gut aus derselben
erkennen.
Interessant ist es nun auch, darüber Betrachtungen anzustellen,
wie sich die Handwerker gegenüber der Bevölkerung verhalten.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 593
Nach den Berechnungen, die Paul Voigt auf Grund der im Jahre
1895 veranstalteten Reichsenquête gemacht hat, kamen im Jahre 1895
auf 100 Einwohner 2,67 selbständige Handwerker im Durchschnitt 11.
Das Verhältnis der Einwohnerzahl zur Zahl der Handwerker ist
in der nachstehenden Tabelle V S. 594 u. 595 zur Darstellung gebracht.
Für Preußen ergibt sich bei 34611374 Einwohnern und 679 323
Handwerkern ein Verhältnis von 1,90, d. h. es kommen auf 100 Ein-
wohner 1,90 Handwerker. Es würde also die Zahl der Handwerker
im Verhältnis zur Einwohnerzahl nicht unerheblich gefallen sein,
was zutreffen dürfte, denn die Verhältniszahl hat eine fallende Ten-
denz, denn es kamen auf 100 Einwohner
1846 2,83 Handwerker
1861 2,89
1895 2,67 r
In Bayern kamen dagegen auf 100 Einwohner nach den vor-
liegenden Zahlen 3,00 Handwerker. Diese Zahl dürfte kaum richtig
sein. Die bayerischen Kammern haben fast alle ihre Zahlenangaben
über die Handwerker mit dem Wörtchen ,circa^ versehen. Daraus
geht hervor, daß diese Zahlen in der Hauptsache schätzungsweise
gewonnen sind und dieselben auf Richtigkeit nur einen bedingten
Anspruch haben kónnen.
B. Die Innungen.
Neben der Schaffung der Handwerkskammern ist die wichtigste
Neuerung des Handwerkerorganisationsgesetzes vom 26. Juli 1897
die Schaffung der Zwangsinnung gewesen.
8 100 der Reichsgewerbeordnung bestimmt:
.Zur Wahrung der gemeinsamen gewerblichen Interessen der
Handwerke gleicher oder verwandter Art ist durch die hóhere Ver-
waltungsbehörde auf Antrag Beteiligter anzuordnen, daß innerhalb
eines bestimmten Bezirks sümtliche Gewerbetreibende, welche das
gleiche Handwerk oder verwandte Gewerbe ausüben, einer neu zu
errichtenden Innung (Zwangsinnung) als Mitglieder anzugehören
liaben, wenn
1) die Mehrheit der beteiligten Gewerbetreibenden der Einfüh-
rung des Beitrittzwanges zustimmt,
2) der Bezirk der Innung so abgegrenzt ist, daß kein Mitglied
durch die Entfernung seines Wohnortes vom Sitze der Innung be-
hindert wird, am Genossenschaftsleben teilzunehmen und die Innungs-
einrichtungen zu benutzen, und
3) die Zahl der im Bezirke vorhandenen beteiligten Handwerker
zur Bildung einer leistungsfühigen Innung ausreicht.
Der Antrag kann auch darauf gerichtet werden, die im Absatz 1
bezeichnete Anordnung nur für diejenigen daselbst bezeichneten Ge-
1) Paul Voigt, Die Hauptergebnisse der neuesten deutschen Handwerkerstatistik
in Schmollers Jahrbuch, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrgang 21, S. 257 fg.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 38
594 Thilo Hampke,
Tabelle V. .
Ltd Sitz der
No Bundesstaat Handwerks- | Einwohnerzahl |Handwerks-
kammer
Preußen Königsberg bh 1 144 589 ;
P Insterburg 852037 1,8
» Danzig 1 563 658 1,3
» Berlin 3818 152 1,4
» Frankfurt a/O. I 179 250 241
» Stettin 1 418 492 2,1
»" Stralsund 216 340 2,8
» Posen I 198 252 1,6
Se Bromberg 689 023 0,94
m Breslau 1 697 719 2,1
H Liegnitz 1 102 992 2,7
» Oppeln 1 868 146 1,3
d Magdeburg I 176 372 2,8
5 Halle a/S. 1 189 825 L8
Erfurt 504 139 3,0
DI Altona 909 534 1,9
S Flensburg 515 774 2,3
= Hannover 701 569 2,8
" Hildesheim 526 758 24
» Harburg 847 615 24
D Osnabrück 568 658 2,
^ Münster 699 583 2,3
» Bielefeld 636 875 1,7
» Arnsberg 477 618 2,9
» Dortmund I 373 701 1,4
er Cassel 856 879 2,3
5, Wiesbaden 1 007 839 2,7
i Koblenz 682 454 3,1
» Düsseldorf 2 599 806 1,7
» Köln 1 021 878 1,9
nu Aachen 614 964 3,0
» Saarbrücken 884 103 2,1
er Sigmaringen | 66 780 6,0
34 611 374 679 323 | 1,90
Bayern München ca. 1 323 888 40 092 3,8
E Passau » 678192 10 000 15
- Kaiserslautern | ,, 831678 30 000 3,6
» Regensburg » 593841 14 608 2,6
Bayreuth » 608 116 26 500 43
T Mürnberg , 815895 27 500 34
" Würzburg » 650766 30 000 4,6
» Augsburg » 713681 7 000 1,0
6176057 | 185 70| 3,0
Sachsen Chemnitz I 099 415 32 000 2,9
Go Dresden 1 376 944 — —
n Leipzig 593 155 IO 241 1,7
5 Plauen 727 529 16 398 2,2
ss Zittau 405173 |ca. 6 800 1,6
Die deutschen Handwerkerorganisationen.
595
|Auf 100 Einw.
Lid Sitz der Selbständ. mérite
N y Bundesstaat Handwerks- | Einwohnerzahl |Handwerks-| . 3.
9 kammer betriebe |ständigeHand-
werksbetriebe
Württemberg Stuttgart 643 490 | ca. 18 000 2,8
di Ulm 554 472 10 107 1,8
S Heilbronn 462 260 7 848 1,7
e Reutlingen 509 258 =- —
Baden Konstanz 297 242 II 517 3,8
3i Freiburg 510 274 18 105 3,5
e Karlsruhe 517434 | ca. I5 400 2,9
5 Mannheim 542 994 -— —
Darmstadt Darmstadt I 119893 | ca. 40 000 3,5
Mecklenburg (beide) Schwerin 710 372 12 930 1,8
Sachsen-Weimar Weimar 362 873 8 395 2,3
Oldenburg Oldenburg 318434 500 2,6
Braunschweig Braunschweig 464 333 | ca. 18 000 3,8
Sachsen-Meiningen Meiningen 250 731 6 113 2,4
Sachsen-Altenburg und
Reuß j. L. Gera 334 124 7052 2,1
Koburg-Gotha Gotha 229 550 7 226 3,1
Anhalt Dessau 316085 | ca. 6500 2,1
Rudolstadt und Sonders-
hausen Arnstadt 173 957 4512 2,6
Reuß ä. L. Greiz 68 396 1 893 2,6
Schaumburg-Lippe Stadthagen 43 132 | ca. 1400 3,2
Lippe Detmold 138 952 3 408 2,5
Lübeck Lübeck 96 775 — —
Bremen Bremen 224882 | ca. 6000 2,6
Hamburg Hamburg 768 349 — —
Elsaß-Lothringen Straßburg 1719470 — —
werbetreibenden zu erlassen, welche der Regel nach Gesellen oder
Lehrlinge halten.
Der Antrag kann von einer für das betreffende Handwerk be-
stehenden Innung oder von Handwerkern gestellt werden, welche zu
einer neuen Innung zusammentreten wollen.
Ohne Herbeiführung einer Abstimmung kann der Antrag ab-
gelehnt werden, wenn die Antragsteller einen verhältnismäßig nur
kleinen Bruchteil der beteiligten Handwerker bilden, oder ein gleicher
Antrag bei einer innerhalb der letzten 3 Jahre stattgefundenen
Abstimmung von der Mehrheit der Beteiligten abgelehnt worden ist,
oder durch andere Einrichtungen als diejenigen einer Innung für
die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen der beteiligten Hand-
werke ausreichende Fürsorge getroffen worden ist.“
Es können also, wenn die Majorität der beteiligten Gewerbe-
treibenden zustimmt, Zwangsinnungen gebildet werden. Man hat
diese Aenderung der Gesetzgebung mit der ausgesprochenen Absicht
vorgenommen, die Organisation der Handwerker, d. h. die Innungen,
38*
596 Thilo Hampke,
zu stärken. Es soll nun untersucht werden, wie weit dies ge-
lungen ist.
Die Begründung zu dem Handwerkerorganisationsgesetze be-
sagt über die Gründe, die zur Ausgestaltung des Innungswesens
führten, folgendes !).
„Das Gesetz von 1881 verfolgte bei dieser Erwägung aus-
gesprochenermaßen den Zweck, die Innungen wieder zu Organen
der gewerblichen Selbstverwaltung werden zu lassen, welche im
stande seien, einerseits durch die Forderung der gewerblichen
Interessen ihrer Mitglieder und durch die Pflege des Gemeingeistes
und des Standesbewußtseins eine wirtschaftliche und sittliche Hebung
des Handwerkerstandes anzubahnen und andererseits dem Staate ge-
eignete Organe für die Erfüllung wichtiger Aufgaben der Gewerbe-
verwaltung darzubieten. Zu dem Ende wurden die Aufgaben der
Innungen so bemessen, daß ihnen ein ausgiebiges Feld der genossen-
schaftlichen Tätigkeit eröffnet und zugleich diejenigen Rechte ein-
geräumt wurden, deren sie zu bedürfen schienen, um die statuta-
rischen Vorschriften den einzelnen Mitgliedern gegenüber zur Geltung
zu bringen und für ihren Kreis im Wege der Selbstverwaltung ge-
wisse gewerbegesetzliche Bestimmungen zu handhaben, deren Durch-
führung auf dem Gebiete des Kleingewerbes für die Organe des
Staates auf Schwierigkeiten gestoßen war. In der Erkenntnis, daß
manche den Innungen zugewiesene Aufgaben eine befriedigende
Lösung nicht finden können, solange nur die einzelnen Innungen
eine jede für ihren örtlich und sachlich begrenzten Kreis sie zu er-
füllen suche, wurden ferner die gesetzlichen Grundlagen für die
Bildung weiterer gewerblicher Verbindungen der Innungsausschüsse
und der Innungsverbände geschaffen. Endlich wurde schon damals
die Möglichkeit vorgesehen, solchen Innungen, welche in der Rege-
lung des Lehrlingswesens befriedigende Erfolge erzielen würden, die
Befugnis einzuräumen, die von ihnen auf diesem Gebiete geschaffenen
Anordnungen auch denjenigen Handwerkern des gleichen Gewerbes
gegenüber zur Geltung zu bringen, welche der Innung nicht bei-
treten würden. Eine Erweiterung erfuhr diese Maßnahme durch die
Novelle der Gewerbeordnung vom 18. Dezember 1884, die es er-
möglichte, unter der Voraussetzung des Vorhandenseins einer auf
dem Gebiete des Lehrlingswesens bewährt erfundenen Innung die
Befugnis zum Halten von Lehrlingen auf den Kreis der Mitglieder
der Innung zu beschränken. Weitere Schritte auf der so betretenen
Bahn geschahen durch die Novelle zur Gewerbeordnung vom 23. April
1886 und 6. Juli 1887, von denen die erstere den Innungsverbänden
zur Verstärkung ihrer Wirksamkeit namentlich auf dem Gebiete des
Hilfskassenwesens die Erlangung der Korporationsrechte zugänglich
machte und die letztere Bestimmung traf, nach denen den Innungen
unter gewissen Voraussetzungen die Befugnis eingeräumt werden
1) Kurt von Rohrscheidt, Das Innungs- und Handwerkergesetz. Leipzig 1897,
S. 2 fg. |
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 597
kann, zur Bestreitung der Kosten einzelner von ihnen getroffenen
Einrichtungen auch die ihnen nicht beigetretenen Gewerbetreibenden
heranzuziehen.
Von den hiermit gebotenen Handhaben hat der Handwerker-
stand vornehmlich in Nord- und Mitteldeutschland zu seiner Wieder-
erstarkung und einer zweckentsprechenden Ordnung seiner Verhält-
nisse einen ziemlich ausgedehnten Gebrauch gemacht, wie denn z. B.
gegenwärtig in Preußen rund 8000 Innungen bestehen, welche nach
den Vorschriften der Novelle von 1881 eingerichtet sind. Hieraus
ist zu erkennen, daß die alten Traditionen der Zusammengehörigkeit
der Berufsgenossen noch für weite Kreise des Handwerkerstandes
von Bedeutung ist, und auch die Form, welche der Gesetzgeber für
einen solchen Zusammenschluß dargeboten hat, als eine geeignete
gelten muß. Ebenso ist anzuerkennen, daß die Innungen da, wo sie
im Handwerkerstande festen Boden gefunden haben, teilweise zu
recht erfreulichen Ergebnissen ihrer Tätigkeit, namentlich auf dem
Gebiete des Lehrlingswesens, des gewerblichen Unterrichts und des
Hilfskassenwesens, gelangt sind. Es rechtfertigt die Annahme, daß
man auf dem eingeschlagenen Wege wohl zu einer Gesundung der
Verhältnisse des Handwerks hätte gelangen können, wenn die Ver-
mutung, es würde sich noch der Reform der Gesetzgebung der über-
wiegende Teil der Handwerker den fakultativen Innungen anschließen,
richtig gewesen wäre. Diese Annahme hat sich jedoch als irrig er-
wiesen. Den Innungen ist es nicht gelungen, den größeren Teil der
Handwerker in sich zu vereinigen, und vielfach hat nur ein kleiner
Bruchteil zum Anschlusse an sie sich bereit finden lassen. Soweit
das vorhandene statistische Material reicht, kann angenommen werden,
daß nur etwa ein Zehntel sämtlicher Handwerker den Innungen bei-
getreten ist. Dementsprechend haben die auf Freiwilligkeit beruhen-
den Innungen bisher nicht die persönlichen Kräfte und die finan-
ziellen Mittel gewonnen, die sie befähigt haben würden, eine all-
gemeine Besserung der Lage des Handwerks herbeizuführen. Ihre
Tätigkeit ist vielmehr im allgemeinen auf verhältnismäßig enge
Grenzen beschränkt geblieben, und auch da, wo sie in größerer Zahl
errichtet werden und weitere Kreise des Handwerkerstandes ihnen
beigetreten sind, haben sie die Wirksamkeit, zu der sie an sich be-
fähigt sind, nicht im vollem Maße entfalten können, weil sie in ihrer
gegenwärtigen Organisation des sicheren Bestandes ermangeln, in-
dem es jedem einzelnen Mitgliede in jedem Augenblicke unbenommen
ist, sich den Folgen ihm lästiger und seinen unmittelbaren Interessen
vielleicht zuwiderlaufender Beschlüsse und Anordnungen der Innung
durch den Austritt zu entziehen.
Dieser Entwickelungsgang spricht dafür, die Organisation des
Handwerks von dem Boden der Freiwilligkeit loszulösen und sie
nach dem Vorschlage der Königlich Preußischen Regierung auf der
Grundlage des Zwanges aufzubauen. Im Grundgedanken stimmt der
vorliegende Entwurf mit jenem Vorschlage überein, nach gewissen
Richtungen weicht er von demselben ab.“
598 Thilo Hampke,
Es sollen also nach dieser Begründung des Handwerksorgani-
sationsgesetzes nur ein Zehntel sämtlicher Handwerker den Innungen
beigetreten sein. Es ist hier selbst der Regierung ein Irrtum passiert.
Die Gesamtzahl der deutschen Handwerksmeister wurde damals infolge
eines komischen Mißverständnisses auf 3 Mill. Handwerker veran-
schlagt. Diesen stellte man die 321216 Innungsmeister gegenüber
und so ergab sich das allen Innungsfeinden sehr willkommene Re-
sultat, daß nur etwa 10 Proz. der Handwerker in den Innungen
organisiert seien. Es ist das große Verdienst von Paul Voigt, diesen
groben Fehler nachgewiesen zu haben. Derselbe sagt darüber!):
„Durch ein komisches Mißverständnis, das hauptsächlich Böttger
(Programm der Handwerker S. 14 und 129) verschuldet hat, an dem
aber auch nationalökonomische Professoren und sogar Spezialisten
auf dem Gebiet der Handwerkerfrage nicht ganz unschuldig sind, hat
sich die Ansicht festgesetzt, die Zahl der deutschen Handwerker
betrage 3 Millionen. Der Irrtum ist auf folgende Weise entstanden. Die
Gewerbezählung (gewerbliche Betriebsstatistik) faßt sämtliche Betriebe
in Gärtnerei, gewerbsmäßiger Tierzucht und Fischerei (Abteilung A),
in Industrie und Bergbau (Abteilung B), und in Handel und Ver-
kehr, Versicherungswesen, auch Gast- und Schankwirtschaft (Abtei-
lung C) als „Gewerbebetriebe“ zusammen, denen sie die rein land-
wirtschaftlichen Betriebe gegenüberstellt. Alle „Gewerbebetriebe“
dieser Art mit weniger als 5 Gehilfen hat Böttger nach Abzug der
hausindustriellen Betriebe dem „Handwerk“ zu gut geschrieben, ob-
wohl auf die Abteilung C (Handel etc.) allein 1106263 Betriebe
entfallen und obwohl in Abteilung B ungefähr 500000 Wäscherinnen,
Näherinnen, Plätterinnen, Schneiderinnen, Weberinnen etc. als „Allein-
betriebe* gezählt worden sind.“
Voigt hat nachgewiesen, daß die Gesamtzahl der Selbständigen
in den historischen Handwerken nicht mehr als etwa 1300000 Köpfe
beträgt, daß also die 321216 Innungsmeister nicht den 10. Teil,
sondern ungefähr 30 Proz. aller Handwerker betragen und die In-
nungen und Gewerbevereine zusammen etwa 35 Proz. aller Hand-
werker ausmachen?) Es ist im Anschluß an diese Darlegungen
Voigts in einem Artikel des juristischen Literaturblattes Bd. 9 No. 8
vom 1. Oktober 1897 von mir nachgewiesen worden, daß diese Schät-
zung Voigts eine zu hohe ist?) Ich legte damals folgendes dar:
„Für Preußen ist nun noch später, nämlich am 1. Dezember
1892, eine Erhebung veranstaltet worden, die in Preußen 7925 In-
nungen mit 221337 Mitgliedern ergab. Obgleich also in den Jahren
1891—1892 die Zahl der Innungen in Preußen um 102 zugenommen
1) Paul Voigt, Die neue deutsche Handwerkergesetzgebung. Archiv für soziale
Gesetzgebung und Statistik, Bd. 3, S. 45.
2) Paul Voigt, Die Hauptergebnisse der neuesten deutschen Handwerkerstatistik.
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrgang 21,
1897, S. 1004 fg.
3) Thilo Hampke. Das Innungs- und Handwerkergesetz. Juristisches Literatur-
blatt, Bd. 9, No. 8.
Die deutsche Handwerkerorganisationen. 599
hatte, war die Zahl der Innungsmeister um 4712 Mitglieder zurück-
gegangen, d. h. also 1892 hatte die Innungsbewegung bereits ihren
Gipfel überschritten und es trat bereits eine Rückschrittsbewegung
ein. Seit dem Anfang der 90er Jahre ist sicher ein Stillstand in
der Innungsbewegung eingetreten. Es wird kaum eine Vermehrung
und kaum eine Verminderung in der Zahl der Innungsmeister statt-
gefunden haben. Wir werden daher nicht fehl gehen, wenn wir auch
für die jetzigen Verhältnisse 321219 Handwerker als in Innungen
organisiert annehmen. Nach der Berufszählung von 1895 und nach
der vom Kaiserlich Statistischen Amt im Jahre 1895 veranstalteten
Erhebung über die Verhältnisse im Handwerk, wird man im ganzen
Deutschen Reich 1300000 selbstündige Handwerksmeister annehmen
müssen. Es machen also die 321219 Innungsmeister in Deutschland
ungefähr 25 Proz. aller Handwerksmeister aus.
Die neuesten Berechnungen von Paul Voigt in seiner Arbeit:
Die Hauptergebnisse der deutschen Handwerkerstatistik von 1895
im dritten Heft des 21. Jahrganges des Schmollerschen Jahrbuches
sind meines Erachtens unrichtig. Voigt berechnet, daß 30 Proz.
aller Handwerker in Innungen vereinigt sein sollen und kommt zu dem
Resultat, daß, wenn man die Gewerbevereine dazu rechnet, daß dann
35 Proz. aller Handwerker sich bereits Organisationen, wie Innungen und
Gewerbevereinen angeschlossen haben. Daf die Richtigkeit der vorher
berechneten Zahl wahrscheinlich ist, geht aus dem soeben erschie-
nenen sechsten Jahrgang des Statistischen Jahrbuchs deutscher Stüdte
hervor. In 30 Großstädten Deutschlands befanden sich 1895 nach
der Berufsstatistik insgesamt 179739 selbständige Personen in den
ungefähr 70 Handwerksarten. Dagegen waren in diesen Städten
62485 Innungsmitglieder vorhanden. Nach dieser aus dem Jahre
1895 stammenden Statistik machten also die Innungsmeister 31,6 Proz.
der Handwerker in den 30 großen Städten aus.
In den norddeutschen Städten ohne Rheinland berechnete sich
die Zahl der Innungsmeister auf 38,6 Proz., in den süddeutschen
Städten mit Rheinland nur auf 16,6 Proz.
Wenn also in 30 deutschen Großstädten die Zahl der Innungs-
meister nur 31,6 Proz. ausmacht, dann kann sie nicht für ganz Deutsch-
land 30 Proz. betragen, denn es ist eine bekannte Tatsache, daß
eigentlich nur in den Städten die Innungsentwickelung gut vorwärts
gekommen ist, daß sie aber auf dem Lande nur ungemein geringe
Fortschritte gemacht hat, weil dort der Boden wegen der örtlichen
Verhältnisse nicht günstig für Innungsbildungen ist.
Es spricht also die Wahrscheinlichkeit dafür, daß nur 25 Proz.
der Handwerker bisher in Innungen vereinigt sind.
Es ist also die Behauptung, die sich in der Begründung zu dem
neuen Organisationsgesetz findet und die sowohl Hoffmann wie auch
Rohrscheidt in ihren Kommentaren wiedergeben, falsch, daß nämlich
sich bisher nur eben ein Zehntel sämtlicher Handwerker den Innungen
angeschlossen habe. Aber auch die Berechnung Voigts bezüglich der
Gewerbevereine scheint mir nicht richtig zu sein.
600 Thilo Hampke,
Im Verbande deutscher Gewerbevereine befanden sich Anfang
1896 466 Vereine mit 53287 Mitgliedern, die größtenteils in Süd-
deutschland heimisch sind. Voigt rechnet nun mit diesen 53287 Per-
sonen als Mitgliedern von Gewerbevereinen. Dem Verbande deutscher
Gewerbevereine gehört jedoch noch nicht an der Verband sächsischer
Gewerbevereine, der 1891 mehr als 26000 Mitglieder umfaßte. Ferner
ist noch nicht angeschlossen der Verband schlesischer Gewerbevereine,
dessen Mitgliederzahl uns nicht bekannt ist, der jedoch auch große
Bedeutung hat. Der Verband deutscher Gewerbevereine hat eigent-
lich nur bei den süddeutschen Gewerbevereinen Boden gefunden. Alle
die zahlreichen (rewerbevereine in den größeren norddeutschen Städten
gehören mit Ausnahme derjenigen der Provinz Hannover und Thüringens
ihm nicht an. Man wird die Zahl der Gewerbevereinsmitglieder daher
wohl auf 100000 schätzen dürfen. Von diesen 100000 Mitgliedern
müssen zunächst die abgezogen werden, die nicht Handwerker sind:
denn es haben sich erfreulicherweise zahlreiche Männer, die Interesse
für das Gewerbe besitzen, denselben angeschlossen. Ich vermute,
daß ein Viertel der Mitglieder von Gewerbevereinen nicht Handwerker
sind. Es bleiben demnach 75000 Handwerker übrig. Von diesen wird
man ebenfalls mindestens ein Viertel abziehen müssen, weil sich diese
bereits auch in Innungen befinden und dort schon mitgezählt sind.
In Norddeutschland und namentlich auch in Sachsen werden häufig
fast die Hälfte der Handwerksmitglieder im Gewerbeverein Innungs-
mitglieder sein. In Süddeutschland wahrscheinlich weniger, weshalb
ich als Mittel ein Viertel annehme. Es würden dann also von den
100000 Gewerbevereinsmitgliedern 56250 übrig bleiben, die Hand-
werker und dabei nicht Innungsmeister sind. Wir würden dann im
ganzen 377469 organisierte Handwerker, d. h. Innungsmeister und
Gewerbevereinsmitglieder erhalten, die 29 Proz. aller Handwerker
ausmachen.“
Von Voigt ist in seinen späteren Arbeiten meine Berechnung
anerkannt worden !).
Bereits unter der Innungsnovelle vom 18. Juli 1881 hatten die
Innungen also eine erfreuliche Entwickelung genommen, so daß 1896
sicher cirea 25 Proz. aller selbständigen Handwerker in Innungen
organisiert waren. Diese Tatsache erscheint in einem um so gün-
stigeren Lichte, wenn man bedenkt, daß ein sehr großer Prozentsatz
der Handwerker auf dem Lande wohnt (über ?/, aller Handwerker
wohnen auf dem Lande) und daher schlecht organisiert werden kann
und wenn man ferner in Betracht zieht, daß ebenfalls sehr große
Prozentsätze der Handwerker kleine Alleinmeister sind, die natur-
gemäß ein geringes Interesse an den Innungen haben, die doch gerade
das Lehrlingswesen regeln und ferner die Verhältnisse der Gesellen
zu den Meistern bessern wollen. Etwa nur 44,5 Proz. aller Hand-
werker beschäftigen Personal. Man konnte damals also schon mit
J 1) Paul Voigt, Erwiderung gegen Grützer. Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung,
Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrgang 22, S. 689 ff.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 601
Recht den Schluß ziehen, daß die Innnungen den Kern des leistungs-
fähigen städtischen Handwerks bereits umfaßten.
Eine wichtige Frage ist nun die, ob unter dem neuen Hand-
werksorganisationsgesetz vom 26. Juli 1897 die Innungen eine weitere
Entwickelung genommen haben und ob eventuell die Zwangsinnungen
verstanden haben, bedeutende Teile des Handwerkerstandes zu um-
fassen. Leider liegt eine Statistik hierüber überhaupt noch nicht vor.
Vom preußischen Handelsministerium ist durch die Handwerkskam-
mern eine Statistik im Jahre 1902 veranstaltet worden, die mir gütigst
durch den Geheimen Reg.-Rat Dr. v. Sufeld zur Verfügung gestellt
worden ist und die folgendes Bild ergibt (s. Tabelle VI S. 602 u. 603).
Es waren also 1892 im ganzen 10851 Innungen in Deutschland
vorhanden, von denen 7882 freie Innungen und nur 2969 Zwangs-
innungen waren. Die Zwangsinnungen stellen demgemäß noch nicht ein
Drittel sämtlicher Innungen dar.
Ein Bild von den Innungsverhältnissen vor und nach der Hand-
werkernovelle von 1897 ergibt folgende ale Wir besitzen für
Preußen eine Statistik über den Stand vom l. Dezember 1896 und
für die übrigen Bundesstaaten über den Sech im Jahre 1803. Diese
Daten sind als Stand vor der Handwerkerorganisation der Statistik
zu Grunde gelegt !).
Die Entwickelung der Innungen zeigt dann folgende Tabelle VII
S. 604.
Während also 1896 10881 Innungen vorhanden waren, gab es
1902 10851 Innungen. Die Zahl derselben wäre also nach der
Reorganisation nach dieser Statistik um 30 zurückgegangen.
Dieser Rückgang bedeutet natürlich keinen Rückgang der Innungs-
entwickelung überhaupt, denn unter den zur Zeit bestehenden 10 851
Innungen befinden sich 2069 Zwangsinnungen. Diese Zwangsinnungen
werden aber in ihren Mitgliederzahlen viel größere Personenkreise
umfassen als die entsprechenden früheren freien Innungen. Bei der
Reorganisation haben sich naturgemäß zahlreiche Innungen, die in
ihrer Mitgliederzahl sehr zurückgegangen waren und die nicht recht
mehr etwas leisteten, aufgelóst, an deren Stelle sind aber je lünger,
je mehr neue Innungen getreten, die leistungsfühigere Organisationen
darstellen.
Die Zwangsinnungen haben nicht eine so weite Verbreitung
gefunden, als man wohl erwartet hatte. Es bestehen neben 7882
freien Innungen doch nur 2960 Zwangsinnungen. Nach dem Inkraft-
treten der Zwangsinnungen konnte man vielfach die Behauptung hóren,
die Zwangsinnungen hätten sich nicht bewährt, denn sie lösten sich
meist wieder auf. Es ist richtig, dafi sich eine Anzahl Zwangsin-
nungen wieder aufgelóst haben, doch war dann meist ein Fehler bei
der Bildung der Innung gemacht worden, indem man Zwangsinnungen
für alle Gewerbetreibenden bildete, die besser nur für die Handw erker
1) Paul Voigt, Die deutschen Innungen. Eine statistische Studie. Schmollers
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrgang 22, 1898, S. 708.
602 Thilo Hampke,
VI. Uebersicht über die Zahl der Innungen, welche in
den Bezirken der einzelnen Handwerkskammern
bestehen.
Lfd Sitz der Zahl der
N Bundesstaat Handwerks- frei ee Bemerkungen
o. kammer reien 4 wangs-
Innungen | innungen
ge D
Königreich Preußen 5586 | 2182 ei aldeck u.
1 n T Königsberg 320 III
2 5 Se Insterburg 179 28
3 o » Danzig 338 | 69
4 D pe Berlin 537 | 150
5 " » Frankfurt a/O. 272 200
6 i » Stettin 479 48
7 SG 5 Stralsund 105 14
8 " " Posen 428 16
9 » » Bromberg 227 9
10 " m Breslau 402 | 112
11 „ T - | Liegnitz 379 84
12 " " Oppeln , 355 73
13 ^ h ' Magdeburg 134 | 72
14 á S Halle 446 | 45
15 " " | Erfurt 112 19
16 n m | Altona 123 | 77
^ i ai FREE 74 49 *) 2 freieu. 1 Zwangs-
18 5 " Hannover *) { "e 4 : | innung entf. auf d.
19 » f Hildesheim 84 | 85 Fürstent. Pyrmont.
20 i5 ~ Harburg 84 | 150
21 P " Osnabrück 77 70
22 D D Münster 42 33
23 T A Bielefeld 29 44
24 " » Arnsberg 2 77
33 » G Dortmund | 49 | 105 *) 2 freie Innungen
26 i i Kassel *) | | 4b } 63 | entfallen auf das
27 S 1 Wiesbaden 15 a4 |. Fürtent. Waldeck
28 » D Coblenz | 15 59
29 " " Düsseldorf 71 159
30 e e Cöln 27 24
31 e " Aachen ri 18
32 ^ " Saarbrücken | 23 49
33 ^" D Sigmaringen — —
Königreich Bayern 177 110
1 j » Oberbayern 31 21
2 e T Niederbayern 6 18
3 " » Pfalz | 33 16
4 n E Oberpfalz 5 9
5 D " Oberfranken | 24 4
6 7 A Mittelfranken | 19 14
7 D " Unterfranken | 25 12
8 D " Schwaben | 34 16
Königreich Sachsen 859 364
1 » 5 Dresden | 228 114
2 e Y Plauen 203 60
3 " m Chemnitz 303 126
Die deutschen Handwerkerorganisationen.
603
T Sitz der Zahl der
N 5 Bundesstaat Handwerks- frei Bemerkungen
0. Eieren reien ‚Zwangs-
Innungen | innungen
g B
4 | Königreich Sachsen Leipzig 26 30
5 » T Zittau 99 34
3 Württemberg 72 11
1 e 5 Stuttgart 25 3
2 " om Ulm 24 3
3 » de Heilbronn II 5
E " D Reutlingen 12 =
Großherzogtum Baden 38 12
1 " " Mannheim 12 I
2 e " Karlsruhe IO 6
3 T » Freiburg 15 5
4 ap ^ Konstanz I —
1 e Hessen | Darmstadt 38 18
1 | Mecklenburg-Schwerin u.
Mecklenburg-Strelitz | Schwerin 505 6
1 | Sachsen-Weimar Weimar 7 21
1 | Oldenburg Oldenburg 53 6
1 | Braunschweig Braunschweig 65 74
1 | Sachsen-Meiningen Meiningen 41 14
1 |Sachsen-Altenburg und
Reuß j. L. Gera 51 | 37
1 | Sachsen-Koburg-Gotha | Gotha 59 2
1 | Anhalt Dessau 98 | 38
1 |Schwarzb. - Sondershaus.
u. Schw.-Rudolstadt | Arnstadt 39 8
1 | Reub à. L. Greiz 12 7
1 | Schaumburg-Lippe Stadthagen 10 I
1 | Lippe Detmold 30 17
1 | Lübeck Lübeck 6 16
1 | Bremen Bremen 24 9
1 | Hamburg Hamburg 8 16
1 | Elsaß-Lothringen Straßburg 37 =
Deutsches Reich Sa. 7882 2969
—————— 1.
Zusammen 10851
gebildet worden wären, die Personal beschäftigten, denn es ist selbst-
verständlich, daß Personen die kein Personal beschäftigen, nicht das
Interesse an der Innung haben können, welches solche Handwerker,
die Gesellen und Lehrlinge beschäftigen, besitzen müssen.
Daß diese Auflösungen von Innungen doch nicht so erheblich
gewesen, geht aus der Umfrage hervor, die der Vorort des Hand-
werks- und Gewerbekammertages im Jahre 1902 veranstaltet hatte !).
In 60 Handwerkskammerbezirken, die berichteten, lösten sich seit
Errichtung der Kammern, also seit dem 1. April 1900 bis zum Jahre
1902, im ganzen 174 Zwangsinnungen und 74 freie Innungen auf,
von denen etwa 28 in Zwangsinnungen umgewandelt wurden. Diesen
248 aufgelösten Innungen stehen aber 778 im gleichen Zeitraum neu
gebildete Innungen gegenüber.
1) Protokoll des III. deutschen Handwerks- und Handwerkertages am 25., 26.
und 27. September 1902 zu Leipzig, 8. 9.
604 Thilo Hampke,
Tabelle VII.
1896 Zahl] 1902 Zahl der Zus
Lid. x. | m = E
No Bundesstaat der frei Zwangs. ` [anun-
No. Innungen |. freien Lwangs
| E Innungen| Innungen BT
| | g g
1 [Preußen 7 940 5586 | 2182 7 768 J ëm
2 [Bayern 226 177 | 110 287 \ Waldeck
3 [Königreich Sachsen 1 283 859 364 1 223
4 ^ Württemberg 29 e) II 83
5 [Großherzogtum Baden 30 38 12 50
6 |Hessen 33 38 | 18 56
7 |Mecklenburg-Sehwerin 434 505 6 sit |
8 [Sachsen- Weimar 89 74 21 95 |
9 [Mecklenburg-Strelitz | 74 s. Schwerin | j7 mek.
10 [Oldenburg 33 53 6 59 \ Schwerin
11 [Braunschweig 138 65 74 139 |
12 [Sachsen-Meiningen 65 I I4 55
3 „ Altenburg 58 Ze 37 88 ee
14 » Coburg-Gotha 98 59 2 61 | Jung. ane
15 [Anhalt 130 98 38 136 |
16 [Sehwarzburg-Sondershausen 23 d y
17 3 Rudolstadt 27 \ ` 39 8 47 |(u. Arnstadt)
18 [Waldeck II s. Preußen ?
19 eut à. Linie 25 12 7 I9
20 [Reuß jüng. Linie 23 |s. Sachs.-Altenburg |
21 [Schaumburg-Lippe 6 10 | x“ Il |
22 |Lippe-Detmold 9 30 17 47 |
23 [Lübeck 24 6 16 22 |
24 [Bremen 31 24 9 33 |
25 [Hamburg 29 8 I 24 |
26 [|ElsaB-Lothringen 13 37 | — | 37 |
Zusammen | 10881 7882 | 2969 | 10851 |
Diese Zahlen zeigen, daß wir uns in einer Periode starker Neu-
bildung von Innungen befinden, die namentlich wohl durch die Tätig-
keit der Handwerkskammern veranlaßt ist. Würde heute eine Enquete
veranstaltet werden, so würden wir jedenfalls nicht 30 Innungen
weniger als 1896, sondern eine ganz erhebliche Anzahl Innungen
mehr besitzen. Aus den Zahlen, die ich dem preußischen Handels-
ministerium verdanke, lassen sich leider weitgehende Schlüsse nicht
ziehen, weil die Zahlen über die Innungsmitglieder fehlen. Erfreu-
licherweise hat aber der Fragebogen, den der Vorort des Handwerks-
und Gewerbekammertages im Jahre 1902 versandte, auch eingehend
die Verhältnisse der Innungen berücksichtigt.
Die Zahlen dieser Enquête der Handwerkskammern werden aufziem-
lich zuverlässige Richtigkeit Anspruch erheben dürfen, denn über den
Stand des Innungswesens, des Rückgrates der ganzen Handwerks-
organisation, werden die Handwerkskammern zuverlüssig orientiert
sein. Es ist mir nun erfreulicherweise gelungen, die Zahlen, die in
Leipzig nur unvollständig auf dem Kammertag geboten werden konnten
zu vervollständigen !). Daß die Innungsorganisation wirklich unter
"m 1) Es ist mir gelungen, durch mehrfache Anfragen alle Kammern zu veranlassen,
die Zahlen über die Innungen anzugeben, nur über den Mitgliederstand der Innungen
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 605
dem neuen Handwerksorganisationsgesetz erhebliche Fortschritte ge-
macht hat, beweist folgende auf die oben geschilderte Weise gewonnene
Statistik (s. Tabelle VIII S. 606 u. 607).
Diese Statistik ergibt also, daß im August 1902 vorhanden waren
in ganz Deutschland 10950 Innungen (nach der Statistik des preußi-
schen Handelsministeriums waren es nur 10851 Innungen). Die Zahlen
stimmen also ungefähr mit den durch das preußische Handelsmini-
sterium ermittelten Zahlen überein) mit 457283 Mitgliedern. Wenn
im August 1902 99 Innungen mehr als vom Handelsministerium ge-
zählt worden sind, so liegt es jedenfalls daran, daß der Zählungstermin
ein späterer als der des Handelsministeriums war und so viele Innungen
in der Zwischenzeit neu begründet worden sind. Setzen wir die neu
gewonnene Zahl von 10950 Innungen in einen Vergleich zu der Zahl
der Innungen am 1. Dezember 1896, nämlich 10 881, so ergibt sich,
daß nicht etwa nach der Reorganisation 30 Innungen weniger vorhanden
sind, sondern sich die Zahl der Innungen um 69 gehoben hat. Die
2955 Zwangsinnungen umfassen 198543 Mitglieder, es kommen also
auf eine Zwangsinnung 67 Mitglieder.
Die 7995 freien Innungen umfassen 258 740 Mitglieder, es kommen
also auf eine freie Innung 32 Mitglieder. Es haben demzufolge im allge-
meinen die Zwangsinnungen mehr als doppelt soviel Mitglieder als
die freien Innungen. Die 10950 Innungen umfassen 457283 Mit-
glieder, es kommen also auf eine Innung im Durchschnitt 42 Mitglieder.
Im einzelnen ist zu dem Inhalt der Tabelle VIII zu bemerken,
daß bei den Kammern Liegnitz, Koblenz, und Detmold nur die Zahlen
für die Innungen und die Innungsmitglieder im allgemeinen vor-
liegen. Es sind daher die Mitgliederzahlen für die Zwangs- und für
die freien Innungen von mir geschätzt worden und zwar nach dem
Verhältnis wie 2:1, d. h. ich habe angenommen, daß die Zwangs-
innungen noch mal soviel Mitglieder haben werden als die freien
Innungen. Ebenso sind die Mitgliederzahlen für Dresden geschätzt
worden, indem die Durchschnittszahl der sächsischen Innungen zu
Grunde gelegt worden ist. Alle anderen Zahlen beruhen auf eigenen
Angaben der Kammern.
Gar keine Innungen sind vorhanden in dem Kammerbezirk Sig-
maringen, dort sind die Handwerker nur in Gewerbevereinen orga-
nisiert. Keine Zwangsinnungen sind vorhanden in den Kammerbezirken
Reutlingen, Konstanz und Straßburg, in diesen Bezirken ist aber über-
haupt die Innungsentwickelung eine sehr geringe, denn auch freie
Innungen sind nur in geringer Zahl vorhanden.
Daß die Innungen wirklich und namentlich in Preußen zur Zeit
den Kern der Handwerker umfassen, geht aus folgender Tabelle IX
S. 608 u. 609 hervor.
Es kommen demnach in Preußen auf 679323 Handwerker 310 677
Innungsmeister, d. h. auf 100 Handwerker bereits 46 Innungsmitglieder.
waren nicht in der Lage zu berichten die Kammern von Liegnitz, Koblenz, Dresden und
Detmold.
606
Thilo Hampke,
Tabelle VIII. Uebersicht über die vorhandenen
Zwangs- und freien Innungen und deren Mitglieder
im August 1902.
Name der Zenger Freie Innungen Zusammen
Handwerks- Re Va, Zahl der GE
It- it- H
kammer Anzahl glieder Anzahl glieder Innnugen glieder
| =
Königsberg III 3915| 320 qud 431 II 605
Insterburg 28 560 | 184 000 212 6 560
Danzig 76 | 3266| 338 | 9568 414 12 834 eg d. vom
Berlin 151 | 22369 | 527 | 19252 678 41621 zember 1902
Frankfurta/O.| 201: 9374| 272 7 156 473 16 530
Stettin 39 2300, 492 | 13500 531 15 800
Stralsund 14 599 | IOS 2 460 119 3 059
Posen 17 662 | 427 | 11333 444 II 995
Bromberg 9 500 | 227 2 000 236 2500 Verhältnis der
Breslau 114 7000| 407 | 14 000 521 21 000 || Zwangsinnungsmit-
Liegnitz 88 5314| 387 | 11686 475 17 000 |\ glieder zu den freien
Oppeln 73 4443| 356 | 14520 429 18 963 || Innungsmitgliedern
Magdeburg 72 5908| 116 4 268 188 IO 176 | ist geschätzt wie2:1
Halle a/S. 45 2847| 442 8771 487 II 618
Erfurt 19 1270| 112 4 114 131 5 384
Altona 80 4684| 127 4 003 207 8 687
Flensburg 49 2 696 74 2 549 123 5 245
Hannover 45 3 700 61 3 300 106 7 000
Hildesheim 85 4 438 84 2 495 169 6933 |
Harburg 79 | 3477, 149 | 4310 228 7 787
Osnabrück 70 3 975 76 3 298 146 7 273
Münster 33 1495 40 2 596 83 4091|
Bielefeld 59 3 133 28 1236 87 4 369
Arnsberg 81 3 193 27 1428 108 4 621]
Dortmund 105 5 500 49 2 600 154 8 100
Cassel 60 2 400 51 I 283 III 3 683
Wiesbaden 23 2 500 18 1250 41 3750
Coblenz 61 3072 17 428 78 3 500 |wie Liegnitz
Düsseldorf 175 | 11562 89 5 339 264 16 901
Köln 24 2748 27 2179 51 4 927
Aachen 19 1375 6 390 25 1 765
Saarbrücken 48 4 000 24 1 400 72 5 400
Sigmaringen — — — = — — keine Innungenjvorh.
Preußen | 2153 | 134 275 | 5659 |176402| 7812 |310677 |
München 21 4795 31 1934 52 6729
Passau 17 900 6 315 23 1215
Kaiserlautern 16 920 31 1 900 47 2 820
Regensburg 9 482 6 305 15 787
Bayreuth 4 252 25 839 29 1091
Nürnberg 14 2057 19 1 296 33 3 353
Würzburg 12 1 066 26 I 163 38 2 229
Augsburg 16 703 34 I 483 50 2 186
Bayern | 109 | ıı 175 | 178 9 235 287 | 20 410 |
Dresden 113 8136| 282 | 11280 395 19 416 |geschätzt
Plauen 60 3729| 203 6 114 263 9 843
Chemnitz 126 7367| 303 | 14424 429 21 791
Leipzig 32 5 192 23 1 498 55 6 690
Zittau 33 | 1759| 100 | 2879 133 4 638 Br.
Sachsen | 364 | 26 183 | grr | 36 195 | 1275 62 378
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 607
Zusammen
> Zwangs- bet
Name der A Freie Innungen
Handwerks- en | + 2 | Zahl der Zahl der
k r it- | it- | Mit-
Ammer [Anzahl] aiede [Anzahl] ziioder Innungen! zlieder
Stuttgart 2 188 22 995 24 1 183
Ulm 6 509 | 26 800 32 | 1309
Heilbronn 7 516 | 6 187 13 703
Reutlingen — — II 289 II 289
Württemberg | 15 | 1213| 65| 2271| 80 | 3484|
Karlsruhe 6 451 10 | 494 16 | ous
Mannheim I 56 I3 639 I4 695
Freiburg 1 756 II 404 22 1 160
Konstanz ET = 4 77 4 77
Baden | 18| 1263| 38 | 1614| 56 2877
Darmstadt 16 | 1195, 40 | 1697 56 | 2892
Schwerin 6 237| 503 9 326 509 9 563
Weimar 21 540! 75 I 550 96 2 090
Oldenburg 6 485 56 3 300 62 3785
Braunschweig 74 8000| 65 4 000 139 12 000
Meiningen 14 724 | 41 788 55 1512
Gera 42 1931 48 1 680 | 90 3611
Gotha 2 72 60 1949 62 2 021
Dessau 37 I 500 96 2 600 133 4 100
Arnstadt 9 346, 35 675 44 1021
Greiz 9 573 II 319 20 892
Stadthagen I 9 9 396 IO 405
Detmold 18 927 30 773 48 1 700 |geschätzt
Lübeck 15 715 5 257 20 972
Bremen 9 747 24 1024 33 1771
Hamburg 17 6433 9 889 26 7 322
StraBburg — — 37 1 800 37 1 800 |
| 296 | 24434| 1144 | 33023| 1440 | 57457
Preußen 2153 | 134 275 | 5659 | 176 402 7812 |310677 S
Bayern 109 | 11175| 178 9 235 287 20 410
Sachsen 364 | 26183| ont | 36195 1275 61 378
Württemberg 15 1213 65 2271 80 3 484
Baden 18 1 263 38 1614 56 2 877
Die übrigen 296 | 24434 | 1144 | 33023] 1440 | 574571 —
Summa | 2955 | 198 543 | 7995 | 258 740| 10950 |457 283 |
Die höchste Entwickelung in Preußen weisen die Kammern zu Oppeln
mit 77, Berlin mit 74, Frankfurt a. O. mit 65, Königsberg mit 62,
Stralsund und Posen mit je 61 und Breslau mit 60 Innungsmitgliedern
auf 100 Handwerker auf. Es ist also im Osten und Nordosten die
Innungsentwickelung in Preußen die höchste. Die geringste Innungs-
entwickelung weisen Sigmaringen mit 0,0, Aachen mit 9, Wiesbaden
mit 14, Koblenz mit 17, Kassel mit 18 und Köln und Münster mit
je 25 Innungsmitgliedern pro 100 Handwerker auf. Die geringste
Innungsentwickelung findet sich also im Rheinland, in Westfalen,
Hessen-Nassau und Sigmaringen.
In Bayern kommen nur 11 Innungsmeister auf 100 Handwerker.
Die höchste Innungsentwickelung von allen deutschen Bundesstaaten
608 Thilo Hampke,
Tabelle IX.
é Von 100 selb-
z Sitz der | Selbständige | Zahl der |ständigen Hand.
š Bundesstaat Handwerks- Handwerks- | Innungs- | werksmeistern
3 kammer meister mitglieder |sind in Innungen
organisiert
1 PreuBen Kónigsberg 18596 | 11605 62
2 e Insterburg 15 300 6 560 43
3 H Danzig 21205 | 12834 57
4 : Berlin 5$5722| 41621 | 74
5 E Frankfurt a./O. 25 233 16 530 65
6 »" ‚Stettin 30 000 15 800 | 52
7 5 ‚Stralsund 5 000 3059 | 61
8 d Posen 19400 11995 61
9 e |Bromberg 6 500 2 500 38
10 » | Breslau 35 000 21 000 60
11 8 (Liegnitz 30 000 17 000 | 57
12 D Oppeln 24555 18963 | 77
13 »" Magdeburg 34 341 IO 176 29
14 j Halle a./S. 21550 | 11618 54
15 i | Erfurt 14990 | 5384 | 37
16 i Altona 18031 | 8687 47
17 e ‚Flensburg 11 806 | 5 245 44
18 » |Hannover 16 000 | 7 000 44
19 x Hildesheim 12496 | 6933 55
20 ve Harburg 20035 | 7 787 38
21 T Osnabrück 12 375 7273 58
22 3 Münster 16 248 4 O9I 25
23 3 Bielefeld II 432 | 4 369 38
24 së Arnsberg 10 600 4 621 43
25 ; Dortmund 20 000 8 100 45
26 " Cassel 20 131 3 683 18
27 » Wiesbaden 27 000 3750 14
28 is Coblenz 21 000 3 500 17
29 > (Düsseldorf 44 000 16 901 38
30 " ‚Cöln 19 500 4927 25
3 e Aachen 18 500 1765 9
32 5 Saarbrücken 18777 | 5 400 28
33 jt Sigmaringen 4 000 — —
679323 | 310677 | 46
34 Bayern München 40 092 | 6729 16
35 a Passau ca. 10000 1215 12
36 5 Kaiserslautern » 30000 2 820 9
37 Regensburg 14 608 787 5
38 2 Bayreuth » 26500 | 1091 4
3 Le Nürnberg » 27500 3 353 12
40 » Würzburg » 30000 2 229 7
41 e Augsburg " 7 000 2 186 | 31
185 700 20 410 | II
42 Sachsen Dresden — | 19416 =
43 7 Plauen 16 398 | 9843 60
44 5 Chemnitz 32 000 21 791 68
45 » Leipzig 10 241 | 6 690 65
46 i Zittau 6 800 4 638 | 68
62378 |
eem
Die deutschen Handwerkerorganisationen.
609
Von 100 selb-
E | Sitz der Selbständige | Zahl der \ständigen Hand-
7 Bundesstaat Handwerks- Handwerks- | Innungs- | werksmeistern
z kammer meister mitglieder |sind in Innungen
| organisiert
47 [Württemberg Stuttgart 18 000 1 183 6
48 e [Ulm 10 107 1309 13
49 * | Heilbronn 7 848 703 9
50 5; [Reutlingen 289
3 484
51 [Baden ‚Mannheim — 695
92] „ ‚Karlsruhe 15 400 945 6
531 Freiburg 18 105 I 160 6
54] „ Konstanz 11517 77 0,6
2877
55 [Hessen ‚Darmstadt 40 000 2892 7
56 [Beide Mecklenburg Schwerin 12 930 9 563 74
57 |Sachsen- Weimar [Weimar 8 395 2 090 25
58 [Oldenburg Oldenburg 8 500 3 785 44
59 [Braunschweig |Braunschweig 18 000 12 000 66
60 |Sachsen-Meiningen Meiningen 6 113 I 512 24
61 |Sachsen-Altenburg und 7052 3611 5I
Reuß j. L. Gera
62 |Sachsen-Coburg-Gotha (Gotha 7 226 2021 28
63 [Anhalt Dessau 6 500 4 100 63
64 [Beide Schwarzburg | Arnstadt 4512 I 021 22
65 [Reuß à. L. ‚Greiz 1893 892 47
66 |Schaumburg-Lippe Stadthagen 1400 405 | 29
67 |Lippe Detmold 3 408 1700 50
68 [Lübeck Lübeck — 972
69 |Bremen Bremen 6 000 1 771 29
70|Hamburg Hamburg — 7322
71 |Elsaß-Lothringen StraBburg — I 800
hat unstreitig Sachsen, die beiden Mecklenburg, Anhalt und Braun-
schweig, sehr niedrige Innungsentwickelung weisen Hessen, Baden,
Württemberg und Bayern auf. Staaten, in denen, wie wir sehen
werden, die Gewerbevereine noch die Haupttrüger der Handwerkerorga-
nisation sind.
Wie sich die Verhältnisse in der Innungsentwickelung seit dem
Inkrafttreten des Handwerkerorganisationsgesetzes gestaltet haben, zeigt
folgende vergleichende Statistik über die Verhültnisse im Jahre 1896
und 1902 (s. Tabelle X S. 610).
Während in Deutschland die Anzahl der Innungen nur um
69 zugenommen hat, ist die Zahl der Mitglieder von 331364 auf
451 283, also um 125 919 oder um 38 Proz. gestiegen. Die Anzahl
der Innungsmitglieder hat sich in Bayern um 84 Proz., in Württem-
berg um 211 Proz., in Baden um 206 Proz., in Hessen um 146 Proz.,
in Oldenburg um 197 Proz., in Braunschweig um 166 Proz., in
Sachsen-Altenburg um 190 Proz. in Lippe-Detmold um 930 Proz.,
und in Elsaß-Lothringen um 426 Proz. gehoben. Gefallen ist die
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 39
610 Thilo Hampke,
Tabelle X. Vergleichende Uebersicht über den Stand
der Innungen in Deutschland 1896 und 1902.
1896 | 1902
Lal LS SECH s8 àsSEsASSES
Bundesstaat 3% = E: © S "7$ Ke Bi: Ri EE KE Bemerkungen
“3 |=:% [35 |2% |le8e:l8.%38
25,3% |35| 3» 3335213533
SEERLEBLERELBHTE TT i-
1 | Bayern 226 11.069, 287| 20410 + 27 | + 84
2 | Königr. Sachsen | 1283| 53 865| 1 275| 62378) — 1 | + 16
3 | Württemberg 29| 1121| Bo 3484 +176 | +211
4 | Baden 30 940 56| 2877| + 87 | +206
5 | Hessen Sal 301271 56, 2892| + 66 | +146 : =
6 | Mecklenb.-Schwerin 434| 8102| 509 9563| + o | + 4 gr x em
7 ii Strelitz 74| 1121| | | :
8 | GroBhzgt. S.-Weimar 89| 1867 96 2090 + 8 | + 12
9 | Oldenburg 33| 1275 62 3785 + 88 | +197
10 | Braunschweig 138| 4533! 139 12000, + 1 | +166
11 | Sachsen-Meiningen 65| 1086 55! 1512] — 15 | + 39 g e
12 » Altenburg 58| 1246| 90| 3611| + 55 | +190 Se BEA
13 Kob.-Gotha 98| 2560 62| 2021| — 37 | — 21 1
14 | Anhalt 130| 3240| 133| 4100| + 2 | + 27 |(zus. mit Rudolstadt
15 | Schwarzb.-Sondersh. 23| 361 44| 1021| — 8 | + 30 irae:
16 e Rudolstadt) 27| 426| Arnstadt).
17 | Waldeck nl un er one
18 | Reuß à. L. 25| 2222 20| 892| — 20 | — 59 |(Greiz).
19 F LR | 23| 197 | s. Sachsen-Altenburg.
20 | Schaumburg-Lippe 6 311 10 405| + 67 | + 30 |(Stadthagen).
21 | Lippe-Detmold 9 165 48| 1700) +433 | +930
22 | Lübeck 24 742 20 972| — 16 | + 31
23 | Bremen 31) EN 33| 1771 + 6 | +35
24 | Hamburg | 29) 5208 264 7322| — 10 | + At
25 | Elsaß-Lothringen | 13 342 37| 1800| +200 | +426
Die deutschen Bundes- |
staaten ohne Preußen, 2941|106 408 3138146606 + 7 | + 38 lohne Waldeck.
26 | Preußen 1896 7 940/224 956| 7 812 310677| — 2 | + 38 |mit Waldeck.
Deutsches Reich über-| a: | | | `
haupt 10 881,331 364110 950,457 283| + ı | + 38
Zahl der Innungsmitglieder nur in Coburg-Gotha um — 21 Proz., in
Reuß ältere Linie um — 59 Proz. In den Bundesstaaten außer Preußen
hat sich die Innungsmeisterzahl um 38 Proz. und in Preußen selbst
ebenfalls um 38 Proz. gehoben. Wir sehen daher also, daß die
Innungsentwickelung einen großen Impuls durch das Handwerks-
organisationsgesetz erhalten hat.
Nach den Berechnungen von Paul Voigt waren nach der Zählung
vom Jahre 1895 circa 1300000 Handwerker in Deutschland vor-
handen. Die Zahl wird voraussichtlich ungefähr die gleiche ge-
blieben sein, denn trotz der Bevölkerungszunahme wird sich die
Zahl der selbständigen Handwerker voraussichtlich nicht vermehrt
haben. Nimmt man also für 1902 ebenfalls noch 1 300000 selbständige
Handwerker in Deutschland an, so umfassen die 457 283 in Innungen
organisierten Handwerker 35,2 aller Handwerker.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 611
Ich hatte für 1896 die Zahl der in Innungen organisierten Hand-
werker auf 25 Proz. berechnet. Es hat sich also seit dem Hand-
werkerorganisationsgesetz, d. h. im wesentlichen infolge der Zwangs-
innungen die Zahl der in Innungen organisierten Handwerker von
25 Proz. auf 35,2 Proz. gehoben. Rechnet man die an anderer Stelle
berechneten in Gewerbevereinen organisierten Handwerker, die nicht
Innungsmitglieder sind, in Höhe von 89100 Handwerkern hinzu, so
haben wir in Deutschland 546 383 überhaupt in Innungen und Ge-
werbevereinen organisierte Handwerker, die also 42 Proz. aller
Handwerker Deutschlands ausmachen.
Diese Zahlen lernt man erst richtig würdigen, wenn man in Be-
tracht zieht, daß im Jahre 1895 nach den Berechnungen von Paul
Voigt von den 1300000 Handwerkern wenigstens zwei Fünftel auf
dem platten Lande wohnten. Diese Landhandwerker werden, wenn
man nicht sehr große Bezirke bilden will, sehr schwer durch die
Innungsorganisation zu erfassen sein. Ferner muß man bedenken,
daß nach der im Jahre 1895 vorgenommenen Enquete sich ergab,
daß nur 44,5 Proz. aller Handwerker Personal beschäftigten. Die
Verhältnisse werden auch heute noch ungefähr so liegen.
Die Alleinmeister haben aber nur ein sehr geringes Interesse
im allgemeinen an den Innungen und werden sich daher immer
schwer der Innungsorganisation anschließen.
Um die Möglichkeit der Innungsorganisation überblicken zu
können, hatte das Reich im Jahre 1895 eine Erhebung über die Ver-
hältnisse im Handwerk veranstaltet und vom Kaiserlichen Statistischen
Amt bearbeiten lassen. Ueber die Ergebnisse dieser Enquete führt
Paul Voigt in seiner Arbeit: „Die Hauptergebnisse der neuesten
deutschen Handwerkerstatistik“ folgendes aus 1):
„Es ist ohne weiteres klar, daß die Dezentralisierung des Hand-
werks, die im Laufe dieses Jahrhunderts eingetreten ist, das Problem
einer umfassenden Organisation des Handwerks zu einem äußerst
schwierigen gemacht hat. In früheren Jahrhunderten wohnten die
Handwerker dicht geschlossen in den Städten beisammen; zumal das
mit Gehilfen arbeitende Handwerk war fast ausschließlich in den
Städten konzentriert, und hier ließ sich eine Zunftorganisation leicht
durchführen. Wo auf dem Lande in größerem Umfange das Klein-
gewerbe vorhanden war, handelte es sich um hausindustrielle Produkte,
für die besondere Organisationsformen geschaffen waren. Wenn
auf dem Lande jetzt nur Alleinmeister vorhanden wären, die außer-
halb der Innung bleiben könnten, so wäre eine Lösung der Organi-
sationsfrage ohne große Schwierigkeiten möglich. Obwohl nun aber
seit 1858 eine Verringerung der Durchschnittsgröße seiner Betriebe
eingetreten ist, so hat das Landhandwerk doch noch in beträchtlichem
Umfange Gesellen und Lehrlinge, deren Einziehung in die Organi-
1) Dr. Paul Voigt, Die Hauptergebnisse der neuesten deutschen Handwerker«
statistik von 1895 in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirt«
schaft. Leipzig 1897, Jahrg. XXI, S. 1319 fg.
39*
612 Thilo Hampke,
sation grundsätzlich erstrebt werden muß. Andererseits darf der
Innungsbezirk nicht allzu groß sein, wenn ein reges Innungsleben
möglich sein loll.
Um Material für die Beurteilung der Möglichkeit der Innungs-
bildung zu erhalten, hat die „Erhebung“ eine umfangreiche Unter-
suchung darüber angestellt, wie viele Handwerker sich in Innungen
organisieren lassen, wenn als Innungsbezirk der einzelne Zählbezirk,
der Kreis (oder der entsprechende politische Bezirk in den außer-
preußischen Staaten) oder der Regierungsbezirk angenommen und
zur Bildung einer Innung 5, 10, 15, 20, 30, 50 oder 100 Mitglieder
als erforderlich erachtet werden; die Berechnung wurde zunächst
unter der Voraussetzung durchgeführt, daß nur die Meister mit
Personal zum Beitritt zu den Innungen verpflichtet sein sollten.
Später wurde auch untersucht, wie die Innungsbildung ausfallen
werde, wenn alle Meister, ohne Rücksicht darauf, ob sie Personal
beschäftigten oder nicht, beitrittspflichtig sein würden; als Typus für
die Innung wurden in beiden Fällen die reine Berufs- oder Fach-
innung angesehen.
Als die geeignetsten Innungsbezirke können unzweifelhaft die
Zählbezirke gelten. Da 98 Handwerke und Spezialitäten und 156 Zähl-
bezirke vorhanden waren, so lag überhaupt die Möglichkeit einer
Innungsbildung 98 mal 156 = 15283 mal vor. Selbst wenn man
5 Meister mit Personal in jedem Zählbezirk als ausreichend ansalı,
konnten aber nur 1391 Innungen in 62 Handwerken oder Speziali-
täten wirklich gebildet werden; für die 36 Handwerke oder Speziali-
täten war die Möglichkeit einer Innungsbildung selbst in diesem
allergünstigsten Falle gänzlich ausgeschlossen. Die gesamten Innungen
würden 81,6 Proz. aller personalbeschäftigten Meister (aber nur
36,3 aller Meister überhaupt) umfassen, die 81,2 Proz. aller Gesellen
und 81 Proz. aller Lehrlinge beschäftigten. Bei einer Mindest-
mitgliederzahl von 10 Meistern mit Personal sinkt die Zahl der
wirklich möglichen Innungen schon auf 751, wobei 55 Handwerke
oder Spezialitäten gänzlich ausgeschlossen bleiben. Von diesen
Innungen wurden erfaßt: 66,2 Proz. der Meister mit Personal,
29,5 Proz, der Meister überhaupt, 65,1 Proz. der Gesellen und
65,1 Proz. der Lehrlinge. Bezieht man alle Meister überhaupt in
die Innung ein, so wären bei einer Mindestmitgliederzahl von
10 Meistern — und das wäre doch in diesem Falle die tiefste Grenze,
zu der man überhaupt herabsteigen könnte — 81,4 Proz der Meister,
76,3 der Gesellen und 75,8 Proz. der Lehrlinge in 1452 Innungen.
die sich auf 52 Handwerke verteilen, zu organisieren; für 46 Ge
me wäre in keinem einzigen der 156 Zählbezirke eine Innung zu
ilden.
Bei einer Mindestmitgliederzahl von 20 Meistern mit Personal,
einer im Grunde doch auch noch recht geringen Zahl, die eine große
Leistungsfähigkeit der Innung wahrhaftig nicht garantiert, lassen sich
gar nur 295 Innungen bilden; sie umfassen: 43,6 Proz. der Meister
mit Personal, 19,4 Proz. der Meister überhaupt, 41,7 Proz. der Ge
sellen und 40,8 Proz. der Lehrlinge. Hierbei würden 70 Handwerke
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 613
und Spezialitäten ohne jede Organisation bleiben. Genügen 20 Meister
überhaupt zur Bildung einer Innung, so erhalten wir 742 Innungen
in 43 Gewerben, so daß 55 Gewerbe noch gänzlich unorganisiert
eiben.
Einigermaßen vollständig läßt sich die lokale reine Fachorgani-
sation nur bei den größten Handwerken, den Bäckern, Schlächtern,
Schuhmachern, Tischlern, Schneidern und Schmieden durchführen,
die aber auch hier, je höher man die Mindestmitgliederzahl setzt,
immer unvollständiger wird und namentlich in den ländlichen Be-
zirken immer seltener möglich ist.
Nimmt man den Kreis als Innungsbezirk, so waren organisations-
fähig bei einer Mindestmitgliederzahl von 10 Meistern mit Personal:
33,9 Proz. aller Meister, 87,1 Proz. aller Gesellen, 85,9 Proz. aller
Lehrlinge; bei einer Mindestmitgliederzahl von 10 Meistern über-
haupt: 93,9 Proz. aller Meister, 92,3 Proz. aller Gesellen und 91,1 Proz.
aller Lehrlinge.
Dehnt man endlich den Innungsbezirk sogar auf den Regierungs-
bezirk aus, so ließen sich, wenn alle Meister überhaupt beitritts-
pflichtig wären, bei einer Mindestmitgliederzahl von 10 Meistern
begreitlicherweise fast alle Handwerker organisieren, nämlich im Regie-
rungsbezirk Danzig 98,6 Proz., in Aachen 94,4 Proz.; verlangt man
aber 100 Mitglieder für die Regierungsbezirksinnung, so wären in
Aachen 93,8 Proz., in Danzig 87,0 Proz. aller Meister in Innungen
zu vereinigen. Beschränkt man jedoch die Beitrittspflicht auf die
Meister mit Personal, so ließen sich von ihnen zwar bei einer Mit-
gliederzahl von mindestens 10 in Danzig 97 Proz., in Aachen 98 Proz.
erfassen, bei denen 96 Proz. resp. 97 Proz. aller Hilfspersonen be-
schäftigt sind; von den Meistern überhaupt wären mit ihnen nur
41,9 Proz. in Danzig, 40,1 Proz. in Aachen erfaßt.
Diese Daten sind in verschiedener Hinsicht lehrreich. Sie zeigen
zunächst, daß die rein lokale Organisation des Handwerks in Fach-
innungen sehr enge Grenzen hat und sich stets nur für einen Teil
der Gewerbe und auch hier nur sehr lückenhaft durchführen lassen
wird. Will man trotzdem möglichst das ganze Handwerk organi-
sieren, so muß man entweder zum System der gemischten Innungen
oder zur Bildung größerer Innungsbezirke greifen. Das erste System
ist in Oesterreich angewandt worden, wo wir augenscheinlich eine noch
größere Dezentralisierung des Handwerks als in Deutschland finden.
Von den österreichischen Genossenschaften waren nämlich Ende
1894
Zahl mit mit mit
Meistern | Gesellen |Lehrlingen
1 [Reine Fachgenossenschaften 552 53 959 72 086 22 374
2 [Genossenschaften mit verwandten Gewerben! 440 61784 | 137 134 32 669
3 ]Genossenschaften für mehrere nicht ver-
wandte Gewerbe 2493 196 219 | 193 529 70621
4 [Kollektivgenoss enschaften | 1832 242 37 115 599 48 741
Im ganzen Genossenschaften 5317 | 554 335 | 518348 | 174405
614 ` (Thilo Hampke,
Es waren also nur 10,4 Proz. aller Genossenschaften reine Fach-
genossenschaften: die Kollektivgenossenschaften und die Genossen-
schaften für mehrere nicht verwandte Gewerbe zusammen machten
dagegen 81,3 Proz. der Gesamtzahl aus.
Unzweifelhaft hat das System der gemischten Innungen große
Nachteile, die besonders auf dem Gebiete der Lehrlingsausbildung
und der Lehrlingsprüfung liegen. Das zweite System, das die reine
Fachbildung überall nach Móglichkeit durchzuführen sucht und zu
dem Zweck ja noch der órtlichen Besetzung der verschiedenen Hand-
werke bald kleinere bald gróftere Innungsbezirke bildet, wie es in
der Konsequenz des Berlepschen Organisationsentwurfs lag, verdient
ihm gegenüber durchaus den Vorzug, es ist auch unzweifelhaft, daß
sich mit ihm eine ziemlich vollstindige Erfassung des ganzen Hand-
werks erreichen lassen würde.
Aus den obigen Angaben sieht man aber weiterhin, daß die
Mitgliederzahlen der auf Meister mit Personal beschrünkten Zwangs-
innungen selbst in der vollstindigsten Durchführung des Systems
nicht allzusehr über den heutigen Mitgliederstand der freiwilligen
Innungen hinausgehen würden. In Innungen und Gewerbevereinen
sind jetzt, wie oben erwühnt, etwa 35 Proz.!) aller deutschen Hand-
werker organisiert; mehr als etwa 40—42 Proz. aller Meister kónnten
bei Beschrünkung des Beitritts auf die Meister mit Personal auf keinen
Fall von den Zwangsinnungen erfafit werden, da ja überhaupt nur
44,5 Proz. aller Meister Gehilfen beschäftigen. Ein freiwilliger Beitritt
sehr zahlreicher Alleinmeister ist für die Zukunft ebensowenig zu
erwarten, als er jetzt eingetreten ist. Eintrittszwang für sie läßt
sich nur mit dem Wunsche rechtfertigen, eine möglichst stattliche
Mitgliederzahl zu erzielen; innere Rechtfertigungsgründe lassen sich
für diese Maßregeln nicht beibringen. Denn alle Aufgaben, die den
Innungen in den ss 81a und 81b der Gewerbeordnung gestellt sind,
haben nur für die Meister mit Personal irgendwelche "Bedeutung.
Selbst wenn aber ein beträchtlicher Teil der Alleinmeister —
nehmen wir an, 20 Proz. etwa von ihnen — freiwillig beitreten sollte,
so dürfte doch kaum mehr als die Hälfte aller Meister überhaupt zu
organisieren sein. Mit der jetzt geplanten freiwilligen Zwangsinnung.
die auf einen ziemlich eng begrenzten Bezirk beschränkt sei und
zwangsweise nur die Meister mit Personal umfassen soll, wird eine
nennenswerte Vermehrung der Innungsmeister überhaupt nicht ein-
treten. Man bedenke doch nur: bei Zählbezirksinnungen mit mindestens
5 Personen beschäftigenden Meistern lassen sich im Erhebungsgebiet
nur 36,3 Proz., bei solchen mit mindestens 10 Mitgliedern gar nur
29,5 Proz. aller Meister organisieren. 30—35 Proz. sind bereits orga-
nisiert; selbst wenn eine größere Zahl Alleinmeister den Innungen
beitreten, werden sie, da man doch an der Mindestzahl von 10 Mit-
gliedern wird festhalten müssen, wenn die Innungen nicht gar zu
erbärmlich ausfallen sollen, kaum mehr als 40 Proz. der gesamten
1) Voigt hat später zugegeben, daß diese Schätzung zu hoch war, daß vielmehr
nur cirea 30 Proz. in Innungen und Gewerbevereine organisiert waren.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 615
deutschen Meisterschaft umfassen. Jedenfalls sieht man, daß die
freiwilligen Innungen, was die Gewinnung von Mitgliedern anlangt,
soviel geleistet haben, als sie unter den obwaltenden schwierigen
Verhältnissen überhaupt leisten konnten.“
Diese Darlegungen Paul Voigts setzen das, was bisher mit der
Innungsorganisation erreicht worden ist, erst in das richtige Licht.
Jedenfalls können wir mit dem Erfolg des Handwerkerorganisations-
gesetzes bezüglich der Handwerkerorganisation sehr zufrieden sein,
denn zur Zeit sind 35,2 Proz. aller Handwerker in Innungen, und
42 Proz. in Innungen und Gewerbevereinen organisiert. Die vielfachen
Behauptungen, die man immer noch hören kann und die dahin gehen,
daß die Zwangsinnungen keinen Zweck gehabt hätten, daß sich viel-
mehr die meisten Innungen als zwecklos wieder auflösten, sind un-
wahr und durch obige statistische Untersuchungen vollständig widerlegt.
Im einzelnen ist über die Innungsentwickelung noch folgendes
bemerkenswert. Es kommen, wie schon hervorgehoben, im ganzen
Deutschen Reich auf eine Zwangsinnung 67 Mitglieder, auf eine freie
Innung dagegen 32 Mitglieder, im Durchschnitt überhaupt 42 In-
nungsmitglieder. Für Preußen stellen sich die Zahlen wie 62:31:39.
Die größte durchschnittliche Mitgliederzahl haben die Zwangs-
innungen in Hamburg mit 378 Mitglieder und dann folgen München
mit 228 und Leipzig mit 162 Mitgliedern; erst dann kommt Berlin
mit 148 Mitgliedern. Die kleinste Zwangsinnung findet sich im
Bezirk der Handwerkskammer Stadthagen mit 9 Mitgliedern, dann
folgt Insterburg mit durchschnittlich 20. Hamburg hat auch durch-
schnittlich die höchste Mitgliederzahl bei den freien Innungen mit
99 Mitgliedern, dann folgt die Handwerkskammer Köln mit 81 Mit-
gliedern. Im einzelnen sind die Verhältnisse aus der nachfolgenden
Tabelle zu ersehen (s. Tabelle XI S. 616 u. 617).
Das Verhältnis der Zwangsinnungen zu den freien Innungen
ist schließlich in der folgenden Tabelle XII zur Darstellung gebracht-
(s. Tabelle XII S. 618).
Es machen im Deutschen Reich die Zwangsinnungen 37 Proz.
aller Innungen aus, in Preußen dagegen 38 Proz., in Bayern 61 Proz.,
in Sachsen 39 Proz., in Württemberg 23 Proz., in Baden 44 Proz.,
und in den noch übrig bleibenden Bundesstaaten zusammengenommen
27 Proz. Ueberall da, wo bei der Reorganisation die Innungsbildung
überhaupt eine sehr geringe war, zeigen sich jetzt die Zwangsinnungen
verhältnismäßig am stärksten. Es haben sich daher vielfach bisher
noch nicht organisierte Handwerker zu Zwangsinnungen zusammen-
geschlossen.
In Preußen haben sich in der Handwerkskammer Coblenz die
meisten Zwangsinnungen gebildet, nämlich die Zwangsinnungen bilden
359 Proz. der freien Innungen, in Arnsberg 300 Proz., in Aachen
318 Proz. In der Handwerkskammer Posen und Bromberg machen
dagegen die Zwangsinnungen nur je 4 Proz. der freien Innungen
aus. Die Neigung, Zwangsinnungen zu bilden, ist also bisher eine
ungemein verschiedene gewesen.
616 Thilo Hampke,
Tabelle XI. Uebersicht über die vorhandenen Zwangs-
und freienInnungen und deren Mitglieder.
Zwangs- SE Sa l ie I = S 5 Zusammen m
Name der innungen S BS e ee en BS Innungen E ER
Handwerks- | — N së —— A QÓÓ — 789
kammer An | Mit LSZ An | Mit |Z 9E |, ul Mit |233
| zahl | glieder | 2 B | zahl | glieder Ex 27 | glieder |? 7
Königsberg ml 3915| 35 | 320| 7690| 24 ES 1160$| 27
Insterburg 28 560 20 184| 6000| 32 212| 6560| 3
Danzig 76| 3266 43 338| 9568| 27 414| 12834| 31
Berlin 151| 22369| 148 527| 19252, 36 678| 41621! 61
Frankfurt a/O. 201 9374 46 272 7156| 27 473 | 16530 | 35
Stettin 39 2 300 59 492 | 13500! 27 531| 15800 | 29
Stralsund 14 599 43 105 2 460 23 119 3059| 25
Posen 17 662 39 427 | 11333 26 444| 1195| 27
Bromberg 9| 500 55 227 2 000 9 236| 2500| 10
Breslau II4| 7000 61 407, 14000| 34 521| 21000| 40
Liegnitz 88| 5314 60 387 | 11686 30 475| 17000| 36
Oppeln 73| 4443| 61 | 356, 14520| 40 | 429| 18963) 44
Magdeburg 72| 5908 82 116| 4268| 37 188 | 10176 | 56
Halle a/S. 45 2847 63 442 8771 19 487| 11618 | 24
Erfurt 19 1270 66 112| 4114| 36 131 5384 | 41
Altona 80| 4684 58 127| 4003| 31 207 | 8687 | 42
Flensburg 49| 2696| 55 74| 2549| 34 123| 5245| 43
Hannover 45 | 3700 82 61| 3300| 54 106 | 7000| 66
Hildesheim 85 | 4438 52 84 2495| 28 169| 6933| 41
Harburg 79| 3477| 44 149 4310| 29 228| 7787| 3
Osnabrück 70| 3975 57 76! 3298| 43 146| 7273| 49
Münster 33| 1495| 45 40 2596| 65 73| 4091| 56
Bielefeld 59| 3133 53 28| 1236| 44 87| 4369| 50
Arnsberg 81 3 193 39 27 1428 53 108| 4621| 4
Dortmund 105 | 5500 52 A0 2600 53 154| 8100| 53
Cassel 60| 2400 40 SI 1283| 25 III 3683| 3
Wiesbaden 23| 2500| 109 ı8| 1250| 69 41 3750| 9!
Koblenz 61| 3072 50 17 428| 25 78| 3500; 45
Düsseldorf 175 | 11562 66 So 5339| 59 264| 16901| 64
Cóln 24| 2748| 115 27| 2179| BI sı) 4927| %
Aachen I9| 1375 72 6| 390| 65 25| 1765| 7!
Saarbrücken 48| 4000 88 24| 1400| 58 72| 5400| 75
Sigmaringen — — — — — — — | Bee
Preußen | 2153 134 275 62 |5659 |176402| 31 7812 |310677| 39
München 21| 4795| 228 31 1934| 62 52| 6729 135
Passau 17 900| 53 6 ZTS ‚82 23 1215 53
Kaiserslautern 16 920 56 31 1900| 61 47 2820
Regensburg 9 482 53 6 305 St 15 787 Ai
Bayreuth 4 252| 83 25 839| 33 29| rog: 3
Nürnberg 14 | 2057| 147 19| 1296| 68 33| 3353, 1
Würzburg 12| 1066| 88 26| 1163| 45 38| 2229| 58
Augsburg 16 703 | 44 34| 1483| 44 5o| 2186| A
Bayern | 109 | musl 102 | 178| 9235| 52 | 287| 20410 mn
Dresden 113 8 136 72 282| 11280| 40 | 395| 19416] 49
Plauen 60| 3729 62 203| 6114| 30 263| 9843 38
Chemnitz 126| 7367| 58 | 303| 14424| 47 429| 21791| 5!
Leipzig 32| 5192| ı62 23| 1498| 6 55| 6690| 121
Zittau 33| 1759| 53 | 100| 2879| 29 133, 4638| 35
Sachsen ` | 364j 26183| 72 | gır| 36195| 40 |1275| 62378) 49
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 617
9 747| 83 24| 1024| 43 33| 1771| 54
7| 6433, 378 9 889, 99 26| 7322| 281
= = = 37| 1800| 48 37! 1800| 49
Hamburg
Straßburg
A E ZS t6
Zwangs- & ES e ^88 Zus 5.5
Name der innungen ER F freie Innungen 3 HE ee : S E
Handwerks- S EI EE dë Bé
kammer An- | Mit- |Y Eka An- | Mit |Z sz Zan]| Mit SE
"t | zah | glieder | 87 | zahl | glieder | Z 57 | ah glieder | F a
Stuttgart 2 188 | 94 22 995! 45 24| 1183| 49
Ulm 6 509 85 26 800| 31 32 1 309 41
Heilbronn 7 516| 73 6 187 | 3! 13 703| 54
Reutlingen — — — II 289 26 II 289 26
Württemberg | 15| 1213] 8ı 65 2271 35 | 80| 3484 ! 43
Karlsruhe | 6| Asil 75 | «ol 494 49 16 945 57
Mannheim I 56| 56 13 639 49 I4 695 49
Freiburg II 756 69 II 404 37 22 I 160 53
Konstanz — — — 4 77 19 4 77 19
Baden | 18 | 1 263 70 38 1614 40 56 2877 51
Darmstadt 16 I I95 75 40 1697 45 56 2 892 52
Schwerin 6 237 39 503 9 326 18 509 9 563 19
Weimar 21 540 26 75 1550| 21 96 2090| 22
Oldenburg 6 485 81 56| 3300 59 62| 3785 61
Braunschweig 74 8000! 108 65 4000| 61 139 | 12000 86
Meiningen 14 724 5I 41 788 19 55 1512 25
Gera 42 1931 46 48 1680| 35 90, 3611 40
Gotha 2 72 36 60 1949 32 62 2021 32
Dessau 37| 1500 41 96| 2600| 28 133| 4100| 31
Arnstadt 9 346 38 35 675 I9 44 I 021 23
Greiz 9 573 61 II 319 29 20 892 44
Stadthagen I 9 9 9 396 44 10 405 41
Detmold 18 927 5I 30 773| 26 48 1700| 35
Lübeck I5 715 47 5 257 SI 20 972 48
Bremen
296| 24434] 82 |1144| 33023] 29 |1440| 57457] 39
Preußen 2153 | 134 275 62 |5659|176402| 31 7812 | 310 677 39
Bayern 109| III75| 102 178 | 9235 52 287 | 20410 71
Sachsen 364 | 26183 72 911! 36195 40 1275, 62378 49
Württemberg 15 1213| 81 65| 2271 35 80, 3484| 43
Baden 18 1263, 70 38! 1614| 40 56! 2877| 51
Uebrigen 296| 24434 82 |1144| 33023] 29 |1440 57457| 39
Deutsches Reich | 2955 | 198 543 | 67 |7995 |258 7490| 32 |10o950 457283, 42
Es ist auch möglich, über Innungskrankenkassen und Innungs-
schiedsgerichte statistische Angaben zu machen !).
Einige Bedeutung haben die Innungskrankenkassen erlangt,
deren es im Deutschen Reich 1885 nur 224 mit 24879 Mitgliedern
gab, die seitdem aber ununterbrochen und erheblich zugenommen
haben. 1890 existierten 452 Innungskrankenkassen mit 62898 Mit-
gliedern und 1895 545 Innungskrankenkassen mit 102 857 Mitgliedern.
Bis 1899 hat sich die Zahl der Kassen auf 612 und die Anzahl der
1) Paul Voigt, Die deutschen Innungen. Schmollers Jahrbuch, Bd. 22, 1898,
S. 349.
618
Tabelle XII.
und freien Innungen.
Thilo Hampke,
Uebersicht über die vorhandenen Zwangs- |
davon
Verhältnis der
Bi dávon |Verhültnis der, E
Name der E E S SE Zwangs — | Name der b S g| al. al, ge
DEER zu [ona Diii bi te.
3 <25553!35 = 2558 ien
mer Je EE = E g Z| Innungen kammer SE È = S | Innungen '
> 2 | NE Proz. ` ; zi NA _ Proz.
Königsberg 431 | 320| III 35 Dresden 395 | 282 Zu 40
Insterburg 212 | 184| 28 15 Plauen 263 | 203| 60 29
Danzig a1 338. 76! n | Chownité 429 | 303| 126, A
erlin 7 527| 151] 2 eipzig 55| 231 32 139
pan a.0.| 473 | 272| 201| 74 | Zittau | 133| 100 33 3
tettin 531 | 492 39! am \
Stralsund 119 | 105 14, 13 Hüchsen | 1275 gui] 364 39
Posen 444 427, 17| 4 | Stuttgart 24| 22 2| 9
Bromberg 236 | 227, 9j 4 Ulm 32| 26| 6 23
Breslau 521 407) 114] 28 Heilbronn 13 6| 7 118
Liegnitz 475 387 88, 23 Reutlingen II| 11] — —
Oppeln 429 , 356 73 20 E E Gi |
Magdeburg 188 116; 72 62 W ürttemberg | 8o | 65| IN 23
Halle a. S. 487 442. 45| 10 Karlsruhe 16| 10] 6 60
Erfurt 131 | 112) 19] 17 Mannheim 14| 13| ı 8
Altona 207 | 127! 80 63 Freiburg 22| n| 11 100
Flensburg 123 74: 49 66 Konstanz 4 4| — —
Hannover 10661 45 73
Hildesheim 169 | 84 85| IOI Baden | 56 38| 18 H |
Harburg 228 149 79 53 Darmstadt 56, 40| 16] 40
Osnabrück 146 | 76, 70| 91 | Schwerin 509! 503), 6 I
Münster 73 | 40| 33| 82 Weimar 96| 75| 21| 28
Bielefeld 87 | 28 59 211 Oldenburg 62| 56| 6 n
EEE 108 | 27 81 300 areas 139| 65! 74 114
ortmun 154 | 49 105| 214 einingen $5| 41; 14 34
Cassel III 51, 60! 117 Gera 90| 48, 42 H
Wiesbaden 41 i 18| 23| 128 Gotha 62| 60, 2 3
Coblenz 78 17| 61 359 Dessau 133| 96! 37 3
NR e si I 7 Ce 12 7 SIN 44| 35 9 FA
n 7 4 rei? 20| II 9
Aachen 25 6, r9 318 Stadthagen 10 9 I 9
Saarbrücken 72 24 48 200 ||| Detmold 48| 30| 18 6o
Sigmaringen = tm — = Lübeck 20 5| 15! 300
ol || Bremen 2 37
78 | 33 9
. 7812 50659 2153| 3» Hamburg 26 9 17 188
un 52 A 2I Ra | Straßburg 371-371: = ffe
assau 23 I7 253 j H
Kaiserslautern] 47 | 31 16! 52 | TAASI 296 a
Regensburg 15 6 oa 150 ||| Preußen 7812|5659]2153| 38
Bayreuth 29 | 25 4 16 || Bayern 287 | 178| 109 61
Nürnberg 33 19 14 73 Sachsen 1275| 911| 364 3
Würzburg 38 26 12 46 ||| Württemberg 80| 65| 15 23
Augsburg 50 | 34 16 47 ||| Baden 56| 38| 18 A
Zal 3 l
Dayern m | 287 | 178 8 109, 61 Uebrigen 1440 1144 ion com
| [10950 |7995|2955) —
versicherten Mitglieder auf 144131 gehoben. Die Kassen haben also
nach der Reorganisation einen erheblichen Aufschwung gewonnen.
Eine wie untergeordnete Rolle sie jedoch im übrigen "trotz dieser
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 619
Zunahme im ganzen System unserer Krankenkassen noch spielen,
zeigen folgende Zahlen: 1899 zählten die 4623 Ortskrankenkassen
4030949 Versicherte, die 7344 Betriebskrankenkassen 2394 615 Ver-
sicherte und die 1447 eingeschriebenen Hilfskassen 814 938 Versicherte.
Die Innungskrankenkassen haben also stetig Fortschritte gemacht,
wenngleich sie von allen Kassenarten immer noch die unbedeutend-
sten sind.
Bei den Innungsschiedsgerichten ist nicht das Gleiche der Fall.
Nach einer Statistik im „Gewerbegericht“ waren 1895 in Preußen
474 Innungsschiedsgerichte vorhanden, von denen 165 allein auf den
Regierungsbezirk Marienwerder, 54 auf Schleswig, 48 auf Magdeburg,
46 auf Oppeln, 35 auf Frankfurt a. O., 24 auf Breslau und 20 auf
Potsdam entfielen, während sie sich in den westlichen Provinzen
nur ganz vereinzelt fanden. Im Königreich Sachsen bestanden 73,
in Braunschweig 30, in Bayern 15, in Reuß ält. Linie 7, in Anhalt 5,
in Sachsen-Weimar 4, in Hessen 3, in Sachsen-Altenburg und Lippe
je 1, in den übrigen Staaten keines; die Zahlen für Baden sind unbe-
kannt, und wahrscheinlich ist keines vorhanden.
Nach der Zeitschrift „Das Gewerbegericht“ waren am 31. Dezember
1900 nur noch 394 Innungsschiegsgerichte vorhanden neben 316 im
Deutschen Reich bestehenden Gewerbegerichten. Eine Vergleichung
gibt folgendes Bild.
Zahl der Gewerbegerichte und Innungsschieds-
gerichte.
Uebersicht nach Staaten und Landesteilen.
: ——
èg |» 4 © | SS SAS
E & 223 452
Staat oder Landesteil | 83 1333 | Staat oder Landesteil | 52 1323
SE JEZE FIE
[42] to |S m [45] u |S X to
— = = = — — — 1 —
Provinz Ostpreußen 6 1 dg Uebertrag 281 353
» Westpreußen 10 4 Mecklenburg-Schwerin I 2
» Brandenburg 21 36 Sachsen-Weimar 5 4
» Pommern 5 54 || Mecklenburg-Strelitz = =
3 Posen d 7 x Oldenburg I FE
» Schlesien 32 85 ||| Braunschweig 6 22
5 Sachsen 2 13 51 Sachsen-Meiningen 2 —
S Schleswig-Holstein 12 15 | » -Altenburg = I
» Hannover 18 16 | » -Coburg-Gotha 4 I
: Westfalen 17 13 [| Anhalt 2 3
" Hessen-Nassau 13 4 || Schwarzburg-Rudolstadt I I
Rheinprovinz 33 22 | sp -Sondershausen — =
Hohenzollernsche Lande | => = Waldeck = =
Preußen | 187 | 3or | ReuB à. E ; "
— ce [RPM M » "WO LP I
Bayern rechts des Rheins 18 8 | C xa Lippe t. €
», links des Rheins 10 |: 4 H Spt
+ | Lippe I =
Bayern | 28 | 12 || Lübeck 1 =
5 \ 57 || Bremen 2 P
Wette is 35 | Hamburg : =
| ol E d —
Baden i5 ` || Reiehsland Elsaß Lothringen S
Hessen EN 5 |] Deutsches Reich | 316 394
620 Thilo Hampke,
Es ist anzunehmen, daß die Innungsschiedsgerichte auf Grund
der veränderten und verbesserten Gesetzgebung nach der Novelle
vom 26. Juli 1896 besser arbeiten werden, als dies früher der Fall
war. Voraussichtlich werden aber die Innungsschiedsgerichte neben
den Gewerbegerichten, namentlich auf Grund der neuen Gewerbe-
gerichtsnovelle, mehr und mehr in ihrer Bedeutung zurückgehen.
Jedenfalls haben die neuen Bestimmungen des Handwerksorgani-
sationsgesetzes nicht vermocht, den Rückgang in der Zahl der In-
nungsschiedsgerichte aufzuhalten. Es ist wohl nur ein einziges In-
nungsschiedsgericht von größerer Bedeutung vorhanden und das ist
das des Innungsausschusses zu Berlin.
Innungsausschüsse.
Um der Organisation des Handwerks in Innungen noch einen
weiteren Halt zu geben und die einzelnen Innungen eines kleinen
Bezirkes in ständiger Fühlung zu erhalten, hat .die Reichsgewerbe-
ordnung in den së 101 und 102 die Errichtung von Innungsaus-
schüssen vorgesehen. Die gesetzlichen Bestimmungen darüber lauten:
$ 101. Für alle oder mehrere derselben Aufsichtsbehörde unterstehende In-
nungen kann ein gemeinsamer IunungsausschuB gebildet werden. Diesem liegt
die Vertretung der gemeinsamen Interessen der beteiligten Innungen ob. Außer-
dem können ihm Rechte und Pflichten der beteiligten Innungen übertragen werden.
Die Errichtung des Innungsausschusses erfolgt durch ein Statut, welches
von den Innungsversammlungen der beteiligten Innungen zu beschließen ist. Das
Statut bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde In dem die
Genehmigung versagenden Bescheide sind die Gründe anzugeben. Gegen die
Versagung kann binnen 4 Wochen Beschwerde an die Landeszentralbehörde ein-
gelegt werden. Abänderungen des Statuts unterliegen den gleichen Vorschriften.
Durch die Landeszentralbehörde kann dem Innungsausschusse die Fähigkeit
beigelegt werden, unter seinem Namen Rechte zu erwerben, Verbindlichkeiten ein-
zugehen, vor Gericht zu klagen und verklagt zu werden. In solchem Falle haftet
den Gläubigern für alle Verbindlichkeiten des Innungsausschusses nur das Ver-
mögen desselben.
Auf die Beaufsichtigung der Innungsausschüsse finden die Bestimmungen des
$ 96 entsprechende Anwendung.
$ 102. Die Schließung eines Innungsausschusses kann erfolgen, wenn der
Ausschuß seinen statutarischen Verpflichtungen nicht nachkommt oder wenn er
Beschlüsse faßt, welche über seine statutarischen Rechte hinausgehen.
Die Schließung wird durch die höhere Verwaltungsbehörde ausgesprochen.
Gegen die die Schließung aussprechende Verfügung findet der Rekurs statt.
Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die entsprechenden Bestimmungen
des $ 97 Abs. 3.
Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen eines Innungs-
ausschusses hat die Schließung kraft Gesetzes zu Folge.
Vom Zeitpunkte der Auflösung oder Schließung eines Innungsausschusses
ab bleiben die beteiligten Innungen noch für diejenigen Zahlungen verhaftet, zu
welchen sie statutarisch für den Fall eigenen Ausscheidens aus dem Innungsaus-
schusse verpflichtet sind.
Auf die Verwendung des Vermógens finden die Vorschriften des $ 98 Abs. 1
und des $ 98a entsprechende Anwendung.
Soweit das Statut nicht ein anderes bestimmt, ist der Austritt aus dem In-
nungsausschusse jeder Innung mit Ablauf des Rechnungsjahres gestattet, sofern
die Anzeige des Austritts mindestens 3 Monate vorher erfolgt.
Die einzige wesentliche Aenderung in den gesetzlichen Bestim-
mungen, die durch das Handwerkerorganisationsgesetz von 1597
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 621
geschaffen ist, ist die, daß jetzt den Innungsausschüssen auf ihren
Antrag durch die Landeszentralbehörde die Fähigkeit beigelegt werden
kann, unter ihren Namen Rechte zu erwerben, Verbindlichkeiten ein-
zugehen, vor Gericht zu klagen und verklagt zu werden.
Die Innungsausschüsse hatten nach dem Innungsgesetz vom
18. Juli 1881 keine nennenswerte Entwickelung genommen, voraus-
sichtlich werden auch die neuen gesetzlichen Bestimmungen vom
26. Juli 1897 keinen Aufschwung in der Bedeutung der Innungsaus-
schüsse herbeiführen. Bisher hat, soweit bekannt, nur der Innungs-
ausschuß zu Berlin sich die Rechtsfähigkeit durch Erlaß des Ministers
für Handel und Gewerbe vom 17. Oktober 1900 verleihen lassen.
Es ist im Gegenteil anzunehmen, daß die Innungsausschüsse durch
die Handwerkskammern an Bedeutung verlieren werden, namentlich
wird der Innungsausschuß in allen den Orten, in denen sich der
Sitz einer Handwerkskammer befindet, nur eine sehr beschränkte
Wirksamkeit auszuüben vermögen, wenn er nicht ganz überflüssig
geworden ist. In Preußen bestanden am 1. Dezember 1857 über-
haupt 63 Innungsausschüsse und 3 Jahre später am 1. Dezember
1890 war ihre Zahl auf 133 gestiegen !). Bis zum 1. Dezember 1892
hatte eine weitere Vermehrung auf 156 Innungsausschüsse statt-
gefunden, 1894 finden wir sogar 210, die jedoch bis zum 1. Dezember
1896 auf 139 zusammengeschmolzen waren und den Stand von 1890
beinahe erreicht hatten. 1893 betrug die Gesamtzahl der außer-
preußischen Innungsausschüsse nur 23. Die meisten Innungsaus-
schüsse (7) hat das Königreich Sachsen; Bayern, Anhalt und Braun-
schweig hatten je 3, Coburg-Gotha hatte 2, 5 andere Staaten hatten
je einen, während in 15 Staaten überhaupt keine Innungsausschüsse
vorhanden war.
Es gab also nach dem Stande vom 1. Dezember 1896 in Deutsch-
land 162 Innungsausschüsse, d. h. 139 in Preußen und 23 in den
anderen Bundesstaaten.
Im Jahre 1902 hat nun das preußische Handelsministerium durch
die Handwerkskammern eine Enquete auch über die Innungsaus-
schüsse aufnehmen lassen, deren Resultate mir durch den Geheimen
Reg.-Rat Dr. von Seefeld gütigst zur Verfügung gestellt worden sind
und deren Ergebnis die folgende Tabelle No. XIII S. 622 darstellt.
Es sind demnach jetzt 173 Innungsausschüsse vorhanden, d.h.
die Zahl hat sich in ganz Deutschland nach der Reorganisation um
11 gehoben, und zwar ist diese Steigerung in der Hauptsache auf
Sachsen zurückzuführen. In Preußen hat die Zahl der Innungs-
ausschüsse sich nur um einen vermehrt. In allen anderen Bundes-
staaten gibt es 33 gegen 23 im Jahre 1896. Sachsen hat von diesen
Staaten die meisten Innungsausschüsse, nämlich 13, Anhalt und
Braunschweig haben je 3, Bayern, Coburg-Gotha und Elsaß-Loth-
1) Thilo Hampke, Die Innungsentwickelung in Preußen, eine statistische Studie.
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, Jahrgang 18,
1894, S. 209 f.
622 Thilo Hampke,
Tabelle XIII. Uebersicht über die Zahl der Innungsausschüsse,
welche in den Bezirken der einzelnen Handwerkskammern
bestehen.
&
5 Ss i
zZ Sitz der ISS Sitz der
| Bundesstaat | Handwerks- |Y 5 un Bundesstaat | Handwerks- end
= kammer ž |$ E 8 kammer
m 9
=
iN
|
TI einschl. Königr. Bayern |Mittelfranken
Königr. Preußen 140 Waldeck u.
1 E T Königsberg 3| Pyrmont
2 5 Insterburg 1!
3 en » Danzig 3
4 S > Berlin 5
Bh. ss » |Frankfurta/O.| 12|
6 , „ [Stettin 4
7 T » Stralsund 1|
8| „ » Posen —|
9 » E Bromberg H
1 e n Breslau o
11 ek » |Liegnitz ET e 5 Heilbronn
12 o M Oppeln H vi » Reutlingen
13 2 » Magdeburg 4| Großh. Baden
14 T 5 Halle 6 » = Mannheim
ti 5 5 Erfurt 3 2 » |Karlsruhe
16] 4 5 Altona 17| D » Freiburg
17 $5 ep Flensburg H n » Konstanz
18 5 ZS Hannover I Hessen Darmstadt
19] ,, » Hildesheim 5| Mecklb.-Schwerin R
20 " » |Harburg 4 " Strelitz | Schwerin
21 P "i [Osnabrück 6 Sachsen-Weimar |Weimar
22 ; » |Münster 4 | [Oldenburg Oldenburg
23 ; ër Bielefeld | »2 | [Braunschweig Braunschweig
94| „ „ ‚Arnsberg 3 || |Sachs.-Meiningen Meiningen
25 Se S Dortmund 10 | [Sachs.-Altenburg Gera
26| „ » Cassel 2 u. ReuB j. L. |
27 is » |Wiesbaden 2 Sachs.-Cob.-Gotha Gotha
28 i » [Coblenz I Anhalt Dessau
29 n 5 Düsseldorf I2 Schw.-Sondersh.
3) . ` ` ais 2 , Rudolstadt Arnstadt
31 3 + Aachen — Reuß ält. Linie Greiz
32 is ji Saarbrücken 2 | Schaumb.-Lippe |Stadthagen
33 T „(Sigmaringen | Lippe Detmold
Königr. Bayern | 2 | Lübeck ‚Lübeck
1 A » lOberbayem -— | Bremen Bremen
2 e 2 Niederbayern | — | [Hamburg Hamburg
3 - 3 Pfalz — |
4 FR » Oberpfalz — |
5 T » Oberfranken -— |
ringen haben je 2 und Baden, Sachsen-Weimar, Oldenburg, Sachsen-
Meiningen, Sachsen-Altenburg, Reuß ält. Linie, Bremen und Hamburg
haben je einen. In 12 Bundesstaaten ist also auch zur Zeit kein
Innungsausschuß vorhanden.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 623
Der Erfolg der Tätigkeit der Innungsausschüsse wird immer davon
abhängen, ob in den einzelnen Innungen Männer sind, die den Nutzen
eines Innungsausschusses begreifen und seiner Tätigkeit die richtigen
Grenzen stecken, sowie Fähigkeiten und Zeit genug haben, um als
Mitglieder des Ausschusses die schwierige Aufgabe zum Wohle der
Gesamtheit lösen zu können. Da solche Männer im Handwerk ver-
hältnismäßig wenig vorhanden sind, und wenn sie vorhanden sind,
dann ihre Tätigkeit in der Hauptsache der Handwerkskammer widmen
werden, so ist ein Aufschwung in der Tätigkeit der Innungsausschüsse
nicht zu erwarten.
Innungsverbände.
Um der Handwerkerorganisation eine weitere Stärkung zu geben,
hat die Reichsgewerbeordnung auch noch in $ 104 die Errichtung von
Innungsverbänden vorgesehen. Diese Verbände umfassen in der
Regel das Deutsche Reich.
Nach $ 104 können Innungen, welche nicht derselben Aufsichts-
behörde unterstehen, in Verbänden zusammentreten. Der Beitritt
zum Verband ist durch die Innungsversammlung zu beschließen.
Die Innungsverbände haben die Aufgabe, zur Wahrnehmung der
Interessen der in ihnen vertretenen Gewerbe, die Innungen, Innungs-
ausschüsse und Handwerkskammern in der Verfolgung ihrer gesetz-
lichen Aufgaben, sowie die Behörden durch Vorschläge und An-
regungen zu unterstützen, sie sind befugt, den Arbeitsnachweis zu
regeln, sowie Fachschulen zu errichten und zu unterstützen.
Für den Innungsverband ist ein Statut zu errichten. Die vorteil-
hafte Seite dieser Vereinigung zeigt sich darin, daß auf diese Weise
für gewerbliche Zwecke reichlichere Mittel zur Verfügung stehen
und eine größere Operationsbasis geschaffen wird. Manche Einrich-
tungen, die die Innung nur unvollkommen schaffen kann, vermag der
Innungsverband in geeigneter Weise herzustellen, wie Kranken- und
Sterbekassen.
Die früheren Aufgaben der Innungsverbände, welche in der
gemeinsamen Verfolgung ihrer Aufgaben sowie in der Pflege der
gemeinsamen gewerblichen Interessen der beteiligten Innungen be-
standen haben, konnten durch die Novelle von 1897 nur insoweit
aufrecht erhalten werden, als sie fortan nicht den Handwerkskammern
und den Innungen zugewiesen sind. Es gilt dies namentlich von
den Vorschriften zur Regelung des Lehrlingswesens, zu deren Erlaß
nunmehr die Handwerkskammern bezw. die Gewerbekammern für
den gesamten Handwerkerstand des Bezirks sowie außerdem die
Innungen berufen sind. Es müssen die Innungsverbände, soweit es
sich um Aufgaben handelt, die den Handwerkskammern überwiesen
werden, auf eine anregende, beratende und begutachtende Tätigkeit
sich beschränken. Die Aufgaben der Innungsverbände sind daher
durch die Handwerkskammer erheblich beschränkt. Trotzdem haben
die Innungsverbände weiter eine erfreuliche Entwickelung genommen.
Die Verbände leisten auch heute noch Erhebliches für ihre Gewerbe
624 Thilo Hampke,
durch Unterhaltung von Fachschulen, von Kranken- und Sterbekassen,
durch Regelung des Legitimationswesens und Herausgabe von Fach-
zeitungen etc. Namentlich werden auch von manchen Verbänden mit
den Verbandstagen Ausstellungen von Lehrlingsarbeiten verbunden,
um so eine Hebung der Lehrlingsausbildung zu befördern, oder es
finden Ausstellungen von neuen Maschinen und Techniken in den
betreffenden Gewerben statt, um so Fortschritten unter den Hand-
werkern Eingang zu verschaffen und auf diese Weise eine Hebung
des ganzen Gewerbes herbeizuführen.
Leider ist auch über die Innungsverbände wenig statistisches
Material vorhanden.
Am 1. Dezember 1890 bestanden 27 Innungsverbünde!) Von
diesen 19 mit dem Sitz in Berlin, ferner 2 mit dem Sitz in der
Provinz Schleswig-Holstein und dann je eine mit dem Sitz in den
Regierungsbezirken Marienwerder, Potsdam, Oppeln, Magdeburg,
Stade und Düsseldorf.
Am Ende des Jahres 1890 haben folgende Innungsverbände den
Sitz in Berlin gehabt. (S. Tabelle XIV.)
Tabelle XIV. Uebersicht über die Innungsverbände
mit dem Sitz in Berlin 1890.
Zahl der beteiligten
Lfd
No. Innungsverbünde Innungs- | Einzel- | Verbands-
Innungen mitglieder| mitglieder| genossen
1 [Schneider 276 12 082 — 12 082
2 [Schuhmacher 302 20 115 = 20 115
3|Sattler, Riemer, Täschner 59 1439 = I 439
4 |Schmiede 141 5144 7 5151
5 [Glaser 64 1494 20 1514
6 [Schornsteinfeger 55 1773 = 1773
7 |Barbiere, Friseure u. Perückenmacher 291 8 655 = 8655
Perückenmacher 762
8 [Friseure 32 600 162 138
9 [Tischler 124 6 138 — 6 002
10 |Bücker 886 21 865 137 22 002
11|Dach-, Schiefer-, Blei- u. Ziegeldecker 14 244 14 258
12 [Kürschner 14 219 17 236
13 |Stellmacher und Wagner 61 2 327 17 2 344
14 [Buchbinder 35 1 288 70 1 358
15 |Baugewerksmeister 244 5 226 — 5 226
16 [Drechsler 24 967 9 976
17 |Korbmacher 24 711 31 742
18 |Schlosser 92 3 132 4 3136
19 |Steinsetzer 20 289 — 289
Summa 2758 93 708 488 94 196
; 1) Dr. Thilo Hampke, Die Innungsentwickelung in Preußen. Eine statistische
Studie, in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft,
XVIII. Jahrgang, Leipzig 1894, S. 210 f.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 625
Tabelle XV. Uebersicht über die bestehenden
Innungsverbände.
Zahl der Beteiligten)
x am 1. Januar 1902| 3 5
n e eege En N "x
e Name des Innungsverbandes nn S SE E $ [ E i Bemerkungen
= 8 5 = Dal H =
g S [SH CO m
&| 54 [sil
ilZentralverband deutscher Bäcker-
innungen „Germania“ Deutsches Reich 988 42031| 68| 42099 Sitz Berlin
9|Bund deutscher Barbier-, Friseur-
und Perückenmacherinnungen ge 8i 355 15972) — 15 972 S T
3[Innungeverband deutscher Bauge- |
werksmeister r " 310 9421| 17 9 438 En á
4|Bund deutsch. Buchbinderinnungen z a 35 2000| 92 2092 im FA
5[Verband deutscher Bürstenmacher- :
innungen » » 5 191| 11 202 i à
6|Bund deutsch. Dachdeckerinnungen n 5 14: 651) 53 704 » »
7lZentralverband deutsch. Drechsler- | war trotz mebr-
innungen und Fachgenossen 3; P 13 ? ? ? m Anfragen
8[Verband v. Glaserinnungen Deutsch- | nicht zu erhalten
lands à Ge 79 2931| 194 3 125 Sitz Berlin
9|Bund deutsch. Korbmacherinnungen! Pr D 23| 77 42 818 j FR
10[Bund deutscher Perückenmacher-
und Friseurinnungen 5 ; 14 470| 405 75 e n
11]Bund deutscher Sattler-, Riemer-
und Tüschnerinnungen n + 65 2 402 5 2 407 T ï
1?|Bund deutscher Schmiedeinnungen " » 170/eca. 10 OOO| 10|ca. IO 010 » e
13|Bund deutscher Schneiderinnungen " er 297 19648 24| 19672 "^ hi
14|Zentralverband d. Schornsteinfeger-
meister des Deutschen Reiches a A 62 2723 — 2723 d M
15|Bund dtsch. Schuhmacherinnungen » a 144| 14.350 I I4 351 5 "
16[Bund deutsch. Steinsetzerinnungen 2 5 20 425| — 425 » do
17lBund deutscher Stellmacher- und |
Wagnerinnungen : 5 32 1285| 16 I 301 Pr 71
13[Bund deutscher Tapezierer und ver- |
wandter Gewerbetreibender 5 D 46 4430 38 4 468 e js
19|Bund deutscher Tischlerinnungen m e 110 9 500, — 9 500! 3 "
20)Bund der Färber und verwandter |
Gewerbe Deutschlands " e 6 161| 60 221 Sitz Weißenfels
21[Verband deutscher Klempner- und
Installateurinnungen o m 80 3900 82 3982| „ Leipzig
22|Deutseher Malerbund 5 i 125 $ 256, 220 54761 „ d
93|Verband dtsch. Sehlosserinnungen 35 » 109 4800 10 4810| ,, À
»,Bund deutscher Büttcherinnungen + 9 9 165 3 168 , Magdeburg
3;jInnungsverband der Besorger frem- in Cöln nicht
der Rechtsangelegenheiten ag — { mebr zu — » Cóln a/Rh.
ermitteln
26|Deutscher Fleischerverband H » (1063| 35015| 223| 35238| „ Frankf. a/M.
27[Verband deutscher Juweliere, Gold-
und Silberschmiede - i; 28 964| 596 1560| , Berlin
Summa 4202 189 467 2170| 191 637
E Innungsverband d, Schneider beider k |
Mecklenburg [Beide Mecklenb.| 17 390) — 390! , Rostock
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX).
40
626
Thilo Hampke,
Zahl der Beteiligten]
: am 1. Januar 1902 3 S
2 Bezirk des s iss 3:3
i Name des Innungsverbandes NX erbandes d bi $i ke: Bemerkungen
2 8| 52 imo *
A| "7B [92 i
29|Innungsverband der Maler- und!
Lackiererinnungen beider Großh.|
Mecklenburg u. der freien Stadt Beide Mecklenb. :
Lübeck | und Lübeck 6 198| — 198|Sitz Rostock
30|Verband Mecklenburgischer Müller- Beide Mecklenb. :
innungen ‚u. d. benachbart.| 15 337 — 337 gs vd es
Gebietsteile deut- sitzende angehört
scher Staaten
31/Verband Mecklenburgischer Schuh- à
macherinnungen Beide Mecklenb.| 13 497| — 497 ‚Sitz Rostock
32|Bückerinnungsverband an d. Unter- Die Kr. Geeste- £
weser |münde, Lehe u. 2| 42| 15 57| »» Geestemünde
Bremervörde u. |
id. Stadt Bremer-
| haven
33|Provinz Brandenburgischer Bezirks- | s
verein i. dtsch. Fleischerverbande s. Spalte 2 95 2766| 2 2768| „ Nowaves
34|Innungsverband für den Regierungs-
bezirk Oppeln i 164 5476 1 5477| „ Oppeln
35|Provinzialverband der Innungsaus-| am 98. Juli
schüsse und Innungen f. Schles- 1902 uf lost!
wig-Holstein s 46! AUNA nues — |, Altons
36|Provinzial-Schmiede- und Schlosser- |
verband | T 24 1450|) 8 1458 , Kiel
37|Baugewerksinnungsverband ,Bau- Gemeind. Geeste- |
hütte an der Unterweser“ zu münde, Bremer-
Bremerhaven haven und Lehe I 47| — 47| , Bremerhaven
S8|Weberinnungsverband in Heyerode| s. Spalte 2 13 940| — 940| , Heyerode
39|Ostfriesischer Innungsverband f. d. 3
Regierungsbezirk Aurich E 48| 2221| — 2221| , Aurich
40|Maler- u. Anstreichermstrinnungs- ^
verband im Rheinland u. Westf. H 19 1493| 20) 1513| „ Düsseldori
41|Verband der Innungen u. selbstünd,
Meister des Bäcker- und Kon-
ditoreigewerbes im Bezirk der i
Handwerksk. zu Saarbrücken » 7 550| 27 577| „ Neunkirchen
49|Süchsischer Innungsverband yi 300| 179000| — 19 000| ,, Vorort Dresden
Es sind also von den 42 Verbünden 27 solche, welche das ganze Deutsche Reich
umfassen, und ein Verband, der süchsische Innungsverband, der auch wegen seiner Größe
von Bedeutung ist, die übrigen Verbände sind nur lokale Organisationen ohne erhebliche
Bedeutung. Die Zahl der Verbände, die das Deutsche Reich umfassen, ist die gleiche
geblieben, denn für den im Jahre 1899 aufgelösten Kürschnerverband ist der Verband
deutscher Juweliere, Gold- und Silberschmiede ins Leben getreten. Ueber den Innung*
verband der Besorger fremder Rechtsangelegenheiten war nicht möglich, nähere Zahlen
zu erhalten. Die 25 Verbünde, die das Deutsche Reich umfassen, und über welche
Zahlenangaben zu erlangen waren, umfaßten 4202 Innungen mit 191 637 Mitgliedern.
Diese Zahlen zeigen, daß die Verbände sehr wohl verstanden haben, ihre Es
berechtigung zu behaupten. Interessant ist, daß der Baugewerksinnungsverband „Bauhütte
an der Unterweser zu Bremerhaven angeblich immer noch besteht, obwohl ihm doch nur
noch eine Innung angehört, also von einem Verbande keine Rede mehr sein kann.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 627-
Tabelle XVI. Uebersicht über die bestehenden
Innungsverbände im Jahre 1890 und 1902.
à 1890 | 1902
z Zahl der beteiligten
A Innungsverbände der 3 AS S | aa 5 jS S A a
| 4|58|78)$5&]| a | 58 |" 8| 25
Schneider 276 |ı2082 — |ı2082| 297 | 19648| 24 | 19672
Schuhmacher 302 |20115| — |20115| 144 | 14350 I | 14351
3|Sattler, Riemer und
Täschner | 59| 1439 — 1439| 65 2 402 5 2 407
Schmiede | 141 | 5144 7 5151] 170 | 10000 IO | 10010
Glaser 64 | 1494| 20 | 1514] 79 | 2931| 194 | 3125
Schornsteinfeger 55 | 1773| — 1773 62 | 2723, — 2723
Barbiere, Friseure und |
Perückenmacher 291 | 8655| — 8655| 355 | 15972. — 15 972
Perückenmacher und
Friseure | 32 600! 162 7621 14 | 470 405 875
Tischler | 124 | 6138! — 6138] r10| 9500 — 9 500
Bücker | 886 |21 865| 137 |22002| 988 | 42031, 68 | 42099
Dach-, Schiefer-, Blei-
und. Ziegeldecker | 14 244| 14 258 14 651| 53 704
Kürschner ı 14 219| 17 236| ist im Jahre 1899 aufgelöst
Stellmacher u. Wagner, 61 | 2327| 17 2344| 32 1285| 16 | 1301
Buchbinder | 35 | 1288| 7o 1358 35 | 2000| 92 2 092
Baugewerksmeister | 244 | 5226, — 5226| 310 | 9421 17 9 438
j | Drechsler | 24 967 9 9761 — — — —
Korbmacher | 24 71!| 31 742 23 76) 42 818
Schlosser 92 | 3132! 4 3136| 109 4800 10 4810
Steinsetzer | 20 289 — 289 20 ! 425 — | 425
2758 |93 708| 488 | 94 196 | 2827 |139 385° 937 |140 322
Diese vergleichenden Zahlen zeigen deutlich, wie erhebliche Fortschritte einzelne
Verbünde in ihren Mitgliederzahlen gemacht haben.
Allein diese 19 Verbände umfassen 2758 Innungen mit insgesamt
94196 Mitgliedern, ein Zeichen, daß die Innungsverbände eine sehr
gute Entwickelung damals bereits genommen hatten.
Zur Zeit sind 40 Innungsverbünde vorhanden !). (S. Tabelle XV
S. 625 u. 626.)
Leider sind über die Größen der einzelnen Verbände nicht überall
neuere Daten zu erlangen gewesen. Daß die Verbände aber einen
großen Aufschwung genommen haben, geht aus folgender ver-
gleichenden Uebersicht hervor. (S. Tabelle XVI S. 627.)
, Es hat darnach der Bückerverband Germania, der 1890 nur 22 002
Mitglieder zählte, jetzt über 42000 Mitglieder; er ist auch der größte
Innungsverband. Der Fleischerverband hat ca. 35000 Mitglieder.
1) Auch das Verzeichnis der Innungsverbünde verdanke ich der Güte des Geh.
Reg.-Rats von Seefeld aus dem preußischen Handelsministerium. Die Zahlen sind von
mir selbst auf Grund einer Umfrage gewonnen worden. Dieselben zeigen den Stand am
1. Januar 1902.
40*
628 Thilo Hampke,
Der Schneiderverband, der 1890 12082 Mitglieder zählte, hat über 19000
Mitglieder. Der Barbier-, Friseur- und Perückenmacherverband zählte
1890 ca. 8655 Mitglieder, zur Zeit ist die Zahl der Mitglieder auf
15972 gestiegen. Der Sächsische Innungsverband soll ca. 19000 Mit-
glieder umfassen.
Jedenfalls haben sich die Innungsverbände in letzter Zeit erheb-
lich gefestigt und bereits viel für den festen Zusammenschluß der
einzelnen Gewerbszweige getan.
Welche große Tätigkeit die Innungsverbände heute noch ent-
wickeln, mögen folgende Daten über den Germaniaverband der Bäcker-
innung zeigen. Der Verband, der 988 Innungen mit 42000 Mit-
gliedern umfaßte, hat in den letzten 3 Jahren 19157 Germaniaarbeits-
bücher, 15055 Lehrbriefe, 27172 Lehrverträge verausgabt. Außerdem
sind 2280 Meisterbriefe, 736 Ehrendiplome, 217 Gesellendiplome,
654 Lehrbücher und 903 Leitfäden versandt worden.
Die Innungsverbände haben seit 1884 im Zentralausschuß der
vereinigten Innungsverbände Deutschlands zu Berlin eine gemeinsame
Oberleitung, die die Organisation des deutschen Handwerkerstandes
auf der korporativen Grundlage der Innungen zu fördern sucht. Es
haben die Innungsverbände durch ihre bisherige Tätigkeit bewiesen,
daß sie sehr wohl neben den Handwerkskammern eine segensreiche
Tätigkeit zum Wohle der einzelnen Gewerbe zu entwickeln vermögen.
Gewerbevereine.
Seitdem $ 103a des Handwerksorganisationsgesetzes bestimmt:
„Die Zahl der Mitglieder der Handwerkskammer wird durch das
Statut bestimmt.
Für die Mitglieder sind Ersatzmänner zu wählen, welche für die-
selben in Behinderungsfällen und im Falle des Ausscheidens für den
Rest der Wahlperiode in der Reihenfolge der Wahl einzutreten haben.
Die Mitglieder werden gewählt:
1) von den Handwerkerinnungen, welche im Bezirke der Hand-
werkskammer ihren Sitz haben, aus der Zahl der Innungsmitglieder ;
2) von denjenigen Gewerbevereinen und sonstigen Vereinigungen,
welche die Förderung der gewerblichen Interessen des Handwerks
verfolgen, mindestens zur Hälfte ihrer Mitglieder aus Handwerkern
bestehen und im Bezirk der Handwerkskammer ihren Sitz haben,
aus der Zahl ihrer Mitglieder, soweit denselben nach den Bestim-
mungen dieses Gesetzes die Wählbarkeit zusteht. Mitglieder, welche
einer Innung angehören oder nicht Handwerker sind, dürfen an der
Wahl nicht beteiligt werden.
Die Verteilung der zu wählenden Mitglieder auf die Wahlkörper
sowie das Wahlverfahren werden durch die von der Landeszentral-
behörde zu erlassende Wahlordnung geregelt.“
haben die Gewerbevereine als Wahlkörper zu der Handwerkskammer
eine erhöhte Bedeutung gewonnen. Es ist daher nötig, auch an
dieser Stelle auf die Gewerbevereine einzugehen.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 629
Die Gewerbevereine sind freie gewerbliche Vereinigungen. Die
Mehrheit ihrer Mitglieder wird gebildet aus Vertretern des Hand-
werks wie des gewerblichen Mittelstandes überhaupt, außerdem zählen
zu den Mitgliedern viele Fachmänner auf dem Gebiete des gewerb-
Hchen Unterrichtswesens, also Lehrer, ferner Ingenieure, Baumeister
und Leiter industrieller Betriebe als Freunde und Förderer des Hand-
werks und Gewerbes!).
Die Gewerbevereine bezwecken im allgemeinen
1) Förderung der Gewerbe und Hebung des Handwerks;
2) Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse;
3) Belehrung der Mitglieder über die in Betracht kommende
Gesetzgebung und die Fortschritte der Technik;
4) Forderung des Arbeitsnachweises und schließlich Vertretung
in der Handwerkskammer.
Die Gewerbevereine suchen ihre Zwecke zu verfolgen durch
1) Pflege der Beziehungen der Mitglieder und zu ähnlichen
Vereinen;
2) Förderung des gewerblichen Unterrichts;
3) Bücher und Lesezimmer:
4) Preisausschreiben und Preiserteilungen ;
5) Erteilung von Auskünften, Gutachten und Ratschlügen an die
Mitglieder ;
6) Vorträge;
7) Veranlassung und Förderung von Ausstellungen, insbesondere
auch von Lehrlingsarbeiten ;
8) Vorstandssitzungen und Vereinsversammlungen, in diesen Er-
örterungen der das Gewerbe und Handwerk berührenden Fragen
und Gedankenaustausch über dieselben;
9) Ausflüge zum Besuche gewerblicher Anlagen u. s. w.
Die Gewerbevereine haben sich namentlich in Süddeutschland,
da sie sich der Fórderung der dortigen Regierungen zu erfreuen
hatten, gut entwickelt und Großes zur Förderung des Gewerbes
namentlich auf dem Gebiete des Unterrichtswesens geleistet.
In Preußen stützt man sich seitens der Regierung stets mehr
auf die Innungen und deshalb haben die Gewerbevereine nicht eine
solche große Entwickelung genommen, eigentlich sind nur in Nassau
und Hannover leistungsfähige gewerbevereinliche Verbände vor-
handen, die sich noch aus der Zeit der Selbständigkeit dieser Länder
erhalten haben. Es hat lange Zeit ein schroffer Gegensatz zwischen
den Innungen und den Gewerbevereinen bestanden. Man hat seitens
der Innungen den Gewerbevereinen zum Vorwurf gemacht, daß in
ihnen neben dem Handwerker Männer aller Berufsstände und Rang-
ordnung Mitglieder wären, und daher die Anschauung der Hand-
werker nicht genügend zum Ausdruck kommen könnte. Die Mit-
arbeit von Nichthandwerkern hat sicher vielfach ungemein befruchtend
1) B. Berghausen, Gewerbevereine im Handwörterbuch der Staatswissenschaften,
Bd. IV, 2. Aufl., Jena 1900, S. 558 f.
630 Thilo Hampke,
auf die Tätigkeit und Leistungsfähigkeit der Gewerbevereine gewirkt.
Die Gegensätze zwischen Innungen und Gewerbevereinen sind, seit-
dem beide zu Wahlkörpern der Handwerkskammer gemacht worden
sind, ungefähr ausgeglichen. Die Tatsache, daß auch die Gewerbe-
vereine als Wahlkörper zur Handwerkskammer herangezogen sind,
hat ungemein befruchtend auf die Entwickelung der Gewerbevereine
namentlich in Süddeutschland gewirkt.
Erst seit dem Jahre 1891 sind die Gewerbevereine zum Verband
deutscher Gewerbevereine zusammengeschlossen, dessen Vorort bisher
Cöln war. Neuerdings ist der Vorort dieses Verbandes, der auf
gute Erfolge in der Organisation der Gewerbevereine zurückblicken
kann, nach Darmstadt verlegt worden!) Während der Verband
deutscher Gewerbevereine im Jahre 1892 304 Vereine mit 32 021 Mit-
gliedern umfaßte, ist die Zahl der Mitglieder im. Jahre 1902 auf
857 Vereine mit 97154 Mitgliedern gestiegen. Von diesen Mit-
gliedern sind 64024 Handwerker d. h. 66 Proz. Es ist damit be-
wiesen, daß der Kern der Gewerbevereine aus Handwerkern besteht.
Die Verbandsstatistik zeigt folgendes Bild:
Tabelle XVII. Verbandsstatistik?).
z Bezeichnung der Nach Angabe der Vorstände | Von den Mitgliedern 1902
€ Verbünde und vorhanden 1902 sind Handwerker
s Vereine Vereine | Mitglieder Zahl Pros.
A. Verbände
1 | Baden 203 | 13 800 IO 134 74
2 | Bayern 69 | 10 825 5 600 52
3 | Württemberg 145 24 000 16 ooo 66
4 | Pfalz 45 5 706 3 932 69
5 | Hessen 109 10 147 6 908 68
6 | Nassau 115 | 9 672 5 803 60
7 | Thüringen 56 | 9 500 6 175 65
8 | Hannover 18 2 264 1750 77
9 | Mecklenburg 35 4 123 2762 67
10 | Elsaß-Lothringen 53 4 200 3 700 88
B. Vereine
1 | Aachen I 447 148 33
2 | Cóln I 400 250 63
3 | Cassel I 440 135 30
4 | Trier I 320 260 81
5 | Querfurt I 85 47 53
6 | Eupen I 52 25 48
7 | Viersen I 34 30 88
8 | Minden i. W. I 116 94 80
9 | Erfurt I 1023 | 27I 26
857 97 154 64 024 66
1) Dr. Thilo Hampke, Der Verband deutscher Gewerbevereine, seine Entstehung,
Organisation und bisherige Betriebsamkeit, in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung,
Verwaltung und Volkswirtschaft. Leipzig 1893, XVII. Jahrgang, S. 1141 fg.
2) Verhandlungen der XI. ordentlichen Hauptversammlung des Verbandes Deutscher
Gewerbevereine zu Kaiserslautern am 1. und 2. Dezember 1902, S. 14.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 631
Von den Verbänden ist also bei weitem der größte der Württem-
bergische mit 145 Vereinen und 24000 Mitgliedern. Wie ungemein
stark die Entwickelung der Vereine in den letzten 10 Jahren ge-
wesen ist, zeigt folgende vergleichende Statistik
Tabelle XVIII. Gewerbevereinsverbände.
Zahl der Vereine resp. Mitglieder |
È | Zuwachs bis 1902 seit 1892
z Bezeichnung der 1892 1902
= Verbände d : Zahl der
= : e Mit- e Mit- Zahl der *
= Vereine glieder Vereine glieder | Vereine Proz. Mit- Proz.
SEN rt ee EEN =".
1 [Baden 65 5 581 203 | 13 800 138 |212| 8219 |147
3 [Hessen 54 4901 109 10 147 55 102 5 246 | 107
4 [Nassau 72 5 672 115 9672 43 | 60| 4000 | 71
5 [Thüringen 40 6 500 56 9 500 16 40 | 3000 | Ap
6 [Hannover 19 1 790 18 2 264 I 5 474 | 26
7 [Mecklenburg 23 2518 35 4123 12 52| 1605 | 64
2 [Pfalz 17 2 400 45 5 706 28 |165| 3306 | 138
|
Sa.
Es haben die 7 Verbände an der Zahl der Vereine um 100 Proz.
und an Zahl der Mitglieder um 88 Proz. zugenommen. Man wird
die Zahl der Mitglieder der Gewerbevereine, über die genaue Zahlen
nicht vorliegen, auf circa 180 000 schätzen müssen. Nach einer im
Jahre 1898 in Preußen aufgenommenen Statistik sollten in Preußen
43 976 in Gewerbevereinen inkorporierte Handwerkermitglieder vor-
handen sein und zwar (s. Tabelle S. 632).
Der Verband deutscher Gewerbevereine hat 82201 Mitglieder
außerhalb Preußen, zählt man die 43 976 preußischen Mitglieder hinzu
und zieht man weiter in Betracht, daß der Verband sächsischer
Gewerbevereine, der dem deutschen Verbande noch nicht angehört,
im Jahre 1898/99 142 Vereine mit über 30000 Mitgliedern umfaßte,
so kommt man auf 156177 Mitglieder von Gewerbevereinen. Zieht
man ferner in Betracht, daß bei dieser Zahl als Mitglieder der
Gewerbevereine in Preußen nicht alle, sondern nur die Handwerker-
mitglieder gezählt sind und daß weiter von einer Anzahl deutscher
Bundesstaaten die Zahlen fehlen, so wird die Zahl der Gewerbevereins-
mitglieder mit 180000 nicht zu hoch geschätzt sein. Die Gewerbe-
vereine haben daher neuerdings eine sehr erhebliche Entwickelung
genommen und sind als Organisationen zur Förderung des Hand-
werks nicht zu unterschätzen.
Da eine zuverlässige Statistik über die Gewerbevereinsentwicke-
lung Deutschlands nicht vorhanden ist, so mußten die Zahlen ge-
schätzt werden. Daß die von mir geschätzten Zahlen der Wahrheit
ziemlich nahe kommen, läßt sich durch folgende Statistik erweisen.
In seiner Enquête vom August 1892 hatte der Vorort des deutschen
Handwerks- und Gewerbekammertages, die Handwerkskammer Han-
nover, auch die Frage gestellt:
„Zahl der gewerblichen Vereine und ihrer Mitglieder“ ?
290 | 29362 | 581 | 55 212 | 291 100 | 25 850 | 88
632 Thilo Hampke,
Zahl der Handwerker
Ungefähre Ichei
Lfd. : i Zahl der welche in kreira welche in
No. Regierungsbezirke Handwerker | Innungen in- ee Vereinen und
überhaupt ee korporiertsind Innungen sind
1 Königsberg 22 825 10 837 568 373
2 Gumbinnen 15 412 5 032 545 282
3 | Danzig 9 146 4 238 564 503
4 Marienwerder 15 634 7 344 196 133
5 | Potsdam 37 204 16 707 514 189
6 | Frankfurt a. O. 30 737 12 871 412 145
7 | Stettin 16 546 8 288 306 139
8 | Köslin 14 356 5 483 514 190
9 | Stralsund 5 341 2611 106 40
10 Posen | 23657 11 676 404 309
11 Bromberg 13 568 5 330 265 172
12 Breslau 40 147 19 149 1333 967
13 | Liegnitz 31 123 10916 1654 905
14 | Oppeln 28 961 14 769 869 731
15 | Magdeburg 27 108 6 482 864 260
16 Merseburg 27 601 11 769 2575 1051
17 Erfurt 17 464 3 095 892 193
18 | Schleswig 30 857 8 572 148 53
19 | Hannover 15 674 3972 | 2392 953
20 | Hildesheim 13 941 3581 | 1152 602
21 Lüneburg I1 884 3246 -— 551 206
22 Stade | 9 360 787 519 132
23 | Osnabrück 6728 711 881 541
24 | Aurich 5 251 722 540 121
25 | Münster 16 013 2 860 931 311
26 | Minden 12 962 1 821 745 17
27 | Arnsberg 35 540 5 270 I 305 328
28 Kassel | 23 629 1 687 419 3
29 Wiesbaden | ?9 014 1269 | 4515 219
30 | Coblenz 20 785 733 787 18
31 | Düsseldorf 43 840 5 121 2610 488
32 | Cüln 23011 2648 I 724 196
33 | Trier 18 740 593 578 33
34 | Aachen | 18 599 851 396 31
35 | Sigmaringen 3 689 — | 161 —
36 Stadt Berlin | 34 680 17 080 II out 2781
Zusammen | 751027 218121 | 43976 | 13777)
Diese Frage war insofern unvorsichtig gestellt worden, als nicht
aus derselben hervorging, ob die Kammern nur die Mitglieder der
gewerblichen Vereine aufgeben sollten, die als Handwerker wahl-
berechtigt zur Handwerkskammer sind, oder alle Mitglieder, ferner
ging nicht aus der Frage hervor, ob sie alle gewerblichen Vereine
aufgeben sollten, oder nur die, welche, weil sie in der Majorität Hand-
werker umfassen, zur Handwerkskammer wahlberechtigt sind.
Es ist schon wegen der nicht glücklichen Fragestellung diese
1) Richard Pape, Die praktische Durchführung der Handwerkerkartelle vom 26. Juli
1888, Leipzig 1902, S. 75.
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 633
Tabelle XIX.
Handwerkerver-
Ltd. Sitz der A bände u. sonstige PRE
No. | Handwerkskammer Gewerhevereine gewerbliche Ver- Mitglieder
einigungen
1 | Königsberg 7 420
2 | Insterburg 12 1 400
3 | Danzig 7 427
4 | Berlin 77
5 | Frankfurt a/O. =
6 | Stettin 10 750
7 | Stralsund 4 7
8 | Posen 9
9 | Bromberg — —
10 | Breslau 50
11 | Liegnitz 12
12 | Oppeln 15 1 386
13 | Magdeburg 18 785
14 | Halle a/S. 14 593
15 | Erfurt 6
16 | Altona 16 4 700
17 | Flensburg 14 543
18 | Hannover 12 950
19 | Hildesheim 4 1 096
20 | Harburg 9 1 140
21 | Osnabrück 7 550
22 | Münster 6 200
23 | Bielefeld 21 1 130
24 | Arnsberg 17 I 346
25 | Dortmund 23 500
26 | Cassel 25 1 200
27 | Wiesbaden 157 7 600
28 | Coblenz 67 4 600
29 Düsseldorf 50 2 500
30 | Cöln 25 3 683
31 | Aachen 24 1 580
32 | Saarbrücken 16 1 200
33 | Sigmaringen 70 2 500
PreuBen 804 | 43 156 =
Von 154 Vereinen 650 Gewerbevereine
fehlen die Angaben
über Mitgliederzahl
34 | München 54 6.078
35 | Passau 16 1 020
36 | Kaiserslautern 45 8 6 000
37 Regensburg 8
38 Bayreuth 23 I 365
3c En 25 II 3 110
39 | Nürnberg (mit 2560) (mit 550)
10 | Würzburg 20 I 223
41 Augsburg 27 1981
Bayern 218 | 19 | 20777 —
Von 8 Vereinen fehlen
die Mitgliederzahlen
229 Vereine
634
Ltd.
No.
51
Thilo Hampke,
Handwerkerver-
Sitz der S bände u. sonstige das
Handwerkskammer Sagesse gewerbliche Ver- Mitglieder
einigungen
Dresden | ? ?
Plauen 25 3 000
Chemnitz 64 IO 500
Leipzig 10 5 274
Zittau | 28 3 102
Sachsen 127 21 876
Vom Kammerbezirk Dresden fehlen
die Angaben
Stuttgart 33 36 4057
(mit 3206) (mit 1851)
Ulm 80 7 590
Heilbronn ? 3 665
m
Reutlingen 80
Württemberg 193 | 36 | 15 312
Angaben von Heilbronn über Zahl der Vereine fehlen
ganz, von 80 Vereinen fehlen die Mitgliederzahlen.
Mannheim 119 5 400
Karlsruhe 105 5 379
Freiburg 84 4 200
Konstanz 55 3 496
Baden 363 | 18 475
Darmstadt 129 10 430
Schwerin 38 |
Weimar 31 2054
Oldenburg 10 600
Braunschweig 3 i N 400
Meiningen 3 | 212
Gera 12 | 2325
Gotha 7 863
Dessau 7 | 400
Arnstadt 8 | 1234
Greiz 2 96
Stadthagen 6 | 400
Detmold 4 ca. 100
Lübeck 2 367
Bremen 5 258
Hamburg
Straßburg 79 4 800
348 24 539 —
Ganz fehlen die Angaben von Hamburg.
die Mitgliederzahlen.
308 Gewerbevereine
Von 45 Gewerbevereinen fehlen
Gewerbevereine und
sonstige gewerbliche darunter
Vereinigungen
Preußen 804 650 mit 43 156 Mitgl.
Bayern 237 229 „ 20777 »
Sachsen 127 127 , 218756 „
Württemberg 229 149 , I164 ^ |
Baden 363 363 », 18475 » |
Uebrige Staaten 345 300 ,, 23305 » CT
| 2105 1818 mit 139 236 Mitgl.
+ 3665 f. Heilbronn _
142 883
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 635
Hinzuzurechnen sind:
für Preußen von Ve Vereinen die fehlenden Mitglieder
„ Bayern „
» Sachsen die Vereine des Bezirks Dresden mit ihren Mitgliedern
Württemberg | für Heilbronn die fehlenden Vereine mit 3665 Mitgliedern
? „ Reutlingen von 80 Vereinen die Zahl der nicht bekannten Mitglieder
» Sehwerin von bs Vereinen die fehlenden Mitglieder
„ Hamburg die Vereine des Hamburger Bezirks mit Mitgliedern
Im ganzen von 274 Vereinen die (nicht bekannten Mitgliederzahlen.
für 2 Bezirke (Hamburg und Dresden): die (nicht bekannte)
Zahl der Vereine nebst ihren Mitgliedern,
„ 1 Bezirk (Reutlingen) die (nicht bekannte) Zahl der Vereine.
Frage sehr mangelhaft und sehr verschieden beantwortet worden,
sodann scheinen viele Kammern sich selbst noch gar nicht genügend
über den Stand der Gewerbevereinsbewegung in ihrem Bezirke in-
formiert zu haben.
Die Antworten, soweit sie überhaupt vorhanden sind, sind in
nachfolgender Statistik zusammengestellt: (s. Tabelle XIX S. 633,
634 u. 635).
Es waren also nach dieser Statistik 3923 gewerbliche Vereine
mit 142883 Mitgliedern in Deutschland vorhanden. Es kommen dem-
nach auf einen Verein ca. 36 Mitglieder. Nun fehlen die Angaben von
279 Vereinen. Nimmt man an, daß in diesen Vereinen die durch-
schnittliche Mitgliederzahl ebenfalls auf 36 sich beliefe, so werden
noch 9864 Mitglieder hinzuzurechnen sein und wir auf 152747 Ge-
werbevereinsmitglieder in Deutschland kommen. Da die Angaben
der einzelnen Kammern voraussichtlich aber zu niedrige sein werden,
da sie die Gewerbevereinsentwickelung nicht genügend kennen, und
vielfach ausdrücklich angegeben ist, daß nur die Handwerkermitglieder
in den Gewerbevereinen gezählt sind, so wird man rund 180 000 Ge-
werbevereinsmitglieder für Deutschland annehmen dürfen, auf welche
Zahl wir schon bei unserer Schätzung gekommen waren. Von diesen
180000 Mitgliedern werden voraussichtlich nur 66 Proz. Handwerker
sein. Wir würden dann 118800 in Gewerbevereinen organisierte
Handwerker in Deutschland besitzen. Von diesen wird man mindestens
ein Viertel abziehen müssen, weil sich diese bereits auch in Innungen
befinden. In Norddeutschland und namentlich auch in Sachsen werden
häufig fast die Hälfte der Handwerkermitglieder in Gewerbevereinen
auch Innungsmitglieder sein. In Süddeutschland wahrscheinlich viel
weniger, weshalb ich als Mittel ein Viertel annehme. Es würden
dann ca. 89100 Handwerker übrig bleiben, die nur Gewerbevereins-
mitglieder und nicht Innungsmitglieder sind.
C. Schluß.
Die in den obigen Ausführungen gemachten Darlegungen be-
wegen sich sehr auf der Oberfläche der Materie. Wir erfahren wohl,
wie viele Handwerkskammern vorhanden sind, welchen Flächenraum
sie umfassen und wie viele Einwohner ihre Bezirke haben. Wir
erfahren aber nichts, und das wäre doch eigentlich die Hauptsache,
636 Thilo Hampke,
über ihre Tätigkeit als Interessenvertretung oder als Selbstverwaltungs-
körper. Allerdings hat der Vorort des deutschen Handwerks- und
Gewerbekammertages in seiner Enquête auch darüber etwas zu er-
mitteln gesucht. In dem Fragebogen beschäftigen sich die Fragen
10—16 mit dieser Materie. Dieselben lauten:
10) Wieviele Genossenschaften sind neu gegründet:
a) Kreditgenossenschaften ?
b) Werk- und Rohstoffgenossenschaften ?
11) Höhe der tatsächlichen Ausgaben der Kammern:
; a) im 1. Jahr?
b) im 2. Jahr?
12) Zahl der Gesellenprüfungsausschüsse:
13) Zahl der Meisterprüfungskommissionen:
14) Was ist von der Kammer geschehen zur Fórderung
a) der Fortbildungsschulen ?
b) der Fachschulen ?
c) der fachlichen Meisterkurse ?
d) der Buchführungskurse?
e) des Genossenschaftswesens ?
f) des Lehrlingswesens im allgemeinen ?
15) In welchem Maße wird die Kammer zur Erteilung von Rat
in gewerblichen Angelegenheiten in Anspruch genommen?
16) Was ist über sonstige Betütigung der Kammer mitzuteilen?
Das Resultat der Enquéte über obige Fragen ist aber ein sehr
unvollständiges gewesen, nicht etwa weil die Handwerkskammern
auf diesen Gebieten nichts geleistet hütten, sondern weil sich der-
artige wirtschaftliche Tätigkeiten schwer zahlenmäßig darstellen lassen
und weil schließlich die Enquete, die vom Handwerks- und Gewerbe-
kammertag veranstaltet wurde, viel zu wenig von langer Hand vor-
bereitet war. Am 6. August wurde der Fragebogen versandt und
am 31. desselben Monats sollte er bereits beantwortet sein. Will
man derartige Fragen eingehend und sachgemäß beantwortet haben,
dann müssen die Kammern schon lange Zeit vorher wissen, daß
dann und dann eine Umfrage über die und die Punkte veranstaltet
werden soll, damit sie sich darauf vorbereiten können. Es wäre im
Interesse der Handwerkskammern selbst daher sehr wünschenswert,
wenn vielleicht auf dem nächsten Handwerks- und Gewerbekammer-
tage zu München im September 1903 wiederum die Veranstaltung einer
Enquête beschlossen würde und dann ein Fragebogen dieser Umfrage
zu Grunde gelegt würde, der eingehender die Materie zu erfassen
sucht. Je eingehender auf Grund solcher statistischer Aufnahmen
die wirklichen Verhältnisse des Handwerks ermittelt werden, je mehr
haben Wünsche auf Abänderung des Handwerksorganisationsgesetzes
oder auf Verbesserung der Lage des Handwerkerstandes Aussicht
auf Erfolg.
Gibt man z. B. in der Frage des Genossenschaftswesens, wie
dies in Leipzig geschehen ist, an, daß nach dem damals vorliegenden
Material 86 Kredit- und 171 Werk- und Rohstoffgenossenschaften
Die deutschen Handwerkerorganisationen. 637
errichtet worden sind, so erhält man durch derartige Zahlen nicht
ein erschöpfendes Bild von der großen Tätigkeit, die seitens der
Kammern nach der Richtung hin entwickelt worden ist. Die Haupt-
verdienste liegen da sicher in der aufklärenden Tätigkeit, der sich
die Kammern unterzogen haben, daß sie immer und immer wieder
bei jeder Gelegenheit in Wort und Schrift auf die Vorteile des Ge-
nossenschaftswesens hingewiesen haben. Die Früchte dieser Tätigkeit
kommen natürlich nicht so schnell in der Gründung von Genossen-
schaften zu Tage, sondern diese Früchte werden erst sehr allmählich
reifen.
Ebenso gibt uns die Tatsache, daß die Handwerkskammern, so-
weit darüber überhaupt in Leipzig Zahlen vorlagen, 14161 Gesellen-
und 3603 Meisterprüfungskommissionen gebildet haben, über die
segensreiche Tätigkeit der Kammern auf dem Gebiete des Prüfungs-
wesens kein richtiges Bild, sondern wir müssen zu ermitteln suchen,
wie viele Gesellenprüfungen und Meisterprüfungen abgehalten worden
sind, um uns darüber klar zu werden, ob es gelingt, auf diesem
Wege wieder Ordnung in das Handwerk zu bringen.
Aehnlich wie bei den Genossenschaften liegen die Dinge be-
züglich der Frage der Fach- und Fortbildungsschulen, der Meister-
kurse etc.
Nur wenn man ganz spezialisierte Umfragen veranstaltet, wird
man ein richtiges Bild erhalten, sonst wird sich im allgemeinen die
Tätigkeit der Kammer, die noch mehr oder weniger eine anregende
ist, nicht zahlenmäßig erfassen lassen. Eine Handwerkskammer, die
z. B. durchgesetzt hat, daß der Besuch der Fortbildungsschulen durch
Ortsstatut in ihrem Bezirke obligatorisch gestaltet wird, hat für das
Fortbildungsschulwesen erheblich mehr getan als eine andere Kammer,
die vielleicht mehrere Fach- oder Fortbildungsschulen selbst ins
Leben gerufen hat. Wir wollen daher das vorliegende Material über
diese Fragen gar nicht vorführen, weil es leicht zu falschen
Schlüssen führen würde und der Hoffnung Ausdruck geben, daß
möglichst bald eine neue Enquete durch den Vorort des Handwerks-
und Gewerbekammertages erfolgt, die auf Grund eines Fragebogens
vorgenommen wird, der in möglichst eingehender Weise die Tätigkeit
der Kammern auf den verschiedensten Gebieten zu erfassen sucht.
Voraussichtlich wird sich dann zeigen, daß unser Handwerkerstand
mehr und mehr einsieht, daß die Handwerkerfrage eine Bildungsfrage
ist, und daß die Handwerkskammern vor allen Dingen bemüht sind,
unter diesen Gesichtspunkt die Handwerkerfrage ihrer Lösung ent-
gegenzuführen.
638 Miszellen.
Nachdruck verboten
Miszellen.
XI.
Die kontradiktorischen Verhandlungen über deutsche
Kartelle.
Von Dr. Robert Liefmann, Privatdozent an der Universität GieBen.
I.
Die Kartellenquete oder, wie die offizielle Bezeichnung lautet, „die
kontradiktorischen Verhandlungen über deutsche Kartelle“ haben mi:
zwei Sitzungen am 26. und 27. Februar und 26. und 27. März be-
gonnen. In der ersten wurde das rheinisch-westfálische Kohlensyndikat,
in der zweiten dieses ebenfalls und die oberschlesische Kohlenkonvention
besprochen. Vorausgegangen war beiden eine Vorbesprechung am 14.
November 1902, in welcher die Grundlagen für die Enquete festgestellt
wurden. Zu dieser Vorbesprechung habe ich in meinem Aufsatz: Was
kann heute den Kartellen gegenüber geschehen ? (in diesen Jahrbüchern,
Dezember 1902, S. 802— 13) Stellung genommen. Hier sollen, einer freund-
lichen Aufforderung des Herrn Herausgebers folgend, die bisherigen Ver-
handlungen besprochen worden. Eine Darstellung der Ergebnisse, d.h.
also der Organisation und Wirksamkeit der beiden untersuchten Kartelle
zu liefern, ist natürlich im Rahmen einer kurzen Besprechung nicb:
möglich. Dazu sind dieselben viel zu kompliziert und die Meinungen
über sie auch immer ‘noch zu weit auseinandergehend. Andererseits
aber möchte ich auch nicht ganz darauf verzichten, neben der Be-
sprechung des Ganges der Verhandlungen selbst auch einige der wich-
tigsten Ergebnisse zu erörtern. Diese Ergebnisse sind freilich immer
noch subjektiver Natur, beruhen auf einer Beurteilung und Be-
wertung der vorgebrachten Tatsachen und Anschauungen. Denn wer
erwartet hatte, ein sicheres, gewissermaßen mathematisch zu gewinnendes
Resultat über den Nutzen oder Schaden der besprochenen Kartelle au:
den Verhandlungen ziehen zu können, mußte natürlich enttäuscht werden.
Es wurden zwar mancherlei Tatsachen angeführt, aber selbst aus ihnen
sind schlüssige Beweise nur mit großer Vorsicht zu gewinnen und
das Meiste, was gesagt wurde, waren Ansichten und Meinungen, deren
Miszellen. 639
besondere Bedeutung nur darin besteht, dal sie von sehr sachverständiger
Seite ausgingen !). :
Zu jeder der beiden Sitzungen waren etwa 70 Personen aus den
verschiedensten Berufskreisen geladen. Nach einer Begrüfungsansprache
des Vorsitzenden, Geh. Regierungsrat Prof. Dr. van der Borght, in
welcher derselbe erklärte, daß die Verhandlungen nicht in Form eines
Verhörs, sondern als eine gegenseitige freie Aussprache der Meinungen
und Erfahrungen stattfinden sollten, wurde in die Besprechung des
Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats eingetreten. Der Referent,
Regierungsrat Dr. Voelcker, gab einen sehr instruktiven, größtenteils auf
aktenmäßiger Grundlage beruhenden Bericht über die Organisation des
Syndikats und seine drei Aufgaben der Produktions-, Preis- nnd Ver-
triebskartelierung. Auf die wirtschaftliche Bedeutung des
Kohlensyndikats ging der Vortragende nicht ein (merkwürdigerweise
betonte er aber sowohl am Anfang wie am Schluß seiner Rede, daß er
auch über die wirtschaftliche Bedeutung des Kohlensyndikats
sich aussprechen wolle, bezw. ausgesprochen habe) und zwar mit Recht,
da darüber ja die folgenden Verhandlungen Aufschluf geben sollten.
Darauf sollte in die Generaldiskussion eingetreten werden. Da sich
dieselbe aber nicht recht entwickeln wollte, wurde der Fragebogen
vorgenommen. Die ersten sechs Fragen waren sehr bald erledigt.
Eine eingehendere Diskussion entstand erst bei Frage 7: Organi-
sation des Kartells. Es zeigte sich hier, daß manche Herren trotz
des einleitenden Referates noch sehr wenig orientiert waren (die
dringend gewünschte Liste der Syndikatsmitglieder und ihrer Be-
teiligungsziffern ist z. B. etwas, was alljährig veröffentlicht wird und
längst bekannt ist) und sehr beachtenswert war daher der schon hier
(von Bergrat Gothein, M. d. R.) und später noch mehrfach geäußerte
Wunsch, das Material den Mitgliedern schon vorher zur Kenntnis zu
bringen. Ich würde dies auch für sehr zweckmäßig halten, da es die
Verhandlungen zweifellos außerordentlich fördern wird. Denn, wie die
beiden Herren Kirdorf mit Recht betonten — und das stimmt genau
mit meinen Ausführungen in diesen Jahrbüchern (dritte Folge, Bd. 24,
S. 812 und 813) überein — man kann den Kartellmitgliedern nicht zu-
muten, daß sie über alle Vorgänge in einem Kartell aus freien Stücken
Vorträge halten, sondern sie müssen gefragt werden, und dazu ist
eben eine gewisse Sachkenntnis nötig, die dadurch gefördert werden
sollte, daß von der Regierung in möglichst großem Umfang vorher
Material gesammelt und den Kommissionsmitgliedern zur Kenntnis ge-
bracht wird.
Zu einer eingehenden Besprechung kam es bei Frage 8 und 9:
1) Die folgende Besprechung der Sitzung vom 26.—27 Februar beruht auf dem
Abdruck des offiziellen Stenogramms, welcher unter dem Titel „Kontradiktorische Ver-
handlungen über deutsche Kartelle* im Verlage von Franz Siemenroth, Berlin erscheint.
Für den im Buchhandel noch nicht vorliegenden Bericht über die Sitzung vom 26.
bis 27. März wurde mir vom Reichsamt des Innern der offizielle Abdruck im Reichs-
anzeiger gütigst zur Verfügung gestellt, wofür ich auch an dieser Stelle meinen verbind-
lichsten Dank aussprechen móchte.
640 Miszellen.
„Mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg ist die Hebung und
Regelung des Absatzes nach dem Inlande und nach dem Ausland ver-
sucht worden?“ Welche Preise konnte das Kartell auf dem in- und
ausländischen Markt für seine Erzeugnisse erzielen? Welche Erwägungen
waren für die Festsetzungen der Inlands- und der Auslandspreise mal-
gebend?“ Bei beiden Fragen machte der Referent, Regierungsrat Dr.
Voelcker, einleitend nähere Angaben über den Absatz und die Preis-
politik des Syndikats. Ausführlich legten dann der Aufsichtsratsvor-
sitzende des Kohlensyndikats, Generaldirektor Geheimrat Kirdorf, sowie
die beiden Direktoren desselben, Bergrat Graßmann und Direktor
Unckell, die Gründe für die vielumstrittene Syndikatspolitik der letzten
Jahre dar und suchten die Ausführungen des Herrn Bergrat Gothein
zu widerlegen, der dieselbe seit dem Umschlag der Konjunktur als
verfehlt bezeichnete. Im allgemeinen habe ich aus den Verhandlungen
den Eindruck erhalten und meine mehrfach geäußerte Ansicht bestätigt
gefunden, daß im großen und ganzen die Syndikatspolitik doch als
maßvoll zu bezeichnen ist. Auch der Zwang zu langen Abschlüssen
ist mehr vom Koks- und Roheisensyndikat als vom Kohlensyndikat
ausgeübt worden. Bezüglich des Hochhaltens der Preise in den beiden
letzten Jahren, also nach Eintritt der Krisis, einem der Hauptvorwürfe,
die dem Syndikat gemacht werden, war es interessant, von mehreren
großen Verbrauchern zu hören, daß ein weiteres Herabgehen der Kohlen-
preise voraussichtlich durchaus nicht für die übrigen Industrien von
Nutzen gewesen würe. Direktor Schott-Heidelberg, der Leiter einer
der größten deutschen Zementfabriken meinte (S. 123): „Es unterliegt
gar keinem Zweifel, daß ein weiteres Sinken der Kohlenpreise nur ein
weiteres Herabgehen der Zementpreise zur Folge gehabt haben würde.
Generaldirektor Kaiser-Wetzlar (Buderussche Eisenwerke) bestàtigte das
für die Eisenindustrie und andere.
Schon bei diesen Fragen, ganz besonders aber bei Frage 10, in
deren Erórterung am folgenden Tage, 27. Februar eingetreten wurde,
ergab sich die Notwendigkeit, eine ganze Reihe von Unterfragen zu
stellen (siehe z. B. die des Geheimrat Goldberger, S. 139), die mit der
Hauptfrage oft nur sehr lose zusammenhängen. Es war das verursacht
durch die Knappheit des Fragebogens, der, wie ich schon in dem oben
zitierten Aufsatze bemerkt habe, mancherlei wichtige Punkte nicht ent-
hielt. Ein Nachteil für die Enquete ergab sich aber daraus nicht, da
eben die notwendigen Fragen seitens sachverständiger Kommissions-
mitglieder gestellt wurden und, indem man sich nicht streng an den
Fragebogen hielt, eine Einschiebung immer möglich war. Daß doch hin
und wieder etwas übersehen wurde, ist ja unvermeidlich. :
Bei Besprechung der Frage 10: „Hat das Kartell einen Einfluß auf
die von ihm abhängigen Industrien und Händlerkreisen ausgeübt, ins-
besondere durch die Festsetzung der Verkaufsbedingungen? Welche
Stellung nimmt das Kartell gegenüber den Einkaufsvereinigungen ein?“
wurden die verschiedenen Industrien und Erwerbszweige gesondert
behandelt. Von besonderer Bedeutung waren hier die eingehenden Aus-
führungen der Vertreter der reinen Puddel- und Walzwerke, der Herren
Miszellen. 641
Springmann und Wuppermann, der Vorsitzenden der Rheinisch-West-
falischen Schweißeisen- und der Rheinisch-Westfälischen Bandeisenver-
einigung.
Beide erklärten, daß die Preise des Kohlensyndikats zu hoch seien,
um die Konkurrenz der kombinierten Werke aushalten zu können. Es
ging aus den Verhandlungen deutlich hervor, was übrigens schon längst
bekannt war, daß hier wieder einmal ein Erwerbszweig Organisations-
veränderungen in der Volkswirtschaft zum Opfer zu fallen droht. Es
wurde in der Versammlung mehrfach betont (z. B. durch Generaldirektor
Kirdorf-Aachen), daß dem auch nicht durch Preisermäßigung des Kohlen-
syndikats abgeholfen werden könne, da es unmöglich sei, daß dasselbe
seine Preise bis auf die Produktionskosten der eigene Kohlenzechen
besitzenden Hütten- und Walzwerke und damit auch auf seine eigenen
Produktionskosten ermäßige. Natürlich ist aber damit noch nicht ge-
sagt, daß nicht trotzdem das Kohlensyndikat mit seinen Preisen hätte
mehr herabgehen kónnen.
Von den übrigen Industrien wurde insbesondere in der Klein-
eisenindustrie über die ungünstige Lage geklagt. Aber auch hier scheint
es in erster Linie die Betriebsform, der Kleinbetrieb, zu sein,
welcher dieselbe verschuldet hat, und den hohen Preisen des Kohlen-
syndikats nur eine sekundàre Rolle zuzufallen. Die Blei- und Zink-
industrie erklárte sich im allgemeinen als mit den durch das Syndikat
geschaffenen Verhältnissen zufrieden.
Die Unterfrage: „Gelten die von den Händlern zu entrichtenden
Preise als Minimalpreise oder ist es ihnen gestattet, unter diesen zu
verkaufen?“ führte zur Erörterung einer der schwierigsten Fragen des
ganzen Kartellproblems); der Stellung des Handels und der Einkaufs-
genossenschaften. Der Vertreter des Vereins der Hausbrandkonsumenten,
Dr. Stein-Frankfurt a. M., wandte sich hauptsächlich gegen die Händler,
betonte die Gefahr, die die von ihnen abgeschlossenen Kartelle für die
Konsumenten haben, und empfahl dagegen direkten Verkehr des Syn-
dikats mit den Einkaufsgenossenschaften. Die Syndikatsvertreter machten
demgegenüber geltend, daß der Bedarf dieser Einkaufsgenossenschaften
zu wechselnd sei, als daß sich das Syndikat mit ihnen einlassen könnte.
Seitens einiger Händler wurde über die rigorosen Bedingungen des
Syndikats geklagt, insbesondere über den sogenannten Handelskammer-
paragraphen, der im Jahre 1900 aufgenommen wurde: „Sie verpflichten
sich, beim Weiterverkauf die Verkaufspreise so zu bemessen, daß die
Höhe des Gewinns zu ihrer Tätigkeit und zu ihrem Risiko den Um-
ständen nach in keinem Mißverhältnisse steht“, sowie über die Bestim-
mung, daß Händler, die auch von Nichtsyndikatszechen kaufen, 50 Pfg.
pro Tonne mehr bezahlen müssen. Bezüglich der letzteren Bestimmung
war die Mitteilung von Interesse, daß die königliche Bergwerksdirektion
in Saarbrücken den Händlern, die mit ihr arbeiten, überhaupt verbietet,
von anderen Zechen zu kaufen.
Frage 12 lautete: „Hat das Kartell einen Einfluß ausgeübt a) auf
die Konzentration der Betriebe durch Ausschaltung minder leistungs-
fähiger Betriebe? b) auf die Konzentration der Betriebe durch Zu-
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 41
642 Miszellen.
sammenfassen der verschiedenen Stadien des Produktionsprozesses
dienenden Betriebe in einer Hand ?“
Die Frage a) beantwortete Direktor Unckel-Essen mit nein, zu b)
gab er die Erklärung ab, daß sie für das Kohlensyndikat nicht zutreffe.
Merkwürdigerweise erhob sich dagegen in der Versammlung nicht der ge-
ringste Widerspruch und in der Märzsitzung erklärte, wohl infolge davon,
der Vorsitzende bei Verlesung der Frage b) sofort selbst, daß sie für das
Kohlensyndikat nicht passe und von vornherein ausscheide. Demgegen-
über muf ich erklüren, da( Frage b) gerade für das Kohlensyndikat und
fast ausschließlich für dasselbe paßt, und daß hier offenbar ein großes
Mißverständnis, hervorgerufen durch nicht ganz klare Fragenstellung,
vorliegt, das von der ganzen Versammlung geteilt wurde. Frage b)
bedeutet doch selbstverständlich nicht, daß das Kohlensyndikat seine
Mitglieder, die Kohlenzechen zu Kombinationen, zur „Konzentration
der Betriebe durch Zusammenfassen der verschiedenen Stadien des
Produktionsprozesses dienenden Betriebe in einer Hand“ veranlaßt hat
— das hat natürlich gar keinen Sinn, warum sollte z. B. das Walz-
drahtsyndikat die Wirkung haben, daß seine Mitglieder sich eigene
Hochöfen anlegen? — sondern sie bezieht sich auf die Abnehmer
des Kartells; die Eisenwerke werden durch die Kohlenkartelle zur
Angliederung von Zechen veranlaßt. Das ist in der Tat, worauf übrigens
auch Herr Regierungsrat Dr. Voelcker hinwies, gerade unter der Ein-
wirkung des Kohlensyndikats im rheinisch-westfälischen Industriebezirk
in großem Umfange geschehen, während bei anderen Kartellen eine
derartige Wirkung bisher noch kaum konstatiert werden konnte. Die
mir bekannt gewordenen Beispiele solcher Kombinationen von Kohlen-
und Eisenwerken in Rheinland-Westfalen sind folgende: Zeche ver.
Hannibal mit Friedr. Krupp (Mai 1899), Pluto A.-Ges. mit A.-Ges.
Schalker Gruben- und Hüttenverein (Juni 1399, besonders beachtenswert
durch die außerordentlich günstigen Erfolge), A.-Ges. Dannenbaum mit
A.-Ges. Differdingen-Dannenbaum, jetzt Deutsch-Luxemburgische Berg-
werks- und Hütten-A.-Ges. (Juni 1899), ver. Westphalia mit Eisen- und
Stahlwerk Hösch A.-Ges (März 1899), Gewerkschaft Crone mit Fentscher
Hütten-A.-Ges (Oktober 1899), Gewerkschaft General mit Lothringer
Hüttenverein, Aumetz-Friede (Januar 1900), Zentrum mit Rheinische
Stahlwerke (April 1900), ver. Karolinenglück mit Bochumer Gulßstahl-
verein (Mai 1900). Schon seit früher besitzen eigene Zechen folgende
Eisenwerke im Ruhrgebiet: Bochumer Gußstahlverein (seit 1868), Dort-
munder Union (1872), Gutehoffnungshütte, Friedr. Krupp, Hörder Berg-
werks- und Hüttenverein, Phönix, Bergbau- und Hüttenaktiengesellschaft
letzteres seit 1896 durch Ankauf der Meidericher Kohlenbergbaugesellschaft
und der Zechen Westende und Ruhr und Rhein. Ein kombiniertes
Eisen- und Kohlenwerk ist auch die Gewerkschaft Deutscher Kaiser
der Firma Thyssen.
Endlich kommen noch solehe Werke in Betracht, die, um sich vom
Kohlensyndikat unabhängig zu machen, nach Erwerbung von Kohlen-
feldern eigene Zechen angelegt haben. Es sind: Minister Achenbach
(Gebr. Stumm), Werne (Georg-Marien-Bergwerks- und Hüttenverein bei
Miszellen.' 643
Osnabrück), Zeche De Wendel bei Hamm (Firma De Wendel), Zeche
Maximilian bei Hamm (Maximilianshütte), Zeche Emscher-Lippe bei
Mengede (Friedr. Krupp und Norddeutscher Lloyd), ferner die Stein-
kohlenfelder, die die Mansfelder Kupferschieferbauende Gewerkschaft
erworben hat.
Uebrigens ist die ganze Fassung der Frage 12 recht unklar !).
Soll „Konzentration der Betriebe durch Ausschaltung minder leistungs-
fähiger Betriebe“ eine Verminderung der Zahl der Unternehmungen,
durch Zugrunde gehen einiger bedeuten, so ist der Ausdruck Kon-
zentration nicht angebracht, weil er unter b) in ganz anderem rich-
tigen Sinne gebraucht wird, ist aber dabei an eine Verschmelzung mit,
eine Angliederung an andere Zechen gedacht, so ist wieder die Be-
zeichnung Ausschaltung unzutreffend. Es handelt sich um drei
Möglichkeiten: 1) Beseitigung, Verdrängung minder leistungsfähiger Be-
triebe, 2) Konzentration, Fusionierung, Zusammenschluß von Betrieben
innerhalb des Kartells, 3) Kombination, Zusammenfassung verschiedener
Stadien des Produktionsprozesses in einer Unternehmung.
Es ist dringend zu wünschen, daß die so versäumte Erörterung
dieser wichtigen Probleme in den folgenden Sitzungen der Enquete
(etwa beim Kokssyndikat) nachgeholt wird. Denn diese Kombinationen
sind von höchster Bedeutung, einerseits für die Steigerung unserer
Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Auslande, andererseits sind sie es,
wie gesagt, die mit in erster Linie die ungünstige Lage der reinen
Weiterverarbeiter, die von kartellierten Rohstoffindustrien kaufen
müssen, verschulden. (Für das Nähere vergleiche meine demnächst im
Verlage von Gustav Fischer in Jena erscheinende Arbeit: Schutzzoll
und Kartelle.)
Schließlich möchte ich noch mit einigen Worten auf die Debatte
eingehen, die im Anschluß an Frage 13 stattfand: „Hat das Kartell
auf die Arbeiter- und Lohnverhältnisse der syndizierten Betriebe Einfluß
gehabt?“ Dazu waren folgende Unterfragen gestellt: „Hat sich das
Kartell auch eine Einwirkung auf die Arbeits- nnd Lohnverhältnisse
der in den kartellierten Betrieben beschäftigten Arbeiter zur Aufgabe
gestellt ?
Welche Vereinbarungen sind in dieser Richtung unter den kar-
tellierten Betrieben getroffen worden ?
Ist insbesondere versucht worden, die Arbeiterschaft von gewissen
Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, politischen Parteien u. s. w.)
fernzuhalten oder zum Austritt zu bestimmen ?
Welche Mittel der Einwirkung auf Arbeitnehmer sind bisher tat-
1) Zu a) wurde die Uebernahme der nicht mehr rentierenden Zeche Steingatt
durch die Bergbaugesellschaft Konkordia erwähnt, also eine Fusion zum Zwecke der
Erhöhung der Beteiligungsziffer beim Kohlensyndikat. Es ist dies aber nicht der ein-
zige derartige Fall. Ich habe schon in meiner Schrift über die Unternehmerverbände
einen anderen erwähnt, die Erwerbung der Zeche Helene durch die A.-Ges. Nordstern.
— Neuestens ist auch die Uebernahme der Zeche Bommerbänker Tiefbau durch die
Gewerkschaft Mont Cenis zu nennen. Für die Konzentrationsbewegung kommen aber
SE die zahlreichen Angliederungen noch leistungsfähiger Zechen an andere größere in
tracht.
41*
644 Miszellen.
sächlich seitens des Kartells in Anwendung gebracht worden? (Aus-
sperrung aus den kartellierten Betrieben u. s. w.)
Welche Erfahrungen sind hinsichtlich der Einwirkung auf die
Lohn- und Arbeitsverhältnisse der in kartellierten Betrieben beschäf-
tigten Personen bisher gemacht, welche Erfolge damit erzielt worden?
Sind Entschädigungen der in den kartellierten Betrieben beschäf-
tigten Personen bei Produktionseinschränkungen oder beim Auflassen
von Betrieben einzelner dem Kartell angehöriger Unternehmer vor-
gesehen ?
Wie hätten sich wahrscheinlich die Arbeiter- und Lohnverhältnisse
gestaltet, wenn das Kohlensyndikat nicht zu stande gekommen wäre?
Welchen Einfluß hätte voraussichtlich die Auflösung des Kohlen-
syndikats auf die Arbeiter- und Lohnverhältnisse
a) innerhalb der syndizierten Betriebe?
b) in den anderen Industriezweigen ?“
Wenn Frage 13 sowohl in dieser wie in der Märzsitzung zu langen
allgemeinen Debatten führte, so liegt das daran, daß man noch immer
Kartelle und Arbeitgeberverbände nicht genügend unterscheidet. Eine
gemeinsame Verabredung der Arbeitgeber über die Arbeitsbedingungen
in ihren Betrieben ist kein Kartell und es ist, wie ich schon mehrfach
hervorgehoben habe (zuletzt in diesen Jahrbüchern, Bd. 24), irre-
führend, auch solche in den Begriff Kartelle einzubeziehen. Daß die
Kartelle keinen direkten Einfluß auf die Arbeiterverhältnisse ihrer Mit-
glieder nehmen, ist klar (indirekt können sie einen günstigen Einfluß
haben, nämlich den größerer Stetigkeit der Beschäftigung und eventuell
einer Erhöhung der Löhne). Wohl aber können natürlich die Mitglieder
eines Kartells auch an einem Arbeitgeberverband beteiligt sein; das ist
aber etwas, was mit dem Kartell gar nicht zusammenhängt, und wenn
es z. B. im rheinisch-westfälischen Kohlenbergbau zu Arbeitsstreitig-
keiten kommen sollte und die Unternchmer es für notwendig erachten,
einen Arbeitgeberverband gegen die Koalition der Arbeiter zu bilden,
so werden demselben jedenfalls nicht nur die Mitglieder des Syndikats
beitreten, sondern auch die außerhalb desselben bestehenden Zechen.
Beide Vereinigungen haben an sich nichts miteinander zu tun. Denkbar
ist freilich, daß wenn in einem Industriezweige ein festes Kartell besteht,
und es kommt zu Arbeitsstreitigkeiten, daß sich dann die Bildung eines
Arbeitgeberverbandes im Anschluß an das Kartell vollzieht, ebenso wie
sie oft im Anschluß an einen Fachverein entstehen, der sonst nur die
allgemeinen Interessen der betreffenden Industrie, z. B. in der Zollfrage
vertritt. So lange aber das nicht der Fall ist — und es ist bei den
meisten deutschen Kartellen nicht der Fall — stehen Kartell und Arbeit-
geberverband in keiner Beziehung.
Wenn man also die direkte Beeinflussung der Arbeitgeberverhältnisse
durch Unternehmerkoalitionen untersuchen will — und das ist zweifel-
los eine höchst interessante und wichtige Frage — so wird man dafür
eine besondere Enquete veranstalten müssen, bei welcher nicht das
Kartell gewisser Produzenten, sondern der Arbeitgeberverband bestimmter
Industrien oder eines bestimmten Ortes einzuladen sein wird — denn
Miszellen. 645
sehr häufig beschränken sich diese Verbände nicht auf die Unternehmer
einer gewissen Industrie, sondern sind lokal organisiert und umfassen
die Arbeitgeber verschiedener Gewerbe. Ob heute Veranlassung zu
einer solchen Enquete, wie sie auch von den Herren Prof. Schmoller
und Prof. Francke empfohlen wurde, vorhanden ist und ob sie sich an
die gegenwärtigen Verhandlungen anschließen sollte, das zu beurteilen,
kann man der Regierung überlassen. Für die gegenwärtige Enquete
kommt also hauptsáchlich nur die Frage in Betracht, ob bei Produktions-
einschránkungen oder -einstellungen den Arbeitern Entschädigungen ge-
zahlt worden sind, und eventuell die Frage nach den Wirkungen einer
Auflósung des Kartells für die Arbeiter.
IL.
In der zweiten Tagung am 26. und 27. März wurden die Verhand-
lungen über das rheinisch-westfälische Kohlensyndikat fortgesetzt und
die Besprechung der oberschlesischen Kohlenkonvention damit verbunden.
Es waren außer den Vertretern der beiden Kartelle eine große Anzahl
beteiligter Personen, namentlich Händler und Leiter landwirtschaftlicher
Genossenschaften, außerdem Angehörige verschiedener Erwerbszweige,
deren Beziehungen zum Kohlenbergbau das letzte Mal nicht erörtert
worden waren, endlich Vertreter städtischer Gas- und Wasserwerke er-
schienen. Der Referent Regierungsrat Dr. Völcker berichtete über die
Organisation der oberschlesischen Kohlenkonvention, und um dieselbe
und ihre Verschiedenheit gegenüber dem Kohlensyndikat drehten sich
zunächst die Verhandlungen. Es trat deutlich zu Tage, von welch
außerordentlicher Bedeutung die Organisation eines Kartells (hier nur
lose Preis- und Produktionsvereinbarung) auf die Wirkungen desselben
ist. Insbesondere die Stellung zu den Händlern und zu den Konsumenten
ist bei der oberschlesischen Kohlenkonvention, da die Werke stets direkt
mit allen Käufern in Beziehung treten, eine ganz andere als bei dem west-
fälischen Kartell. Die Besprechung ging dann auf die Preisfestsetzungen
der letzten Jahre über mit eingehenden Erörterungen, ob dieselben nach
dem Eintritt der Krisis hätten ermäßigt werden sollen. Hierbei kam
es zu langen Auseinandersetzungen über die Zulässigkeit der Mitteilungen
eines Breslauer Stadtrats, der aus den Steuerlisten Angaben über die
Einkommenssteigerung Breslauer Kohlenhändler gemacht hatte. Ich will
auf die Sache selbst nicht näher eingehen — der Redner hatte seine
Angaben als vertraulich bezeichnet, und sie sind im Protokoll weg-
gelassen, aber die nicht unterdrückten Ausführungen der folgenden
Redner nehmen fortwährend darauf Bezug — sondern nur einige Be-
merkungen über Fehler in der Organisation der Enquete daran knüpfen,
die meines Erachtens dabei zu Tage getreten sind.
Ausgehen will ich dabei von der Erklärung, die der Referent in
der an die Mitteilungen des Breslauer Stadtrats sich anknüpfenden
Diskussion machte. Herr Regierungsrat Dr. Voelcker betonte, daß „die
Reichsverwaltung von Anfang an den größten Wert darauf gelegt hat,
daß alles, was hier vorgebracht wird, durch Beweismaterial belegt wird“,
und wandte sich gegen eine Bemerkung in meinem Aufsatz in diesen
646 Miszelllen.
Jahrbüchern, die sich auf seine diesbezüglichen Ausführungen in der
Vorbesprechung bezog. Er hatte dort behauptet: ,,Der Fragestellung liegt
die Tendenz zu Grunde, nur Auskunft über solche Tatsachen zu erhalten,
welche entweder ziffernmäßig oder durch schriftliche Unterlagen, wie
Verkaufsbedingungen, Korrespondenzen, Sperrlisten u. s. w. belegt werden
können.“ Demgegenüber hatte ich gesagt: „Wenn das wirklich durch-
geführt werden würde, wenn man also gewissermallen nur den Urkunden-
beweis zulassen wollte, tüte man am besten, die ganze Enquete fallen
zu lassen.“ „Eine Enquete hat einen anderen Zweck, als schriftliches
Material zu sammeln. Es kann nicht genug betont werden, daß es
darauf ankommt, die Wirkungen der Kartelle festzustellen, für die
zumeist keine schriftlichen Belege vorhanden sind, sondern über welche
die beteiligten Personen selbst vernommen werden müssen.^ Wenn nun
bei Gelegenheit der erwühnten Diskussion Herr Regierungsrat Dr. Voelcker
es wiederum für notwendig erklärt, daß alles, was bei den Verhand-
lungen behauptet wird, auch bewiesen werden kann, so scheint er
mir den Charakter der wirtschaftlichen Probleme, die klargelegt werden
sollen, zu verkennen, die Aufgabe sozusagen nur vom juristischen Stand-
punkt aus aufzufassen, und ich sehe mich genótigt, meine Ansicht noch
einmal deutlicher zu erlàutern. Denn das, worauf es ankommt: die
Wirkungen der Kartelle zu untersuchen, das läßt sich durch schrift-
liche Unterlagen und Material nicht erreichen. Die Wirkungen der
Kartelle, die Frage, inwieweit und wann sie schädlich oder nützlich ge-
wesen sind, läßt sich, wie die meisten volkswirtschaftlichen Fragen über-
haupt nicht „beweisen“. Das dürfte doch gerade der Gegenstand der
Diskussion zur Genüge gezeigt haben. Da wurden Tatsachen vor-
gebracht, die Einkommenssteigerung Breslauer Kohlenhändler — wieviel
sie betrug, ist hier gleichgültig — und diese Tatsachen beruhen sogar auf
Urkundenmaterial, wie Deklarationen und Steuerzettel es sind, also alles ist
vorhanden, worauf der Referent seine Enquete aufbauen will, und doch ist
mit diesen Tatsachen und diesem Material nichts anzufangen; denn, wie
Herr Generalsekretär Dr. Beumer sich drastisch ausdrückte: „da kann
einem von diesen Kohlen- oder Zementhändlern außer den gewöhnlichen
Einnahmen, die er hat, eine reiche Schwiegermutter gestorben sein, oder er
hat aus sonstiger gewinnbringender Beschäftigung, etwa aus literarischer
Beschäftigung (!) einen Gewinn gehabt.“ Jene Angaben beweisen also
nichts für die Wirkungen der Kartelle. Daraus dürfte wohl klar hervor-
gehen, daß mit der Beschränkung auf Material und Tatsachen nichts
anzufangen ist, und es würde den Erfolg der ganzen Enquete in Frage
stellen, wenn dieser jetzt hoffentlich aufgegebene Standpunkt von den
übrigen Mitgliedern der Verhandlungen geteilt würde, was aber glück-
licherweise nicht der Fall ist. Ich kann nur nochmals betonen, die Ver-
handlungen sollen Ansichten und Urteile und zwar möglichst sachver-
ständiger Personen herbeibringen, und eine Beschränkung auf Anführung
von Tatsachen und Material steht mit dem Wesen kontradiktorischer
Verhandlungen in Widerspruch.
Aber selbstverständlich darf die Sammlung von Tatsachen und
Material nicht vernachlässigt werden; sie ist gerade die Aufgabe des
Miszellen. 647
Referenten und der die Enquete leitenden Behörde. Ich habe schon
mehrmals auf die Wichtigkeit hingewiesen, daß neben der Enquete im
größten Umfang Material gesammelt wird. Aber das sollte nicht in
der Enquete, durch die Verhandlungen, sondern vor der Enquete ge-
schehen. Daß dies bei den leitenden Stellen noch nicht genügend be-
rücksichtigt wird, wird durch den erwähnten Zwischenfall bewiesen;
denn er verdankt dem seine Entstehung. Der Breslauer Magistrat,
hätte, wenn er der Meinung ist, daß die Einkommenssteigerungen dortiger
Kohlenhändler etwas für die Beurteilung der Kartellfrage bedeuten,
sein Material vorher der Regierung zur Verfügung stellen sollen, und
diese hätte dasselbe vertraulich zu behandeln gehabt, da es bestimmte
Personen betraf, oder unter Weglassung des Ortes es so mitgeteilt, daß
man die Personen nicht hätte erkennen können.
Daß das nicht so geschah, daran trägt aber nicht der Breslauer
Magistrat die Schuld, und es ist deshalb ganz verkehrt, seinem Ver-
treter vorzuwerfen, daß seine Angaben unzulässig seien, sondern es
beruht auf einem oder eigentlich zwei Organisationsfehlern der Enquete,
nämlich teils auf dem Mangel einer Trennung der Materialsammlung
und der kontradiktorischen Verhandlungen, wobei die erstere den letzteren
vorauszugehen hat, teils auf der Unklarheit, die über den óffentlichen
oder nicht óffentlichen Charakter der Verhandlungen besteht.
Ersteres ist der Hauptfehler. Die mit der Untersuchung beauf-
tragte Behörde hätte durch Umfrage bei allen möglichen Personen zu
versuchen, sich Material über das Kartell, das später besprochen werden
soll, zu verschaffen, sie hätte dann aus diesem Material das, was nicht
als vertraulich bezeichnet ist, zu veröffentlichen oder es wenigstens den
Teilnehmern vor den mündlichen Verhandlungen mitzuteilen. Erst
wenn dieselben so genügend vorbereitet sind, sollen diese sach-
verständigen Personen der verschiedenen Berufszweige zu den Verhand-
lungen eingeladen werden, und diese haben dann, das sei nochmals
betont, nicht mehr der Materialsammlung zu dienen, wobei natürlich
nicht ausgeschlossen ist, daß solches noch beigebracht wird, sondern
sie sollen Urteile und Ansichten der verschiedenen Personen
bringen, diese sollen in gemeinsamer Aussprache einander gegenüber-
gestellt werden und es soll versucht werden, ob man darauf hin zu
einem einheitlichen Urteil über das Kartell gelangen kann.
Also zeitliche und örtliche Trennung des Materialsammelns von den
Verhandlungen! Ersteres ist Aufgabe der Behörde, deren Referent in
der Versammlung ein Resumee des Tatsachenmaterials zu geben hätte,
wie Regierungsrat Dr. Voelcker es bei Eröffnung der Verhandlungen über
das Kohlensyndikat getan hat. Trennt man in dieser Weise, so ist
der zweite Fehler der bisherigen Enquete eo ipso vermieden, denn
dann wird jeder Teilnehmer von selbst nur das mitteilen, was veröffent-
licht werden kann, und der Breslauer Magistrat hätte seine Angaben
nicht in den Verhandlungen, sondern schriftlich der Regierung gemacht.
Die bisherige Anordnung, wonach die Verhandlungen im allgemeinen
öffentlich sein, bezw. veröffentlicht werden sollen, jeder Teilnehmer
aber seine Aussage als vertraulich bezeichnen und von der Veröffent-
648 Miszellen.
lichung ausschließen kann, war eine Halbheit. Denn erstens kann man
es kaum mehr als vertraulich bezeichnen, wenn vor 70 Personen Mit-
teilungen gemacht werden, die unter Umständen einige der Anwesenden
betreffen — denn daß sich auch Angaben auf Anwesende beziehen
und es unter Umständen leicht möglich ist, die betreffenden Persön-
lichkeiten herauszufinden, wird sich bei dem Gegenstand der Verhand-
lungen nicht immer vermeiden lassen; — zweitens aber kann wohl die
als vertraulich bezeichnete Mitteilung aus dem Protokoll weggelassen
werden, nicht aber die ganze Erörterung über dieselbe. Demgegenüber
gibt es nur ein Mittel: die vorgeschlagene Trennung der Material-
sammlung von den Verhandlungen, sorgfältige Vorbereitung der letzteren
durch die ersteren seitens der Behörde und vollständige Oeffent-
lichkeit bezw. Veröffentlichung der Verhandlungen, wodurch alles als
vertraulich Bezeichnete aus denselben von selbst fern bleibt und
höchstens in die Materialsammlung, d. h. also zur entsprechender Ver-
wendung der Regierung kommt. Es wäre im Interesse der erfolgreichen
Weiterführung der gesamten Enquete, und um zu verhindern, daß solche
Zwischenfälle die Beteiligten in Zukunft übermäßig zurückhaltend machen,
erwünscht, wenn sich die Regierung bald zu einem derartigen Vor-
gehen entschlösse.
Im weiteren Verlaufe der Verhandlungen und am folgenden Tage
wurden unter Frage 10 (s. oben) die Wirkungen der Kohlenkartelle
insbesondere des Kohlensyndikats auf die Landwirtschaft be-
sprochen. Es waren mehrere Vertreter von Landwirtschaftskammern
und landwirtschaftlichen Genossenschaften, sowie Landesökonomieräte
zur Stelle. Dieselben klagten vielfach über die hohen Preise der Kar-
telle, vor allem aber darüber, daß das Kohlensyndikat und seine Ver-
kaufsabteilungen nicht direkt mit den landwirtschaftlichen Einkaufs-
genossenschaften in Verkehr treten, bezw. denselben nicht die gleichen
Rabatte geben wolle wie den Händlern, und daß auch die letzteren
oft, insbesondere während der Hochkonjunktur, die Konsumenten
schlecht und zu übermäßig hohen Preisen versorgt hätten. Ich kann
auf Einzelheiten der interessanten Debatte hier nicht eingehen, und
möchte nur betonen, daß ich aus den Verhandlungen den Eindruck ge-
wonnen habe — und das wurde auch von dem Leiter der oberschlesischen
Kohlenkonvention anerkannt — daß das Syndikat wohl die größeren
Genossenschaften mehr berücksichtigen könne. Allerdings müssen die-
selben regelmäßig die bestellten Quantitäten auch übernehmen — die Stetig-
keit des Absatzes ist für das Kartell das Wichtigste — und das wird
kleineren Genossenschaften wegen zu geringen Kapitals vielfach nicht
möglich sein. Es ist aber zu hoffen, daß bei gegenseitigem Entgegen-
kommen die bisherigen Schwierigkeiten, die das Syndikat zu einer gar
zu schroffen Ablehnung des Verkehrs mit großen Genossenschaften und
Konsumvereinen veranlaßten, überwunden werden können.
Bei der dann folgenden Besprechung des Einflusses der Kohlen-
kartelle auf die Maschinenindustrie wurden sehr eingehende Aus-
führungen gemacht seitens der Herrn Kommerzienräte Claus (Thale a. H.)
und Caro (Gleiwitz), beides Leiter großer Eisenwerke, die ihren Kohlen-
Miszellen, 649
bedarf nicht selbst produzieren, sondern kaufen müssen. Namentlich der
Erstere tadelte die auf Hochhaltung der Preise gerichtete Politik des
Kohlensyndikats, während der Letztere in interessanter Weise die Ver-
hältnisse und Bestrebungen eines auf den Kohlenbezug angewiesenen
Eisenwerks schilderte. Aus seinen Ausführungen und denen der folgen-
den Redner scheint mir aber hervorzugehen, daß es, wie schon bei der
Besprechung der ersten Sitzung betont, in erster Linie nicht die hohen
Kohlenpreise sind, welche die ungünstige Lage der reinen Weiter-
verarbeiter verschulden, sondern die eigene Konkurrenz und insbesondere
auch die der kombinierten Werke, die das Haupthindernis zur Bildung
eines Kartells sind. Weniger unzufrieden mit den Wirkungen der
Kohlenkartelle zeigte sich der Vertreter des Schiffsbaues Kommerzien-
rat Stahl (Stettiner Vulkan). Ich entnehme daraus und aus den An-
gaben, die z. B. über die Bismarckhütte gemacht wurden, daß die von
mir an anderem Orte ausgesprochene Ansicht richtig ist, wonach eine
weitergehende Spezialisation als eines der wichtigsten Mittel betrachtet
werden mul, um die reinen Eisenwerke lebensfühig zu erhalten.
In den Verhandlungen über die Einwirkung der Kohlenkartelle
auf die Textilindustrie wurde ebenfalls über die zu hohen Preise Klage
geführt. Bemerkenswert war auch die Erklärung des Generaldirektors
Marwitz (Dresden), daß die Geheimnistuerei der Syndikate einen großen
Teil der Schuld an der Kohlenangst der Konsumenten im Jahre 1900
gehabt habe. „Wenn damals die Konsumenten die Bestimmungen des
Kartells so gekannt haben würden, wie es heute der Fall ist, dann
würde eine große Beruhigung eingetreten sein.“
Nachdem der Direktor des Norddeutschen Lloyd, Bremermann, als
Vertreter der Reederei die größere Unabhängigkeit dargelegt hatte, in
der sich die großen Schiffahrtsgesellschaften infolge der Möglichkeit,
fremde Kohle zu beziehen, befinden (übrigens hat der Lloyd in Gemein-
schaft mit der Firma Krupp eine eigene Zeche erworben, um sich vom
Kohlensyndikat unabhängig zu machen und ein gleichmäliges Brenn-
material zu erhalten), gab die Besprechung des Einflusses der Kartelle
auf den Handel und der Stellung desselben den Konsumenten gegenüber,
ebenso wie bei der ersten Tagung, wieder zu sehr interessanten Debatten
Anlaß. Insbesondere wurden die Verhältnisse im Jahre 1900 besprochen,
wo zahlreiche Personen aus allen möglichen Erwerbsklassen einen wilden
Kohlenhandel etablierten und damit die Kohlennot außerordentlich
steigerten. Es wurde demgegenüber für den regulären Zwischenhandel
die Notwendigkeit betont, sich ebenfalls zusammenzuschließen. Dagegen
wurde die höchst wichtige Frage des Verhältnisses zwischen dem Kohlen-
syndikat und den Händlern, sowie der Stellung der Verkaufsabteilungen
desselben nicht genügend geklärt (vergl. die Angaben des Herrn Voss-
Magdeburg). Es wäre sehr erwünscht, wenn die Regierung hier weiteres
Material sammeln würde. Das ganze Problem ist eins der wichtigsten
für die Verbesserung des Kartellwesens. Denn es erscheint sehr zweifel-
haft, ob es für die Gesamtheit vorteilhaft ist, wenn die Syndikate den
selbständigen Händlerstand ausschalten oder zu sehr beschränken. Es
ist wahrscheinlicher, was ich einmal in diesen Jahrbüchern ausführte
650 Miszellen.
(Bd. 24, S. 814) und was auch in den Verhandlungen bestätigt wurde,
daß in Zukunft der Händler „für das große Publikum jenen Machtfaktor
gegen die Kartelle bilden muß, zu dem sich dasselbe nicht selbst
organisieren kann“.
In der dann folgenden allgemeinen Erörterung zu Frage 10 und 11
suchte Herr Oberbergrat Wachler nachzuweisen, daß von einem Mil-
brauch ihrer Macht durch die Kartelle keine Rede sein könne und ge-
setzliches Eingreifen daher nicht in Frage komme. Dagegen wandte sich
Professor Schmoller, der mit Recht betonte, daß man jetzt noch kein
Urteil abgeben könnte, dann aber doch die Frage aufwarf, ob nicht
eine Gesetzgebung notwendig sei, um „die Gesamtinteressen der übrigen
deutschen Industrien und der deutschen Nation zu einem etwas stärkeren
Ausdruck in diesen großen Gebilden zu bringen“. Die Frage wurde
nicht weiter verfolgt, da dies, wie der Vorsitzende bemerkte, nicht zu
den Aufgaben der Enquete gehört.
Bei Frage 12b (Anregung zur Bildung von Kombinationsunter-
nehmungen) machte der Vorsitzende seine oben beanstandete falsche
Auffassung geltend und verhinderte mit der Erklärung, daß dieselbe
nicht für das Kohlensyndikat passe, eine Besprechung der sehr inter-
essanten Probleme, die bei einer klareren Fragestellung hier hätten er-
örtert werden müssen. Was übrigens die oberschlesische Kohlenkonvention
betrifft, hat sie nicht, wie das Kohlensyndikat, die Angliederung von
Kohlenzechen durch Hüttenwerke gefördert, weil die großen Hütten
Oberschlesiens schon vorher, die meisten seit ihrer Gründung, eigene
Zechen im Besitz gehabt haben !).
Auf die Frage 13 nach dem Einfluß der Kartelle auf die Arbeiter
bin ich schon oben bei Besprechung der ersten Sitzung eingegangen.
Zu Frage 14: Einfluß des Kartells auf die Qualität und die Herstellungs-
kosten der Erzeugnisse wurde nichts Bemerkenswertes vorgebracht. —
Wenn ich mir zum Schluß noch ein allgemeines Urteil über die
bisherigen Verhandlungen erlauben darf, möchte ich sie im ganzen als
sehr gelungen und erfolgreich bezeichnen. Auch ich hatte ursprünglich
1) Soweit mir bekannt, stellen folgende oberschlesische Unternehmungen eine
Kombination von Kohlen- und Metallindustrie dar: Bergwerksgesellschaft „Georg von
Giesches Erben“ (Kohle, Zink und Blei); Vereinigte Königs- und Laurahütte (Kohle
und Eisen); Fürstlich Guido Henckel-Donnersmarcksche Bergwerke und Hütten (Kohle
und Eisen); Fürstlich Hohenlohesche Montanwerke (Kohle, Zink und Blei); Gräflich
Schaffgotschsche Werke (Kohle, Eisenerz, Zink); Kattowitzer Aktiengesellschaft für
Bergbau und Eisenhüttenbetrieb (Kohle und Eisen); Donnersmarckhütte, Obersehlesische
Eisen- und Kohlenwerke A.-G. (Kohle, Eisenerz, Eisen); Berg- und Hüttenwerke der
Grafen Hugo, Lazy, Arthur Henckel von Donnersmarek (Kohle, Zink, Eisen); Borsig-
sche Berg- und Hüttenwerke (Kohle, Eisen); Oberschlesische Eisenbahnbedarfs-Aktien-
gesellschaft (Eisen und Beteiligung an Kohlenzechen); Schlesische A.-G. für Bergbau-
und Zinkhüttenbetrieb (Kohle und Zink). Alle 11 Unternehmungen gehören der Ober-
schlesischen Kohlenkonvention an, die also nur 4 reine Kohlenwerke und 2 große
Handelsfirmen umfaßt. Uebrigens besitzt auch der preußische Fiskus sowohl Kohlen-
als Eisenwerke. Die enge Verbindung, die in Oberschlesien zwischen der Kohlen- und
Eisenindustrie besteht, zeigt sich auch darin, daß der Vorstand der Kohlenkonvention,
Generaldirektor Williger von der Kattowitzer Gesellschaft, gleichzeitig auch Vorstand
des Eisenkartells ist.
Miszellen. 651
zu denen gehört, die angesichts der bisherigen Geheimnistuerei der
deutschen Kartelle es für notwendig erachteten, die Enquete auf einen
festen Boden zu stellen und eine Art Mitteilungszwang, aber nur der
Regierung gegenüber, einzuführen. Die bisherigen Verhandlungen dürften
indessen gezeigt haben, daß dies nicht notwendig war, daß vielmehr die
jetzige Form der Enquete, die einer gegenseitigen Aussprache der ver-
schiedenen von der Regierung berufenen Industriellen und Sachverständigen,
die zweckmäßigste war. Ob sie es auch für alle später zu besprechenden
Kartelle sein wird, wird davon abhängen, ob diese dem von den beiden
Kohlenkartellen gegebenen guten Beispiele folgen und ihre Verhältnisse
offen darlegen werden. Daß das geschieht, dazu kann natürlich die
Regierung viel beitragen, indem sie möglichst sachverständige und un-
abhängige Personen aus den verschiedenen Interessengruppen beruft,
und auch die sorgfältige Vorbereitung der mündlichen Verhandlungen
und Mitteilung des gesammelten Materials an die Teilnehmer wird den
Erfolg der Enquete sicherer stellen. Es ist bekannt, daß das Kohlen-
svndikat auch bisher dasjenige Kartell war, welches in der Veröffentlichung
seiner Angelegenheiten am wenigsten zurückhaltend war (ganz anders
verhält es sich schon mit dem Kokssyndikat, auf das sich die nächsten
Verhandlungen beziehen werden), und es kann nicht verkannt werden:
wenn die Verhandlungen bisher so erfolgreich gewesen sind, so gebührt
das Hauptverdienst daran den Kartellmitgliedern, die auf alle Fragen
offen und ausführlich Auskunft gegeben haben. Ein Verdienst daran
hat aber auch das Reichsamt des Innern, welches hervorragende Ver-
treter der verschiedenen Berufszweige ausgewählt hat. Denn den Ein-
druck wird jeder haben, der die Verhandlungen liest — und ich möchte
nicht unterlassen, noch besonders darauf hinzuweisen — die Berichte
so vieler sachkundiger Personen enthalten weit über die eigentliche
Kartellfrage hinaus eine ausgezeichnete Darstellung unserer gegenwärtigen
wirtschaftlichen Verhältnisse. Denn der Gegenstand mit seinen so
außerordentlich vielseitigen Wirkungen bringt es mit sich, daß nicht
nur die Kartelle selbst behandelt werden, sondern in Wahrheit die ganze
heutige großindustrielle Organisation. Ich kenne in der Tat kein Buch,
das uns einen besseren und lebendigeren Einblick in das Wirken und
die Organisation einer modernen Großindustrie gewährt, als diese Ver-
handlungen, und deshalb kann die Lektüre derselben allen, die das
wirtschaftliche Leben der Gegenwart verfolgen, angelegentlich empfohlen
werden.
652 Miszellen.
Nachdruck verboten.
XII.
Die deutschen Kleinbahnen im Jahre 1901.
Von Kurt Wiedenfeld.
Auf Anregung und mit Unterstützung des preußischen Ministers
der öffentlichen Arbeiten hat der Verein deutscher Straßenbahn- und
Kleinbahnverwaltungen (Vorort: Hamburg) im Jahre 1901 zum ersten-
mal den Versuch gemacht, eine Verkehrs- und Finanzstatistik für die
deutschen Kleinbahnen aufzustellen ; das Ergebnis ist in der Zeitschrift
für Kleinbahnen, Septemberheft 1901, veröffentlicht und im folgenden
Heft kurz zusammengefaßt worden. Es versteht sich von selbst, daß
ein solcher erster Versuch noch starke Ungleichmäligkeiten und Lücken
aufzuweisen hatte, zumal er für die außerpreußischen Bahnen vollstän-
dig vom freien Willen der privaten Bahnverwaltungen abhing, wie
auch innerhalb Preußens ein direktes Zwangsmittel nicht gegeben war.
Immerhin war doch das Ergebnis insoweit befriedigend, daß eine Fort-
setzung und Erweiterung dieser Aufnahme ins Auge gefaßt werden
konnte; und in der Tat haben die weitaus meisten Kleinbahnverwal-
tungen Deutschlands sich der nicht geringen Mühe bereitwillig unter-
zogen, das erweiterte Fragenformular auszufüllen. Der zweite Jahrgang
der deutschen Kleinbahnstatistik liegt jetzt vor; er ist in seinen Ta-
bellen als Ergänzungsheft der Zeitschrift für Kleinbahnen, Jahrgang
1903, veröffentlicht und im Februarheft zu einem Gesamtbild verar-
beitet worden. Die Einzelangaben sind diesmal wesentlich vollständiger
und gleichmäßiger ausgefallen als bei dem ersten Versuch; die Bahnen,
die eine Beteiligung abgelehnt haben, sind sowohl jede für sich als
auch in ihrer Gesamtheit nur von ganz geringer Bedeutung, und auch
die Lücken bei den beteiligten Unternehmungen vermögen den Wert
der Statistik nur wenig zu beeinträchtigen; nur einige neu eingestellte
Fragen haben noch im ganzen eine Beantwortung erfahren, die es ver-
bietet, daraus einen Schluß auf die Gesamtheit der Bahnen zu ziehen.
Eine wertvolle Ergänzung zu dieser Leistungsstatistik des Straßen-
und Kleinbahnvereins bildet die amtliche Nachweisung über die in
Preußen konzessionierten Kleinbahnen, die alljährlich dem Landtage
vorzulegen ist und diesmal in demselben Ergänzungsheft der Zeitschrift
für Kleinbahnen sich abgedruckt findet, während im Januarheft eine
zusammenfassende, zu erheblichem Teil jedoch auch neues bietende
Darstellung Platz gefunden hat. Ist die Vereinsstatistik auf das Erfassen
der Betriebsleistungen und der Finanzergebnisse abgestellt, so will die
amtliche Nachweisung mehr die rechtlichen und technischen Grundlagen
sowie die Kapitalverhältnisse zur Feststellung bringen, ist also eine
Bestandsstatistik; sie unterscheidet sich aber im Gegenstand ihrer Auf-
nahmen von der Vereinsstatistik dadurch, daß sie auch die nur schon
Miszellen. 653
konzessionierten, wenngleich noch nicht im Betriebe befindlichen Bahnen
umfaßt.
Das ist jedoch ein Unterschied, der nicht viel besagen will, der
jedenfalls dem Wunsch nach einer Ausdehnung dieser preußischen Be-
standsstatistik auf die außerpreußischen Unternehmungen seine Berech-
tigung nicht nimmt. Denn erst wenn dieser Wunsch im wesentlichen
erfüllt ist, dann kann daran gedacht werden, die beiden Aufnahmen
zu einer statistischen Einheit auch im Tabellenwerk zu vereinen; die
Vorbereitungen sind bereits im Gange. —
Zu den einzelnen Positionen der Statistik ist zu bemerken:
Eine jede Kleinbahnenstatistik leidet von vornherein und unver-
meidlich unter dem Mißstand, daß der Begriff der zu erfassenden
Bahnenart in den verschiedenen Bundesstaaten nicht einheitlich auf-
gestellt ist und daß die Einordnung der verschiedenen Unternehmungen,
entsprechend der schwankenden Natur der dafür maßgebenden Gesichts-
punkte, nicht nach unverrückbaren Grundsätzen erfolgen kann, vielmehr
der freien Entschließung der Behörden notwendig einen weiten Spiel-
raum läßt. Hier ist die preußische Einteilung, wie sie im Gesetz vom
28. Juli 1892 und in der Ausführungsanweisung vom 13. August 1898 aus-
gesprochen ist, zur Grundlage genommen worden: als Kleinbahnen werden
charakterisiert „die dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen, welche
wegen ihrer geringen Bedeutung für den allgemeinen Eisenbahnverkehr
dem Eisenbahngesetz vom 3. November 1838 nicht unterliegen“, ins-
besondere solche Bahnen, „welche hauptsächlich den örtlichen Verkehr
innerhalb eines Gemeindebezirks oder benachbarter Gemeindebezirke
vermitteln, sowie Bahnen, welche nicht mit Lokomotiven betrieben
werden“; diese Bahnen zerfallen wieder in Straßenbahnen — entspre-
chend dem landläufigen Begriff — und in nebenbahnähnliche Klein-
bahnen, d. h. Kleinbahnen, „welche den Personen- und Güterverkehr
von Ort zu Ort vermitteln und sich nach ihrer Ausdehnung Anlage
und Einrichtung der Bedeutung der nach dem Eisenbahngesetz von
1838 konzesssionierten Nebeneisenbahnen nähern“. Eine ähnliche Ein-
teilung besteht in Baden und Oldenburg. Dagegen haben, die übrigen
Bundesstaaten, so namentlich Bayern, Sachsen, Württemberg und Hessen,
ihre „Lokal- und Vizinalbahnen*, ihre „Schmalspurbahnen“ selbst dann
als Nebeneisenbahnen im Sinne der Reichsnebenbahnordnung klassifiziert,
wenn sie zwar über den Bereich eines Orts hinausgehen, sich aber
doch der Bedeutung städtischer Straßenbahnen nähern; aus diesen Staaten
sind daher nur solche Linien, die außerhalb der Statistik des Reichs-
eisenbahnamts geblieben sind, zu der Kleinbahnstatistik herangezogen
worden, d. h. vorwiegend Straßen- und Spezialbahnen, so daß nament-
lich das Netz der nebenbahnähnlichen Kleinbahnen hier im Verhältnis
zu Preußen als zu klein erscheint.
Die Berichtszeit ist ziemlich einheitlich das Kalenderjahr 1901
oder doch das Geschäftsjahr, dessen größerer Teil in dieses Kalender-
jahr fällt, meist die Zeit vom 1. April 1901 bis 31. März 1902. Doch
1. Juli 1901 1. Oktober 1900
: 30. Juni 1902 "30, Septbr. 1901
vereinzelt noch andere Berichtszeiten vor.
kommen auch die Perioden sowie
654 Miszellen.
Bei der Erfragung der Betriebsleistungen hat mangels jeg-
licher Grundlage darauf verzichtet werden müssen, für die Straben-
bahnen die ihnen am besten angepalten Platzkilometer festzustellen; es
mußte bei der Zählung der Wagenkilometer verbleiben, obwohl natür-
lich die Fahrt eines großen vierachsigen Motorwagens eine wesentlich
andere Leistung als die eines zweiachsigen Pferdewagens bedeutet.
Ebenso ist es nicht gelungen, für die nebenbahnähnlichen Kleinbahnen
die Personen- und Gütertonnenkilometer in genügender Vollständigkeit
zu erfassen; man mußte sich vielmehr mit der Aufnahme der Wagen-
achskilometer sowie der Zahl der beförderten Personen und des Gewichts
der beförderten Güter begnügen.
Besondere Aufmerksamkeit ist der Erfragung der Finanzergeb-
nisse gewidmet worden. Die Einnahmen werden getrennt nach Be-
triebseinnahmen aus dem Personen- und dem Güterverkehr und Ein-
nahmen sonstiger Quellen; bei den Ausgaben sind die Betriebsausgaben
von den Wohlfahrtsausgaben und Steuern gesondert; beide Gesamt-
summen sind bei den nebenbahnähnlichen Kleinbahnen noch auf die Ein-
heiten der Länge, der Betriebs- und der Beförderungsleistungen reduziert
worden. Ferner sind die vertraglich festgelegten Zuschüsse Dritter, so-
wie die für die einzelnen Rücklagefonds berechneten Betrüge, der Schulden-
dienst, die Gewinnbeteiligung Dritter, die Dividenden und Tantiemen
sowie der Gewiunvortrag je besonders aufgeführt.
Dagegen ist der Versuch, das werbende Kapital zu erfassen,
vorlàufig gescheitert; aber im wesentlichen nur dank der nicht alle
Zweifel ausschließenden Formulierung der entsprechenden Fragen. Das
Anlagekapital der preußischen Bahnen wird in der amtlichen Nach-
weisung notiert, wie diese auch die Belastung der Provinzen und Kreise
diesmal festgestellt hat.
Den Beschlufi macht eine Statistik der im Fahrbetriebe vor-
gekommenen Unfälle. Dabei sind als „getötet“ auch solche Per-
sonen aufgeführt, die innerhalb 72 Stunden nach dem Unfall an dessen
Folgen gestorben sind; als „schwere“ Verletzungen gelten Gehirner-
schütterungen, innere Verletzungen, mit mehr als 3-wóchigem Bettlager
verbundene Quetschungen, Knochenbrüche und Verrenkungen sowie
der Verlust von Kórpergliedern. —
Von den Ergebnissen der Statistik seien die wichtigsten Daten
noch kurz mitgeteilt:
Die Länge der Straßenbahnen betrug am Ende des Berichts
jahres 3006 km gegenüber 2746 km im Vorjahr, was eine Zunahme
von 260 km — 9,5 Proz. bedeutet; in Preußen allein hat sich die Aus-
dehnung von 1946 auf 2119 km, d. h. um 173 km — 9,0 Proz. gehoben;
nur 12 Stüdte von mehr als 30000 Einwohnern sind jetzt noch ohne
eine Straßenbahn. Die nebenbahnähnlichen Kleinbahnen haben sich in
Deutschland von 4965 auf 5711 km, d. h. um 746 km — 15,0 Proz,
in Preußen von 4728 auf 5429 km, d. h. um 701 km — 14,8 Proz.
vermehrt.
Diese Zunahme bedeutet trotz ihrer Höhe bereits eine Verlang-
samung des Kleinbahnenbaues. Nach den Anschreibungen der preulisch-
amtlichen Statistik sind nämlich konzessioniert worden:
Miszellen. 655
1. Oktober 1892 .
in der Zeit 30. Septbr. 1896 im ganzen 2257 km
oder durchschnittlich jährlich 564 ,
dagegen
1 ., 1. Oktober 1896 `
in der Zeit 30. Septbr. 1900 im ganzen 4791 ,,
oder durchsehnittlich jührlich 1198 ,„
endlich
1. April 1901
in dem Jahre 31. März 1902 774 »
Von Hóc-hstpunkt bezeichnet das Jahr 1897/98, in dem Konzessionen
für 1414 km Kleinbahnen erteilt worden sind; diese Zahl sinkt dann
in den folgenden Jahren auf 1211 und 1199 km, um schließlich mit
weitem Abstand die Ziffer 774 km zu erreichen.
Will man nun die Eisenbahnausstattung der einzelnen Landesteile
miteinander vergleichen, so empfiehlt es sich, die nebenbahnähnlichen
Kleinbahnen nicht für sich allein zu betrachten, sie vielmehr als ein
Glied des gesamten nichtstraßenbahnmäßigen Eisenbahnnetzes zu be-
handeln, da nur so die Verschiedenheiten der Anschreibung auszugleichen
sind. Dann ergibt sich folgende Uebersicht:
(Siehe Tabelle auf S. 656.)
An Unternehmungen óffentlicher Kórperschaften gab
es am Ende des Berichtsjahres 34 Straflenbahnen mit 507 km Gesamt-
lànge( — 16,92 Proz. aller Straßenbahnen) und 58 nebenbahnähnliche Klein-
bahnen mit 1952 km (34,2 Proz.) ungerechnet die allem Anschein nach
recht beträchtliche Zahl von Bahnen, für die die beteiligten Kommunal-
verbände formell besondere Gesellschaften gebildet haben; gegenüber
dem Vorjahr ergibt das eine Zunahme von 110 km Straßenbahnen und von
381 km nebenbahnáhnlicher Kleiubahnen. In kommunalem Betriebe
standen dagegen nur 422 km Straßenbahnen (14,0 Proz.), 180 km mehr
als im Vorjahre, und 957 km nebenbahnähnlicher Kleinbahnen (16,8 Proz.),
290 km mehr.
Privatpersonen gehören dagegen nur 16,96 km Straßenbahnen
und 52,94 km nebenbahnähnliche Kleinbahnen; es sind lauter ganz
kleine Betriebe, da sich 6 und 5 Personen darin teilen. Der ganze
Rest ist im Besitz von Aktiengesellschaften.
Das größte Einheitsnetz besitzt unter den Straßenbahnen
die Große Berliner Straßenbahn, die zusammen mit ihren Tochterbetrieben
323 km zu bedienen hat und damit alle deutschen Privateisenbahnen,
allein die Pfälzischen Bahnen ausgenommen, erheblich an Umfang über-
trifft. Unter den nebenbahnähnlichen Kleinbahnen stehen die Mecklen-
burg-Pommerschen Schmalspurbahnen mit 151 km an der Spitze; doch
betreibt die Firma Lenz & Co. mit ihren Tochtergesellschaften ein —
meist gepachtetes — Netz von nicht weniger als 2229 km Länge, das
sich auf 55 Einzelunternehmungen verteilt. —
Als Betriebsmittel überwiegt bei den Straßenbahnen bereits
bei weitem die Elektrizität, da nur noch 96 km — 3,3 Proz. mit
Pferden und 175 km — 5,9 Proz. mit Dampf, sowie 6,4 km mit Seilen
betrieben werden. Umgekehrt entfallen bei den nebenbahnähnlichen
Kleinbahnen nur 226 km — 4,2 Proz. auf den elektrischen Betrieb,
656
Miszellen.
Länge der Eisenbahnen
Eisenbahnen nach der G lü
Seng Reichsstatistik RER
er —
Bundesstaaten Straßen-| Klein- e Schmal- auf ie
bahnen | bahnen | Haupt- | Neben- spur- im auf je |10 000
ganzen |100 qkm Ein-
Bahnen wohner
kın km kın km | km
— + = —— —
Preußen und zwar in: i
Ostpreußen 48,30] 372,56| 864,77) 1454,65 2691,98, 7,28 | 13,46
Westpreußen 57,66 | 238,89 744,52 927,69 I 911,10 7,48 | 12,14
Brandenburg 448,21] 563,40 | 2445,43, 1 127,87 4 136,70| 10,37 8,20
Pommern 31,08 | 1191,67 735,11) 1 180,95 3 107,73! 10,32 | 18,90
Posen 23,40 | 469,60 | 1015,87 1 083,67 2569,14 8,87 | 13,58
Schlesien 97,85 | 368,04 | 2622,31, 1319,22] 135,84 | 4445,41, 11,03 9,45
Sachsen 136,93 | 477,06 | 1 878,36, 888,39| 57,80| 3 301,61) 13,07 | 11,58
Schleswig-Holstein 103,18 | 420,28| 838,60 587,42] 28,70| 1875,00) 9,87 | 13,40
Hannover 176,66 | 410,39 | 1 777,983) 1 002,99| 33,80 | 3 225,11) 8,37 | 12,34
Westfalen 248,18 | 188,43 | 1819,05| 804,01| 43,47 | 2854,96| 14,13 | Bai
Hessen-Nassau 113,17 | 195,73 | 1 117,89, 598,37 15,84 | 1927,83| 12,28 | 10,07
Rheinprovinz 634,16 | 494,42 | 2471,79 1301,45, 143,17 | 4410,83, 16,34 7,56
Hohenzollern 38,65 65,77 24,91 129,33, 11,32 | 19,31
Preußen 2118,78 | 5429,12 |18 397,36 12 301,59| 458,62 |36 586,73] 10,49 | 10,52
Dagegen Ende 1900 1946,34 | 4728,21 |18 361,40/11 605,83| 486,89 |35 181,79] 10,09 | 10,11
I I
Bayern 116,13 4607,3| 2144,64 82,61 | 6834,88) 9,01 | 10,18
Württemberg 40,27 14,62 | I 465,59| 215,09, 218,03 | 1913,33) 9,80 | 8,11
Sachsen 293,41 1750,88| 704,37) 424,45 | 2879,70| 19,21 6,78
Baden 58,14 42,19 | 1468,10| 426.06) 250,20 | 2187,15| 14,50 | 11,61
Hessen 17,96 | 40,30 | 826,74| 404,83 5,68 | 1277,55) 16,68 | 11,30
Oldenburg 3.81) 31,26, 311,59] 250,15) 7,00| 600,00! 9,33 | 14,89
Mecklenburg-Strelitz 65,56 150,82 97,27! 313,65] 10,71 | 3048
Mecklenburg-Schwerin 11,50 511,14| 661,51 6,61 | 1 179,26) 8,93 | 19,33
Sachs.-Weimar- Eisenach 19,29 217,01), 136,37) 91,57| 444,95] 12,30 | 12,17
Sachsen-Coburg-Gotha 3,21 141,20) 155,23. 296,43] 14,99 | 12,82
Sachsen-Meiningen 0,20 173,93 78,52, 54,30) 306,95| 12,44 | 12,14
Sachsen-Altenburg 3,70 106,08 82,55| 2,01 191,24| 14,45 | 9,73
Braunsehweig 33,69 23,54! 345,80| 239,56) 47,51 656,41! 17,88 | 14,02
Anhalt 17,88] 40,30! 215,84 78,93| 3410| 369,17| 16,06 | 11,58
Schaumburg-Lippe 12,99 24,32 13,68 50,99| 14,99 | 11,75
Lippe 10,70 43,97 40,33 84,30| 6,94 | 6,03
Reuß ältere Linie 25,33 17,95! 43,28| 13,67 | 6,30
ReuB jüngere Linie 17,49 44,79 50,02 16,09 110,90| 13,41 7,90
Schwarzb.-Sondershaus. 60,76 86,77 147,58| 17,11 | 18,14
Schwarzburg-Rudolstadt 52,28 59,76 112,04| 11,91 | 11,97
Waldeck 313 3,87 35,44 2,06 41,37) 3,69 74
Hamburg 108,78 38,33 6,65 44,98| 10,83 | 0,58
Bremen 42,04 9,89 46,17 5,15 61,21] 23,87 | 259
Lübeck 12,72 51,57 51,57) 17,32 5,26
Elsaß-Lothringen 73,74 1305,66| 361,16) I9r,81| I 858.65| 12,81 | 10,61
Außerpreußen 887,63 | 281,45 |13 989,20) 6 351,99| 1434,63 |22 057,27| 11,48 | 9,99
Dagegen Ende 1900 799,35 | 237,25 |13 850,75 6060,46) 1313,24 21 461,70, 11,17 9,72
Zusammen Deutschland | 3006,41 | 5710,57 |32 380,60|18 653,58] 1893,25 [58 644,00| 10,85 | 10,31
Dagegen Ende 1900 2745,69 | 4965,46 |32 212,11 12 666,29| 1799,63 |56 ei 10,48 | 9,96
Miszellen. 657
und darunter haben noch 70 km daneben Dampflokomotiven in regel-
mäßiger Benutzung.
Die Zahlder Angestellten betrug bei den preußischen Straßen-
bahnen 16 164 Beamte und 7379 ständige Arbeiter, bei den nebenbahn-
ähnlichen Kleinbahnen 3483 Beamte und 3564 Arbeiter; auf eine Straßen-
bahn entfallen hiernach bei einer Durchschnittslänge von 16,8 km 170,
auf eine nebenbahnähnliche Kleinbahn bei 32,1 km 38 Bedienstete. —
Die Betriebsleistungen waren diese: es wurden
im
Personen- l Güter-
verkehr
auf ee : z
HER Personen W er: Gütertonnen
gefahren befördert gefahren befördert
den preußischen Straßen- |
bahnen
im Jahre 1901 insgesamt
auf 2065 km Bahn!) 225 978 334 799 949 824 I 924 516 726 139
auf je 1 km 109 433 387 385 932 352
im Jahre 1900 insgesamt
auf 1764 km Bahn !) 178 924 344 640 131 856 2 032 849 691 844
auf je 1 km 101 431 362 886 1153 392
allen deutschen Straßen-
bahnen
im Jahre 1901 insgesamt
auf 2923 km Bahn !) 349 646 303 | 1 191 457 092 2 566 239 971377
auf je 1 km 119 619 407 615 878 333
im Jahre 1900 insgesamt
auf 2659 km Bahn !) 299 546 356 | 1043 943 064 — —
auf je 1 km 112 654 392 607 — -—
den preuBischen nebenbahn-
ähnlichen Kleinbahnen
im Jahre 1901 insgesamt 3
auf 4900 km Bahn ?) 79 482 162 39549 151] 72123 297 8 330 591
auf je 1 km 16 102 8 192 14 629 1 681
im Jahre 1900 insgesamt
auf 4125 km Bahn !) — 36 691 135 — 7 121 656
auf je 1 km — 8 895 — 1 726
allen deutschen nebenbahn-
ähnlichen Kleinbahnen
im Jahre 1901 insgesamt
auf 5200 km Bahn 8) 87 172049 45954714| 74814258 | 8446404
auf je 1 km 16 786 9 007 14 310 1 620
im Jahre 1900 insgesamt
auf 4338 km Bahn !) — 43 359 689 — 7 196 029
auf je 1 km — 9 995 — 1659
den deutschen Vollbahmen
im Jahre 1901 auf je 1 km 86 767 — 252 315 —
1) Hier ist die Zahl der berichtenden Bahnen eingesetzt.
2) Die Zahl der Bahnen ist für jede Rubrik verschieden und bewegt sich zwischen
1828 und 4955 km.
3) Hier bewegt sich die Länge der berichtenden Bahnen zwischen 5102 und 5214 km.
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX).
42
658 Miszellen.
Bei den Straßenbahnen tritt hiernach, wie nicht anders zu erwarten,
der Personenverkehr weit in den Vordergrund; bei den nebenbahn-
ähnlichen Kleinbahnen stehen sich beide Dienstzweige ziemlich gleich-
wertig gegenüber, bei den Vollbahnen überwiegt der Güterverkehr.
Die Straßenbahnen haben im Personendienst eine Steigerung der Ver-
kehrsintensität erfahren, im Güterdienst dagegen eine Abnahme; auf
den nebenbahnähnlichen Kleinbahnen ist in beiden Zweigen ein sehr
beträchtlicher Rückgang der auf 1 km entfallenden Leistung eingetreten
— ein Zeichen, daß der Bau derartiger Bahnen dem Bedürfnis voraus-
geeilt ist. Mit den Vollbahnen können sich die Kleinbahnen an Ver-
kehrsintensität noch bei weitem nicht messen. —
Das Finanzergebnis war dieses: auf 1 km berechnet, betrug
die i die | der
Betriebs- Betriebs- ' Betriebs-
ber einnahme | ausgabe | überschuß
M. |. M. M.
den preußischen Straßenbahnen
im Jahre 1901 38 155 23 237 14 918
im Jahre 1900 37 354 23 135 14 219
allen deutschen Straßenbahnen
im Jahre 1901 42457 25 380 17 077
im Jahre 1900 E. IOI 24 248 15 853
den preußischen nabentahnähälichen Kleinbahnen
im Jahre 1901 3 988 2 923 1 065
im Jahre 1900 — = en
allen deutschen nebenbahnähnlichen Kleinbahnen
im Jahre 1901 3 964 2 905 1059
im Jahre 1900 3513 2513 1 000
den deutschen Vollbahnen
im Jahre 1901 38 853 25 801 13 052
Die bei beiden Bahnarten nicht beträchtliche Einnahmesteigerung
ist hiernach bei den Straßenbahnen zu gutem Teil, bei den nebenbahn-
ähnlichen Kleinbahnen fast vollstandig durch die Ausgabenvermehrung
aufgezehrt worden. Gegenüber dem kilometrischen Anlagekapital von
203042 M., wie es die amtliche Nachweisung für die preußischen
Straßenbahnen berechnet, und von 51 711 M. für die nebenbahnähnlichen
Kleinbahnen bedeutet der Betriebsüberschuß einen Ertrag von 7,35 und
2,06 Proz.; von den nebenbahnähnlichen Kleinbahnen haben nicht weniger
als 40, allerdings meist ganz junge Unternehmungen mit einer Länge
von 1245 km mit einem Verlust abgeschlossen, d. h. 22 Proz. der be-
richtenden Verwaltungen und 23 Proz. der Länge. -—
Das Anlagekapital ist für die preußischen Kleinbahnen auf
folgende Beträge festgestellt: es haben aufgebracht
(Siehe Tabelle auf S. 659.)
Das ergibt ein Gesamtanlagekapital von 483 882 785 M. für die
Straßenbahnen und von 354063137 M. für die nebenbahnähnlichen
Kleinbahnen.
Miszellen. 659
bei den | bei den
e nebenbahnähnl.
StraBenbahnen Kleinbahnen
der Staat 49500 M. | 45493065 M.
die Provinzen 499 167 „ 38758204 ,,
die Kreise 46 247 939 „ 79 362 869 ,,
die Nüchstbeteiligten| 15716034 ,, 28 822 556 „,
die Unternehmer 420870 145 ,, | 161626 443 „,
Die Jahresbelastung der preußischen Kommunal-
verbände ist für das Jahr 1901 für die Provinzen auf 1173828 M.
und für die Kreise auf 1 562 895 M. festgestellt. Diese Summen ver-
teilen sich auf die Provinzen, wie folgt: es hatten zu verzeichnen
die Kreisausschüsse
die Provinzial- - 7
^ verwaltungeinen| ei i insgesam
n Zuschnß. yon Md Sex p^ er also einen
M. M x M Zuschuß von
A d M.
Ostpreußen 115 427 128 307 — 128 307
Westpreußen 68 636 90 298 — 90 298
Brandenburg 97 142 249 973 — 249 973
Pommern 377 483 485 265 — 485 265
Posen 30 087 305 197 747 364 450
Schlesien 41 826 64 026 — 64 026
Sachsen 44 405 | 62 243 — 62 243
Schleswig-Holstein 125 613 299 092 — 299 092
Hannover 85 610 203 981 I 338 202 643
Westfalen 23 288 243 692 213677 30015
Bezirk Kassel 30 860 A ^ ;
Bezirk Wiesbaden 27 314 ( 53967 1040935 | (+ 968 968)
Rheinprovinz 75 080 654 705 85 854 568 851
Hohenzollern 31057 4 700 — 4 700
Der Ueberschuß, der sich hiernach für die Kreise der Provinz
Hessen-Nassau rechnerisch ergibt, rührt lediglich von den Bahnen des
Stadtkreises Frankfurt a. M. her; sieht man von diesen ab, so bewegen
sich die Ueberschüsse zwischen 747 M. (Kreis Wreschen) und 190512 M.
(Stadtkreis Bielefeld), während die Zuschüsse von 64 M. (Merzig in
der Rheinprovinz) bis auf 285543 M. (Stadtkreis Düsseldorf) an-
steigen.
Der Staat hat im Jahre 1901 aus seiner gesamten Kleinbahnen-
beteiligung nur 267 969,58 M. Einnahmen gehabt. Der Kleinbahn-
unterstützungsfond betrug Ende 1902 69 Mill. M.; davon waren
50928 884 M. bereits bewilligt und 4837 487 M. in Aussicht gestellt,
im ganzen also 55766371 M. vergeben, während weitere 10 364 500 M.
schon beantragt und noch 61 Anträge zu erwarten waren. —
$ 42%
660 Miszellen.
An Unfällen endlich sind im Jahre 1903 vorgekommen
Tötungen Verletzungen
bei Fahrgäste ^ Fahrgüste
und fremde is ge, und fremde |, en
Personen as Personen | lenstete
den preußischen Straßenbahnen 142 9 356 121
allen deutschen " 198 IO 533 158
den preußischen | nebenbahnähnlichen 23 6 34 21
allen deutschen Kleinbahnen 23 6 37 22
Im ganzen haben sich die deutschen Kleinbahnen als ein wichtiges,
nicht mehr zu entbehrendes Glied der Verkehrsorganisation erwiesen.
Andererseits ist aber auch nicht zu bestreiten, daß die Entwickelung
namentlich der nebenbahnähnlichen Kleinbahnen während des industriellen
Aufschwungs, zu gutem Teil als dessen Ursache, ein allzu schnelles
Tempo angeschlagen hatte; und auch bei den Straßenbahnen hat die
Einrichtung des elektrischen Betriebes nicht überall vorteilhaft gewirkt.
Wie weit den finanziellen Lasten, die insbesondere die preußischen
Kommunalverbände sich aufgebürdet haben, indirekte Vorteile gegenüber-
stehen, ist bei einer Beurteilung der Kleinbahnenpolitik zwar nicht außer
acht zu lassen, aus einer Kleinbahnenstatistik aber aufgabegemäß nicht
zu entnehmen.
Miszellen. 661
Nachdruck verboten.
XIII.
Das Genossenschaftswesen im europáischen Weinbau.
Von Dr. Grabein- Darmstadt.
Vor einer Reihe von Jahren hat Prof. Huber-Stuttgart in
Schmollers Jahrbüchern die Winzergenossenschaften in ihrer Bedeutung
für die Massenerziehung und für die Massenorganisation gewürdigt).
Er schilderte ihre Entwickelung als vorbildlich für die Lösung des
Problems, den Kleinbetrieb im Wege genossenschaftlicher Organisation
technisch und wirtschaftlich mit dem Grofbetrieb konkurrenzfáhig zu
machen. Die einst als Zauberformel betrachtete bloße Empfehlung der
Assoziation, so führte er aus, sei unwirksam, wenn nicht die Ueber-
windung der psychologischen Hindernisse — mangelnde Erkenntnis
und Energie — auf seiten der kleinen Produzenten gelänge. Hierzu
bedürfe es einmal eines starken äußeren Druckes, schwerer wirt-
schaftlicher Notlage und tatkräftiger, hilfsbereiter Agitation von oben
durch Staat, Genossenschaftszentralen. Selbst ein solcher äußerer Anstoß
würde indes kaum zum Ziele führen, wenn nicht durch lokale Organe,
insbesondere durch schon vorhandene einfachere genossenschaftliche
Organisationen (Kreditgenossenschaften, Bezugsgenossenschaften) Einsicht
und Wille für die weit schwierigeren Aufgaben genossenschaftlicher
Produktiv- und Absatzorganitationen geschult seien.
Unter ähnlichen psychologischen und soziologischen
Gesichtspunkten, wie sie damals Huber im wesentlichen unter Be-
schränkung seine Darstellung auf deutsche Verhältnisse anwandte, hat
vor kurzem Berget?) in einem umfangreichen Werke: ,Coopération
dans la viticulture européenne“ die Entwickelung des Ge-
nossenschaftswesens im gesamten europäischen Weinbau ge-
schildert. Da seine Studien sich zu einer allgemeinen Analyse der
psychologischen, sozialen, volkswirtschaftlichen Bedingungen und Grenzen
genossenschaftlicher Organisation vertieft haben, dürfte eine eingehendere
Beachtung seines Werkes trotz der relativ untergeordneten Bedeutung
des speziellen Behandlungsgegenstandes gerechtfertigt sein.
1) Schmollers Jahrbücher, 1892, S. 1063 ff.
2) Adrien Berget, La coopération dans la viticulture européenne. Etude d'economie
rurale et d'histoire agronomique. Lille 1902, p. 716.
662 Miszellen.
Nach einleitenden Betrachtungen über das Genossenschaftswesen
im allgemeinen wendet sich Berget, in der Hauptsache im Hinblick auf
französische Verhältnisse, zu einer Schilderung des Milieus der weinbau-
treibenden Bevölkerung. Nach weit verbreiteter Auffassung sei
dasselbe kein günstiger Nährboden für die Entwickelung
des Genossenschaftswesens. Der Weinbau, als eine höchst
arbeitsintensive, von den individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten
des einzelnen in ihren wirtschaftlichen Erfolgen sehr bedingte Kultur,
fördere eine individualistische Richtung des Volkscharakters. In Ver-
bindung mit den in früheren Jahrzehnten aus dem Weinbau vielfach
fließenden reichlichen Einnahmen sei daher häufig der Typus extrem indi-
vidualistischer Emporkömmlinge entstanden, welche Sinn und Herz für
ein genossenschaftliches Zusammengehen verloren haben. Diese übliche
psychologische Analyse des französischen Weinbauern sei indes nur
bedingt und nicht mehr in der Gegenwart zutreffend. Die intensive
Kultur ermögliche einmal ein enges räumliches Zusammenwohnen,
fördre damit das Zusammensein und den Geselligkeitssinn. In
gleicher Richtung wirke der übliche reichliche Genuß der von Bacchus ge-
spendeten Gaben, die bekanntlich mit größerem Genuß im Kreise froher
Gesellen, als allein verzehrt werden. Die höhere Technik der Weinkultur
hebe fernerhin Intelligenz und Bildung des Winzerstandes, erschließe
daher leichter das Verständnis für die Vorteile genossenschaftlichen Zu-
sammenschlusses. Zu diesen psychologischen Motiven tritt der eiserne
Druck der wirtschaftlichen Notlage, welche heute fast über den
gesamten europäischen Winzerstand sich ausdehnt. Einmal sind es die
Verheerungen der Reblaus, welche dem Winzerstande Kapitalverluste
von enormer Höhe — Berget beziffert sie allein für Frankreich auf die ge-
waltige Summe von 10—20 Milliarden fres. — gebracht haben. Hierzu ge-
sellt sich die Konkurrenz der Kunstweine, welche eine mit allen Kennt-
nissen moderner Chemie ausgestattete Weinindustrie, billig und geschickt
dem Geschmack der Konsumenten angepaßt, in großen Massen auf den
Markt wirft. Damit verbindet sich eine vielfach durch die Anpflanzung
neuer an Stelle der von Reblaus vernichteten Rebstöcke verursachte
Ueberproduktion von Naturweinen, die infolge der ver-
besserten Verkehrsmittel zu gesteigerter, preisdrückender Ausfuhr
nach anderen teuerer produzierenden Weinbauländern führt. Insbe-
sondere in Frankreich haben die reichen Ernten der Jahre 1899 und
1900 die Preise der billigen Massenweine auf ein bis dahin nicht ver-
zeichnetes niedriges Niveau, heruntergehend bis auf 1 frc. pro
Hektoliter, gedrückt. Diese Verschlechterung der Absatzverhältnisse
mußte den Gedanken verbesserter Absatzmethoden im Wege genossen-
schaftlicher Organisation nahe legen, und in die gleiche Richtung
drängten die Fortschritte der önologischen Technik. Die rationelle
Weinbereitung erfordert heute eine Fülle technischer Kenntnisse und
verbesserter Betriebseinrichtungen, welche der kleine Winzer nicht in
seiner Isolierung, sondern nur im genossenschaftlichen Zusammenschluß
sich verschaffen kann.
So dringlich die Notwendigkeit genossenschaftlicher Organisation
Miszellen. 663
für den europäischen Winzerstand sei, so wäre doch ihre Verwirklichung
in den einzelnen Ländern eine sehr verschiedene. Deutschland ge-
bühre das Verdienst, die genossenschaftliche Organi-
sation im Weinbau äußerlich am weitesten, innerlich
am vollkommensten ausgebildet zu haben. Ursächlich be-
gründet sei das durch die größere genossenschaftliche Schulung der
deutschen Landbevölkerung, die ihrerseits eine Folge des dichten Netzes
ländlicher Genossenschaften, namentlich von Spar- und Darlehnskassen,
sei. Ueber diese erzieherische Wirkung hinaus hätten die Spar- und
Darlehnskassen direkt durch Gewährung von Anlage- und Betriebskredit
in wirksamster Weise die Ausbreitung der Winzergenossenschaften,
materieli gefördert. Bezüglich der Organisation der deutschen Winzer-
genossenschaften betont Berget den Nutzen der üblichen engen räum-
lichen Begrenzung, wodurch Technik wie Bildung, wirtschaftlicher wie
sozialer Geist in intensivster Weise gefördert würde. Als die Frucht
einer solchen sozialen Erziehung gilt es ihm, daf heute an der Spitze
der aus kleinen Anfängen herausgewachsenen Winzergenossenschaften
einfache Landwirte stehen, „welche an Weite des Gesichtskreises und
praktischer Einsicht in nichts ihren Rivalen, den Weinhändlern, nach-
stehen. Ihr Charakter stellt eine originelle Mischung kaufmännischer
Findigkeit mit gründlicher bäuerlicher Verstündigkeit dar“. Wie weit
die wirtschaftliche und soziale Erziehung auch bei der Masse der Ge-
nossen gediehen, beweise die Tatsache, daß ein Winzerverein für ein
ihm plötzlich gekündigtes größeres Kapital binnen 24 Stunden von
seinen Mitgliedern durch Inanspruchnahme ihrer und ihrer Verwandten
Kredit- und Kapitalmittel Ersatz schaffen konnte.
Entsprechend der geringeren genossenschaftlichen Entwickelung und
Schulung in den meisten ausländischen Weinbaugebieten, ist hier die
genossenschaftliche Organisation der Weinbauern im Vergleich zu
Deutschland relativ und absolut im Rückstand. In der Schweiz be-
deuten die neuerdings unter dem Druck der italienischen Weineinfuhr
gegründeten Weinverkaufsgesellschaften (syndicats vinicoles) erst eine
Vorstufe genossenschaftlicher Entwickelung, denn sie betreiben zumeist
nur kommissionsweise den Absatz der von ihren Mitgliedern individuell
erzeugten Weine. Der Schritt zur gemeinsamen Kelterei und Ver-
wertung ist nur vereinzelt erfolgt, die älteste Keltereigenossenschaft
ist allerdings schon 1872 zu Sion, Kanton Waadt, gegründet. Auch
hier gab die extreme Not der kleinen Winzer, welche mangels aus-
reichender Kellereianlagen zum Traubenverkauf gezwungen waren und
damit ganz der Ausbeutung der Traubenaufkäufer ausgeliefert waren,
den ersten Anstoß. Es bedurfte dabei der hilfreichen Mitwirkung eines
größeren Besitzers, um diesen ersten Versuch zur erfolgreichen Durch-
führung zu bringen. Nach dem Vorbild von Sion sind neuerdings eine
Reihe weiterer Kellereigenossenschaften entstanden; ihr Charakter ist
indes — abgesehen von ihrer äußeren Form (Aktiengesellschaft mit
niedrigen Aktienbeträgen) — insofern kein rein genossenschaftlicher,
als sie in größerem Umfange fremde, nicht von ihren Mitgliedern er-
zeugte Trauben verarbeiten.
664 Miszellen.
Während in der Schweiz die Entwickelung eine autochthone ist
und sich insbesondere die Entstehung der Weinverkaufssyndikate aus
älteren Organisationen der Winzer verfolgen läßt, sind in Tyrol neuer-
dings zahlreiche Kellereigenossenschaften direkt unter deutschem Ein-
fluß nach Muster der deutschen Winzergenossenschaften errichtet worden.
Hier zeigte sich dabei der günstige Erfolg einer tatkräftigen, finanziell
hilfsbereiten Propaganda von oben (Staats- und Kommunalbehörden,
Genossenschaftsverbände) zugleich aber die mindest ebenso wertvolle
Mitwirkung der bereits vorhandenen lokalen genossenschaftlichen Organi-
sationen (Spar- und Darlehnskassen).
In Rußland und in den Balkanstaaten hemmen der niedrige
Kulturstand, der Mangel an Kapital eine genossenschaftliche Organi-
sation, obwohl sie bei der skrupellosen Ausbeutung des Weinbauern
durch den Händler fast dringlicher als anderwärts erscheint. Für Ruß-
land vermag Berget nur von einer Winzergenossenschaft — Kakhetie
in Transkaukasien — günstige, bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen.
Sie wurde 1896 von 30 Winzern aus der intelligenten georgischen Be-
völkerung errichtet, zählte 1900 schon 86 Mitglieder, wies einen Absatz
von 438000 l im Werte von 487 000 frcs. und verfügte über eigene
lediglich von ihren Mitgliedern und aus dem eigenen Geschäftsbetrieb
aufgebrachte Kapitalmittel in Höhe von 202 500 fres. Es ist ihr ge-
lungen, in direkte Geschäftsbeziehungen mit den Konsumenten — wohl-
habenden Privatleuten, Offizierskasinos, Klubs u. a. — zu treten und
damit durch Vermeidung der zahlreichen Spesen des sonst weit-
verzweigten Zwischenhandels den Produzenten gegen früher um 15 bis
20 Proz. erhöhte Preise zu verschaffen. Ihre Erfolge verdankt die Gesell-
schaft lediglich der Selbsthilfe, ihr ist keinerlei staatliche Förderung
zu Teil geworden und auch die finanzielle Unterstützung durch lokale
Banken hält sich in engen Grenzen, da diese der Gesellschaft den ihr
benötigten langfristigen Kredit nicht zur Verfügung stellen können. So
ist sie in der Hauptsache auf die Kapitalmittel ihrer Mitglieder und
die Ueberschüsse ihres eigenen Geschäftsbetriebes angewiesen. Es ist
daher um so höher anzuschlagen, wenn schon gegenwärtig so erhebliche
Umsatzzahlen erreicht und Betriebsmittel angesammelt sind. Was hier
eine intelligente und ohne Zweifel auch materiell gutgestellte Klasse
größerer und mittlerer Winzer aus eigener Kraft erreicht hat, das wird
der großen Masse kulturell und wirtschaftlich tiefstehender Winzer Rub-
lands allerdings nicht gelingen. Als Voraussetzung einer umfangreicheren
Entwickelung der genossenschaftlichen Organisation im Weinbau er-
achtet Berget daher auch für Rußland die Ausbreitung eines Netzes
lokaler Kreditkassen und tätige Mithilfe der Staatsgewalt. Möglich sei,
daß hier der genossenschaftlichen Organisation vorerst die Bildung großer
kapitalistischer Weinerzeugung- und -Handelsgesellschaften vorangehen
würde, welche durch Hebung der Technik des Weinbaues und der
Kellerwirtschaft, sowie durch Ausschaltung des lokalen Kleinhandels
den Boden für eine spätere genossenschaftliche Organisation vorbereiten.
Ob indes gegenüber einer solchen kapitalkräftigen Organisation später-
hin die Bildung von Winzergenossenschaften leicht sein wird, das dürfte
u. E. nach den Erfahrungen in anderen Ländern fraglich sein.
Miszellen. 665
Aehnlich wie in Rußland hemmen in den Balkanstaaten das
niedrige Kulturniveau im allgemeinen, die rückständige Technik, Kapital-
mangel im besonderen die Ausbreitung genossenschaftlicher Organi-
sationen. Nur für Serbien, wo die Raiffeisenkassen bereits
eine ansehnliche Verbreitung gefunden haben — es wurden 1899
deren schon 180 gezählt — wird das Bestehen zweier Weinverkaufs-
genossenschaften kurz erwähnt. In Rumänien sind mehrere Versuche
genossenschaftlicher Organisation an dem nationalen Gegensatz zwischen
Wallachen und Moldauern gescheitert. In Bulgarien haben sich bis-
her erst großkapitalistische Weinerzeugungs- und -Ausfuhrgesellschaften
gebildet, die Türkei!) kennt keinerlei genossenschaftliche Organi-
sationen und in Griechenland besteht nur das eigenartige Institut
der staatlichen Rosinenbank, die, neben ihren fiskalischen und protek-
tionistischen Aufgaben, als Kreditbank und als Einkaufszentrale für Be-
darfsartikel des Weinbaues wirkt.
In Spanien hat das neuerliche Sinken seiner Weinausfuhr infolge
der Regeneration des französischen Weinbaues die Lage der Winzer
wesentlich verschlechtert. Daher sind in den letzten Jahren Bestrebungen
zur Bildung genossenschaftlicher Organisationen im Weinbau auch hier
erwacht. Die geringe, im wesentlichen auf die Ausbreitung von städtischen
Konsumvereinen in den Industriegebieten beschränkte Verwirklichung
des Genossenschaftsprinzips hemmt indes die Entstehung höherer Organi-
sationsformen, wie der Winzergenossenschaften. In Zusammenwirkung
mit den allgemeinen Verhältnissen der Agrarverfassung und der volks-
wirtschaftlichen Entwickelung war es daher verständlich, daß hier die
Grundherren mit der Einrichtung moderner Kellereianlagen voran-
gingen. Die gesamte von ihren, im Halbbau arbeitenden Pächtern ge-
wonnene Traubenernte wird dort verarbeitet und alsdann den Püchtern
der auf sie entfallende Anteil des erzeugten Weines in natura über-
wiesen. Diese bleiben bei einem solchen Verfahren mit dem Risiko
und dem Nachteil des Absatzes ihrer kleinen zersplitterten Verkaufs-
mengen belastet. Es würde daher einen wünschenswerten und tatsäch-
lich auch schon angestrebten Fortschritt darstellen, wenn die Grundherren
auch den Verkauf des Weinanteils ihrer Pächter übernehmen. Diese
grundherrlichen Kellereien lassen sich allerdings in keiner Weise als
genossenschaftliche Organisationen betrachten, aber unter den gegebenen
wirtschaftlichen Verhältnissen erscheinen sie als notwendig und nützlich
für die Vorbereitung späterer genossenschaftlicher Bildungen, für welche
die Agitation kürzlich greifbarere Formen angenommen hat. In Portu-
gal besteht seit 1889 eine in der Hauptsache aus Großgrundbesitzern
gebildete Weinexportgesellschaft, welche als einen bislang allerdings
noch nicht verwirklichten Programmpunkt die Bildung von kleinen
lokalen Winzergenossenschaften aufführt. Lediglich das Bestehen von
zwei Genossenschaften der Art ist heute zu verzeichnen, andere
Versuche sind an dem Mangel an Beständigkeit und den extremen
1) In Palästina ist zu Sarona von deutschen Kolonisten eine Winzer-
genossenschaft gebildet worden,
666 Miszellen.
politischen Gegensätzen selbst innerhalb der kleinsten Gemeinden ge-
scheitert.
Eine interessante Entwickelung zeigt Italien, nächst Frankreich
das bedeutendste Erzeugungsgebiet des Weines. Bis in die jüngste
Vergangenheit waren hier genossenschaftliche Organisationen der Winzer
durch die Erinnerung an die Mißerfolge älterer großkapitalistischer
Weinhandelsgesellschaften gehemmt worden. Diese, zu Anfang der 70er
Jahre, in hochfliegender Selbstüberschätzung der wirtschaftlichen Kräfte
des jungen Königreiches, gegründet, gingen alsbald infolge mangelnden
Absatzes zu Grunde und brachten über die zum Teil an ihnen be-
teiligten größeren Weingutsbesitzer schwere Verluste. Allmählich ließ
die Ausbreitung des Genossenschaftswesens, insbesondere auch der
Molkereigenossenschaften, den Unternehmungsgeist wiederum erwachen.
Aehnlich wie in Spanien, gaben hier namentlich in den Gebieten des
Halbpachtsystems die Grundherren zu dieser Bewegung den Anstol.
Daher tragen diese formell als Aktiengesellschaften mit kleinen Aktien-
beträgen errichteten Kellereigenossenschaften (Cantine sociali) vielfach
einen stark patronalen Charakter, insofern ein oder mehrere Großgrund-
besitzer nach Maßgabe ihrer Kapitalbeteiligung und Traubenlieferungen
das Uebergewicht haben. Diese patronalen Winzergenossenschaften er-
wiesen sich indes als eine nützliche Vorstufe für wahrhaft genossen-
schaftliche Organisationen, wie sie nunmehr in den letzten 3—4 Jahren
in größerer Zahl dank weitgehender Mithilfe der lokalen Spar- und
Darlehenskassen sich gebildet haben. Bemerkenswert ist hierbei die
Erscheinung, daß einige dieser neueren Kellereigenossenschaften zu dem
Zwecke gegründet wurden, um bestehenden städtischen Konsumvereinen
ihren Weinbedarf zu liefern. Damit war für sie von vornherein die Absatz-
frage in glücklichster Weise gelöst. Umgekehrt haben einige städtische
Konsumvereine den Schritt zur Eigenproduktion ihres Weinbedarfs unter-
nommen. So stellte z. B. die Unione cooperativa di Milano schon im
Jahre 1896 in ihrer Kellereianlage 40000 hl Wein her und
kaufte 14000 hl zu Mischungszwecken hinzu. Gefördert wurde
übrigens die Ausbildung der Winzergenossenschaften durch die Mithilfe
des Staates, der unter anderem Prämien bis zu 5000 Lire für die am
besten organisierte und am erfolgreichsten wirkende Genossenschaft
aussetzte. Erwähnt sei endlich, daß begünstigt durch Degression bei
der Alkoholsteuer, sich eine Anzahl Trauben verarbeitende Brennerei-
genossenschaften gebildet haben sowie daß einige der zahlreichen land-
wirtschaftlichen Syndikate neben dem gemeinschaftlichen Einkauf von
Bedarfsartikeln auch kommissionsweise bezw. auf eigene Rechnung den
Verkauf der Weine ihrer Mitglieder übernommen haben.
Das Haupterzeugungsgebiet des Weines, Frankreich, zeigt gleich-
falls eine gegenüber Deutschland noch absolut und relativ geringfügige
Entwickelung des genossenschaftlichen Zusammenwirkens auf dem Ge-
biete des Weinbaues. Die Verheerungen der Phylloxera, welche die
Tätigkeit der Winzer und ihrer Vereinigungen vornehmlich auf die Be-
kämpfung dieser Krankheit konzentrierten, der stark ausgeprägte Indi-
vidualismus der französischen Winzer, die auch in Zusammenhang hier-
Miszellen. 667
mit relativ geringere Ausbreitung des ländlichen Genossenschaftswesens
überhaupt sind die allgemeinen Ursachen einer solchen Rückständigkeit.
Zu ihnen gesellen sich eine Fülle lokaler Gründe, die nur bei einer
gesonderten Betrachtung der verschiedenen Weinbaugebiete Frankreichs
erkennbar werden.
Berget unterscheidet die Gebiete des Qualitätsweinbaues
(Champagne, Charentes, Bourgogne, Franche-Comté u. a.) von denen
der Erzeugung billiger Massenkonsumweine. Die erst-
genannten Gebiete gleichen in gewissen natürlichen und wirt-
schaftlichen Verhältnissen den Produktionsstätten besserer Weine in
Deutschland. Sie sind gekennzeichnet durch hohe Kulturkosten und
phantastisch hohe Bodenpreise, vereinzelt bis 100000 fres. pro Hektar.
Der bedeutende Wert der hier gewonnenen Produkte macht es erklär-
lich, daß dieselben nicht im Lande selbst konsumiert werden können, sondern
ein notwendiger und ebenso gesuchter Ausfuhrartikel für die gesamte
Kulturwelt sind. Die Organisation dieses Exportes erfordert einen
kapitalkräftigen, hochstehenden Großhandel, und so ergab sich in diesen
Gebieten eine besonders drückende Abhängigkeit der Produzenten von
dem stetig an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnenden Weinhandel.
Am schärfsten trat diese Entwickelung in den Gebieten der Sekt- und
Cognacbereitung, in der Champagne und Charentes, zu Tage.
Denn die erhebliche technische Kenntnisse erfordernde Massenherstellung
einheitlicher Sekt- und Cognacmarken durch Mischung zahlreicher, ver-
schiedener Weinsorten setzte sehr bedeutende Kapitalien voraus, deren
Aufbringung dem einzelnen Produzenten unmöglich war. So wurde
hier der Weinproduzent von ehedem immer mehr zum bloßen Trauben-
verkäufer, und geriet als solcher bei der Leichtverderblichkeit seiner
relativ so wertvollen Ware in völlige Abhängigkeit von dem schma-
rotzerhaften Heere der Traubenaufkäufer. Die Wirkungen dieser Zu-
stände sind zunehmende Verschuldung der kleinen Winzer und Aufkauf
ihrer Ländereien durch die großen Weinfirmen, die heute schon in der
Champagne eine 550 ha, eine andere 100 ha, zahlreiche andere 20—50 ha
Weinland besitzen.
Wenn unter solchen Verhältnissen, namentlich in der Champagne,
der Gedanke genossenschaftlicher Vereinigung bei den Winzern besonders
lebhaft erwachte, so war das begreiflich. Indes sind mehrere in dieser
Richtung gemachten Anläufe an der wirtschaftlichen Ueberlegenheit
der großen Sektfirmen gescheitert. Wie oft bei mangelnder genossen-
schaftlicher Schulung versuchte man es hier mit einer Aktion im größten
Stile und so wurde im Jahre 1889 von einem jugendlichen, sozialistischen
Phantasten die Idee zur Bildung eines großen, sämtliche Weinproduzenten
der Champagne umfassenden Produktions- und Verkaufsring
mit monopolistischen Preistendenzen ausgegeben. An seiner angesichts
der gegebenen Verhältnisse innerlichen Unmöglichkeit und der hieraus
erklärlichen Zurückhaltung der Mehrheit der Produzenten litt auch dieses
Unternehmen, wie mehrere seiner im kleineren Maßstab erschienenen
Vorgänger, Schiffbruch. Wenn nun auch in der Folge mit der Bildung
kleiner lokaler Winzergenossenschaften ein organisatorisch richtigerer Weg
668 Miszellen.
eingeschlagen wurde, so vermochten auch diese bei der absoluten Gegner-
schaft des Handels sich nicht zu halten und wurden bald zur Auflösung
gezwungen. Nur die genossenschaftliche Sektfabrik zu Daméry ist be-
stehen geblieben und hat versucht, bei sozialistischen Konsumvereinen
Abnehmer zu finden. Sehr befriedigend scheinen ihre Erfolge nicht
gewesen zu sein. Diese Tatsachen beweisen aufs neue, daß dort, wo
ein kapitalkräftiger, kommerzieller und industrieller Großbetrieb aus
technischen und wirtschaftlichen Gründen bereits die Herrschaft ge-
wonnen hat, die genossenschaftliche Organisation nicht oder nur sehr
schwer Eingang zu finden vermag.
In ähnlicher Weise, wenn auch nicht im gleichen Grade, besteht
in anderen Gebieten des Qualitätsweinbaues ein Uebergewicht des Han-
dels, welches Versuche zur Ringbildung sowohl, wie die Entstehung
kleinerer lokaler Produktivgenossenschaften erdrückt hat. Nur einige
Winzergenossenschaften haben zu prosperieren vermocht, so die ge-
nossenschaftliche Cognacbrennerei zu Cognac, welche mit Konsum-
vereinen in Geschäftsverbindung getreten ist und diese am Reingewinn
beteiligt, und eine genossenschaftliche Sektfabrik zu Lavigny in der
Franche-Comté.
Bemerkenswert ist wieder die Tatsache, daß der Bildung der
leztgenannten Genossenschaft das Bestehen einer örtlichen
Spar- und Darlehnskasse förderlich war und daß sie für
zaghafte oder von der Vortrefflichkeit ihres eigenen Kellereiverfahrens
überzeugte Genossen die eigene Herstellung der Weine zuläßt und
nur deren Verkauf übernimmt. Neben solchen vereinzelten Produktiv-
genossenschaften haben die in erster Linie der Bekämpfung der Reb-
laus, der Verbesserung der Weinkultur, dem Einkauf von landwirt-
schaftlichen Bedarfsartikeln dienenden Syndikate kommissionsweise
oder auf eigene Rechnung die Absatzvermittelung des von ihren Mit-
gliedern erzeugten Weines sich zur Aufgabe gestellt. Da indes die
Syndikate nach ihrer Rechtsstellung für solche Handelsgeschäfte nicht
sehr befähigt und geeignet erscheinen, so führte die Entwickelung
mehrfach zur Bildung großer, zum Teil in der Form von Aktiengesell-
schaften errichteter Verkaufsvereinigungen. Als das bedeutendste Unter-
nehmen der Art verzeichnet Berget die Coopérative vinicole generale
zu Libourne, welche schon im Jahre 1900 einen Absatz von 1!/, Millionen
fres. erreichte. Sozialpolitisch interessant ist das „Syndicat des petits
vignerons Tonnerois“, in dessen Geschäftsbetrieb und Organisation sich
sozialistische Ideen mischen, die zu Geschäftsverbindungen mit gleich-
gesinnten städtischen Konsumvereinen hinüberleiteten.
Im Gebiete der Massenproduktion von billigen Kon-
sumweinen (Südfrankreich) hat sowohl die Uebererzeugung der
letzten Jahre wie die vom Weinhandel im größten Umfang betriebene
Produktion geringwertiger Kunstweine den Absatz ungemein ungünstig
gestaltet, so daß die Verbesserung der Absatztechnik durch genossen-
schaftliche Organisationen eine Lebensfrage wurde. Da hier nun bei
dem geringeren Werte und kürzerer Haltbarkeit des Weines dessen tech-
nische Herstellung und Behandlung eine wirtschaftlich minder wichtige
Miszellen. 669
Bedeutung hat, wurden die genossenschaftlichen Bestrebungen demgemäß
in der Hauptsache auf die Organisation des Verkaufs gerichtet.
Der bedeutende Umfang der Weinproduktion wies auf die Errichtung
großer Weinverkaufssyndikate hin. Einige ältere, schon Anfang der
90er Jahre gegründete Verkaufsgesellschaften der Winzer, die mit der
Errichtung von Weinverkaufsstellen in Paris vorgingen, hatten Mißerfolge.
Kreditgewährung an zahlungsunfähige Abnehmer, entgegenstehende Ge-
schmacksgewohnheiten der Konsumenten, welche an die mundgerechten
Weine des Handels gewohnt waren, in Verbindung mit unzuverlässiger
Geschäftsfübrung waren die Ursachen dieser Mißerfolge. Günstiger fuhren
solche Verkaufsgesellschaften, welche direkte Geschäftsverbindungen
mit Konsumvereinen anzuknüpfen vermochten. Die Krisis der letzten
Jahre hat nun der Bildung von solchen Verkaufsgesellschaften erneuten
Anstoß gegeben, Berget steht dieser Entwickelung etwas skeptisch gegen-
über, namentlich soweit es sich um Unternehmungen größten Stiles
handelt. Dieselben könnten leicht, wie die älteren kapitalistischen Wein-
verkaufsgesellschaften in Italien, am Mangel von Betriebskapital und Ab-
nehmern, Schiffbruch leiden. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung sei
zudem eine relativ geringe, denn sie vermöchten angesichts ihrer großen
territorialen Ausdehnung weder eine Sicherheit für Reinheit und Echt-
heit ihrer Weine zu liefern, noch auf Verbesserung der Weinkultur und
Kellerwirtschaft der kleineren Produzenten hinzuwirken. Nach dieser
Richtung hin müßten sie durch den Unterbau lokaler Vereinigungen
von Winzern unterstützt werden, die allerdings aus den schon an-
gedeuteten Gründen kaum in großem Umfange zur höchsten Stufe ge-
nossenschaftlicher Organisation, zur genossenschaftlichen Weinproduktion
übergehen würden. So sehr im übrigen die Weinverkaufsgesellschaften
die Anknüpfung direkter Geschäftsverbindungen mit den Konsumenten
bezw. Konsumentenorganisationen erstreben sollten, würden sie vorerst
den kapitalkräftigen, durch seine Erfahrungen und festen Geschäftsver-
bindungen überlegenen Weingroßhandel kaum aus dem Felde schlagen
können. Allein schon die Ausschaltung entbehrlicher Zwischenglieder
des Weinhandels durch die Verkaufsgenossenschaften würde von be-
achtenswerter Bedeutung sein und müsse als ein zunächst erstrebens-
wertes Ziel erscheinen.
An diese beschreibende Darstellung der Entwickelung der Winzer-
genossenschaften in den einzelnen Weinbauländern knüpft Berget eine
umfängliche systematische Kritik, deren wesentlichste Ergebnisse hier
schon vorweg genommen worden sind. Nur einige Gesichtspunkte ver-
dienen demgemäß noch besondere Hervorhebung, so die interessante
Frage, ob die in Italien zu beobachtende Eigenproduktion der
Konsumvereine der Produktion durch die vereinigten
Produzenten volkswirtschaftlich überlegen sei. Berget
verneint diese Frage. Mangels genügend technischer Bildung bei den
Leitern und Mitgliedern der Konsumvereine infolge höherer Transportkosten
für das Rohmaterial, geringer Transportfähigkeit der besseren, leicht ver-
derblichen Traubensorten arbeiteten Eigenbetriebe der Konsumvereine
nicht billiger als die örtlichen Betriebe der Produzenten. Die wünschens-
670 Miszellen.
werte Anpassung des Produktes an den Geschmack der Winzer ließe
sich zudem ohne erhebliche Mühe durch entsprechende gegenseitige Ver-
ständigung zwischen den organisierten Produzenten und Konsumenten,
bezw. durch Vornahme des Verschnitts seitens der Konsumvereine er-
reichen. In einer derartigen verständnisvollen Zusammenarbeit erblickt
Berget eine der wichtigsten Bedingungen für die zukünftige Entwicke-
lung der Winzergenossenschaften, und es ist gewiß, daß seine Aus-
fübrungen für die Weinkonsumländer West- und Südeuropas beachtens-
werte Bedeutung haben. In geringerem Male gilt das für Deutschland,
da hier die in den Konsumvereinen vorzugsweise vertretenen minder-
bemittelten Volksklassen nur in relativ geringem örtlichen und quan-
titativen Umfang als Weinabnehmer in Betracht kommen. Eine ähnliche
Beurteilung vom deutschen Standpunkt aus verdient der Gedanke Bergets,
für den Bezug der oft durch den Zwischenhandel enorm verteuerten
besseren Qualitätsweine spezielle Bezugsgenossen-
schaften aus wohlhabenden Kreisen zu bilden. Den praktischen Ge-
nossenschafter in Deutschland leitet dieser Vorschlag zu dem nahe-
liegenden Gedanken hinüber, die schon bestehenden Vereinigungen von
bessergestellten Kreisen angehörigen Konsumenten — unsere Offiziers-
kasinos, Beamtenvereine, Klubs u.s. w. — mehr als bislang für den
Weinbezug direkt von den Produzenten bezw. von den Winzer-
genossenschaften zu interessieren. Diese in Verbindung mit einer
großen Schar von Einzelkunden schon heute wichtige Abnahme der
Winzergenossenschaften bildenden Kreise werden in gesteigertem Maße
gewonnen werden können, wenn das zur Zeit die deutschen Winzer-
genossenschaften beschäftigende Problem, große, leistungsfähige ge-
nossenschaftliche Zentralweinverkaufsstellen zu bilden, befriedigend ge-
löst ist. Bei dem volkswirtschaftlich allerdings nicht gerechtfertigten,
vom einseitigen Interessenstandpunkt freilich verständlichen Wider-
stand des Weingroßhandels gegen die Winzergenossenschaften ist die
Errichtung solcher, auf einer großen Zahl angeschlossener Winzer-
genossenschaften fußenden, mit reichen Anlage- und Betriebskapitalien
auszustattenden Zentralstellen für den Weinabsatz im großen und kleinen
eine wesentliche Vorbedingung für eine weitere gedeihliche Entwickelung
des genossenschaftlichen Weinverkaufs. Nicht die möglichste Aus-
schaltung des Großhandels durch Anknüpfung direkter Geschäftsverbin-
dungen zwischen den organisierten Produzenten und Konsumenten,
sondern ein teilweiser Ersatz privater Großhandelsbetriebe durch ge-
nossenschaftliche Großhandelsbetriebe erscheint uns vielfach für deutsche
Verhältnisse als ein wichtiges Ziel der Genossenschaftsbewegung im
Weinbau.
Miszellen.
[ep]
1
Ken
Nachdruck verboten.
XIV.
Die Bevölkerung Russlands.
Auszug aus der Abhandlung des Statistikers Pokrowski in dem unter
der Redaktion von Kowalewski herausgegebenen Sammelwerke „Rußland
am Ende des 19. Jahrhunderts“.
Von E. Davidson.
Die ersten 10 Volkszählungen, die in Rußland im 18. und 19. Jahr-
hundert vorgenommen wurden, dienten vorzüglich zu fiskalischen Zwecken,
da sie hauptsächlich die Zahl der mit Kopfsteuer belegten „männlichen
Seelen“ zu bestimmen suchten. Von den Steuerständen wurde eine
namentliche Liste geführt, die von der Kopfsteuer befreite Bevölkerung
dagegen wurde nur annähernd nach den polizeilichen Angaben und nach
den äußerst unvollständigen Ständeverzeichnissen bestimmt. Erst die
an einem Tage, am 28. Januar 1897, vorgenommene Volkszählung, die
in ganz Rußland (außer Finnland) durchgeführt und als die „erste all-
gemeine Zählung“ bezeichnet wurde, trug in ihre Listen die gesamte
Bevölkerung beiderlei Geschlechts aller Stände und Berufe ein. Die Zahl
der Einwohner Rußlands wurde nach den verschiedenen Zählungen in
folgenden Ziffern angenommen:
Jahre Einwohnerzahl à Jahre Einwohnerzahl
1. Volkszählung 1724 14 Millionen 6. Volkszählung 1812 41 Millionen
2. S 1742 16 P 7. 5 1815 45 7
3. s 1762 19 AN 8. E 1835 60 =
4. s 1782 28 E 9. z 1855 69 5
5 1796 36 - 10. f 1858 74 T
Nach der Zählung vom 28. Januar 1897 gab es in Rußland, ohne
Finnland, 126411736 Einwohner; Finnland zählte nach der letzten
Revision vom 31. Dezember 1896 2555462 Einwohner, so daß die
Gesamtzahl der Einwohner Ruflands Anfang 1897 ca. 129 Millionen
betrug. Da die Geburtenzahl im Reiche, nach den Angaben der letzten
3 Jahre zu urteilen, jährlich um 2 Millionen die Zahl der Todesfälle
übersteigt, so wird man wohl für das Jahr 1900 eine Bevólkerung
Rußlands von 135 Millionen annehmen dürfen. Die Bevölkerung Rußlands
stieg somit:
vom Jahre 1724—1900 im Laufe von 175 Jahren um 9,71 Millionen
2' o 1906—1900 5. à m XOQp b 3,05
ái 4 1851—1900 ,, 55 vw 49 ü » 1,95
672 Miszellen.
Die ganze Bevölkerung ist auf einem Areal von 22 Mill. qkm (die
inneren Gewässer inbegriffen) verteilt, was nur 6 Einwohner auf einen
Quadratkilometer ausmacht. Diese allgemeine Proportion aber würde
our von dem Vorhandensein einer Menge unbewohnter und teilweise auch
für menschlichen Wohnort ungeeigneter Gebiete in Rußland Zeugnis
ablegen. Eine richtige Vorstellung über die Bevölkerungsdichte Rußlands
kann nur durch einen Vergleich der Bevölkerungsdichte in den ver-
schiedenen Gebieten des Reiches gewonnen werden.
Die erste Stelle der Bevölkerungsdichte nach nimmt Kongreß-Polen
ein, wo bei einer Gesamtbevölkerung von 91/, Millionen 74 Einwohner
auf je einen Quadratkilometer entfallen — ungefähr dieselbe Dichte
wie in den benachbarten Teilen Preußens. Sodann folgt das dicht an
Polen grenzende südwestliche Gebiet, welches eine Gesamtbevölkerung
von 9,6 Millionen und eine Bevölkerungsdichte von 58 Einwohnern auf
je einen Quadratkilometer zu verzeichnen hat. Etwas dünner bewohnt
ist das von diesem Gebiete durch den Dnjeper abgeteilte fruchtbare
Kleinrußland, wo bei einer Bevölkerung von 7,5 Millionen 49 Einwohner
auf einen Quadratkilometer entfallen. Nahe daran an Bevölkerungsdichte
ist der angrenzende zentrale Ackerbaurayon mit 43 Einwohnern auf je
einen Quadratkilometer bei einer Gesamtbevölkerungszahl von 141/, Mill.
Der am dichtesten bevölkerte Streifen des Reiches erstreckt sich
somit von Polen nach dem Inneren Rußlands und umfaßt hauptsächlich
den steppenlosen Teil des Schwarzerderayons. Von den bewaldeten
Teilen des Nichtschwarzerderayons besitzen die größte Bevölkerungs-
dichte Litauen und das Moskauer Industriegebiet, jenes hat 4,8 Millionen
Einwohner und etwas weniger als 40 Einwohner pro Quadratkilometer,
dieses 11 Millionen und 32 Einwohner pro Quadratkilometer.
Zieht man das Fazit für die 6 aufgezählten an einander angrenzenden
Gebiete, so ergibt sich, daß hier die Hälfte der Bevölkerung des
europäischen Rußlands auf einem Viertel der Fläche desselben, oder
44 Proz. der Bevölkerung des Reiches auf 6 Proz. des gesamten Reichs-
territoriums, konzentriert ist.
Von den übrigen Gebieten des europäischen Rußlands sind ver-
hältnismäßig dicht bevölkert: Weißrußland 6,3 Mill. Gesamtbevölkerung
und 26 Einwohner per Quadratkilometer, und das Baltische Gebiet:
2,4 Mill. Gesamtbevölkerung und 25 Einwohner per Quadratkilometer.
Sodann folgen die 3 Gebiete des südlichen und südöstlichen Rußlands,
welche noch im 16. Jahrhundert jenseits der ethnographischen Grenzen
Rullands lagen und nach welchen in den letzten 2 Jahrhunderten die
russische Kolonisation aus den am dichtesten bevölkerten Teilen des
Reiches zustrómte, welcher Prozeß auch jetzt noch vor sich geht. Es
sind: Neurußland bei einer Gesamtzahl von 113/, Mill. 24 Einwohner
per Quadratkilometer, das Wolgagebiet bei einer Gesamtzahl von 9,9 Mill.
17 per Quadratkilometer, und das Uralgebiet bei einer Gesamtzahl von
9,9 Mill 12 per Quadratkilometer. Aehnliche Bevölkerungsdichte weist
auch das Seegebiet auf, welches 5 Mill. Einwohner bei einer Bevölkerungs-
dichte von 14 per Quadratkilometer zählt; aber auch diese Bevólkerung:-
Miszellen. 613
dichte besitzt das Seegebiet nur dank der großen Anhäufung der Be-
völkerung in Petersburg und seiner Umgegend.
Endlich ist die geringste Bevólkerungsdichte im europäischen Ruß-
land für diejenigen Gebiete zu konstatieren, deren nórdliche Teile bereits
in der Polarzone liegen. Hierzu gehóren: Finnland bei 2,6 Mill. Be-
völkerung 7 Einwohner per Quadratkilometer und der äußerste Norden
bei 1260000 Bevölkerung 1 Einwohner per Quadratkilometer.
Im asiatischen Rußland weist der Kaukasus die größte Bevölkerungs-
dichte auf. Trotz der vielen ungeeigneten Bodenstücke und der für die
Kultur unzugänglichen Schneegipfel und Bergschluchten beträgt die
Bevölkerung des Kaukasus 8!/, Mill. bei einer Dichte von 23 Ein-
wohnern per Quadratkilometer, was auf die Reichtümer der Natur,
sowie auf das warme Klima zurückzuführen ist.
In ganz anderen Verhältnissen befindet sich das Turkestangebiet,
dessen 80 Proz. von den Wüsten der Aralokaspischen Niederung besetzt.
sind. Hier gibt es nur 3 Einwohner per Quadratkilometer bei einer
Bevölkerung von 5!/, Mill. Aber diese Bevólkerungsdichte nimmt in
den für Irrigation geeigneten fruchtbaren Bergtälern und Oasen, sowie
in den Gebieten Fergan und Samarkand betrüchtlich zu und erreicht
15 Einwohner per Quadratkilometer.
Betrachtet man Sibirien als ein Ganzes, so bekommt man da eine
Bevölkerungsdichte von 5 Einwohnern per 100 qkm. Diese Proportion
aber verliert an Bedeutung, wenn man bedenkt, welche ungeheueren
Flächen Sibiriens ihren klimatischen Bedingungen, sowie ihrer polaren
Lage nach für Kultur und für ansässige Lebensweise gänzlich ungeeignet
sind. Von den sibirischen Gebieten bildet das Steppengebiet den Ueber-
gang von Turkestan zu Westsibirien und ist hauptsächlich von Nomaden-
völkern, bei einer Gesamtbevölkerung von 2,6 Mill. und einer Bevölkerungs-
dichte von 14 Einwohnern per je 10 qkm, bewohnt. Westsibirien weist
eine Bevölkerungsdichte von 25 Einwohnern und Mittelsibirien 8 Ein-
wohnern per je 10 qkm auf. Noch dünner zber sind die ostsibirischen
Grenzgebiete bevölkert; in der südlichen Hälfte des Amurküstengebietes
gibt es noch 7 Einwohner per 10 qkm; das ganze Lena- oder Amur-
gebiet besitzt nur 6 Einwohner per 100 qkm, und in der polaren Zone
Sibiriens wird es kaum 1!/, Einwohner per 100 qkm geben.
Von der Gesamtzahl der Einwohner Rullands wohnten in den
Städten:
Im Jahre 1724 328000 oder 3 Proz. der Gesamtbevölkerung
" s. 1782 802000 , 31 » ^» T
LL "n 1796 1 301 000 n 4,1 DI » »
" » 1812 I 653 000 LE 4,4 HI » »
T si 1835 3025000 ,, GS (WS Ze 3i
LE » 1851 3 482 000 ul 7,8 HI n n
» » 1867 8157000 , 10,6 , , »
js » 1897 16785212 „ 13,9. a 54 »
Aus einer Zusammenstellung dieser Tabelle mit den Angaben über
die ländliche Bevölkerung ist zu ersehen, daß die städtische Bevölkerung
Rußlands viel rascher wächst als die ländliche: im Zeitraum von 1724
bis 1897 hat jene um das 5lfache, diese nur um das 8fache zugenommen.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 48
674 Miszellen.
Während der letzten 30 Jahre hat sich die städtische Bevölkerung ver-
doppelt und auch proportional beträchtlich zugenommen. Am stärksten
wuchs die Bevölkerung in den 19 Großstädten mit über 100000 Ein-
wohnern, und zwar:
1867 1897 :
Einwohnerzahl Zunahme in Proz,
in Petersburg 539 471 I 267 023 136,7
» Moskau 351 609 I 035 664 194,8
» Warschau 180 657 638 208 253,0
» Odessa 118 970 405 O41 240,4
„ Lodz 32 437 315 209 872,0
„ Riga 77 468 282 943 264,6
„ Kiew 68 429 247 432 261,7
„ Charkow 52016 174 846 236,0
» Tiflis 60 77 160 645 163,3
„ Wilna 69 476 159 568 129,7
» Taschkent 80 000 156414 95,5
„ Saratow 84 391 137 109 62,5
„ Kasan 63 084 131 508 106,9
„ Jekaterinoslaw 19 908 121 216 508,0
„ Rostow am Don 29 261 119 889 310,0
„ Astrachan 42 832 113 OOI 163,8
„ Baku 13 992 112 253 702,0
» Tula 53 739 111 048 106,6
» Kischeneff 94 124 108 796 15,6
Insgesamt ist für diese 19 Großstädte eine Zunahme von 185,2 Proz.
zu verzeichnen.
Städte mit einer Einwohnerzahl von 50—100000 gab es im Jahre
1867 12 mit 834000 Einwohnern, im Jahre 1897 37 mit 2401000 Ein-
wohnern. In 110 kleinen Städten ging die Einwohnerzahl von 661042
bis auf 556436 oder um 16 Proz. zurück.
Die ländliche Bevölkerung betrug nach der Volkszählung von 1897
112139000 Einwohner. Dörfer gab es, nach den Angaben des zentralen
statistischen Komitees für 1896, im ganzen Reiche 577500, so daß auf
jedes Dorf im Durchschnitt etwa 200 Einwohner entfallen. Die größten
Dörfer befinden sich im Wolgagebiet und in der südlichen Hälfte des
Uralgebiets (im Durchschnitt über 450 Einwohner auf je ein Dorf).
Sodann folgen die Gebiete: Südwesten, Kleinrußland, Zentralschwarzerde
und Neurußland (durchschnittlich 400 - 300 Einwohner pro Dorf). Es
ist somit klar, daß die Bevölkerung sich im ganzen Schwarzerdestreifen
Ruflands in großen Dörfern gruppiert, was darauf zurückzuführen ist,
daß man sich hier nur an den Flüssen niederläßt. Dagegen in den
waldreichen Nichtschwarzerdegebieten der ganzen nordwestlichen Hälfte
Rußlands zieht es die Bevölkerung vor, in kleinen Dörfern zu wohnen,
die von Rodeland umgeben sind und kleine Kulturoasen mitten im
Walde bilden. So beträgt die durchschnittliche Einwohnerzahl eines
Dorfes im Moskauer Industrierayon und in der nördlichen Hälfte des
Uralgebiets 160, und das auch nur, weil es hier große Industriedörfer
gibt. Weißrußland, Litauen, das Seegebiet und der äußerste Norden
weisen eine durchschnittliche Einwohnerzahl eines Dorfes von 100—950
auf. Endlich wohnt die ländliche Bevölkerung des Baltischen Gebiets
in kleinen Fermen, so daß die durchschnittliche Einwohnerzahl kaum
20 beträgt.
Miszellen. 675
Was die Verteilung der Einwohner auf die einzelnen Wohnungen
anbetrifft, so entfallen im europäischen Rußland auf dem Lande auf je
ein Haus 6,6 Einwohner. Das Baltische Gebiet zeichnet sich durch die
am dichtesten bewohnten Häuser aus: 11—13 Einwohner auf je ein
Haus. Im Gouvernement Petersburg entfallen 10, im Gouv. Kowno 9,
im Gouv. Moskau 8 Einwohner auf je ein Haus. Am geringsten sind
die Häuser bevölkert in den Gouvernements Nowgorod 4,5, Twer 4,7,
Kostroma 5,1, Jaroslaw 5,2, Wladimir 5,3, Smolensk und Pskow 5,4.
In den übrigen Gouvernements des europäischen Rußlands beträgt die
durchschnittliche Zahl der Einwohner per Haus 6—7. Bewohnte
Häuser in den ländlichen Ansiedlungen des europäischen Rußlands gibt
es 141/, Mill, im ganzen Reiche ca. 20 Mill.
Die Großstädte Rußlands zeichnen sich durch eine äußerst dichte
Bevölkerung ihrer Häuser aus. So zählt das Durchschnittshaus in
Petersburg 14 Wohnungen mit 106 Einwohnern, in Moskau dagegen
nur 5 Wohnungen mit 49 Einwohnern. Eine Durchschnittswohnung in
Petersburg hat 3,6, in Moskau 4,3 Zimmer.
Die Daten der allgemeinen Volkszählung vom 28. Januar 1897
enthalten vortreffliche Materialien über die Verteilung der Bevölkerung
nach den einzelnen Völkerschaften; da aber die Bearbeitung dieser
Materialien zur Zeit noch nicht abgeschlossen ist, so müssen wir uns
hier mit einer annähernden Berechnung der prozentualen Verhältnisse
der Hauptvölkerschaften Rußlands begnügen. Die Slaven bilden 73 Proz.
der Gesamtbevölkerung, von welchen auf die Russen 66 Proz. (86 Mill.)
und auf die Polen 7 Proz. (9 Mill.) entfallen. Von den aufgezählten
Gebieten des europäischen Rußlands sind als echt russische zu be-
trachten: der Moskauer Industrierayon, der zentrale Schwarzerderayon,
Kleinrußland und das Seegebiet, in welchen die russische Bevölkerung
94 Proz. beträgt. Sodann folgen: der äußerste Norden mit 89 Proz.,
Neurußland mit 87 Proz., Weißrußland mit 85 Proz, Südwesten mit
80 Proz., das Uralgebiet mit 80 Proz. und das Wolgagebiet mit 75 Proz.
Einwohner russischer Nation. In den übrigen vier (westlichen) Gebieten
des europäischen Rußlands befindet sich die russische Nation in der
Minderheit. Das Weichselgebiet (Kongreß Polen) stellt in ethno-
graphischer Hinsicht ein polnisches Gebiet dar, da hier die polnische
Bevölkerung 70 Proz. ausmacht.
Die finnischen Stämme sind in Rußland stark verbreitet; bei einer
absoluten Ziffer von über 6 Mill. machen sie 5 Proz. der Gesamt-
bevölkerung aus. Vorwiegend ist das finnische Volk nur in Finnland
vertreten, 86 Proz. der Gesamtbevölkerung. Im Baltischen Gebiet ist
die finnische Bevölkerung der littauischen gleich und beträgt 45 Proz.
Auch sind Finnen im Seegebiet im äußersten Norden, im Uralgebiet
und im Wolgagebiet wohnhaft.
Einen etwas kleineren Prozentsatz der Bevölkerung des Reiches
weist der litauische Volksstamm auf, bei einer absoluten Ziffer von
5,6 Mill. In Litauen beträgt die litauische Bevölkerung 60 Proz. und
in dem benachbarten Baltischen Gebiete 45 Proz.
Von den Fremdvólkerschaften, die zu den östlichen Stämmen ge-
43*
676 Miszellen.
hören, nehmen ihrer Zahl nach die erste Stelle in Rußland die türki-
schen Volksstämme ein, zu welchen wir nicht nur die wolgaschen, die
krimschen, die kaukasischen und die sibirischen Tataren und Türken,
sondern auch die turkestanschen Sarten, Turkmenen, Kirgisen, den
tatarisch gewordenen finnischen Stamm der Baschkiren und die Jakuten
hinzuzählen. Bei einer absoluten Ziffer von 11 Mill. machen diese
Volksstämme 9 Proz. der Gesamtbevölkerung des Reiches aus Im
europäischen Rußland bilden sie nirgends die vorwiegende Bevölkerung,
sind aber im Wolgagebiet, Uralgebiet und Neurußland merkbar ver-
treten.
Einen erheblichen Teil der Bevölkerung des Reichs bilden die
Juden. Ueber 3 Proz., bei einer absoluten Ziffer von über 4 Mill. Als
der für Juden gesetzlich bestimmte Ansiedelungsrayon dienen: das
Weichselgebiet, Litauen, das südwestliche Gebiet und ein Teil Weiß-
rußlands; in geringen Mengen befinden sich Juden in sämtlichen Ge-
bieten des Reichs.
Von den übrigen Völkerschaften sind im europäischen Rußland
beträchtlich vertreten: Deutsche (bis 1 Mill), Rumänen (850 000,
Schweden (400 000), Griechen, Armenier und Mongolen (Kalmüken).
Das bunteste ethnographische-Bild stellt der Kaukasus dar. Hier
bildet keine einzige Vülkerschaft die Mehrheit der Bevölkerung. Am
stärksten sind die Russen vertreten (25 Proz.), sodann folgen die ta-
tarischen Stämme (20 Proz.), die kaukasischen, die Bergstämme, die
Grusier, Armenier (je 15—13 Proz.) und die Perser (1 Proz.). Es gibt
noch aber eine große Anzahl einzelner kleiner Vöikerschaften, die zu
diesen Stämmen gehören und ihr Idiom sowie ihre Tracht und ihre
Sitten erhalten haben.
Eine ziemlich mannigfaltige ethnographische Zusammensetzung hat
auch Turkestan. Hier ist aber der türkische Stamm der vorwiegende
(80 Proz.), während nur 10 Proz. auf die Völkerschaften des iranschen
Stammes, und nur 4 Proz. auf die Russen entfallen.
Das an Turkestan grenzende Kirgissteppengebiet ist viel einfürmiger
seiner Bevölkerung nach. Hier besteht die vorwiegende Bevölkerung aus
nomadisierenden Kirgisen, welche ca. 80 Proz. der Bevölkerung bilden;
der übrige Teil der Bevölkerung besteht aus Russen, welche die für
Kultur geeignetsten Ortschaften des Steppengebiets kolonisieren.
Die zwei Hauptgebiete Sibiriens — Westsibirien und Mittelsibirien
— sind schon längst gänzlich russifiziert. Im ersten sind 94 Proz. und
im zweiten 90 Proz. der Bevölkerung Russen. Auch das Amurküsten-
gebiet, obgleich es vor verhältnismäßig kurzer Zeit occupiert worden
ist, ist bereits zu einer russischen Provinz auch im ethnographischen
Sinne geworden, denn die Russen bilden hier 75 Proz. der Bevölkerung,
die übrigen 25 Proz. entfallen auf die Fremdvölkerschaiten: 20 Proz.
Burjäten und 5 Proz. Mandschustämme, Chinesen, Japaner und polare
Volksstämme.
Nur das Jakutengebiet ist ethnographisch fast gänzlich fremdvölker-
schaitlich. Die Hauptmasse bilden hier die Jakuten (90 Proz.); 7 Proz.
entfallen hier auf die russische Bevölkerung, und der übrige Teil besteht
aus Tungusen und polaren Volksstämmen.
Miszellen. 677
Nach den Konfessionen ist die Bevölkerung Rußlands folgender-
malen verteilt: 87 Proz. Christen, darunter 71 Proz. griechisch-orthodoxe,
9 Proz. Katholiken, 5 Proz. Protestanten und 1 Proz. Armenisch-Grego-
rianer; unter der nicht christlichen Bevölkerung sind die Mahomedaner
vorwiegend (9 Proz.); sodann folgen Juden (3 Proz.) und Buddhisten
(3/, Proz.).
Von den Ständen des russischen Volkes sind am zahlreichsten die
Bauern, welche 81,5 Proz. der Bevölkerung bilden; sodann folgen die
städtischen Stände, d. h. Kaufleute und Kleinbürger (9 Proz.), der Militär-
stand (61/, Proz.), der Adel (über 1 Proz.) und die Geistlichkeit (1 Proz.).
Nach den Daten der allgemeinen Volkszählung vom 28. Januar 1897
hat sich die Anzahl der Männer und Frauen als fast gleich erwiesen
(64504000 Männer und 64436 000 Frauen), aber in verschiedenen Orten
ist ein Vorwiegen des männlichen Geschlechts zu verzeichnen; so ent-
fallen in den Städten auf 100 Männer weniger als 90 Frauen, während
es auf dem Lande auf je 100 Männer 101,8 Frauen gibt. In den Groß-
städten tritt das numerische Uebergewicht der Männer noch schärfer
hervor: So in Moskau 100 Männer gegen 80 Frauen, in Petersburg und
Kiew gegen 83, in Odessa gegen 86. In den Grenzlàndern aber ist
keine Ueberzahl der Männer zu gewärtigen: in Riga befinden sich das
männliche und weibliche Geschlecht fast im Gleichgewicht, in Warschau
und Lodz sind die Frauen sogar vorwiegend. Das alles weist darauf
hin, daß die echt russischen Städte vorzugsweise die männliche ländliche
Bevölkerung heranziehen, welche in großen Mengen ihre Familien auf dem
Lande lassen und nach der Stadt ziehen, um Arbeit zu suchen.
Das numerische Verhältnis der Frauen und Männer in der länd-
lichen Bevölkerung kann ebenfalls als Bestätigung dieser Schlaßfolgerung
dienen. Im Moskauer Industrierayon gab es nach der Volkszählung
vom 28. Januar 1897 in der ländlichen Bevölkerung auf je 100 Männer
120 Frauen, und im Gouvernement Jaroslaw, woher am meisten die
ländliche Bevölkerung im Suchen nach Arbeit nach den Großstädten
wandert, auf je 100 Männer 140 Frauen. Wie bekannt, verrichten die
Frauen in diesem Gouvernement infolge der Abwesenheit der Familien-
häupter und überhaupt der erwachsenen Männer alle Feldarbeiten.
Das Vorwiegen der Frauen in der ländlichen Bevölkerung ist noch
im äußersten Norden (auf je 100 Männer 109 Frauen), im Baltischen
und in dem Seegebiete (107), im zentralen Ackerbaurayon (106), im
Uralgebiet (105) zu konstatieren. Dagegen überwiegt die Zahl der
Männer in Neurußland (auf je 100 Männer 96 Frauen), wohin die Männer
als Pioniere der Auswanderungsbewegung in großen Mengen ziehen. In
den übrigen Gebieten des europäischen Rußlands befinden sich Männer
und Frauen in der ländlichen Bevölkerung fast in gleicher Anzahl. Im
Kaukasus ist ein merkliches Uebergewicht der Männer zu konstatieren
(anf je 100 Männer 90 Frauen); desgleichen im Steppengebiete und in
Mittelsibirien. Noch größer ist dieses Uebergewicht in Turkestan (auf
100 Männer 85 Frauen), und im Amurküstengebiete (auf 100 Männer
82 Frauen) und erreicht sein Maximum im Küstengebiete (auf 100
Männer 46 Frauen); auf der Insel Sachalin entfallen auf 100 Männer
678 Miszellen.
37 Frauen. Offenbar wandern nach dem fernen Osten die Männer in
größeren Mengen als die Frauen, was namentlich bei der Zwangsüber-
siedelung der Verbannten begreiflich ist.
Die erste Volkszählung vom 28. Januar 1897 gab zum ersten Male
unmittelbare Daten über die Zusammensetzung der Bevölkerung nach
den Altersstufen ; da aber die Bearbeitung dieses Teiles der Volkszählung
noch nicht abgeschlossen ist, so können wir hier nur die Altersverteilung
der Bevölkerung Rußlands nach den Berechnungen von Besser und
Ballod angeben, die auf der Untersuchung der Geburtenzahl und der
Zahl der Todesfälle der griechisch-orthodoxen Bevölkerung während des
Zeitraumes von 1851—1890 beruhen. Auf Grund dieser Berechnungen
entfallen auf je 10000 Kopf der Bevölkerung:
im Alter männl. Geschl. weibl. Geschl.
bis 5 Jahren 1 628 r 615
von 5—10 , 1234 I 206
» 10—15 5 I 049 1052
n Aoma i 974 969
» 20—30 , I 615 1 628
» 30—40 , I 285 1 288
» 40—50 , 986 998
n 50—60 »n 670 697
„ 60—65 , 228 229
„ 65-70 , 150 146
» 70—80 , 140 133
über 80 ,, 41 39
Summa IO 000 10 000
Wendet man das Schema von Besser und Ballod auf die Bevölke-
rung des ganzen Reiches an, so bekommt man für die Bevölkerung von
135 Mill. (inkl. Finnland) folgende Zusammenstellung:
Kinder männl. Geschl. weibl. Geschl. Zusammen
in Tausenden
bis 5 Jahren 10979 . 10 918 21 897
von 5-10 ,, 8 821 8 148 16 469
» 10-15 , 7 074 7 107 14 (Bt
Insgesamt Kinder 26 374 26 173 52 547
Minderjährige
von 15—20 Jahren 6 568 6547 13 115
Im Arbeitsalter:
von 20—30 Jahren 10 891 IO 999 21 890
» 30-40 , 8 665 8 702 17 367
„ 40—50 p 6649 6 742 13 391
» D0—60 , 4 518 4 708 9 226
Insgesamt im Alter j
von 20—60 Jahren 30 723 31 151 61874
Im Alter
von 60—65 Jahren 1537 1547 3 084
Alte:
von 65—70 Jahren 1012 985 1997
n 70—80 " 944 899 I 843
über 80 e 276 264 540 —
Insgesamt Alte 2 232 2 148 4 380
Summa summarum 67 434 67 566 135 000
Miszellen. 679
Zum Erwerb aller Art Existenzmittel gibt es somit in Rußland auf
eine Bevölkerung von 135 Mill. ein Kontingent von ca. 31 Mill. Er-
wachsene, 61/, Mill. Minderjährige und 1!/, Mill. Halbarbeiter (im
Alter von 60—65 Jahren). Zur Zahl der Halbarbeiter sind noch die
erwachsenen Frauen hinzuzuzählen.
In Rußland liegt die Registrierung der Bevölkerungsbewegung, d. h.
der Ehen, Geburten und Todesfülle der Geistlichkeit ob, die zu diesem
Zweck die noch von Peter dem Großen eingeführten Tauf- und Geburts-
bücher führt. Die Akten selbst in diesen Büchern werden ganz regel-
mäßig geführt, so daß es in den Büchern der christlichen Konfession fast
keine Lücken und sogar keine ungenauen Angaben gibt, 'aber die
Zusammenstellung statistischer Tabellen aus diesen Büchern wird vom
zentralen statistischen Komitee erst seit 1867 in befriedigender Weise
durchgeführt. Von dieser Zeit an haben wir ganz zuverlässige Daten
über die natürliche Bewegung der Bevölkerung.
Der Zahl der Eheschließungen nach nimmt Rußland unter den euro-
päischen Ländern die erste Stelle ein, da der Koeffizient der Ehe-
schließungen in Rußland selten unter 9 pro 1000 fällt, während in den
anderen Ländern Europas er kaum 8 erreicht. Unter den einzelnen
Gebieten Rußlands gebührt die erste Stelle dem Uralgebiet und dem
zentralen Ackerbaurayon (9,7 und 9,6); sodann folgen das Wolgagebiet
(9,4) und Neurußland (9,3). Den kleinsten Koeffizienten der Eheschließungen
weisen das Seegebiet (6,3), das Baltische Gebiet (7,1) und der äußerste
Norden (8,0) auf, alle übrigen Gebiete haben einen höheren Koeffizienten
als der durchschnittliche in Europa.
Die Geburtenzahl nimmt in Rußland, so wie überall, im Laufe der
Zeit ab; gegenwärtig steht sie auf der Höhe von 48 pro mille, während
in den meisten Ländern Westeuropas sie nicht über 36 hinausgeht, in
einigen kaum 22 erreicht. In den Städten Rußlands werden durch-
schnittlich 34, auf dem Lande 49 pro 1000 Einwohner geboren. Durch
die größte Geburtenzahl (über 50 pro mille) zeichnen sich die Gouver-
nements des Schwarzerderayons, namentlich die des Steppenstreifens,
durch die kleinste (30 pro mille) das Gouvernement Petersburg und die
Ostseeprovinzen aus. Außereheliehe Geburten gibt es in Rußland 26
pro 1000 Geburten, wobei in den Städten dieses Verhältnis bis auf 108
steigt, und auf dem Lande bis auf 18 fällt.
Der Koeffizient der Sterblichkeit ist in Rußland sehr hoch und
erreicht im Durchschnitt 34 per 1000 Einwohner; in den letzten Jahren
fiel er bis auf 32. In den Städten ist die Sterblichkeit geringer als
auf dem Lande: dort betrug sie im Jahrfünft 1890—94 18 pro mille,
hier 33, was vornehmlich auf den Mangel an ärztlicher Hilfe in den
russischen Dórfern zurückzuführen ist. Die erste Stelle dem Koeffizienten
der Sterblichkeit nach nehmen folgende Gebiete ein: der zentrale Acker-
baurayon (41), das Wolgagebiet (40) und das Uralgebiet (39), während
die kleinste Sterblichkeit auf das baltische Gebiet (21), das Seegebiet (24)
und Litauen (28) entfällt.
Trotz der hohen Sterblichkeitsziffer ist in Rußland das Mehr der
680 Miszellen.
Geburtenzahl über die Zahl der Todesfälle größer als in allen anderen
Ländern, im Durchschnitt betrug es während des Jahrzehnts 1888—97
im europäischen Rußland 1,41 Proz, in den Jahren 1896 und 1897
1,73 Proz, in Sibirien, im Kaukasus und in Mittelasien 1,60 Proz,
in Kongreß Polen 1,50 Proz. Der durchschnittliche jährliche Zu-
wachs der Bevölkerung ist auf 1,55 Proz. oder ca. 2 Mill. zu schätzen.
Der größte Bevölkerungszuwachs ist im europäischen Rußland für die
Gebiete Neurußland (20 pro mille), Weißrußland und Kleinrußland (18;
und der kleinste für das Baltische Gebiet (8), das Seegebiet (9) und
den Moskauer Industrierayon (10) zu konstatieren.
Die Zahl der nach dem Auslande über die europäische Grenze
gehenden Russen übertrifft im allgemeinen die Zahl der zurückkehrenden,
welche Ueberzahl in den letzten 5 Jahren durchschnittlich 26 000 das
Jahr betrug, darunter bis 16000 Auswanderer nach Amerika. Aus-
länder dagegen kommen nach Rußland über die europäische Grenze
mehr als sie aus Rußland verreisen, welche Ueberzahl jährlich ca 15 (00
beträgt. Was die asiatische Grenze anbetrifft, so ist auch hier eine
Ueberzahl der verreisenden Russen über die heimkehrenden (im Durch-
schnitt während des Jahrfünfts 1894—98 21/, Tausend jährlich) zu
merken. Aus den asiatischen Ländern kommen Ausländer jährlich nach
Rußland um 16000 mehr als verreisen. Die Emigration aus Rußland
sowie die Immigration der Ausländer nach Rußland sind somit ganz
unbedeutend.
Dafür aber sind die Wanderungen der Volksmassen innerhalb des
Reichs ungeheuer groß, namentlich seit der Aufhebung der Leibeigen-
schaft. Der rasche natürliche Zuwachs der ehemaligen leibeigenen Be-
völkerung, welche im Laufe des 18. Jahrhunderts und in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts gar keine Vermehrung erfuhr, brachte die
Bevölkerung des am dichtesten bevölkerten Teiles des Schwarzerde-
streifens bis zur Kapazitätsgrenze des Landes (bei den gegenwärtigen
wirtschaftlichen Verhältnissen), und es begann, namentlich im letzten
Viertel des Jahrhunderts, südwärts und ostwärts ein zentrifugales
Streben der Bevölkerung, das durch die rasche Entwickelung des Eisen-
bahnnetzes sehr gefördert wurde. Gegenwärtig findet nach Neurußland,
nach Transwolgarayon, nach der südlichen Hälfte des Uralgebiets und
nach allen Teilen Sibiriens bis zum japanischen Meere eine starke Ueber-
siedelung statt.
Der tatsächliche Zuwachs der Bevölkerung gelangt in folgenden
Ziffern zum Ausdruck:
Vor zwei Jahrhunderten, im Jahre 1700, betrug die Gesamtbevölke-
rung Rußlands kaum 12 Mill, im Jahre 1800 erreichte sie 38 Mill. und
im ‚Jahre 1900 135 Mill. Diese enorme Vermehrung der Bevölkerung
ist nicht nur auf das fortwährende, mit Ausnahme einiger Jahre, Ueber-
gewicht der Geburtenzahl über die Zahl der Todesfälle, sondern auch
auf die Erweiterung des russischen Territoriums zurückzuführen. 50
wohnten auf dem Territorium, welches Rußland bis Peter I. angehörte,
und auf dem späterhin annektierten:
im Jahre 1700
5 sar "6798
1851
3» LÉI 1397
» » 1900
Zieht man somit die Gebiete,
Miszellen.
auf dem auf dem
ersteren letzteren
12 Mill. — Mill.
29 DI 7 3
47 » 22 „
78 ar 51 y
82 , 53 »
insgesamt
ı2 Mill.
36
69
129
135
681
welche dem russischen Reiche am
Anfang des 18. Jahrhunderts nicht angehörten und welche jetzt circa
53 Mill. Einwohner zählen, ab, so erhält man für die urrussischen
Gouvernements und Gebiete eine Bevölkerung von 82 Mill., was im
Vergleich mit dem Jahre 1700 eine 6,83-fache Zunahme ausmacht.
Aus den angeführten Daten ist zu ersehen, daß der natürliche, sowie
der wirkliche Zuwachs der Bevölkerung Rußlands rascher im 19. Jahr-
hundert vor sich ging als im 18.
CU men
682 Literatur,
Nachdruck verboten,
Literatur.
II.
Die niederländische Berufszáhlung von 1899.
Von Dr. C. A. Verryn Stuart,
Direktor am Kgl. niederlündischen statistischen Zentralbüreau, Haag.
In der letzten Lieferung dieser Jahrbücher findet sich (S. 530)
von der Hand des Herrn Privatdozenten Dr. B. Harms, eine Rezension
der Ergebnisse der am 31. Dezember 1899 in den Niederlanden ge-
haltenen Berufszählung. Referent versucht in diesem Aufsatze eine
Kritik zu liefern des Grundprinzips, welches bei der Anfertigung
der Ergebnisse dieser Zählung maßgebend gewesen ist. Da diese Kritik
zu bedenklichen Irrtümern in Bezug auf Inhalt und Wert dieser Berufs-
zählung führen könnte, sei mir eine kurze Ergänzung und Berichtigung
derselben gestattet.
Das oben erwähnte Grundprinzip war, in kürzester Fassung fol-
gendes: die Gewerbearten, worin die verschiedenen Be-
rufe ausgeübt werden, als eine nähere, spezialisierende
Andeutung dieser Berufe in der Statistik zur Geltung
zu bringen. Das heißt, wir wollten uns nicht damit begnügen, z. B.
die Gesamtzahl der Maschinisten mitzuteilen, ungeachtet in welcher
Gewerbeart sie tätig sind, sondern sie spezialisieren als: Maschinisten
bei den Eisenbahnen, auf Dampfschiffen, in verschiedenen Fabriken u. s. w.
Bei der Ausarbeitung mußte nun dieses Prinzip dahin führen, das
Betriebselement in den Ergebnissen vorangehen zu lassen. Jedoch
ohne auch nur ein Geringes zu opfern der in der Berufszählung un-
bedingt erforderlichen Differenzierung des Berufselementes. Unrichtig
wäre es deun auch, wenn das Beispiel, welches Dr. Harms dem Brau-
gewerbe entnimmt (S. 531), so gedeutet würde, als wären diese 24
in dem Braugewerbe tätigen Personen ohne weiteres in den Zählungs-
ergebnissen als „24 zum Braugewerbe Zugehörige“ vorgeführt. In
Wirklichkeit sind in diesem Gewerbe nicht weniger als 33 verschiedene
Berufe in den Ergebnissen unterschieden worden (vgl. Teil XII, zweite
Lieferung, S. 101).
Eine notwendige Folgerung des oben angedeuteten Systems ist es
selbstverständlich, daß in Bezug auf diejenigen Berufe, welche in meh-
Literatur. 683
reren Gewerbearten ausgeübt werden, eine weitere Totalisierung aller
in diesem Berufe tätigen Personen vorgenommen wird (unter Gliederung
nach der sozialen Stellung, Geschlecht, Zivilstand und Alter, wie diese
durchweg in den Ergebnissen der Berufszühlung stattgefunden hat).
Eine derartige Totalisierung ist im Moment noch in Bearbeitung und
wird der allgemeinen Einleitung zur Volks- und Berutszählung, welche
ich den Ergebnissen dieser Zählung folgen zu lassen beabsichtige, ein-
verleibt werden. Vermutlich wird diese Einleitung in einigen Monaten
erscheinen können.
Auf die Vorteile, welche das in den Niederlanden bei der Be-
rufszählung befolgte System bietet, will ich jetzt nicht näher ein-
gehen. Ich wünschte nur, dieses System richtiger, wie es in dem Auf-
satze des Dr. Harms geschieht, erkennen zu lassen, und zu verhindern,
daß der geneigte Leser dieses Aufsatzes etwa glauben sollte, wir hätten
bei der letzten Berufszählung die grundverschiedenen Aufgaben einer
Berufs- und einer Betriebszählung verwechselt. Der Unterschied beider
Zählungen ist auch uns hier in den Niederlanden nicht unbekannt!
Haag, 12. Mai 1903.
Antwort.
Aus der obigen Erwiderung des Herrn Direktors Stuart ersehe
ich mit großem Interesse, daß eine Verarbeitung der 1899er Zählung
in dem von mir angedeuteten reinberuflichen Sinne bereits seit längerer
Zeit in Vorbereitung ist und demnächst publiziert werden soll. Es wird
deshalb zweckmäßig sein, weitere methodologische Erórterungen bis nach
Erscheinen der oben angekündigten offiziellen Bearbeitung zurückzustellen.
Ich behalte mir vor, dann darauf ausführlicher zurückzukommen.
Tübingen, im Mai 1903. Bernhard Harms.
Ti ug
684 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
U ebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
L Geschichte der Wissenschaft. Encyklopádisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Wasserrab, Karl, Sozialwissenschaft und soziale Frage. Eiue
Untersuchung des Begriffs sozial und seiner Hauptanwendungen. Leipzig
(Duncker & Humblot) 1900.
Der Verfasser geht aus von den Worten Sozialwissenschaft
und Sozialwissenschaften und entnimmt den verschiedenen Anwen-
dungen derselben eine dreifache Bedeutung. Er findet Sozialwissen-
schaft cinmal gefaßt als Soziologie oder allgemeine Gesellschafts-
wissenschaft, dann im engeren, speziell gesellschaftswissenschaftlichen
Sinne als eine neue Zusammenfassung von Nationalókonomie und Statistik
und endlich als Gesamtheit der Staats- und Gesellschaftswissenschaften;
Sozialwissenschaften einerseits im engeren Sinne als National-
ókonomie und Statistik, sodann im weiteren Sinne als Staats- und
Gesellschattswissenschaften, endlich im weitesten Sinn als umfassendste
Hauptgruppe geschichtlich-kultureller Geisteswissenschaften neben den
historisch-philologischen Disziplinen (S. 13). Im allgemeinen kann für
beide Worte, wenn nicht ein anderer Sinn deutlich erhellt, die weitere
Bedeutung, nàmlich Staats- und Gesellschaftswissenschaften angenommen
werden. Hieraus ergibt sich die erste Grundbedeutung des Begrifis
sozial: staatlich-politisch und gesellschaftlich.
Die zweite Bedeutung dieses Begriffes sucht der Verfasser zu ge-
winnen aus einer Prüfung, was unter sozialer Frage verstanden
wird. Diese ist nach seiner Meinung Einheit und Vielheit zugleich. Sie
betrifft, als Einheit aufgefaßt, die Gesamtheit der tiefergreifenden wirt-
schaftlichen wie physisch-geistigen Schäden und Bewegungen in der
Gesellschaft, welche darauf hindrängen, durch Veränderungen in Recht,
Struktur und Geist der Gesellschaft bezw. Wirtschaft einer jeweils
wachsenden Zahl von Gesellschaftsgruppen, Klassen und Individuen ein
steigend immer menschenwürdigeres, zugleich den ewigen Zielen an-
genähertes Gesellschaftsdasein zu ermöglichen. Als Vielheit umspannt
die soziale Frage eine große Zahl einzelner Probleme, welche die
Klassenbildung, die allgemeinen physischen Lebensverhältnisse, die
geistige Kultur, die Bevölkerungsgestaltung, Wirtschaftsverfassung und
die Rechtsgrundlagen der Gesellschaft überhaupt betreffen (S. 19, 20).
Die soziale Frage ist ihrem unmittelbaren Gegenstand nach ein aus-
gesprochenes Gesellschaftsproblem und zeigt so eine Hauptanwendung
des Begriffs sozial in seiner zweiten Grundbedeutung: gesellschaftlich
in Gegenüberstellung zu staatlich-politisch.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 685
Der Verfasser geht drittens von dem Wort Sozialpolitik aus.
Unter diesem Wort wird gewóhnlich verstanden die Gesamtheit und die
wissenschaftliche Darstellung der verschiedenen Bewegungen und Maß-
nahmen im Gebiete der Gesetzgebung und staatlichen und kommunalen
Verwaltung und Koalierung, welche eine Besserung der wirtschaftlichen
wie physischen und geistigen Klassenverhältnisse, namentlich zu Gunsten
bedrüngter Kreise bezwecken (S. 22). So gewinnt der Verfasser die
dritte Grundbedeutung des Wortes sozial: auf bestimmte Teile der
Gesellschaft oder des Gesellschaftslebens bezüglich, namentlich auf
Gesellschaftsordnung und Gesellschaftsgliederung, zumal wirtschaftliche
Klassengliederung, mit vorwiegender Rücksicht auf bedrängte Volks-
kreise, also insbesondere arbeiterfreundlich.
Der letzte Abschnitt „der Begriff sozial“ beginnt mit einer
kurzen, nicht erschópfenden und nicht immer zutreffenden Kritik früherer
Bestimmungen dieses Begriffs und gibt dann eine Zusammenstellung
und Erläuterung der aus den ersten Untersuchungen gewonnenen drei
Grundbedeutungen.
Eine solche Betrachtung der zahlreichen Anwendungen dieses Mode-
begriffs „sozial“ und eine Zurückfülirung auf bestimmte Grundbedeutungen
ist sicher außerordentlich dankenswert. Es erhebt sich jedoch gegen
die Erklärungen, welche der Vertasser gibt, von sonstigen Einwänden
abgesehen, das grundsätzliche Bedenken, daß die Bedeutung der Aus-
drücke, mit denen er den verschiedenen Sinn des Begriffs sowal darlegt,
selbst wiederum eine mehrfache ist, nicht genügend feststeht und von
ibm nicht klar gelegt wird. So bedurfte es in erster Linie einer Prüfung,
was unter „gesellschaftlich“ und „staatlich-politisch“ zu verstehen sei,
um mit diesen Worten eine genaue Bestimmung des Begriffs „sozial“
geben zu können.
Halle a. S. A. Hesse.
Kleinwächter, Friedrich, Lehrbuch der Nationalökonomie.
Leipzig (C. L. Hirschfeld) 1902. XIV und 477 SS.
Wie wenige war Kleinwächter berufen, ein Lehrbuch der National-
ökonomie zu schreiben. Hat er doch Mangoldts Grundriss in 2. Auflage
herausgegeben, an dem Schönbergschen Handbuche wie an dem Franken-
steinschen Sammelwerke mitgearbeitet und mehrere Male neue Er-
scheinungen des wirtschaftlichen Lebens zuerst auf ihren national-
ökonomischen Gehalt geprüft. Es sei nur an seine Schriften über die
englische Landarbeiterbewegung und die Kartelle erinnert. Aus diesem
Grunde erscheint der Nachweis der Berechtigung zur Herausgabe eines
„Lehrbuches“, den er im Vorworte führt, dem Leser als ein hors d’oeuvre,
und dies um so mehr, als die „Grundrisse“ von Conrad, Philippovich,
Schmoller das Unternehmen begründen müssen. Man wäre fast versucht
zu glauben, Kleinwächter habe in ironischer Laune geschrieben,
wenn das in demselben Vorwort aufgestellte Programm nicht so ernst-
haft durchgeführt würde. Er wolle, sagt er dort, der „studierenden
Jugend“ ein Buch in die Hand geben, „das ihnen in relativer Kürze
ein abgerundetes Bild des betreffenden Wissenszweiges bietet“. Das
686 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Werk ist eine der reichhaltigsten Darstellungen der theoretischen National-
ökonomie, in der kein Gegenstand fehlt, der irgendwo in den Kreis der
Betrachtung gezogen worden ist — mit Ausnahme der Kartelle und Trusts.
In schlichter, leichtverständlicher Weise wird gewöhnlich in möglichster
Kürze der Kern der Dinge herausgeschält. Hie und da ist die Dar-
stellung zu breit und sie streift an das — Volkstümliche. Ich greife ein
Beispiel heraus: „Da kam dieser Mann (Ricardo nämlich)“, so schreibt
er S. 385, „aus den engen Räumen seiner Wechselstube sozusagen zum
ersten Male hinaus vor die Stadttore und sah draußen die grünenden
Felder; und als er diese Felder genau betrachtete, da machte er die
geradezu verblüffende Entdeckung, daß zwei gleichgroße Felder, die mit
dem gleichen Aufwande von „Kapital“ und Arbeit bestellt werden,
häufig einen ungleichen Ertrag abwerfen. Diese Tatsache erschien dem
kapitalistisch geschulten Kopfe des Bankiers, der nur in englischen
Konsols zu denken gewohnt war, so ganz abnorm und ungewöhnlich,
daß sie einer besonderen Erklärung bedurfte.“ Daß die gewaltigen
wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Wandlungen, die den Nähr-
boden der Lehre von der Grundrente bilden, in dieser Weise vereinfacht
werden, ist vielleicht als ein Tribut zu erklären, der der historisch-
soziologischen Methode Ricardos gezollt wird. Ricardo einen „Schola-
stiker“ zu nennen, ist vielleicht unter uns Nationalökonomen gestattet,
da zuweilen „systematisch“, „abstrakt“ und „deduktiv“ als Synonyma
gebraucht werden. Im übrigen betrachtet man gewöhnlich Scholastik
und Kausalforschung als Gegensätze. Auch die Kritik der Definition
Ricardos, die Rente werde bezahlt für die Benutzung der unzerstör-
baren Kräfte des Bodens, scheint doch einen wichtigen Umstand
außer acht zu lassen. Ricardo hat meines Erachtens recht wohl gewult,
daß der Boden ausgesogen werden kann. Der rationelle Betrieb erfordert
aber, daß dem Boden das Entzogene zurückerstattet wird. Diese Zurück-
erstattung gehört zu den Produktionskosten. Eine Rente kann erst
dann entstehen, wenn die Produktionskosten (zu denen auch die Düngung
gehört) gezahlt sind. Und darum erscheint mir die Definition Ricardos
durchaus richtig. Wäre in der einem Grundbesitzer gezahlten Pacht-
summe etwas enthalten, was als Entgelt für dem Boden entzogene
Bestandteile zu betrachten wäre, so würde Ricardo es jedenfalls nicht
als Rente, sondern als einen Reservefonds zur Erhaltung der Renten-
quelle betrachtet haben. Diese Auseinandersetzung möge man damit
entschuldigen, daß Kleinwächter mit seiner Auffassung nicht allein steht.
Scholastisch angehaucht ist ein Teil der älteren deutschen National-
ökonomen. Da sie dem Bestande der volkswirtschaftlichen Lehren nichts
Neues hinzuzufügen vermochten, so gefielen sie sich in Definitionen,
Divisionen, Partitionen und in der sauberen Durchführung ihrer
Deduktionen. Scholastisch ist die S. 7 vorgetragene Klassifikation
der Bedürfnisse, welche Kleinwächter von Hermann übernimmt. Sehr
treffend ist die Beurteilung ihres wissenschaftlichen Wertes. Er schreibt
S. 8: „Daß man die vorstehend aufgezählten Unterscheidungen (und
eventuell noch einige andere dazu) aufstellen kann, soll nicht bestritten
werden. Ebenso unzweifelhaft erscheint es mir jedoch, daß mit der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 687
Aufstellung derartiger Unterscheidungen — die lediglich dem Bestreben
entspringen, möglichst viel Schulbegriffe zu konstruieren, um sie sodann
fein säuberlich einzuschachteln — blutwenig gewonnen ist, weil die
bloßen Einteilungen kein klares Bild von demjenigen geben, was eigentlich
erklärt werden soll.“ Und dennoch druckt er sie ab! Könnte man
so zuweilen wünschen, daß der Verf. sich kürzer fasse oder seine Aus-
führungen durch andere ersetze, so bedauert man es hier und da auch
wohl, daß er der studierenden Jugend nicht einiges mehr gesagt hat.
So über die Methoden. Ich glaube zwar, daß die Darstellungen der
Methodik in den Lehrbüchern nicht viel Gutes stiften, da dem Leser
gewöhnlich mancherlei zu ihrem Verständnis oder zu ihrer Würdigung
tehlt. Wenn sich aber der Verf. eines Lehrbuches dazu entschließt,
die Methodik zu behandeln, dann müßte es gründlicher, als in Klein-
wächters Lehrbuch, geschehen. Er hat mit Recht die englischen Lehren
von Senior bis Cairnes über Bord geworfen, weil sie die National-
ökonomie zu einer unmöglichen Wissenschaft gestempelt haben, die
nicht nach Ursachen forscht, sondern nur Wirkungen aus bekannten
Ursachen ableitet. Aber die Wendung Mills zur induktiven Methode
leidet daran, daß er Induktion und Generalisation verwechselt, die
unzweifelhaft einen Bestandteil der induktiven Methode bildet. Was
allen englischen Logikern vor Jevons von Bacon bis Mill fehlte, war
die Erkenntnis, daß der Geist etwas Eigenes, einen Einfall, eine Idee
zur Interpretation der Wirklichkeit mitbringt, die nicht mit den an-
geborenen Ideen Descartes auf eine Linie zu stellen ist. Sie alle
meinten, man könne die Wahrheit aus der Erfahrung heraus destillieren.
Wir haben damit einige Punkte bezeichnet, die in einer hoffentlich
bald erscheinenden 2. Auflage Berücksichtigung finden dürften.
Kiel. W. Hasbach.
Abhandlungen, volkswirtsehaftliche, der badischen Hochschulen, hrsg. von
genannten Autoren. Bd. VII, 2. Ergünzungsbd. Karlsruhe, G. Braunsche Hofbuchdr.,
1903. gr. 8. VIII—162 SS. M. 5.—. (Inhalt: Rabinowitsch, Sara, Die Organisationen
des jüdischen Proletariats in Rußland.)
Bericht über die Verhandlungen der 28. Generalversammlung der Vereinigung
der Steuer- und Wirtschaftsreformer zu Berlin am 10. II. 1903, erstattet vom Bureau
des Ausschusses. Berlin-Wilmersdorf, Allgem. Verlagsagentur, 1903. gr.8. IV—164 SS.
M. 2.—.
Czaykowski, K., Die Zeitschriften der polnisehen Sozialisten aus dem letzten
Jahre. Ein Beitrag zur sozialen Psychologie. Krakau. (Der polnische Text befindet sich
im Dezemberheft 1902 und im Januarheft 1903 der Zeitschrift „Przeglad Powszechny.‘)
GroBmann, Ludw., Kompendium der praktischen Volkswirtschaft und ihrer
mathematischen Disziplinen. Eine Sammlung populärwissenschaftlicher Essays, behandelnd
das Wesen und die Fortschritte auf dem Gebiete des gesamten Versicherungs-, Bank-
und Finanzwesens vom praktischen Standpunkte, unter Zugrundelegung der mathe-
matischen Gesetze der politischen Oekonomie. Teil IV. Wien, Selbstverlag, 1902. Lex.-8.
IV—80 SS. M. 5.—,
Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden. Begründet
von Kuno Frankenstein, fortgesetzt von Max v. Heckel. I. Abteilung: Volkswirtschafts-
lehre. Bd. VIII, Teil 1: Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903. gr. 8 X—590 SS. M. 17,50.
(Inhalt: K. Helfferich (LegatR., Prof.), Geld und Banken. Teil I. Das Geld.)
v. Inama-Sternegg, Karl Theodor, Staatswissenschaftliche Abhandlungen.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1903. gr. 8. VI—391 SS. M. 8.—. (Inhalt: Vom Wesen
und den Wegen der Sozialwissenschaft. — Allgemeine Gedanken über soziale Politik. —
688 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Lorenz v. Stein. — Die Entwickelung der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechtes
seit dem Tode von Lorenz v. Stein. — Vom Nationalreichtum. — Das Zeitalter des
Kredits. — Das Recht der Staatshilfe in wirtschaftlichen Krisen. — Die Reform des
Agrarrechts, besonders des Anerbenrechts. — Gewerbefreiheit und genossenschaftliche
Bindung. — Ueber Statistik. — Geschichte und Statistik. — Geographie und Statistik.
— Zur Kritik der Moralstatistik. — Neue Beiträge zur allgemeinen Methodenlehre der
Statistik. — Arbeitsstatistik.)
v. Komorzynski, Joh. (k. k. a. o. UniversProf., Wien), Die nationalökono-
mische Lehre vom Kredit. Innsbruck, Wagnersche UniversBhdl., 1903. gr. 8. XXXIX—
520 SS. M. 8,80.
Sombart, W., Die deutsche Volkswirtschaft im 19. Jahrhundert. Berlin, G. Bondi,
1903. gr. 8. XVIII—647 SS. M. 10.—. (A.u.d. T.: Das XIX. Jahrhundert in Deutsch-
lands Entwickelung, herausgeg. von Paul Schlenther. Bd. VII.)
Compte rendu du premier congrès national du parti socialiste de France (Union
socialiste. révolutionnaire) tenu à Commentry les 26, 27 et 28 IX 1902. Lille, impr.
Dhoossche, 1903. 8. 88 pag. fr. 0,25.
d’Eichthal, E., La solidarité sociale et ses nouvelles formules. Paris, A. Picard
& fils, 1903. 8. 32 pag.
Millerand, A., Le socialisme réformiste francaise. Paris, Bellais, 1903. 8. 121 pag.
(Bibliotheque socialiste, n° 15.)
Régnier, Jacques, Les idées religieuses, politiques et sociales de Saint Simon.
Paris, Nouvelle Revue, 1903. gr. in-8. 23 pag.
Travaux du congrès de Roubaix. Ai" assemblée générale de l'association prote-
stante pour l'étude pratique des questions sociales, 21—22 octobre 1902. Nîmes, impr.
coopérat. la Laborieuse, 1003. 8. 212 pag. et grav. fr. 3,50.
Worms, R., Philosophie des sciences sociales, Ir partie: Objet des sciences
sociales. Paris, Giard & Brière, 1003. 8. 230 pag. fr. 4.—.
Brijce, R. J., A short study of State socialism. London, Baynes, 1903. 8. 62 pp.
Coming reaction, the. A brief survey and criticism of the vices of our economie
system (by Legislator). London, J. Milne, 1903. 8. VIII—320 pp. 7/.6.
Johnson, A. Saunders, Rent in modern economie theory: an essay in distri-
bution. New York, Macmillan C°, 1902. 8. 126 pp.
Patten, Simeon, N., Heredity and social progress. London, Macmillan, 1003.
8. 5/.—.
Studies in history, economies and publie law, edited by the faculty of political
science of Columbia University. Vol. XIV, 1901—1902. Contents: 1. Loyalism in
New York during the American revolution, by Alex. Clar. Flick. $ 2,00; 2. The
economie theory of risk and insurance, by Allan H. Willett. $ 1,50; 3. The eastern
question: a study of diplomacy, by Stephen P. H. Duggan. $ 1,50.— Vol. XV, 1002:
Crime in its relations to social progress, by Arthur Cleveland Hall. $ 3,50. — Vol. XVI,
1902—1903: 1. The past and present of commerce in Japan, by Yetaro Kinosita.
$ 1,50; 2. The employment of women in the clothing trade, by Mabel Hurd Willett.
$ 1,50. — Vol. XVII, 1903: Centralizing tendencies in the administration of Indiana,
by Will A. Rawles. $ 1,50. New York, the Macmillan Comp».
Ward, Lester F., Pure sociology. A treatise on the origin and spontaneous
development of society. London, Maemillan, 1903. 8. 620 pp. 17/.—.
Acqua, Camillo (prof), La legge naturale e l'evoluzione della società. Firenze,
Biblioteca popolare italiana di cultura liberale. Roma, tip. A. Pieri, 1903. 12. 155 pp.
Atti del IV congresso nazionale delle società economiche tenutosi in Torino in
occasione della I esposizione internazionale de arte decorativa moderna, 1* sessione,
ottobre 1902. Torino, tip. Camilla & Bertolero, 1902. 8. 234 pp. 1. 5.—. (Contiene:
Esercizio ferroviario, relazione per Giov. Sacheri. — Sullo sciopere nei servizi pubblici,
relazione per Pasquale Jannaccone. — I trattati di commercio considerati specialmente dal
punto di vista della produzione industriale, relazione per Gaetano Mosca. — Sulle cause
dell’ eecessiva emigrazione della popolazione agricola nelle città e sui rimedi più oppor-
tuni per evitare lo spopolamento delle campagne e l’eccessivo addensamento delle città,
relazione per Luigi Guelpa.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 689
Baratta, Carlo (sacerd.), Prineipi di soeiologia eristiana. Parma, ditta Fiaccadori,
1903. 8. 301 pp. l. 2,50.
Cossa, Emilio, Conflitti e alleanze di capitale e lavoro. Milano, U. Hoepli,
1903. 8. XII—201 pp. 1. 3,50.
Ferri, Enrico, I socialisti e la caserma: discorso pronunciato alla Camera dei
Deputati. Genova, tip. Opraia, 1903. 12. 31 pp. (Biblioteca di propaganda socialista.)
Sorel, Giorgio, Saggi di critica del marxismo pubblicati per eura con prefa-
zione di Vittorio Racca. Milano-Palermo, R. Sandron, 1903. 12. XLVIII—400 pp.
1. 3,50. (Biblioteca di seienze sociali e politiche, n° 45.)
Woltmann, L., Teorja Darwina i demokraeya społeczna. (Die Darwinsche Theorie
und die soziale Demokratie.) Warschau, Wissenschaftl. Verlag, 1903. 8. 500 pp. (in
polniseher Sprache).
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Wright, Carroll D., L'évolution industrielle des États-Unis.
Traduit par F. Lepelletier. Avec une préface de E. Levasseur, membre
de l'Institut. Paris 1901. (Bibliothéque internationale d'Economie poli-
tique publiée sous la direction de Alfred Bonnet.)
Es war ein glücklicher Gedanke der Herausgeber der Bibliothéque
internationale d'Economie politique, ein Werk über die industrielle
Entwickelung Amerikas übersetzen zu lassen, welches den bekannten
Commissioner of Labor der Vereinigten Staaten, Carroll D. Wright, zum
Verfasser hat. Es wird wenige Werke in der nationalókonomischen
Literatur geben, in denen sich Wärme für den Gegenstand mit Unpar-
teilichkeit der Darstellung in so glànzender Weise gepaart findet.
Nirgends drängt sich eine Tendenz vor, aber die Tatsachen reden eine
überzeugende Sprache. Der Verfasser bekundet selbst den praktischen
Sinn seiner Landsleute, indem er sich durch keine Popularitätshascherei
und Modemeinung verleiten läßt, sondern die Dinge schildert, wie sie
sind, und die für seine Nation vorteilhafteste Nutzanwendung daraus zu
ziehen sucht.
Das Buch Wrights ist für uns auch deshalb eine Fundgrube des
Wissens, weil uns kein Land der Welt die Wirkungen des Industrie-
systems vollendeter und unverfälschter demonstrieren kann als Amerika.
Bei uns mußte die freie Großindustrie erst Jahrhunderte alte Formen
und Vorurteile niederbrechen, sie kämpft zum großen Teil noch heute
mit ihnen, nach den Vereinigten Staaten von Amerika aber wurde sie
durch tüchtige und unternehmende Menschen verpflanzt und auf jung-
fräulichem Boden zu überraschender Blüte gebracht. Dort zeigt der
Industrialismus seinen reinsten Charakter, dort äußert er seine schroffsten
Wirkungen, dort müssen sich die Vorteile und Nachteile am deutlichsten
ausgeprägt finden. Und da jete bezeichnend, daß der Chef des ameri-
kanischen Arbeitsamtes am Schlusse seines Werkes dem Industrialismus
einen in Worten malvollen, in Gedanken aber schwungvollen Dithy-
rambus singt.
Zu Beginn enttäuscht das Werk. Der Verfasser teilt die industrielle
Entwickelung Amerikas in drei Perioden, in die Kolonialzeit bis zur
Unabhängigkeitserklärung, in die Zeit vor dem Bürgerkriege und in die
Zeit nach der Sklavenbefreiung. Der erste Teil bringt eine überreiche
Fülle von Details, aus denen der Leser nur ein buntes und wenig in-
struktives Mosaikbild zu konstruieren vermag. Die Kapitel über die
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 44
690 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Entwickelung der Großindustrie in den beiden Perioden 1790—1860
und 1860—1890 sind unvergleichlich konziser, bewegen sich aber, wie
der Verfasser selbst zugibt, auf sehr schwankem Boden. Die summarischen
Vergleiche zwischen Kapitals- und Produktionswert der einzelnen In-
dustrien am Anfang und am Ende der beiden Zeiträume sind sehr
trügerisch. Bei den Produktionsdaten erscheinen die Werte für das
Rohmaterial und für die auf die erste Veredlung verwendete Arbeit
bei allen weiteren industriellen Verarbeitungen immer wieder mitgezählt,
so daß sich nicht bloß eine doppelte, sondern häufig sogar eine mehr-
fache Zählung derselben Werte ergibt. So hübsch also auch die im
Text eingestreuten kleinen graphischen Tabellen sind, die das Wachs-
tum von Kapital und Produktion in den einzelnen Industriezweigen ver-
anschaulichen, so sind sie doch alle falsch. Der Fehler hebt sich auch
nicht durch seine relative Gleichmäßigkeit, wie Wright (S. 120) an-
nimmt, sondern er potenziert sich, weil unterdessen auch die Spezialisierung
der Industrien vorgeschritten ist und die Doppelzählung viel häufiger
eintritt. Von der Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit, solche Pauschalziffern
zu erheben, wie sie die Amerikaner lieben, will ich gar nicht sprechen.
Eine Untersuchung der Einflüsse, welche die Zollgesetzgebung, die
Finanzwirtschaft, die ökonomischen Lehren u. s. w. auf das industrielle
Wachstum ausgeübt haben, hat der Verfasser aus dem Rahmen seiner
Arbeit ausdrücklich ausgeschieden. Der Schwerpunkt der letzteren liegt
in der Untersuchung des Einflusses, welchen das Maschinenzeitalter auf
die sozialen Verhältnisse ausgeübt hat, und darin entfaltet der Ver-
fasser eine Meisterschaft, die das Werk für lange Zeit hinaus zu einem
Leitfaden für Beobachtungen und Erfahrungen aller Art macht.
Schon das Kapitel, welches die am Beginn der neuen Aera aufge-
tretene industrielle Revolution behandelt und die Ueberlegenheit der
freien Arbeit über die Sklavenarbeit darlegt (S. 148 ff.), ist von hohem
Interesse. Weiterhin wird auf Grund eines gut durchgearbeiteten
statistischen Materials gezeigt, daß die Maschine die Zahl und Produktions-
kraft der Arbeiter vermehrt, ihre Löhne erhöht und die Arbeitszeit ver-
ringert hat. Ueberhaupt ist der Anteil der Arbeit am industriellen
Erzeugnis gesunken, der Anteil des Kapitals gestiegen (S. 200).
Der Eintritt der Frauen in die Großindustrie hat die Lage der
Männer nicht verschlechtert, sondern hat die Verwendung der Kinder-
arbeit eingeschränkt und den Männern zu höheren und besser bezahlten
Stellungen verholfen. Die Löhne haben durchweg eine Tendenz zur
Steigerung; eine Verringerung war immer nur eine Ausnahme und von
kurzer Dauer (S. 232).
Der Verfasser begnügt sich aber nicht damit, die ziffermäßigen
Lohnschwankungen festzustellen, er untersucht auch den realen Wert
des Arbeitslohnes. Er kommt zu dem Schlusse, daf sich die Lóhne in
der Zeit von 1860—1891 von 100 auf 168,6 gesteigert, in derselben
Zeit aber 223 allgemeine Konsumartikel im Preise von 100 auf 94,4
ermäßigt haben (S. 236).
Ein besonderer Teil des Buches ist der Arbeiterbewegung und der
Arbeiterorganisation gewidmet, die viele charakteristische und von den
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 691
europäischen Verhältnissen abweichende Züge aufweisen. Nach den
Angaben Wrights gehören etwa 150 000 Arbeiter zur Organisation der
Knights of Labor, etwa 500 000 zur Fédération Américaine du Travail,
welche eine Zentrale verschiedener fachlicher und lokaler Vereinigungen
bildet, etwa 150000 zur Union Americaine du Travail, welche die
Eisenbahnbediensteten umfaßt, und außerdem 600 000 zu verschiedenen,
nicht zentralisierten Körperschaften. Im ganzen umschlingt die Organi-
sation 29,71 Proz. der in den beteiligten Industrien beschäftigten Arbeiter
(S. 277).
Die Arbeiterschutzgesetzgebung hat, wenn man beispielsweise die
deutsche und österreichische Gesetzgebung gegenüberstellt, recht wenig
geleistet. Sie kennt keine allgemeine Beschränkung der Arbeitszeit für
männliche Arbeiter, läßt sogar das Trucksystem zu, auch erklärt sie die
Arbeiterkoalitionen im Prinzip wenigstens für strafbar. Die vorbildlich,
gewordenen Institutionen der Arbeitsämter, der Gewerbeinspektion
u. s. w. gleichen diesen Mangel nicht aus.
Man sieht deutlich, daß die Verbesserung der ökonomischen Lage
des amerikanischen Arbeiters nicht eine Folge der Arbeiterschutzgesetz-
gebung, auch nicht eine Folge der Arbeiterorganisation, sondern viel-
mehr die Folge der praktischen Einsicht der amerikanischen Indu-
striellen ist.
Lehrreich sind die Ausführungen, welche dem Einfluß der Maschine
auf die Arbeit gewidmet sind. Dieser Einfluß ist ökonomischer und
ethischer Natur. Wirtschaftlich sieht man freilich zuerst die Verdrängung
der Handarbeit; Wright glaubt, daß heute durchschnittlich 1 Arbeiter
das leistet, wozu früher durchschnittlich 50 Arbeiter nötig waren.
Gleichzeitig ist aber auch die Verwendungsmöglichkeit des Arbeiters so
gestiegen, daß tatsächlich die Zahl der beschäftigten Arbeiter weit mehr
gewachsen ist, als dies ohne die Maschine jemals möglich gewesen wäre.
Neue Erwerbszweige sind geschaffen worden (Eisenbahnen, Telegraphen,
Telephone u. s. w.), neue Industrien sind erstanden (Kautschukindustrie
u. s. w.) Auch der ethische Einfluß ist ein segensreicher. Die Arbeits-
zeit nimmt ab, der Arbeitslohn nimmt zu, die harte Händearbeit tritt
gegen die leichtere Intelligenzarbeit zurück. Auch ist nirgends der
Boden für sozialistische Utopien so unfruchtbar geworden wie in Amerika.
Die Industrialisierung führt uns also nicht zur Katastrophe, sondern
zur Höhe der Kultur. Nach soviel falschen Elendsbildern, an denen
die moderne nationalökonomische Literatur leidet, ist es herzerquickend,
die goldnen Schlußworte des gerade auf sozialpolitischem Gebiete hoch-
erfahrenen Meisters zu lesen: „The centres devoted to industrial pur-
suits are the centers of thought, of mental friction, of intelligence and
of progress.“ Josef Grunzel.
Silbergleit, Heinrich, Magdeburgs Industrie. Handwerk und
Handel und deren gewerbliche Steuerkraft. Im Auftrage des Magi-
strats der Stadt Magdeburg bearbeitet. 8°. 478 SS. 6 graphische
Tafeln. Magdeburg (C. E. Klotz) 1901.
Dem Interesse, das die Städte an der näheren Erforschung des
44*
692 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
gewerblichen Lebens, welches sich in ihren Mauern abspielt, nehmen
müssen, will die vorliegende umfangreiche Schrift entsprechen, indem
sie das Magdeburger gewerbliche Leben an der Hand der Gewerbe-
statistik und der Ergebnisse der Gewerbesteuerveranlagung einer ein-
gehenden Untersuchung unterzieht.
Die Kombinierung der Gewerbestatistik mit der Gewerbesteuer-
statistik ist meines Wissens noch niemals erfolgt. Es ist somit ein
durchaus neues Gebiet sozial- und wirtschaftsstatistischer Feststellung,
welches der Verfasser, der Leiter des Magdeburger statistischen Amtes,
betritt. Man kann ihm zu seinem Vorgehen Glück wünschen, denn
die Ergebnisse, die er bei seinen mühevollen Untersuchungen gefunden
hat, sind bedeutsamer Art und verdienen die größte Beachtung.
Bei der Gewerbezählung vom Jahre 1895 hat das Magdeburger
‚statistische Amt von jedem für die Reichsstatistik hergestellten Gewerbe-
bogen eine Abschrift angefertigt und auf dieselbe die aus der Gewerbe-
steuerrolle ermittelten gewerbesteuerlichen Merkmale des betreffenden
Betriebes (Betrag der veranlagten Steuer, Zugehörigkeit zu den einzelnen
Steuerklassen) eingetragen. Auf diese Weise wurde ein Zählkarten-
material geschaffen, welches nach den verschiedensten Gesichtspunkten
verarbeitet werden konnte und tatsächlich auch verarbeitet worden ist.
Zwar kann man in der Steuerleistung des Gewerbebetriebes ein genau
zutreffendes Bild seiner wirtschaftlichen Bedeutung nur dann erblicken,
wenn die Steuer nach einem bestimmten Prozentsatz des Ertrages zu
entrichten ist. Dies ist bekanntlich bei der preußischen Gewerbesteuer
nach dem Gesetz vom 24. Juni 1891 allein bei den zur I. Steuerklasse
veranlagten Betrieben der Fall. Bei den übrigen Klassen werden die
Steuerpflichtigen des Veranlagungsbezirks zu einer Steuergesellschaft
vereinigt, welche für das Veranlagungsjahr die Summe der für jeden
Betrieb in Ansatz kommenden Mittelsätze aufzubringen hat. Infolge-
dessen kann hier die Steuerleistung nicht ohne weiteres für die Dar-
stellung der wirtschaftlichen Bedeutung der betreffenden Betriebe ver-
wandt werden. Immerhin lassen sich jedoch, wie es auch in den vor-
liegenden Untersuchungen in durchaus einwandfreier Weise geschehen
ist, mittelbar aus der Veranlagung Schlüsse ziehen, welche für die Er-
forschung der zu untersuchenden gewerblichen Verhältnisse von Belang
sind.
Auf die wertvollen Ergebnisse der Untersuchungen kann leider bei
dem für dieses Referat zur Verfügung stehenden Raum nicht näher ein-
gegangen werden. Es sei nur noch hervorgehoben, daß die Arbeit auch
eine rein praktische Bedeutung hat. Sie ist nämlich zugleich eine gewerbe-
steuerpolitische Betrachtung. Die örtliche Gewerbesteuerreform hat be-
kanntlich seit Außerhebesetzung der staatlichen Gewerbesteuer die größeren
Gemeinden nachhaltig beschäftigt und ist eine Frage, welche in mancher
Gemeinde noch zu lösen ist. Diesem gewerbesteuerpolitischen Charakter
der Schrift wird besonders in ihrem Anhang unter der Ueberschrift
„zur Gewerbesteuerreform* Rechnung getragen. Es werden hier aus-
führlich die Grundsätze dargelegt, welche für die kommunale Gewerbe-
steuerordnung Magdeburgs in Betracht kommen müssen. Manche der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 693
diesbezüglichen Ausführungen dürften auch für andere Großstädte mit
reichgegliedertem gewerblichen Leben Geltung haben.
Zum Schluß noch einige Worte über die Methode und Darstellung
der Schrift. Das Urteil hierüber muß nach jeder Richtung günstig aus-
fallen. Schon beim flüchtigen Durchsehen des umfangreichen Bandes
wird der Leser den Fleiß und das Geschick bemerken, mit dem hier
ein gewaltiges Material gesichtet und verarbeitet ist.
Aachen. M. Mendelson.
Die Verwaltung der Stadt Essen im 19. Jahrjhundert.
Bd. 1. Essen 1902. 600 SS.
Herr Oberbürgermeister Zweiger erstattet in dem vorliegenden
Prachtbande den ersten Verwaltungsbericht der Stadt Essen, welcher von
dem Leiter des statistischen Amtes Dr. Wiedfeldt bearbeitet ist. Der Be-
richt erhält dadurch ein besonderes Interesse, daß er einen Rückblick
auf die Zeit von gerade 100 Jahren werfen kann, wührend welcher die
Stadt nach Verlust ihrer Selbständigkeit unter die preußische Regierung
gelangte. Es ist darin nicht unterlassen, auf die Segnungen hinzuweisen,
welche der Stadt durch die Vereinigung mit dem Königreich Preußen
zu teil geworden sind. Durch den Umstand, daß die städtische Gemeinde
die Kruppschen Werke umfaßt, ist die Entwickelung derselben in dem
letzten halben Jahrhundert natürlich eine ganz exzeptionelle und bedeut-
same gewesen. Durch die reichen finanziellen Mittel, die dadurch der
Gemeinde zuflossen, konnten die óffentlichen Einrichtungen eine beson-
dere Förderung erfahren, und dieses ist in dem Abschnitt III, „die
stádtische Fürsorge für das geistige Leben", wobei zum Teil weit in
frühere Zeiten zurückgegriffen werden konnte, und Abschnitt IV, „die
öffentlichen Einrichtungen zur Versorgung der Bevölkerung mit Nah-
rungs- und Gebrauchsmitteln“ zum eingehenden und interessanten Aus-
druck gekommen. J. C.
Adams (P., Mission.), Lindi und sein Hinterland. Berlin, D. Reimer, 1903. gr. 8.
71 SS. mit Karte.
Chronik, volkswirtschaftliehe, für das Jahr 1902. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8.
636 SS. M. 14. (Sonderabdruck aus den „Jahrbb. f. NatOek. u. Statist")
Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1902. Jahresbericht über den Wirtschafts-
und Arbeitsmarkt. Teil I. Handel und Wandel in Deutschland. Jena, G. Fischer, 1903.
gr. 8. IX—336 SS. M. 8.—.
Heil, Bernh., Die deutschen Städte und Bürger im Mittelalter. Leipzig, B. G.
Teubner, 1903. 8. VIII—151 SS. Mit Abbildgn., geb. M. 1,25.
Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg. Bd. XVIII. Im
Auftrage des Vorstandes herausgeg. v. L. Friederichsen. Hamburg, L. Friederichsen & C°,
1902. gr. 8. VIII-319 SS. Mit 1 Karte in 2 Blättern und 17 Autotypien. M. 12.
(Aus dem Inhalt: Meine dritte Forsehungsreise im Atlasvorlande von Marokko im Jahre
1901, von (Prof.) Theob. Fischer. — Reisebriefe aus Russisch Zentralasien, von Max
Friederichsen.)
Popescu, Stef. D. (HandelshochschProf.), Wirtschaftsgeographische Studien aus
Großbritannien. Leipzig, H. Lorenz, 1903. gr. 8. 178 SS. M. 3.—.
Vanderlip, Frank A. (Vizepräsid. der National-City-Bank in New York), Amerikas
Eindringen in das europäische Wirtschaftsgebiet. 2. Ausgabe. Berlin, Jul. Springer,
1903. gr. 8. 81 SS.
694 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Verney, N. et G Dambmann, Les puissances étrangères dans le Levant en
Syrie et en Palestine. Lyon, A. Rey & C^, 1903. gr. in-8. 800 pag., 2 plans et
3 grandes cartes en couleurs. fr. 40.—. (Ouvrage couronné par l’Académie française
(prix Fabien) et par la Société de géographie commerciale de Paris, médaille Dupleix.)
Brandes, George, Poland: a study of the land, people, and literature. London,
Heinemann, 1903. 8. 318 pp. 12,.—.
Gay, Susan E., Old Falmouth. The story of the town from the days of the
Killigrews to the earliest part of the 19" century. London, Headley, 1903. 8. 274 pp.
7/.6.
d Gerrare, Wirt., Greater Russia: the continental empire of the old world. New
York, Macmillan, 1903. 8. XIII—337 pp. with map, cloth. $ 3.—. (Contents: Tracts
-of the commercial and industrial development of the Empire. — The Russian colonies
in Siberia, partieularly in the far eastern provinees. — The Russian settlements in
Mangolia and Manchuria.)
Sykes, Percy Molesworth, Ten thousand miles in Persia, or eight years in
Irán. London, J. Murray, 1902. 8. XV—481 pp. with 72 plates and 1 chart.
Cocchi, Igino (prof). La Finlandia: ricordi e studi. Firenze, suce. L. Monnier,
1902. 8. XI—390 pp. e 3 tav.
Marchlewski, J. B., Stosunki spoleczno-ekonomiczne w ziemiach zaboru pruskiego.
Lemberg 1903. 8. 359 pp. (Die nationalókonomischen Verhültnisse in PreuBisch-Polen.)
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Kuezynski, R., Die Einwanderungspolitik und die Bevölkerungsfrage der Ver.
Staaten von Amerika. Berlin, L. Simion, 1903. gr. 8. M. 1.—. (Volkswirtschaftliche
Zeitfragen, Heft 194.)
Leue, A. (Hauptm. a. D.), Dar-es-Salaam. Bilder aus dem Kolonialleben. Berlin,
W. Süsserott, 1903. gr. 8. IV—318 SS. mit 15 Vollbildern u. 1 Titelbild, geb. M. 6.—.
Verhandlungen des deutschen Kolonialkongresses 1902 zu Berlin am 10. und
11. X. 1902. Berlin, D. Reimer, 1903. gr. 8. XVI—856 SS., geb. M. 30.—.
Renard, M., Le régime foncier dans les colonies frangaises de l'Afrique. Caen,
impr. Valin, 1903. 8. IX—313 pag.
Annual report, XLVIIl'", of the Registrar-General on the births, deaths, and
marriages registered in Scotland during the year 1902; ete. Glasgow 1903. 8. XXVI—
63 pp.
Farmer, Edwin, The Transvaal as a mission field. London, Gardner, 1903. 8.
150 pp. 2/.6.
Kimball, Gertrude $., Correspondence of the colonial governors of Rhode Island,
1723—1775. 2 vols. Boston, Houghton, Mifflin & C°, 1903. 8. ill., cloth. $ 10.—.
Papers relating to progress of administration in the Transvaal and Orange River
Colony. London, 1903. 8. with maps. 2/.—. (Contents: Repatriation of ex-burghers. —
Return of British refugees and revival of industry. — New settlers. — Report upon
the working of the Department of Agriculture since its formation. — Report on education
in camp and town schools, — Report of Commissioner of mines. — Report by Com-
missioner of native affairs. — ete.) (Parl. pap. issued in April, 1903.)
Bastogi, G. A., Una scritta colonica. Firenze, tip. M. Ricci, 1903. 8. 187 pp.
Lonhitano, Paolo (avvocato), Osservazioni sul fenomeno dell’ emigrazione ita-
liana e sulla legge e regolamento sull'emigrazione dopo un anno dalla sua applicazione,
novembre 1902. Genova, tip. P. Pellas fu L., 1902. 4. 91 pp.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Mitteilungen über den Niederrheinisch-westfäli-
schen Steinkohlenbergbau. Essen 1901.
Der Verein für die bergbaulichen Interessen im Oberbergamtsbezirk
Dortmund zu Essen hat den Teilnehmern am 8. allgemeinen deutschen
Bergmannstag in Dortmund die vorliegende Festschrift gewidmet, welche
auch für weitere Kreise Interesse hat. Mehrere Fachmänner haben sich
vereinigt, um in 13 größeren Abhandlungen eine eingehende Darstellung
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 695
des betreffenden Betriebes zu geben. Leider fehlt jede verbindende
Einleitung, die in hohem Mafle wünschenswert gewesen würe. Die Herren
Bergassessoren Hundt und Kóhne haben eine ausführliche Darstellung
der Lagerungsverhältnisse der Steinkohlen im Ruhrbecken, sowie der
Art der bergmännischen Verwertung gegeben. Eingehend sind dabei
die Schutzmaßregeln (Bergwerksdirektor G. A. Meyer), die geschäftliche
Verwendung des Materials und der Arbeiterverhältnisse behandelt. Es
reiht sich daran als Schlufistein die Behandlung der Eisenhüttenindustrie
vom Bergassessor Dr. Tübben. Eine Menge statistischer Tabellen, graphi-
scher, namentlich kartographischer Darstellungen erleichtern die Ueber-
sicht. Um nur ein Beispiel herauszugreifen, geben wir an, daf Seite 111
die durchschnittliche Verzinsung des im Ruhrkohlenbecken angelegten
Kapitals in Prozenten von 1873—92 (leider nicht weiter) graphisch
dargestellt ist. Die Prozentsütze schwanken zwischen 18 und 1,3 Proz.,
von 1875—1888 bleiben sie unter 4 Proz. Die Entwickelung der Löhne
ist in 4 Klassen von 1878—1900 für Hauer und Schlepper, wenn auch
mit einigen Lücken bis 1853 zurückverfolgt, die Leistung der Arbeiter
in der Förderung sogar bis 1790 zurück, wodurch für die letzten drei
Dezennien eine Vergleichung der Leistungen mit den Löhnen ermög-
lieht wurde (S. 189). J. C.
Brentano, Lujo, Die Getreidezólle als Mittel gegen die Not der Landwirte.
Berlin, Schwetschke & Sohn, 1903. 8. 64 SS. (Sonderabdruck aus „Deutschland“
Monatsschrift für die gesamte Kultur.)
Franke, O., Die Rechtsverhältnisse am Grundeigentum in China. Leipzig, Diete-
riehsche Verlagsbhdlg., 1903. gr. 8. VIII—104 SS. M. 3.—.
Kaffee, der. GemeinfaBliche Darstellung der Gewinnung, Verwertung und Beur-
teilung des Kaffees und seiner Ersatzstoffe. Berlin, J. Springer, 1903. gr. 8. VI—
174 SS. mit 7 Abbildgn. u. 1 Karte. M. 1,40. (Herausgeg. vom kais. Gesundheitsamt.)
Muck, Jos. (Bergingen.), Der Erdwachsbau in Boryslaw. Berlin, Jul. Springer,
1903. gr. 3. VI—218 SS. mit 53 Fig. u. 2 Taf. M. 6.—.
Roheisen, das, unter Mitberücksichtigung seiner weiteren Verarbeitung. I. Teil:
Die einzelnen Produktionslünder (1. Lieferung). Herausgeg. vom k. k. Handelsministerium.
Wien, Manz, 1903. Lex.-8. 250 SS. (Inhalt: Roheisenproduktion-, Verarbeitung und
-Konsum etc. I. Oesterreichisch-ungarische Monarchie: A. Gesamtes Zollgebiet; B. Im
Reichsrate vertretene Kónigreiche und Länder; C. Länder der ungarischen Krone;
D. Bosnien und die Herzegowina. — II. Deutschland. — III. Großbritannien. — IV.
Vereinigte Staaten von Amerika.) [Beilage zum „Oesterreichischen wirtschaftlichen
Archiv‘“.]
Rubow, W., Die hinterpommersche Landgemeinde Schwessin, die Lage ihrer Land-
wirte und ihr Interesse an den Getreidezöllen. Berlin, L. Simion, 1903. gr. 8. 68 SS.
M. 2.—. (Volkswirtschaftliche Zeitfragen, hrsg. von der volkswirtsch. Gesellschaft in
Berlin, Heft 195 u. 196.)
Veróffentlichungen aus den Jahres- Veterinürberichten der beamteten Tier-
ärzte Preußens für das Jahr 1901. Jahrg. II. Zusammengestellt im Auftrage des Vor-
sitzenden der technischen Deputation für das Veterinärwesen von (Departementstierarzt)
Bermbach. 2 Teile. Berlin, P. Parey, 1903. Lex.8. VI—148 u. V—99 SS. Mit
17 Taf. M. 7,50.
v. Wolfstrigl-Wolfskron, Max (Reichsritter), Die Tyroler Erzbergbaue 1301—
1665. Mit Unterstützung der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien. Innsbruck,
Wagnersche UniversBuchhdl., 1903. gr. 8. XVI—473 SS. M. 10.—.
Concours général agricole à Paris, à la galerie des machines, du 5 au 17 mars
1903. "Vins, cidres, poirés et eaux-de vie de France, d'Algérie et de Tunisie. Paris,
impr. nationale, 1903. 8. 335 pag. (Publication du Ministere de l'agriculture.)
696 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dulac, Albert, Agriculture et libre-échange dans le Royaume-Uni. Paris,
Guillaumin & C", 1903. 8. fr. 4,50. (Sommaire: Conditions sociales et économiques. —
Conditions techniques et industrielles de la production. — Conditions commerciales de
la vente. — Economie spéciale de l’entreprise agricole.)
Huet, Ed. (officier d'administration du service des subsistances militaires), Le
grain de blé; d'ou vient'il? ou va-t-il? Paris, Guillaumin & Or, 1903. 8. 415 pag.
fr. 3,50.
Règlement général pour la culture du tabac en 1903 dans le département du
Nord. Lille, impr. Danel, 1903. 8. 62 pag.
Résultats généraux de la récolte en Russie en 1902. St. Pétersbourg 1903. 4.
53 pag. et 10 cartes. (tiré du vol. LIV de la „Statistique de l'Empire de Russie.)
Zolla, D. (prof. à l'Ecole de Grignon et à l'Ecole libre des sciences politiques),
La crise agricole dans ses rapports avec la baisse des prix et la question monétaire.
Paris, C. Naud, 1903. 8. 246 pag. av. figur. fr. 5.—. (Ouvrage couronné par l’Aca-
démie des sciences morales et politiques, prix Rossi.) [Table des matières: I. La baisse
de prix des principaux produits agricoles depuis vingt ans: 1. Les produits végétaux;
2. Les produits d'origine animale; 3. La baisse des prix et l’augmentation de la pro-
duetion en France; 4. La production intérieure et les prix; 5. La baisse du prix des
matières premières de l'industrie agricole; 6. Erreur relative à l'influence qu'a exercée
la baisse des prix sur les recettes brutes des cultivateurs; 7. La baisse des prix des denrées
agricoles. Les recettes brutes et les profits. — II. Les causes de la baisse des prix:
1. Les importations de produits agricoles et la baisse des prix; 2. La crise monétaire et
la baisse des prix (a, La baisse de largent et l'appréciation de l'or; b, La rareté relative
de l'or; e, La concurrence des pays A étalon d'argent); 3. L'agriculture et l'impôt;
4. Le développement de la production agricole dans le monde et la transformation des
moyens de transport. — III. Les remèdes: 1. La législation douanière et la crise;
2. La protection des intérêts agricoles; 3. Les solutions définitives. — IV. La portée
sociale de la crise agricole.]
Average prices of certain classes of Irish agrieultural produets and live stock for
1902. Dublin 1903, with diagrams. 1/.6. (Parliam. pap., issued in April, 1903.)
Buxton, Sydney, Fishing and shooting. New York, Dutton. 286 pp. illustr.,
cloth. $ 3,50.
Moore, 8. A., and H. S., The history and law of fisheries. London, Stevens A
Haynes, 1903. Roy.-8. XIV—446 pp. 21/.—.
Myrick, Herbert, A. D. Shamel, H. J. Waters, and others, The book of
corn: a treatise upon the eulture, marketing and uses of maize in America and elsewhere.
New York, Orange Judd C°, 1903. 12. 384 pp. cloth. $ 1,50. (Contents: A brief
history of the corn plant. — Silos. Location. Construction and filling. — Corn pests
and diseases. — Specialities in corn culture. — Maize in other countries. — Tables
showing erop and movement. — Exports from the United States. — Prices for a series
of years. — etc.
Almanacco agrario italiano pel 1903: Anno I. Piacenza, tip. V. Porta, 1903. 12.
278 pp. c. fig.
Cusumano, Vito (prof), Il catasto e la perequazione fondiaria; lezioni: com-
mento alla legge 1° marzo 1886 per uso degli ingegneri e dei periti agronomi. 4* ediz.
Palermo, A. Reber, 1902. 8. 59 pp. l. 1.—.
Petrilli, Nest., Considerazioni agrarie sul piano di Capitanata: studio. Napoli,
tip. E. Paperi, 1902. 8. 87 pp. l. 2,25.
Krzywieki, L., Kwestya rolna. (Die Agrarfrage. Warschau, Wissenschaftlicher
Verlag, 1903. 8. 407 SS. (in polnischer Sprache).
5. Gewerbe und Industrie.
Untersuchungen über die Heimarbeit der Frauen in
Dresden. Heft 1 der Schriften der Dresdner Gesellschaft für soziale
Reform, 1902.
Die vorliegende kleine, nur 40 Seiten umfassende Schrift berichtet
über die Ergebnisse einer Enquete, welche in Dresden von einer Anzahl,
verschiedenen Berufen und Organisationen angehórenden Privatpersonen
vorgenommen wurde. Obwohl dieselbe nur Untersuchungen über die
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 697
Heimarbeit anzustellen beabsichtigte und obwohl der 1. Teil die Ueber-
schrift trägt: „Untersuchung über die gewerbliche Nacht- und Sonntags-
arbeit der Frauen in Dresden“, sind in der Schrift keineswegs nur in
diesem Rahmen sich bewegende Fragen beantwortet, sondern willkürlich
andere, allerdings interessante, Angaben hier mit hineingezogen, dort
der Ueberschrift gemäß fortgelassen, so daß die Gesamtdarstellung kein
ganz einheitliches, klares Bild gibt.
500 Fragebogen kamen zur Verteilung, von denen nur etwas über
ein Drittel in brauchbarer Weise ausgefüllt wurden. Herr Paul Scheven
berichtet im 1. Teil der Schrift über die Angaben von 41 Heimarbeiterinnen,
welche sich auf 7 verschiedene Gewerbszweige verteilen und von 60 Be-
triebswerkstätten- bezw. Fabrikarbeiterinnen verschiedener Branchen,
welche nebenbei Heimarbeit verrichten. Die Zahl der Befragten, welche
auf die einzelnen Branchen kommen, ist hiernach außerordentlich klein
und es scheint uns die Bedeutung dieser Enquete dadurch etwas zweifel-
haft zu werden.
Es wird konstatiert, daß die Konfektionsarbeiterinnen, welche in
Betriebswerkstätten beschäftigt sind, wohl zeitweise Arbeit mit nach
Hause nehmen, aber trotzdem eine Nachtruhe von 7—9 Stunden zu
haben pflegen. Der Wochenlohn der eingearbeiteten Frauen und Mädchen
beträgt 8—13 M., der der jüngeren 3—8 M. Die überwiegende Zahl,
das sind 14, war mit ihrem Gesundheitszustand zufrieden.
Nur 17 Heimarbeiterinnen der Konfektionsbranche gaben brauch-
bare Auskunft. 11 dieser 17 waren verheiratet und hatten die Heim-
arbeit übernommen entweder, weil der Mann krank oder arbeitslos war,
oder weil er zu wenig verdiente. Sehr viele Frauen von Saisonarbeitern
nehmen in der flauen Zeit Heimarbeit an, doch kommt es merkwürdiger-
weise fast nie vor, daß ihre Männer sie dabei unterstützen, wie das
z. B. in der Cigarettenfabrikation sehr leicht möglich wäre, eher über-
nehmen sie dann an Stelle der Frau die Hausarbeit. Zum alleinigen
Unterhalt einer, wenn auch kleinen Familie reicht der Ertrag der
Konfektionsheimarbeit fast nie aus. 8—10 M. wöchentlicher Verdienst
ist das Durchschnittliche, auf 15 M. kommen sie selten und dann pflegt
für Arbeitsgerät und dergleichen mancherlei abzufallen. Ueber den
Gesundheitszustand klagten wenige.
Einige Tabellen geben Aufschluß über die Detailverhältnisse in
den verschiedenen Gewerbszweigen, was besonders wichtig ist, da
z. B. die Konfektionsindustrie eine entschiedene Saisonindustrie ist, so
daß der Jahresdurchschnitt in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit etc. gar
kein richtiges Bild gibt.
In der Blumenfabrikation wurden nur 6 Betriebswerkstättenarbeite-
rinnen und 4 Heimarbeiterinnen befragt, also eine kaum erwähnenswerte
Zahl. In der Saison verdienen dieselben 9—10 M., außerhalb derselben
4—7 M. wöchentlich; für ca. 20 Ueberstunden wurden 3 M. gezahlt;
einige arbeiten am Sonntag 3—5 Stunden, des Abends 1—3 Stunden
daheim.
Die 4 befragten Arbeiterinnen der Nahrungsmittelbranche berichten
über sehr lange Arbeitszeit bei sehr kärglichem Lohn.
698 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Der Verfasser des 1. Teils der Schrift gibt selbst zu, daß die
Zahl der ausgefüllten Fragebogen zu gering ist, um einen wertvollen
Einblick in die Verhältnisse zu gewähren oder gar Schlüsse zu ge-
statten. Folgendes glaubt er aber doch den Erhebungen entnehmen
zu dürfen: Die Notwendigkeit, die zwangsweise Krankenversicherung
auch auf die Heimarbeiter auszudehnen und ferner eine Wohnungs-
inspektion einzuführen. Auch die Einführung des obligatorischen Fort-
bildungsunterrichtes für weibliche Arbeiterinnen ist von einer Seite
der Erhebenden vorgeschlagen worden.
Der 2. Teil der kleinen Arbeit beschäftigt sich mit der Cigaretten-
industrie und ist von Herrn Wuttke verfaßt. 73 brauchbar ausgefüllte
Fragebogen sind ihm von Heimarbeiterinnen eingegangen, von denen
67 verheiratet waren. Hier gelten vor allem unsere vorherigen Aus-
führungen über die Gründe der Heimarbeit. Entschieden interessant
ist es, daß in den Tabellen stets das Verdienst des Mannes neben das
der Frau gestellt wurde, woraus ersichtlich, ob die Heimarbeit der
Frau eine Notwendigkeit war oder nicht. Auch die Zahl der un-
erwachsenen Kinder wurde diesen Angaben beigefügt. Viele Frauen
arbeiten des Sonntags und am grauen Morgen oder relativ späten
Abend, aber häufig allein zu dieser Zeit, da sie den Tag über
durch Haushalt und Familie, vereinzelt auch durch Nebenverdienst be-
schäftigt sind.
Der durch jene Cigarettenheimarbeit erzielte Verdienst ist sehr ge-
ring. Für die Herstellung von 1000 Stück Cigaretten mit Hülse werden
0,90—2 M. bezahlt, durchschnittlich bringt aber eine geübte Arbeiterin
nur 100 in einer Stunde fertig, somit werden für 10 Stunden Arbeit
etwa 1,50 M. gezahlt.
74 der Fragebogen gaben über die Heimarbeit von Fabrikarbeite-
rinnen in der Cigarettenindustrie Auskunft, 49 der Arbeiterinnen waren
ledig. Die Arbeit in der Fabrik währte meist 8—9 Stunden, danach
arbeiteten sie noch 2—3 Stunden zu Hause und erzielten so 12—14 M.
wöchentlichen Durchschnittslohn. Doch nahmen nur wenige, 7, regel-
mäßig Arbeit mit nach Hause, manche arbeiteten auch 11 Stunden in
der Fabrik. 2 Stunden Sonntagsarbeit wurden nicht oft überschritten.
Merkwürdig ist, daß gerade die Frauen, welche am wenigsten ver-
dienen und sich in der gedrücktesten Lage befinden, in ihren Aus-
sagen sehr zurückhaltend oder ganz ablehnend sind; so daß das Bild
noch etwas düsterer entworfen werden müßte, um ganz der Wirklichkeit
zu entsprechen. E. C.
Jahrbuch der Hamburger Arbeiterkolonie und der Heimatkolonie Schäferhof für
1903. Hamburg, Druck von H. Dobbertin, 1903. gr. 8. 42 SS.
Kirchner, E. (Prof.), Das Papier. Historisch-technologische Skizzen. Chemnitz,
Druck von Pickenhahn & Sohn, 1903. 4. (Beigabe zum Jahresbericht der technischen
Staatslehranstalten in Chemnitz, Ostern 1902—1903.)
Sigel, Walt., Der gewerbliche Arbeitsvertrag nach dem bürgerlichen Gesetzbuch.
Stuttgart, J. B. Metzler, 1903. gr. 8. VIII—192 SS. M. 4.—.
Bru, E., Essai sur la règlement du travail à domicile. Paris, Larose, 1903. 8.
338 pag. (thèse.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 699
Fagnot, F., Le syndicalisme anglais. R&sum& historique (1799—1902). Paris,
Société nouvelle de librairie et d’édition.
Liger, Léon, La protection des enfants employés dans les professions ambulantes
et théâtrales. Paris, A. Rousseau, 1902. 8. 132 pag.
Paseaud, H. (conseiller à la cour d'appel de Chambéry), Le contrat de travail
au point de vue économique et juridique, et l'utilité de sa réglementation législative.
2* éd. Paris, Fontemoing, 1903. 8. 213 pag. fr. 3,50.
Rapports présentés au congrès des études économiques pour les emplois indu-
striels de l'aleool (Paris 1903). Paris, imprim. nationale, 1903. 8. 138 pag. (Publication
du Ministere de l'agriculture.)
Série de prix de travaux de la chambre syndicale des entrepreneurs de travaux
de bâtiment de la ville de Lyon. 6° éd. Lyon, Mercier, 1902. in-4. 380—XII pag.
fr. 14.—.
Cust, A. M., The ivory workers of the middle ages. London, G. Bell, 1902. 12.
170 pp. with fig.
Labour Commissioners of New South Wales. Report for the year ended 30'^ June,
1902. Sydney, W. A. Gullick printed, 1902. Folio. 58 pp. with 7 photogravs.
Annali dell industria e del commercio 1902: Atti del Consiglio dell’ industria e
del commercio, sessione ordinaria dell'anno 1902. Roma, tip. nacion. di G. Bertero & C.,
1903. gr. 8. 123 pp.
Cavagnari, Camillo, Studi sul contratto di lavoro, col testo del progetto di
legge sul contratto di lavoro presentato alla Camera dei Deputati. Roma, società editr.
Dante Alighieri, 1902. 8. 80 pp.
Tombesi, Ugo, L'industria del ferro in Italia. Pesaro, G. Federici, 1903. 8.
106 pp. 1. 2.—. 5
6. Handel und Verkehr.
Huber, F. C., Die Kartelle. Ihre Bedeutung für die Sozial-, Zoll-
und Wirtschaftspolitik. Stuttgart und Leipzig (Deutsche Verlagsanstalt)
1903. 163 SS.
Das Kartellproblem hat in den 2 Jahrzehnten, in denen sich die
Wissenschaft mit ihm beschäftigt, eine solche Ausdehnung gewonnen,
daß es kaum mehr möglich erscheint, in einer Schrift alle Seiten des-
selben eingehend zu behandeln. Was wir jetzt brauchen, sind daher
einerseits Monographien über einzelne Kartelle, die aber schwierig sind,
weil sie sich zumeist zu einer Geschichte der ganzen in Betracht
kommenden Industrie auswachsen werden, und andererseits Spezial-
untersuchungen über gewisse Einzelfragen des großen Kartell- oder
Monopolproblems. Dennoch werden gerade diese beiden Aufgaben heute
vernachlässigt, dagegen erhalten wir eine Schrift nach der anderen, die
die Kartellfrage im allgemeinen behandelt. Manche derselben sind von
Vertretern und Leitern wirtschaftlicher Interessenvereinigungen verfaßt,
die ihre amtliche Tätigkeit mit der Kartellfrage in Berührung brachte,
und dann zumeist aus Vorträgen entstanden, welche die Verfasser auf
Veranlassung der von ihnen geleiteten Vereinigungen gehalten haben.
Dies ist auch die Entstehung obengenannter Schrift Prof. Hubers ge-
wesen, der sie als die „erweiterte Ausgabe eines dem II, württem-
bergischen Handelskammertag erstatteten Referates“ bezeichnet. Mit
der Art ihrer Entstehung erklären sich die Vorzüge wie die Mängel
des Buches. Letztere bestehen in dem unsystematischen Charakter des
Werkes, welches nach dem in 4 Kapitel geteilten Hauptabschnitt drei
fast ebensolange Anhänge umfaßt, die das im 1. Teil Gesagte ergänzen
sollen. Der Hauptmangel der Schrift vom Standpunkte wissenschaftlicher
Beurteilung aus dürfte aber wohl in dem Fehlen begrifflicher und
700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes
theoretischer Grundlagen, klarer Abgrenzungen und Terminologien zu
finden sein. Zahlreiche irrtümliche und falsche Urteile hängen damit
zusammen, so wenn oft von den Kartellen behauptet wird, was nur
von den Trusts gilt, oder Urteile über die Kartelle im allgemeinen
abgegeben werden, die nur für bestimmte Formen gelten, oder wenn
Investment Trusts und Allianceverbände mit den Kartellen zusammen-
geworfen werden. Es würde hier zu weit führen, das im einzelnen
nachzuweisen.
Der Vorzug des Buches besteht dagegen in der eingehenden Wieder-
gabe und Besprechung des Materials, das dem Verfasser zur Verfügung
stand. Hierin liegt wenigstens das Neue, das Kenner der bisherigen
Literatur in Hubers Buch finden können, und darin besteht also auch
sein wissenschaftlicher Wert. Jedoch scheint mir, daß sich der Verf.
gar zu ausschließlich auf das ihm amtlich zugegangene Material bei
seinen Urteilen beschränkt hat und daß er die bisherige Literatur nicht
genügend berücksichtigt. Offenbar beabsichtigt er aber auch weniger,
wissenschaftlich Neues zu bringen, als weitere Kreise mit dem Kartell-
problem vertrauter zu machen, und dazu ist die Schrift auch trotz des
unsystematischen Charakters wegen ihrer leichten Lesbarkeit und einer
gewissen Breite der Darstellung zweifellos geeignet. Darum sind auch
wohl, wie schon aus dem Titel hervorgeht, die wirtschaftspolitischen
Fragen, die mit den Kartellen in Zusammenhang stehen — „Sozial-,
Zoll- und Wirtschafts(?)politik* — die das Publikum besonders interessieren,
am eingehendsten behandelt, und diese Partien sind auch meines Er-
achtens die besten des Buches. Robert Liefmann.
Auf dem Wege zur Eisenbahngemeinschaft? Ein Beitrag zur süchsischen Eisenbahn-
frage von einem Fachmann. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1903. gr. 8. M. 0,75.
Bericht der Direktion der pfälzischen Eisenbahnen über die Verwaltung der unter
ihrer Leitung stehenden Bahnen in dem Jahre 1902. Ludwigshafen a/Rh., Baursche
Buchdruckerei, 1903. gr. 4. IV—158; 6; 41 u. 29 SS.
Bericht der Handelskammer Dresden über das Jahr 1902. I. Teil. (Tütigkeit der
Kammer.) Dresden, Druck von C. Heinrich, 1903. gr. 8. VI—103 SS.
Grothe, L. H., Tripolitanien und der Karawanenhandel nach dem Sudan. Leip-
zig, Seele & C^, 1903. gr. 8. 28 SS. M. 0,30. (Hochschulvortrüge für Jedermann,
Heft 31.)
Hamburgs Handel im Jahre 1902. Sachverständigenberichte herausgeg. auf Ver-
anlassung der Handelskammer. Hamburg, Ackermann & Wulff Nachf., o. J. (1905).
gr. 8. 128 SS.
Handelskammer zu Frankfurt a. Main. Jahresbericht für 1902. I. Teil mit
Ergänzungen bis 1. 4. 1903. Frankfurt a. M., Selbstverlag der Frankfurter Handels-
kammer, 1903. gr. 8. VI-—162 SS. |
Hesse, Herm., Die ostafrikanische Bahnfrage. Berlin, W. Süsseroth, 1903. gr. 8.
41 SS. Mit Abbildgn. u. 1 Kartenskizze. M. 1,50.
Hintze, H., Winke für den Export nach überseeischen Gebieten. Afrika. Berlin,
Bruhn & v. Wolffrad, 1903. gr. 8. 45 SS. M. 1.—.
Jahresbericht der Handelskammer für Barmen pro 1902. Barmen, Söhn &
Ackermann, 1903. gr. Folio. 64 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Chemnitz 1902. I. Teil. Chemnitz, Ed.
Focke, 1903. gr. 8. XVII—196 SS.
Jahresbericht, vorläufiger, der Handelskammer zu Cöln für 1902. Cóln,
Druck von M. Du Mont Schauberg, 1903. gr. 8. XV—108 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Amtsbezirk Pforzheim über das Jahr
1902. Pforzheim, H. Rufsehe Buchdruckerei, 1903. 8. 144 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701
Jahresbericht der Schwarzwälder Handelskammer für den Kreis Villingen und
den Amtsbezirk Neustadt in Villingen für das Jahr 1902. Villingen, März 1903. 8.
156 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Wiesbaden für 1902. Wiesbaden, Druck
von Rud. Bechtold & C°, 1903. gr. 8. 154 SS.
Vollversammlung, XXIX., des Deutschen Handelstags in Berlin am 18. und
19. März 1903. (Stenographischer Bericht.) Berlin, Liebheit & Thiesen, 1903. 4. XV—
102 SS.
Wiedenfeld, Kurt (Privdoz, Berlin), Die nordwesteuropäischen Welthüfen
London, Liverpool, Hamburg, Bremen, Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen, Havre in
ihrer Verkehrs- und Handelsbedeutung. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1903. gr. 8.
XI—376 SS. mit 6 Taf. M. 12.—. (A. u. d. T.: Verôffentlichungen des Instituts für
Meereskunde etc. an der Univers. Berlin, Heft 3.)
Annuaire de l’alliance syndicale du commerce et de l’industrie pour 1903. Paris,
impr. Duruy, 1903. 8. 108 pag.
Annuaire du commerce des soies et soieries de France et de l'étranger pour
1903 (31° année). Lyon, impr. Waltener & C^, 1903. 8. 312 pag.
Annuaire commercial de la ville d'Amiens et de ses sections rurales pour 1903.
61* année. Amiens, impr. picarde, 1903. 8. 552—CCXL pag. et plan.
Annuaire du Ministère des postes et des télégraphes pour 1903. 73* année. Paris,
Paul Dupont, 1903. 8. fr. 3,50. (Contenant renseignements sur le service des postes
et des télégraphes pour la France, les colonies et l'étranger; sur le service des paque-
bots-poste francais et étrangers; sur la caisse d'épargne postale, eto.)
Chéradame, A., La question d'Orient. La Macédoine. Le chemin de fer de
Bagdad. Paris, Plon, Nourrit & C'*, 1903. 8. Avee 6 cartes. fr. 4.—.
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Martineau, Alfr. (gouverneur de Mayotte et dépendances), Les eommerce francais
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June 30, 1902. (2 vols.) Vol. I. Prepared in the Bureau of Statistics (O. P. Austin,
Chief of Bureau). Washington, Government Printing Office, 1902. 4. 932 pp. Con-
tents: Review of the foreign commerce of the United States, 1902, — Summary tables.
— Wholesale prices. — General tables of commerce. — Miscellaneous tables of com-
merce. — General tables of tonnage movement, — Commerce of Porto Rico and of the
United States with Porto Rieo. — Commerce of Hawaii, — Commerce of Guam.)
Free trade and proteetion. London, Sell, 1903. 8. 99 pp. 2/.6. (Commercial in-
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Railway year book for 1903, the. London, Railway Magazine, 1903. 8. 2/.6.
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Stubbs’, Commercial year-book and gazette. Index for 1903. London, Stubbs,
1903. 8. 385 pp.
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Annuario ufficiale della r. marina, 1903 (anno XLII). Roma, tip. L. Cecchini,
1903. 8. LVIII—714 pp. e ritr.
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commerciale dei vilayet di Scutari e di Gianina (Albania): relazione in seguito alla
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Rava, L., V. Capello e De Benedetti, Il congresso di Londra del 1902 sulle
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Jörgens, Max, Finanzielle Trustgesellschaften. Münchener
volkswirtschaftliche Studien, hrsg. von Lujo Brentano und Walther Lotz.
54. Stück. 160 SS.
Der Verfasser glaubt sich in seinem Vorworte rechtfertigen zu
müssen, weil er seine Arbeit noch veröffentlicht, nachdem mein Buch
„Depositenbanken und Spekulationsbanken“, in dem allerdings auch die
„finanziellen Trustgesellschaften“ — wohl zum ersten Male in der wissen-
schaftlichen Literatur — eine eingehendere Erörterung gefunden haben,
bereits erschienen sei. Das war nicht nötig. Es handelte sich für
mich nur um ein Grenzgebiet, und so kommt es, daß der Leser in
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703
meiner Schrift, die übrigens erst veröffentlicht wurde, nachdem
Dr. Jörgens seine Untersuchungen bereits dem Abschlusse nahe ge-
bracht hatte, vieles nur gestreift werden konnte, dessen nähere Aus-
führung Aufgabe einer selbständigen Monographie sein mußte. Da-
durch, daß Jörgens mit einer solchen unsere Fachliteratur bereicherte,
hat er sich unzweifelhaft sehr verdient gemacht. Mit Bienenfleiß hat
er das spärliche Material zusammengetragen und in verständnisvoller
Weise verarbeitet. Nur einige englische einschlägige Arbeiten, die aber
für den wissenschaftlichen Forscher fast bedeutungslos sind, scheinen
ihm entgangen zu sein, so z. B. das in erster Linie für praktische Zwecke
geschriebene Buch von Scratchley: On average investment trusts, London
1875, hier und da würde es dem Verfasser vielleicht nicht unwillkommen
gewesen sein. Zu bedauern ist, daß die amerikanischen finanziellen Trust-
gesellschaften nicht etwas eingehender behandelt werden konnten, schon
eine Verarbeitung des Materials, welches J. J. Knox in seinem umfang-
reichen Werke: A History of Banking in the United States (New York
1900) bietet, wäre dankenswert gewesen.
Das, was mir bei der Schrift am wenigsten gefällt, ist — der Titel.
Meiner Ansicht nach kommt der Name „finanzielle Trustgesellschaft“
nur solchen Gesellschaften zu, die durch Ankauf möglichst vieler ver-
schiedener Arten von Effekten eine höhere Rente, als erstklassige, und
— infolge größerer Verteilung des Risikos — eine gleichmäligere Rente
als nicht-erstklassige Papiere abzuwerfen pflegen, anstreben. (Vergl.
Depositenb. u. Spekulationsb. S. 45.) Für die Richtigkeit meiner Auf-
fassung bürgt die eigentliche Bedeutung des Wortes „Trust“, die
Entstehungsgeschichte der englischen und amerikanischen finanziellen
Trustgesellschaften, sowie endlich der herrschende Sprachgebrauch in
der englisch-amerikanischen Theorie und Praxis. Jörgens nennt hin-
gegen „finanzielle Trustgesellschaften“ auch solche Gesellschaften, „bei
denen im Vordergrund steht das Finanzierungsgeschäft, die Kapital-
verschaffung für Aktienunternehmungen“, ja mit diesen beschäftigt sich
sogar die Abhandlung vorwiegend. Es läßt sich nicht leugnen, daß der
Verfasser bei seiner Terminologie lediglich dem Sprachgebrauche der
deutschen Praxis folgt. Dieser mag sich daraus erklären, daß Ende der
80er und Anfang der 90er Jahre — also zu einer Zeit, wo die ersten
Gründungen unserer sogenannten „Trustgesellschaften“ vorbereitet wurden
— in England viele „Financial Companies“, um dem Publikum Sand in
die Augen zu streuen, den Namen „Trust“ annahmen und andererseits
viele ursprüngliche Trustgesellschaften ihrem Programme untreu wurden
und in der damaligen Hausseperiode vorübergehend sich mit Gründer-
geschäften abgaben. Während man dann in England in den folgenden
Jahren mit Erfolg Front machte gegen den Mißbrauch des Wortes, hat
man in Deutschland unangefochten das Wort „Trust“ vielfach zur Be-
zeichnung von Gesellschaften gebraucht, die böse Zungen wohl „Kuddel-
Muddel-Gesellschaften“ genannt haben. Tatsächlich ist der Unterschied
zwischen der einer Sparkasse oder, wenn man will, einer Versicherungs-
gesellschaft ähnlichen echten „finanziellen Trustgesellschaft“ und einer
„Finanzgesellschaft“ etwa nach dem Muster der „Aktiengesellschaft für
704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Montanindustrie", die der Verfasser für eine gewisse Art von Trust-
gesellschaften als typisch ansieht, so groß, daß sie in einer wissenschaft-
lichen Arbeit nicht unter denselben Begriff gebracht werden sollten.
Im übrigen unterrichtet die Arbeit aber über Wesen, Entstehung, Or-
ganisation und Entwickelung der englischen und deutschen Trust- und
Finanzgesellschaften in so vorzüglicher Weise, daß sie nur bestens
empfohlen werden kann.
Bonn. Adolf Weber.
Bauer, Ph., (Assistent am großherz. statistischen Landesamt in Karlsruhe), Die
Aktienunternehmungen in Baden. Ein Beitrag zur Kenntnis der großindustriellen- und
Verkehrsentwickelung des Landes. Karlsruhe, Macklot, 1903. Lex.-8. VIII—372 S5.
M. 10.—.
Beiträge zu einer Individualstatistik der Sparer. Auf Grund des Materials des
Sparkassenamtes bearbeitet im statistischen Amte der Stadt Frankfurt a./M. Frank-
furt a./M., Druck von R. Mahlau, 1903. gr. 4. 19 SS.
Bericht über die am 12. XII. 1902 abgehaltene wissenschaftliche Mitglieder-
versammlung des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft. Berlin, E. S. Mittler
& Sohn, 1903. gr. 8. 118 SS. mit 4 Taf. graphischer Darstellungen. (Veröffentlichungen
des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft. Herausgeg. von Alfr. Manes,
(Generalsekr. d. Vereins.)
Berufsgenossenschaft, land- und forstwirtschaftliche, des Fürstentums Reuß j, L.
Geschäftsbericht für das Jahr 1902. o. O. u. J. (Gera 1903. 4. 33 SS.
Gumpel, S., Die Spekulation in Goldminenwerten. Praktische Ratschläge und
Belehrungen. Freiburg i. B., Fr. Ernst Fehsenfeld, 1903. 8. VIII—247 SS. Mit
Karten und Plänen, geb. M. 5.—. (Inhalt: Von der Theorie der Spekulation. — Von
der Praxis der Spekulation. — Londoner Börsenschwindel. — Allgemeine Warnungen.
— Anhang.)
Hucke, Jul., Das Geldproblem und die soziale Frage. Eine gemeinverstándliche
Darlegung der im heutigen Geldgebrauche steckenden Ursachen des sozialen Uebels.
5. Aufl. Berlin, Mitscher & Röstell, 1903. gr. 8. XV—456 SS. M. 6.—.
Meyer, Hugo (Mathematiker beim Reichsversicherungsamt), Beiträge zur Pensions-
versicherung. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. VIII—172 SS. M. 6.—.
Müller, Neander, Juristische Lehrmeinungen über Börsengeschäfte. Aus den
Gesichtspunkten der Praxis beleuchtet. Im Auftrag des Zentralverbandes des deutschen
Bank- und Bankiergewerbes veröffentlicht. Berlin, J. Guttentag, 1903. gr. 8. 4188.
mit 1 Tab. M. 1.—.
Riehn, Rhold. u. (Arbeitersekr.) J. Giesberts, Arbeiterkonsumvereine. Referate.
Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. 55 SS. M. 0,40. (Schriften der Gesellschaft für soziale
teform. Heft 9.)
Stefan, Emil, !/, Jahrhundert Versicherungswesen in Oesterreich-Ungarn. Wien.
Freytag & Berndt, o. J. (1903). gr. 8. 12 SS. Text und 30 SS. Diagramme. M. 3,50.
Coulouma, C., Le jeu dela bourse. Etude générale sur ses caractères, ses formes,
sa réglementation. Toulouse, impr. Saint-Cyprien, 1903, 8. XII— 204 pag.
Extrait du rapport au Roi sur la situation de la gestion de la caisse d'épargne
postale de Suède pendant l'année 1901. Rapport présenté par la direction de la caisse.
Stockholm, imprim. Beckman, 1903. 4. 23 pag.
Société anonyme des mines et fonderies de zine de la Vieille-Montagne. Caisse
des ouvriers. Rapport au Conseil d'administration sur les opérations de l'exercice 1902.
Liege, impr. du Journal „La Meuse“, 1903. gr. in-8. 12 pag.
Vigne, Marcel (avocat à la Cour d'appel de Lyon), La banque à Lyon du
XV* au XVIII” siècle, Lyon, A. Rey & Ci, 1903. 8. 250 pag. fr. 6.—.
Cox, Charl, How and where to insure. Stating the companies (by name) which
provide best terms all kinds of policies. London, Stone & Cox, 1903. 8. 128 pp. Je:
Hill, G. F., Coins of ancient Sicily. London, Constable, 1903. Roy.-8. 21/—
Lubbock, A. (Sir), A short history of eoins and currency. New York, Dutton,
1903. 12. 145 pp. $ 0,60.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705
d’Angelo, P., La contabilità dei corrispondenti nelle maggiori banche: norme
teorico-pratiche. Chieti, tip. C. Marchionne, 1902. 4. 70 pp.
Lorenzoni, Giovanni, La cooperazione agraria nella Germania moderna: saggio
descrittivo e teorico. Trento, soc. tip. editr. Trentina, 1901—02. 8. 2 voll. VII—265;
XII—308 pp. 1. 12.—.
9. Soziale Frage.
de Beer, S. (Frau) Das Verschleierungssystem und die Prostitution. Leipzig,
Verlag der „Frauenrundschau“, 1903. 8. 35 SS. M. 0,50.
Elend, großstädtisches. Skizzen aus der Mappe eines Pflegers. Herausgeg. vom
Vorstande des Vereins gegen Verarmung und Bettelei in Wien, I. Tiefer Graben N° 36,
Wien, Verlag des Vereins, 1903. 8. 52 SS. K. 1.—.
v. Erdberg, Rob. (Berlin, Die Wohlfahrtspflege. Eine sozialwissenschaftliche
Studie. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. 72 SS. M. 1,50.
Ergebnisse, die, der Sommerpflege in Deutschland (Ferienkolonien, Kinderheil-
stätten u. s. w.) im Jahre 1901. Bericht der Zentralstelle der Vereinigungen für Sommer-
pflege in Deutschland. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1903. gr. 8. 51 SS. M. 1,50.
Holzapfel, P. Heribert, Die Anfänge der montes pietatis (1462—1815).
München, J. Lentnersche Bhdlg., 1903. 8. 140 SS.
Laurent-Montanus, Prostitution und Entartung. Ein Beitrag zur Lehre von
der geborenen Prostituierten. Freiburg i./B., Lorenz, 1903. gr. 8. 50 SS. M. 1,20.
Mesnil, Jaques, Die freie Ehe. Uebersetzt von K. Federn. Schmargendorf-
Berlin, Verlag „Renaissance“, 1903. 8. M. 0,60.
Schäfer, Th. (Pastor, Direktor d. Diakonissenanstalt zu Altona), Leitfaden der
inneren Mission zunächst für den Berufsunterricht in Diakonen- und Diakonissenanstalten.
4. Aufl. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses, 1903. gr. 8. XI—473 SS. geb. M. 7.—.
Wilhelm, E., Sind Frauen Staatsbürgerinnen? Der studierenden Jugend ge-
widmet. Berlin, Rosenbaum & Hart, 1902. gr. 8. 102 SS.
Wohlfahrtseinrichtungen der Arbeitgeber zu Gunsten ihrer Angestellten und
Arbeiter in Oesterreich. I. Teil Wohlfahrtseinrichtungen der Eisenbahnen. Heft 2:
Die bei den k. k. ósterreichischen Staatsbahnen bestehenden Wohlfahrtseinrichtungen.
Wien, Alfr. Holder, 1903. Lex.8. VI—118 SS. (Herausgeg. vom k. k. arbeits-
statistischen Amte im Handelsministerium.)
Chambon, O. (rédacteur en chef de la Bourgogne), Le devoir social de la femme
francaise. Auxerre, impr. Chambon, 1903. 16. 32 pag.
McKenzie, F. A., Famishing London. Á study of the unemployed and unem«
ployable. London, Hodder & Stoughton, 1903. 8. 88 pp. 1/.—.
Sherwell, Arthur, The drink peril in Scotland. London, Oliphant, Anderson
& Ferrier, 1903. 8. 62 pp. 1/.—. `
Trevelyan, Will. Pitt, Some results of boarding out poor law children. With
a preface by the (Rev.) G. P. Trevelyan. London, P. S. King, 1903. 8. XV—91 pp.
2/.—.
Billa, Lorenzo M., Difendiamo la famiglia. Saggio contro il divorzio e spe-
cialmente contro la proposta di introdurlo in Italia. II“ edizione, rifatte ed accresciuta
con 2 appendici. Torino, Ufficio del Nuovo Risorgimento, 1902. gr. 8. 275 pp.
10. Gesetzgebung.
Bornhak, Die deutsche Sozialgesetzgebung. 4. Auflage. Tübingen
und Leipzig, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1900.
Die Schrift, die zuerst als Separatabdruck aus dem dritten Bande
von des Verfassers Preußischem Staatsrecht erschien, zeigt in ihrer neuen
Auflage eine vollständige Umarbeitung mit Rücksicht auf die Revision
der Sozialgesetzgebung. Sie beginnt mit einem geschichtlichen Ueber-
blick, geht aus von einer Betrachtung der industriellen Wirtschafts-
ordnung des 18. und 19. Jahrhunderts in ihrer Bedeutung für die
arbeitenden Klassen und schildert die vereinzelten Ansätze zu einer
sozialen Reform. Die Abschnitte III— VIII geben dann eine Uebersicht
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 45
706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
über den Stand unserer sozialen Gesetzgebung: ausgehend von den
leitenden Grundsätzen der deutschen Sozialreform stellen sie dar die
Wiederbelebung des Innungswesens, die Krankenversicherung, die Un-
fallversicherung, die Invalidenversicherung und die Arbeiterschutzge-
setzgebung. Die Schrift ist zur Einführung in das Studium unseres
sozialen Rechts recht brauchbar. Sachlich bin ich mit dem Verf. an
verschiedenen Punkten nicht einverstanden. Doch scheint mir die Be-
sprechung einer kurzen Schrift nicht der geeignete Ort zu längeren
diesbezüglichen Auseinandersetzungen zu sein.
Halle a. S. A. Hesse.
Entwurf, vorläufiger, eines Gesetzes über Familienfideikommisse. Berlin, 1903.
gr. 8. 55 SS. M. 0,80. (Sammlung amtlicher Veröffentlichungen aus dem Reichs-
und Staatsanzeiger. N° 35.
Jahrbuch des deutschen Rechtes. Unter Mitwirkung zahlreicher und namhafter
Juristen herausgeg. von (Rechtsanw.) Hugo Neumann. Jahrg. I (die Zeit bis Ende 1902
umfassend.) Lieferung 1. Berlin, F. Vahlen, 1903. gr. 8. S. 1—80. M. 1,25.
Rousse, Edm. (ancien bátonnier de l'ordre des avocats), Avocats et magistrats.
Paris, Hachette & Or, 1903. 8. 333 pag. fr. 7,50.
Watrin, H., Code rural (texte et commentaire) et droit usuel. 2° édition. Paris,
Fontemoing, 1903. 8. 1403 pag. fr. 12.—.
Treatment, penal and reformatory, of habitual inebriates. A collection of British,
colonial and foreign statutes. London 1903. 8. 1/5. (Parl. pap.)
Will, John Shires, The law relating to electric lighting, traction and power.
3" edition. London, Butterworth & C^, 1903. 8. 25/.—.
Bertoni, Brenno (avvoc.) e Olivetti, Angelo O. (avvoe.), Le istituzioni
svizzere nel diritto pubblico e privato della confederazione e dei cantoni. 2 vols. Torino,
Unione tip. editr., 1903. 12. 1. 10.—. (Vol. I. Diritto pubblico: saggio storico-critico,
475 pp.; Vol. II. Diritto privato e procedura, 599 pp.)
Firpo, Ern. (avv.) e Garneri, Filippo (avv.), Commento alla legislazione
italiana sul credito agrario, preceduto da cenni storici e teorici. Roma, tip. di Bertero
& C. 1902. 8. 194 pp. 1. 2.—. (Annali del credito e della providenza, N° 48.)
: 11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Soziale Verwaltung in Oesterreich am Ende des
19. Jahrhunderts. Aus Aulaß der Weltausstellung Paris 1900 mit
Unterstützung durch die hohen k. k. Ministerien des Innern, des Handels
und des Ackerbaues, sowie durch das k. k. Generalkommissariat für
die Weltausstellung Paris 1900 herausgegeben vom Spezialkomitee für
Sozialókonomie, Hygiene und óffentliches Hilfswesen. 2 Bde. Wien und
Leipzig (Franz Deuticke) 1900.
Es ist ein sehr verdienstvolles Werk dieser Rechenschaftsbericht
über staatliche und private Tätigkeit auf sozialem Gebiet, ein ganz aus-
gezeichnetes Buch. Es orientiert in gedrüugter Kürze über die ver-
schiedenen Gebiete sozialer Arbeit in Oesterreich.
Im ersten Heft des ersten Bandes berichten Dr. Julius Kaan über
die Arbeiter-Unfallversicherung in Oesterreich und Josef Mayer, Inspektor
im Departement für Arbeiterversicherung, über die obligatorische Kranken-
versicherung und die Bergwerksbruderladen. Das zweite Heít bringt
Aufsätze von Ministerialsekretär Dr. Franz Müller über den gewerb-
lichen Arbeiterschutz und Arbeitsvertrag in Oesterreich, Ministerialrat
Dr. Mataja über das Arbeitsstatistische Amt und von Ministerialrat
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707
Zechner über den Bergarbeiterschutz in Oesterreich. Im dritten Heft
stellt Dr. Breycha, Sektionsrat des Handelsministeriums, die Gewerbe-
förderungsaktion des K. K. Handelsministeriums dar, Wrabetz, Anwalt
des allgemeinen Verbandes der deutschen Erwerbs- und Wirtschafts-
genossenschaften in Oesterreich, schildert die österreichischen Erwerbs-
und Wirtschaftsgenossenschaften und Friedrich Knarek die Entwickelung
der Konsumvereine in Oesterreich. Im vierten Heft behandelt Dr. Robert
Mayer die Arbeitsverhältnisse und Arbeiterfürsorge in den öffentlichen
Betrieben Oesterreichs. Das fünfte Heft enthält Abhandlungen von
Professor Dr. v. Schullern-Schrattenhofen über die österreichische Land-
wirtschaft in ihren sozialen Beziehungen, von G. v. Hattingberg, Direktor
der niederösterreichischen Landeshypothekenanstalt, über die landwirt-
schaftlichen Kredite Oesterreichs in ihrer gemeinnützigen Ausgestaltung,
von Wilhelm Becker, Regierungsrat im Ackerbauministerium, über die
agrarischen Operationen und von Stefan Richter über die Organisation
des gemeinsamen Bezuges und Absatzes in Oesterreich. Im sechsten
Heft schildert F. v. Wacek, Direktor des Postsparkassenamtes, das Spar-
kassenwesen Oesterreichs und die österreichische Postsparkasse, Dr.
v. Nava, Generalsekretär der I. österreichischen Sparkasse in Wien, die
österreichischen Privatsparkassen und G. v. Hattingberg die Hypotheken-
darlehen der Sparkassen. Im siebenten Heft referiert Prof. Dr. v. Philip-
povich über die Wohnungsverhältnisse in österreichischen Städten, ins-
besondere in Wien, und Dr. Paul Schwarz über die Grundwerte der
einzelnen Bezirke Wiens in den Jahren 1860 bis 1899.
Die Zahl der Arbeiten, welche der zweite Band bringt, ist noch
größer, doch sind diese weniger umfangreich. Sie behandeln vorwiegend
Gesundheitspflege und Armenwesen.
Wir erbalten so in seltener Vollständigkeit einen Ueberblick über
die verschiedenen Gebiete sozialer Tätigkeit. Und es wird der Leser
nicht zunächst mit dem Komitee es bedauern, daß wegen äußerer Um-
stände es nicht möglich war, das Programm vollständig durchzuführen,
daß einzelne Zweige z. B. die freiwilligen Organisationen der Arbeiter
und die von den Arbeitgebern geschaffenen Wohlfahrtseinrichtungen nicht
behandelt sind, sondern in erster Linie sich «dankbar freuen, so viel
Material über diese wichtigen Probleme zu erhalten.
Halle a. S. A. Hesse.
Bericht über die Tätigkeit und Verwaltung der Feuerwehr der Stadt Wien im
Jahre 1901. Wien, Verlag des Gemeinderatspräsidiums, 1902. gr. 8 123 SS. Mit
8 Blatt figürlicher Darstellungen.
Braunschweig. — Haushaltsplan der Stadt Braunschweig für das Jahr 1903/1904
(nebst 1 Anhange) Braunschweig, Waisenhausdruckerei, 1903. gr. 4. o O. (Braun-
schweig). gr. 4 265 u. 21 SS.
Karlsruhe. — Voranschläge für das Rechnungsjahr 1903 der Haupt- und Residenz-
stadt Karlsruhe. Karlsruhe, Buchdruckerei von Malsch & Vogel, 1903. kl. 4. 227; 35;
47; 63; 39 SS.
Daniel, Alfr., Die Kuralienformel „Von Gottes Gnaden“. Ein Beitrag zur Lehre
vom göttlichen Recht der Krone. Berlin, Frz. Schulze, 1902. gr. 8. 80 SS. M.3.—.
Frankfurt a/M. — Haushaltsplan der Stadt Frankfurt a/M. für die Zeit vom
1. IV. 1903 bis 31. III. 1904. Frankfurt a/M., 1903. VI—661 SS. Nebst Anlage dazu:
Personaletat. Ebd. gr. 4. 172 SS.
45*
708 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Halle a. S. — Haushaltspläne der Stadt Halle a. S. für das Rechnungsjahr 1903.
Halle a. S., Gebauer-Schwetschkesche Druckerei, 1903. gr. 4. 360 SS.
Hof- und Staatshandbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie für das Jahr
1903. XXIX. Jahrg. nach amtlichen Quellen zusammengestellt. Wien, Verlag der k. k.
Hof- u. Staatsdruckerei, 1903. Lex.-8. geb. M. 11,60.
Kassel. Haushaltsetat für das Etatsjahr 1903 (1. IV. 1903 bis Ende März 1904).
Kassel, Druck von Weber & Weidemeyer, 1903. gr. 4. 228 SS.
Kiel. — Uebersicht der Eiunahmen und Ausgaben der Stadthauptkasse zu Kiel
für die Zeit vom 1. IV. 1896 bis ult. März 1901. Kiel, L. Handorff, 1902. gr. 8.
265 SS. — Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben der Stadtgemeinde Kiel für die
Zeit vom 1. IV. 1903 bis 31. III. 1904. (Rechnungsjahr 1903.) Ebd., Druck von
Schmidt & Klaunig, 1903. gr. 8. 449 SS.
Kónigsberg i. Pr. — Stadthaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1. IV. 1903/1904.
3 Hefte. Königsberg i/Pr. 151; 197; 232 SS.
Kolmer, Gust., Parlament und Verfassung in Oesterreich. Bd. IL: 1869--1879.
Wien, C. Fromme, 1903. gr. 8. XI—562 SS. M. 9.-.
Magdeburg. — Haushaltspline der Stadt Magdeburg für das Etatsjahr 1903.
Magdeburg, Buchdruckerei von R. Zacharias, o. J. (1903). Folio. XIV—612 SS.
Müller, Leonh., Badische Landtagsgeschichte. Teil IV: 1833— 1840. Berlin,
Rosenbaum & Hart, 1902. gr. 8. VIII—169 SS. mit 3 Bildnissen. M. 4,50.
Ostwald, Hans, Die Bekümpfung der Landstreicherei. Darstellung und Kritik
der Wege, die zur Beseitigung der Wanderbettelei führen. Stuttgart, R. Lutz, 1903.
gr. 8. 278 SS. M. 5.—.
Sehliz, Alfr. (JustRefer.), Die Entstehung der Stadtgemeinde Heilbronn, ihre
Entwickelung bis zum 14. Jahrh. und das erste Heilbronner Stadtrecht. Leipzig, G.
Fock, 1903. gr. 8. 94 SS. mit 1 Plan. M. 1,20. (Tübinger Promotionsschrift.)
Schöneberg. — Haushaltspläne der Stadt Schöneberg für 1903. Berlin, Druck
von Reinhold Kühn, 1903. gr. Folio. 335 SS.
SouSek, Jak. (MinisterSekr.), Das Ausweisungsrecht der Gemeinde. Mit Berück-
sichtigung der Judikatur der Verwaltungsbehörden sowie des Verwaltungsgerichtshofes
und des Reichsgerichtes. Wien, Manz, 1903. gr. 8. 139 SS. geb. M. 250.
Verhandlungen des Provinziallandtages für die Provinz Hessen-Nassau. Vom
16. bis einschl. 19. II. 1903. (1X. Provinziallandtag.) Kassel, Gebr. Gotthelft, 1903.
Imp.-4. (Enthaltend die Protokolle N° 1—3 und die Anlagen N’ 1—6.)
France ecclésiastique, la. Almanach-annuaire du clergé pour l'an de grace 1903.
LIII* année. Paris 1903. 16. 992 pag. av. carte. fr. 4.—.
Severindela Chapelle, Réforme électorale et parlementaire. Nouvelle méthode
politique francaise. Paris, F. Pichon, 1903. 8. 41 pag.
Annual report, X", of the Medical Officer of health of the administrative County
of London, 1901. London, P. S. King & Son, 1903. Folio. 83; 27; 4; 14; 16 pp.
With chart and 17 diagrams.
Lecky, W. E. H., Leaders of publie opinion in Ireland. 2 vols. New edition.
London, Longmans, Green & C°, 1903. 8. 25/.—. (A political history of Ireland from
1759 to 1845: Henry Flood; Henry Grattan; and Daniel O'Connell. — etc.)
Local tuxation, Scotland. Annual returns for 1900—1901. Edinburgh 1903. Folio.
3./—. (Parliam. pap. issued in April, 1903. Contents: Parishes. — School boards. —
County councils. — Burghs, ete.)
Moran, Th. Francis (Prof. of history and economies in Pardue University),
Theory and practice of the English government. London, Longmans. Green EC, 1903.
8. 5/.—. (Contents: The general nature of the English government. — The succession
to the throne and the coronation. — The Royal prerogative. — The cabinet. — The
origin, composition, and functions of the House of Lords and the House of Commons. —
The sovereignty, privileges, and procedure of Parliament. — etc.)
Willson, Beckles, The new America: a study of the imperial republic, New
York, Dutton, 1903. 8. cloth. $ 2,50.
Bonomi, Ivanoe, La finanza locale et i suoi problemi. Milano-Palermo, R-
Sandron, 1903. 8. 352 pp. 1. 3.—. (Biblioteca di scienze sociali e politiche, n° 4.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709
12. Statistik.
Allgemeines.
Coboleff, M. N., Opraumaauisz y MeroAbr crarHcTHku Tpyaa. Tomeks 1903. Lex.
in-8. 310 pp. (Organisation und Methode der statistischen Arbeiten.)
Blocher, H. und J. Landmann, Die Belastung des Arbeiterbudgets durch den
AlkoholgenuB. Eine sozialstatistische Studie auf dem Gebiete der Alkoholfrage. Basel,
F. Reinhardt, 1903. gr. 8. 54 SS. M. 1.—.
Sehnapper-Arndt, Gottlieb (Dozent an der Akad. f. Sozial- u. Handels-
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Leipzig, Duncker & Humblot, 1903. Lex.-8. 45 SS. M. 1,60.
Statistique générale du service postal publiée par le Bureau international.
Année 1901. Berne, impr. Suter & Lierow, 1903. Impér. in-folio. 33 pag. (Publication
de l'Union postale universelle.)
World's sugar production, the, and consumption, showing the statistical position
of sugar at the close of the XIX" century. Washington 1903. 8. 5/.—. (Issued from
the United States Treasury Department, Bureau of Statisties. Contents: Growth of the
beet sugar industry. — History of the European bounty legislation. — International
sugar conferences and anti-bounty legislation. — Sugar production and sugar trade in
the various European and tropical countries. — Sugar industry in the United States, etc.)
Deutsches Reich.
Beitrüge zur Statistik der Stadt Frankfurt a/M. N. Folge. Heft 5: Die Schüler-
zühlung vom 30. XI. 1900. Frankfurt a/M., J. D. Sauerländers Verlag, 1903. Lex.-8.
37—CXI SS. mit 1 graph. Taf. (Herausgeg. dureh das statistische Amt.)
Beiträge zur Statistik des GroDherzogtums Hessen. Bd. 48, Bd. 49, Heft 1 und
Bd. 50, Heft 2. Darmstadt, Jonghaussche Hofbuchhdl., 1903. gr. 4. (Inhalt. Bd. 48:
Ergebnisse der Berufs. und Gewerbezühlung im Großherzogtum am 14. VI. 1895, ent-
haltend den Schluß der Darstellung der beruflichen Verhältnisse, einschließlich der
Hausiergewerbetreibenden, der beschäftigungslosen Arbeitnehmer, der Hausindustriellen,
von (RegR.) L. Knópfel. XV—381 SS. M. 7.—. Bd. 49, Heft 1. Die landwirtschaft-
lichen Betriebe des Großherzogtums nach der Zählung vom 14. VI. 1895, von (RegR.)
L. Knópfel. IX—58 SS. — Bd. 50, Heft 2: Statistik der Straf- und Gefangenanstalten
im Großherzogtum für das Jahr vom 1. IV. 1900 bis 31. III. 1901. 32 SS.)
Bericht des Medizinalrates über die medizinische Statistik des Hamburgischen
Staates für das Jahr 1901. Hamburg, L. Voss, 1903. gr. 4. V—108 SS. mit 5 Ab-
bildgn. u. 9 Taf. M. 7.—.
Dullo, A. (Direktor des statist. Amtes der Stadt Königsberg), Das Wachstum der
Bevölkerung Kónigsbergs und die dadurch bedingte Notwendigkeit der Stadterweiterung.
Königsberg i. Pr., Hartungsche Buchdruckerei, 1903. gr. 8. 34 SS. mit 1 farbigen
Plan der Stadt Königsberg. (A. u. d. T.: Königsberger Statistik, N" 2.)
Ergebnisse, die, der Viehzählung vom 1. XII. 1900 im Deutschen Reich. Be-
arbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1903. Imp.-4.
121 SS. mit 8 schematischen Karten in Zweifarbendruck auf 4 Taf. M. 1,50. (A. u.
d. T.: Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, Ergänzungsheft zu 1903, I.)
Erhebung über die Arbeitszeit der Gehülfen und Lehrlinge im Fleischergewerbe.
Veranstaltet im Sommer 1902. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1903. gr. 4. LXXIV—
219 SS. (A. u. d. T.: Drucksachen des kaiserl. statistischen Amtes, Abteilung für Ar-
beiterstatistik, Erhebungen N° 1.)
Handbuch, statistisches, für den preußischen Staat. Bd. IV. Berlin, Verlag des
kgl. statistischen Bureaus. 1903. gr. 8. XXI—655 SS. M. 5.—.
Jahrbuch, statistisches, der höheren Schulen und heilpädagogischen Anstalten
Deutschlands, Luxemburgs und der Schweiz. Jahrg. XXIII, 1902/1903. 2 Abteilungen.
Leipzig, B. G. Teubner, 1902. 12. 262 und 407 SS., geb. M. 4,40.
Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt Dresden, Heft 11: Die Woh-
nungen mit Teilvermietung und die Dresdner Wohnungsordnung vom 25. I. 1898 auf
Grund einer statistischen Untersuchung vom Jahre 1901. Dresden, Buchdruckerei der
Dr Güntzschen Stiftung, 1603. Lex.-8.
Nachweisungen, statistische, der Forstverwaltung des Großherzogtums Baden
für das Jahr 1901. XXIV. Jahrg. Karlsruhe, Chr. Fr. Müllersche Hofbuchdruckerei,
1903. gr. 4. 132 SS.
710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Protokoll über die am 2., 3. u. 4. X. 1902 im Rathause zu Altona abgehaltene
XVI. Konferenz der Vorstände der statistischen Aemter deutscher Städte. Altona, Druck
von H. W. Köbner & C°, 1903. gr. Folio. 55 SS. (Als Manuskr. gedruckt.)
Satistik des Deutschen Reichs, Bd. 150 und 151: Die Volkszählung am 1. XI.
1900 im Deutschen Reich. 2 Teile. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1903. Imp.-4.
Teil I: VIII—204; 372 SS. mit 16 Diagrammen und Kartogrammen. M. 8.—. Teil II:
789 SS. M. 4.—. (Herausgeg. vom kaiserl. statistischen Amt. Inhalt: Einleitung. —
Größe der Bevölkerung. — Die Bevölkerung nach dem Geschlecht. — Dichtigkeit der
Bevölkerung. — Bevölkerung in Stadt und Land. — Die Bevölkerung nach Haushal-
tungen. — Alter und Familienstand der Bevölkerung. — Religion der Bevölkerung. —
Die Bevölkerung nach der Muttersprache. — Reichsangehörige und Reichsausländer. —
Gebürtigkeit der Bevölkerung (Binnenwanderungen). — Wohngebäude im Reich. — Die
Bevölkerung nach Gerichts-, Wahl- und kirchlichen Bezirken. — Die Bevölkerung auf
den deutschen Schiffen im Auslande. — Die Bevölkerung des Reichs und des Auslands
im XIX. Jahrhundert. — Die Bevölkerung am 1. XII. 1900 nach dem Geburtsort. —
Muttersprache der Bevölkerung am 1. XII. 1900. — Gemeinden und Wohnplätze von
mindestens 2000 Einwohnern am 1. XII. 1900, systematisches und alphubetisches Ver-
zeichnis.)
Frankreich.
Annuaire officiel, administratif et statistique du département de l'Aisne. 93°
année. Laon, impr. du Courrier de l'Aisne, 1903. 12. 505 pag. fr. 3.—.
Schottland.
Annual report, XLVIII®, of the Registrar-General on the births, deaths, and
marriages registered in Scotland during the year 1902; and XXXVIII* annual report
on vaccination. Glasgow, printed by Jam. Hedderwick & Sons, 1903. gr. 8. XVI—63 pp.
Oesterreich.
Oesterreichisches Städtebuch. Statistische Berichte von
größeren österreichischen Städten herausgegeben durch die k. k. stati-
stische Zentralkommission. Jahrgang 9. Redigiert unter der Leitung
des Präsidenten der k. k. statistischen Zentralkommission Karl Theodor
von Inama-Sternegg von Robert Fuhrmann. Wien 1902.
Der vorliegende Band ist bereits der neunte Jahrgang dieses auler-
ordentlich umfangreichen und inhaltsvollen Werkes, das uns über die
Verhältnisse der hauptsächlichsten österreichischen Städte informiert,
so weit dieses in Zahlen möglich ist. Gleich im Eingange sind die An-
gaben über die Finanzen von 49 Städten für die Zeit von 1889—98
zusammengestellt. Es folgt die Uebersicht über die Bevölkerungsver-
hältnisse, dann über das Volksschulwesen, ebenso vergleichsweise zu-
sammengestellt. Den Hauptteil nehmen die detaillierten Berichte der
einzelnen Städte ein, wobei 19 vertreten sind, indem Floritzdorf und
Jägerndorf neu hinzugezogen wurden. Eine Erweiterung der Vergleichung
würde gewiß von allen Seiten dankbarst begrüßt werden. J.
Beiträge zur Statistik der Personaleinkommensteuer in den Jahres 1898 bis 1902.
Insbesondere Quellen und Höhe des Einkommens nach Geschlecht und Beruf der Zen-
siten, und zwar der Zensiten überhaupt nach dem Stande der Einschätzung am Schlusse
des Jahres 1898, der im Auslande lebenden Zensiten nach dem Stande der Einschätzung
in der Hauptsession der Schätzungskommissionen des Jahres 1902. Im Auftrage des
k. k. Finanzministeriums bearbeitet vom Rechnungsdepartement I, e dieses Ministe-
riums. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1903. Imp.-Folio. CLX X XI—467 SS.
Bericht über die Tütigkeit des k. k. arbeitsstatistischen Amtes im Handelsmini-
ernim während des Jahres 1902. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1903. Lex.-8.
27 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711
Handbuch, statistisches, für die Selbstverwaltung in Schlesien. Herausgeg. vom
landesstatistischen Amte des schles. Landesausschusses. Jahrg. IV, 1902. Troppau,
Selbstverlag des schlesischen Landesausschusses, 1903. Lex.-8. VI—401 SS.
Mitteilungen, statistische, über Steiermark. Herausgegeben vom statistischen
Landesamt des Herzogtums Steiermark. XI. Heft. Graz, Leuschner & Lubensky, 1903.
Lex.-8. 34 SS. (Inhalt: Beiträge zur Statistik des Gemeindehaushaltes. 1. Die Bauten
von Volks- und Bürgerschulgebäuden in Steiermark seit der Erlassung des Reichsvolks-
schulgesetzes bis Ende 1900.)
Oesterreichische Statistik: LIX. Band, 2. Heft, 2. Abteilung: Statistik des
Verkehrs in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern für die Jahre
1898 und 1899. Abteilung 2. Seeschiffahrt und Seehandel, Eisenbahnen, Posten, Tele-
graphen und Telephone, Außenhandel und Handel zwischen Oesterreich und Ungarn.
Wien, C. Gerolds Sohn, 1903. Imp.-4. LXII—63 SS. K. 3,20.—. Oesterreichische
Statistik. LXVII. Band, Heft 2: Statistik der Sparkassen in den im Reichsrate vertre-
tenen Königreichen und Ländern für das Jahr 1900. Wien, C. Gerolds Sohn, 1903
Imp.-4. LVI—69 SS. K. 3,40.
Rußland.
Crarucrura Pocciitckoit umuepis. LIV. Upoxaï 1902 roga. I. Oauwpie x.rbóauchuo.
II. Apossıe xub6a m Kaproven ete. C.-Ilerepóyprs 1903. 4. XXIX—116 pp. u.
XXXVII—225; 176 pp. (Statistik des russischen Kaiserreichs. Bd. LIV: Die Ernte
im Jahre 1902. 2 Teile. Teil I: Wintergetreide und Heu; Teil II: Sommergetreide
und Kartoffeln.) [Veröffentlichung der kais. russischen statistischen Zentralkommission
im Ministerium des Innern.)
— (Finland).
Bidrag till Finlands officiella Statistik. VI. Befolknings-statistik 34. Oefversikt
af folkmängdsförändringarna i Finland àr 1900. (Uebersicht der Bevölkerungsbewegung
in Finland im Jahr 1900, mit statistischem Rückblick auf die Bevölkerungsbewegung
in Finland in den Jahren 1816—1900.) VI—74 & 95 pp. — X. Statistik ófver folk-
undervisningen i Finland N° 30: Foikskoleväsendet, läseäret 1900—1901. XXIII—
69 pp. — XVIII. Industri-Statistik. N°18, är. 1901. I. delen. (Montanindustrie, Münz-
wesen ete.) IX — 56 pp. — XXI. Fattigvürds-Statistik. (Oeffentliche Gemeindearmenpflege-
statistik für 1899. XXXIII—111 pp. — XXII. Fórsükringsvüsendet. (Berieht über das
Versieherungswesen in Finland für das Jahr 1901.) 56 — XIII pp., 28 statistische Ta-
bellen u. IV Taf. graphischer Darstellungen. — XXIII. Rättsväsendet. N° 11. (Zivil-
und Kriminalstatistik für 1901. 72; 209 pp. XXIV. Abnormskolorna (Unterrichts-
anstalten für Gebrechliche). Berättelse öfver läseäret 1900—1901. 22 pp. Zusammen
7 Hefte. Helsingsfors 1902—1903. Lex.-8.
Italien.
Atti della Commissione per la statistiea giudiziaria e notarile. Sessione del Feb-
braio 1902. (Annali di statistiea, serie IV, n° 102.) Roma tipogr. di Bertero & C.,
1903. gr. 8. XXXII—484 pp. 1. 4.—. (Pubblicazione della Direzione generale della
statistica.)
Dünemark.
Danmarks Statistik. Statistiske Meddelelser. IV. Række, 12. Bind. Kobenhavn,
Gyldendal, 1903. 8. (Inhalt: Ein- u. Ausfuhr-, Produktions-, Preisbewegungs- etc.
-Statistik in 7 Abteilungen: 1. Ein- und Ausfuhr Dünemarks im II. Quartal 1902;
2. Beschaffenheit der Ernte Dünemarks im Jahre 1902; 3. Ein- und Ausfuhr Dünemarks
im III. Quartal 1902; 4. Amtliche Preise der 1902 geernteten Feldfrüchte; 5. Bevölke-
rung der dänischen Antillen und Ein- und Ausfuhr der Antillen 1896/97—1901/02 ;
6. Gesamtein- und Ausfuhr Dänemarks 1902; Branntwein-, Bier-, Rübenzucker- und
Margarineproduktion 1902; 7. Benutzung des tragbaren Bodens Dänemarks nach dem
Stande vom 15. VII. 1901.)
Holland.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks. XXV. Statistiek
der gemeentelijke en provinciale financiën in 1900. "e Gravenhage, Gebr. Belinfante,
1903. Lex. in-8. XXVII—150 pp.
712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Norwegen.
Aarbog, statistisk, for Kongeriget Norge. XXII. aargang, 1902. Kristiania
Aschehoug & C°, 1902. gr. 8. 176 pp. et 5 tableaux graphiques.
Schweiz.
Mitteilungen, statistische, des Kantons Basel-Stadt. Bericht über den Zivil-
stand, die Todesursachen und die ansteckenden Krankheiten im Jahre 1900. Basel,
Buchdruckerei J. Frehner, 1902. Lex.-8. 65 SS. mit 1 graph. Taf.
Mitteilungen des Bernischen statistischen Bureaus. Jahrg. 1902, Lieferung 2:
Ergebnisse der Alpstatistik im Kanton Bern pro 1891—1902. Bern, Buchdruckerei
Steiger, 1902. gr. 8. SS. 91—420.
Rumänien,
Coleseu, L., Statistica animalelor domestice din Romania, precedatä de o intro-
ductiune cu expliafiuni si date retrospective. Bucuresci, institutul de arte grafiche Car.
Göbl, 1903. gr. in-4. 10—LXXXII—145 pp. cu 4 cartograme si 3 diagrame colorate.
(Statistik des Viehstandes des KReichs Rumiünien auf Grund der im Dezember 1900
stattgefundenen Viehzählung, mit einer Einleitung von L. Coleseu (Direktor der rumi-
nischen Landesstatistik.)
Situatiunea financiara a județelor in exercițiile 1896/97—1900/1901. Anteia
publieatiune. Bueuresci, imprimeria statuluí, 1903. maximo-imper. in-Folio. XLI-
166 pp. avee 17 planches graphiques. (Situation financière des districts pendant les
exercices 1896/97 —1900/1901.) [Publication du Bureau de la statistique au Ministère
de l'Intérieur de Roumanie.]
Amerika (Ver. Staaten).
Abstract, statistical, of the United States, 1902. XXV'^ number. Washington,
Government Printing Office, 1903. gr. 8. 580 pp. (Prepared by the Bureau of Stati-
sties, under the direction of the Secretary of the Treasury. Contents: Population. —
Finance. — Commerce. — Agricultural and other leading products. — Mining. —
Railroads and telegraphs. — Immigration. — Education. — Public lands. — Pensions.
— Postal service, — Prices. — Tonnage, ete.)
— (Mexico).
Ceuso y división territorial del estado de Querétaro verificados en 1900. México,
tip. de la secretaría de fomento, 1902. in-4. 81 y 19 pp.
Censo y división territorial del estado de Tlaxcala verificados en 1900. México,
tip. de la secretaría de fomento, 1902. in-4. 124 y 15 pp.
Asien (Japan).
Résumé statistique de l'Empire du Japon. XVII* année. Tokio, 36° année
de Meiji, 1903. Lex. in-8. XIII—161 pp., carte et tableau graphique. (Publication
du Cabinet imperial, Bureau de la statistique générale.)
Australien (Kolonie Tasmania).
Statistics of the State of Tasmania for the year 1901. 9 parts. s. l. (Hobart)
John Vail printed, 1902. VIII—492 & 30 pp. gr. Folio. (Contents. Part I. Blue
book. — Part II. Population. — Part III. Vital and meteorological. — Part IV.
Interchange. — Part V. Production. — Part VI. Finance. — Part VII. Accumulation. —
Part VIII. Law, crime, and protection, — Part IX. Intellectual, moral, and social
provision.)
18. Verschiedenes.
Katalog der Bibliothek der Gehestiftung zu Dres-
den. Erster Band, 2. Auflage. Unterabteilung II. Land- und Forst-
wirtschaft, Bergbau und Industrie. Dresden 1902.
Vor 14 Jahren erschien die erste Auflage des ersten Bandes dieses
Kataloges, während im Jahre 1900 die zweite Auflage der ersten Ab-
Die periodische Presse des Auslandes. 713
teilung ausgegeben wurde, welche die Nationalökonomie und Finanz-
wissenschaft umfaßte. Der vorliegende zweite Teil betrifft Landwirt-
schaft und Forstwirtschaft, Bergbau und Industrie. Während die erste
Autlage 93 Seiten umfaßte, zeigt der vorliegende Band 310 Seiten, wor-
aus die bedeutende Vermehrung in dieser Zeit zu Tage tritt. Bei der
großen Liberalität, mit der die Bibliothek dem Publikum, namentlich
auch dem auswärtigen, zugänglich gemacht wird, kann diese Vermeh-
rung nur allseitig mit Freude begrüßt werden, um so mehr, da sie in
trefflich systematischer Weise geschehen ist. J. C.
Assanierung, die, von Wien. Bearbeitet für den technischen Teil von Paul Kortz ete.,
für den medizinal-statistischen Teil von (D' med.) Alois Grünberg etc. Herausgeg. von
Th. Weyl. Leipzig, W. Engelmann, 1902. 4. IX—194 SS. mit Fig. u. 14 Taf.
Chronik der königl. Akademie der Künste zu Berlin vom 1. X. 1901 bis 1. X.
1902. Berlin, Okt. 1902. Lex.-8. 110 SS.
Dvoräk, Rud. (Prof. d. orient. Philos. an der k. k. böhmischen Univ., Prag),
Chinas Religionen. Teil II: Lao-tsi und seine Lehre. Münster i W., Aschendorff, 1903.
gr. 8. VIII—216 SS. M. 3,50.
Laurent-Montanus, Die Prostitution in Indien. Eine kulturhistorische Studie.
Freiburg i. B., F. P. Lorenz, 1903. 8. 19 SS. M. 0,60.
Niedner, Otto (Stabsarzt an d. Kaiser-Wilhelms-Akad.) Die Kriegsepidemien
des 19. Jahrhunderts und ihre Bekämpfung. Berlin, Aug. Hirschwald, 1903. 8. VIII—
227 SS. geb. M. 5.—. (A.u. d. T.: Bibliothek v. Coler, herausgeg. von O. Schjerning,
Bd. 17.)
Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge XVIII. Jahrg.: 1902.
München, Osk. Beck, 1903. gr. 8. VIII—392 SS. M. 8.—.
Bonmariage A., La Russie d'Europe. Essai d’hygiöne générale. Paris, Le
Soudier, 1903. 8. 551 pag. Av. planches et fig. fr. 25.—.
Bruneau, Marcel (inspecteur d'Académie), Les débuts de la Révolution dans
les départements du Cher et de l'Indre (1789—1791). Paris, Hachette & C^, 1903. 8.
fr. 7,50.
Brown, Edner Ellsworth (Prof. of the theory and practice of education
in the University of California), The making of our middle schools: an account
of the developinent of secondary education in the United States. London, Longmans,
Green & Co., 1903, 8. 10./6. (Contents: The grammar schools of old England. — Early
colonial grammar schools. — Colonial school systems. — The English Academies. —
Early Ameriean Academies. — Early State systems of secondary education, — Teachers
and teaching. — The movement towards publie control. — The first high schools. — ete.).
Report of the Commissioner of Education for the year 1900—1901. Vol. II.
Washington, Government Printing Office, 1902, gr. 8. VII and pp. 1219—2512. (Con-
tents: Coedueation of the sexes in the United States. — Present eduentional movement
in the Philippine islands. — Report on education in Alaska. — City school systems. —
Universities, colleges, and technological schools. — Professional and allied schools.
Statistics of normal schools — Statistics of secondary schools. — Agricultural and
mechanical colleges. — Manual and industrial training. — Commercial and business
schools. — Current topics. — Statistics of reform schools. — Schools for the defective
classes. — Education of the colored race. — etc.).
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVII* année. Mars 1903:
A. France et colonies: Produits des contributions indirectes pendant l’année 1902. —
Les caisses d'épargne ordinaires en 1901. — L'ensemble des opérations des caisses
d'épargne ordinaires et de la caisse nationale d'épargne pendant l’anné 1901. — Ville
de Paris: La valeur en capital de la propriété immobiliere. — Les taxes municipales
714 Die periodische Presse des Auslandes.
de remplacement des droits d'octroi en 1902. — Les revenus de l'Etat. — Le commerce
extérieur. — Les recettes des théâtres et spectacles de la ville de Paris en 1902. —
B. Pays étrangers: Autriche-Hongrie: Les bourses de produits agricoles (loi du 4 janvier
1903). Le commeree extérieur de la Hongrie en 1902. — Espagne: Le commerce
extérieur en 1902. — Norvège: Le commerce extérieur de 1885 à 1901. — Russie: Le
commerce extérieur au XIX* siecle. Le chemin de fer transsibérien. Les caisses de
secours mutuels pour la noblesse. — Suisse: Le monnayage. — Etats Unis: Prévisions
budgétaires pour 1903 et 1904. — République argentine: Le budget pour 1903. — ete.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. LXII* année, 1903, Avril: Etalon
d'or et étalon d'argent, par G. de Molinari. — Les pourparlers monétaires entre les
Etats Unis, le Mexique et la Chine. — Le mouvement financier et commercial, par
Maur. Zablet. — Revue des principales publications économiques de l'étranger, par Emile
Macquart. — La démocratie Américaine, le trafic des votes, par Laborer. — Lettre des
Etats-Unis, par George Nestler Tricoche. — Brest, par (le contre-amiral) Réveillère. — Le
vrai grand homme, par Fréd. Passy. — Société d'économie politique (réunion du 4 avril
1903). Discussion: Qu'est-ce-qu'un capitaliste? ete. — Réclamations: Lettres de MM.
Bouvier et E. Cauderlier. — Chronique. — ete. r
Journal de la Société de Statistique de Paris. XLIV* année, n° 3, Mars 1903:
Procès-verbal de la séance du 18 février 1903. — L’apprentissage industriel, par Lucien
March. — Les émissions et remboursements d’obligations des six grandes compagnies de
chemins de fer en 1902, per Alfr. Neymarck. — La population de l'Angleterre en 1901,
par Paul Meuriot (suite et fin). — Chronique de statistique judiciaire, par Maur. Y vern?s.
— Chronique des questions ouvrières et des assurances sur la vie, par Maurice Bellom.
— Variétés: Les illettrés A Paris; Le sol improductif; Progrès des importations du
Canada dans le Royaume-Uni. — ete.
Journal de la Société de Statistique de Paris. XLIV®® année, 1903, n° 4,
Avril: Procès-verbal de la séance du 18 mars 1903. — Annexe au procès-verbal: Situ-
ation financière de la Société de statistique de Paris, par A. Fontaine et Matrat. —
Statistique nouvelle sur le morcellement des valeurs mobilieres, par Alfr. Neymarck. —
Le coût de la vie à Paris 1 diverses époques, par Gust. Bienaymé (suite et fin). —
Variétés: 1. Les foréts du monde; 2. Les gréves au Canada en 1901 et 1902. —
Chronique des transports, par Hertel. — etc.
Revue d'économie politique. XVII* année, n° 3, Mars 1903: Essai d'une étude
analytique et synthétique de l'entreprise, par Maur. Ansiaux. — Le mercantilisme des
pays neufs et la crise des industries russes, par Laur. Dechesne. — Les coopératives
hollandaises, par Henry Hayem. — La réglementation du contrat de travail en Belgique,
par Ed. Cailleux. — Chronique législative, par Edm. Villey. — ete.
Revue internationale de sociologie. XI* Année, n? 3, Mars 1903: Discours pro-
noncé aux funérailles de M. Pierre Laffitte, par E. Levasseur. — Le problème de la
vie en rapport avee les origines de la sociologie, par N. Kostyleff. — De la criminologie
des collectivités, par Raoul de la Grasserie, suite et fin: le erime international (pag. 196
à 242). — Société de sociologie de Paris, séance du 11 février 1903: Les classes sociales.
Communication de E. Delbert, discussion par Arthur Bauer, M. Coicou, Léon Philippe,
H. Monin, André Levy-Oulmann. — ete.
B. England.
Economie Review. Published quarterly for the Oxford University branch of
the Christian Social Union. Vol, XIII, N° 2, April, 1903: Rural England, by (Rev.)
L. R. Phelps. — The later economies of Em. Zola (by Herb. W. Blunt. — The moral
principles of compensation in temperance reform, by F. J. Western. — Co-operation
and commercial morality, by (Rev.) E. F. Forrest. — The present position of the new
trades combination movement, by E. J. Smith. — An arbitration treaty with France, by
Henry W. Wolff. — The fiscal poliey of the future, by Walter F. Ford. — Legislation,
parliamentary inquiries, and official returns, by Edwin Cannan. — ete.
Edinburgh Review, the. April 1903: Expansion and expenditure. — An Eliza-
bethan traveller: Fynes Moryson. — The supernatural in XIX" century fiction. —
Buckinghamshire, — Art history in the Netherlands. — English agriculture. — The
late Lord Acton, — National security.
Nineteenth Century, and after. N° 314, April 1903: The erisis in the church,
by (Viscount) Halifax. — Europe and South Amerika, by Somers Somerset. — South
Die periodische Presse des Auslandes. 715
American Republics und the Monroe doctrine, by John Macdonell. — The horrible
jumble of the Irish land laws, by (Sir) Alexander Miller. — From this world to the
next, by Freder. Harrison. — A social experiment, by (the Countess) of Warwick. —
Corn-growing in British countries, by E. Jerome Dyer. — The independent labour party,
by J. Keir Hardie. — The present position of the licensing question, by (Sir) Rob.
Hunter. — N’ 315, May 1902: The Irish Land Bill: 1. A scheme of pernicious agrarian
quackery, by (Judge) O'Connor Morris; 2. The latest: is it the last, by (the Lord)
Monteagle. — The crisis in the church, a reply to (Lord) Halifax, by J. Lawson Walton.
— The social democratie party in Germany, by O. Eltzbacher. — The deterioration in
the national pysique, by George F. Shee. — What is the avantage of foreign trade, by
Leonard Courtney. — Some more letters of (Mrs.) Carlyle, by Augustine Birrell. —
London congestion and eross-traffie, by (Captain) George S. C. Swinton. — The New
Zealand elections, by O. T. J. Alpers. — A future for Irish bogs, by (Sir) Rich. Sankey.
— etc. :
Proceedings of the Royal Philosophical Society of Glasgow. Vol. XXXIII,
1901—1902: The training of teachers in Scotland, by J. Knight. — The relation of
economies to numismaties, by W. W. Carlile. — The criminal: some social and economie
aspects, by W. M. Douglas. — Rents and ground rents: facts and figures bearing upon
the ,.housing problem", by W. Fraser. — Discussion on „housing problems“, opened by
W. Smart. — Plague in some of its historical and present day aspects, by R. M.
Buchanan. — Notes on rural and suburban life in Scotland in the „thirties“, by D.
Lamb. — etc.
Quarterly Review, the. N^ 294, April 1903: Montesquieu in England, by J.
Churton Collins. — Imperial telegraphs (with map). — Leprosy, by George Pernet. —
The Macedonian maze. — Hellenism in the East. — The provincial mind, by George
Street. — The need of rural England. — The Irish University question. — The consular
service and its wrongs. — London education and the Act of 1902. — ete.
Westminster Review, the. May 1903: The , woden" pedigree of the Royale
family of England, by Karl Blind. — Freedom and servitude in the Balkans, by Noel
Buxton. — Natal, by R. Russell. — Irish land conference, by Walter Sweetman. —
Woman's lost citizenship, by Ignota. — The housing of the people, by Evelyn Ansell. —
The secularist position with regard to education, by T. Gardiner. — Is science teaching
passing away? by G. E. Boxall. — Tercentenary of queen Elizabeth, by H. Reade.
— ete.
C. Oesterreich-Ungarn.
Handelsmuseum, das. Herausgeg. vom k. k. österreichischen Handelsmuseum.
Bd. XVIII, N° 15—19, Wien, 9. IV.—7. V: Der Kongreß der englischen Handels-
kammern, von D. — Kommerzielles Hochschulwesen. — Der bulgarische Zolltarif-
entwurf. — Levantinische Handelskartelle. — Das deutsche Fleischbeschaugesetz, von
M. — Kaufmannsgerichte, von Rud. Pollak (ao. Prof. der Exportakademie). — Die
Frage eines Petroleumhandelsmonopols in Frankreich. — Deutsch-kanadischer Zollkrieg.
— Der Handel von Trapezunt. — Der Handel Samsuns im Jahre 1902. — Seiden-
produktion und -Verbrauch der Welt. — Der künftige Deutsche Reichstag. — Baumwoll-
kultur und Manufakturwarenhandel in Zentralasien. — Die Automobilindustrie auf dem
Weltmarkte, — ete.
Monatssehrift, statistische. Herausgeg. von der k. k. statistischen Zentral-
kommission. N. Folge, Jahrg. VIII, Heft 3 u. 4, März u. April 1903: Die Wander-
bewegung auf Grund der Gebürtigkeitsdaten der Volkszählung vom 31. XII. 1900, von
Franz v. Meinzingen. — Das Versicherungswesen 1896—1900. Eine statistische „Studie,
von Emil Stefan. — Mitteilungen und Miszellen: Konferenz für Städtestatistik; Die
Sterblichkeit in den größeren Städten und Gemeinden Oesterreichs im Jahre 1902, von
Bratassevié, — Zur Statistik der Bienenzucht in Oesterreich. — ete.
Soziale Rundschau. Herausgeg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amte im Handels-
ministerium. Jahrg. IV, 1903, Februarheft: Arbeiterschutz. — Soziale Versicherung:
Die österreichischen Arbeiterunfallversicherungsanstalten im Jahre 1900; Registrierte
Hilfskassen in Oesterreich im Jahre 1900; Verband der Arbeiter-, Kranken- und Unter-
stützungskassen Oesterreichs im Jahre 1901; Die deutsche Invalidenversicherung und
die Tuberkulose; Unfallversicherung im Deutschen Reich im Jahre 1901. — Arbeits-
einstellungen und Aussperrungen: Arbeitskonflikte in Oesterreich; Ausstand der Trans-
716 Die periodische Presse des Auslandes.
portarbeiter in Amsterdam. — Arbeitsvermittlung: Ergebnisse der Arbeitsvermittlung
in Oesterreich im Monate Januar 1903; Ausgestaltung des Wiener städtischen Arbeits-
vermittlungsamtes durch die Einbeziehung der Dienstvermittlung; Verein für unentgelt-
lichen Arbeitsnachweis in Wien. — Arbeitsmarkt: Berichte der Handels- und Gewerbe-
kammer in Reiehenberg; Bericht der Handels- und Gewerbekammer Bozen für das
IV. Quartal 1902; Internationaler Arbeitsmarkt (Belgien, Deutsches Reich, England,
Frankreich}, — Einwanderungsgesetz in der Kapkolonie. — Arbeitsverhältnisse: Durch-
führungsverordnung zum Gesetze vom 28. VII. 1902, betreffend die Regelung des
Arbeitsverhältnisses der bei Regiebauten von Eisenbahnen und in den Hilfsanstalten
derselben verwendeten Arbeiter; Die Arbeiterverhältnisse in. der Berg- und Hütten-
industrie Ungarns im Jahre 1901. — Wohnungswesen: Der städtische Wohnungsnach-
weis in Reichenberg im Jahre 1902; Die Förderung des Arbeiterwohnungswesens in
Rheinland und in Westfalen; Russischer Verein zur Einrichtung und Verbesserung von
Arbeiterwohnungen. — Soziale Fürsorge. — Soziale Hygiene: Sanitüre Vorschriften für
Bückereien in Tirol; Sanitüre und soziale Fürsorge in Mähren 1901. — Verschiedenes:
Sozialstatistisches aus Frankfurt a./M. im Jahre 1901/02; Sozialstatistisches aus Däne-
mark, — ete.
Soziale Rundschau. Jahrg. IV, 1903, Märzheft: Vorläufige Uebersicht der Ver-
änderungen in den Löhnen und in der Arbeitszeit in England im Jahre 1902, — Bundes-
gesetzliche Regelung der Arbeitszeit beim Betriebe der Eisenbahnen und anderer Ver-
kehrsanstalten der Schweiz. — Die Tätigkeit der österreichischen Bergbaugenossenschaften
in den Jahren 1900 und 1901. — Soziale Versicherung: Ergebnisse der Krankheits-
statistik und der Gebarung der österreichischen Krankenkassen im Jahre 1900; Städtische
Dienstbotenkrankenversicherungskasse in Innsbruck; Teilweise Verwendung des Zoll-
mehrerträgnisses für die künftige Witwen- und Waisenversorgung im Deutschen Reiche.
— Arbeitseinstellungen und Aussperrungen: Arbeitskonflikte in Oesterreich; Streik-
bewegung im Auslande (Belgien, England, Frankreich); Vorläufige Uebersicht der Arbeits-
konflikte in England im Jahre 1902. — Arbeitsvermittlung: Ergebnisse der Arbeits-
vermittlung in Oesterreich im Monate Februar 1903; Zentralanstalt für unentgeltlichen
Arbeitsnachweis in Mannheim im Jahre 1902. — Arbeitsmarkt: Wirtschaftliche Ver-
hältnisse in einzelnen Handels- und Gewerbekammerbezirken im Jahre 1902: A. Brünn.
B. Linz; Internationaler Arbeitsmarkt (Belgien, Deutsches Reich, England, Frankreich).
— Das neue ungarische Auswanderungsgesetz. — Arbeitsstatistische Aemter: Durch-
führungsverordnung zum Gesetze, betreffend die Errichtung eines Arbeitsamtes in Mailand.
— Arbeiterverhältnisse und Wohlfahrtseinrichtungen bei den österreichischen Staats-
bahnen. — Sozialpolitik: Staatliche Prämien für langjährig beschäftigte Arbeiter in
Ungarn; Stellungnahme der französischen Justizverwaltung gegenüber durch Arbeits-
konflikte hervorgerufener Unruhen. — Wohnungswesen. — Aus dem Verwaltungs-
berichte der Landeshauptstadt Brünn für das Jahr 1901. — Vereinswesen. — Recht-
sprechung. — Verschiedenes: Die wirtschaftliche Entwiekelung Oesterreichs; Zur Rege-
lung des Submissionswesens in Mähren. — ete.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Aprile 1903: La situazione del mercato monetario.
— Il valore pratico delle dottrine economiche, per G. Valenti. — Un nuovo trattato
d'economia matematica, per P. Boninsegni. — Sul calcolo delle annualità dei mutui, per
G. Fraseara. — Alcune asservazioni sui sindaeati e sulle leghe (a proposito di una
memoria del prof. Menzel), per M. Pantaleoni. — Cronaca (Venezia-Indie), per F. Papafava.
— Icilio Vanni, per v. G.
Rivista della beneficenza pubblica. Anno XXXI. 1903, N° 3, Marzo: Dell’
assistenza ai bambini lattanti illegitimi, per Romano Romani. — Per gli educatori corre-
zionali, per Giulio Benelli. — Le condizioni della pubblica beneficenza, per Enrico Stiatti.
— Sulla legalità della riforma del servizio degli esposti nella provineia di Rovigo, per
Silvio de Kunert. — Cronaea: Cinque milioni per gli ospedali lombardi; Alla casa di
Turate; D’ influenza dell alcoolismo sul delitto in Svizzera e i mezzi ehe possono essere
usati per combatterlo; Per la tutela delle ragazze. — etc.
G. Holland.
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. Län jaarg., 1903, April:
Eenige opmerkingen betreffende het wetsontwerp tot instelling van landbouwraden, door
——
Die periodische Presse des Auslandes. 717
C. J. Siekesz. — Bezwaren tegen den verbruikersbond, door Anna Polak. — Mijn-
wetgeving in Nederland, door Reinier D. Verbeek (art. II.. — De internationale geld-
markt, door O. Rozenraad. — Economische kroniek: Der Streik der Eisenbahner und
andere Streikbewegungen in Holland; Der Entwurf des hollündisehen Bankgesetzes; Der
große amerikanische Stahltrust. — Handelskroniek: Ueber das geplante holländische
Telegraphen- und Telephongesetz; Hollündischer Schiffahrtsverkehr über die deutsch-
holländischen Grenzen nach und von holländischen Häfen; Status der holländischen
Kauffahrteiflotte vom 31. XII. 1902: Statistik der 1902 aus holländischen Reedereien
hervorgegangenen neuen Schiffe. — ete.
H. Schweiz.
Monatsschrift für christliche Sozialreform. Jahrg. XXV, 1903, N" 4: Arbeits-
markt, Arbeitgeberverbände und Arbeitgeberpresse, von N. L. Kroidl. — Wirtschaftliche
Tagesfragen, von Sempronius: Entwickelung und Stand der Raiffeisenkassen in Nieder-
Oesterreich ; Die Abfälle der Großstädte; Dörrobst und sonstige Konserven in ihrer Be-
deutung für den Landwirt; Lagerhausgenossenschaften. — Zeitschriftenschau, von C.
Decurtius. — Soziale Chronik. — Für die sozialen Vereine, von J. Beck: Skizze XII:
Die Arbeitslosigkeit; Skizze M: Der Arbeitsnachweis. — ete.
Schweizerische Blätter für Wirtsehafts- und Sozialpolitik. Jahrg. XI, 1903,
Heft 6, 7 u. 8: Die Organisation der unentgeltlichen ärztlichen Fürsorge in der Schweiz,
von (Prof.) F. Erismann (Schluß). — Mittel und Einrichtungen zur Förderung und
Durchführung des Realkredits, von (Prof.) W. Mareusen (Schluß). — Soziale Chronik.
— Statistische Mitteilungen: Die Vogtländer und die schweizerische Stickereiindustrie. —
Handelsstand und Handelsschulen, von W. Flury (Prof, Solothurn). — Europäische
Handelsbilanzen im Jahre 1902. — Zur „agrarischen“ Beweisführung, von (Privdoz.)
E. Ballod (Berlin). — Soziale Chronik. — Statistische Notizen.
M. Amerika.
Annals, the, of the American Academy of Political and Social Science, Vol. XXI,
N° 2, March 1903: The military government of Cuba, by Leon Wood. — The new
Australian commonwealth, by W. Harrison Moore. — Constitutional government in Japan,
by Ernest W. Clement. — The results of reform, by Henry Jones Ford. — The basis
of present reform movements, by James T. Young. — The nazionalization of municipal
movements, by Clinton Rogers Woodruff. — Political and munieipal legislation in 1902,
by Robert H. Whitten. — Our present financial outlook, by Fred. Cl. Cleveland. — ete.
Bulletin of the Department of Labor. (Washington) N° 44 and N° 45, January
and March 1903: Factory sanitation iu labor protection, by C. F. W. Dochring. —
Agreements between employers and employees. — Digest of recent reports of State
bureaus of labor statistics: Kansas; Michigan; Massachusetts; New Hampshire; Penn-
sylvania; Rhode Island; West Virginia. — Course of wholesale prices, 1890—1902. —
Digest of recent foreign statistieal publications. — Deeisions of courts affecting labor. —
Laws of various States relating to labor enacted since January 1, 1896.
Journal, the, of Political Economy. (Chicago, University of Chicago press). Vol.
XI, N°2, March 1903: Population in the XII" Census, by John Cummings. — Colonial
poliey and the tariff, by Robert F. Hoxie. — German-American „most favored nation“,
Relations, by George M. Fisk. Effects of the Granger Acts, by Ch. R. Detrick. —
New England gas and coke, by Alton D. Adams. — ete.
Political Science Quarterly. Edited by the faculty of political science of Columbia
University (Boston). Vol. XVIII, N° 1, March 1903: Federal control of trusts, by Alton
D. Adams. — Elections in New York in 1774, by Carl Becker, — An American muni-
eipal program, by C. R. Woodruff. — Local government in Scotland, by Mabel Atkinson.
— Value in taxation, by Vietor Rosewater. — 'The growth of federal expenditures, by
C. J. Bullock. — State arbitration in Australasia, by Henry W. Macrosty. — ete.
Quarterly Journal of Economies. Published for Harvard University, Boston.
Vol. XVII, N°2, February 1903: A study in the science of welfare, by Frederick Kellogg
Blue. — Branch banking in the United States, by O. M. W. Sprague. — The residual
claimant theory of distribution, by Jae. H. Hollander. — Oceupations in their relation
to the tariff, by Edw. Atkinson. — The later history of the standard oil company, by
Gilbert Holland Montague. — Notes and memoranda, — etc.
718 Die periodische Presse Deutschlands.
Die periodische Presse Deutschlands.
Alkoholismus, der. Eine Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Erörterung
der Alkoholfrage. Jahrg. IV, 1903, Heft 1: Rückblick und Ausblick, von (D' med.)
Waldschmidt. — Ueber Wert und Einrichtung besonderer Heilstätten für Alkoholkranke,
von Konrad Alt. — Zur Frage der Unterbringung von Alkoholkranken in Frankreich,
von Lucien Mayet. — Alkohol und Unfall, von (Prof.) C. Fraenkel. — etc.
Annalen des Deutschen Reichs ete. Jahrg. XXX VI, 1903, N" 4: Die Notenbanken
in Württemberg, 1876—1900, von Berth. Breslauer (Berlin) [I. Art.]. — Anlage zum
Zolltarifgesetz vom 25. XII. 1902 (Schluß). — Skizzen und Notizen: Räumlichkeiten
als Orte des Verlierens und Findens; Vorschläge zur Erzielung einer Einheit der Straf-
rechtsprechung; Zur Frage der Prozeßverschleppungen, ete. —
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1903, N’ 6, 7 u. 8, März u. April 1903:
Telephonie auf weite Entfernungen. — Die Gründung der ersten deutsch-amerikanischen
Postdampfschiffslinie (Schluß). — Weitere Entwickelung des Postverkehrs mit den
deutschen Kriegsschiffen im Auslande. — Die zweite Beratung des Etats der Reichs-,
Post- und Telegraphenverwaltung für das Rechnungsjahr 1903 im Reichstage. — Die
höhere Verwaltungsprüfung für Post und Telegraphie im Jahre 1902. — Die Ver-
staatlichung der schweizerischen Eisenbahnen. — Das Postwesen in den Niederlanden
bis zu seiner Verstaatlichung. — Der Photophonograph. — ete.
Archiv für Bürgerliches Recht. Bd. XXII, Heft 1, April 1903: Zwölf Studien
zum bürgerlichen Gesetzbuch, von J. Kohler. Studie VI: Das Vermögen als sachen-
rechtliche Einheit. — Gefahr und Gefährdung im BGB., von (LandesgerDir.) Rotering
(Magdeburg). — Der abstrakte Vertrag, von (PrivDoz.) Friedr. K. Neubecker (Berlin).
— Die prozessuale Aufrechnung gegenüber dem vertragsmäßigen Exmissionsrechte des
Vermieters, von (Referend.) Max Alsberg (Bonn). — Zur Lehre vom Besitz des Mannes
am eingebrachten Vermögen beim Güterstande der Verwaltung und Nutznießung, von
(Rechtsanw.) Ullmann (Magdeburg). — Die Einlage von Sachgesamtheiten bei Aktien-
gesellschaft und Gesellschaft mit beschränkter Haftpflicht, von (Prof.) H. Rehm (Erlangen).
— Die alte und die neue Vormerkung, von (Rechtsanw.) Osk. Priester (Eberswalde). —
Bibliographie des bürgerlichen Rechts, 1902, von Georg Maas (Bibliothekar im Reichs-
militärgericht).
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich,
Herausgeg. von Gustav Schmoller. Jahrg. XXVII, 1903, Heft 2: Zur Charakteristik
der englischen Industrie, von W. Hasbach (Art. 3). — Die Hebung der Produktivität
der Landwirtschaft, von Carl Ballod. — Zur Entwiekelung der Geschichtschreibung
Rankes. Ein Versuch ihrer theoretischen Würdigung, von B. Schmeidler. — Wesen
und Wert der Zentralproduktenbörse. Akademische Antrittsrede, von Kurt Wiedenfeld.
— Der Anteil der Arbeiter, der Angestellten und der Selbständigen am deutschen Volks-
einkommen des Jahres 1900, die Zahl der in jeder dieser Gruppen Erwerbstätigen und
der von ihnen Ernährten, und das Verhältnis zwischen Einkommen und Familienentfaltung,
von R. E. May. — Das Eisenbahnwesen in Algerien, von Paul Mohr. — Depositen-
banken und Scheckverkehr in England, von Rud. Eberstadt. — Bericht über die
XXII. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit,
von Emil Münsterberg. — Der amerikanische Schifffahrtstrust, von Reinh. Melchior. —
Die Krisentheorien von M. v. Tugan-Baranowsky und L. Pohle, von Arthur Spiethoff.
— etc.
Neue Zeit, die. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie, Jahrg. XXI,
Bd. I, 1903, N’ 26—21 vom 29. III.—2. V.: Sozialismus und Landwirtschaft, von
K. Kautsky: Art. 9: Entwickelungsgesetz der Landwirtschaft; Art. 10: Schluß. —
Wirtschaftliche Umschau, von Heinr. Cunow. — Gewissensfragen, von Fr. Stampfer, —
Die makedonische Frage, von Janko Sakosow (Sofia). — Wie der Moloch wächst, von
tud. Krafft. — Der werdende Verbrecher. Eine kriminalistische Untersuchung von
S. Weinberg. — Beiträge zu einer Geschichte der Internationale, von Max Bach (Art. 3
u. 4, Schluß). — Der Kongreß zu Bordeaux und die französischen Sozialisten, von Jean
Longuet. — Das Weib und der Intellektualismus, von Klara Zetkin. — Die politische
Lage in Italien, von Romeo Soldi. — Landerziehungsheime, von Heinrich Schulz. —
Die periodische Presse Deutschlands. 719
Die sozialistische Presse in den Vereinigten Staaten, von A. M. Simons. — Eine Arbeiter-
fabrik in Belgien, von Emilio (Redakteur am „Peuple“ in Brüssel) — Der Kampf und
die Niederlage der Arbeiter in Holland, von Henriette Roland-Holst ('s Gravenhage). —
Die Qualifikation der Fabrikarbeit, von J. German. — Die Gewerkschaftsbewegung in
Belgien, von Fritz Kummer (Brüssel). — Leo Tolstoi an die Arbeiter, von Friedr.
Stampfer. — Der Liberalismus im Wahlkampf. — Die irische Landbill, von M. Beer.
— Die Bedeutung von Farbe und Form des Tierkleides, von Kurt Grottewitz. —
Notizen: Die Photographie im Dienste des Arbeiterschutzes, von P. M. Grempe; Berufs-
genossenschaften und Krisis von E. G. — etc.
Politisch-anthropologische Revue. Jahrg. II, N° 2, Mai 1903: Die allgemeinen
Gesetze der Vererbung, von Paul Hartel. — Die biologischen Wurzeln der mensch-
lichen Gemeinschaft. — Die anthropologische Geschichts- und Gesellschaftstheorie, von
Ludwig Woltmann. — Die Urgeschichte der Künste, von J. Lanz-Liebenfels. — Al-
koholismus und Rechtsprechung, von Edm. Blind. — Niedergang und Erwachen der
lateinischen Rassen, von Curt Bühring. — Zur Diskussion über „Zuchtwahl und Mono-
gamie", von L. Kuhlenbeck (Erwiderung). — Die Monogamie der Germanen, von
L. Wilser (Erwiderung). — ete.
Preußische Jahrbücher. Herausgeg. von Hans Delbrück. Bd. 112, Heft 2,
Mai 1903: Der Schulmeister, von Outis, — Nationale Jugend, von Walther Eug. Schmidt
(Prag). — Zur vormärzlichen Polenpolitik Oesterreichs, von J. Loserth (Prof. d. Ge-
schichte, Univ. Graz). — Frau Gottsched und die preußische Gesetzgebung, von Ernst
Consentius (Berlin). — Die Kruppsche Bücherhalle, ihre Einrichtung und ihre Erfolge.
von Tony Kellen (Essen a. d. R.). — Politische Korrespondenz; Eine Wahlparole, von
H. Delbrück; Bagdadbahn, von Paul Rohrbach. — etc.
Reichsarbeitsblatt. Herausgeg. vom kais. statistischen Amt, Abteilung für
Arbeiterstatistik. Jahrg. I, Nr. 1, Berlin, 21. IV. 1903:. Die Abteilung für Arbeiter-
statistik. — Arbeitsmarkt: Die Berichterstattung des Reichsarbeitsblatts; Der Be-
schäftigungsgrad im März 1903 nach den Nachweisungen der Krankenkassen; Die Ver-
mittlungstätigkeit der Arbeitsnachweise im Monat März 1903. — Arbeitsvermittelung
und Arbeitslosigkeit: Notstandsarbeiten in deutschen Städten während des Winters
1902,03; Arbeitslosenzählungen der Stadt Stuttgart; Arbeitslosenzählung auf Grund der
Einkommensteuerlisten in Dresden ; Vorschriften über den Umfang der Befugnisse und
Verpflichtungen sowie über den Geschäftsbetrieb der Stellenvermittler für Schiffsleute.
— Arbeitsbedingungen : Erhebungen über die Dauer der im Fleischergewerbe üblichen
täglichen Arbeitszeit; Nachweisung der in den Hauptbergbaubezirken Preußens im J.
1902 verdienten Bergarbeiterlöhne. — Arbeiterschutz: die Jahresberichte der bayerischen
Fabriken- und Gewerbeinspektoren für 1902; Jahresbericht der großherz. badischen
Fabrikinspektion für das Jahr 1902. — Arbeitsstreitigkeiten: Die Ausstandsbewegung
des Jahres 1902 im Deutschen Reiche. — Wohnungswesen: Sachsen. Erlaß des kgl.
sächsischen Ministeriums des Innern. — Gesetzgebung. -— Die Tätigkeit des Gewerbe-
gerichts Berlin als Einigungsamt im vergangenen Vierteljahre. — Tabellen zur Arbeits-
marktstatistik. — etc.
Soziale Revue. Jahrg. III, 1903. 2. Quartalheft: Arbeitsvertrag und deutsches
Privatrecht, von (Privdoz.) Frz. Walter-München (Schluß). — Ein neues System der
Nationalökonomie, von (Privdoz.) Frz. Walter. — Die Ursachen der Arbeitslosigkeit,
von Adolf Weber (Bonn). — Aus fernen Landen, von v. Hesse-Wartegg. — Die Stellung
des Urchristentums zum Wirtschaftsleben, von (Dr. theol.) Frz. Meffert (Gladbach). —
Glaube und Kultur, von Viktor Cathrein (Soc. J.). — Aus der sozialen Welt: Aus der
Arbeiterbewegung der Gegenwart, von Fleischer; die Bewährung der Gewerbegerichte,
von Eyck; Alkoholfrage und Gemeindepolitik, von Mombert; Die gewerbliche Nachtarbeit
der Frauen in Oesterreich; Zur Selbstmordstatistik Württembergs, von Rost; Die katho-
lische Kirche in den Ver. Staaten. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgeg. vom kais.
statistischen Amt. Jahrg. XII, 1903, Heft 1: Anordnungen für die Reichsstatistik aus
dem Jahre 1902. — Zur Statistik der Preise: A. Großhandelspreise wichtiger Waren an
deutschen Plätzen 1902 und in den 20 Jahren 1883/1902. Nebst einer ergänzenden
Uebersicht für 1871/82 und einem Anhange (Tab. 4-—10) betreffend Preise von Vieh
und Getreide an fremden und deutschen Plätzen; B. Roggen- und Weizenpreise an
deutschen und fremden Börsenplätzen im IV. Vierteljahr 1902; C. Viehpreise in 10
720 Die periodische Presse Deutschlands.
deutschen Städten im IV. Vierteljahr 1902. — Der Verkehr auf den deutschen Wasser-
straßen 1872—1901. — Erntestatistik für das Jahr 1902. — Beiträge zur Statistik der
Fruchtmarktpreise (1898 — Januar 1903). Die überseeische Auswanderung 1902. — Die
Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle 1901. — Die Selbstmorde 1899—1901. —
Bei den deutschen Börsen zugelassene Wertpapiere 1902. — Branntweinbrennerei- und
Besteuerung 1901/1902. — Weinmosternte 1902. Konkurse im IV. Vierteljahr 1902.
Vorläufige Mitteilung. — Zur Statistik der Streiks und Aussperrungen im IV. Viertel-
jahr 1902.
Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Unter ständiger
Mitwirkung genannter Autoren herausgeg. von (Proff.) St. Bauer (Basel) und G. v.
Below (Tübingen), ferner von L. M. Hartmann (Wien) u. (RedaktSekr.) Kurt Kaser ( Wien).
Bd. I, Heft 1 (Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903). Inhalt: Les dénombrements de la
population d’Ypres au AN" siècle (1412—1506). Contribution à la statistique sociale
du moyen âge, von Henri Pirenne. — Lohn- und Preisverhältnisse in Hann.-Münden
zu Anfang des 15. Jabrhunderts, von Gustav Schönfeldt. — La colonizzazioni in Sicilia
nei secoli XVI e XVII (Contributo alla storia della proprietà), per G. Salvioli. — Die
geschichtlichen Motive des internationalen Arbeiterschutzes, von Stephan Bauer. —
Gegner der Bauernbefreiung in Oesterreich, von Heinr. Friedjung. — Miszellen: All-
mende und Markgenossenschaft, von G. v. Below. — Fiuvaida von L. M. Hartmann.
— etc.
Zeitschrift des kgl. bayerischen statistischen Bureaus. Jahrg. XXXIV, 1902,
N’ 4: die Armenpflege im Königreich Bayern in den Jahren 1899 und 1900. — Nach-
trag zur Zusammenstellung der von den zuständigen Behörden getroffenen Festsetzungen
des durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienstes der in der Land- und Forstwirtschaft be-
schäftigten Personen, dann des ortsüblichen Tagelohnes gewöhnlicher Tagearbeiter. —
Nachtrag zu «lem Ergebnisse der Reichstagswahlen vom Juni 1898. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof. Julius Wolf. Jahrg.
VI, 1903, Heft 4: Aberglaube und Verbrechen, von Aug. Lówenstimm (OLandesGerR.,
Charkow). (I. Art.) — Ein mitteleuropüischer Wirtschaftsverein, von Julius Wolf. —
Die Schaffung neuer Bodenwerte durch die Tätigkeit von Bakterien, von (Prof.) A.
Stutzer. — Lohn und Aufrechnung, von (OLandesGerR.) Ernst Neukamp (Köln). —
Sozialpolitik: Das österreichische Terminhandelsverbot, von (kais. Rat) Weiss v. Wellen-
stein (Wien). — ete.
Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen, Jahrg. 1903, Heft 1:
Ueber den Ursprung der Stadt Hannover. von (Prof.) C. Schuchhardt. — Die slavischen
Orts- und Flurnamen im Lüneburgischen, von (OLehrer) P. Kühnel (Teil II). — ete.
Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Bd. III, 1903, Heft 2:
Die Verallgemeinerung der Versicherungshilfe, von Gottfr. Leuckfeld (Halensee-Berlin).
— Die Harndiagnostik in der Lebensversicherung, von Wilh. Sternberg (Dr. med., Berlin).
— Die Krankenversicherung der Hausindustriellen, von Ludw. Fuld (Mainz). — Ver
sicherungswesen und Statistik, von (Prof.) Heinrich Bleicher (Frankfurt a. M.). — Der
Schutz der Hypothekengläubiger im Versicherungsrecht, von (Referend.) Fr. Hülse
(Magdeburg). — Die Mathematik und Technik der Arbeitslosigkeitsversicherung, von
(Versicherungstechniker) Heinr. Unger (Groß-Lichterfelde). — ete.
Frommannsehe liuchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Otto Heyn, Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 721
Nachdruck verboten.
XI.
Kritische Erörterung des Projekts
der Beseitigung des Goldagios in Spanien.
Dr. FR Heyn.
Inhalt. I. Einleitung (Spanische Währungsverhältnisse, Geschichte des Agios ete.).
— II. Die Verminderung der Papiergeldmenge als Mittel zur Wiederherstellung des
Parikurses im allgemeinen. — III. Ist es móglich und liegt es im Interesse Spaniens,
das Goldagio zu beseitigen? — IV. Die richtige Politik (Stabilisierung des Wechsel-
kurses in der jetzigen Höhe). — V. Schluß.
I. Einleitung.
In Spanien herrschen bekanntlich schon seit langer Zeit hóchst
unerquickliche Währungsverhältnisse. Die Peseta gilt schon lange
nicht mehr, wie es nach ihrem gesetzlichen Pariwerte der Fall sein
sollte, gleich hoch mit dem franzósischen Franc. Es hat sich viel-
mehr ein Goldagio gebildet, das jetzt nicht weniger als 35 Proz. be-
trägt, so daß der Franc mit 1,35 Pesetas bezahlt werden muß. Durch
das Bestehen dieses Agios sind die Staatslasten, soweit sie die Zins-
zahlung für die auswürtige Schuld und andere Auslandszahlungen
betreffen, stark erhóht worden und unter seinen Schwankungen leiden
infolge der dadurch geschaffenen Unsicherheit Handel und Verkehr.
Diesem Zustande will man jetzt ein Ende machen. Das Goldagio
soll beseitigt, die spanische Valuta auf ihren früheren Pariwert ge-
hoben werden. Einige vorbereitende Gesetze sind bereits erlassen
und die Ausführung derselben hat begonnen. Dieses Projekt ist so-
wohl wissenschaftlich als auch praktisch von so großer Bedeutung,
daß es wohl der Mühe weri erscheint, es in seinem Zusammenhang
mit der Theorie des Agios näher zu prüfen.
1. Die Entwickelung des Goldagios.
Die spanische Währung ist gesetzlich Doppelwährung oder viel-
mehr sogenannte hinkende Goldwährung. Die Prägung von Gold
ist freigegeben, die Prägung von Silber (in dem Verhältnis von
1:15!/,;) Monopol der Regierung, aber seit November 1901 für die
Kurantmünzen (5-Pesetastücke) eingestellt. Gold- und Silbermünzen
haben gesetzliche Zahlkraft. Währungseinheit ist die Peseta. Dieses
System, damals jedoch mit Prägungsfreiheit für Silber, wurde durch
Gesetz vom 12. Oktober 1868 eingeführt, trat aber erst in den Jahren
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 46
122 Otto Heyn,
1876 und 1877 voll in Kraft. Die Prägungsfreiheit für Silber auf
Privatrechnung wurde am 25. März 1878 aufgehoben.
Zur Zeit der Einführung dieses Systems bildeten Gold- und voll-
wertige Silbermünzen in reichlicher Menge den Geldumlauf. Das
hat lange aufgehórt. Die Goldmünzen sind bis auf etwa 410 Mill.
Pesetas, von denen sich 350 Mill. in den Kellern der Bank von
Spanien befinden, exportiert worden und neue Goldmünzen werden nur
noch in geringer Menge geprägt. Das Silbergeld ist mit dem Sinken des
Silberpreises innerlich um etwa 60 Proz. unterwertig geworden und
infolge der bedeutenden Prügungen der Regierung in verhältnismäßig
großer Menge (circa 900 Mill. Pesetas, wovon 488 im Besitze der
Bank) vorhanden. Der Umlauf besteht in der Hauptsache, nämlich
zu circa 1620 Mill. Pesetas, in Papier. Es ist jedoch kein eigent-
liches Papier geld vorhanden und es herrscht, abweichend von allen
übrigen Ländern, in denen ein Agio besteht, (für Papier) kein
Zwangskurs. Die Noten der Bank von Spanien, welche an Stelle
eines Papiergeldes den Gelddienst versehen, sind Banknoten ge-
blieben. Sie sind in Währungsgeld, Silber oder Gold nach der
Wahl des Schuldners, also der Bank, einlósbar und werden tat-
sächlich auf Verlangen von der Bank in Silber eingelöst. Sie werden
von jedermann freiwillig genommen — lieber als das schwere Silber-
geld — und nur selten zur Einlósung gebracht, obwohl ihre Deckung,
die nur zu einem geringen Teile in Gold besteht, ziemlich schwach ist.
In Wirklichkeit sind sie nichts anderes als Reprüsentanten des
Silbergeldes. In dem Agio des Goldes gegenüber den Noten
kommt einfach das Goldagio gegenüber dem Silbergelde zum Aus-
drucke. Das letztere aber behauptet sich infolge der Aufhebung
der Prügungsfreiheit weit über seinem Metallwert und steht insofern
und in wührungspolitischer Hinsicht überhaupt in allen wesentlichen
Beziehungen einem Papiergelde vóllig gleich. Bei dieser Sachlage
kónnen wir für die Zwecke unserer Untersuchung von der erwühnten
Besonderheit absehen und annehmen, daß in Spanien eine wirkliche
Papierwährung herrsche. So verliert das spanische Währungs-
problem seinen speziellen Charakter und ist es leichter möglich, die
einschlägigen Fragen allgemein zu behandeln.
Ein Agio für Gold zeigte sich in Spanien zuerst im Jahre 1879.
Damals betrug es jedoch nicht mehr als 0,25 Proz. im Jahresdurch-
schnitt. In den folgenden Jahren verschwand es wieder und es trat
sogar ein kleines Disagio des Goldes an seine Stelle. Im Jahre
1882 zeigte es sich von neuem, und von nun an bildete es eine
ständige Erscheinung. Der Betrag war zunächst noch gering. Von
1882—1888 schwankte es zwischen 0,82 und 2,50 Proz. im Jahres-
durchschnitt. Dann trat aber eine Zunahme ein; 1392 sprang es auf
15,42 Proz. und stieg dann fast ununterbrochen weiter, bis es in dem
Kriegsjahr 1898 seinen Höhepunkt (vorübergehend sogar 115 Proz.)
erreichte. Das Genauere zeigt die unten folgende Tabelle.
In der ganzen Zeit seit dem ersten Auftreten des Agios hatte
Spanien mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Einnahmen
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 723
des Staates reichten niemals aus, um die Ausgaben zu decken. Ein
Defizit von 50—140 Mill. Pesetas im Jahre war die regelmäßige Er-
scheinung. In dieser Finanznot war der Staat gezwungen, bei der
Bank von Spanien Hilfe zu suchen. Diese Hilfe konnte nur in der
Weise gewährt werden, daß immer mehr Noten ausgegeben wurden.
So stieg der Notenumlauf allmählich von 178 Mill. Pesetas im Jahre
1879 auf 1500 Mill. im Jahre 1899 und seitdem auf 1620 Mill. Um
diese Vergrößerung zu ermöglichen, mußte das Bankstatut 2mal, und
zwar in den Jahren 1891 und 1898, geändert werden, indem einer-
seits die Notengrenze von 900 auf 1500 bezw. 2500 Mill. Pesetas
erweitert, andererseits die Deckungsvorschriften gemildert wurden.
Die letzte Aenderung (1898) setzte die Metalldeckung bei einer Noten-
ausgabe bis zu 1500 Mill. Pesetas auf ein Drittel, für den Ueber-
schuß bis zu 2000 Mill. auf die Hälfte, von 2000 bis zu 2500 Mill.
auf zwei Drittel fest, ließ aber die Wahl zwischen Gold und spanischem
Silbergelde. Im übrigen bestand die Deckung zum größten Teil in
Staatsobligationen, und zwar einerseits in Stücken der fundierten An-
leihen, andererseits in kurzfristigen Schatzanweisungen (Pagares) neben
einer unverzinslichen Staatsschuld von 150 Mill. Pesetas. Der Be-
stand an Schatzanweisungen (die alle 6 Monate erneuert werden
müssen) betrug noch im Jahre 1901 nicht weniger als 900 Mill.
Pesetas (Kolonialschuld).
Seit 1887 hat die spanische Regierung auch durch starke Silber-
prägungen den Staatsfinanzen aufzuhelfen versucht. Nach dem be-
deutenden Rückgange des Silberpreises, besonders seit 1893, konnte
ja auf diese Weise ein großer Gewinn erzielt werden, und diese Ge-
legenheit ließ sich die spanische Regierung nicht entgehen. So sind
denn in den 10 Jahren von 1890—1899 hauptsächlich aus finanziellen
Rücksichten nicht weniger als 503 Mill. Pesetas in silbernen Wäh-
rungsmünzen (5-Pes.-Stücke) geprägt worden (was der Staatskasse
fast 100 Mill. Pesetas einbrachte). Allein im Jahre 1898 wurden
199,9 Mill. Pesetas ausgemünzt. Auch diese Silberprägung trug
natürlich dazu bei, den Umlauf unterwertigen Geldes in Spanien zu
vermehren. Allerdings ist von den geprägten Stücken eine bedeutende
Menge nach den Kolonien exportiert worden, aber ein großer Teil
kam zurück und im Resultate hat sich eine beträchtliche Vermehrung
des Bestandes in Spanien selbst ergeben. Die Gesamtprägungen
nach dem Pesetafuß von 1868 betrugen bis Ende 1901 1286 Mill.
Pesetas, darunter 1047 Mill. in 5-Peseta-Stücken. In den Jahren
1900 und 1901 wurden nur silberne Scheidemünzen geprägt, wozu
nach dem Gesetz vom 28. November 1901 nur noch eingeschmolzene
alte Münzen und 5-Peseta-Stücke verwendet werden durften.
Die unglücklichen Ereignisse des Jahres 1898, welche Spanien,
abgesehen von dem Verluste seiner Kolonieen, mit einer neuen Schuld
von fast 3 Milliarden Pesetas belasteten, führten zu einer umfassenden
Steuerreform, welche das chronische Defizit beseitigte und weitere
Vorschüsse seitens der Bank von Spanien unnötig machte. Jetzt ist
das Gleichgewicht im Staatshaushalt wiederhergestellt. Im Budget
46*
724 Otto Heyn,
für 1902 wurden die (ordentlichen) Einnahmen auf 974,4, die Aus-
gaben auf 971,2 Mill. Pesetas veranschlagt.
Die Schuldenlast des Landes ist sehr groß. Die gesamte Schuld
beträgt nicht weniger als 9,73 Milliarden, die äußere Schuld (deren
Last durch das Agio beeinflußt wird) 1249 Mill. Pesetas!). Die Ver-
zinsung und teilweise Amortisation dieser Schuld beanspruchen bei-
nahe die Hälfte der gesamten Jahreseinnahme (1902 413,8 Mill.
Pesetas), während die Verzinsung und Amortisation der äußeren
Schuld allein ca. 50 Mill. Pesetas Gold (= Francs) kostet ?).
Eine Uebersicht über die Entwickelung des Agios, das An-
wachsen der Notenmenge und die Prägungen gibt die folgende
Tabelle):
Notenumlauf, Agio und Prägungen von Silberkurant-
münzen.
3 Prägungen von Agio
KEE Mill Pesetas 5-Peseta-Stücken (Tahresdurchschnits)
ahres Mi
ill. Pesetas Proz.
1875 III 58,2 — I
77 156 34,9 —
79 178 8,2 0,25
1880 227 3,5 — 0,4
81 294 — — I
82 359 8,3 1,80
83 349 27,5 1,60
84 305 29,2 1,20
1885 424 15,7 2,50
86 493 9,8 2,20
87 582 59,9 0,82
88 657 53,2 1,68
89 724 23,4 3,25
1890 736 36,4 4,33
91 770 66,6 6,56
92 854 41,5 15,42
93 902 15,1 18,85
94 942 19,4 20,15
1895 994 19,4 14,85
96 1031 21,4 20.05
97 1202 33,7 29,60
98 1445 199,9 53,85
99 1519 69,6 24,80
1900 1586 — 29,55
1901 1633 — 38,15
Die Größe der Schwankungen des Agios ergibt sich aus der
folgenden Zusammenstellung, in der jedoch nur die Monatsdurch-
schnitte verzeichnet sind.
1) Raffalovich. Le marché financier, 1901, S. 638, Anm.
2) Nach der Vereinbarung vom Juli 1901, welcher ca. 80 Proz. der ausländischen
Gläubiger beigetreten sind, werden von den 4 Proz. Zinsen der äußeren Schuld nur
3'/, Proz. ausgezahlt, während das restliche !/, Proz. zur Amortisation verwendet wird.
3) Die Zahlen der Spalten 2 und 4 dieser Tabelle sind dem Economiste Européen
vom 17. Januar und 14. März 1902 entnommen. In den Berichten von Raffalovich (Le
marché financier von 1894/95 und 1896/97) finden sich für einige Jahre abweichende An-
gaben, so namentlich als Durchschnittsagio für 1894 und 1896 23 bezw. 25 Proz.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 725
Minimum Maximum
(Monatsdurchschnitte)
1891!) 2,90 12,75
1894 ?) 11,36 23
1895 !) 8,40 22,25
1896 ?) 17,34 27,6
1897 ?) 24 33,33
1898 !) 33,05 86,71 *)
1899!) 19,70 30
1900 !) 26,30 33,90
1901 ?) 33.25 42,35
Was die zur Zeit in Spanien vorhandene Geldmenge betrifft, so
soll nach dem neuesten Berichte des amerikanischen Münzdirektors
zu Ende des Jahres 1900 an Metallgeld vorhanden gewesen sein:
Gold Millionen Pesetas
im Besitze der Bank von Spanien * 350
im Privatbesitz (geschätzt) 60
410
Silber
im Besitze der Bank von Spanien 412
im Umlauf (geschätzt) 488
900
Zusammen: 1310
Hierzu kamen an ungedeckten Noten:
bei einer im ganzen ausgegebenen Menge von 1586
und einer Deckung von 350 + 412 = 762
814
| 2124
Im ganzen waren also Ende 1900 2134 Mill. Pesetas vorhanden,
während sich der Umlauf zusammensetzte aus:
Gold (im Privatbesitz) 60 Mill. Pesetas
Silber 488 yn »
Noten 1586 5 ,
2134 Mill. Pesetas
Seitdem ist der Notenumlauf noch etwas vermehrt, der Silber-
umlauf wahrscheinlich etwas verringert worden. Am 27. September
1902 betrugen der Metallschatz der Bank von Spanien und die Menge
der umlaufenden Noten:
Gold 356,77 Mill. Pesetas >
Silber 468,7 D T
Noten 1621,77 , D
Ueber den Status der Bank von Spanien orientieren die folgen-
den (dem Economiste Européen entnommenen) Daten, welche für
verschiedene Zeitpunkte den Bestand an Gold und Silber, den Umfang
des Portefeuilles (einschließlich der diskontierten Schatzanweisungen),
den Betrag der Lombarddarlehen, die Größe der Depots und der
1) Nach Raffalovich.
2) Nach de Foville im Bericht des amerikanischen Münzdirektors 1899, S. 389/90
berechnet.
3) Nach dem Economiste Européen vom 17. Januar 1902.
4) Der höchste Stand war 115 Proz., der größte Wochendurchschnitt 111 Proz.
726 Otto Heyn,
Kontokorrentschuld und den Betrag der umlaufenden Noten (sowie
den Bankdiskont) angeben.
Mill. Pesetas
Ende 1899 Ende 1900 Ende 1901 28. Juni 1902 27. Sept. 1902
Gold 340 350 350 354 357
Silber 363 408 432 492 489
Wechsel ete. 1045 1126 1114 1116 907
Lombard 133 246 259 213 122
Depots u. Konto-
korrent 771 728 682 518 580
Noten 1518 1586 1633 1598 1622
Bankdiskont 4 ENÄ A A A
Der Betrag der diskontierten Handelswechsel belief sich (nach
Conrads Volkswirtschaftlicher Chronik, 1901, S. 156) am 20. April 1901
auf nicht mehr als etwa-200 Mill. Pesetas.
Das Grundkapital der Bank beträgt 150 Mill. Pesetas. Dasselbe
ist durch eine gleich hohe (unverzinsliche) Forderung an den Staat
besonders gedeckt.
2. Das Gesetz vom 13. Mai 1902.
Seit einigen Jahren ist man ernstlich bestrebt, das Goldagio zu
beseitigen. Es soll der Versuch gemacht werden, den Kurs wieder
auf Pari zu heben. Der erste Schritt zu einer Besserung der Ver-
hältnisse war der Erlaß des Gesetzes über die Einstellung der
Prägung von 5-Pesetastücken in Silber (vom 28. November 1901),
wodurch verhütet werden sollte, daß in Zukunft wieder wie früher
eine Ausprägung unterwertigen Währungsgeldes lediglich aus finan-
ziellen Rücksichten erfolge. Diesem ersten Schritt ist nach langen
Verhandlungen mit dem Zustandekommen des Gesetzes vom 13. Mai
1902!) jetzt endlich der zweite gefolgt.
Das Gesetz bestimmt zunächst über die Rückzahlung der
schwebenden „Kolonialschuld“ des Staates an die Bank, die 900 Mill.
Pesetas beträgt. Diese Rückzahlung soll bis zum 31. Dezember 1911
erfolgen. Das soll teils unter Verwendung der schon durch das
Gesetz vom 2. August 1899 eröffneten, aber noch nicht in ganzem
JUmfange benutzten Kredite (d. h. durch Aufnahme einer inneren
Anleihe), teils unter Verwendung etwaiger Ueberschüsse des Staats-
haushaltes geschehen, während die Beschaffung der sonst noch er-
forderlichen Mittel einem neuen Gesetze vorbehalten bleibt (Artikel 1).
Zugleich wird (in Artikel 2) angeordnet, daft es zu neuen Vorschüssen
der Bank an das Schatzamt eines Spezialgesetzes bedürfe.
Sodann wird.die Bankverfassung geändert (Artikel 3, 9, 8, 7).
Vor allem wird der Hóchstbetrag der auszugebenden Noten (von
2500) auf 2000 Mill. Pesetas reduziert. Ueberdies werden die
1) Der wesentliche Inhalt ist abgedruckt in der Chronik der Jahrbücher, S. 184,
S. auch Economiste Européen vom 30. Mai 1902.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 727
Deckungsvorschriften verschärft. Die metallische Deckung soll
(in Prozenten) betragen !):
bei einer Notenausgabe von Gesamte Deckung Gold Silber
1—1200 Mill. Pes. EEN 167, 167],
1200—1500 „ , 60 40 20
1500—2000 , ,, 70 50 20
Das Gold kann in Barren oder in Münzen spanischen oder
fremden Gepräges, das Silber muß in spanischem Gelde bestehen.
Die gesamte Deckung (in Metall und sonst) muß unter allen Um-
ständen die Summe des Betrages der Noten, der Depots und des
Debets der Kontokorrente erreichen. Für die nichtmetallische
Deckung, welche zur Zeit noch zum groften Teil aus Staatsschuld-
verschreibungen, Aktien der Tabakkompagnie etc. besteht, werden
nach dem Vorbilde der großen europäischen Zentralbanken Vor-
schriften gegeben, welche die Liquidität verbessern. Diese Deckung
soll nämlich nach und nach so gestaltet werden, daß sie sich fast
ausschließlich, ebenso wie z. B. bei der deutschen Reichsbank, aus
Wechseln und Lombardforderungen mit höchstens dreimonatiger
Fälligkeitszeit zusammensetzt.
Ferner wird der Geschäftskreis der Bank anderweitig geordnet.
Der Handel mit Effekten wird verboten (Artikel 8). Als Hauptauf-
gabe wird die gleichmäßige Unterstützung von Handel, Industrie und
Landwirtschaft hingestellt (Artikel 6). Um speziell den industriellen
und den landwirtschaftlichen Kredit zu heben, soll darauf Bedacht
genommen werden, die Tratten und Schuldverschreibungen der in-
dustriellen und landwirtschaftlichen Syndikate sowie der landwirt-
schaftlichen Kreditvereine von anerkannter Solvenz ebenso zu eskomp-
tieren wie die Tratten des Handels.
Weitere Bestimmungen betreffen die Einrichtung von Konto-
korrenten in Gold zur Erleichterung der Bezahlung der jetzt in
Gold zu entrichtenden Zölle, die Vermehrung der Zweiganstalten etc.
Die Vorschriften über die metallische Deckung treten nicht so-
fort, sondern nach näherer Vereinbarung zwischen der Regierung
und der Bank erst dann in Kraft, wenn die Rückzahlung der Staats-
schuld an die Bank diese Aenderung ermöglicht (Artikel 6, No. 2).
1) Bei einem Notenumlauf von 1622 Mill. Pesetas, wie am 27. September 1902,
würde die Deckung hiernach bestehen müssen (in Mill. Pesetas):
für Noten in Gold in Silber
1—1200 200 200
1200—1500 120 60
1500—1622 . 61 24,4
381 284,4
Da sie in Wirklichkeit zu 356,77 Mill. Pesetas in effektivem Golde, neben 12 Mill.
Goldguthaben im Auslande, und aus 488,7 Mill. Pesetas Silber bestand, so war hiernach
den Vorschriften des Gesetzes schon annähernd genügt. Es fehlten nur 12,23 Mill.
Pesetas Gold, während in Silber eine Ueberdeckung von 204,3 Mill. Pesetas vor-
handen war.
Bei einer Notenausgabe von 1622 Mill. Pesetas beträgt hiernach die Deckung in
Gold, die eigentlich allein in Betracht kommen sollte, auch nach den neuen Vorschriften
nicht einmal 25 Proz. Das ist immer noch sehr wenig, zumal da ja auch die Depots
hierdurch gedeckt werden.
728 Otto Heyn,
Ueber das Wesen und den Inhalt des Reformprojektes ist aus
diesem Gesetze nicht viel zu ersehen. Das Gesetz bestimmt nicht,
daß das bestehende Goldagio beseitigt, daß der frühere Pariwert
der Valuta wiederhergestellt und daß zu diesem Zwecke die N oten-
menge vermindert werden solle. Die Absicht geht aber dahin. Das
ergibt sich aus der Vorgeschichte, aus den Motiven des Regierungs-
entwurfes, aus den Verhandlungen der Kammern, aus Aeußerungen
der Minister und endlich aus den Bestimmungen des Gesetzes selbst,
insoweit dieses die Rückzahlung der Kolonialschuld unter Aufnahme
einer inneren Anleihe anordnet, den Notenumlauf in seinem Maxi-
mum einschränkt und für die Deckung der Noten strengere Vor-
schriften aufstell. In den Motiven des Gesetzentwurfes vom No-
vember 1900 ist direkt gesagt: „Der Notenumlauf wird vermindert
werden.“
Die Ausführung des Gesetzes legt dem Staate erhebliche finan-
zielle Opfer auf. Die Mittel zur Rückzahlung der Kolonialschuld
können bei dem jetzigen Kurse der spanischen Anleihen (ca. 72 Proz.
für die mit netto 3,20 Proz. verzinsliche innere Anleihe!) jedenfalls
nicht unter 4!/, Proz. beschafft werden. Da nun die Forderung der
Bank 900 Mill. Pesetas beträgt und da diese Summe bisher nur mit
21/, Proz. zu verzinsen war, so ist das Mehrerfordernis auf ca. 2 Proz.
— 18 Mill. Pesetas pro Jahr zu schätzen?). Dieser Mehrbelastung
stehen allerdings, wenn die Beseitigung des Agios gelingt, erhebliche
Ersparnisse gegenüber. Es würden nämlich allein an den Zinsen
für die Auslandsschuld, die sich auf ca. 50 Mill. fres. belaufen, etwa
17,5 Mill. Pesetas pro Jahre gespart werden, da bei einem Goldagio
von etwa 35 Proz. zur Bezahlung dieser Summe statt 50 jetzt
67,5 Mill. Pesetas aufgewendet werden müssen. Außerdem würde
eine Ersparnis an anderen Ausgaben eintreten, da sich die in Gold
zu bestreitenden Kosten für den diplomatischen Dienst, für Marine-
bedürfnisse, für Waffenanschaffungen im Auslande etc. entsprechend
mindern. Endlich würde die Konversion von Anleihen möglich
werden. Alle diese Ersparnisse treten aber nur dann ein, wenn die
Beseitigung des Agios gelingt. Im Falle des Mißlingens wird in
dieser Beziehung nichts erreicht und der Mehrbelastung des Staates
mit 18 Mill. Pesetas Zinsen treten Kompensationen nicht gegen-
über. Allerdings wird der Staat auch in diesem Falle von seiner
Schuld an die Bank befreit. Darin liegt insofern ein Vorteil, als das
Bestehen dieser Schuld, da dieselbe nicht fundiert ist, immerhin ge-
wisse Unbequemlichkeiten und Gefahren mit sich bringt. Abgesehen
hiervon, wird aber nur der Gläubiger gewechselt.
Berücksichtigen wir, daß es nicht gewiß ist, ob der Versuch der
1) Der Zinsfuß ist 4 Proz., aber der Coupon unterliegt seit 1899 einer Steuer
von 20 Proz.
2) Dieser Berechnung ist der Kurs zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit — Oktober
1902 — zu Grunde gelegt. Da der Kurs der inneren Anleihe inzwischen auf 77,05 Proz.
(am 15. Juni 1903) gestiegen ist, stimmt die Rechnung nicht ganz mehr. Nach dem
jetzigen Kurse würde das Mehrerfordernis etwas geringer sein.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 729
Beseitigung des Agios gelingt und daß es Spanien möglicherweise
ebenso ergehen kann wie Italien, welches bei dem im Jahre 1881
unternommenen, aber fehlgeschlagenen Versuche, die Barzahlungen
wieder aufzunehmen, noch größere Zinsopfer vergeblich gebracht
hat, so ergibt sich, daß Spanien ein beträchtliches finanzielles Risiko
auf sich nimmt und einen bedeutenden Einsatz auf das Spiel setzt.
Schon deshalb ist es von Interesse, zu untersuchen, wie groß die
Chancen des Gelingens sind und ob der eventuelle Gewinn überhaupt
den Einsatz rechtfertigt. Es kommt aber hinzu: einerseits, daß noch
andere Staaten sich in ähnlicher Lage befinden, andererseits, daß die
Ansichten über die Erfordernisse der Beseitigung eines bestehenden
Agios und über die Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens über-
haupt noch wenig geklärt sind. Aus diesem Grunde hat die Unter-
suchung eine weit über Spaniens Interessen hinausgehende Bedeu-
tung. Mit Rücksicht hierauf werden die allgemeinen Gesichts-
punkte mehr, als es an sich erforderlich sein würde, betont werden,
Zunächst ist zu prüfen, ob die Verminderung der Noten- bezw.
der Papiergeldmenge überhaupt im stande ist, die Beseitigung eines
bestehenden Agios herbeizuführen.
IL Die Verminderung der Papiergeldmenge als Mittel zur
Wiederherstellung des Parikurses.
Die Verminderung der Papiergeldmenge gilt allgemein, wenig-
stens in der Praxis, als das richtige, vielfach sogar als das einzige
Mittel, um ein bestehendes Agio durch Wiederherstellung des Pari-
kurses zu beseitigen. Wenn auch über die Entstehung und die Be-
stimmungsgründe des Agios die Meinungen weit auseinandergehen —
hierüber herrscht völlige Uebereinstimmung. Man geht dabei, der
Quantitätstheorie folgend, von der Ansicht aus, daß durch die Ver-
minderung der Menge direkt der Wert des Papiergeldes ge-
hoben werde, so daß infolgedessen — bei genügender Verminde-
rung — das Agio ohne weiteres verschwinde, ebenso wie
infolge der vorausgegangenen Vermehrung der Menge des Papier-
geldes der Wert desselben herabgedrückt und das Agio ent-
standen sei. Diese Ansicht scheinen auch die Tatsachen zu recht-
fertigen. Wenigstens ist noch immer bei einer Vermehrung der
Menge des Papiergeldes das Agio gewachsen und hat sich ge-
wöhnlich bei einer Verminderung der Menge ein Zurück-
gehen des Agios gezeigt. Auch in Spanien hat ja das Goldagio,
wie unsere Tabelle auf S. 724 beweist, bei wachsender Notenmenge
zugenommen und nach Bela Foeldes, der alle wichtigeren Länder
der Welt in Betracht zieht, ist das Agio im Durchschnitt bei
größerem Papiergeldumlauf immer höher, bei geringerem Umlauf
ımmer niedriger gewesen!)
Trotzdem wird von den bedeutendsten Vertretern der Wissen-
1) Jahrbücher, N. F. IV, S. 151.
730 Otto Heyn,
schaft, wenigstens in Deutschland, die Quantitätstheorie verurteilt
und ein anderer Standpunkt eingenommen. In Betreff der Frage
der Entstehung des Agios kann das hier nicht näher erörtert werden !).
Was aber die Beseitigung des Agios anlangt, so ist die Wissenschaft
durchaus nicht der Ansicht, daß schon durch die Verminderung der
Papiergeldmenge der Parikurs wiederhergestellt werden könne. Sie
hält vielmehr für erforderlich, daß das Papiergeld fundiert und al
pari in Gold einlösbar gemacht werde, und erwartet lediglich als
Folge dieser Maßregel das Verschwinden des Agios. Allerdings wird
in der Regel gleichzeitig eine Verminderung der Papiergeldmenge
empfohlen. Das geschieht aber nur deshalb, weil es sonst gewóhn-
lich aus praktischen Gründen (der Kosten wegen!) unmöglich sein
würde, die Fundierung durchzuführen, und weil es überdies nach
der Wiederherstellung des Parikurses nur noch einer geringeren
Geldmenge zur Effektuierung der Umsätze bedarf ?).
Die Ansicht der Wissenschaft ist aber bisher noch nicht durch-
gedrungen. In der Praxis herrscht noch immer die Quantitätstheorie.
Die letztere ist z. B. bei der indischen Währungsreform von maß-
gebendem Einfluß gewesen, bei welcher man eine Verminderung der
Menge der Rupien eintreten ließ, um den Kurs auf 16 d. zu heben;
sie hat ferner bei der brasilianischen Reform bestimmend ein-
gewirkt und sie bildet jetzt wieder den Ausgangspunkt bei dem Ver-
suche der spanischen Regierung, den Parikurs wiederherzustellen.
Nach Sachlage ist das auch nicht auffällig; denn die Quantitätstheorie
ist auf den ersten Blick sehr bestechend und die Wissenschaft hat
bisher weder ihre eigene Ansicht hinreichend klar begründet noch
auch die Ansicht der Praxis hinreichend widerlegt. Um so mehr
wird es von Interesse sein, wenn wir hier bei der Prüfung des Pro-
jekts der Beseitigung des spanischen Goldagios einmal eingehend
untersuchen, ob durch die Verminderung der Menge des Papiergeldes
wirklich, wie die Praxis annimmt, ein bestehendes Agio ar und
.der Parikurs wiederhergestellt werden kann.
1. Bedingungen für die Beseitigung eines bestehenden
Agios im allgemeinen.
Man mag über die Entstehung und die Bestimmungsgründe des
Agios Ansichten haben, welche man will — unter allen Umständen
wird zugegeben werden müssen, daß das Agio in enger Verbindung
steht mit dem Kurse der ausländischen Wechsel, und zwar
das Goldagio mit dem Kurse der Wechsel auf Goldwährungsländer.
Mit dem Kurse dieser Wechsel ist das Agio unmittelbar gegeben.
1) Vergl. darüber die Citate bei Bela Foeldes a. a. O., ferner Helferich in der
Tübinger Zeitschr., Bd. 11 (1855) und Bd. 12, S. 139ff.; Wagner, Russische Papier-
wührung (1868), S. 179/80; Kramar, Das österseichische Papiergeld seit 1848 (1880)
S. 68 ff.; Kalkmann in den Wiener Staatswiss. Studien I, Heft 3 (1899); Lexis, Artikel
Papiergeld im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, 2. Aufl.
2) Vergl. Lexis, Artikel Papiergeld a. a. O. Schlußkapitel; Wagner, Russische
Papierwührung, S. 184 ff. :
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 731
Mag es Ursache, mag es Folge sein — jedenfalls kann auf der
einen Seite das Agio nur dann verschwinden und muß es auf der
anderen Seite immer dann verschwinden, wenn der Kurs der aus-
ländischen Wechsel auf pari zurückgeht bezw. wenn der Kurs der
inländischen Wechsel auf pari steigt. Die Entscheidung der Frage,
ob die Verminderung der Papiergeldmenge das Verschwinden des
Agios herbeizuführen vermag, muß daher davon abhängen, ob sie im
stande ist, direkt oder indirekt zu bewirken, daß der Wechsel-
kurs wieder den Paristand erreicht. Bei der Untersuchung
dieser Frage ist davon auszugehen, daß in dem Augenblicke, wenn
die Beseitigung des Agios stattfinden soll, die sog. kritische Zeit,
d. h. die Zeit, in welcher die Notlage des Staates zu der statt-
gehabten starken Papiergeldausgabe führte und in welcher ein
starkes Mißtrauen im Inlande vielleicht zu allerlei abnormen Vor-
gängen Veranlassung gab, vorüber ist; daß der inländische Verkehr
sich bereits an das Papiergeld gewöhnt hat und daß das Papiergeld
nicht anders betrachtet wird als Metallgeld von gleichem Werte, so
daß sogar weite Kreise der Bevölkerung die Abschaffung desselben
mißbilligen, wie z. B. die Erfahrungen in Oesterreich und in Ruß-
land gezeigt haben. Kurz, es ist davon auszugehen, daß ruhige, nor-
male Verhältnisse (wie sie auch Wagner und Lexis zum Ausgangs-
punkt ihrer Betrachtungen nehmen) zurückgekehrt sind.
Wird nun unter solchen normalen Verhältnissen eine Vermin-
derung der Papiergeldmenge bewirken, daß der Wechselkurs den
früheren Paristand wieder erreicht; daß der Kurs der ausländischen
Wechsel entsprechend zurückgeht, der Kurs der inländischen Wechsel
entsprechend steigt?
Ein Steigen oder Sinken des Wechselkurses ist nur dann mög-
lich, wenn Angebot und Nachfrage nach den Wechseln sich ent-
sprechend ändern. Diese Aenderung kann eine quantitative oder
aber lediglich eine qualitative (oder eine Kombination von beiden)
sein, d. h. es kann ein Steigen oder Sinken des Kurses hervor-
gerufen werden: entweder durch die Zunahme bezw. Abnahme von
Angebot oder Nachfrage nach den Wechseln auf der Basis des bis-
herigen Kurses oder ohne eine derartige quantitative Veränderung
lediglich durch die Aenderung der Bedingungen des Angebots
und der Nachfrage, d. h. durch Angebot und Nachfrage direkt zu
einem höheren oder niedrigeren Kurse. Eine quantitative Aende-
rung von Angebot und Nachfrage ist nur möglich: 1) bei Aenderungen
der Zahlungsbilanz, genauer: bei Aenderungen der Gesamtheit
des internationalen Verkehrs, aus welchem Zahlungsverpflichtungen
zu Gunsten oder Lasten des Landes erwachsen; 2) als Folge der
regelmäßig stattfindenden, nicht auf der Basis des realen Verkehrs
beruhenden Spekulation in Wechseln. Eine (lediglich) quali-
tative Aenderung von Angebot und Nachfrage findet statt, wenn
die Valuta des Inlands oder die Valuta des Auslands, deren Wert-
verhältnis (oder besser Preisverhältnis) im Wechselkurse zum Aus-
druck kommt, direkt höher oder niedriger bewertet wird.
132 Otto Heyn,
Von der Valuta- bezw. Wechselspekulation können wir ab-
sehen; denn diese zieht ihre Kraft aus den Verhältnissen des realen
Verkehrs und vermag deren Wirkung wohl zu eskomptieren und
zeitweilig zu verstärken oder abzuschwächen, aber nicht dauernd zu
verändern. Auf die Dauer und abgesehen von vorübergehenden
Schwankungen können nur die Verhältnisse des realen Verkehrs
entscheiden. Sehen wir von der Spekulation ab, so kann eine Wieder-
herstellung des Parikurses und damit die Beseitigung eines bestehen-
den Agios nur dann stattfinden:
1) wenn die Zahlungsbilanz des Inlands eine Veränderung
erfährt, und zwar sich verbessert;
2) wenn ohne solche Aenderung (oder verbunden mit der-
selben) die Valuta des Inlands im Auslande höher bewertet wird.
Vermag nun die Verminderung der Menge des Papiergeldes
derartige Konsequenzen herbeizuführen ?
Wer behauptet, daß eine Verminderung der Menge des Papier-
geldes den Wechselkurs ohne Verbesserung der Zahlungs-
bilanz des Inlands auf Pari zu haben vermag — und das tut
eigentlich jeder, der den Einfluß einer solchen Maßregel auf die
Zahlungsbilanz gar nicht weiter in Betracht zieht — der muß be-
haupten, daß dieselbe, der zweiten Alternative entsprechend, ohne
weiteres eine höhere Bewertung der inländischen Wechsel seitens
des Auslands veranlasse.
Eine derartige Auffassung liegt tatsächlich der herrschenden An-
sicht zu Grunde. Man meint, durch die Verminderung der Menge
des Papiergeldes („Kontraktion“) müsse der Wert des Papiergeldes,
zunächst der „Binnenwert“ desselben gehoben werden, und schließt
dann weiter, daß infolge dieser Werterhöhung des Papiergeldes im In-
lande auch sein Wertverhältnis gegenüber den ausländischen
Valuten gebessert werde, so daß nun das Agio sinke und schließlich
verschwinde. Auf welche Weise das bewirkt werden soll, stellt man
sich in der Regel gar nicht näher vor. Die Verbesserung des Wert-
verhältnisses der inländischen zur ausländischen Valuta, wenn
der Wert der ersteren gehoben wird, scheint ja schon logisch not-
wendig zu sein. Es herrscht aber auch darüber in der Regel keine
Klarheit, wie die Werterhöhung des Papiergeldes im Inlande sich
vollziehen soll. Ausgehend von der Quantitätstheorie, nehmen einzelne
einfach an, daß der Wert des Papiergeldes wie der Wert einer Ware
steigen müsse, wenn seine Menge abnimmt, so daß es „seltener“
wird und „der Verkehr sich gezwungen sieht, die gleichen Umsätze
wie früher mit einer geringeren Geldmenge zu bewirken“. Soweit
man näher in die Sache eindringt, wird angenommen, daß durch die
Verringerung der Menge des Papiergeldes ein Sinken der Waren-
preise in der Weise herbeigeführt werde, daß das verfügbare Kapital,
speziell der Kapitalfonds der Banken, vermindert und daß dadurch
eine Kreditkrise herbeigeführt werde, welche ihrerseits durch die
Veranlassung von Liquidationen und Konkursen einen Preissturz der
Waren hervorrufe.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 733
Die letztere Vorstellung ist, wenn wir von der Ausdehnung des
Preisfalles absehen, richtig. Ob das Preisniveau dauernd niedrig bleibt,
obwohl durch die Kreditkrise die Produktion zur Einschränkung ge-
zwungen und verteuert wird, können wir hier dahingestellt sein lassen.
Jedenfalls ist nicht zu leugnen, daß mit dem Preissturz der Waren,
mag er auch nicht allgemein sein, eine Werterhöhung des Papier-
geldes im Inlande eintritt. Es hebt sich der Wert desselben wenig-
stens gegenüber den im Preise gefallenen Waren und damit steigt
zugleich sein Durchschnittswert. Wird aber deshalb auch das Wert-
verhältnis gegenüber der ausländischen Valuta ein besseres
werden? Das muß scheinbar die Konsequenz sein. Wenn der
Binnenwert des inländischen Papiergeldes von, sagen wir, 2 auf
3 steigt und der Wert des ausländischen Geldes gleich bleibt, so
muß scheinbar das Wertverhältnis des inländischen Papiergeldes
zu dem ausländischen Gelde sich ebenfalls um 50 Proz. bessern.
Diese Annahme beruht aber auf einem Irrtum. Man vergißt ganz,
daß eine Aenderung dieses Wertverhältnisses sich nicht mechanisch
vollzieht, sondern daß sie nur dann eintritt, wenn die Menschen,
welche durch ihr Angebot und durch ihre Nachfrage nach Wechseln
deren Preis und damit dieses Wertverhältnis bestimmen, sich ver-
anlaßt sehen, für den inländischen Wechsel einen höheren Preis
zu bezahlen.
Wird aber der Ausländer in einem solchen Falle für den in-
ländischen Wechsel einen höheren Preis anbieten? Keineswegs!
Hierzu würde nur dann eine Veranlassung (vielleicht aber nicht ein-
mal ein Zwang!) vorliegen, wenn bei einem durch die Verminde-
rung der Papiergeldmenge veranlaßten Preissturz im Inlande auch
die Exportartikel im Preise fielen, ohne daß gleich-
zeitig der Preis derselben im Auslande entsprechend
zurückginge. In diesem Falle würde der Ausländer im stande
sein, für den gleichen Betrag inländischen Papiergeldes eine größere
Menge Exportartikel zu kaufen, ohne dieselben billiger als früher,
oder wenigstens, ohne sie entsprechend billiger im Auslande ver-
kaufen zu müssen. Dann würde der Erwerb eines inländischen
Wechsels für ihn vorteilhafter werden und dann, aber auch nur dann
würde er — falls es nicht anders möglich wäre — sich dazu herbei-
lassen, einen höheren Preis in ausländischem Gelde für denselben
zu bezahlen. Diese Bedingung trifft aber nicht zu. Auch
von dem größten Preissturz im Inlande, den eine Kredit-
krise hervorruft, werden gerade die Exportartikel nicht
ergriffen. Solange die Preise im Auslande gleich bleiben und
der Wechselkurs sich nicht ändert — das ist ja in unserem Falle
Voraussetzung — bleiben die Preise der Exportartikel im Inlande,
von ganz geringen Einbußen abgesehen, ebenso hoch wiebisher.
Die Besitzer solcher Artikel sind ja nicht wie die Besitzer anderer
Waren gezwungen, dieselben im Inlande auf den Markt zu werfen,
sondern können dieselben exportieren, und dann erlösen sie bei
gleichen Auslandspreisen und gleichem Wechselkurse den gleichen
754 Otto Heyn,
Betrag inländischen Geldes wie bisher. Unter solchen
Umständen werden sie aber natürlich auch im Inlande nicht billiger
verkaufen und dann müssen die inländischen Preise gleich hoch
bleiben. Nun wird freilich in einem solchen Falle wahrscheinlich mehr
exportiert werden und müssen, wenn infolge der dadurch bewirkten
Vergrößerung des Angebots im Auslande die ausländischen Preise
sinken, auch die inländischen Preise zurückgehen. Hierdurch wird
aber die Situation für den ausländischen Wechselkäufer nicht ver-
ändert. Denn wenn auch in diesem Falle der Wert des inländischen
Papiergeldes gegenüber den Exportartikeln steigt. so wird doch da-
durch der Besitz eines inländischen Wechsels für den Ausländer
nicht wertvoller, weil er die nun im Inlande für die gleiche Geld-
summe zu erwerbende größere Menge Exportartikel im Auslande ent-
sprechend billiger verkaufen muß. Auch in diesem Falle liegt daher
für ihn kein Grund vor, für den inländischen Wechsel einen höheren
Preis zu zahlen. Wenn endlich durch die Vergrößerung des Exports
(infolge der dadurch bewirkten Verbesserung der Zahlungsbilanz)
der Kurs der inländischen Wechsel gehoben wird und infolgedessen
der Preis der Exportartikel im Inlande noch weiter sinkt, so wird
nun freilich der Ausländer es möglicherweise vorteilhaft finden, und
jedenfalls ist er, wenn er einen inländischen Wechsel erwirbt, ge-
zwungen, für denselben einen höheren Preis zu bezahlen. Dieser
Fall kommt aber hier nicht in Betracht, weil dann der Grund für
die höhere Bewertung der inländischen Wechsel in der Verbesserung
der Zahlungsbilanz und der dadurch herbeigeführten quantitativen
Veränderung von Angebot und Nachfrage nach inländischen Wechseln
liegt, während wir hier nur die Möglichkeit einer Kurssteigerung
ohne solche quantitative Veränderung, ohne Verbesserung der
Zahlungsbilanz ins Auge fassen.
Es ergibt sich also, daß durch eine einfache Verminderung der
Papiergeldmenge (und der Geldmenge im Inlande überhaupt) ohne
eine Verbesserung der Zahlungsbilanz der Kurs der inländischen
Wechsel im Auslande nicht gehoben, der Wert der inländischen
Valuta im Verhältnis, zur ausländischen nicht gesteigert, das Agio
nicht gemindert werden kann. Auch gegenüber dem Golde
direkt kann eine solche Wertsteigerung nicht stattfinden; denn das
Gold ist der beste Exportartikel; es wird am ehesten exportiert, kann
ohne Preisdruck in jeder Menge im Auslande verwertet werden und
deshalb wird sein Preis bei einer Verminderung der Papiergeldmenge
am allerwenigsten sinken.
Hiernach ist ein Sinken und eventuell ein Verschwinden des
Agios nur möglich durch eine quantitative Veränderung von
Angebot und Nachfrage nach Wechseln und daher (wenn wir von
dem nur vorübergehenden Einflusse der Spekulation absehen) nur
durch eine Verbesserung der Zahlungsbilanz. Eine Ver-
besserung der Zahlungsbilanz muß aber auch mit Notwendigkeit
diese Konsequenz haben, ganz einerlei, wie sich die Preise im In-
lande gestalten und ob der Wert des Papiergeldes im Inlande steigt
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 735
oder nicht. Mit der Verbesserung der Zahlungsbilanz vermindert
sich ja das Angebot oder vergrößert sich die Nachfrage nach in-
ländischen, bezw. vergrößert sich das Angebot und vermindert sich
die Nachfrage nach ausländischen Wechseln. Dann muß aber der
Kurs der ausländischen Wechsel im Inlande sinken und damit geht
zugleich das Goldagio zurück. Auf die Größe der Nachfrage nach
Gold im Inlande kommt es dabei nicht an. Diese Nachfrage wird
eventuell (durch Import befriedigt, ebenso wie die Nachfrage nach jedem
anderen Artikel, der im Auslande erhältlich ist.
Ist aber die Verminderung der Papiergeldmenge im stande, eine
Verbesserung der Zahlungsbilanz herbeizuführen ?
2. Einfluß der Verminderung der Papiergeldmenge
auf die Zahlungsbilanz.
Eine Verbesserung der Zahlungsbilanz kann erfolgen (wenn
wir von Möglichkeiten, die für Spanien nicht wesentlich in Betracht
kommen, absehen):
1) durch die Verbesserung der Handels bilanz ;
2) durch eine günstige Veränderung des Kapitalverkehrs mit
dem Auslande (Eintreten eines Zuflusses oder Aufhören eines Ab-
flusses von Kapital, eventuell unter entsprechender Veränderung des
Effektenverkehrs).
Sie muß erfolgen, wenn nicht eine Verbesserung in der einen
Richtung durch eine Verschlechterung in der anderen Richtung
kompensiert wird.
a) Die Möglichkeit einer Verbesserungder Handels-
bilanz. Bei einer Verminderung der Menge des Papiergeldes kann,
wenn wir zunächst die dadurch veranlaßte Kapitalbewegung und
deren Folgen außer acht lassen, ein Doppeltes geschehen. Entweder
wird die Menge des aus dem Verkehr gezogenen Papiergeldes durch
Metallgeld, das die Regierung in den Verkehr bringt, z. B. durch
unterwertiges Silbergeld, dessen Prägung der Regierung ja so großen
Gewinn bringt, oder durch Geldsurrogate bezw. durch die Aus-
dehnung des Abrechnungsverkehrs oder, wenn die Ausführung des
Projektes der Verminderung der Papiergeldmenge das zuläßt (z. B.
wenn bei staatlich emittiertem Papiergelde von einer Zentralbank
Noten ausgegeben werden dürfen) durch Banknoten ersetzt. Ge-
schieht das, dann bleibt —- im großen und ganzen — alles wie zuvor
und hat die Verminderung der Papiergeldmenge überhaupt keine
Wirkung. Wie in diesem Falle ein Einfluß auf den Handelsverkehr
und infolgedessen auf die Handelsbilanz ausgeübt werden sollte,
ist nicht einzusehen. Aber auch sonst kann eine günstige Wirkung
nicht eintreten. Niemandem wird es unter solchen Umständen ein-
fallen, für das Papiergeld deshalb, weil es nun „seltener‘‘ geworden
ist, höhere Preise zu bezahlen oder das Agio, welches er für Gold
fordert, deshalb herabzusetzen. Es müßte schon sein, daß eine Ein-
lösung des Restes der Papiergeldmenge al pari in Aussicht stände,
736 Otto Heyn,
welche Spekulanten veranlaßte, das Papiergeld aufzukaufen. Eine
dadurch bewirkte Wertsteigerung des Papiergeldes wäre dann aber
nicht mehr eine Wirkung der Verminderung seiner Menge, sondern
die Folge der Erwartung, für das nicht eingezogene Papiergeld Gold
zu erhalten. Tatsächlich wird aber auch in der Regel eine solche
Aussicht nicht bestehen oder sie wird doch an die recht unsichere
Bedingung des Gelingens der versuchten Beseitigung des Agios ge-
knüpft sein und dann schon deshalb eine irgend erhebliche Wirkung
nicht ausüben.
Die zweite Alternative besteht darin, daß das eingezogene
Papiergeld nicht ersetzt wird, so daß eine effektive „Kontraktion“
des Geldumlaufs entsteht, wie es ja in der Regel auch im Pro-
gramm liegt. In diesem Falle mindern sich die Geldbestände der
Banken — denn der Umlaufsbedarf muß in erster Linie gedeckt
werden — und die Banken werden gezwungen, die von ihnen er-
teilten Kredite zu beschränken, ihre ausstehenden Forderungen,
wenigstens teilweise, einzuziehen und neuen Kredit nur noch in ge-
ringerem Umfange zu erteilen. Man muß sich nur vorstellen, wie
eine Verminderung der Papiergeldmenge vor sich geht. Das ge-
schieht, indem der Staat im Inlande eine Anleihe aufnimmt. Diese
Anleihe muß von den Zeichnern effektiv bezahlt werden. Das dazu
erforderliche Geld müssen sie ihrem Kassenvorrat, insbesondere den
Bankdepots, entnehmen. Infolgedessen mindern sich die Geldvorräte
der Banken. Diese Geldvorräte werden aber auch nicht etwa in
anderer Weise wieder ergänzt. Das vom Staate für seine Anleihe
vereinnahmte Papiergeld wird ja programmmäßig, um die Menge zu
vermindern, vernichtet und eine Ersetzung desselben durch anderes
Geld tritt, wie wir vorausgesetzt haben, nicht ein. Diejenigen, welche
dieses Geld unter dessen Entnahme aus den Bankdepots hergegeben
haben, können an Stelle desselben jetzt nur noch die erhaltenen
Stücke der neuen Anleihe in Depot geben. Der Depotbesitz dieser
Anleihestücke setzt aber die Banken nicht in den Stand, Kredite zu
erteilen, weil dazu, wenn der Abrechnungsverkehr nicht ausgedehnt
wird, wie ebenfalls vorausgesetzt ist, effektives Geld gehört. Wegen
Mangels an effektivem Gelde tritt ja auch in Goldwährungsländern,
wenn hier grofte Einzahlungen auf eine Anleihe gemacht werden,
regelmäßig eine Versteifung des Geldmarktes ein, bis das vereinnahmte
Geld von der Regierung wieder in den Verkehr gebracht wird. Das
Gleiche, nur nicht vorübergehend, sondern dauernd und in verstärktem
Maße, würde in unserem Falle geschehen.
Die Beschrünkung des Bankkredits, welche natürlich von einer
Erhöhung des Diskonts begleitet ist, drückt nun zunächst, besonders
dann, wenn mit der Verminderung der Papiergeldmenge rasch vor-
gegangen wird, auf die Preise. Die Spekulanten an der Börse
müssen realisieren, die Produzenten vorzeitig verkaufen, um fällige
Schulden zu bezahlen. Soweit infolgedessen Exportartikel zum An-
gebot kommen, vergrößert sich in der Regel der Export. Soweit
Importartikel zum Angebot kommen, die nun unter stärkerem Preis-
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 737
druck realisiert werden, wird der Import gehemmt. In letzterer
Richtung wirkt außerdem noch die mit den Konkursen und Liqui-
dationen, sowie infolge der Kreditbeschränkung an sich eintretende
Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage, da infolge-
dessen die Nachfrage zurückgeht. Mit dieser Zunahme des Exports
und der Abnahme des Imports verbessert sich jetzt in der Tat die
Handelsbilanz. Infolgedessen bessert sich regelmäßig wohl auch
die Zahlungsbilanz und dann muß das Agio sinken.
Daß die Zahlungsbilanz sich bessert, ist jedoch nicht sicher. Die
Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Inlandes kann näm-
lich nunmehr das Ausland veranlassen, inländische Effekten zurück-
zusenden. Dadurch wird dann eine ungünstige Kapitalbewegung
hervorgerufen, welche die Verbesserung der Handelsbilanz möglicher-
weise vollständig kompensiert, ja übersteigt und so eine günstigere
Gestaltung des Kurses hindert, vielleicht sogar noch eine weitere
Verschlechterung herbeiführt.
Nehmen wir aber auch an, daß letzteres nicht geschieht; daß also
zunächst wirklich eine Verbesserung der Zahlungsbilanz und infolge-
dessen eine Verbesserung des Kurses und ein Sinken des Agios ein-
tritt, so kann das doch nur vorübergehend geschehen. Sind die
Liquidationen und Konkurse, welche die Kreditbeschränkung zur Folge
hatte, vorüber und ist die hierbei auf den Markt geworfene Ware
im Inlande oder vom Auslande aufgenommen, dann hört die günstigere
Gestaltung des Warenhandels wieder auf. Vor allem geht dann der
Export wieder zurück. In erster Linie muß natürlich die durch
die Kreditbeschränkung hervorgerufene abnormale Vergrößerung des-
selben wieder fortfallen. Außerdem aber wird in der Regel noch ein
weiterer Rückgang eintreten. Das ergibt sich, wenn man beachtet,
daß einerseits durch das Sinken des Agios der Export erschwert,
andererseits durch die eingetretene Kreditbeschränkung und das
Steigen desZinsfußes die Produktion verteuert wird und daß beide
Umstände die Konkurrenzfähigkeit des Inlandes im Auslande schwächen.
Diesem Rückgange des Exports gegenüber wird der Import wieder
zunehmen. Der Import wird ja durch das Sinken des Agios er-
leichtert und es kommt noch hinzu, daß den inländischen Pro-
duzenten, mit denen die Importeure konkurrieren, durch das Steigen
des Zinsfußes ebenso wie den Exportproduzenten die Produktion ver-
teuert wird. Infolge der allgemeinen Verschlechterung der wirtschaft-
lichen Lage des Inlandes wird der Import allerdings nicht in dem
Maße zunehmen, wie es unter übrigens gleichen Umständen sonst
geschehen wäre, aber eine Vergrößerung im Vergleich mit der zu-
nächst eingetretenen Einschränkung wird sich zweifellos ergeben. In-
folgedessen geht nun nicht nur die frühere Verbesserung der Handels-
bilanz wieder verloren, sondern es tritt möglicherweise sogar noch
eine Verschlechterung gegenüber dem status quo an deren Stelle.
Dann muß aber das Agio wieder steigen, so lange, bis durch dieses
Steigen selbst eine hinreichende Zunahme des nun wieder erleichterten
Exports und eine hinreichende Abnahme des nun wieder erschwerten
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 47
738 Otto Heyn,
Imports hervorgerufen ist, um zu gestatten, daß Angebot und Nach-
frage auf dem Wechselmarkte wieder zum Ausgleich kommen. Im
besten Falle wird hierdurch — wenn nicht inzwischen andere Fak-
toren sich geändert haben, so z. B. die Konjunktur im Auslande
günstiger geworden ist — der status quo wiederhergestellt
werden. Es kann aber auch — infolge der Erschwerung des Exports
durch die Verteuerung der Exportproduktion wegen der Kredit-
beschränkung und der Erhöhung des Zinsfußes — eine Verschlech-
terung sich ergeben und daraufhin das Agio einen noch höheren
als den früheren Stand erreichen. In beiden Fällen kann also wenig-
stens keine dauernde Besserung eintreten.
b) Die Herbeiführung einer günstigen Kapital-
bewegung. Der zweite Modus einer Verbesserung der Zahlungs-
bilanz mit der Folge des Zurückgehens des Agios war der Eintritt
einer günstigen Veränderung des Kapitalverkehrs mit dem Aus-
lande. Eine solche Veränderung wird in der Regel eintreten, und
zwar aus einem doppelten Grunde. Zunächst schon deshalb, weil die
Verminderung der Papiergeldmenge, oder vielmehr, weil das Projekt
der Beseitigung des Goldagios auf dem Wege der Verminderung der
Papiergeldmenge einen Zufluß von Kapital aus dem Aus-
lande hervorruft. Das erklärt sich folgendermaßen. Da nun ein-
mal die Verminderung der Papiergeldmenge allgemein als ein Mittel
zur Beseitigung des Goldagios gilt und da man von der Beseitigung
des Agios allgemein eine Verbesserung der wirtschaftlichen und der
finanziellen Lage des Landes erwartet; da ferner die Beseitigung
und schon das Sinken des Agios für den Ausländer, welcher in-
ländische Wertpapiere, Eisenbabnobligationen u. dergl. besitzt, einen
Kursgewinn (oder doch die Möglichkeit, durch Realisierung des
Besitzes einen solchen Gewinn zu erzielen) und für den Inländer,
welcher Kapital im Auslande angelegt hat, einen Kursverlust be-
deutet, so ist es ganz natürlich, daß im Falle einer Verminderung
der Papiergeldmenge einerseits das ausländische Kapital sich dem
Inlande zuwendet und andererseits das inländische Kapital, wenn es
früher ins Ausland geflüchtet war, zurückkehrt. Damit ist aber eine
günstige Kapitalbewegung geschaffen und unter deren Einfluß müssen
nun Angebot und Nachfrage auf dem Wechselmarkte sich zu Gunsten
des Inlandes ändern, der Kurs der inländischen Wechsel steigen. der
Kurs der ausländischen Wechsel zurückgehen und das Agio sinken
und im besten Falle verschwinden.
Diese günstige Kapitalbewegung, die, wie angegeben, lediglich
deshalb eintritt, weil man unter dem Einflusse der herrschenden
Theorie von der Verminderung der Papiergeldmenge eine Beseitigung
oder doch ein Sinken des Agios und überhaupt günstige Folgen er-
wartet, kann aber nur so lange dauern, als diese Erwartung an-
hält und immer weitere Kreise ergreift und dadurch immer neues
Kapital heranzieht. Daß das fort und fort geschieht, ist nicht an-
zunehmen. Geschicht es aber nicht und hört infolgedessen der
Kapitalzufluß wieder auf, dann fällt damit ein bisheriges Aktivum
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 739
der Zahlungsbilanz fort und dann ist das Land wieder im wesent-
lichen auf seinen Export angewiesen, um seine Verbindlichkeiten
gegenüber dem Auslande zu erfüllen. Wenn es nun bis dahin nur
bei dem dem Agio entsprechenden niedrigen Kurse, der ja den
Export begünstigte und den Import hemmte, möglich war, die Zah-
lungsbilanz zum Ausgleich zu bringen — wie soll das jetzt ohne
weiteres bei dem durch den Kapitalzufluß hergestellten höheren
Kurse, eventuell bei dem Parikurse möglich sein, obwohl dieser,
indem er den Export erschwert und den Import erleichtert, für die
Ausgleichung der Zahlungsbilanz ungünstigere Bedingungen schafft?
Das ist unter übrigens gleichen Umständen völlig ausgeschlossen. Nur
eine Aenderung der Bedingungen der Produktion, welche die
Fortsetzung, ja die Ausdehnung des Exports trotz seiner Erschwerung
gestattet, kann das ermóglichen. Diese Umgestaltung der Bedingungen
der Produktion soll aber erst noch herbeigeführt werden!
Nun ist aber noch zu berücksichtigen, daß die Wirkung einer
günstigen Kapitalbewegung sich nicht darauf beschränkt, daß sie
durch die günstige Veränderung von Angebot und Nachfrage auf dem
Wechselmarkte den Kurs der inländischen Wechsel in die Höhe treibt.
Das dem Inlande zur Verfügung gestellte Kapital muß ja auch nach
dem Inlande übergeführt, der Preis für die erworbenen inländischen
Effekten vom Auslande bezahlt werden etc. Letzteres geschieht
allerdings seitens der Geldgeber schon dadurch, daß inländische
Wechsel erworben und remittiert werden, oder daß ausländische
Wechsel überwiesen werden. Dieser Umstand hat aber noch nicht
zur Folge, daß die Zahlungsbilanz ihren Ausgleich findet. Die
Kapitalübertragung ist ein effektives Aktivum, welches effektiv
ausgeglichen werden muß. Dieser Ausgleich kann nun freilich schon
dadurch beschafft werden, daß der Export des Inlandes zurück-
geht oder daß Schulden des Inlandes bezahlt werden. Beides ist
möglich und das erstere liegt durchaus nicht so fern, da ja durch
das Sinken des Agios der Export erschwert wird. Wenn in Wirk-
lichkeit der Ausgleich in dieser Weise beschafft wird, dann kann
natürlich irgend eine günstige Aenderung der Verhältnisse des In-
landes, welche im stande wäre, eine dauernde Beseitigung des Agios
herbeizuführen, nicht eintreten. Dann ist die Wirkung der Kapital-
übertragung mit der Uebertragung selbst vorbei und können sich die
Verhältnisse nur so, wie bereits dargelegt, gestalten.
Es ist aber nicht notwendig, daß das geschieht. Das Kapital
kann vielmehr und wird sogar in der Regel, wenigstens zu einem
Teile, in der Form von Gütern, also durch effektiven Import, über-
führt werden. In diesem Falle kommt es darauf an, worin dieser
Import besteht. Er kann bestehen: entweder in Waren oder in Gold.
Worin er in Wirklichkeit bestehen wird, hängt davon ab, ob sich in
dem einen oder in dem anderen Falle für den Importeur die Mög-
lichkeit einer besseren Verwertung bietet. In dieser Beziehung werden
sich die Verhältnisse verschieden gestalten, je nachdem bei der Ver-
minderung der Papiergeldmenge das eingezogene Papiergeld durch
47*
740 Otto Heyn,
anderes Geld oder Geldsurrogate ersetzt ist, oder nicht. Im
ersteren Falle wird zum mindesten Gold keinen Vorzug ge-
nießen. Aus der Tatsache des Bestehens des Goldagios an sich folgt
keineswegs, daß notwendig Gold einströmen muß; denn die übrigen
Importartikel des Auslandes, also die Waren, müssen an sich ver-
hältnismäßig gleich hoch im Preise stehen und daher gleich gut ver-
wertet werden können. Im zweiten Falle, also dann, wenn das ein-
gezogene Papiergeld nicht ersetzt worden ist, liegt die Sache etwas
anders. In diesem Falle wird das Gold mehr Nachfrage finden, weil
die herrschende Geldknappheit eine bessere Verwertung desselben
als Kapital durch zinsbare Anlage, sei es direkt oder als Notendeckung
bei den Banken etc., gestattet. In beiden Fällen werden aber zweifel-
los außer dem Golde auch noch andere Importartikel einströmen.
Wenn nun Gold einströmt, — wird dann etwa schon dadurch
das Agio beseitigt? Keineswegs! Wenn das Agio nicht schon mit der
Verbesserung des Wechselkurses an sich, welche der Kapitalzufluh
zur Folge hat, verschwindet, so kann es auch durch das Einströmen
effektiven Goldes nicht beseitigt werden. Der Preis des Goldes im
Inlande ist ja durch den Kurs der ausländischen Wechsel (soweit
diese auf Goldwährungsländer lauten) unmittelbar gegeben und kann
ohne Aenderung desselben, in welcher Weise es auch sei, nicht
herabgedrückt werden. Nur der Rückexport des Goldes könnte —
unter neuer Verbesserung der Zahlungsbilanz und des Wechselkurses
— noch weiter günstig wirken. Es ist aber sehr fraglich, ob ein
solcher Rückexport vorgenommen werden würde, und selbst wenn
das geschähe, würde dadurch doch nur vorübergehend geholfen
werden. In der Regel wird das einströmende Gold lediglich eine
Vermehrung der Geldmenge hervorrufen, in der Weise, daß es, bei
den Banken angesammelt, als Unterlage für die Ausgabe von Noten
oder Checks dient. Dadurch mag dann die schädliche Wirkung,
welche die Verminderung der Papiergeldmenge ohne Ersatz hervor-
ruft, nämlich die Kreditbeschränkung, verhütet bezw. wieder be-
seitigt und im besten Falle der Kredit noch etwas verbilligt werden.
Wird, wie gewöhnlich, nicht Gold allein, sondern werden auch
mehr Waren importiert, so wird das eine günstige Wirkung dann
haben, wenn diese Waren nicht in Konsumartikeln, sondern in Pro-
duktionsmitteln bestehen und wenn diese letzteren von inländischen
oder ausländischen Unternehmern zur Hebung der inländischen Pro-
duktion, vor allem zur Produktion von Exportartikeln und von
Importartikeln, verwendet werden. Geschieht das wirklich, so muß
nun in der Tat eine Besserung, und zwar eine dauernde Besse-
rung eintreten. Vor allem wird, worauf es ja in erster Linie ankommt,
auf den Export günstig eingewirkt werden.
Das Gleiche muß geschehen, wenn sich abgesehen von diesem
Falle, sei es das zufließende ausländische Kapital, sei es inländisches
Kapital, welches etwa durch den Verkauf von Effekten an das Aus-
On ret wird, der Produktion von Export- oder Importartikeln zu-
wendet.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 741
Einer derartigen Anlage von Kapital steht aber der Umstand
entgegen, daß bei dem Sinken des Agios, da dieses den Export er-
schwert und den Import erleichtert, die Produktion von Export- und
Importartikeln und folglich auch die Anlage von Kapital in solcher
Produktion nicht vorteilhaft ist. Die Produktionsbedingungen
des Inlandes, vor allem die Preise der Produktionsanlagen und des
Grund und Bodens, sind eben dem Agio angepaßt, so daß sie
nur bei dem Fortbestehen des Agios einen rentablen Be-
trieb gestatten. Sinkt das Agio und werden infolgedessen niedrigere
Preise für Export- und Importartikel erzielt, so bringt der Betrieb
nicht mehr den erforderlichen Nutzen. Ja, es wird nicht nur kein
Nutzen erzielt, sondern die Produzenten werden in hohem Maße ge-
ER Diese Aussicht kann aber natürlich nicht verlockend
wirken.
Nehmen wir z. B. einmal an, das spanische Goldagio, welches
jetzt ca. 35 Proz. beträgt, werde beseitigt, der Kurs der spanischen
Peseta von ca. ?/, frc. wie jetzt auf 1 frc. gehoben. Dann erhält der
spanische Exporteur für Waren im Werte von 100 fres., die er im
Auslande verkauft, nicht mehr wie jetzt 135 Pesetas, sondern nur
noch 100 Pesetas. Auf der anderen Seite erhält der ausländische
Importeur, wenn er für 135 Pesetas Waren in Spanien verkauft,
nicht mehr wie früher nur 100 fres., sondern 135 fres. Er wird daher
— unter dem Drucke der Konkurrenz — seinen Preis auf 100 Pe-
setas herabsetzen. Dadurch zwingt er den spanischen Produzenten,
das Gleiche zu tun. Infolge dessen wird bei der Produktion von
Export- und Importartikeln in Spanien jetzt allgemein ein um 25 Proz.
geringerer Erlös erzielt. Die Produktionskosten gehen aber nicht
in dem gleichen Maße zurück, geschweige denn noch mehr, wie es
erforderlich wäre, um für den Rückgang des Erlöses Ersatz zu
bieten. Import- und Exportartikel, die als Rohstoffe oder als Ma-
schinen etc. bei der Produktion gebraucht werden, sind allerdings
jetzt um 25 Proz. billiger zu beschaffen. Die Löhne aber gehen
nicht ohne weiteres zurück und können auch nicht etwa in Anbe-
tracht der Verbilligung der Export- und Importartikel und der da-
durch herbeigeführten Verbilligung des Lebensunterhalts der Arbeiter
entsprechend, d. h. ebenfalls um 25 Proz., herabgesetzt werden; denn
die Arbeiter konsumieren nicht ausschließlich Export- und Import-
artikel, sondern außerdem noch viele andere Dinge, deren Preise
wenig oder garnicht affiziert werden. Zinsen und Steuern endlich
und wahrscheinlich auch die Mieten bleiben dieselben.
Bei dieser Sachlage müssen vor allem die land wirtschaftlichen
Produzenten, soweit sie exportfähige Produkte herstellen oder mit
den Importeuren konkurrieren, stark geschädigt werden; denn deren
Produktionskosten bestehen ja in der Hauptsache in Zinsen und
Steuern und, soweit sie nicht einfache Bauern sind, die ohne fremde
Hilfe wirtschaften, in Löhnen, die nicht oder doch nicht in gleichem
Maße wie der Erlös zurückgehen. Es erleiden aber auch die In-
dustriellen Verluste, da deren Produktionskosten im günstigsten
742 Otto Heyn,
Falle nur hinsichtlich der Ausgaben für die etwa verarbeiteten Roh-
stoffe, für Maschinen und einzelne Hilfsstoffe, nicht aber auch im
übrigen ebenso stark wie der Erlös, d. h. um 25 Proz., ermäligt
werden.
Wenn aber derartige Verluste bei der Produktion von Export-
und Importartikeln in Aussicht stehen — wie sollte sich dann das
zufließende ausländische Kapital oder etwa dasjenige inländische
Kapital, welches durch den Verkauf von Effekten nach dem Auslande
frei geworden ist, veranlaßt finden, sich dieser Produktion zuzu-
wenden ?
Unter diesen Umständen ist auch infolge dessen, daß das dem In-
lande zufließende Kapital effektiv übertragen werden mul, eine
wesentliche Aenderung nicht zu erwarten. Dann aber kann die gün-
stige Kapitalbewegung im wesentlichen nur so lange wirken, als sie
dauert, und da nicht zu erwarten ist, daß fort und fort neues Kapital
zufließt, so kann diese Wirkung nur eine vorübergehende sein.
Wir haben bisher lediglich die direkte Folge einer Verminde-
rung der Menge des Papiergeldes oder vielmehr eigentlich die Folge
der Aufstellung und des Versuches der Durchführung des Projekts
der Beseitigung des Agios unter Anwendung dieses Mittels in Be-
tracht gezogen. Es ist aber noch Folgendes zu beachten.
Die Verminderung der Papiergeldinenge führt, wie früher dar-
gelegt, wenn das eingezogene Papiergeld unersetzt bleibt, zu einer
Beschränkung des Kredits. Hierdurch wird in der Regel
ebenfalls eine günstige Kapitalbewegung hervorgerufen.
Durch die Beschränkung des Kredits wird nämlich die inländische
Spekulation gezwungen, ihre Operationen einzustellen oder doch
stark zu reduzieren. Wenn nun bisher eine Spekulation in der
Weise stattfand, daß dadurch dem Auslande Kapital zugeführt wurde,
sei es, daß an ausländischen Börsen spekuliert wurde und dort
Deckung beschafft werden mußte, sei es, daß eine Spekulation im
Inlande, aber in ausländischen Werten stattfand, sei es, daß nur zur
Ausnutzung von Diskontdifferenzen ausländische Wechsel oder aus-
ländische Effekten gehalten wurden (was in Spanien früher möglich
war und geschah), so muß die Beschränkung des Kredits zur Folge
haben, daß dieses im Auslande befindliche bezw. dem Auslande zur
Verfügung gestellte Kapitalzurückfließt. Geschieht das, so müssen
sich hieraus die gleichen Konsequenzen ergeben wie dann, wenn die
Verminderung der Papiergeldmenge, bezw. wenn das Projekt der
Beseitigung des Agios einen Zufluß ausländischen Kapitals veran-
laßt. Solange der Rückfluß währt, wird hierdurch natürlich die
Wirkung des Zuflusses ausländischen Kapitals noch verstärkt. Wir
haben aber bereits gesehen, daß auf diese Weise eine dauernde Be-
seitigung des Agios nicht möglich ist, wenn nicht die Produktion
beeinflußt wird, und daß letzteres unter den bestehenden Verhält-
nissen nicht erwartet werden kann.
Außer dieser Konsequenz tritt nun aber noch eine andere ein.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 743
Die Einstellung der Spekulation hat nicht nur zur Folge, daß das
spekulativ beschäftigte Kapital zurückfließt, sondern auch, daß
kein Kapital mehr in dieser Veranlassung abfließt.
Durch dieses Aufhören des früheren Abflusses von Kapital wird be-
wirkt, daß die Zahlungsbilanz nicht mehr durch einen solchen Ab-
fluß belastet, die Nachfrage nach ausländischen Wechseln entsprechend
vermindert wird. Infolgedessen muß (so lange die Spekulation ein-
gestellt bleibt!) eine dauernde Besserung eintreten.
Die Bedeutung dieses Umstandes ist aber nicht zu überschätzen.
Zunächst liegt die Sache nicht etwa so, daß die Zahlungsbilanz
dauernd um ebensoviel verbessert, die Nachfrage nach ausländischen
Wechseln dauernd um ebensoviel vermindert wird, als der Betrag
der ganzen Summe desjenigen Kapitals ausmacht, welches bisher in
der angegebenen Weise spekulativ beschäftigt war und nun aufhört,
in dieser Weise beschäftigt zu sein. Letztere Annahme liegt durchaus
nicht so fern. Zum wenigsten könnte man meinen, daß eine Ver-
besserung um diesen ganzen Betrag in dem Falle stattfindet, wenn
bisher eine Anlage in ausländischen Wechseln stattgefunden hatte.
In diesem Falle mußte ja der Spekulant früher bei Verfall der
Wechsel jedesmal von neuem auf dem Wechselmarkte erscheinen,
um von neuem nach Wechseln Nachfrage zu halten, und das hört
jetzt, mit der Einstellung der Spekulation, auf. Eine derartige Auf-
fassung wäre aber unrichtig. Wenn inländisches Kapital in aus-
lündischen Werten, speziell in ausländischen Wechseln angelegt wird,
So hat das eine Belastung der Zahlungsbilanz und eine Vermehrung
der Nachfrage nach auslündischen Wechseln nur in dem Augenblicke
zur Folge, in welchem diese Anlage zum ersten Male stattfindet.
Werden bei einer Anlage in Wechseln bei deren Verfall neue
Wechsel erworben, so wird die dadurch kreierte neue Nachfrage
durch das Angebot des Betrages der verfallenden Wechsel kom -
pensiert. Im Resultate wird das Verhältnis zwischen Angebot und
Nachfrage nach auslündischen Wechseln ebensowenig beeinflufit, wie
wenn einfach eine Prolongation der zuerst gekauften Wechsel statt-
findet. Ist das aber der Fall dann hat das Aufhóren dieser
Spekulation auch nicht zur Folge, daß die Zahlungsbilanz dauernd
um den ganzen Betrag verbessert, die Nachfrage nach auslündischen
Wechseln dauernd um den ganzen Betrag vermindert wird, der so
angelegt war.
In Wirklichkeit tritt eine Verbesserung nur um denjenigen
Betrag ein, der in der letzten Zeit, im letzten Jahre, in
dieser Weise abfloß. Das ergibt sich aus dem Folgenden. Für das
in jedem Jahre neu abfließende, also neu in Auslandsspekula-
tionen angelegte Kapital mußte bisher in jedem Jahre ein Aequi-
valent beschafft werden. Das geschah in der Weise, daß durch das
Steigen des Kurses der ausländischen, bezw. durch das Sinken des
Kurses der inländischen Wechsel, welches der Kapitalabfluß mit seiner
Steigerung der Nachfrage nach ausländischen Wechseln zur Folge
hatte, eine Zunahme des hierdurch erleichterten Exports und außer-
744 Otto Heyn,
dem vielleicht auch eine Abnahme des gleichzeitig erschwerten Im-
ports herbeigeführt wurde, bis das Aequivalent des Kapitalabflusses
beschafft war. Bei dieser Sachlage ist der derzeitige Stand des
Wechselkurses derart, daß er unter den gleichen Verhältnissen wie
in dem letzten Jahre einen Kapitalabfluß von der Größe des letzt-
jährigen in jedem Jahre gestattet, d. h. es sind genügend Activa
vorhanden, um neben den übrigen Passiven einen Kapitalabfluß von
der Größe des letztjährigen zu decken. Hört nun der Kapitalabfluß
auf, so wird jetzt die Passivseite entsprechend entlastet. Die Activa
bleiben aber zunächst gleich, da Export und Import bei gleichem
Kurse unverändert bleiben. Infolgedessen stellt sich nunmehr die
Zahlungsbilanz um den Betrag des weggefallenen Kapitalabflusses
günstiger und wird die Nachfrage nach ausländischen Wechseln bei
gleichbleibendem Angebot um diesen Betrag verringert. Unter
solchen Umständen muß nun aber der Kurs der ausländischen
Wechsel sinken und dementsprechend der Kurs der inländischen
Wechsel steigen — bis entweder durch den hierdurch veranlaßten
Rückgang des nunmehr erschwerten Exports oder durch die Zunahme
des nunmehr erleichterten Imports für den Wegfall des durch den
Kapitalabfluß des letzten Jahres dargestellten Passivpostens ein
effektiver Ausgleich beschafft ist. In dieser günstigeren Lage muß
sich der Kurs unter übrigens gleichen Umständen dauerndhalten,
so daß das Agio dauernd auf dem erreichten niedrigeren Stande
verbleibt.
Wie groß diese Besserung ist, bezw. um wieviel auf diese Weise
das Agio ermäßigt wird, hängt natürlich davon ab, wie groß der
spekulative Kapitalabfluß im letzten Jahre war. Das letzte Jahr
ist maßgebend, weil sich wenigstens der Export in Jahresperioden
vollzieht und mit der Ernte sich in jedem Jahre erneut. Es kommt
also darauf an, wieviel inländisches Kapital im letzten Jahre unter
Benutzung von Kredit in der Auslandsspekulation neu angelegt
worden ist. Sehr bedeutend wird diese Summe in der Regel nicht
sein, da es sich nur um den Zuwachs der durch Kreditertei-
lung ermöglichten Spekulation handelt. Deshalb ist auch eine
bedeutende dauernde Besserung des Kurses nicht zu erwarten.
Es kommt nun aber weiter in Betracht, daß die Spekulation in
der Regel nur vorübergehend eingestellt wird. In der
Regel wird nämlich die Ursache für diese Einstellung, die Be-
schränkung des Kredites, nach kürzerer oder längerer Zeit wieder
wegfallen. Das ergibt sich, wenn man beachtet, daß die zunächst
eintretende günstige Kapitalbewegung, da das zufließende Kapital
effektiv übertragen werden muß, in der Regel, wie bereits ausgeführt,
einen Import von Gold zur Folge hat, dessen monetäre Verwendung
die Aufhebung der Kreditbeschränkung ermöglicht und herbeiführt.
Ist aber die Kreditbeschränkung aufgehoben, dann kann und wird
die Spekulation wieder beginnen. Dann wird der Kapitalabfluß von
neuem einsetzen; es muß von neuem ein Gegenwert für denselben
beschafft werden, und um das zu ermöglichen, wird — unter übrigens
gleichen Umständen — der Kurs der inländischen Wechsel von neuem
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 745
sinken, das Agio von neuem steigen, weil anderenfalls der Export
nicht genügend ausgedehnt, der Import nicht genügend eingeschränkt.
werden würde.
Bei dieser Sachlage kann auch aus dem Grunde, daß die Kredit-
beschränkung eine Einstellung der inländischen Spekulation im Aus-
lande bezw. in ausländischen Werten veranlaßt, eine dauernde,
für alle Zukunft wirksame Besserung nicht eintreten.
Ebenso wie die Einstellung einer auf Kredit aufgebauten Spe-
kulation in ausländischen Werten etc. müßte natürlich auch die Ein-
stellung einer mit eigenen Mitteln unternommenen Spekulation dieser
Art wirken. Diese Eventualität brauchen wir aber hier nicht weiter
ins Auge zu fassen. Zunächst wird es selten vorkommen, daß eine
derartige Spekulation ohne Inanspruchnahme von Kredit gemacht
wird. Wenn das aber doch geschehen sein sollte, so fehlt die Ver-
anlassung zu deren Einstellung, weil der Spekulant mit eigenen
Mitteln durch die Kreditbeschränkung nicht berührt wird.
Wie das Aufhören eines Kapitalabflusses wegen Einstellung der
Spekulation, so muß natürlich auch das Aufhören eines Kapital-
abflusses aus anderen Gründen wirken. Zunächst das Aufhören einer
etwaigen Kapitalflucht nach dem Auslande. Dieser Fall wird aber
nicht eintreten; denn zu einer Zeit, in der die Wiederherstellung des
Parikurses in Betracht gezogen wird, dürfte eine Kapitalflucht (Fort-
schaffung inländischen bezw. Zurückziehen ausländischen Kapitals),
wenn eine solche überhaupt stattgefunden hatte, längst aufgehört
haben, da dann die Periode des Mißtrauens, welches hierzu Ver-
anlassung gibt, vorüber ist. Die günstige Wirkung dieses Umstandes
muß deshalb schon in dem derzeitigen Kurse zum Ausdruck ge-
kommen sein. Abgesehen von diesem Falle kann noch die Eventualität
in Betracht kommen, daß ein bis dahin stattgehabter Erwerb in-
ländischer Effekten aus dem Auslande, die „Repatriierung“ der-
selben, aufhört. Hierzu liegt aber keine Veranlassung vor. Im
Gegenteil, wenn das inländische Kapital früher schon einen derartigen
Erwerb vorgenommen hatte, so wird es jetzt, unter dem Eindrucke
des Projektes der Beseitigung des Agios, an dessen Durchführung
ja so große Hoffnungen geknüpft werden, nicht davon ablassen,
sondern in der Erwartung einer bedeutenden Besserung der in-
ländischen Verhältnisse, welche ja auch eine erhebliche Steigerung
des Kurses dieser Effekten zur Folge haben müßte, viel eher seine
Erwerbungen noch vergrößern. Es könnte nur eine Wiederveräuße-
rung der bereits im Kurse gestiegenen Effekten nach dem Auslande
in Frage kommen. In diesem Falle würde aber lediglich ein Zufluß
von Kapital aus dem Auslande eintreten und dieser Umstand ist
schon früher berücksichtigt worden.
3. Die einzige Möglichkeit einer nicht nur vorüber-
gehenden Beseitigung des Agios.
Nach den vorausgehenden Erörterungen ist es scheinbar aus-
geschlossen, daß die Verminderung der Papiergeldmenge zu der
746 Otto Heyn,
dauernden Beseitigung eines bestehenden Goldagios führt. Und
doch kann dieser Fall eintreten. Das geschieht, wenn zunächst durch
eine günstige Kapitalbewegung, die ja in der Regel entsteht, oder
aber durch das direkte Eingreifen der Spekulation in Wechseln (oder
Noten) der Kurs auf Pari gehoben wird und wenn dann im
Inlande eine Krise ausbricht, welche mit den nun stattfindenden
Liquidationen und Konkursen durch die Entwertung der
vorhandenen Produktionsanlagen und des Grund und
Bodens sowie durch die Beseitigung der auf denselben
ruhenden Zinslasten auf Kosten der bisherigen Besitzer und
der — im Konkurse ausfallenden — Hypotheken- und sonstigen
Gläubiger die Produktionsbedingungen des Inlands dem
Parikurse anpaßt. Geschieht das, so wird damit das Hindernis
beseitigt, welches bis dahin der produktiven Anlage ausländischen
und inländischen Kapitals in der inländischen Produktion, speziell
in der Produktion von Export- und Importartikeln, entgegenstand,
und wird es zum wenigsten neuen Unternehmern ermöglicht, unter
billigem Ankauf der vorhandenen Produktionsanlagen und des für neue
Betriebe erforderlichen Grund und Bodens trotz der ungünstigeren
Gestaltung der Bedingungen des Auslandsverkehrs, d. h. trotz der
Erschwerung des Exports und der Erleichterung des Imports durch
die Beseitigung des Agios, einen neuen rentablen Betrieb zu be-
ginnen. Vor allem kann dann der Export trotz seiner Erschwe-
rung in dem bisherigen Umfange aufrechterhalten und, wie es
erforderlich ist, noch ausgedehnt werden. Damit sind dann aber die
Voraussetzungen geschaffen, um den durch die günstige Kapital-
bewegung bezw. durch die Wechselspekulation zunächst vorüber-
gehend hergestellten Parikurs dauernd in dieser Höhe zu erhalten,
auch dann, wenn der Zufluß von Kapital aufhört und damit dieses
außerordentliche Aktivum der Zahlungsbilanz wegfällt. Während
der Ucbergangszeit — so lange, bis die erwähnte Anpassung der
Preise vollendet ist — stockt freilich zunächst die Produktion und der
Export geht zurück, während der Import vielleicht trotz der ge-
schwächten Kaufkraft der Bevölkerung noch zunimmt. Damit tritt
eine Verschlechterung der Zahlungsbilanz ein und wird die Erhaltung
des eben hergestellten Parikurses gefährdet. Ueber diese Ueber-
gangszeit muß daher der Kapitalzufluß noch hinweghelfen. Unter
Umständen mag aber ein gewisser Ausgleich auch dadurch geschaffen
werden, daß infolge der Krise die Zinsen und Dividenden auf das
im Inlande produktiv angelegte ausländische Kapital ausfallen
oder doch zurückgehen.
Daß alle diese Bedingungen sich leicht erfüllen, kann gewiß nicht
behauptet werden.
Zunächst wird es, wenigstens bei hohem Agio, sehr zweifelhaft
sein, ob eine hinreichend starke Kapitalbewegung entsteht, d. h. ob
genügend ausländisches Kapital herangezogen wird oder inländisches
Kapital zurückfließt, oder ob wenigstens die Spekulation in hin-
reichendem Maße eingreift, um den Kurs auf Pari zu heben. In
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 747
Zeiten, in denen der Optimismus herrscht, mag das gelingen. Bei
kritischer Lage aber dürfte, wenn nicht etwa ein besonders starker
Rückfluß spekulativ beschäftigten inländischen Kapitals durch die
Kreditbeschränkung erzwungen wird, das Gegenteil wahrscheinlicher
sein. Die Anlage von Kapital im Inlande ist ja für den Ausländer,
wenigstens dann, wenn er nicht Goldforderungen erwirbt, zunächst
noch mit einem bedeutenden Risiko verknüpft, die Anlage in der
Produktion, solange die Anpassung noch nicht vollzogen ist, sogar
direkt verlustbringend, und der Erwerb inländischer Wechsel ist in
dieser Zeit, wenigstens in den späteren Stadien (wenn der Kurs
schon erheblich gestiegen ist), ebenfalls mit einem großen Risiko
verbunden. Dieses Risiko muß aber — und ganz besonders bei
pessimistischer Gesamttendenz — abschreckend wirken.
Wenn trotzdem die Hebung auf Pari gelingt, so wird es immer
noch zweifelhaft sein, ob die Anpassung der Produktionsbedingungen
des Inlands an den Parikurs erfolgt. Zunächst fragt es sich, ob
genügend Papiergeld eingezogen wird und ob das eingezogene un-
ersetzt bleibt, um den Eintritt der Anpassungskrise zu ermöglichen.
Trifft das zu, dann wird allerdings die Anpassung, falls man nur
den Dingen ihren Lauf läßt, mit Sicherheit eintreten. Denn dann
muß einerseits infolge der hiermit geschaffenen Geldknappheit, welche
die Möglichkeit der Krediterteilung beschränkt, anderer-
seits infolge der Beseitigung des Agios, welche — mit der Authebung
der Rentabilität aller vom Außenhandel abhängigen Produktions-
betriebe — die Kreditunterlagen entwertet, eine Krise ent-
stehen, welche jene Anpassung nach der Methode des Prokustes
„leicht und sicher“ vollzieht. Das erforderliche Kapital, um die
Produktionsanlagen wieder in Betrieb zu setzen, wird sich finden;
denn nach der Anpassung bietet sich ja jetzt hier eine gute Ge-
legenheit zu vorteilhafter Anlage. Es fragt sich aber, ob man den
Dingen wirklich ihren Lauf läßt; ob das Land nicht Einspruch er-
hebt, wenn es sich zeigt, welche Opfer die Ausführung des Projektes
kostet; ob nicht die Volksstimmung angesichts des Ruins so vieler
Existenzen, welche die Krise, wenigstens dann, wenn das Agio hoch
war, jedenfalls herbeiführt, die Regierung zwingt, von ihrem Plane
abzustehen und mit der Ausgabe neuen Papiergeldes die Anpassungs-
krise wieder zu beseitigen. Es fragt sich ferner, ob nicht das aus-
ländische Kapital nach dem Ausbruch der Krise, welche ja die wirt-
schaftliche Lage des Inlands vorübergehend stark verschlechtert,
hierdurch abgeschreckt, sich zurückzieht oder wenigstens aufhört,
zuzufließen. Schon letzteres allein würde ja aber genügen, um die
Wiederkehr des Agios zu bewirken; denn dann wäre es ausge-
schlossen, daß das infolge der Stockung der Produktion während der
Anpassungskrise entstehende Manco der Handelsbilanz anderweitig
gedeckt würde.
Bei dieser Sachlage müssen die Aussichten für das Gelingen
einer nicht lediglich vorübergehenden Wiederherstellung des Pari-
kurses, wenigstens bei hohem Agio, im allgemeinen als sehr gering
bezeichnet werden.
748 Otto Heyn,
4. Bedingungen fürdiedauerndeErhaltungdes wieder-
hergestellten Parikurses.
Die Erhaltung des Parikurses im Falle der Wiederherstellung
ist nur dann möglich, wenn es gelingt, die Zahlungsbilanz des Inlands
so zu gestalten, daß Aktiva und Passiva bezw. Forderungen und
Schulden und dementsprechend Angebot und Nachfrage auf dem
Wechselmarkte auf der Basis des Parikurses dauernd
ihren Ausgleich finden. Diese Bedingung muß insbesondere
auch für den Fall zutreffen, daß die günstige Kapitalbewegung auf-
hört und das darin bestehende außerordentliche Aktivum der Zah-
lungsbilanz wegfällt; denn der Kapitalzufluß kann ja nicht ewig
dauern und jedenfalls darf ein Land sich darauf nicht verlassen.
Die Erfüllung dieser Bedingung ist, wie schon die früheren Aus-
führungen ergeben, nur dann möglich, wenn sich der Waren-
handel mit dem Auslande dem Parikurse anpaßt.
Einer eigentlichen Verbesserung der Handelsbilanz,
d. h. einer Verschiebung von Export und Import zu Gunsten des
ersteren, sei es durch eine Vergrößerung des Exports, sei es durch
eine Verringerung des Imports im Vergleich mit den Zeiten des
Agios, bedarf es dazu — wenn wir von der regelmäßigen Zunahme
des Imports und von einigen speziellen Momenten, die später erörtert
werden sollen, absehen — nicht. An sich genügt es vollständig,
wenn Export und Import trotz der eingetretenen Umgestaltung der
Bedingungen des Außenhandels, d. h. trotz der Erschwerung des
Exports und trotz der Erleichterung des Imports durch die Beseiti-
gung des Agios, in ihrer Größe oder doch per Saldo gleich
bleiben. Eine Verbesserung der Handelsbilanz würde nötig
gewesen sein, um den Kurs auf Pari zu heben, weil es dazu einer
Vergrößerung der Nachfrage oder einer Verminderung des Angebots
inländischer Wechsel bedarf. Ist aber diese Hebung (durch den
Kapitalzufluß) bereits vollzogen und der Parikurs erreicht, so bedarf
es, um den Paristand zu erhalten — von den erwähnten spe-
ziellen Momenten abgesehen — nur dessen, daß die Handelsbilanz
sich nicht verschlechtert. Das Land ist ja früher, als das
Agio noch bestand, nichts schuldig geblieben. Wenn nun der Ex-
port damals ausreichte, um außer dem Import den etwaigen Passiv-
saldo der sonstigen Verbindlichkeiten zu bezahlen, so muß das —
unter übrigens gleichen Umständen — auch nach der Herstellung
des Parikurses noch möglich sein. Unter übrigens gleichen Um-
stinden darf der Export nur nicht abnehmen — trotz seiner
Erschwerung durch die Beseitigung des Agios.
In Wirklichkeit bleiben nun aber die Umstände nicht gleich.
Zunächst wird in der Regel der Import, der ja durch die Be-
seitigung der Agios mehr oder weniger bedeutend erleichtert wird,
zun eh men. Wenn auch die inländischen Produzenten, nachdem ihre
Produktionsbedingungen durch die Krise dem Parikurse angepaßt
sind, den Importeuren gegenüber jetzt durchaus konkurrenzfähig sind
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 749
und daher nicht mehr vom Markte verdrängt werden, so wird doch
möglicherweise trotzdem der Import zunehmen, weil der billigere
Preis der Importartikel neue Käufer heranzieht. Sicher ist das
freilich nicht, weil durch die Krise die Kaufkraft des Inlandes ge-
schwächt ist, aber mit der Möglichkeit muß gerechnet werden. So-
dann verlangt das zugeflossene ausländische Kapital Zinsen und Divi-
denden und fallen, wenn inländisches Kapital aus dem Auslande zu-
rückgezogen ist, Zinsen- und Dividendenforderungen an das Ausland
fort. Dem gegenüber werden freilich infolge der ausgebrochenen Krise,
soweit ausländisches Kapital investiert war, auch Zinsen- und Divi-
dendenforderungen des Auslandes fortfallen. Es ist aber zu berück-
sichtigen, daß einzelne Unternehmungen, denen sich ausländisches
Kapital mit Vorliebe zuwendet, z. B. Eisenbahnunternehmungen, viel-
leicht jetzt erst in die Lage kommen, mit Nutzen zu arbeiten und
auf ihre Obligationen und Aktien Zinsen bezw. Dividenden zu be-
zahlen, während das früher bei dem hohen Agio nicht möglich war.
Deshalb wird sich per Saldo doch wahrscheinlich ein Passivum er-
geben.
Man könnte nun meinen, daß dadurch eine Kompensation ge-
schaffen würde, daß die Bezahlung der Goldschulden an das
Ausland nach der Beseitigung des Agios weniger inländisches Geld
kostet. Das wäre aber ein Irrtum. Inländisches Geld wird ja nicht
ausgeführt, um Schulden im Auslande zu bezahlen. Letzteres ge-
schieht vielmehr — wenn wir von dem Dazwischentreten der Wechsel
absehen — durch die Ausfuhr von Waren. Wieviel Waren aus-
geführt werden müssen, um eine bestimmte Goldschuld zu bezahlen,
richtet sich nach den im Auslande geltenden Preisen. Diese Preise
aber werden durch die Beseitigung des inländischen Agios nicht oder
doch nur ausnahmsweise berührt!) Im allgemeinen wird daher die
zur Tilgung der gleichen Goldschuld erforderliche Warenmenge gleich
bleiben. Im Gegensatz hierzu verlangt aber die Bezahlung von
Schulden in inländischer Währung an das Ausland (z. B. der
Zinsen auf spanische Intérieurs, die im Auslande gehalten werden)
nach der Beseitigung des Agios sogar eine gró Bere Warenausfuhr,
weil die inländische Valuta jetzt einen größeren Goldwert besitzt und
daher mehr Gold aufgewendet werden muß, um die gleiche Schuld-
summe zu bezahlen.
Bei dieser Sachlage ist es zur Erhaltung des Parikurses er-
forderlich, daß der inländische Exportnoch zunimmt, und zwar um
so viel, als nötig ist, um einerseits den etwaigen Mehrimport, anderer-
seits die Zinsen und Dividenden auf das neu zugeflossene ausländische
Kapital und die Agiodifferenz auf die Zinsen etc. der im Auslande
gehaltenen inländischen, auf inländische Währung lautenden Effekten
zu bezahlen. Das muß wenigstens dann geschehen, wenn der Zufluß
von Kapital aus dem Auslande aufhört, und von diesem Zeitpunkte
an beginnend.
1) Vergl. hierüber unten Abschnitt III.
750 Otto Heyn,
Eine derartige Vergrößerung des Exports ist nun, nachdem durch
die stattgehabte Krise die Produktionsbedingungen des Inlandes dem
Parikurse angepaßt sind und die ursprüngliche Geldknappheit durch
den Zufluß von Gold wieder beseitigt ist, mit Hilfe des eingeströmten
ausländischen Kapitals in der Regel wohl zu erreichen. Allerdings
wird die landwirtschaftliche Produktion in der Regel sogar noch ein-
geschränkt werden, da nunmehr der Anbau des schlechtesten Bodens,
der zur Zeit des Agios zwar keine Rente gab, aber doch die Arbeit
lohnte, unter übrigens gleichen Umständen eingestellt werden muß.
Es wird aber in vielen anderen Branchen eine Ausdehnung der Pro-
duktion stattfinden können. Unter allen Umständen wird eine Ver-
größerung des Exports dann eintreten, wenn etwa mit dem ein-
strömenden ausländischen Kapital Eisenbahnen gebaut und dadurch
neue reiche Produktionsgebiete dem Auslandsverkehr erschlossen
werden. Wird durch besondere Maßregeln, z. B. durch die Ein-
führung oder Erhöhung von Zöllen, der Import erschwert, dann
bedarf es natürlich nur einer geringeren Vergrößerung des Exports.
Kann der Import trotz seiner Erleichterung durch die Beseitigung
des Agios auf diese Weise noch gegenüber dem status quo ver-
mindert werden, so genügt möglicherweise das allein schon, um
den Ausgleich zu beschaffen, und bedarf es einer Vergrößerung des
Exports überhaupt nicht. Der letztere Fall wird aber sehr selten
eintreten.
5. Ergebnis. Die Erfahrungen Italiens.
Nach den vorstehenden Ausführungen ist es in der Tat möglich,
daß die Verminderung der Papiergeldmenge die Beseitigung eines
bestehenden Agios und die Wiederherstellung des Parikurses nicht
nur vorübergehend, sondern auf die Dauer herbeiführt.. Das kann
aber nicht ohne weiteres geschehen und geschieht nicht etwa deshalb,
weil das Papiergeld im Inlande infolge der Verminderung seiner
Menge einen höheren Wert erlangt, sondern es geschieht nur dann,
wenn der Auslandsverkehr, und wenn vor allem die Produktion im
Inlande entsprechend beeinflußt wird. Eine Kreditkrisis, die not-
wendigerweise zahlreiche wirtschaftliche Existenzen vernichtet, muß
die Produktionsbedingungen des Inlandes dem Parikurse anpassen
und eine Reihe anderer Bedingungen, die wir aufgeführt haben, muß
erfüllt sein. Daß aber alle diese Bedingungen zutreffen, ist, wenigstens
bei hohem Agio, aus verschiedenen Gründen, u. a. auch mit Rück-
sicht auf die Opposition der durch die Krise geschädigten Besitzer-
klassen, sehr zweifelhaft.
Wie unsicher es ist, daß die Verminderung der Menge des Papier-
geldes die dauernde Beseitigung eines bestehenden Agios herbeiführt
— selbst dann, wenn noch andere Maßnahmen, speziell die direkte
Heranziehung einer bedeutenden Menge ausländischen Kapitals auf
dem Wege der Anleihe, hinzukommen — beweisen u. a. die Er-
fahrungen Italiens nach 1850. In Italien verschwand — offenbar
infolge einer günstigen Kapitalbewegung — das Agio, oder es ging
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 751
doch von 13,5 Proz. auf 2,15 Proz. zurück, als im November 1880
der Gesetzentwurf, betreffend die Wiederaufnahme der Barzahlung,
eingebracht (!) wurde. In den folgenden Jahren, in denen die An-
nahme des Gesetzes (7. April 1881) und der Beginn der Durchfüh-
rung desselben noch günstig auf die Stimmung wirken mußten und
vor allen Dingen eine große Auslandsanleihe viel Kapital (490 Mill.
fres.) vom Auslande heranzog, hielt es sich niedrig: 1881 auf 0,35
bis 3,10, 1882 auf 0,80— 5,90, 1883 auf 0,25—1,65 Proz. Dann aber
stieg es wieder. Bald nach 1883 betrug es 3—4 Proz. In den
folgenden Jahren nahm es immer mehr zu, bis es 1893 wieder ebenso
hoch stand wie früher, nämlich auf 12—14 Proz. wie zu Anfang 1880).
Die Verminderung der Papiergeldmenge, welche inzwischen durch-
geführt war, hatte also nichts genützt. Italien hatte — zum Glück
für die damaligen Besitzer der Produktonsanlagen und des Grund
und Bodens — nichts erreicht und nur die Vergrößerung seiner
Zinsschuld an das Ausland um 30 Mill. fres. pro Jahr erinnerte noch
an diesen mißglückten Versuch einer Wiederherstellung des Pari-
kurses auf operativem Wege. Nachdem dann im Jahre 1894 der
Zwangskurs offiziell wiedereingeführt und 260 Mill. Lire Staats-
noten neu ausgegeben waren, ging das Agio — infolge der
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Landes und seines Ex-
ports — allmählich zurück, trotz der Vermehrung der Menge
des Papiergeldes, und jetzt ist es ganz verschwunden, ohne
daß die Menge des Papiergeldes vermindert worden
wäre!
IIl. Ist es möglich und liegt es im Interesse Spaniens,
das Goldagio zu beseitigen?
1. Die Frage der Möglichkeit.
Die Beseitigung eines bestehenden Agios unter Wiederherstellung
des Parikurses der Valuta wird seltsamerweise immer nur als eine
Frage des Wollens, nicht des Könnens betrachtet. Man fragt
gar nicht danach, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes,
insbesondere seine Beziehungen zum Auslande, die Wiederherstellung
des Parikurses überhaupt gestatten, sondern nimmt an, daß es
lediglich von dem Willen der Regierung bezw. des Volkes abhänge,
das Agio zu beseitigen. Ob es unter den obwaltenden Umständen
überhaupt möglich ist, den Kurs auf Pari zu heben, und vor
allem, ob es möglich ist, ihn auf Pari zu halten, — diese Fragen
werden gar nicht einmal aufgeworfen. Früher, als noch kein Papier-
geld ausgegeben bezw. als die ausgegebene Menge noch nicht so groß
war, bestand das Agio nicht. Weshalb sollte es jetzt nicht wieder
verschwinden, wenn man nur hinsichtlich der Menge des Papiergeldes
den status quo wiederherstellt?! Ob das Land bei dem Parikurse
überhaupt im stande sein würde, seine Verpflichtungen gegenüber
1) Lexis im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Artikel Papiergeld.
752 2 Otto Heyn,
dem Auslande zu erfüllen, seinen Import und seine Schulden zu be-
zahlen, wird gar nicht untersucht, zumeist auch wohl gar nicht bedacht.
Früher war das möglich. Es war aber vielleicht nur deshalb mög-
lich, weil damals die Schulden an Zinsen noch geringer waren; weil
in Anbetracht eines hohen Preisstandes im Auslande und geringerer
Nachfrage im Inlande weniger importiert, und weil ein Fehlbetrag
des Exports an Waren durch den Export von Gold gedeckt wurde.
Wie ist es aber jetzt, nachdem die Verhältnisse sich geändert haben,
das Gold, wie das Agio beweist, verschwunden ist und ein un-
günstiges Geschick, das auch zur Papiergeldausgabe führte, die Lasten
des Landes vermehrt hat? Es könnte doch wenigstens anders
sein! Das alles muß doch zum mindesten untersucht werden! Diese
Untersuchung wird aber nicht geführt, die Möglichkeit vielmehr ein-
fach vorausgesetzt und nur die Opportunitäts- und die Rechtsfrage
erörtert.
Bei der Erörterung der Opportunitätsfrage denkt man, wenig-
stens in neuerer Zeit, immer in erster Linie an den Fiskus und
dessen Ersparnisse bei der Bezahlung von Zinsen für seine Gold-
schulden und bei der Bestreitung anderer Goldausgaben. Man denkt
aber wenig an die inländischen Produzenten, die durch die
herbeigeführte Schwächung ihrer Konkurrenzfähigkeit stark geschädigt
werden, und berücksichtigt überdies nicht, daß infolge der ein-
tretenden Schädigung der Produzenten auch der Fiskus — durch
den Rückgang der Einnahmen — geschädigt werden könnte. Im
übrigen geht man von der irrtümlichen Auffassung aus, daß in der
Beseitigung des Agios für das Land auch deshalb ein Vorteil liege,
weil der Export nun nicht mehr „teilweise verschenkt“ werde. Dabeı
wird dann ganz oder zum Teil übersehen, daß die Bedingungen des
Austausches des Exports gegen den Import von den Preisen im
Auslande abhängen; daß diese Preise durch das Agio oder viel-
mehr durch die Konsequenzen des Agios zumeist nur wenig be-
einflußt werden; daß ein Land ebenso wie der Einzelproduzent viel-
fach einen größeren Gewinn macht, wenn es zu niedrigeren
Preisen eine größere Menge, als wenn es zu höheren Preisen
eine geringere Menge absetzt; daß eine Besserung der Preise,
wenn überhaupt, so gewöhnlich nur dann möglich ist, wenn der Ex-
port des Inlands sich vermindert, daßaber eine Verminde-
rung des inländischen Exports gar nicht eintreten
darf, um nicht die Wiederherstellung bezw. die Erhaltung des Pari-
kurses zu gefährden. Aus dem letzteren Grunde müßte das Land
unter allen Umständen fortfahren, seinen Export „teilweise zu
verschenken“, und würde sich im Falle der Wiederherstellung des
Parikurses lediglich der Nachteil ergeben, daß diejenigen, welche
diesen Export beschaffen, die Exportproduzenten, für ihre Arbeit
schlechter bezahlt werden, da sie weniger inländisches Geld erlangen,
während ihre Lasten gleich bleiben.
Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen zu
unserem Thema, so wird es nach den früheren Ausführungen keiner
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 753
weiteren Darlegung bedürfen, daß die (dauernde) Beseitigung des
spanischen Goldagios nur dann möglich ist,
1) wenn es auf irgend eine Weise gelingt, den Kurs der
spanischen Wechsel auf Pari zu heben;
2) wenn Spanien im stande ist, bei dem Parikurse dauernd
seine Verpflichtungen gegenüber dem Auslande zu erfüllen, d. h.
den dann zu erwartenden Import und die dann bestehenden Schulden
von Zinsen etc. zu bezahlen.
Beide Bedingungen sind schwer zu erfüllen, um so schwerer,
als durch die Beseitigung des Agios der Import erleichtert und der
Export erschwert wird; als Spanien zur Erfüllung seiner Ver-
pflichtungen andere Mittet als sein Export, wenigstens andere Mittel
von Bedeutung, nicht zur Verfügung stehen, und als das Agio,
welches beseitigt werden soll, nicht weniger als 35 Proz. beträgt.
Daß Spanien unter den jetzigen Verhältnissen nicht im stande
ist, seinen Verpflichtungen anders als bei dem bestehenden Agio
nachzukommen, und daß es unter den jetzigen Verhältnissen nicht
im stande sein würde, nach der Beseitigung des Agios trotz der
dann eintretenden Erschwerung des Exports und trotz der Erleichte-
rung und wahrscheinlichen Vergrößerung des Imports seine Zahlungs-
bilanz auf der Basis des Parikurses zum Ausgleich zu bringen, be-
weist die Tatsache des Bestehens des Agios selbst. Schon daraus
ergibt sich, daß die jetzigen Verhältnisse geändert, daß für die Er-
schwerung des Exports und die Erleichterung des Imports Kompen-
sationen geschaffen werden oder daß doch wenigstens die Bedingungen
des Exports sich so umgestalten müßten, daß die Exportproduzenten
sich veranlaßt sähen, ihren Export trotz dessen Erschwerung in dem
bisherigen Umfange fortzusetzen und ihn noch zu vergrößern. Außer-
dem muß ja zunächst einmal der Kurs der spanischen Wechsel von
135 Pesetas für 100 fres. auf 100 Pesetas für 100 fres., also um
volle 25 Proz., gehoben werden!
Ist nun zu erwarten, daß in Spanien eine solche Veränderung
der Verhältnisse eintritt?
Prüfen wir, was geschehen soll, um das Agio zu beseitigen. In
erster Linie soll die Notenmenge vermindert werden. Daß diese
Maßregel unter Umständen im stande ist, die dauernde Beseitigung
des Agios herbeizuführen, haben wir im vorigen Abschnitt gesehen.
Daß die dortigen allgemeinen Ausführungen auch für Spanien zu-
treffen, obwohl die Noten der Bank von Spanien, welche hier den
Gelddienst versehen, kein eigentliches Papiergeld, sondern eben Bank-
noten sind, wird einer näheren Darlegung nicht mehr bedürfen.
Unter den in Spanien herrschenden Verhältnissen ist es aber
besonders schwer, daß sich die im vorigen Abschnitt erörterten Be-
dingungen erfüllen.
Zunächst ist es fraglich, ob die einzuziehenden Noten unersetzt
bleiben, also ob es überhaupt gelingen würde, eine beträchtliche
Verminderung der Notenmenge herbeizuführen. Wenn der Staat
seine Kolonialschuld von 900 Mill. Pesetas an die Bank zurückzahlt,
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 48
754 : Otto Heyn,
so verschwinden damit allerdings die hierzu verwendeten Noten aus
dem Verkehr. Dieselben können aber von der Bank wiederaus-
gegeben werden. Ob das geschieht, oder nicht, hängt lediglich einer-
seits von dem Bedarf, andererseits von dem Willen der Bank bezw.
von deren geschäftlichem Interesse ab. Die verschärften Deckungs-
vorschriften stehen nicht entgegen. Diesen Vorschriften, die überdies
erst nach voller Rückzahlung der Kolonialschuld in Kraft treten, ent-
spricht ihre Reserve, wie wir früher (S. 727) gesehen haben, bis
auf ein Geringes schon jetzt. Zur Aufrechterhaltung des jetzigen
Notenumlaufs wäre lediglich erforderlich, für einen Teil der 204 Mill.
betragenden Ueberdeckung in Silber (oder für Noten!) 121/, Mill.
Pesetas Gold zu kaufen, und das ist leicht geschehen. Der Bedarf
aber ist unvermindert. Unter den jetzigen Verhältuissen kann der
Verkehr keinen irgendwie erheblichen Teil der jetzigen Notenmenge
entbehren. Eine hinreichende Nachfrage wird daher zweifellos an
die Bank: herantreten. Ihr geschäftliches Interesse aber liegt nicht
in der Richtung, die Abgabe von Noten zu verweigern. Die Er-
fahrungen der letzten Zeit haben das bereits gezeigt. Tatsächlich
ist nämlich ein Teil der Kolonialschuld — nach der Abnalıme des
Portefeuilles zu urteilen, 200 Mill. Pesetas — schon zurückgezahlt
worden, aber der Notenumlauf ist noch ebenso groß wie früher.
Nehmen wir aber an, daß es trotzdem gelingt, die Notenmenge
zu vermindern, etwa deshalb, weil die Bank von Spanien, irrtümlich
oder nicht, ihren Vorteil darin sieht, die Durchführung des Reform-
projektes zu unterstützen, so erheben sich andere Schwierigkeiten,
die um so größer sind, als das Agio so besonders hoch ist. Vor
allem wird es kaum möglich sein, so viel Kapital vom Aus-
lande heranzuziehen, als zufließen muß, um zunächst einmal
— unter Beihilfe der Spekulation — den Kurs auf Pari zu heben
und ihn während der ersten Zeit, bis die Verhältnisse sich konsoli-
diert haben, auf Pari zu halten. Das ist um so weniger wahr-
scheinlich, als eine Auslandsanleihe, welche den Zufluß von Kapital
erleichtern würde, nicht in Aussicht genommen ist. Sollte es trotz-
dem gelingen, so ist es immer noch fraglich, ob die erforderliche
Anpassung der Produktionsbedingungen des Inlands
an den Parikurs stattfindet, durch die es allein ermöglicht werden
würde, den Kurs dauernd auf Pari zu halten. Wird die Noten-
menge hinreichend beschränkt und der Kurs erstmalig auf Pari ge-
hoben, so muß allerdings sogar mit Notwendigkeit jene „heilsame“
Krise eintreten, welche diese Anpassung vollzieht. Wird das aber
zugelassen werden, obwohl durch die Krise weite Kreise der Be-
völkerung im äußersten Maße geschädigt werden und obwohl speziell
die Interessen der mächtigen Grundbesitzerklassen, vor allem des
Adels und der Klöster, die ja am meisten zu leiden haben, entgegen-
stehen? Wird ein Ministerium, welches rücksichtslos und konsequent
genug ist, um diese Politik durchzuführen, lange am Ruder bleiben?
Werden nicht auch die Arbeiter, welche wenigstens vorübergehend
geschädigt werden, eine Aenderung der Politik erzwingen ? Werden
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 755
nicht die Karlisten wieder ihr Haupt erheben und neue politische
Unruhen, für welche der Boden dann wie geschaffen ist, hervor-
rufen? Und wird dadurch nicht allein die politische, sondern auch
die wirtschaftliche Möglichkeit der Durchführung des Projekts in
Frage gestellt werden, weil das ausländische Kapital, welches ohne-
hin durch die Krise abgeschreckt werden muß, sich zum Rückzuge
wendet oder auch nur, was ja in der ersten Zeit — bis zur Voll-
endung der Anpassung — allein schon genügt, aufhört zuzufließen ?
Alle diese Fragen sind eher mit Nein als mit Ja zu beant-
worten!
Was aber nach dem neuen Projekte außer der Verminderung
der Notenmenge noch geschehen soll, ist nicht geeignet, eine wesent-
liche Aenderung herbeizuführen. Die Verbesserung des Status der
Bank von Spanien, welche die Rückzahlung der Schuld des Staates
an die Bank bewirken würde, könnte nur in der Weise nützen, daß
sie durch die Befestigung des Vertrauens den Kapitalzufluß vom
Auslande noch verstärkte. Ob infolge dieser Verstärkung genügend
Kapital herangezogen werden würde, um den Kurs auf Pari zu heben
und ihn auf Pari zu halten, bis nach vollendeter Anpassung der Pro-
duktionsbedingungen der Export (der ja noch zunehmen muß!) allein
hierzu im stande ist, dürfte immer noch sehr zweifelhaft sein. Was
aber die beabsichtigte Unterstützung von Landwirtschaft und In-
dustrie durch die Gewährung billigen Bankkredits anlangt, so ist
einerseits zu beachten, daß der Bank von Spanien die Erfüllung
dieser ihr gestellten Aufgabe durch die Verminderung der Noten-
menge direkt erschwert wird, und andererseits, daß gerade diese Er-
leichterung des Kredits den Eintritt der Krise verhindern oder
wenigstens sehr erschweren würde, welche notwendig ist, um die
.Produktionsbedingungen des Inlands dem Parikurse anzupassen und
dadurch die Erhaltung des Parikurses zu ermóglichen.
Abgesehen von diesen Maßregeln mag man noch anführen, daß
durch die Vorschrift der Bezahlung gewisser Zólle und Steuern in
Gold!) und durch die Bildung eines Syndikats zur Beschaffung von
Golddevisen dafür Vorsorge getroffen ist, daß die Regierung bezw.
daß die sonstigen Interessenten leichter in den Besitz des Goldes
gelangen, dessen sie zur Erfüllung ihrer Goldverpflichtungen be-
dürfen. Hierdurch kann jedoch nur bewirkt werden, daß Regierung
und private Interessenten aus den Händen der Spekulation befreit
werden, die ihnen den Erwerb des benótigten Goldes zur Bedarfs-
zeit zu verteuern pflegt. Mehr ist davon nicht zu erwarten. Aller-
dings wird durch die in dem Goldaufschlag liegende materielle Er-
hóhung der Zölle der Import erschwert, und ein dadurch veranlaßter
Rückgang des Imports würde wegen der Entlastung der Zahlungs-
bilanz natürlich günstig wirken. Da aber die Zölle schon seit No-
vember 1901 in Gold erhoben werden, so müßte diese günstige
Wirkung schon jetzt eingetreten sein. Eine Minderung des jetzigen
1) Conrads Volkswirtschaftliche Chronik 1901, S. 477, 156.
48*
756 Otto Heyn,
Agios kann daher aus dieser Veranlassung nicht eintreten. Im übrigen
aber wird die Sachlage überhaupt nicht verändert. Die Nachfrage
nach Gold bezw. nach ausländischen Wechseln in ihrem ganzen Um-
fange bleibt ja gleich groß. Durch die Erhebung der Zölle und
Steuern in Gold wird nur bewirkt, daß nicht mehr der Staat, sondern
daß die zur Zoll- bezw. Steuerzahlung verpflichteten Personen diese
Nachfrage halten, denn das Ausland wird das Goldagio auf die Zölle
nicht bezahlen. Die Bildung des Goldsyndikats aber kann nur zur
Folge haben, daß die Nachfrage auf die einzelnen Tage und Monate
des Jahres besser verteilt wird. Letzteres kann dahin führen, die
Schwankungen des Agios zu beschränken, nicht aber dahin, das
Agio in seiner durchschnittlichen Höhe herabzumindern.
Was könnte etwa sonst noch geschehen ?
Spanien könnte durch die Aufnahme einer Anleihe im Auslande
den Zufluß ausländischen Kapitals noch mehr verstärken und durch
die weitere Erhöhung seiner Zölle den Import einschränken. Ob das
zum Ziele führen würde, ist aber ebenfalls zweifelhaft. Italien ist
es im Jahre 1881 trotz der Aufnahme einer Auslandsanleihe von
nicht weniger als 644 Millionen Francs nicht gelungen, sein Agio,
das nur 14 Prozent betrug, anders als nur vorübergehend und auch
insoweit nicht einmal ganz zu beseitigen. Würde es Spanien mit
seinem 3b-prozentigen Agio und bei weniger konsolidierten Ver-
hültnissen besser ergehen? Die Erhöhung der Importzólle würde
zweifellos nützen, da der Import eingeschrünkt und dadurch die
Verpflichtungen an das Ausland vermindert würden. Aber selbst
dann, wenn die bestehenden Handelsvertráge und das Interesse
Spaniens an der Erneuerung derselben das zuließen, würden die
Zölle doch kaum so stark erhöht werden können, um die Wirkung
der Beseitigung eines 35-prozentigen Agios für den Import zu kom-,
pensieren. Sollte das dennoch geschehen, so würde damit immer
noch kein hinreichender Erfolg erzielt werden, denn auch in diesem
Falle würde der Import bei beseitigtem Agio noch ebenso groß
bleiben wie jetzt, wührend für den Export, der ja durch die
Beseitigung des Agios erschwert wird, der jetzige Status nur da-
durch hergestellt werden könnte, daß den Exporteuren zum Aus-
gleich des Wegfalles der jetzigen Kursgewinne 35-prozentige Export-
prämien bezahlt würden.
Hiernach muß es im äußersten Maße zweifelhaft erscheinen, ob
es Spanien gelingen würde, das Agio zu beseitigen. Die Wahr-
scheinlichkeit spricht dafür, daß zwar zunächst, infolge des Zuflusses
von Kapital aus dem Auslande (und der spekulativen Küufe von
Wechseln), welche das Projekt der Wiederherstellung des Pari-
kurses und der Beginn seiner Ausführung wegen der daran ge-
knüpften Erwartungen hervorrufen, das Agio zurückgeht, ohne
selbst im besten Falle ganz zu verschwinden; daß es aber dann
wieder steigt und im wesentlichen die jetzige Hóhe wieder erreicht,
ebenso wie es seiner Zeit in Italien geschehen ist. Eine andere
Gestaltung der Dinge ist zwar möglich, kann aber nur dann ein-
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 757'
treten, wenn vorher durch eine schwere Krise die Produktions-
bedingungen Spaniens dem Parikurse angepaßt sind, und daß die
Durchführung einer derartigen Prokrustesoperation gelingen würde,
ist nicht zu erwarten.
2. Die Opportunitätsfrage.
Nehmen wir nun aber einmal an, das Agio würde wirklich
(dauernd) beseitigt, der Kurs der spanischen Valuta wirklich auf
Pari gehoben und in dieser Höhe erhalten — was wäre damit ge-
wonnen? Welcher Nutzen würde Spanien daraus erwachsen ?
Was erwartet man von einer Beseitigung des Agios?
1) Ersparnisse an Ausgaben für den Staat, da der Aufwand an
Pesetas zur Verzinsung der Goldschuld und zur Bestreitung von
sonstigen Ausgaben im Auslande zurückgehen würde.
Das würde, erreicht werden, aber schon die Mehrkosten der
neuen Anleihen, deren Aufnahme die Durchführung des Reform-
projekts erforderlich macht, würden diesen Vorteil annähernd auf-
wiegen. Die entstehenden Mehrkosten an Zinsen betragen ja, wie
früher (S. 728) berechnet, ca. 18 Mill. Pesetas. Dagegen würden an
Agio bei der Bezahlung der Goldzinsen 17!/, Mill. Pesetas gespart
werden, wührend die Ersparnisse an anderen Ausgaben nicht sehr
bedeutend sein können. Ueberdies würden infolge der Krise und
der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der produzierenden
Klassen im allgemeinen Ausfälle an den Einnahmen ent-
stehen, welche den erwarteten Vorteil, wenigstens zunächst — in
Nachteil verwandeln würden 11.
2) Eine Verbesserung des Staatskredits mit der Konsequenz der
Erlangung günstigerer Bedingungen bei der Begebung neuer Anleihen
und der Erzielung von Ersparnissen durch die Konversion der be-
stehenden Anleihen.
Auch das würde erreicht werden. Schon der Versuch der Be-
seitigung des Agios muß den Kurs der spanischen Anleihen, die
jetzt noch verhältnismäßig niedrig stehen, in die Höhe treiben, und
wenn erst die Anpassungskrise glücklich überwunden wäre und die
Verhältnisse sich konsolidiert hätten, würde sich der Kurs zweifellos
auch dauernd auf ein bedeutend höheres Niveau stellen. Dann wäre
jedenfalls die Begebung neuer Anleihen zu wesentlich günstigeren Be-
dingungen möglich, aber eine solche Vermehrung der Schulden würde
doch an sich ein Uebel bleiben und die Zahlungsbilanz des Landes
verschlechtern. Außerdem würden sich in der Tat, wie erwartet,
auf dem Wege der Konversion direkt oder indirekt Ersparnisse er-
zielen lassen, und das würde bei den jetzigen Budgetverhältnissen
Spaniens stark ins Gewicht fallen. Die Erzielung dieses Vorteils
kommt aber deshalb weniger in Betracht, weil es, wie wir später
sehen werden, noch ein anderes, weniger kostspieliges und zugleich
sicheres Mittel gibt, um dasselbe zu erreichen.
1) Vergl. darüber unten S. 760.
758 Otto Heyn,
3) Die Beseitigung der mit der jetzigen Unsicherheit im Ver-
kehr, dem Schwanken des Kurses und dem Schwanken der Preise
für Export- und Importartikel, wenigstens der Großhandelspreise,
verbundenen Uebelstände.
Diese Uebelstände sind zweifellos sehr bedeutend, da die Schwan-
kungen des Agios, wie unsere Tabelle auf S. 724 beweist, sehr groß
sind — wenn sie auch letzthin abgenommen haben. Diese Schwan-
kungen lähmen den Außenhandel und wirken dadurch auch ungünstig
auf die Produktion für den Export. Ferner schädigen sie den
Staatskredit, wenigstens soweit die Begebung innerer Anleihen im
Auslande in Frage kommt, und verteuern, zumal da die Auffassung
besteht, es schwanke, dem Agio entsprechend, der Wert des inlän-
dischen Geldes nicht nur dem Golde gegenüber, sondern allgemein,
den privaten Kredit, wenigstens den langfristigen Hypothekar-
kredit. Endlich verleiten sie zu Valutaspekulationen und verleihen
dem ganzen Handel einen Spielcharakter, der ihm sonst nicht inne-
wohnt. Das sind schwere Uebelstände, und wenn diese beseitigt
werden könnten, so wäre das ein großer Gewinn. Es ist aber
ein Irrtum anzunehmen, daß mit der Hebung des
Kurses auf Pari ohne weiteres auch dieSchwankungen
aufhören würden. Diese Schwankungen sind die natürliche
Folge der im Wesen des Auslandsverkehrs begründeten steten Ver-
ünderung von Angebot und Nachfrage nach Wechseln, welche durch
die Operationen der Valutaspekulation verstärkt wird. Sie sind je
nach den Verhältnissen des einzelnen Landes und der Macht der
Spekulation verschieden groß, um so geringer, je breiter die Basis,
je größer und je stetiger der Auslandsverkehr ist. Sie verschwinden
aber nur dann bezw. werden nur dann auf ein unschädliches Maß
reduziert, wenn, wie zwischen zwei Ländern mit offener Goldwährung,
sobald der Kurs der ausländischen Wechsel bis zu dem oberen
Goldpunkte über Pari gestiegen oder bis zu dem unteren Gold-
punkte unter Pari herabgesunken ist, Gold exportiert bezw. im-
portiert werden kann und dadurch Angebot und Nachfrage
nach den Wechseln auf der Basis der diesen Goldpunkten ent-
sprechenden Kurse zum Ausgleich gebracht werden. Dazu ist er-
forderlich, daß in beiden in Betracht kommenden Ländern Gold in
jeder gewünschten Menge al pari in Landesgeld umgesetzt bezw.
gegen Landesgeld (wenn dieses nicht schon selbst aus Gold besteht)
eingetauscht werden kann. Diese Bedingung würde aber auf seiten
Spaniens mit der Hebung des Kurses auf pari noch nicht erfüllt
sein. Allerdings würde bei der Prägungsfreiheit Gold in jeder
Menge in Landesgeld umgesetzt werden können, aber die entgegen-
gesetzte Operation würde nicht möglich sein. Hierzu wäre erforder-
lich, daß in Spanien eine effektive Goldwährung mit reichlichem
Goldumlauf hergestellt oder die Noten in Gold einlösbar gemacht
oder daß sonst Maßnahmen getroffen würden, um dem Verkehr jede
gewünschte Menge Goldes al pari zur Verfügung zu stellen. Die
Hebung des Kurses auf Pari allein würde hierzu nicht ausreichen.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 759
Wenn nichts weiter geschähe, würden also die Schwankungen des
Kurses und mit ihnen ihre nachteiligen Konsequenzen fortdauern.
4) Eine bessere Aufschließung des Landes durch vermehrte
produktive Anlage ausländischen Kapitals.
Daß diese Erwartung sich erfüllen würde, ist nicht sicher. Aus-
ländisches Kapital würde allerdings in bedeutender Menge einströmen,
denn nur unter dieser Bedingung ist die hier vorausgesetzte Wieder-
herstellung des Parikurses überhaupt möglich. Ob aber dieses aus-
ländische Kapital sich der Produktion zuwenden würde, ist zweifel-
haft. Jedenfalls würde es nicht, wie erwartet, neben dem schon
angelegten inländischen Kapital zur Ausdehnung der Produktion
verwendet werden, sondern nur für das inländische Kapital an die
Stelle treten, wenn dieses in den durch die Krisis herbeigeführten
Konkursen und Liquidationen den Platz räumt. Abgesehen hiervon
kommt in Betracht, daß es, wie wir später sehen werden, ein anderes
Mittel gibt, um ohne den Ruin der inländischen Produzenten das
erstrebte Ziel wirklich zu erreichen.
5) Eine Verbesserung der Rentabilität der Betriebe für die
vorhandenen Eisenbahngesellschaften.
Das würde erreicht werden. Diese Eisenbahngesellschaften sind
jetzt ja einer prekären Lage. Da die Eisenbahnen fast ganz mit
aus!Z4dischem (französischen) Kapital erbaut sind, und da diese Ge-
sellschaften deshalb Zinsen und Dividenden in Gold zu bezahlen haben;
da ferner ein grofier Teil ihrer Betriebskosten in Gold bestritten
werden muß, vermochten sie natürlich bei dem steigenden Agio Zinsen
und Dividenden nur dann zu verdienen, wenn sie ihre Fahrpreise
und Frachtraten heraufsetzten. Das wurde ihnen aber nicht gestattet
und infolgedessen haben sie ihre Rentabilitit mehr oder weniger ein-
gebüßt!). Die Beseitigung des Agios würde ihnen große Ersparnisse
ermöglichen und ihre Rentabilität wiederherstellen. Ihre Interessen
würden also bedeutend gefördert werden. Die Eisenbahngesellschaften
sind aber, wie schon gesagt, in der Hauptsache ausländische Ge-
sellschaften und deren Interessen können für Spanien nicht wesent-
lich in Betracht kommen. Für Spanien hat nur Bedeutung, daß
neues Kapital hereinkommt, und das hängt nicht davon ab, ob den
schon bestehenden ausländischen Gesellschaften durch die Beseitigung
des Agios ermöglicht wird, wieder Dividenden bezw. höhere Divi-
denden zu bezahlen. Nur in steuerlicher Beziehung könnte ein Inter-
esse bestehen.
6) Eine Verbilligung des Bezuges von ausländischem Rohmaterial
für die inländische Industrie, insbesondere von Baumwolle für die
Spinnereien.
1) Der durch das Agio veranlaßte Mehraufwand zur Bezahlung der laufenden Zinsen
betrug für die Gesellschaft Nord d’Espagne
1892 1893 1894
7,1 8,862 9,2 Mill. Pesetas.
Wenigstens teilweise infolge der entsprechenden Verminderung des Gewinnes gingen
die Aktien dieser Gesellschaft von 350 fres. im Jahre 1891 bis auf 95 fres. im Jahre 1894
zurück! Jetzt stehen sie auf 204.
760 Otto Heyn,
Auch diese Erwartung würde sich erfüllen. Hieraus könnte aber
den bestehenden Fabriken kein Vorteil erwachsen. In demselben
Maße wie das ausländische Rohmaterial würden ja auch die aus-
ländischen Fabrikate verbilligt werden. Da nun aber die Roh-
materialkosten selbst in der Spinnerei nur etwa zwei Drittel des
Preises der Fabrikate, hier des Garnpreises, ausmachen und da die
übrigen Kosten nur zum Teil entsprechend zurückgehen, so würde
durch die Beseitigung des Agios die ausländische Konkurrenz
mehr begünstigt werden und den Inländern gegenüber einen
Vorteil erlangen. Da ferner bei der Größe und der Macht der aus-
ländischen Konkurrenz der Garnpreis zweifellos um den ganzen Be-
trag des beseitigten Agios herabgedrückt werden müßte, so würden
die inländischen Fabrikanten im Resultate, anstatt zu gewinnen, einen
Nachteil erleiden. Wenn sie aber meinen, infolge der Herabsetzung des
Preises ihren Absatz ausdehnen und dadurch eine Gewinnsteige-
rung erzielen zu können, so steht zunächst auch hier wieder die aus-
ländische Konkurrenz im Wege. Außerdem aber wäre die Ausdeh-
nung des Absatzes keineswegs mit Sicherheit zu erwarten, weil die
Kaufkraft der Bevölkerung nicht nur nicht gesteigert, sondern infolge
der wirtschaftlichen ,Heilkrise*^ sogar geschwächt werden würde.
Was bleibt hiernach von den „Vorteilen“ der Wiederherstellung
des Parikurses noch übrig?
Diesen mehr oder wenigen imaginären „Vorteilen“ stehen nun
aber auch noch große Nachteile gegenüber. Vor allem der Ruin
der derzeitigeninländischen Produzenten, wenigstens der
Produzenten von Export- und Importartikeln, welchen in Verbindung
mit der Beseitigung des Agios die Kreditkrise herbeiführen würde,
ohne deren Eintritt die dauernde Wiederherstellung des Parikurses
unmöglich ist. Gewiß würden nicht alle diese Produzenten ruiniert
werden — die Kreditkrise würde nur die schwächeren und die stark
mit Schulden belasteten zu Fall bringen — aber geschädigt und zum
Teil stark geschädigt würden alle. Das wird nach den früheren Aus-
führungen (S. 741 ff.) einer näheren Darlegung nicht mehr bedürfen.
Es mag nur noch speziell darauf hingewiesen werden, daß die
Schädigung sich nicht auf die Produzenten von Export- und Import-
artikeln beschränkt, sondern weitere Kreise zieht, nicht nur deshalb,
weil der Preisfall der Export- und Importartikel auf die Preise anderer
Artikel zurückwirkt, sondern auch, weil das Sinken der Rentabilität
der Produktion, besonders in den landwirtschaftlichen Betrieben,
den Preis der Produktionsanlagen und des Grund und Bodens herab-
drückt und weil durch den Rückgang des Bodenpreises die Eigen-
tümer — in Spanien besonders der Adel und die Klöster — und in
vielen Fällen außerdem die Hypothekengläubiger benachteiligt werden.
Ein weiterer Nachteil besteht darin, daß infolge der starken
Schädigung einer großen Anzahl von Produzenten, Grundbesitzern,
Hypothekengläubigern natürlich auch Ausfälle an Einnahmen
für den Staat entstehen würden, Ausfälle an Grund- und Ertrags-
steuern und Ausfälle an Einkommensteuer. Alle Steuern, die nach
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 761
dem Ertrage, d. h. nach dem Bruttoertrage, bemessen sind, müßten
sogar, wenigstens soweit Export- und Importartikel auf den steuer-
pflichtigen Realien produziert werden, dauernd und um volle
25 Proz. zurückgehen, weil der Bruttoertrag, so lange der Parikurs
besteht, um 25 Proz. geringer sein würde. Die Einkommensteuer
würde sich allerdings nach Ablauf der Uebergangszeit, wenn das ein-
strömende ausländische Kapital den Betrieb wiederaufgenommen hat,
wieder bessern, wenn auch diejenigen, welche in den Konkursen und
Liquidationen der Uebergangszeit ihr Vermögen verloren haben,
dauernd entsprechend weniger Steuern zahlen werden. Ein teilweiser
Ausgleich würde sich überdies wahrscheinlich daraus ergeben, daß die
Eisenbahngesellschaften infolge der Verminderung ihrer Lasten in die
Lage kommen würden, höhere Steuern zu bezahlen. Im ganzen
würde aber doch wohl, wenigstens für lange Zeit, eine Minderung der
Einnahme resultieren.
Daß unter solchen Umständen zunächst auch der Staatskredit
on müßte — trotz der Beseitigung des Agios — liegt auf der
and.
Bei dieser Sachlage würde die Beseitigung des spanischen Gold-
agios, wenn sie gelänge, nicht nur die an sie geknüpften Erwartungen
einer Besserung der bestehenden Verhältnisse zum größten Teil
nicht erfüllen, sondern auch noch großes Unglück über das Land
bringen.
Und um das zu erreichen, will man noch Kosten aufwenden und
das Risiko auf sich nehmen, daß das Opfer der Vermehrung der
Lasten des Staates um 18 Mill. Pesetas jährliche Zinsen, welche der
Versuch der Beseitigung des Agios kostet, vergeblich gebracht wird?
Ein solcher Verlust würde ja entstehen, wenn die Beseitigung des
Agios nicht gelingt! Das wäre freilich immer noch das Minus im
Vergleich mit dem Schaden, der im Falle des Gelingens entstehen
würde — das Minus wenigstens dann, wenn der Versuch schon in
den ersten Stadien scheiterte und die sonst unvermeidliche Krise ver-
mieden würde. Weshalb aber nicht lieber den status quo erhalten,
wenn sowohl das Gelingen als das Mifllingen der Operation Schaden
bringen müßte?
Würde aber die Beseitigung des Agios, wenn sie gelänge,
wenigstens denjenigen Vorteil bringen, die durch die Entstehung und
das Steigen des Agios ohne ihr Zutun geschädigt worden sind und
mit deren Interesse so vielfach die Forderung der Wiederherstellung
des Parikurses begründet wird?
Zu diesen Personen gehören alle diejenigen, welche vor der Ent-
stehung des Agios feste Geldforderungen besaßen: Hypothengläubiger,
Besitzer von Staatspapieren etc., und ferner alle diejenigen, welche
bei niedrigerem Agio solche Forderungen erworben haben, ohne dabei
mit Vorbedacht das Risiko einer Vergrößerung des Agios auf sich
zu nehmen und etwa durch die Ausbedingung höherer Zinsen oder
einer besonderen Risikoprämie sich dafür bezahlen zu lassen. Außer-
dem gehören dahin die Arbeiter und die Beamten, soweit deren Geld-
762 Otto Heyn,
lohn bezw. Gehalt nicht erhöht worden ist, obwohl mit dem Steigen
der Preise vor allem der Export- und Importartikel die Kaufkraft
des Geldes abgenommen hat. Würde die Beseitigung des Agios
wenigstens diesen Personen Vorteil bringen? Würde ihnen, wenn
auch nicht der bisher erlittene Schaden ersetzt, so doch künftiger
Schaden erspart werden ?
Auch diese Frage kann nicht oder doch nur bedingungsweise
bejaht werden. Das Geld, welches diese Personen erhalten, würde
nach der Beseitigung des Agios allerdings seine frühere Kaufkraft
wiedererlangen, und das würde natürlich ein großer Vorteil sein.
Es fragt sich aber, ob sie nun nicht etwa weniger erhalten oder
in anderer Weise Schaden erleiden. Letzteres ist in der Tat in
großem Umfang der Fall. Die Hypothekengläubiger würden bei dem
Ruin der Produzenten und bei der allgemeinen Entwertung des
Grund und Bodens, welche die Anpassungskrise herbeiführte, zum
großen Teil mit ihren Hypotheken ausfallen und ihre Forderungen
gänzlich verlieren. Die Besitzer von Staatspapieren und die Beamten
kommen wenigstens in die Gefahr, Verluste zu erleiden; denn wenn
der Versuch der Wiederherstellung des Parikurses mißlingt, dann
könnte der Staat -- dessen ohnehin übermäßig große Zinslasten
durch den Mehraufwand für die neuen Valutaanleihe noch gesteigert
werden — wenn nun auch noch seine Einnahmen unter dem Drucke
der Verschlechterung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zurück-
gehen, Bankerott machen oder doch eine Reduktion der Zinsen und
Gehaltszahlungen vornehmen. Was endlich die Arbeiter anlangt, so
würden diese auch im besten Falle kaum etwas gewinnen, weil ihre
Löhne während der Uebergangskrise dem gestiegenen Geldwerte
mehr oder weniger angepaßt werden. Während der Krise aber würden
sie leiden, weil mit der Verschlechterung der Lage der inländischen
Produzenten und der — wenigstens vorübergehenden — Einschrän-
kung der Produktion die Arbeitsgelegenheit geringer werden und
der Lohn noch stärker reduziert werden würde. Die Arbeiter können
im allgemeinen nur gewinnen, wenn die Konjunktur sich ver-
bessert, nicht, wenn sie schlechter wird!
Also auch für diese Personen, deren gerechte Behandlung an-
geblich die Wiederherstellung des Parikurses fordert, würde sich nur
teilweise ein Vorteil, teilweise aber großer Nachteil ergeben.
Hiernach ist dem Projekte der Wiederherstellung des Parikurses
der spanischen Valuta gegenüber nicht nur die Frage des Könnens
mit einem ,Zweifelhaft", ja „Sehr zweifelhaft“ zu beantworten, son-
dern auch die Opportunitätsfrage direkt zu verneinen.
Die Erfahrungen Brasiliens und Griechenlands.
Vielleicht dient es zur Unterstützung der vorstehenden Ausführungen,
wenn wir noch kurz darauf hinweisen, welche Erfahrungen in neuester
Zeit Brasilien mit der (teilweisen) Beseitigung seines hohen Agios
bezw. mit der Hebung seines Wechselkurses und Griechenland mit
dem Fortbestehen des Agios gemacht haben.
Brasilien hat seit 1898 seinen Papiergeldumlauf stetig ver-
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 763
mindert, um den Kurs seiner Valuta zu heben. Es sind von 788 000
Kontos (& 1000 Milreis) bis August 1902 nicht weniger als 109 000
Kontos, also circa 14 Proz., eingezogen worden und diese Einziehung
wird jetzt noch weiter fortgesetzt. Der Wechselkurs ist von 1!/,, d.
im Jahre 1898 auf 9?*/,, d. im Jahre 1900 und 11?/, d. im Jahre
1901 gestiegen, während er im Septemher 1902 auf circa 12 d. stand.
Dieses Steigen des Wechselkurses, für welches die Regierung so
große Opfer gebracht hat, wird aber geradezu als der „Fluch“ des
Landes, speziell für die landwirtschaftliche Produktion bezeichnet.
Nach einem Artikel der Financial Times vom 10. September 1902
stimmen alle Berichte, sowohl diejenigen der Provinzialregierungen
als auch diejenigen der englischen Konsuln in den verschiedenen
Teilen des Landes, ferner Mitteilungen von Kaufleuten und Pflanzern,
Resolutionen, die in verschiedenen Versammlungen gefaßt sind, dahin
überein. Der englische Konsul in Pernambuco berichtet im Mai
1902: ,Die Lage des Handels in diesem und in den benachbarten
Staaten Ceara, Rio Grande del Norte, Parahyba und Algoa hat sich
im letzten Jahre stetig verschlimmert, bis jetzt eine Krise aus-
gebrochen ist, welche sich zweifellos auf Jahre hinaus fühlbar machen
wird.“ Abgesehen von der Erhöhung der Steuerlast und der Ueber-
produktion in einzelnen Branchen, sei der Grund in dem Preisrück-
gange für landwirtschaftliche Produkte, welche das Steigen des
Wechselkurses hervorgerufen habe, zu suchen. Der Gouverneur
von Bahia bezeichnet in einer Botschaft vom März 1902 die Lage
als „äußerst ernst“. Auch von ihm werden die unlohnenden Preise
für landwirtschaftliche Produkte als Hauptgrund angegeben. Die
Zucker- und Kaffeepflanzer und ein großer Teil der Kaufleute in
San Paulo klagen laut über die niedrigen Preise wiederum der land-
wirtschaftlichen Produkte. Die Financial Times schreiben hierzu:
„Solch eine Uebereinstimmung der Nachrichten aus fremden und ein-
heimischen offiziellen Quellen, sowie aus privaten Handels- und
Pflanzerkreisen, Einzel- und Kollektiväußerungen, beweist deutlich,
daß die wirkliche Lage des Landes weit davon entfernt ist befriedigend
zu sein ....“ Die Finanzen des Staates sind einstweilen noch günstig
(wozu die Minderung der Auslandsausgaben durch das Sinken des
Agios natürlich erheblich beigetragen hat), aber die Provinzialregie-
rungen leiden schon jetzt unter den schlechten Verhältnissen, und
nach dem Schlußsatze des Artikels ist anzunehmen, daß auch die
finanzielle Position des Staates bedroht ist.
Zweifellos ist nun an dieser ungünstigen Sachlage nicht allein
das Steigen des Wechselkurses, sondern außerdem noch die zu starke
Ausdehnung des Zuckerrohr- und des Kaffeeanbaues schuld. Es
kann aber ebensowenig einem Zweifel unterliegen, daß das Steigen
des Kurses einen Anteil, und zwar einen großen Anteil daran hat.
Bei einem Kurse von eirca 7 d. für das Milreis wie im Jahre 1898
erlöste der Pflanzer für eine Quantität Kaffee, die er in London um
100 £ verkaufte, 3429 Milreis. Bei dem jetzigen Kurse von 12 d.
erhält er nur 2000 Milreis, also 1429 Milreis weniger. Seine Pro-
764 Otto Heyn,
duktionskosten, die im wesentlichen in Zinsen, Löhnen und Steuern
bestehen, sind aber nicht so stark zurückgegangen, daß er mit Rück-
sicht hierauf im stande wäre, einen solchen Verlust zu tragen. Die
Kreditverhältnisse sind nicht besser, sondern schlechter geworden.
Die Ausgaben an Arbeitslohn können schon deshalb nicht erheblich
geringer geworden sein, weil in dem zitierten Artikel gleichzeitig
über die hohen Kosten des Lebensunterhalts, die ja auch für den
Arbeitslohn bestimmend sind, geklagt wird. Die Steuern sind nicht
geringer geworden, sondern noch gewachsen. Unter diesen Um-
ständen mußte zweifellos schon das Steigen des Kurses allein einen
höchst ungünstigen Effekt haben. Nun ist freilich zu berücksichtigen,
daß bei niedrigerem Wechselkurse wahrscheinlich die Londoner
Kaffeepreise niedriger sein würden als jetzt, weil bei der herrschen-
den Ueberproduktion die brasilianischen Pflanzer einander unter-
bieten würden, bis der Kursgewinn mehr oder weniger eskomptiert
wäre. Es darf daher nicht angenommen werden, daß die Kaffee-
pflanzer bei einem Wechselkurse von 7 d. wirklich einen ent-
sprechenden Betrag, also, wie oben berechnet, 1429 Milreis, mehr
erlösen würden. Immerhin müßte aber der Erlös bedeutend größer
sein als jetzt. Außerdem liegen gerade beim Kaffee die Verhältnisse
ganz besonders ungünstig — deshalb, weil Brasiliens Anteil an der
Versorgung des Weltmarktes besonders groß ist, so daß sein An-
gebot den Kaffeepreis bestimmt. Bei den übrigen „landwirtschaft-
lichen Produkten“, über deren niedrige Preise nicht weniger geklagt
wird, seien es Export- oder Importartikel, ist die Sachlage in dieser
Beziehung ganz anders. Bei diesen Artikeln würde der brasilianische
Produzent in der Tat (annähernd) einen um den berechneten Betrag
höheren Erlös erzielen. Unter diesen Umständen darf wohl an-
genommen werden, daß das Steigen des Kurses die gegenwärtige
Krise zu einem erheblichen Teile mitverursacht hat.
Im Gegensatz zu Brasilien mit seiner Hebung des Kurses hat
Griechenland mit dem Fortbestehen des hohen Agios — das
Agio betrug Ende Mai 1902 61,75 Proz. — sehr gute Erfahrungen
gemacht. Ein zufällig zu gleicher Zeit (am 9. September 192)
publizierter Artikel der Financial Times berichtet darüber folgendes:
„Die Entwertung des Papiergeldes ... hat als ein mächtiger Stimulus
für die Schaffung einheimischer Industrien gedient. Griechenland
produziert jetzt nicht allein genug für die inländische Konsumtion,
sondern exportiert auch gewisse Arten von Waren, die früher aus
dem Auslande bezogen werden mußten. Es werden große An-
strengungen gemacht, um den Ackerbau zu heben.... Der Tabak-
bau mehrt sich von Jahr zu Jahr. Fortschritt zeigt sich überall und
die Zukunft ist sehr aussichtsvoll.*
IV. Die richtige Politik.
Nach den Ausführungen des letzten Kapitels muß es als ver-
fehlt erscheinen, die Beseitigung des spanischen Goldagios unter
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 765
Wiederherstellung des Parikurses überhaupt anzustreben. Es ist
nicht nur wahrscheinlich, daß ein solcher Versuch nicht gelingen
würde, sondern es würde auch ein Gelingen desselben nicht im
Interesse des Landes, ja nicht einmal im Interesse aller derjenigen
liegen, die durch das Entstehen des Agios geschädigt worden sind,
während ein Mißlingen dem Lande unnötige Opfer auferlegen, zum
mindesten seine Zinsschuld um 18 Mill. Pesetas pro Jahr erhöhen
würde.
Eine Verpflichtung. den Parikurs wiederherzustellen oder
doch den Versuch einer solchen Wiederherstellung zu machen, be-
steht aber nicht. Eine solche Verpflichtung würde selbst dann nicht
bestehen, wenn die spanischen Noten wirkliches Papiergeld wären !).
Tatsächlich sind sie ja aber nichts weiter als reine Banknoten, die
von der Bank von Spanien auf Verlangen den Gesetzen entsprechend
in Silbergeld eingelöst werden. Nun besteht freilich das Agio auch
gegenüber diesem Silbergelde. Das Silbergeld al pari in Gold ein-
zulösen, ist aber der Staat ebensowenig verpflichtet. Das Silbergeld
ist ja durchaus dem Währungsgrundgesetz vom 12. Oktober 1868 ge-
mäß geprägt worden. Ueberdies ist der größte Teil desselben (949
von im ganzen 1048 Mill. in 5-Pesetastücken) bei dem sinkenden
Silberpreise von vornherein unterwertig ausgegeben, und an eine Ein-
lösung dieses unterwertigen Silbergeldes in Gold ist bei dessen Aus-
gabe niemals auch nur gedacht worden.
Besteht aber keine Verpflichtung, den Parikurs wiederherzu-
stellen oder doch den Versuch dazu zu machen, dann ist der Staat
völlig frei in seinen Entschließungen, und dann kann über das, was
geschehen soll, ebenso wie bei anderen Fragen der Staatspolitik,
nur das Interesse des ganzen Landes entscheiden. Das
Landesinteresse fordert aber eine ganz andere Politik. Im Interesse
des Landes liegt nicht sowohl die Wiederherstellung des Parikurses,
als die Wiederherstellung geordneter Währungsverhält-
nisse, nicht die Beseitigung des Agios, sondern die Beseitigung
der Agioschwankungen, nicht die Hebung des Kurses, sondern
die Stabilisierung desselben in (ungefähr) der jetzigen
Höhe).
1. Vorteile der Stabilisierung des jetzigen Kurses.
Die Stabilisierung des Kurses in der jetzigen Höhe würde
Spanien nicht nur keinen Nachteil, wie die Wiederherstellung des
Parikurses, sondern großen Vorteil bringen. Die schlimmen Kon-
sequenzen der Beseitigung des Agios, dahingehend, daß der Export
erschwert, der Import erleichtert, der Wert des Grundbesitzes und
1) Hierüber an anderer Stelle. Im Rahmen dieser Arbeit ist es leider nicht mög-
lich, das näher auszuführen.
2) Für die Herstellung geordneter Währungsverhältnisse und gegen die Wieder-
herstellung des Parikurses spricht sich u. a. auch Helferich aus. Vergl. Tübinger Zeit-
schrift, Bd. 12 (1856), S. 437. In früherer Zeit hat diese Ansicht überhaupt mehr An-
hänger gefunden. Vergl. die Citate bei Helferich a. a. O.
766 Otto Heyn,
der meisten produktiven Anlagen herabgedrückt und viele Existenzen
ruiniert werden, würde nicht eintreten. Die jetzige günstige Lage
der inländischen Produzenten, soweit sie durch die Höhe des Kurses
bedingt ist, würde erhalten und für alle Zukunft festgelegt werden.
Außerdem würden aber dem Lande alle diejenigen Vorteile zuge-
wendet werden, welche ein stabiler Kurs als feste Basis für den
Auslandsverkehr mit sich bringt. Vor allem würde der Handel mit
dem Auslande mächtig gefördert werden, weil nun das durch die
jetzigen Kursschwankungen verursachte besondere Risiko wegfiele.
Das würde aber wieder günstig auf die Produktion zurückwirken.
In erster Linie würde dieser Umstand den Exportproduzenten zu
gute kommen, die nun mehr Abnehmer fänden und einen um den
Betrag der wegfallenden Risikoprämie erhöhten Preis für ihre Pro-
dukte erzielten. Für die mit den Importeuren konkurrierenden Pro-
duzenten würde allerdings der Effekt insofern ungünstig sein, als
nun die Importeure um den Betrag jener Risikoprämie billiger an-
bieten und ihnen dadurch den Absatz erschweren könnten; aber
auch für sie würde sich mit dem Wegfall des störenden Moments
der Unsicherheit, welche jetzt die Schwankungen des Kurses er-
zeugen, ein nicht zu unterschätzender Vorteil ergeben.
Der von der Wiederherstellung des Parikurses erhoffte Zufluß
ausländischen Kapitals zu produktiven Zwecken, sei es zu direkter
Anlage in den einzelnen Produktionszweigen des Landes, sei es zum
Eisenbahnbau, würde sich nun erst recht einstellen; denn die Pro-
duktionsbedingungen würden ja jetzt viel günstiger, die Konkurrenz
mit dem Auslande, besonders beim Export, leichter, die Entwickelung
des Verkehrs größer sein, während gleichzeitig durch das Bestehen
des stabilen Kurses die Möglichkeit gegeben wäre, das investierte
Kapital jederzeit ohne Kursverlust zurückzuziehen bezw. die ge-
zeichneten Aktien und Obligationen ohne Kursverlust (d. h. ohne
Verlust am Wechselkurse) zu veräußern.
Das inländische Kapital würde mehr Gelegenheit zu günstiger
Anlage, die Arbeiter würden mehr Arbeitsgelegenheit und, unter-
stützt durch die günstige Konjunktur, nach und nach höheren Lohn
erhalten.
Unter solchen Umständen würde die Prosperität des Landes,
die unter dem Einflusse des steigenden Agios jetzt schon erheblich
zugenommen hat!), noch bedeutend wachsen.
Infolgedessen würden auch die Einnahmen des Staates, die
jetzt ebenfalls im Steigen begriffen sind, noch zunehmen, und stark
zunehmen, anstatt, wie im Falle der Wiederherstellung des Pari-
kurses, unter den Folgen der dann unvermeidlichen Kreditkrise,
wenigstens zunächst, zurückzugehen. Demgegenüber würden freilich
die Lasten, welche das jetzige Agio der Staatskasse auferlegt, be-
stehen bleiben. Diese Lasten sind ja aber, wie früher berechnet.
nicht sehr groß und übersteigen im ganzen nur wenig diejenige
1) Raffalovich, Le marché financier, 1899, 8. 625.
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 767
Summe, welche — als Mehrbetrag an Zinsen für die Valutaanleihen
— die Ausführung des Projekts der Beseitigung des Agios dem
Lande kosten würde. Im Resultate müßte sich zweifellos, und zwar
auch im Vergleich mit dem Zustande im Falle des Gelingens der
Beseitigung des Agios, eine Verbesserung der finanziellen Position
des Staates ergeben. Spanien würde dadurch in die Lage kommen,
die ihm durch ein widriges Geschick auferlegten schweren Zins-
lasten um so leichter zu tragen und überdies die so sehr benötigten
Reformen, zu denen der Staatskasse bisher die Mittel gefehlt haben,
jetzt wirklich vorzunehmen.
Es würde ferner der Kredit des Staates wachsen. Der Kredit
eines Staates hängt ja nicht davon ab, wie hoch seine Valuta im
Kurse steht, der Kredit Spaniens nicht davon, ob die Pesata einen
Franc oder nur ?/, Franc gilt, ob sie „pari“ steht, oder nicht. Für
den ausländischen Kapitalisten ist es, auch wenn er innere Anleihen
kauft, ganz gleich, wie sich das Geld, auf welches diese Anleihen
lauten, zu seinem Landesgelde verhält. Der Franzose wird unter
übrigens gleichen Umständen spanische Interieurs ebenso gern
kaufen, wenn der Wechselkurs 135 Pesetas für 100 Francs, als wenn
er 100 Pesetas für 100 Francs beträgt. Für ihn kommt es nur
darauf an, daß der Kurs der Peseta, nachdem er gekauft hat,
nicht zurückgeht. Im übrigen ist für ihn — neben den poli-
tischen Zuständen und der Rechtssicherheit — lediglich bestimmend,
ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes günstig sind oder
nicht, ob der Staat genügend Einnahmen erzielt, um seine Zinsen
regelmäßig zu bezahlen, und ob mit einer gewissen Sicherheit auf
dauernde Prosperität gerechnet werden kann. Die Erfüllung
dieser Bedingungen ist aber im Falle der Stabilisierung des Kurses
in der jetzigen Höhe weit eher zu erwarten als im Falle der Wieder-
herstellung des Parikurses, selbst wenn wir von der in diesem Falle
unvermeidlichen Uebergangskrise und deren Konsequenzen absehen.
Eine Verbesserung des Staatskredits aber würde dem Lande große
Vorteile bringen und speziell bei der Begebung neuer, sowie bei
der Konversion alter Anleihen die Erlangung aller derjenigen Vor-
teile ermöglichen, welche man jetzt von der Wiederherstellung des
Parikurses erwartet.
Daß diesen großen Vorteilen nicht etwa der Nachteil gegenüber-
steht, daß Spanien fortfahren würde, seinen Export „teilweise zu
verschenken“, haben wir schon früher (S. 752) gesehen. Spanien
ist jetzt weit davon entfernt, das zu tun. Es würde aber auch nicht
etwa im Falle der Wiederherstellung des Parikurses noch bessere
Bedingungen, speziell bessere Preise erzielen. Vielleicht würde das
möglich sein, wenn Spanien sich mit seinen Exportartikeln in der-
selben Lage befände wie Brasilien mit seinem Kaffee, dessen niedriger
Preis zur Zeit des niedrigen Kurses ganz wesentlich darauf zurück-
geführt wurde, daß die brasilianischen Kaffeepflanzer durch ihre
gegenseitige Unterbietung, welche der niedrige Kurs ermöglichte,
den Preis auf dem Weltmarkte besonders stark herabdrückten. So
763 Otto Heyn,
liegt aber die Sache für Spanien nicht. Spanien beherrscht mit
seinen Exportartikeln — d. s. Erze, Metalle, Wein, Oel, Orangen,
Mandeln, Rosinen, Kork, Baumwollfabrikate, lebende Tiere, Häute
und Schuhe — in keinem einzigen Falle den Markt, und bei keinem
einzigen dieser Artikel wird der Preis durch die gegenseitige Unter-
bietung der spanischen Exportproduzenten jetzt besonders niedrig
gehalten. Spanien würde bei dem jetzigen Umfange seines Ange-
bots unter keinen Umständen höhere Preise erzielen. Selbst bei
einer Minderung seines Angebots würden die Preise nicht erheb-
lich steigen, weil in den meisten Fällen die Produzenten anderer
Länder den Ausfall decken würden. Eine Minderung des Angebots
würde ja aber im Falle der Wiederherstellung des Parikurses nicht
einmal eintreten dürfen: es müßte sogar noch eine Vergröße-
rung des Angebots stattfinden, um den Kurs auf Pari zu halten !).
2. Durchführung der Stabilisierung des Kurses.
a) Erfordernisse im allgemeinen. Eine Stabilisierung
des Kurses, in der richtigen Weise und mit hinreichenden Mitteln
unternommen, muß unter allen Umständen gelingen. Das gilt freilich
nur, wenn wirklich nichts anderes angestrebt wird als lediglich eine
Stabilisierung des Kurses, d. h. eine Festlegung desselben auf der
durch die realen Verhültnisse des Auslandsverkehrs bedingten Mittel-
linie, eine einfache Beseitigung der Schwankungen. Schwierig ist
es nur, die richtige Mittellinie zu finden. Ein Mißerfolg kann jedoch
nur dann eintreten, wenn die gewählte Mittellinie höher, nicht
auch dann, wenn sie niedriger liegt.
Ist die Mittellinie richtig gewählt, dann ist zu einer Stabili-
sierung des Kurses nichts weiter nötig, als daß die leitende Bank
oder eine andere Zentralstelle nach der Beschaffung einer hin-
reichenden Goldreserve, wenn auch nur eines Goldguthabens im
Auslande, angewiesen wird, einerseits alle Wechsel auf das Inland,
die etwa !/,—1 Prozent unter dem der Mittellinie entsprechenden
Kurse angeboten werden, aufzukaufen bezw. in Gold einzulósen, und
andererseits inlündische Wechsel in jeder gewünschten Menge zu
einem !/,—]1 Prozent über der Mittellinie liegenden Kurse gegen
Gold abzugeben. In diesem Falle kann der Kurs der inländischen
Wechsel nur innerhalb der Grenzen von !/,—1 Prozent unter und
!/,—1 Prozent über der Mittellinie schwanken, und damit ist praktisch
die Stabilitit hergestellt.
Diese künstliche Stabilisierung des Kurses ist nichts Besonderes.
Es werden dadurch lediglich auf der Seite des Landes mit Papier-
währung diejenigen Verhältnisse nachgeahmt, welche im Verkehr
zwischen zwei Lündern mit offener Goldwührung (oder offener Silber-
wührung) an sich bestehen. Die Stabilität des Kurses zwischen
zwei Goldwährungsländern beruht ja auf nichts anderem als darauf,
dafi in Anbetracht der durch die Vollwertigkeit des Geldes gegebenen
1) Vgl. oben S. 749.
— M—I 008
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 769
Möglichkeit, jedes gewünschte Quantum Gold al pari zu erhalten,
und der durch die Prägungsfreiheit geschaffenen Möglichkeit, jedes
Quantum Gold al pari zu verwerten, die Umsetzung der Valuta
des einen Landes in diejenige des anderen jederzeit und in jeder
Menge zu einem nur wenig (nämlich um den Betrag der Goldver-
sendungskosten und der eventuellen Prägegebühr) über bezw. unter
dem Pari liegenden Kurse vorgenommen werden kann. Letzteres
kann aber, wenn die hier erwähnten Vorkehrungen getroffen werden,
auch im Verkehr zwichen einem Goldwährungslande und einem
Lande mit Papierwährung geschehen !).
Man kann auch in anderer Weise verfahren, nämlich so, daß im
Inlande dem Verkehr jede gewünschte Menge ausländischer
Wechsel zu einem !/,—1 Proz. über der Mittellinie liegenden
Kurse zur Verfügung gestellt und zu einem !/,—1 Proz. unter
der Mittellinie liegenden Kurse abgenommen wird. In diesem Falle
ist die Umsetzung der Valuta des einen Landes in diejenige des
anderen in derselben Weise möglich und kann der Kurs daher
ebenfalls nur innerhalb der Grenzen von !/,—1 Proz. über und
unter der Mittellinie schwanken. Nehmen wir z. B. an, daf die
Bank von Spanien dem Verkehr Wechsel auf Frankreich in jeder
Menge einerseits zu 1354-1 == 136 Pesetas für 100 fres. zur Ver-
fügung stellt und andererseits zu 135 —1 = 134 Pesetas für 100 frcs.
abkauft, so wird natürlich niemand für einen Wechsel auf Frankreich
mehr als 136 Pesetas pro 100 fres. bezahlen und niemand einen
solchen Wechsel um weniger als 134 Pesetas für 100 fres. abgeben.
Dann kann aber der Kurs nur zwischen 136 und 134 Pesetas für
100 fres. schwanken, und damit ist praktisch die gewünschte Stabilität
erreicht ?). In dieser Weise ist es z. B. Rußland vor der Einfüh-
rung seiner Goldwährung gelungen, den Kurs seines Rubels in der
Hóhe von 216 M. für 100 Rubel zu stabilisieren und die früheren,
zum Teil sehr großen Schwankungen zu beseitigen. Die gleiche
Erfahrung hat Oesterreich gemacht, und durch die Befolgung einer
ähnlichen Politik hält die Bank von Holland den Kurs des Guldens
aufrecht’).
1) Die Stabilisierung des Kurses in der hier beschriebenen Weise ist von mir
schon im Jahre 1894 in der Schrift: Papierwährung mit Goldreserve für den Auslands-
verkehr empfohlen worden. Die Idee ist nicht neu. Sie ist früher schon von Ricardo
und im Jahre 1892 in Veranlassung der indischen Währungsreform von Probyn und
Lindsay vertreten worden. Ich möchte aber an dieser Stelle mit Rücksicht darauf, daß
ich im Jahre 1894 die Namen dieser Vorgänger nicht erwähnt habe, bemerken, daß ich
dieselben damals nicht kannte. Mein derzeitiger Vorschlag war lediglich aus der Er-
wägung entstanden, daß es bei einer Papierwährung möglich sein müsse, einen festen
Kurs zu schaffen, wenn man die bezüglichen Verhältnisse der Goldwährungsländer
nachahme.
2) Man kann natürlich die Grenzen auch noch enger ziehen und sie auf T/, oder
1/, oder !/, Peseta über und unter 135 festsetzen. In diesem Falle bedarf es aber
einer größeren „Goldreserve‘“ und erwachsen größere Kosten. Uebrigens kann eine
diesbezügliche Aenderung auch später noch jederzeit vorgenommen werden.
3) Vergl. über Holland: Kalkmann, Hollands Geldwesen im 19. Jahrhundert in
Schmollers Jahrbüchern, Bd. 25, Heft 4, S. 59ff., 65, 56.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX), 49
770 Otto Heyn,
Das Gelingen einer solchen Operation hängt lediglich davon
ab, daß die Macht der Zentralbank ausreicht, für inländische Wechsel
in jeder Menge Gold bezw. für inländisches Geld ausländische
Wechsel abzugeben. Das ist nur möglich, wenn die für diese Zwecke
bestimmte Goldreserve der Bank, bezw. wenn ihr Besitz an aus-
ländischen Wechseln groß genug ist, um ihr zu ermöglichen, der
Nachfrage des Verkehrs jederzeit zu entsprechen. Diese Bedin-
gung läßt sich praktisch nur dann erfüllen, wenn die Mittellinie,
m. a. W. wenn das Wechselpari oder die Relation richtig oder doch
nicht zu hoch gewählt ist. Ist die Mittellinie zu hoch gewählt; wäre
sie z. B. für Spanien, wenn die Relation richtig 135 Pesetas für
100 fres. lauten müßte, auf 120 Pesetas = 1W fres. festgesetzt, dann
würden ja bald genug so viel inländische Wechsel zur Einlösung
präsentiert bezw. so viel ausländische Wechsel begehrt werden, daß
die Gold- bezw. Wechselreserve erschöpft würde, und nachdem das
geschehen, müßte der Kurs wieder auf 135 Pesetas = 100 fres.
sinken. Im Gegensatz hierzu würde die Stabilisierung des Kurses
nicht in Frage gestellt werden, wenn die Mittellinie zu niedrig, etwa
auf 150 Pesetas für 100 fres., festgesetzt wäre. In diesem Falle
würde lediglich Gold oder würden ausländische Wechsel zuströmen
und müßten mehr inländische Wechsel beschafft bezw. mehr in-
ländisches Geld abgegeben werden, als es an sich erforderlich sein
würde. Letzteres macht ja aber keine Schwierigkeiten, da die Zen-
tralbank in der Lage ist, auf Grund des ihr direkt zuströmenden
bezw. durch die angekauften ausländischen Wechsel zu ihrer Ver-
fügung gestellten Goldes Banknoten auszugeben.
In welcher Höhe die richtige Mittellinie liegt, hängt davon ab,
wie sich in der Zukunft die Verhältnisse des Verkehrs zwischen
dem Inlande und dem Auslande gestalten. Dafür sind viele Fak-
toren maßgebend, und es ist gewiß nicht leicht, die Resultante zu
finden. Im allgemeinen wird man aber annehmen können, daß
wenigstens nicht zu hoch gegriffen wird, wenn als Mittellinie ein
Kurs festgesetzt wird, der sich in den letzten Jahren stets als Durch-
schnitt ergeben hat, oder wenn der niedrigste Durchschnittskurs
der letzten Jahre gewählt wird. Spanien speziell würde sicherlich
nicht in Gefahr sein, die Mittellinie zu hoch zu bemessen, wenn es
dieselbe etwa in der Höhe des jetzigen Kurses, also etwa in der
Höhe von 135 Pesatas = 100 fres. festsetzte. Zu hoch kann das
nicht sein ; denn einerseits ist dieser Kurs an sich sehr niedrig und
hat derselbe sich seit etwa einem Jahre erhalten, andererseits hat
ja die Stabilisierung des Kurses, wie früher dargelegt, den Effekt,
daß die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse sich bessern und
daß die Zahlungsbilanz des Inlands, zunächst schon infolge eines
stärkeren Kapitalzuflusses vom Auslande, weiterhin aber auch in-
folge der Hebung der inländischen Produktion, sich günstiger
gestaltet.
Möglich wäre, daß die für Spanien auf 135 Pesetas = 1W fres.
bemessene Mittellinie zu niedrig bezw. niedriger wäre, als es nach
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 771
den realen Verhältnissen des künftigen Auslandsverkehrs erforderlich
sein würde. Dann würde, wie bereits ausgeführt, die Stabilisierung
des Kurses nicht in Frage gestellt werden. Würde aber etwa sonst
ein Nachteil entstehen? Keineswegs. Es würde zunächst lediglich
der Kurs auf dem jetzigen niedrigen Niveau festgelegt und eine
anderenfalls etwa durch den Verkehr veranlaßte Aufwärtsbewegung
unmöglich gemacht werden. Das wäre ja aber kein Nachteil, sondern
eher ein Vorteil, weil jede Aufwärtsbewegung des Kurses die Chancen
der inländischen Produktion oder wenigstens die Lage der derzeitigen
inländischen Produzenten ungünstiger gestaltet, ohne in anderer
Weise eine hinreichende Entschädigung zu bieten. Man könnte aber
meinen, daß in diesem Falle daraus ein Nachteil entstehen möchte,
daß zu viel Gold zufließen bezw. daß zu viel ausländische Wechsel
zum Angebot kommen würden; daß infolgedessen zu viel Noten aus-
gegeben werden müßten und daß daraus eine ungesunde Inflation
entstände. Eine starke Vergrößerung der Notenausgabe würde frei-
lich veranlaßt werden. Wenn aber die damit eintretende Vergröße-
rung der Geldmenge nicht nötig wäre, um den durch die Reform
stimulierten Verkehr mit den erforderlichen Umlaufsmitteln und mit
dem erforderlichen Kapital zu versehen, so würde lediglich die Konse-
quenz eintreten, daß sich abnorm viel Geld bei den Banken sammelte
und der Diskont gedrückt würde. Sobald aber der Diskont des In-
landes unter das normale, dem Diskont des Auslandes entsprechende
Niveau herabgedrückt wäre, würden die Banken, um ihr Geld ge-
winnbringender zu beschäftigen, dasselbe in das Ausland bringen und
dazu unter Einreichung inländischer Wechsel Gold bezw. für in-
ländisches Geld ausländische Wechsel begehren. Infolgedessen würde
(eventuell bei Verfall der eingereichten inländischen Wechsel) eine
entsprechende Menge Noten zurückströmen und dadurch die in-
ländische Geldmenge wieder auf das normale, einerseits den wirt-
schaftlichen Verhältnissen im Inlande, andererseits dem Diskont und
der Geldmenge im Auslande angepaßte Maß reduziert werden. Die
Entwickelung würde genau so vor sich gehen, wie wenn eine effek-
tive Goldwährung bestände.
Andere Maßregeln als die Festsetzung der Mittellinie und die
Beschaffung einer hinreichenden Goldreserve sind zur Stabilisierung
des Kurses nicht erforderlich. Insbesondere bedarf es nicht etwa
noch einer Verminderung der Notenmenge, wie sie vielfach auch im
Falle einer „Devalvation“ des Geldes (die im Grunde ja auch hier
eintreten würde) für erforderlich gehalten wird. Weshalb sollte sie
erforderlich sein? Eine Beschränkung der Geldmenge im ganzen
könnte, zumal bei der zu erwartenden Ausdehnung des Verkehrs,
nur schaden. Was sollte aber eine Beschränkung speziell der Noten-
menge an Nutzen bringen? Die Noten würden ihren Dienst als Geld,
da sie das Vertrauen des Verkehrs besitzen und da dieses Vertrauen
durch die Herstellung eines stabilen Wechselkurses, sowie überhaupt
durch die Reformpolitik der Regierung noch gestärkt wird, ebenso
gut versehen wie Metallgeld. Das ist um so eher zu erwarten, als
49*
712 Otto Heyn,
mit der allmählichen Vergrößerung des Goldschatzes der Zentralbank,
die mit dem Import von Gold infolge des Zuflusses von Kapital aus
dem Auslande eintritt, die Noten noch an innerem Werte gewinnen.
Wenn die Einlösung eines Teiles der Noten in Gold erfolgen kann
und in Wirklickeit stattfindet, so ist das natürlich um so besser.
Es ist aber nicht notwendig und die dazu erforderlichen Millionen
können gespart werden. Das ist aber von großer Wichtigkeit, da in
der Regel nur beschränkte Mittel zur Verfügung stehen.
b) Die Größe der Gold- bezw. Wechselreserve. Be-
rücksichtigen wir zunächst lediglich die Verhältnisse des realen Ver-
kehrs — indem wir von den Operationen der Valutaspekulanten ab-
sehen —, so liegt es auf der Hand, daß die Gold- bezw. Wechsel-
reserve unter allen Umständen mindestens so groß sein muß, daß
sie auch bei ungünstiger Gestaltung des Verkehrs, z. B. bei einer
außergewöhnlichen Steigerung des Imports infolge von Mißernten
wie im Jahre 1899, genügt, um den Anforderungen in Betreff der
Umsetzung inländischen Geldes in ausländisches Geld zu !/,—1 Proz.
unter dem festgesetzten Mittelkurse, hier, um der Nachfrage nach
ausländischen Wechseln zu einem Kurse von 134 Pesetas für 100 fres.
in ihrem ganzen Umfange zu entsprechen. Ein so bemessener Be-
stand würde aber noch nicht ausreichen. Es ist weiter erforderlich,
daß die Reserve bei ihrer bestimmungsmäßigen Verwendung niemals
völlig erschöpft wird, sondern daß auch bei starken Anforderungen
des Verkehrs immer noch ein beachtenswerter Bestand bleibt. Im
anderen Falle würde leicht eine Panik entstehen, welche die Zurück-
ziehung ausländischen Kapitals aus Furcht vor einem bevorstehenden
Zusammenbruche des Systems mit der Folge des Sinkens des Kurses
veranlaßten, und dann würden so viel inländische Wechsel zur Ein-
lösung kommen bezw. so viel ausländische Wechsel begehrt werden,
daß es nun zur Unmöglichkeit würde, den festgesetzten Kurs auf-
rechtzuerhalten.
Diese Bedingungen sind nun leichter zu erfüllen, als es scheint.
Für Spanien würde dazu wahrscheinlich eine Reserve von etwa
300 Mill. Pesetas ausreichen. Beachtet man, wie wenig Gold z. B.
im Verkehr zwischen Deutschland und England hin- und herfielt
und genügt, um den Wechselkurs innerhalb der Goldpunkte zu halten,
so erscheint sogar ein solcher Betrag recht hoch. Die Verhältnisse
dieser Länder sind nun freilich nicht maßgebend. Es ist aber Tat-
sache, daß Rußland, dessen Verhältnisse eher mit denen Spaniens
verglichen werden können, trotz seines bedeutend größeren Auslands-
verkehrs in der ganzen Zeit von Februar 1893 bis März 1895, also
in 2 Jahren, nicht mehr als 71 Mill. Rubel (ca. 256 Mill. Pesetas)
zum Ankauf ausländischer Wechsel verwendet und für 73 Mill. Rubel
ausländische Wechsel abgegeben hat, um sein Ziel, die Stabilisierung
des Rubelkurses in der Höhe von 216 M. für 100 Rubel, zu erreichen ').
Nach diesem Vorgange ist anzunehmen, daß für Spanien eine Reserve
von 300 Mill. Pesetas vollauf genügen würde.
1) Engl. „Bimetallist‘“, 1900, S. 87 (nach einem Bericht von Raffalovich).
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 773
Bei dieser Annahme ist freilich vorausgesetzt, daß die politischen
Zustände in Spanien gesund bleiben, und daß weder auswärtige
Kriege noch innere Unruhen die wirtschaftliche Entwickelung des
Landes stören; daß ferner seitens der Regierung alles dasjenige ver-
mieden wird, was zu neuem Mißtrauen Veranlassung geben könnte;
daß vor allem — wozu dann auch keine Veranlassung mehr vor-
liegt und was jetzt schon gesetzlich verboten ist — die Vermehrung
der Notenmenge zu finanziellen Zwecken des Staates, die immer in
besonderem Maße Mißtrauen erweckt, unterbleibt. Außerdem müßte
die Bank von Spanien ihre jetzige selbständige Diskontpolitik auf-
geben und darauf bedacht sein, durch die Regulierung ihres Dis-
konts nach der Lage des internationalen Kapitalmarktes auf die
Kapitalbewegung zwischen Spanien und dem Auslande einen maß-
gebenden Einfluß auszuüben, wie auch die übrigen Zentralbanken,
abgesehen von der Bank von Frankreich, es tun. Bisher hat die
Bank von Spanien, wenigstens in den letzten Jahren, ihren Diskont
sehr niedrig, nämlich auf 3!/,—4 Proz., gehalten, ohne sich darum
zu kümmern, daß die Zentralbanken Deutschlands und Englands
ihren Diskont auf 4- 6 Proz. erhöhten. Das dürfte in Zukunft nicht
mehr geschehen. Die Bank von Spanien müßte vielmehr ihre Dis-
kontpolitik derjenigen der übrigen großen Zentralbanken anpassen
und durch rechtzeitige Erhöhung des Diskonts einerseits die zeit-
weilige Anlage inländischen Kapitals in ausländischen Wechseln ver-
hüten, andererseits ausländisches Kapital zu kurzfristiger Anlage
heranziehen, um dadurch einer vorzeitigen Erschöpfung ihrer Gold-
reserve infolge von Kapitalbewegungen vorzubeugen.
Absolut notwendig ist allerdings eine derartige Aenderung der
Diskontpolitik (die natürlich den Nachteil einer gewissen Verteuerung
des inländischen Kredits mit sich bringt) nicht. Eine zu starke In-
anspruchnahme der Gold- bezw. Wechselreserve könnte nämlich auch
dadurch verhütet werden, daß nach ihrer teilweisen Erschöpfung,
etwa nach Verwendung von einem Drittel oder der Hälfte ihres Be-
standes, für die Abgabe weiteren Goldes bezw. weiterer Auslands-
wechsel Prämien erhoben würden, wie die Bank von Frankreich es
tut. Ob das aber empfehlenswert sein würde, ist zum mindesten
zweifelhaft. Zunächst würde es nur auf Kosten der Stabilität des
Kurses geschehen können; denn der Kurs müßte bei der Erhebung
einer solchen Prämie, die ja nichts anderes wäre als ein neues Gold-
agio, sinken. Sodann würde es auf diese Weise lediglich möglich
sein, den Abfluß von Kapital zuhindern, nicht aber ausländisches
Kapital heranzuziehen, und das möchte, ganz besonders bei Spanien,
nicht immer genügen. Vor allem aber würde ein solches Verfahren
ehe zu Mißtrauen Veranlassung geben, so daß die Gefahr näher
läge, daß eine Panik entstände, der nach völliger Erschöpfung der Gold-
reserve ein Kurssturz folgen müßte, welcher das ganze Werk der
Stabilisierung des Kurses vernichtete. Vorsichtiger wäre es jeden-
falls, die Goldreserve durch die Anpassung der Diskontpolitik zu
schützen.
774 Otto Heyn,
Die Verhältnisse des realen Verkehrs, die wir bisher ins Auge
gefaßt haben, kommen nun freilich nicht allein in Betracht. Es sind
vielmehr außerdem noch die Operationen der Baissespekulanten
zu berücksichtigen, welche z. B. Rußland seinerzeit so viel zu schaffen
gemacht haben. Die Baissespekulation, welche natürlich hauptsächlich
dann eingreift, wenn die Verhältnisse schon an sich ungünstig liegen,
kann nämlich durch ihre Blankoabgaben den Kurs so stark drücken,
daß infolgedessen viel mehr Wechsel aus dem realen Verkehr zur
Einlösung kommen bezw. viel mehr ausländische Wechsel begehrt
werden, als es sonst geschehen wäre. Und die Baissespekulanten
operieren mit Millionen! Indessen, die Macht der Baissespekulanten
ist doch auch nicht zu überschätzen. Mit ihren Blankoabgaben
können sie die realen Verhältnisse nicht auf den Kopf stellen. Wird
der Einlösungskurs bezw. die Mittellinie richtig oder doch nicht zu
hoch gewählt, so können sie nur dann hoffen, einen Erfolg zu er-
zielen, wenn es ihnen gelingt, unter den Besitzern spanischer Anleihe
eine Panik hervorzurufen, welche diese veranlaßt, ihre Papiere nach
Spanien zurückzuverkaufen, und so eine ungünstige Kapitalbewegung
von bedeutendem Umfange herbeizuführen. Gelingt das nicht, so
müssen die realen Verhältnisse, speziell die spanischen Exporte, sehr
bald wieder zu einer solchen Nachfrage nach spanischen Wechseln
bezw. zu einem solchen Angebot ausländischer Wechsel führen, daß
der Kurs der Peseta wieder steigt und der Begehr von Gold- bezw.
von ausländischen Wechseln aus dem Bestande der Goldreserve auf-
hört. Dann werden die Baissiers zur Deckung gezwungen und dann
müssen gerade diese Deckungsoperationen noch in besonderem Male
dazu beitragen, den Kurs wieder zu heben und infolge des Ankaufs
inländischer Wechsel die Gold- bezw. Wechselreserve wieder zu füllen.
Die Gefahr einer Diskreditierung der spanischen Anleihen im Aus-
lande ist nun aber, sobald einmal die Stabilisierung des Kurses
unternommen ist, keineswegs besonders groß, weil die wirtschaftlichen
Verhältnisse Spaniens sich in diesem Falle bessern müssen. Der
Verbreitung unrichtiger Nachrichten aber kann durch eine gute
Statistik vorgebeugt werden. In dieser Beziehung ist also nicht viel
zu fürchten. Außerdem kommt in Betracht, daß eine Spekulation
in Wechseln viel weniger leicht möglich ist als eine Spekulation
in Noten, wie sie seinerzeit in russischen Noten in Berlin statt-
fand. Freilich könnte sich neben dem Wechselmarkte ein Noten-
markt etablieren, und eine Baisse der spanischen Noten würde natür-
lich auch den Kurs der spanischen Wechsel beeinflussen. Indessen,
für einen Notenmarkt neben dem Wechselmarkte wäre nach der
Stabilisierung des Kurses kein Bedürfnis vorhanden, weil kein reales
Interesse mehr bestände, Terminoperationen zur Deckung von Kurs-
risiken vorzunehmen. Deshalb würde er wahrscheinlich überhaupt
nicht entstehen. Wenn er aber entstände, so könnte man der daraus
resultierenden Gefahr durch Verbot oder durch Versagung der börsen-
mäßigen Abwickelung der Geschäfte (die im Auslande eventuell durch
Staatsvertrag erwirkt werden müßte) die Spitze abbrechen. Unter
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 775
allen Umständen müßte es Spanien ebenso gelingen, die von dieser
Seite drohenden Gefahren zu überwinden, wie es Rußland in der
Zeit vor der Einführung seiner Goldwährung, und zwar, wie wir ge-
sehen haben, ohne Aufwendung besonders großer Geldmittel, ge-
lungen ist. i
Trotz alledem würde es die Vorsicht gebieten, um auch gegen
Baisseangriffe gewappnet zu sein, die Gold- bezw. Wechselreserve
noch etwas höher als auf 300 Mill. Pesetas zu bemessen. Ein Be-
trag von 400 Mill. Pesetas sollte jedoch unter allen Umständen ge-
nügen. Rußland ist ja im stande gewesen, mit der oben erwähnten
Verwendung von 71 bezw. 73 Mill. Rubel in zwei Jahren auch der
Baissespekulation, die überdies in Berlin besonders mächtig war, die
Spitze zu bieten. Wenn Rußland im Jahre 1862 bei Aufwendung
des viel größeren Betrages von 15 Mill. £ — 500 Mill. Pesetas ein
Fiasko erlitten hat, so kann das hier nicht geltend gemacht werden.
Rußland wollte nämlich damals nicht lediglich den Rubelkurs in der
damaligen Höhe stabilisieren, sondern wollte den Kurs auf
Pari heben?), und das mußte mißlingen, weil die bestehenden wirt-
schaftlichen Verhältnisse den Parikurs nicht rechtfertigten. Würde
Rußland schon damals nichts anderes angestrebt haben, als die
Schwankungen zu beseitigen und den Kurs in einer der realen Ge-
staltung des Verkehrs entsprechenden Höhe festzulegen, wie es das
1893 tat, dann würde es seinen Zweck ohne Zweifel schon damals
erreicht haben, ebenso wie das im Jahre 1893 und in der Folgezeit
gelungen ist.
c) Kosten der Stabilisierung desKurses. Die Kosten
der hier vorgeschlagenen Stabilisierung des Kurses sind keines-
wegs bedeutend. 400 Mill. Pesetas würden, auf dem Anleihe-
wege beschafft, zumal wenn sie, wie es möglich wäre, erst nach
und nach angeliehen würden, nachdem das neue Projekt schon seinen
Einfluß auf den Kurs der spanischen Anleihen geäußert hätte,
wahrscheinlich nicht mehr als 4 Proz. Zinsen kosten. Diese Zins-
ausgabe würde aber noch zum größten Teil durch Aktivzinsen und
Kursgewinn wieder hereingebracht werden. Die zu beschaffende
Reserve würde nämlich, in Wechseln auf Goldwährungsländer an-
gelegt, vielleicht 2—3 Proz. Zinsen eintragen. Außerdem müßte
sich aber im normalen Laufe der Dinge daraus ein Gewinn ergeben,
daß die spanischen Wechsel unter Pari angekauft bezw. eingelöst
und über Pari wieder abgegeben würden bezw. daß die entsprechende
Operation mit ausländischen Wechseln vorgenommen würde. Dann
bliebe außer den Verwaltungskosten nur eine geringe Ausgabe als
Differenz zwischen dem Passivzinse und dem Aktivzinse nebst
Gewinn übrig. Vielleicht würde sich die ganze Summe der Kosten
per Saldo auf 1— 1?/, Proz., also auf 4 Mill. Pesetas per Jahr, stellen.
Diese Kosten sind aber minimal im Vergleich mit den Vorteilen der
1) Wagner, Russische Papierwährung, S. 132/133. v. Schulze-Gaevernitz, Volks-
wirtschaftliche Studien aus Rußland (1899), S. 528.
776 Otto Heyn,
Herstellung eines stabilen Kurses! Zugleich sind sie bedeutend,
nämlich um 14 bezw. 12 Mill. Pesetas per Jahr, geringer als die
Kosten, welche jetzt aufgewendet werden sollen, um den Versuch
der Wiederherstellung des Parikurses zu machen.
d) Die Gefahr des Mißlingens. Wenn aber der Versuch
der Stabilisierung des Kurses mißlingen sollte — was dann? In
diesem Falle könnten sich die Zustände im allgemeinen nicht un-
günstiger gestalten, als sie jetzt sind, oder vielmehr: als sie sich
gestalten würden, wenn jeder Versuch einer Stabilisierung des
Kurses oder einer Wiederherstellung des Parikurses unterbliebe.
Insofern würde also ein Schaden nicht entstehen. Der Aufwand des
Staates für die Gold- bezw. Wechselreserve wäre allerdings zunächst
vergeblich gewesen. Es wäre aber nicht etwa das aufgewandte
Kapital von 400 Mill. Pesetas verloren. Der Verlust würde viel-
mehr nur wenige Prozent betragen. Der Staat hätte ja dann in dem
Bestande seiner Goldreserve an Stelle des Goldes bezw. der aus-
ländischen Wechsel spanische Wechsel oder spanisches Geld und
diese würden lediglich um den Betrag der Zunahme des Goldagios
(minus 1 Proz.) weniger wert sein, als das dafür abgegebene Gold
oder die verkauften ausländischen Wechsel. Nehmen wir an, die
festgesetzte Mittellinie von 135 Pesetas per 100 Francs sei zu hoch
gewählt und der Kurs ginge nach der Erschöpfung der Gold- bezw.
Wechselreserve auf durchschnittlich 143 Pesetas für 100 Francs
zurück, oder es stiege das Agio von 35 auf 43 Proz., so würde der
Verlust, da das Gold ca. zu 136 Pesetas für 100 Francs (1 Proz.
über der Mittellinie) weggegeben wäre, 7 Pesetas für je 136 Pesetas,
also ca. 5 Proz. betragen. Bei einer Goldreserve von 400 Mill.
Pesetas wäre das ein einmaliger Verlust von 20 Mill. Pesetas —
während ein Mißlingen des Versuchs der Wiederherstellung des
Parikurses beinahe ebensoviel, nämlich 18 Mill. Pesetas, jährlich
kosten würde.
Ein Mißlingen könnte, wenn wir von den Fällen eines Krieges
oder innerer Unruhen (die einen starken Kapitalabfluß hervorrufen
würden) absehen, einen doppelten Grund haben. Zunächst könnte
der Grund lediglich in Baisseoperationen der Spekulation liegen.
Dann wäre der Beweis erbracht, daß die Goldreserve zu niedrig
bemessen ist, um diesen Angriffen zu trotzen, nichts weiter. Dann
würde es lediglich erforderlich sein, die Goldreserve zu verstärken.
Mit Rücksicht hierauf sollte der Regierung von vornherein die Er-
mächtigung erteilt werden, im Notfalle weitere Anleihen aufzu-
nehmen, um die Goldreserve, noch ehe sie vollständig erschöpft
wäre, wieder aufzufülen. Es könnte aber der Grund auch in den
realen Verhältnissen des Verkehrs liegen. In diesem Falle würde
sich gezeigt haben, daß Spanien nach dem Stande seines Auslands-
verkehrs nicht einmal in der Lage ist, auf der Basis das dem
jetzigen Goldagio entsprechenden niedrigen Kurses mit seinem Ex-
port und den sonstigen Leistungen seinen Import und seine Zins-
Schulden an das Ausland zu bezahlen. Es würde sich gezeigt
Kritische Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien. 777
haben, daß der „natürliche“, durch die Verhältnisse des realen Ver-
kehrs bedingte Kurs seiner Valuta noch tiefer liegt. Daraus würde
sich die Konsequenz ergeben, daß der Versuch der Stabilisierung
des Kurses auf niedrigem Niveau wiederholt werden müßte.
Schließlich müßte derselbe gelingen und dann würden sich, ohne
daß zugleich besondere Nachteile entständen, doch noch alle die-
jenigen Vorteile ergeben, welche für den Fall des Gelingens der
Stabilisierung des Kurses in seiner jetzigen Höhe oben näher dar-
gelegt sind. Es wäre ganz falsch, in einem solchen Falle den
Versuch überhaupt aufzugeben und die derzeitigen unsicheren Zu-
stände fortbestehen zu lassen. Dieser Fehler, der z. B. in Italien
gemacht ist, müßte unbedingt vermieden werden. Dann würde
eine Besserung der Verhältnisse im Vergleich mit der jetzigen Lage
unter allen Umstünden die Folge sein.
V. Sehluß.
Nach den Ergebnissen der vorstehenden Untersuchung muß es
im Interesse Spaniens dringend geboten erscheinen, das beschlossene
Reformprojekt noch jetzt zu ändern und statt der beabsichtigten
Beseitigung des bestehenden Agios und der Wiederherstellung des
Parikurses lediglich die Stabilisierung des jetzigen Kurses an-
zustreben. Zwingende Gründe, den Versuch der Wiederherstellung
des Parikurses zu unternehmen, liegen nicht vor. Eine dahin-
gehende Verpflichtung des Staates besteht nicht. Das Gelingen ist
aber höchst zweifelhaft. Die Kosten würden also wahrscheinlich
vergeblich aufgewendet werden. Vor allem aber würde selbst im
Falle des Gelingens nicht nur kein Vorteil, sondern Nachteil, und
zwar großer Nachteil entstehen. Die Konkurrenzfähigkeit der
spanischen Produzenten würde, wenigstens zunächst, geschwächt,
der Grund und Boden entwertet, die Grundbesitzer und viele Hypo-
thekengläubiger geschädigt, die derzeitigen Produzenten, wenigstens
teilweise, ruiniert werden. Der Staat würde auf der einen Seite
mit der Minderung des Aufwands für die Auslandsausgaben nur
wenig mehr ersparen als den Mehrbetrag von Zinsen, zu deren
Zahlung die neu aufzunehmenden Anleihen ihn verpflichteten, und
er würde auf der anderen Seite, wenigstens für lange Zeit — so
lange bis die Krisis überwunden wäre — und soweit Ertragssteuern
in Betracht kommen, dauernd einen Ausfall an Einnahmen
erleiden. Vor allem aber wäre mit der Herstellung des Parikurses
das Hauptübel jeder Papierwährung: das Schwanken des Wechsel-
kurses, nicht beseitigt.
Im Gegensatz hierzu würden durch die Stabilisierung des
Kurses in der jetzigen Höhe sofort günstige Verhältnisse geschaffen
werden. Die Bedingungen des Außenhandels, die für die spanischen
Produzenten, besonders die Exportproduzenten, jetzt so günstig sind,
würden nicht nur aufrechterhalten, sondern durch die Beseitigung
der Kursschwankungen und die Herstellung einer festen Basis für
778 Otto Heyn, Erörterung des Projekts der Beseitigung des Goldagios in Spanien.
den Auslandsverkehr, sowie durch den mit Sicherheit zu erwartenden
Zufluß ausländischen Kapitals noch verbessert werden. Die Ein-
nahmen des Staates würden erhöht, der Staatskredit mächtig
gehoben werden. Eine Krise würde nicht eintreten und die Pro-
sperität der Bevölkerung stetig zunehmen. An Stelle einer Ver-
mehrung der Zinsenlast um 18 Mill. Pesetas, welche den Versuch
der Wiederherstellung des Parikurses zur Folge hat, würden die
Kosten nur 4—6 Mill. Pesetas per Jahr betragen. Dagegen würde
allerdings der jetzige Mehraufwand für die Bestreitung aller Aus-
landsausgaben, welchen das Goldagio verursacht, bestehen bleiben.
Dieser Mehraufwand würde aber mindestens zur Hälfte schon
durch die Kostenersparnis gedeckt werden und für den Rest würde
die Steigerung der Einnahmen Ersatz bringen.
Man mag nun auch gegenüber dem Projekte einer Stabilisierung
des jetzigen Kurses noch Bedenken hegen und mag behaupten, daß
sich mit Rücksicht auf die verhältnismäßig große Verschuldung
Spaniens an das Ausland ein fester Kurs überhaupt nicht aufrecht
erhalten lasse. Es ist auch zuzugeben, daß unter sehr ungünstigen
Umständen, z. B. in Kriegszeiten, die Aufrechterhaltung des Kurses
wahrscheinlich unmöglich sein würde. Jedenfalls wird aber nicht
geleugnet werden können, daß Spanien in Anbetracht des Einflusses
der Höhe des Kurses auf die Produktion und die Handelsbilanz
vieleher im stande ist, den Kurs in der jetzigen Höhe
zu stabilisieren, als ihn auf Pari zu heben und ihn auf dem
Paristande, 25 Proz. höher als jetzt, zu halten. Wenn es schon
zweifelhaft wäre, ob die Stabilisierung des Kurses in der jetzigen
Höhe gelingen würde (was jedoch in Wirklichkeit, wenn nicht ganz
außerordentliche Verhältnisse eintreten, nicht zutrifft), so kann die
Wiederherstellung des Parikurses noch viel weniger gelingen.
Schon die Vorsicht muß daher gebieten, einstweilen nur das mindere
Ziel zu verfolgen. Damit wäre auch nichts vergeben; denn wenn es
gelungen ist, den Kurs in der jetzigen Höhe zu stabilisieren, so
kann später die Hebung desselben auf Pari, wenn eine solche dann
noch wünschenswert erscheinen sollte, immer noch versucht werden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 7179
Nachdruck verboten.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IL.
Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreich-Ungarns
im Jahre 1901.
Von Dr. phil. Felix Wissowa (Berlin).
I. Die für die Gesamtmonarchie geltenden Gesetze und Ver-
ordnungen.
Verordnung vom 13. März, betr. die Zollbehandlung von Ma-
schinen, Apparaten, Instrumenten und sonstigen Vorrichtungen
für elektrische Zwecke (R.G.B. 13. Stück No. 31 8.142).
1) Der Verzollung als Maschinen, bezw. Apparate unterliegen Dynamoma-
schinen und Elektromotoren samt den darauf anmontiert eingehenden Regulatoren
und Anlassern, ferner Transformatoren (mit Ausnahme jener für Meßzwecke) und
Spannungsteiler. Von den beiden letzteren sind die Gleichstromtransformatoren
wie Dynamomaschinen und zwar bei Vorhandensein der vorgeschriebenen Bedin-
gungen im vertragsmäßigen Verkehre zum Zollsatze von 5 fl. per 100 kg zu ver-
zollen, während Wechselstromtransformatoren und Spannungsteiler nach T. No. 287
zum Zollsatze von 8 fl. 50 kr. (vertragsmäßig mit 7 fl. 50 kr.) per 100 kg., bezw.
wenn aus mehr als 50 Proz. unedler Metalle bestehend, nach T. No. 256 zum Zoll-
satze von 15 fl. (vertragsmäßig 12 fl.) per 100 kg abzufertigen sind, sofern alle
diese ein Einzelngewicht von 20 kg oder mehr aufweisen.
2) und 8) zählt die nach Beschaffenheit des Materials bezw. als Instrumente der nach
T. No. 299b zu verzollenden Dynamomaschinen u. 8. w. im Einzelngewichte von weniger
als 20 kg, sowie die einzelnen Bestandteile von elektrischen Anlagen auf.
Verordnung vom 28. März, betr. die Nachweisung des Ur-
sprunges von serbischem Getreide bei der Einfuhr in das
ósterreichisch-ungarische Zollgebiet (R.G.B. 15. Stück No. 33 S. 145).
Das serbische zur Einfuhr bestimmte Getreide wird zu den im Handelsvertrag
vom 9. August 1892 festgesetzten Begünstigungszollsätzen nur abgefertigt, wenn die
Sendung mit der ämtlichen Plombe des k., k. Konsularorganes verschlossen ist, welches
das Ursprungszeugnis ausgestellt hat.
Verordnung vom 13. Juni, wegen Abänderung einiger Bestim-
mungen über die abgabefreie Verwendung von Branntwein
und Zucker zur Herstellung von Liqueur für die Ausfuhr über die
Zolllinie (R.G.B. 31. Stück No. 67 S. 219—228).
Verordnung vom 10. August, betr. de gänzliche Einlösung
der gemeinsamen schwebenden Schuld in Staatsnoten und
die Ausgabe von Banknoten zu 10 K. durch die Oesterreichisch-
Ungarische Bank (R.G.B. 53. Stück No. 123 S. 331—333).
Auf Grund der Verordnung vom 21. September 1899 betr. die günzliche Ein-
lósung der gemeinsamen schwebenden Schuld in Staatsnoten, wird über mit dem
780 Nationalökonomische Gesetzgebung.
ungarischen Finanzministerium getroffenes Einverständnis und im Einvernehmen
mit dem k. u. k. Reichsfinanzministerium die Einberufung und Einlösung der
Staatsnoten zu 5 fl. österreichische Währung . .. mit dem Datum vom 1. Jänner
1881 und der Staatsnoten zu 50 fl. österreichischer Währung . . . mit dem Datum
vom 1. Jänner 1884 . . . angeordnet.
Die allgemeine Verpflichtung zur Annahme dieser Staatsnoten erlischt am 28, Fe
bruar 1903; die Annahme derselben bei den Staatskassen wird bis zum $1. August
1908 erstreckt, worauf bis zum 81. August 1907 die Einlösung nur noch durch die
Oesterreichisch-Ungarische Bank und deren Filialen, sowie durch das k. E Landes-
zahlamt in Zara erfolgt; nach dem 31. August 1907 findet eine Einlösung dieser Noten
überhaupt nicht mehr statt.
Zum Ersatze der einzulösenden Staatsnoten im Gesamtbetrage von 224 Mill.K.
in der Zirkulation sind zufolge der Verordnung des k. k. Finanzministeriums vom
8. März 1900!) Silbermünzen m Kronenwührung zu 5 K. im Betrage von 64 Mill. K.
verausgabt worden. Zudem wird die Oesterreichisch-Ungarische Bank in Ausfüh-
rung der von der k. k. und der kgl. ung. Regierung mit derselben auf Grund der
kaiserlichen Verordnung vom 21. September 1899, betr. die Ausgabe von Bank-
noten zu 10 K. durch die Oesterreichisch-Ungarische Bank getroffenen Vereinba-
rungen, Banknoten zu 10 K. bis zum Höchstbetrage von 160 Mill. K. ausgeben.
Angeschlossen ist eine Kundmachung der Oesterreichisch-Ungarischen Bank rom
10. August 1901 und esne Beschreibung der Zehnkronenbanknote, welche die Firma
der Oesterreichisch-Ungarischen Bank und das Datum vom 81. März 1900 trägt.
Erlaß vom 2. September, betr. die Einziehung der Bank-
noten zu 10 fl. à. W. (R.G.B. 58. Stück No. 136 S. 350).
Letzter Einziehungstermin der genannten Banknoten ist der $1. August 1908,
worauf diese, aber nur noch bis zum 31. August 1909, noch bei den Hauptanstulten
der Oesterreichisch-Ungarischen Bank in Wien und Budapest im Wege der Verwechs-
lung angenommen werden.
Verordnung vom 25. Oktober, betr. die Anwendung der Be-
stimmungen des Zuckersteuergesetzes auf einige im Handel
unter der irrigen Bezeichnung „Dextrine“ vorkommenden Waren
(R.G.B. 76. Stück No. 169 S. 531).
Im Einvernehmen mit dem kgl. ungarischen Finanzministerium wird erklärt,
daß die im Handel unter der irreführenden Deklaration als „Dextrine‘ vorkommen-
den Waren, z. B. Brillantine etc., welche mit Rücksicht auf ihre Zusammensetzung
keine „Dextrine“, sondern Stärkezucker sind, unter die Bestimmungen des $ 1
Z. 2 des Zuckersteuergesetzes fallen.
Als Stärkezucker sind die oben angeführten Waren dann anzusehen, wenn sie
bei der Prüfung mit Fehlingscher Lösung mehr als 15 Proz. reduzierende Sub-
stanz ausgedrückt in Dextrose aufweisen.
Die Prüfung derartiger Waren auf ihren Zuckergehalt hat in der gleichen
Weise zu geschehen, wie dies mit der gleichzeitig verlautbarten Ministerialverord-
nung vom 25. Oktober 1901, betr. die Abänderung, bezw. Ergänzung mehrerer
Bestimmungen des alphabetischen Warenverzeichnisses zum Zolltarife *) vorgeschrie-
ben ist.
Erlaß vom 31. Oktober, betr. einige Abänderungen der auf die
Besteuerung von Zucker bezüglichen Vorschriften (RGB
80. Stück No. 180 S. 541).
Betrifft Erleichterungen bei Ueberreichung der im Z 14 des Zuckersteuergesetzes
vorgeschriebenen Schriftstücke, Zulassung des Kopierverfahrens, Führung mehrerer Ver-
schleißregister, Vereinfachung der Kontrolle bei Einlagerung unversteuerter Zucker-
erzeugnisse und Erhöhung des Maximalgewichtes der Zuckermuster.
1) Vergl. Jahrbücher f. Nutionalökon. u. Statistik 8. F. Bd. 22 (77) S. 854 —
2) Diese Verordnung (R.G.B. 1901 76. Stück No. 170 S. 531 f.) betrift Brillantine
und Stárkeqummi und enthält eine Instruktion zur Untersuchung von Dextrinen auf
den Zuckergehalt.
—À—
Nationalökonomische Gesetzgebung. 781
II. Die für die im Reichsrate vertretenen Kônigreiche und Länder
geltenden Gesetze und Verordnungen.
Verordnung vom 16. März, betr. die Schlußeinheiten der an
den inländischen Börsen (Wien, Prag und Triest) notierten
Effekten als Grundlage für die Bemessung der Effektenumsatzsteuer
(R.G.B. 12. Stück No. 28 S. 119—132; 149).
Enthält in den Anlagen A—C die Geschäftsbedingungen der Wiener, bezw. Prager
und Triester Börse über den einfachen Schluß der an diesen Börsen notierten Effekten.
Verordnung vom 20. März, betr. die Einführung eines neuen
Tarifes für die Gebühren der gerichtsärztlichen Sachver-
ständigen im Strafverfahren (R.G.B. 16. Stück No. 34 S. 147 —
149).
Ersetzt die Ministerialverordnung vom 17. Februar 1855.
Kundmachung vom 27. März, betr. die Errichtung einer Perma-
nenzkommission für die Handelswerte der Zwischenver-
kehrsstatistik im Handelsministerium (R.G.B. 14. Stück No. 32
S. 148 f£).
§ 1. Die k. k. Permanenzkommission für die Handelswerte der Zwischen-
verkehrsstatistik hat die Aufgabe, die Werte jener Verkehrsgegenstände, welche
den Gegenstand der Statistik des Warenverkehres zwischen den im Reichsrate ver-
tretenen Kónigreichen und Lündern und den Lündern der ungarischen Krone bilden,
jährlich zu erheben und festzustellen.
$ 3. Die Permanenzkommission besteht aus:
1) dem Präsidenten,
2) dem Stellvertreter desselben,
3) je zwei Vertretern der Ministerien des Handels, der Finanzen, des Acker-
baues und der Eisenbahnen,
4) zwei Vertretern der statistischen Zentralkommission,
5) einem Vertreter der Handels- und Gewerbekammer des Erzherzogtums
Oesterreich unter der Enns, sowie
6) aus einer nach Bedarf festzustellenden Anzahl anderer Mitglieder aus den
fachmännischen Kreisen der Industrie und des Handels, insbesondere der Handels-
und Gewerbekammern, sowie der Land- und Forstwirtschaft.
$ 4. Präsident der Kommission ist der Vorstand des k. k. Zwischenverkehrs-
statistischen Amtes im k. k. Handelsministerium.
Der Stellvertreter desselben wird vom Handelsminister ernannt.
Die Vertreter der Ministerien werden von den betreffenden Ministerien be-
rufen, jene der statistischen Zentralkommission und der Vertreter der niederöster-
reichischen Handels- und Gewerbekammer von diesen selbst bezeichnet.
Die fachmännischen Mitglieder der Kommission werden vom Handelsminister
auf die Dauer von 6 Jahren ernannt.
$ 10. Die Stelle eines Mitgliedes der Permanenzkommission ist ein Ehrenamt
und wird unentgeltlich ausgeübt.
Die vom Handelsminister aus fachmännischen Kreisen ernannten Mitglieder
gc das Recht, während ihrer Funktionsdauer den Titel „k. k. Kommerzialrat“
zu führen.
Verordnung vom 16. April, mit welcher der Punkt 6 der Verord-
nung des Ministeriums des Innern vom 17. Dezember 1894, betr. Be-
stimmungen über den Handverkauf in Apotheken, sowie über
die Herstellung und den Vertrieb der als pharmazeutische Spezialitäten
sich darstellenden arzeneilichen Erzeugnisse abgeändert wird (R.G.B.
19. Stück No. 40 S. 157).
782 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Bezweckt die Ueberwachung der Herstelluny und des Vertriebes pharmazeutischer
Erzeugnisse, weshalb die Apotheken verpflichtet werden, jedes neu hergestellte oder vom
Auslande übernommene Erzeugnis der politischen Behörde erster Instanz anzumelden.
Erlaß vom 14. Mai, betr. das Maß der Sicherstellung für
die richtige Einzahlung des Bonifikationsrückersatzes
bei der Zuckerausfuhr in der Betriebsperiode 1901/1902 (R.G.B.
23. Stück No. 54 S. 177.)
Auf Grund des $ 3 des V. Teiles der kaiserlichen Verordnung vom 17. Juli
1899 wird angeordnet, daß die einzelnen Erzeugungsstätten von Zucker der im
$ 1 Z. 1 des Zuckersteuergesetzes bezeichneten Art als Sicherstellung für die rich-
tige Einzahlung des allfällig zu leistenden Ausfuhrbonifikationsrückersatzes für
die Betriebsperiode 1901/1902 jenen Betrag zu leisten haben, welcher von den ein-
zelnen Zuckererzeugungsstätten als Ausfuhrbonifikationsrückersatz zu leisten wäre,
wenn die individuelle Verteilung des für die Betriebsperiode 1900/1901 auf die
Gesamtheit der Zuckererzeugungsstätten in den im Reichsrate vertretenen König-
reichen und Ländern voraussichtlich entfallenden Rückersatzes unter Zugrunde-
legung der Betriebsergebnisse der Betriebsperiode 1899/1900 nach Maßgabe der
Bestimmungen des V. Teiles der obbezogenen Verordnung vorgenommen würde,
Der in solcher Art ermittelte Sicherstellungsbetrag wird Zeg abgerundet, das
Beträge unter 50 K. auf 50 K., Beträge über 50 É auf 100 K. erhöht werden.
en einzelnen Zuckererzeugungsstätten werden die auf sie entfallenden Sicher-
de is re von den zuständigen Finanzbehörden erster Instanz bekannt gegeben
werden.
Für jene Zuckererzeugungsstätten, welche in der Betriebsperiode 1899 190
nicht im Betriebe waren, wird die fragliche Sicherstellung mit je 45 000 K. festgesetzt.
Verordnung vom 18. Mai, betr. das Uebereinkommen zwischen
der k. k. ósterreichischen und der fürstlich Liechtensteinschen
Regierung zum Zwecke der Vermeidung von Doppelbe-
steuerungen (R.G.B. 32. Stück No. 68 S. 229 f.)1).
Gesetz vom 2. Juni, betr. die Ausdehnung der zeitlichen Be-
freiung von der Hauszinssteuer für Umbauten, welche im Gebiete
der Stadtgemeinde Jägerndorf ibexw. Neutitschein, bexw. Klagenfurt) aus
öffentlichen Assanierungs- oder Verkehrsrücksichten vorgenommen werden
(R.G.B. 24. Stück No. 55 S. 179—186; No. 56 S. 187—190; No. 57
S. 191—190).
Drei Gesetze, durch welche die in den genannten Stadtgemeinden aus gesund-
heitspolizeilichen oder Verkehrsrücksichten innerhalb bestimmter Grenzen neu auj-
geführten Gebäude auf 18 Jahre von der Hauszinssteuer befreit werden.
Gesetz vom 3. Juni, betr. die Verwendung von Teilen der
Gebarungsüberschüsse der gemeinschaftlichen Waisen-
kassen (R.G.B. 26. Stück No. 62 S. 199).
$ 1. Die in Böhmen, Mähren, Schlesien, Oesterreich unter der Enns, Oester-
reich ob der Enns, Salzburg und in Galizien bestehenden gemeinschaftlichen Waisen-
kassen haben während der Jahre 1901 bis einschließlich 1910 alljährlich von der
Gesamtsumme iher Gebarungsüberschüsse, die sich bis zum Schlusse des jeweils
zweitvorausgegangenen Jahres nach den genehmigten Jahresausweisen ergeben, eine
Prozentualquote an die betr. Länder abzuführen. "
Der Prozentsatz dieser Quote hat '/, Proz. weniger zu betragen, als der bei
der Waisenkasse am Schlusse des Ausweisjahres vorschriftsmäßig bestandene Zins-
fuß. Von den hiernach sich ergebenden Beträgen ist jedoch ein Regiekostenbeitrag
von 2 Proz. in Abzug zu bringen und als Staatseinnahme zu verrechnen.
1) Die Bestimmungen des Uebereinkommens entsprechen im wesentlichen denen
des Staatsvertrages vom 21. ‚Juni 1899 zwischen Oesterreich und Preußen; vergl. Jahr-
bücher f. Nationalökon. u. Statistik, 3. F. Bd. 22 (77) S. 860.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 183
. 82. Die gemäß $1 den Ländern überwiesenen Beträge sind zur Pflege und
Erziehung armer Waisen bis zur Zurücklegung des 18. Lebensjahres, sowie ver-
wahrloster oder verlassener Kinder zu verwenden, wobei die Waisen von im Kriege
oder sonst in unmittelbarer Ausübung des Wehrdienstes um das Leben gekom-
menen Menem vorzugsweise Berücksichtigung zu finden haben . . .
$ 3. Sollte sich bei einer gemeinschaftlichen Dalscokazd ein durch deren
Reservefond nicht gedeckter Verlust ergeben, so ist der Fehlbetrag aus den Geba-
Va ae anderer gemeinschaftlicher Waisenkassen des betr. Landes zu
ecken
Verordnung vom 5. Juni, betr. die Abänderung der Vorschriften
über die Form und den Inhalt der in Gemäßheit des 8 29 des Ge-
setzes vom 28. Dezember 1887, betr. die Unfallversicherung der Arbeiter,
zu erstattenden Unfallsanzeigen (R.G.B. 29. Stück No. 65 S. 211
— 214).
Umänderung des durch die Verordnung vom 24. Januar 1889 bisher vorgeschrie-
benen Formulares für die Unfallsanzeige.
Gesetz vom 11. Juni, betr. den Bau von Wasserstraßen und
die Durchführung von Flußregulierungen (R.G.B. 30. Stück
No. 66 S. 215—218).
$ 1. Der Bau von Wasserstraßen, und zwar:
a) eines Schiffahrtekanales von der Donau zur Oder,
b) eines Schiffahrtskanales von der Donau zur Moldau nächst Budweis nebst
der Kanalisierung der Moldau von Budweis bis Prag,
c) eines Schiffahrtskanales vom Donau-Oderkanal zur mittleren Elbe nebst
Kanalisierung der Elbstrecke von Melnik bis Jaromét,
d) einer schiffbaren Verbindung vom Donau-Oderkanal zum Stromgebiete der
Weichsel und bis zu einer schiffbaren Strecke des Dniester
ist vom Staate auszuführen, wenn das Land, in dem einer der unter a bis d ge-
nannten Kanäle oder Kanalteile hergestellt werden soll, bezw. eine der oben an-
geführten zu kanalisierenden Flußstrecken sich befindet, sich verpflichtet die Zahlung
eines jährlichen Betrages zu leisten, der zur Verzinsung und Amortisierung eines
Achtels jener Obligationen hinreicht, welche zur Herstellung des betr. Kanales oder
Kanalteiles, bezw. zur Kanalisierung der betr. Flußstrecke (a bis d) emittiert werden.
Zu diesem Zwecke ist das Land berechtigt, die Interessenten heranzuziehen.
Die Beiträge der Länder sind nach Maßgabe der den Staat aus diesem An-
lasse treffenden Zahlungen zu leisten und haben aufzuhören, wenn die Einnahmen
des betr. Kanales nach Abzug der Erhaltungs- und Betriebskosten den zur Ver-
zinsung und Amortisierung des Normalanlagekapitales dieses Kanales erforderlichen
Betrag durch zwei aufeinander folgende Jahre überschritten haben.
84. Die Verwaltung der nach $ 1 dieses Gesetzes herzustellenden Wasser-
straßen, sowie die Festsetzung und Einhebung der Abgaben und Gebühren für die
EIER ie der Wasserstraßen und der dazu gehörigen Anlagen erfolgt durch den
taat.
Bei Feststellung dieser Abgaben und Gebühren ist auf den ausgiebigsten Schutz
der gesamten heimischen Produktion, insbesondere durch entsprechende tarifarische
Maßregeln, vollste Rücksicht zu nehmen.
§ 5. Behufs Sicherstellung der Regulierung derjenigen Flüsse in Böhmen,
Mähren, Schlesien, Galizien, Nieder- Oberösterreich, welche mit den im $ 1
enannten Kanälen, kanalisierten und in Kanalisierung begriffenen Flüssen ein ein-
Feitliches Gewässernetz bilden und, sei es wegen der Zufuhr von Wasser, sei es mit
Rücksicht auf die Geschiebebewegung für die in Betracht kommenden Wasser-
straßen besondere Bedeutung besitzen, sind die Verhandlungen mit den beteiligten
Königreichen und Ländern sofort einzuleiten, wobei für die finanziellen Leistungen
der Königreiche und Länder die bei solchen Maßnahmen bisher üblichen Gesichts-
punkte Anwendung zu finden haben. Die Regulierung dieser Flüsse muß spätestens
gleichzeitig mit dem Bau der Kanäle (8 1 Abs. 1) in Angriff genommen werden.
Für alle übrigen Wasserläufe in den im Reichsrate vertretenen Königreichen
784 Nationalökonomische Gesetzgebung.
g darstellt,
und Ländern, hinsichtlich welcher sich eine Regulierung als notwendi
orarbeiten
ist dieselbe tunlichst rasch vorzubereiten und sobald die entsprechenden V
vorliegen, ehestens in Angriff zu nehmen.
ie behufs Durchführung solcher Regulierungen erforderliche Erhöhung de
jährlichen Staatsbeitrages für den Meliorationsfond ist durch ein besonderes Gesetz
festzustellen.
Die Einstellung von Dotationen für Wasserbauten in die jeweiligen Staats-
voranschläge bleibt Tiordusch unberührt.
8 6. Der Bau der in $ 1 bezeichneten Wasserstraßen, hinsichtlich welcher
seitens der Vertretungen der betr. Länder zustimmende Beschlüsse im Sinne des
$ 1 gefaßt worden sind, hat längstens im Jahre 1904 zu beginnen.
Die erforderlichen Vorarbeiten sind derart rechtzeitig durchzuführen, daß
dieser Zeitpunkt eingehalten und der Bau längstens binnen 20 Jahren vollendet
werden kann.
$ 8. Die Kosten der Herstellung der im $ 1 bezeichneten Wasserstraßen
und der nach $ 5 Abs. 1 durchzuführenden Flußregulierungen sind erforderlichen-
falls, soweit diese Kosten nicht durch die Leistungen der Länder oder sonstiger
Interessenten, bezw. aus dem Meliorationsfonde gedeckt werden, durch eine mit
höchstens 4 Proz. steuerfrei zu verzinsende, auf Kronenwährung lautende, in
90 Jahren zu tilgende Anleihe zu beschaffen.
Die Regierung wird ermächtigt, von dieser Anleihe in der Bauperiode 1904
bis Ende 1912 einen Maximalbetrag von 250 Mill. K. Nominale auszugeben. Der
hieraus erzielte Erlös darf nur zur Deckung der Herstellungskosten der im $ 1
bezeichneten Wasserstraßen und der im $ 5 Abs. 1 vorgesehenen Regulierungen
verwendet werden.
Von dem Anlehenserlöse ist ein Betrag im Höchstausmaße von 75 Mill. K.
für die erwähnten Regulierungen zu widmen ...
Gesetz vom 18. Juni, betr, Gebüren von Vermógensüber-
tragungen (R.G.B. 34. Stück No. 74 S. 235—239); dazu: Verord-
nung vom 21. Juni ebd., 35. Stück No. 75 S. 241—247).
8 1. Für die Uebertragung des Eigentumes unbeweglicher Sachen sind unbe-
schadet der vom reinen Werte einer Schenkung oder einer Vermögensübertragung
von Todes wegen entfallenden Gebühren folgende Gebühren zu entrichten:
1. Wenn die Uebertragung erfolgt
von Eltern an eheliche und uncheliche Kinder oder deren Nachkommen und
umgekehrt ; 3
von Eltern an die mit ihren Kindern die Ehe eingehenden oder durch dieselbe
schon verbundenen Personen ; -
von Stiefeltern an Stiefkinder und von Wahleltern an Wahlkinder;
zwischen weder geschiedenen noch getrennten Ehegatten ;
zwischen Brautleuten durch Ehepakte,
ohne Unterschied, ob es sich um eine Uebertragung von Todes wegen oder durch
ein entgeltliches oder unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden handelt:
a) bei einem Werte von nicht mehr als 30 000 K. 1 Proz.
b) bei einem Werte über 30000 K. V. Proz. von dem Werte;
2. wenn die Uebertragung an andere als die unter Z. 1 bezeichneten Personen
von atos wegen oder durch ein unentgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden
erfolgt :
a) bei einem Werte von nicht mehr als 20000 K. 1'/, Proz.
b) bei einem Werte über 20 000 K. 2 Proz. von dem Werte;
3. wenn die Uebertragung an andere als die unter Z. 1 bezeichneten Personen
durch ein entgeltliches Rechtsgeschäft unter Lebenden erfolgt:
a) bei einem Werte von nicht mehr als 10000 K. 3 Proz.
b) bei einem Werte über 10000 bis 40000 K. 3'/, Proz.
€) bei einem Werte über 40000 K. 4 Proz.
von dem Werte .
. 82. Bildet der Gegenstand der Uebertragung ein vom Eigentümer ganz oder
teilweise benütztes Gebäude oder eine der Landwirtschaft gewidmete, vom Eigentümer,
bezw. dessen Familie selbst, mit oder ohne Beihilfe von Dienstboten oder Taglóhnern
Nationalökonomische Gesetzgebung. 785
bearbeitete oder eine solche Liegenschaft, die nur deshalb auf die gedachte Art nicht
bearbeitet wird, weil dieselbe in Exekution gezogen wurde, oder der Eigentümer
unter Vormundschaft oder Kuratel steht, so ist in folgenden Füllen . . . zu ent-
richten:
s l. Wenn die Uebertragung an eine der im 8 1 Z. 1 bezeichneten Personen
erfolgt:
a) bei einem Werte von nicht mehr als 5000 K. keine Immobiliargebühr,
b) bei einem Werte über 5000 K., jedoch nicht mehr als 10000 K., '/, Proz.
von dem Werte, ;
2. Wenn die Uebertragung an andere, als die in 81 Z. 1 bezeichneten Personen
erfolgt, welche die unbewegliche Sache gleichfalls auf die obengedachte Art be-
nützen:
a) bei einem Werte von nicht mehr als 5000 K. die Hälfte,
b) bei einem Werte über 5000 K., jedoch nicht mehr als 10000 K. ‘/, der im
$ 1. Z. 2 und 3 festgesetzten Gebührensätze.
Die 22 8—9 enthalten noch einige nebensächliche Bestimmungen, die 82 11—17
Bestimmungen über das Verfahren zur Sicherung von Gebühren.
Gesetz vom 23. Juni, betr. die Forterhebung der Steuern
und Abgaben, sowie die Bestreitung des Staatsaufwandes in der
Zeit vom 1. Juli bis Ende Dezember 1901 (R.G.B. 37. Stück No. 78
S. 251—272).
Gesetz vom 26. Juni, womit Bestimmungen der Renten-
steuer abgeändert werden (R.G.B. 30. Stück No. 80 S. 275).
Art. I. In teilweiser Abänderung des $ 131, lit. d des Gesetzes vom 25. Oktober
1896, betr. die direkten Personalsteuern, wird bestimmt, daß die Zinsen von Pfand-
briefen und von den auf Grund von re Darlehen emittierten Obligationen
der Landeskreditinstitute, einschließlich des Galizischen Bodenkreditvereines, sowie
der Pfandbriefanstalten der Sparkassen, einschließlich der in Bildung begriffenen
Zentralbank der deutschen Sparkassen in Prag und einer auf gleichartiger Grundlage
zu errichtenden Zentralbank der böhmischen Sparkassen in Prag einer Rentensteuer
von !/, Proz. unterliegen.
erselben Steuer unterliegen die von dem k. k. privilegierten österreichischen
Kreditinstitute für Verkehrsunternehmungen und öffentliche Arbeiten emittierten
Teilschuldverschreibungen.
Gesetz vom 27. Juni, womit bezüglich der beim Kohlenberg-
baue in der Grube beschäftigten Arbeiter das Gesetz vom 21. Juni
1884 über die Beschäftigung von jugendlichen Arbeitern und
Frauenspersonen, dann über die tägliche Arbeitsdauer und die
Sonntagsruhe beim Bergbaue, abgeändert wird (R.G.B. 40. Stück
No. 81 S. 277 f.).
Art. I. Der § 3 des Gesetzes vom 21. Juni 1884 tritt bezüglich der beim
Kohlenbergbaue in der Grube beschäftigten Arbeiter in seiner gegenwärtigen Fassung
außer Kraft und hat zu lauten, wie folgt:
$ 3. Die Schichtdauer für die beim Kohlenbergbaue in der Grube beschäftigten
Arbeiter darf 9 Stunden nicht übersteigen.
Der Beginn der Schicht wird nach der Zeit der Einfahrt, ihre Beendigung
nach der vollendeten Ausfahrt berechnet.
Die aus der Natur des Betriebes sich ergebenden, sowie die sonstigen Ruhe-
pausen sind in die Schichtdauer einzurechnen, ausgenommen, wenn solche über
Tag zugebracht werden, in welchem Falle auch die zur bezüglichen Aus- und
Wiedereinfahrt erforderliche Zeit in die Schichtdauer nicht einzurechnen ist.
Ausnahmsweise kann auch eine längere als die mit diesem Gesetze festgesetzte
Schichtdauer bis zum Ausmaße von 12 Stunden mit einer 10 Stunden täglich nicht
übersteigenden wirklichen Arbeitszeit gestattet werden, wenn bei dem betr. Berg-
bau zur Zeit der Kundmachung dieses Gesetzes eine längere Schichtdauer bereits
bestanden hat und die Einführung der neunstündigen Schichtdauer oder eine Ab-
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 50
786 Nationalökonomische Gesetzgebung.
kürzung der bisherigen Schichtdauer überhaupt, im Hinblick auf die obwaltenden
betriebstechnischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse die Aufrechthaltung des Be-
triebes unmöglich machen oder gefährden würde...
Ferner kann der Ackerbauminister für hochgelegene Kohlenbergbaue der
Alpenländer Ausnahmen von der im ersten Absatze bestimmten täglichen Schicht-
dauer mit der Maßgabe bewilligen, daß die Gesamtdauer der von einem
anal in einer Woche verfahrenen Schichten nicht über 54 Stunden betragen
darf...
Gesetz vom 30. Juni, womit das Gesetz vom 29. Juni 1868, betr.
die Organisierung der Handels- und Gewerbekammern,
teilweise abgeändert wird (R.G.B. 45. Stück No. 103 S. 299).
Gesetz vom 1. Juli, betr. die im Jahre 1901 sicherzustellenden
Bahnen niederer Ordnung (R.G.B. 42. Stück No. 85 S. 287—286).
Gesetz vom 3. Juli, betr. die Veräußerung und Belastung
von Objekten des unbeweglichen Staatseigentumes,
welche sich in der Benützung der Heeresverwaltung befinden (R.G.B.
44. Stück No. 96 S. 295.)
Art. I. Mein Finanzminister wird ermächtigt, in der Benützung der Heeres-
verwaltung befindliche, für dieselbe entbehrlich werdende Objekte des unbeweglichen
Staatseigentumes, deren Schätzwert für jedes einzelne Objekt den Betrag von
50000 K. nicht übersteigt, während der Jahre 1901, 1902 und 1903 bis zum Ge-
samtwerte von 1000000 K. an veräußern und den Erlös zum Zwecke der Ersatz-
beschaffung der Heeresverwaltung zur Verfügung zu stellen. J
Art. II. Ebenso ist Mein Finanzminister ermächtigt, während der Jahre 1901,
1902 und 1903 die Belastung von Objekten des unbeweglichen Staatseigentumes,
welche sich in der Benützung der Heeresverwaltung befinden, mit Dienstbarkeiten
zu gestatten, wenn die Wertverminderung des zu belastenden Objektes oder der
Wert des einzuräumenden Rechtes in jedem einzelnen Falle den Betrag von
50000 K. nicht übersteigt. Der Gesamtwert der in den Jahren 1901, 1902 und
1903 in dieser Weise einzuriumenden Dienstbarkeiten darf den Betrag von 600 000 K.
nieht übersteigen.
Gesetz vom 8. Juli, betr. die Erhöhung der Branntwein-
abgabe und die Zuwendung eines Teiles des Ertrages dieser Abgabe
an die Landesfonde der im Reichsrate vertretenen Königreiche und
Länder (R.G.B. 43. Stück No. 86 S. 287—289; dazu Erlaß vom 13. Juli,
ebd. 46. Stück No. 105 S. 303—310, ferner Erlab vom 16. August,
betr. das Ausmaß der Branntweinabgabe, welche für die über die Zoll-
linie eingeführten gebrannten geistigen Flüssigkeiten zu entrichten ist
(ebd, 54. Stück No. 125 S. 335) und Verordnung vom 16. August,
betr. die Erhóhung des Zollzuschlages bei der Einfuhr von Artikeln,
welche einen Zusatz von Alkohol enthalten oder zu deren Herstellung
Alkohol verwendet wird (ebd. No. 126 S. 335 f), endlich Erlaß vom
17. August, ebd. N. 127 S. 337.)
Art. I. Das im $ 2a des Gesetzes über die Branntweinbesteuerung vom 20. Juni
1888 festgesetzte Ausmaß der Branntweinabgabe wird erhöht und zwar jenes der
Produktionsabgabe von 70 h auf 90 h, jenes des niedrigeren Satzes der Konsum-
abgabe von 70 h auf 90 h und jenes des höheren Satzes der Konsumabgabe von
90 h auf 1 K 10 h für jeden Hektolitergrad (Liter) Alkohol. a
ee SEH wird die Abgaberückvergütung für den über die Zolllinie
ausgeführten Branntwein, auf dem die Abgabe nicht haftet, mit 45 h per Liter
Alkohol geleistet und ist sowohl der Bemessung des Alkoholpauschales im
Falle der Pauschalierung nach der Leistungsfähigkeit der Brennvorrichtung
als auch der Strafbemessung der um 20 h erhöhte Abgabesatz zu Grunde zu legen.
Art. II. Die in den freien Verkehr übergegangenen gebrannten geistigen
Nationalökonomische Gesetzgebung. 787
Flüssigkeiten, welehe am 1. September 1901 im Geltungsgebiete des gegenwärtigen
Gesetzes vorhanden sind, sowie jene, welche in den Ländern der ungarischen Krone
und in Bosnien und der Herzegowina in der Zeit vor dem 1. September 1901 an
Empfänger im Geltungsgebiete des he Gesetzes verwendet werden, jedoch
erst nach dem 1. September in diesem Gebiete einlangen, unterliegen einer
Nachsteuer von 20 h per Liter Alkohol, auf welche die für die Konsumabgabe
geltenden Bestimmungen sinngemäße Anwendung finden.
Befreit von dieser Nachsteuer bleiben:
1. Gebrannte geistige Flüssigkeiten im Besitze von Gewerbetreibenden, welche
den Verkehr mit gebrannten geistigen Flüssigkeiten vermitteln (Ausschank, Ver-
schleiß, Kleinhandel u. s. w.) in Mengen von nicht mehr als 10 1, im Besitze
von anderen Haushaltungsgegenständen in Mengen von nicht mehr als 51 Alkohol.
2. Branntwein, welchem schon kraft der bisherigen Bestimmungen die Be-
freiung von der staatlichen Branntweinabgabe zukommt . , .
Art. III. In der Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 1909 wird den
Landesfonden der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder mit dem
sub B vorgesehenen Vorbehalte aus dem Bruttoertrage der Branntweinabgabe
(Produktions- und Konsumabgabe) abzüglich der Gefällsrückgaben und Restitutionen
jene Summe überwiesen, welche auf din Teilbetrag von 20 h der mit Art. I des
gegenwärtigen Gesetzes festgesetzten Abgabesätze entfällt.
` Mit demselben Vorbehalte (B) wird den Landesfonden der im Reichsrate ver-
tretenen Königreiche und Länder der Reinertrag der kraft Art. II des gegen wärtigen
Gesetzes einzuhebenden Nachsteuer überwiesen . . .
Die jeweilig ermittelten Ueberweisungsbetrüge werden an die einzelnen Landes-
tonde zunächst nach folgendem Prozentualschlüssel verteilt :
Böhmen erhält 18,8078 Proz., Dalmatien 0,5259, Galizien 28,8423, Oesterreich u.
d. E. 10,7662, Oesterreich ob d. E 0,9152, Salzburg 0,5682, Steiermark 4,6875.
Kärnten 3,0208, Krain 4,5253, Bukowina 3,1488, Mähren 15,7818, Schlesien 5,3087,
Tirol 2,2796, Vorarlberg 0,2065, Istrien 0,3217, Görz und Gradiska 0,3238, Triest
0,4699 Proz. . . .
B. Der Anspruch auf die im vorstehenden geregelte Anteilnahme an dem
Ertrage der Branntweinabgabe oder auf die gemäß Art. IV des gegenwärtigen
Gesetzes eventuell an Stelle dieser Anteilnahme tretende Zuwendung wird auf jene
Länder beschränkt, in welchen während des im Eingange dieses Artikels bezeichneten
Zeitraums wie immer benannten Landesauflagen auf gebrannte geistige Flüssig-
keiten nicht eingehoben werden ...
Verordnung vom 11. Juli, womit . . . die im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder in 24 Aufsichtsbezirke für die Amts-
handlungen der Gewerbeinspektoren eingeteilt werden (R.G.B.
45. Stück No. 104 S. 300 f.)
Statt der bisherigen 21') Aufsichtsbezirke werden 24 gebildet; die 3 neu hinzu-
gekommenen Sitze der Gewerbeinspektion sind Trient, Pardubitz und ein zweiter
in Prag.
Verordnung vom 1. Juli, mit welcher in Vollziehung des Art. X,
Z. 3 des Gesetzes vom 25. Oktober 1896 für das Jahr 1901 die Höhe
des Nachlasses an der Grund- und Gebäudesteuer, ferner die
Erwerbssteuer-Hauptsumme und der Steuerfuß für die der
öffentlichen Rechnungslegung unterworfenen, im $ 100
Abs. 1 und 5 des zitierten Gesetzes bezeichneten Unternehmungen
festgesetzt wird (R.G.B. 47. Stück No. 106 S. 311f.).
In Ausführung der Art. IV bis X des Gesetzes vom 25. Oktober 1896, betr.
die direkten Personalsteuern wird für das Jahr 1901 der Nachlaß an der Grund-
steuer mit 15 Proz. und an der Gebáudesteuer, mit Ausnahme der fünfproz. Steuer
vom Ertrage zeitlich steuerfreier Gebäude mit 12'/, Proz. festgesetzt.
d Siehe Jahrbücher f. Nationalók. u. Statistik III F. Bd. 22 (77). S. 861.
50*
788 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die individuelle Aufteilung des Steuernachlasses für das Jahr 1901 erfolgt
nach den Bestimmungen der Finanzialministerialverordnung vom 15. Dezember
1897, R.G.Bl. No. 297.
Der Nachlaß an der allgemeinen Erwerbsteuer wird für das Jahr 1901 mit 25 Proz.
jenes Betrages festgesetzt, welchen die dieser Steuer unterworfenen Erwerbsgat-
tungen nach den früheren Steuergesetzen für das Jahr 1898 voraussichtlich zu
entrichten gehabt hätten; somit wird die im Sinne des $ 11 des Gesetzes vom
25. Oktober 1596, für die Veranlagungsperiode 1900—1901 mit 35 518832 K. fest-
esetzte Erwerbsteuerhauptsumme gemäß der Bestimmungen des Art. IX, Z. 3
fi. a des vorbezogenen Gesetzes für das Jahr 1901 — gleichwie in der hierortigen
Verordnung vom 18. Juni 1900 für das Jahr 1900 —!) auf den Betrag von
34 923 952 k. ermäßigt.
Die Verteilung der den erhöhten Nachlaß der allgemeinen Erwerbsteuer dar-
stellenden Ermäßigung der Erwerbsteuerhauptsumme für das zweite Jahr der
Veranlagungsperiode 1900—1901 erfolgt durch proportionelle Verminderung der
Gesellschaftskontingente aller Steuerklassen. Die hieraus hervorgehenden Kontin-
gentsüberschreitungen sind bei der nächstjährigen Repartition der allgemeinen
Erwerbsteuer auszugleichen.
Der Steuerfuß der im $ 100 Abs. 1 und 5 des zitierten Gesetzes bezeichneten,
zur Öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten Unternehmungen wird für das
Jahr 1901 mit 10,05 Proz. des steuerpflichtigen Ertrages festgesetzt; soweit die
Vorschreibung für dieses Jahr noch unter Anwendung des 10'/,-proz. Steuerfußes
durchgeführt worden ist, erfolgt die Abschreibung des Mehrbetrages von amts-
wegen. Ueber Wunsch der Parteien ist dieser Nachlaß nach erfolgter Durchtüh-
rung seitens der Steuerämter auch in den Zahlungsaufträgen nachträglich ersicht-
lich zu machen.
Kundmachung vom 3. August, womit nachträgliche Bestimmungen zur
Aichordnung vom 19. Dezember 1872 veröffentlicht werden (R.G.B.
60. Stück No. 38 S. 447 f).
Verordnung vom 21. September, betr. die Erhöhung der An-
meldegebühr für Patente (R.G.B. 70. Stück No. 158 S. 505).
Die Anmeldegebühr für Patente wird vom 1. Januar 1902 von 20 K. auf 30 K.
erhöht.
Gesetz vom 27. September, mit welchem... die Dienstverhilt-
nisse der bei der staatlichen Veterinärverwaltung in Verwen-
dung stehenden Amtstierärzte einer neuen Regelung unterzogen
werden (R.G.B. 64. Stück No. 148 S. 483—485).
Die Amtstierärzte der staatlichen Veterinärverwaltung müssen außer dem (dt
zeugnisse eines Gymnasiums oder einer Realschule die Promotion zum Tierarzte und
die tierärztliche mit Erfolg bestandene Physikatsprüfung nachweisen ; sie stufen sich ab
in Veterinärassistenten, Bezirkstierärzte, Bezirksobertierärzte, Veterinärinspektoren, Landrs-
veterinärreferenten und Ministerial- Veterinärreferenten.
Verordnung vom 27. September, betr. die Herabsetzung der
Höhe der Stammeinlage im Anweisungs- (Scheck- und
Clearing-)Verkehre des Postsparkassenamtes (R.G.B. %2.
Stück No. 162 S. 511).
Die Stammeinlage im Anweisungsverkehre des Postsparkassenamtes wird auf 100 K.
festgesetzt.
Verordnung vom 11. Oktober, betr. die Errichtung einer k. k.
Direktion für den Bau der Wasserstraßen und die Bestel-
lung des Wasserstraßenbeirates (R.G.B. 72. Stück No. 163
S. 511—513).
1) S. Jahrbücher f Nationalök. u. Stat. a. a. O. S. 859.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 789
Für die nach dem Gesetze vom 11. Juni 1901 (s. oben S. 783) auszuführenden
Wasserstraßen wird im Handelsministerium eine, aus einer technischen und einer ad-
ministrativen Abteilung bestehende „Direktion für den Bau der Wasserstraßen‘ errichtet,
sowie durch den Handelsminister ein Wasserstraßenbeirat berufen, welcher sich aus 20
durch die Landesausschüsse der an dem Baue der Wasserstraßen beteiligten Länder
ernannten Mitgliedern, ferner aus 20 vom Handelsminister ernannten Mitgliedern und
den Gewerbeinspektoren zusammengesetzt. Die Funktionen der Mitglieder erfolgen im
Ehrenamte.
Erlaß vom 24. Oktober, mit dem IV. Nachtrage zur Vollzugs-
vorschrift zum II. Hauptstücke des Gesetzes vom 25. Oktober 1896,
betr. die direkten Personalsteuern (R.G.B. 75. Stück No. 168
S. 529).
Enthält Aenderungen der Artikel 16, 18 und 19.
Kundmachung vom 31. Oktober, betr. die Errichtung einer
landwirtschaftlich-bakteriologischen und Pflanzen-
schutzstation in Wien (R.G.B. 80. Stück No. 181 S. 542 f).
Die neu errichtete Station soll sich das Studium der für die landwirtschaftlichen
Kulturen. schädlichen Mikroorganismen und deren Bekämpfung zur Aufgabe machen ;
das Personul wird vom Ackerbauministerium ernannt.
Verordnung vom 14. November, betr. die Herstellung von
Calcium-Karbid und Acetylen, sowie den Verkehr mit diesen
Stoffen (R.G.B. 82. Stück No. 184 S. 549—554).
Die Bestimmungen bezwecken die Verhütung von Feuersgefahr.
Gesetz vom 4. Dezember, betr. die Gewährung von Unter-
stützungen aus Staatsmitteln zur Linderung, bezw. Abwehr
des Notstandes (R.G.B. 89. Stück No. 202 S. 621).
Der alljährlich für diese Zwecke ausgeworfene Betrag wird in diesem Jahre auf
3 Mill. K. festgesetzt, welche teils als nicht zurückzuzahlende Unterstützungen zum
Ankauf von Lebensmitteln, Saatgut, Viehfutter u. dgl., teils als unverzinsliche, spätestens
zum 1. Januar 1925 ratenweise zurückzuzahlende Vorschüsse verwendet werden sollen.
Verordnung vom 7. Dezember, mit welcher... sicherheitspoli-
zeiliche Bestimmungen, betr. den Detailverkauf der Cellu-
loidgegenstände, die Aufbewahrung von Celluloid und Celluloid-
artikeln und den Transport dieser Gegenstände erlassen werden (R.G.B.
96, Stück No. 217 S. 663).
Gesetz vom 22. Dezember, betr. die Forterhebung der Steuern
und Abgaben, sowie die Bestreitung des Staatsaufwandes in der Zeit
vom 1. Jänner bis Ende März 1902, dann die Verfassung des Zentral-
rechnungsabschlusses für den Staatshaushalt der im Reichsrate vertre-
tenen Königreiche und Länder für das Jahr 1901, sowie die Weiter-
verwendung von der Gebarungsperiode 1901 angehörenden Beträgen
bis Ende März 1902 (R.G.B. 94. Stück No. 210 S. 634—658).
III. Die für die Lünder der ungarischen Krone geltenden Gesetze.
VIII. Gesetzartikel vom Jahre 1901, sanktioniert am 5. Juni 1901,
über die staatlichen Kinderasyle (Ges.-S. S. 169—172).
$ 1. Zum Schutze der gefundenen, sowie der behórdlich für verlassen er-
klürten Kinder unter 7 Jahren werden in der Haupt- und Residenzstadt Budapest
und Ha verschiedenen Gegenden des Landes staatliche Kinderasyle (Findelanstalten)
errichtet . ..
$ 2. Innerhalb der staatlichen Kinderasyle finden nur die kranken, schwach
790 Nationalökonomische Gesetzgebung.
entwickelten und die einer besonderen Pflege und ärztlichen Fürsorge bedürftigen
Kinder Unterkunft; die übrigen Kinder werden in der Regel außerhalb der An-
stalten zugebracht.
$3. Betrifft den den Kindern zu erteilenden Volksschulunterricht.
$ 4. Zur Deckung der Bau- und Instruktionskosten des Budapester staat-
lichen Kinderasyls dient der aus dem Stefan Sändorschen Legat entstandene und
unter der Autsicht des Ministers des Innern befindliche „Geburts- und Findel-
hausfond“.
Die das Vermögens dieses Fonds event. überschreitenden Kosten, sowie die
Bau- und Instruktionskosten der staatlichen Kinderasyle in der Provinz aber sind
mit Benutzung des in der Jahresschlußrechnung pro 1599 ausgewiesenen Vermögens
des gleichfalls der Aufsicht des Ministers des eeh unterstehenden Verwaltungs-,
ae und Schubhausfonds“, ferner des Landeskrankenverpflegsfonds“ zu
ecken . ..
$ 5. Die Erhaltungskosten der staatlichen Kinderasyle, sowie die Kosten für
die Obsorge, Verpflegung und Erziehung der in diesen Asylen und der durch
Vermittelung derselben untergebrachten Kinder werden im Sinne des Punkt d)
$3 des Ges.-Art. XXI vom Jahre 1599 '), vom Landeskrankenverpflegsfonds gedeckt.
XIII. Gesetzartikel vom Jahre 1901, sanktioniert am 8. Juli 1901,
über die Abänderung einzelner Bestimmungen des G.-A. XX
vom Jahre 1899 über die Besteuerung des Branntweins, sowie des
G-A. XXIV vom Jahre 1899 über den Spirituszuschlag ?) (Ges.-S.
S. 228—230).
$1. Die im $ 1 des G.-A. XX vom Jahre 1899 bestimmten Sätze der Brannt-
weinsteuer werden erhöht und zwar der Satz der Produktionssteuer von 70 h auf
90 h, der niedere Satz der Konsunisteuer von 70 h auf 90 h und der höhere Satz
der Konsumsteuer von 90 h auf 1 K. 10h. per Hektolitergrad (Liter! Alkohol.
Dementsprechend wird die laut dem vorletzten Absatz des $ 6 des G.-A. XX
vom Jahre 1809 nach jedem Liter Alkohol bewilligte Steuerrückvergütung von
35 h auf 45 h erhöht; ferner ist an Stelle des im Punkt c) $ 44 und im letzten
Absatz des $ 82 des soeben erwähnten G.-A. festgesetzten Betrages von 70 h 90h
und an Stelle des im ersten Absatz des $ 92 bestimmten Betrages von 90 h der
Betrag von 1 K. 10 h zu nehmen.
82. Der in 8 1 des G.-A. XXIV vom Jahre 1809 per Hektolitergrad (Liter)
Alkohol mit 30 h festgestellte Satz des Spirituszuschlages wird auf 10 h herab-
esetzt.
g Dementsprechend wird im Falle der laut § 4 des G.-A. XXIV vom Jahre
1899 bewilligten Rückvergütung des Spiritussteuerzuschlages der rückzuvergütende
Betrag in den unter Punkt 1 desselben Paragraphen erwähnten Fällen von 15 h
auf 5 h und in dem unter Punkt 2 erwähnten Falle von 30 h auf 10 h herab-
esetzt.
P 83. Boi den Parteien, die auf Grund des 8 2 des G.-A. XXIV vom Jahre 1509
eine Konzession haben, laut welcher sie bei der Spiritusbeschaffung vom Spiritus-
steuerzuschlag bedingungsweise befreit sind, müssen am 1. September 1901, auf
Grund der über die steuerfrei beschafften Spiritusmengen geführten Rechnungen,
die Alkoholmengen festgestellt werden, welche noch nicht zum Verbrauch — wo-
durch die Steuerfreiheit bestimmt wird — gelangt und demzufolge in den Rech-
nungen bchufs Abschreibung noch nicht ersichtlich gemacht sind; der Konzessionär
aber hat per Hektolitergrad der also festgestellten Alkoholmengen eine Spiritus-
konsumzuschlagsteuer von 20 h zu entrichten.
Eine Zuschlagsteuer von 20 hl per Hektolitergrad ist auch nach jenen, dem
G.-A.XV vom Jahre 1804, bezw. dem diesen G.-A. abändernden G.-A. XVII vom Jahre
1899 gemäß zu behandelnden Alkoholmengen zu entrichten, welche aus dem Gebiete
der im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, bezw. aus Bosnien und der
Hercegovina in der Zeit vor dem 1. September 1901 auf das Gebiet der Länder
1) Vergl. Jahrb. f. Nationalökon. u. Statistik 8. F. Bd. 18 (73) S. 805.
2) Vergl. oben S. 286 das in einigen wesentlichen Bestimmungen inhaltlich gleiche
Gesetz vom 8. Juli für die ım Reichsrate vertretenen Künigreiche und Länder.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 791
der ungarischen Krone versendet werden, jedoch erst nach dem Inslebentreten
dieses Gesetzes (1. September 1901) auf diesem Gebiete einlangen.
Bezüglich dieser Zuschlagsteuer finden die Bestimmungen des G.-A. XXIV
vom Jahre 1899 Anwendung.
XVIII. G.-A. vom Jahre 1901, sanktioniert am 22. Juli 1901,
über die Verlängerung der Geltung des G.-A. VI vom Jahre 1899!)
über die provisorische Regelung jener Einkünfte der unga-
rischen Städte und Gemeinden, welche den Charakter von
Konsumsteuern haben (Ges.-S. S. 238 f.).
$ 1. Die Geltung des G.-A. VI vom Jahre 1899 über die provisorische Rege-
lung jener Einkünfte der ungarländischen Städte und Gemeinden, welche den
Charakter von Konsumsteuern haben, wird über den im § 8 dieses G.-A. fest-
gestellten Termin hinaus bis zum 31. Dezember 1904 verlängert, mit der Abände-
rung jedoch, daß die als Anteil am Reinerträgnis der Schankgefälle an die einzelnen
Städte und Gemeinden im Sinne des $ 1 des G.-A. VI vom Jahre 1899 durch das
Staatsärar in zwei gleichen Teilen mit Ende der Monate Juni und Dezember aus-
zuzahlenden Pauschalbetrüge vom Jahre 1902 angefangen in einem Betrage und
zwar im Januar des, dem Geschäftsjahre folgenden Jahres auszufolgen sein werden.
Wenn eine Stadt, die auf Grund des $ 4 des G.-A. VI vom Jahre 1599 Anspruch
auf eine Subvention aus der k. ung. Staatskasse hat, aus dem im Sinne des $ 3
des G.-A. VI vom Jahre 1899 einhebbaren Wein-, Fleisch- und Spirituskonsum-
steuerzuschlügen in einem Jahre im ganzen ein größeres Einkommen haben sollte,
als im Jahre 1901: so ist bei der Feststellung des Maximalbetrages der Subvention,
welche zu Gunsten der betreffenden Stadt auf Grund des $ 4 des G.-A. VI vom
Jahre 1899 für das in Rede stehende Jahr bewilligt werden kann, das aus den
Wein-, Fleisch- und Spirituskonsunisteuerzuschlägen stammende Gesamteinkommen
nur mit dem Betrage, den die im Jahre 1901 unter diesen Titeln erreichten Ein-
künfte ausmachen, in Rechnung zu nehmen.
82. Die bezüglich der Bemessung, Einhebung, Kontrolle und Manipulation
der Konsumsteuerzuschlüge auf Grund des G.-A. VI vom Jahre 1809 von einzelnen
Städten und Gemeinden geschaffenen und durch die Regierungsbehörde mit der Gel-
tung bis zum 31. Dezember 1901 genehmigten Statute bleiben, solange das gegenwärtige
Gesetz in Kraft besteht, ohne jede neuere Genehmigung in Geltung; außer weun
die betr. Stadt oder Gemeinde die Abänderung des Statuts, oder das Erlöschen
der Geltung desselben durch rechtskräftigen Beschluß erwirkt.
XX. G-A. vom Jahre 1901, sanktioniert am 27. Juli 1901, über
die Vereinfachung des administrativen Verfahrens (Ges.-S.
S. 241—259).
XXI. G.-A. vom Jahre 1901, sanktioniert am 30. Juli 1901, die
Pflegschaft über die auf öffentliche Unterstützung ange-
wiesenen Kinder über 7 Jahre betr. (Ges.-S. S. 259— 262).
$ 1. Die in staatliche Kinderasyle aufgenommenen Kinder verbleiben, sofern
sie bei Vollendung ihres 7. Lebensjahres in einem Munizipal- oder Privatwaisen-
hause, einer anderen Wohltätigkeitsanstalt oder bei einem Verein nicht unter-
gebracht werden können, bis zu ihrem 15. Lebensjahr im Verband der staatlichen
Kinderasyle.
Jene Kinder, die nach Vollendung ihres 7. Lebensjahres behördlich als ver-
lassen erklärt werden, können in die staatlichen Kinderasyle gleichfalls aufgenommen
werden und verbleiben bis zu ihrem 15. Lebensjahr im Verband desselben.
$2. Die in den Verband der staatlichen Kinderasyle gehörigen 7- bis 15-jäh-
rigen Kinder werden je nach den Verhältnissen innerhalb der Mauern der Kinderasyle
gehalten oder aber bei verläßlichen Pflegern, Landwirten und Gewerbetreibenden
untergebracht.
Die staatlichen Kinderasyle sind bemüht, die besonders befähigten Kinder,
welche ihrem Verband angehören oder angehört haben, zum Zwecke ihrer ferneren
1) Vergl. Jahrbücher f. Nationalükon. u. Statistik 8. F. Bd. 21 (76) S. 496.
792 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Ausbildung, auf den Freiplätzen der verschiedenen staatlichen Lehranstalten zu
unterbringen.
$ 3. Die Kosten, welche aus der Pflegschaft (Versorgung, Erziehung und
Ausbildung) der im Verband der staatlichen Kinderasyle stehenden 7- bis 15-jährigen
Kinder erwachsen, fallen den Zuständigkeitsgemeinden zur Last.
$ 4. Als Pflegschaftskosten für die verlassenen Kinder über 7 Jahre wird
in das Budget des Ministeriums des Innern, vom Jahre 1902 angefangen, ein Unter-
stützungsbetrag von höchstens 400000 K. pro Jahr eingestellt.
Dieser Betrag ist in erster Reihe für die Pflegschaftskosten solcher verlassener
Kinder zu verwenden, die vermögenslosen Gemeinden angehören.
Auch können aus höchstens dem 4. Teile des staatlichen Unterstützungs-
betrages solche erfolgreich tätige Privatvereine und Anstalten unterstützt werden,
die sich verpflichten, außer den von ihnen auch bisher versorgten Kindern, noch
eine entsprechende Anzahl 7- bis 15-jähriger verlassener Kinder aufzunehmen.
8 5. Von den Waisenkassareservefonden, die sich laut der vom Minister des
Innern genehmigten Jahresbilanz der Waisenkassen ergeben, muß jener Teil des
Ertrages (eigene Zinsen der Reservefonde, Manipulations- und Aufbewahrungsgebühr
und Manipulationsüberschuß), der nicht für andere Zwecke gebunden ist, vom
Geschäftsjahr 1902 angefangen für die Pflegschaftskosten der verlassenen Kinder
über 7 Jahre der betreffenden Komitate, Städte oder Gemeinden verwendet werden.
$ 6. Behufs gleichmäßiger Aufteilung jener Gemeindelasten, welche auf Grund
des $ 3 des Gesetzes erwachsen und mit Anwendung der $$ 4 und 5, sowie mit
Benutzung der für diesen Zweck verwendbaren Stiftungen und Spenden nicht
edeckt werden können, kann das Komitat die Assoziierung aller auf seinem Ge-
jete gelegenen Gemeinden anordnen und zu diesem Zwecke einen besonderen
Komitatssteuerzuschlag von nicht mehr als 1 Proz. auswerfen.
Dieser Steuerzuschlag wird nach der Grundsteuer, Einkommensteuer, der
Steuer der zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten Unternehmungen und
Vereine, der Bergwerkssteuer, schließlich der Kapitalzinsen- und Rentensteuer
(Ges.-Art. XXII vom Jahre 1875) bemessen.
Bei solchen Städten mit geregeltem Magistrat und solchen Gemeinden, welche
für die Kosten, die aus der im $ 3 dieses Gesetzes enthaltenen Verpflichtung er-
wachsen, mit ie ihrer eigenen Fonde oder Stiftungen selbst gehörig
sorgen, können in einem derartigen Komitatssteuerzuschlag die Zinsen der Fonde
und Stiftungen eingerechnet werden.
XXIV. G.-A. vom Jahre 1901, sanktioniert am 1. August 1901,
über die Inkompatibilität (Ges.-S. S. 264—281).
Enthält eingehende Bestimmungen, welche Aemter und Stellen ein ungarischer
KReichstagsabgeordneter nicht einnehmen darf.
XXVI G.-A. vom Jahre 1901, sanktioniert am 9. September 1901,
über die Regelung der Konsulargebühren (Ges.-S. S. 318—355).
8 1. Der einen ergänzenden Teil dieses Gesetzes bildende und demselben
angeschlossene „Allgemeine Konsulargebührentarif“ ist hinsichtlich der darin an-
geführten Konsularamtshandlungen bei den k. u. k. Konsularümtern anzuwenden.
; 8 2. Die Bemessung der Konsulargebühren erfolgt stets durch das Konsu-
laramt, welches die betr. gebührenpflichtire Amtshandlung vornimmt...
84. Bezüglich der Sicherstellung, Einhebung sowie gegenüber von Konkurs-
massen bezüglich der Geltendmachung der Stempel- und unmittelbaren Gebühren
finden die in den Ländern der ungarischen Krone gültigen Gesetze und Vorschriften
auch auf die Konsulargebühren entsprechende Anwendung, ebenso auch jene Ge-
setze und Vorschriften, welche auf die als nachteilige Folge der Umgehung der
Gebührenbemessung einzuhebenden Strafbetrüge Bezug haben.
Die Konsulargebühren und die erwähnten Strafbeträge verjähren in 5 Jahren ...
$6. Wird die Befreiung von der Gebühr oder eine ermäßigte Bemessung
derselben auf betrügerische Weise erwirkt, so ist die Gebühr im doppelten Betrage
einzuheben . . .
Der Anhang (S. 824—855) enthält den „Allgemeinen Konsulargebührentarif“.
Miszellen. 793
Nachdruck verboten.
Miszellen.
XV.
Das neue ungarische Auswanderungsgesetz.
Von Dr. Julius Bunzel.
Man kann sich denken, daß die Auswanderung aus Ungarn ziemlich
große Dimensionen angenommen haben muß, wenn man sich selbst dort
— im Lande des doktrinärsten Individualismus — bemüligt fühlte, das
Auswanderungswesen durch staatliche Maßregeln zu regeln. Und tat-
sächlich war die Zahl der Auswanderer über Hamburg und Bremen, die
in dem Jahrfünft von 1871—75 durchschnittlich jährlich 780 betragen
hatte, bereits in dem Jahrfünft von 1891—95 auf 30540 gestiegen und
belief sich die selbst nach den offiziellen Daten im Jahre 1900
schon auf 35 888 Personen.
Nach den Angaben des Abg. Hegedus, eines Fachmannes auf dem
Gebiete des Auswanderungswesens, verließen im Jahre 1901 aber
70000 Personen!) Ungarn, in welcher Zahl die ganze Szekleraus-
wanderung, an der nach rumänischen Quellen ungefähr 40000 Personen
teilgenommen haben sollen, noch nicht einmal enthalten sein soll. Der
Anteil der Ungarn an der Auswanderung nach Nordamerika war jeden-
falls — selbst nach den amtlichen Angaben — in den Jahren 1888—97
(gegenüber den Jahren 1871— 87) auf das Dreifache gestiegen, während
der Anteil Deutschlands und Großbritanniens abgenommen und auch der
Anteil Oesterreichs sich kaum auf das Doppelte gehoben hatte.
Und dabei läßt sich die ungarische Auswanderung durchaus nicht
als eine „willkommene Ableitung überschüssigen Blutes“ betrachten,
ebensowenig als etwa von einer Vermehrung der Handelsbeziehungen
mit den ausländischen Staaten infolge der Auswanderung gesprochen werden
kann. Denn einerseits ist Ungarn ein ziemlich dünn bevölkertes Land, in
welchem im Jahre 1900 nur 59,6 Einwohner auf den Quadratkilometer
entfielen, und andererseits lassen sich durch die gänzlich mittellosen
ungarischen Auswanderer keine Handelsbeziehungen anknüpfen. Ueber-
dies träumt die ungarische Regierung noch von der Schaffung einer
„nationalen“ Industrie, so daß ihr der Verlust so vieler Menschen aus
1) Darnach wären 3,8 Proz. der Bevölkerung ausgewandert.
794 Miszellen.
den produktivsten Altersklassen selbstredend doppelt unangenehm er-
scheinen muß. Hegten doch sogar schon die Großgrundbesitzer — nament-
lich in Oberungarn — die Befürchtung, daß ihnen zu den bisher ge-
zahlten niedrigen Löhnen nicht mehr die genügende Anzahl von Ernte-
arbeitern zur Verfügung stehen werde. Da ist es denn begreiflich, daß
die Regelung des Auswanderungswesens auch bei der ungarischen
Regierung „keinen Aufschub mehr vertrug“ und daß nunmehr endlich
das bereits in der Thronrede vom 18. Oktober 1901 angekündigte „Gesetz
betreffend die Regelung der Auswanderung“ zu stande kam.
Der I. Abschnitt dieses Gesetzes ($$ 1—6) handelt von der Aus-
wanderung im allgemeinen und bestimmt, daß ein Auswanderer, d. i.
jeder, der sich zu stándigem Erwerb auf unbestimmte Zeit in das Aus-
land entfernt (S 1), vor seiner Abreise einen Pal für den Staat, in
welchen er auszuwandern beabsichtigt, lösen muß (8 3). Die Stellungs-
und Dienstpflichtigen bedürfen überdies einer besonderen Bewilligung
der kompetenten Behörde. Verboten ist die Auswanderung jenen
Personen, die in strafgerichtlicher Untersuchung stehen oder gegen die
ein Haftbefehl erlassen ist, ferner Eltern, die mittellose Kinder unter
15 Jahren zurücklassen, Personen, die das zur Erreichung ihres Zieles
erforderliche Reisegeld nicht besitzen oder den etwa im Auswanderungs-
lande bestehenden Einwanderungsbestimmungen nicht entsprechen und
endlich Personen, welche nur durch die von fremden Kolonisatoren in
Aussicht gestellte Vergütung oder Vorstreckung der Transportkosten
zum Auswandern veranlaßt worden sind. Minderjährige über 15 Jahre
bedürfen einer legalisierten Einwilligung des Vaters oder Vormundes;
Kinder unter 15 Jahren dürfen nur in Begleitung Erwachsener aus-
wandern (8 2).
Das Ministerium hat aber auch das Recht, die Auswanderung in
gewisse Lànder und Staaten bei ausreichenden Gründen zu unter-
sagen ($ 5) und die Auswanderung auf gewisse Routen zu be-
beschränken ($ 6).
Der II. Abschnitt ($ 7—22) enthält die Bestimmungen über die
Transportunternehmer und Agenten. Die Unternehmer bedürfen einer
Bewilligung von seiten des Ministers des Innern ($ 7). Diese Be-
willigung wird erteilt:
1) an einheimische Unternehmer unter der Bedingung, daß der
Unternehmer oder die einheimischen Mitglieder seiner Gesellschaft
ungarische Staatsangehörige sind,
2) an ausländische Unternehmer unter der Bedingung, daß sie einen
ungarischen Staatsbürger als verantwortlichen Bevollmächtigten anstellen
und sich den ungarischen Gesetzen und Gerichten unterwerfen ($ 5).
Sowohl einheimische als auch ausländische Unternehmer müssen jedoch
eine Kaution von 100000 K. stellen ($ 9). Auch wird die Konzession
dem Transportunternehmer nur für bestimmte Gebiete — bei über-
seeischen Ländern nur für bestimmte Hafenorte — erteilt (S 10).
Ferner muß der Transporttarif dem Minister des Innern vorgelegt
werden ($ 12) und endlich sind etwaige an Privatpersonen gerichtete
Aufforderungen und Bekanntmachungen sowie Reklamen verboten ($ 13).
Miszellen. 795
Dagegen dürfen mit Genehmigung des Ministers Stellvertreter und
Agenten in den einzelnen Munizipien bestellt werden, doch muß jeder
derselben ungarischer Staatsbürger sein, geschäftlich in gutem Rufe
stehen und eine Kaution von 10000 K. erlegen ($$ 16 und 17).
Die den Unternehmern und Agenten erteilten Bewilligungen können
jedoch wieder entzogen werden:
a) sobald die Unternehmer den Anforderungen der $$ 8 und 16
nicht mehr entsprechen,
b) sobald sich ihre Geschäftsführung als unzuverlässig herausstellt,
c) sobald ein durch etwaige Abzüge von der Kaution entstandenes
Manco nicht binnen 15 Tagen gedeckt wird.
Der III. Abschnitt (88 23—33) regelt das Rechtsverhältnis zwischen
dem Transportunternehmer nnd dem Auswanderer.
Der Unternehmer schliebt mit dem zur Auswanderung Berechtigten
(8$ 23, 24) einen in magyarischer Sprache (S 25) oder in magyarischer
und der Muttersprache des beteiligten Auswanderers abgefaßten schrift-
lichen Vertrag, der in 2 Exemplaren auszufertigen ist. Der Vertrag
muß enthalten:
Namen, Alter und Wohnort des Auswanderers, Route und Ziel,
Abfahrtszeit, bezw. Schiff und Tag der Abfahrt; Bestimmung der
Wagenklasse bezw. des Schiffsraumes; genaue Angaben der Transport-
gebühren und endlich die Pflichten des Unternehmers sowie die von den
Beschwerden handelnden Verfügungen.
Der Unternehmer muß nämlich sowohl für die richtige Ankunft
der Auswanderer und ihres Gepäcks, als auch für die Verpflegung und
Unterkunft sowie für etwaige Spitalpflege und Beerdigung der Reisenden
sorgen. Auch muß das Gepäck gegen Beschädigung und Verlust und
das Familienoberhaupt gegen Unfall versichert werden, die Ver-
sicherungsprämie kann jedoch in die Gebühren aufgenommen werden.
Wenn die Reise ohne nachweisbares Verschulden des Auswanderers
einen Verzug oder eine Unterbrechung erleidet, hat der Unternehmer
unentgeltlich für die Verpflegung und möglichst baldige Weiterbeförderung
zu sorgen. Bei Verzug von mehr als einer Woche ist er zur Rückzahlung
der Gebühren, bezw. zum Schadenersatz verptlichtet. Der Auswanderer
darf die volle Rückzahlung der Transportgebühren auch fordern, wenn
er ohne sein Verschulden, z. B. durch Krankheit, an der Reise ver-
hindert ist, aber nur die Hälfte der Gebühren, wenn er aus willkürlichen
Motiven seinen Entschluß rechtzeitig ändert ($ 28). Etwaige den Ver-
fügungen der $8 12, 26, 27, 28 widersprechenden Vereinbarungen sind
ungültig. Zur Auswanderung nicht berechtigte, vom Transportunter-
nehmer ins Ausland beförderte Personen muß der Unternehmer sogar
unentgeltlich zurückbefördern ($ 30).
Bei überseeischen Transporten ist das Schiff jedentalls von dem
verantwortlichen Transportunternehmer und dem betreffenden Schiffs-
führer auf die an Verpflegung, Reinlichkeit und Sicherheit gestellten
Anforderungen hin zu untersuchen. Ebenso muß der Gesundheitszustand
vorher geprüft werden ($ 32). Nähere Ausführungen über Ausstattung
der Schiffe, ihre behördliche Untersuchung und Kontrolle erfolgen auf
796 Miszellen.
dem Verordnungswege durch den Minister des Innern und den Handels-
minister. |
Der IV. Abschnitt (88 34—36) befaßt sich mit dem Auswanderungs-
fonds. Ein Auswanderungsfonds ist zu schaffen: zum Zwecke der Unter-
stützung der vom Auswanderer in Not zurückgelassenen Familien-
mitglieder, zur Orientierung und Unterstützung der Auswanderer im
Auslande und zur Deckung oder teilweisen Vergütung der Reisekosten
für jene, denen die zur Rückkehr in die Heimat erforderlichen Geld-
mittel nicht zu Gebote stehen (8 34). Der Fond wird geschaffen:
a) aus dem jeweils ins Staatsbudget aufgenommenen Betrage (für
1903: 80000 K., 8 49),
b) aus dem Reinertrage der amtlichen Paßgebühren,
c) aus den von den Transportunternehmungen zu leistenden Ge-
bühren,
d) aus den Jahresbeiträgen des mit der Verwaltung der Gelder
und der Heimbeförderung der Auswanderer betrauten Geldinstituts ($ 34).
Verwaltet wird der Auswanderungsfonds vom Minister des Innern,
der darüber in den Jahresschlußrechnungen Rechnung legt ($ 35).
Die Verwaltung und Sicherung der Gelder wird dem Ministerium zuge-
wiesen ($ 36).
Der V. Abschnitt ($$ 37—42) handelt von den Behörden.
Zur Unterstützung des Ministers des Innern und zur fachgemälen
Erledigung der einschlägigen Fragen wird ein Auswanderungssenat
organisiert ($ 37), an dessen Spitze als Präsident der Minister des
Innern und, wenn er verhindert ist, der Staatssekretär steht, und dessen
Mitglieder sich zusammensetzen aus einem Delegierten des Minister-
präsidiums, je einem Mitglied der Polizei- und Sanitätsabteilung des
Ministeriums des Innern, sowie aus je einem Delegierten der Ministerien
für Finanzen, Justiz, Kultus und Unterricht, Handel, Ackerbau und
Landesverteidigung.
Ferner ernennt der Minister des Innern je 10 Mitglieder der
Handels- und Gewerbekammern, der landwirtschaftlichen Vereine und
10 Personen, die sich mit Ackerbau, Industrie oder Handel beschäftigen,
zu Mitgliedern des Auswanderungssenats ($$ 37, 38). Die Organisation
und Geschäftsordnung dieses Auswanderungssenates wird durch den
Minister des Innern festgesetzt ($ 39). Die unmittelbare Aufsicht und
Kontrolle über das ganze Auswanderungswesen erfolgt durch einen
dem Minister des Innern direkt unterstellten Auswenderungskommissär
und das erforderliche Hilfspersonal ($ 40). Der Auswanderungskommissär
kann jederzeit der Untersuchung auf dem Schiffe beiwohnen, selbständig
Untersuchungen vornehmen, sowie über alle Verhältnisse und die Schiffs-
route Aufklärung verlangen.
Ueber etwaige Mängel und Unregelmäfigkeiten erstattet er dem
Minister des Innern Bericht, eventuell verständigt er die Lokalbehörde
($ 41). Der Gehalt für den Kommissär und das Hilfspersonal wird in
das Jahresbudget aufgenommen ($ 42).
Der VI. Abschnitt enthält die Strafbestimmungen. Jede Nicht-
einhaltung der Bestimmungen der SS 12, 13, 14, 19, 23, 24, 26, 31
Miszellen. 797
durch Unternehmer, Stellvertreter und Schiffsführer wird als Ueber-
tretung behandelt und mit Arrest bis zu 2 Monaten und Geldstrafe bis
600 K. bestraft ($ 43). Agenten werden in diesem Falle mit Arrest
bis zu 1 Monat und Geldstrafe bis zum Betrage von 400 K. belegt ($ 44).
Jener, der sich unberechtigt mit dem Transport von Auswanderern be-
faßt, hat eine Strafe bis zu 2 Monaten Arrest und 600 K. sowie
sofortige Konfiskation der durch ihn verbreiteten Briefe, Bekannt-
machungen und Schiffskarten zu gewärtigen ($ 45). 2 Monate Arrest
und Geldstrafe bis zu 600 K. stehen auch auf jede öffentliche An-
eiferung zur Auswanderung (S 46).
Wer dergleichen durch die Presse verbreitet, wird mit Geldstrafe
bis zu 200 K. bedacht (8 47). In den Uebertretungsangelegenheiten
üben die politischen Behörden die polizeiliche Kriminalgerichts-
barkeit aus.
Der VII. Abschnitt enthält Schlußbestimmungen (SS 49—51).
Wie schon aus dieser möglichst knapp gehaltenen Inhaltsangabe
hervorgeht, hält sich das ungarische Gesetz im wesentlichen ziemlich
genau an das Muster des detuschen Gesetzes vom 9. Juni 1897. Es
entspricht daher auch den Zwecken, welchen das deutsche Gesetz
dient. Es schützt den Auswanderer einigermaßen vor der Ausbeutung
durch die Transportunternehmer, lenkt die Auswanderung über den
heimischen Hafen und sucht in dem Auswanderer das Zugehörigkeits-
gefühl zum Mutterlande zu erhalten. Dem erstgenannten Zwecke dient
das ungarische Gesetz allerdings nicht in dem Umfange wie das deutsche,
da es merkwürdigerweise die Bestimmung nicht enthält, nach welcher
der Transportvertrag ungültig ist, wenn der Auswanderer verpflichtet
wurde „den Beförderungspreis oder einen Teil desselben oder ihm ge-
leistete Vorschüsse nach seiner Ankunft am Bestimmungsorte zu zahlen
oder zurückzuerstatten oder durch Arbeit abzuverdienen“ 1). Von
einer Beschränkung des Geschäftsbetriebes der Transportunternehmer
in der Hinsicht, daß ihnen die Realisierung des Vermögens der Aus-
wanderer, der Geldwechsel, das Lösen der Fahrkarten überseeischer
Bahnen u. dgl. untersagt wird, ist natürlich erst recht keine Rede.
Dagegen hat man aber dafür gesorgt, daß das Auswanderungs-
wesen möglichst monopolisiert werde, indem man die Kaution auf
100000 K. (in Deutschland 50000 M.)?) für die Unternehmer und je
10000 K. (in Deutschland 1500 M.) für einen Agenten festsetzte. Man
hat hierdurch die Zahl der Agenten sehr beschränkt ohne zu bedenken,
daß infolgedessen den Winkelagenten, deren Tätigkeit man lahmlegen
wollte, ein viel größerer Spielraum bleibt. Diese werden nun die
Auswanderungslustign — wie bisher — zur Auswanderung über
Hamburg und Bremen zu bewegen suchen, so daß auch der zweite
1) Das im ungarischen Gesetz enthaltene Verbot der Vergütung oder Vorstrecknng
der Transportkosten bezieht sich nur auf fremde Staaten oder Private, die kolonisieren
wollen und auch das Verbot der Auswanderung bei Mangel an notwendigem Reisegeld
erweist sich hier als unwirksam, da ja eben kein Reisegeld notwendig ist.
2) In der Schweiz beträgt die Kaution höchstens 40 000 Fres., in Italien höchstens
5000 Lire.
798 Miszellen.,
Zweck des Gesetzes: die Auswanderung über Fiume zu leiten, teilweise
vereitelt werden wird. Und ob in den Auswanderern — soweit sie
den arbeitenden Klassen angehören oder sofern sie nicht magyarischer
Nationalität sind — das Heimatsgefühl so mächtig ist, daß es möglich
wäre, dasselbe auch im Auslande rege zu erhalten, muß immerhin frag-
lich erscheinen. Die von allen Behörden mit Eifer betriebene Verfolgung
der Arbeiterorganisationen und die neuerlich — anläßlich der Bestrafung
deutscher Redakteure — wieder besonders scharf in die Erscheinung
getretene Nationalitätenpolitik der ungarischen Regierung, wird jeden-
falls nicht in dieser Richtung wirken. Immerhin wird aber durch die
Möglichkeit, die gesamte Auswanderung in bestimmte Gegenden zu
lenken, durch Konsulate, ungarische Seelsorger und ungarische Geld-
institute in den Auswanderungsländern ein Kontakt mit dem Mutter-
lande eventuell erhalten und durch den Auswanderungsfond die Rück-
wanderung Einzelner erleichtert werden können.
Dagegen wird man sich wohl täuschen, wenn man glaubt, durch
irgendwelche gesetzliche Maßnahmen die Auswanderung selbst beschränken
zu können. Die ungarische Auswanderung wurde durch das namenlose
Elend, das in einem großen Teile der Bevölkerung herrscht, hervor-
gerufen und wird nur mit diesem beseitigt werden!) Mit einigen
Notstandsarbeiten und halben „sozialpolitischen“ Maßregeln ist da nicht
viel getan. In einem noch ganz agrarischen Lande, wie es Ungarn
ist, muß man, wie ein Abgeordneter anläßlich der Beratung des Ge-
setzes ganz richtig betonte, vor allem den Großgrundbesitz verringern
und die arbeitsuchende Bevölkerung am Grundbesitze beteiligen, wenn
man die Auswanderung beschränken will. Man muß aber auch die
ganze Verwaltung bessern, eine die ärmeren Volksschichten entlastende
Steuerreform schaffen und das kulturelle Niveau aller Nationalitäten
heben?) Durch Auswanderungsgesetze kann man gewisse Uebelstände,
welche sich im Auswanderungswesen zeigten, mildern, die Auswanderung
selbst wird sich nur infolge einer gesunden, volksfreundlichen Wirt-
schaftspolitik in nennenswerter \Veise verringern.
Graz im Frühling 1903.
1) Der Einfluß der persönlichen Beziehungen für ausgewanderte Angehürige und
Volksgenossen macht sich auch nur dann geltend, wenn die wirtschaftliche und soziale
Lage der arbeitenden Klassen eine unbefriedigende ist.
2) Vgl. diesbezügl. meine „Studien zur Sozial- und Wirtschaftspolitik Ungarns“
Leipzig (Duncker u. Humblot) 1902, insbes. S. 44f. und 153 f.
Miszellen. 799
Nachdruck verboten.
XVI.
Die Hauptergebnisse der Veranlagung der Einkommen-
und der Ergänzungssteuer in Preufsen ').
Von Max v. Heckel.
I. Die Einkommensteuer 1901 und 1902.
1) Nichtphysische und physische Personen zusammen.
In Preußen ist für das Steuerjahr 1901 bei 3762047 (1901:
3649188) Zensiten der Betrag von 188 837 843 M. (1901: 186 888 684 M.)
veranlagt worden, so daß sich gegen das Vorjahr ein Mehr an Zensiten
von 112859 (1901: 269654) und an Steuern von 1949159 M. (1901:
12503336 M.) ergibt. Dieses Mehr entfällt, abweichend von den fünf
Vorjahren allein auf die physischen Personen, die bei 3759377 (1901:
3 646 527) Zensiten — mehr 112 850 (1901: 269 436) — mit 170 194 484 M.
(1091: 168127100 M.) also mit einem Mehr von 2066384 M. (1901:
9730328 M.) veranlagt sind, wogegen die Veranlagung der nichtphy-
sischen Personen bei 2670 (1901: 2661) Zensiten — mehr 9 (1901: 218)
in diesem Jahre ein Weniger an Steuern von 117225 M. (1901: ein
Mehr von Weniger an Steuern von 2773008 M.) bei 18644359 M.
(1901: 18761584 M.) Steuern ergeben hat.
2. Nichtphysische Personen.
Die nichtphysischen Personen sind veranlagt:
Steuerpflichtiges Einkommen Steuer
Zensiten überhaupt in Preußen
1) Aktien u. Kommanditgesellschaften M. M. M.
auf Aktien 1941 596418 809 439982960 1727539
(1960) (588 616 852) (449425 555) (17 686 066)
2) Berggewerkschaften 124 27893 309 27 893 309 1 098 138
(115) (21174630) (21 068 037) (826 795)
3) Eingetragene Genossenschaften 390 3 485 939 3 174 590 92 552
(374) (3180435) (2922872) (84 556)
4) Konsumvereine (8 1, Abs. 5 des
Einkommensteuergesetzes 215 5 081 434 5 081 434 178 272
(212) (4827511) (4708019) (164 168)
Das steuerpflichtige Einkommen der nichtphysischen Personen be-
trug zusammen überhaupt 632879491 M. (617799428 M.) und davon
waren im ganzen in Preußen steuerpflichtig 476 131 693 M.) 478 124 483 M.).
Das eingezahlte Aktienkapital und das Grundkapital und bei den ein-
getragenen Genossenschaften die Summe der eingezahlten Geschäfts-
1) Nach der dem preußischen Abgeordnetenhause vorgelegten vergleichende Ueber-
sicht über die Ergebnisse der Veranlagung der Einkommensteuer für 1901 und 1902
und der Ergänzungssteuer für 1899/1901 und 1902/04. Berlin, Reichsdruckerei, 1903.
800 Miszellen.
anteile der Mitglieder hat sich belaufen: bei den Aktiengesellschaften
und den Kommanditgesellschaften auf Aktien auf 6599690 367 M.
(6 332390067 M.) bei den Bergwerksgesellschaften auf 638953 212M.
(527 565 567 M.), bei den eingetragenen Genossenschaften auf 28 328 847 M.
(26 094052 M.) und bei den Konsumvereinen auf 4 292 852 M. (4 454 476 M.).
Der von der Feststellung des steuerpflichtigen Einkommens als steuer-
frei in Abzug zu bringenden Betrag von 31/, Proz. erreichte 254 467 886 M.
(241 527565 M.) Die Verhältnisse der nichtphysischen Personen haben
sich in den 10 Jahren des Bestehens des neuen Einkommensteuergesetzes
folgendermaßen gestaltet:
im Steuerjahre deren Zensitenzahl ihr steuerpflichtiges Einkommen ihre Einkommen-
steuer
überhaupt durchschnittlich überhaupt durch-
schnitt-
lich
M. M. M. M.
1892 2028 257 070 865 126 761 10 056 742 4959
1901 2661 478 124 483 179 678 18761584 7050
1902 2670 476 131 693 178 326 18 644 359 6983
3. Physische Personen.
a) Kopfzahl der einkommensteuerpflichtigen Bevölke-
rung und Zahl der Zensiten.
Die Bevölkerungsziffer hat sich nach der Personenstandsaufnahme
für 1902 auf 34551 274 (34056414 Köpfe) gestellt. Davon sind ein-
kommensteuerfrei als Exterritoriale u. s. w. 9846 (9176) und Personen
mit einem Einkommen unter 900 M. 20603403 (20581002) oder zu-
sammen 20 613 249 (20 590 178), wovon 7 527 590 (7 500 284) auf die Städte
und 13085659 (13089894) Zensiten auf das Land treffen. Hiervon sind
Einzelsteuernde und Haushaltungsvorstände in den Städten 3960171
(8 953 964), auf dem Lande 4 788380 (4 769 695) und zusammen 8 748751
(8723659) oder in den Städten 52,61 (52,72) Proz. und auf dem Lande
36,59 (36,44) Proz. und überhaupt 42,46 (42,37) Proz. aller Einkommen-
steuerfreien. Die einkommensteuerpflichtige Bevölkerung — einschliel-
lich der Freigestellten und ihrer Angehörigen — betrug:
in den Städten 7 503 766 ( 7 192 689) Köpfe
auf dem Lande 6 434 259 (6273547) „
zusammen 13 938 025 (13466236) „
Darunter Einzelsteuernde und Haushaltungsvorstände:
in den Städten 2 470 288 (2 371 709) Köpfe
auf dem Lande 1593 946 (1 561 378) „
zusammen 4064 234 (3933087) „
Die veranlagten Zensiten ergaben 10,88 (10,71) Proz. der Gesamt-
bevölkerung; von ihnen entfallen auf
die Städte 2 325 215 (2 237 875)
das Land 1434 162 (1 408 652)
zusammen 3759377 (3 646 527)
Die veranlagte Bevölkerung betrug
in den Städten 6 742 333 ( 6467 748) Köpfe
auf dem Lande 5 485 017 ( 5366 770) „
zusammen I2 227 350 (11834518) „
Miszellen. 801
oder auf 1 Zensiten in den Städten 2,90 (2,89), auf dem Lande 3,82
(3,81) oder überhaupt 3,25 (3,25) Köpfe. Es kamen also durchschnitt-
lich in den Städten noch 1,90 (1,89) auf dem Lande 2,82 (2,81) und
überhaupt 2,25) Angehörige auf einen Zensiten.
Mit einem Einkommen von mehr als 3000 M. sind veranlagt 449 681
(435 696) Zensiten (physische Personen) und zwar in den Städten 346339
(334872) — in den Stadtkreisen insbesondere 244738 (235634) — auf
dem Lande 103342 (100 824); oder mithin in den Städten 2,30 (2,28) Proz.
der Bevölkerung und 14,89 (14,96) Proz. aller Zensiten; in den Stadt-
kreisen insbesondere 2,76 (2,74) Proz. der Bevölkerung und 15,18 (15,26)
Proz. aller Zensiten; auf dem Lande 0,53 (0,52) Proz. der Bevölkerung
und 7,21 (7,16) Proz. aller Zensiten ; und endlich überhaupt 1,30 (1,28) Proz.
der Bevölkerung und 11,96 (11,95) Proz. aller Zensiten.
Nach Einkommenstufen geordnet, beträgt die Zahl der Zensiten
bei Einkommen von:
88,04 (88,05) Proz.
in den Städten 1978876 (1 903 003)
der Gesamtzahl
über 900— 3000 M. 4 auf dem Lande 1 330 820 (t 307 828)
überhaupt 3 309 696 (3 210 831)
jon den Stüdten 215 965 ( 206 600)
auf: dem Lando 75376 ( 73339) | 7,15 (7,68) Proz. der
3000— 6000 ,
| überhaupt 291 341 ( 279 935) Gesamtzahl
in den Städten 62897 ( 61398)
» 6000— 9500 „ auf dem Lande 14739 ( 14342) [ET rn der
| überhaupt 77636 ( 75740) E
in den Städten 54289 ( 53 466)
9500—30 500 , "auf dem Lande 10448 ( 10397 | 17? (175) boy der
| überhaupt 64737 ( 63863) Bann
in den Städten 10922 ( 11127)
» 30500—100000 , À auf dem Lande 2283 ( 2257) Lon Ga Gen der
| überhaupt 13205 ( 13384) en
in den Städten 2266 ( 2281)
100 000 „ 4 auf dem Lande 496 ( 943) $ 907 10,008) Broz, der
überhaupt 2762 ( 2774) K
Die ganze Bevölkerung verteilt sich nach Gruppen der Veran-
lagung zusammengefaßt, wie folgt: (Siehe Tabelle auf S. 802.)
Aus dieser zusammenfassenden Tabelle werden zugleich diejenigen
Schichten der Bevölkerung ersichtlich, welche nach $$ 18 und 19 des
Einkommensteuergesetzes, d. h. wegen großer Kinderzahl oder wegen
besonderer, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigender
Umstände, von der Steuer freigestellt sind. Die veranlagte Bevölke-
rung mit ihren Haushaltungsangehörigen umfaßt in den beiden Jahren
1902 und 1901 bereits etwas über ein Drittel und auf dem Lande etwas
mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung, diejenige mit mehr denn
3000 M. Einkommen 4,34 Proz. gegen 4,31 Proz. im Vorjahre, in den
Städten 7,39 Proz. gegen 7,40 Proz. im Vorjahre, auf dem Lande nur
1,99 Proz. gegen 1,97 Proz. im Vorjahr. Die einkommensteuer-
pflichtige Schicht hat sich in Preußen in den Jahren 1901 und
1902 im Verhältnis von 3475 zu 3539, in den Städten von 4402 zu
4486 und auf dem Lande von 2772 zu 2810 ausgedehnt. Die ein-
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 51
802 Miszellen.
Anzahl der Köpfe
in den Städten | auf dem Lande Insgesamt
| überhaupt | überhaupt &
| Proz. der
j| volkerung
o
> D
überhaupt! x à
©
Li
24
I. Einkommensteuer-
frei:
1) Weil Einkommen unter |1902) 7 527 590| 50,08 ‚13 085 659| 67,04 20613 249, 59.66
900 M. 1901| 7 500 284| 51,05 |13 089 894| 67,60 |20 590 178, 60,46
1902| 761433] 5,07| 949242] 4,86| 1710675| 4.95
1901| 724941| 4,93 906 777 ed RER 4,79
2) Nach S 18 u. 19 (ein-
schließlich der Personen,
deren Veranlagung aus-
gesetzt ist)
r
völkerung
i Proz. der
Be-
vólkerung
[14034901] 71,90 22 232 924! 64,61
Zusammen 11902! 8 289 023 14
v8 13 996 671 72,28 |22 221 896| 65,25
5
1901| 8 225 225| 5
II. Zur Einkommen- |
steuer veranlagt in |
den Gruppen:
bei Einkommen i
1) von 900— 3000 M.|1902| 5 631 656| 37,47 | 5 096 364 26,11 |10 728 020| 31,05
1901. 5 380 320| 36,62 | 4 985 663 25,75 |10 365 983. 30,44
2) , 3000— 6000 „ |1902 693640! 4,61 289298 1,48 982938 2,84
1901, 672012] 4,57 282043 1,46 954055) 2,80
3) „ 6o000— 9500 , [1902 200987) 1,34 | 53233 0,27 254 220 0.74
1901! 198607| 1,35 | 53000 0,27 251 607| 0,74
4) , 9500— 30500 ,, [1902 173833] 1,16 36653 0,19] 210486! 0,81
1901 173 176| 1,18 36700 0,19 209 856, 0,62
5) „ 30500—100000 „ [1902 35 131| 0,23 | 7841, 0,04 42 972| 0,12
1901 36 306| 0,25 7705 0,04 44011) 0,3
6) von über 100 000 M, 1902 7086| 0,05 1628 0,01 8714 0,03
1901 7327| 0,05| 1659 0,01 8986 0,03
B. Zusammen [1902 6 742 233! 44,86 | 5485 017 28,10 |12 227 350! 35,3%
1901; 6467 748, 44,02 | 5 366770 27,72 |11 834 518| 34.15
34 551 274 100,00
34 056 414 100,00
1901 14 692 973.100,00 |19 363 441 100,00
kommensteuerfreie Schicht ist in den beiden Jahren im Ver-
hältnis von 6525 zu 6461, in den Städten von 5598 zu 5514 und auf
dem Lande von 7228 zu 7190 zurückgegangen. Die aus diesen Ziffern
erkennbare günstige Entwickelung tritt noch schärfer hervor, wenn
diejenige Schicht der Bevölkerung, die zwar ein Einkommen von mehr
als 900 M. bezieht, aber aus Gründen der $$ 18 und 19 freigestellt
ist, mit berücksichtigt wird. Denn gerade diese letztere Schicht stieg
in den Städten von 4,93 Proz. auf 5,07 Proz., auf dem Lande von 4,68 Proz.
auf 4,86 Proz. und überhaupt von 4,79 Proz. auf 4,95 Proz. der Bevölke-
rung. Rechnet man diese Ziffern zu denjenigen der einkommensteuer-
pflichtigen Bevölkerung hinzu, so ergibt sich eine Schicht mit mehr als
900 M. Einkommensbezug und zwar in den Städten von 48,95 Proz.
bezw. 40,92 Proz, auf dem Lande von 32,40 Proz. bezw. 32,96 Proz.
und überhaupt von 39,54 Proz. bezw. 40,34 Proz. der Bevölkerung.
A. und B. zusammen E 15 031 356 100,00 19 519 918 100,00
a
Miszellen. 803
Somit stehen gegenwärtig 40 Proz. der gesamten Bevülkerung im Ge-
nusse eines Einkommens von über 900 M. Dabei ist zu beachten, daß
zu dem Reste von 59,66 Proz., dessen Einkommen 900 M. nicht über-
steigt, eine Mehrzahl von Personen zu rechnen ist, die nicht zu den
unbemittelten Volksklassen zählen, wie Söhne und Töchter wohlhaben-
der Bauern, die in fremder Haus- oder Landwirtschaft ein eigenes
900 M. nicht übersteigendes Arbeitseinkommen erwerben oder Kinder
wohlhabender Familien, welche ein eigenes Zinseinkommen unter 900 M.
beziehen, das der Verfügung des Familienoberhauptes nicht untersteht.
Es wäre sehr interessant, gerade über diese Punkte eine ausreichende
statistische Aufklärung zu erhalten.
b) Veranlagtes Einkommen der Zensiten.
Das veranlagte Einkommen der physischen Personen beträgt
8559884832 M. (8376057 778 M.) und ist somit gegen das Vorjahr
um 2,19 Proz. gestiegen. An dieser Gesamtsumme sind die Städte mit
6 002 000 100 M. (5856104801 M.) und das Land mit 2557 884732 M.
(2519952987 M.) beteiligt. Das Durchschnittseinkommen stellt sich
daher auf einen Zensiten oder ein Steuersubjekt — nicht pro Kopf der
Bevölkerung! — auf 2581,27 M. (2616,81 M.) in den Städten auf
1783,54 M. (1788,81 M.) auf dem Lande und überhaupt auf 2276,94 M.
Vergleicht man dabei die Regierungsbezirke im einzelnen, so weist, wie
in den Vorjahren, Wiesbaden das höchste Durchschnittseinkommen mit
3255,51 M. (3510,95 M.) auf. Die niedrigsten Zahlen haben Arnsberg
mit 1685,88 M. (1692,77 M.), Trier mit 1757,19 M. (1800,20 M.) und
Stade mit 1792,71 M. (1819,45 M.). Das Durchschnittseinkommen für
Berlin stellt sich auf 2653,57 M. (2670,58 M.) Scheidet man das
Durchschnittseinkommen der Zensiten nach Stadt und Land innerhalb
der Regierungsbezirke, so finden sich die hóchsten Ziffern in den
Städten der Regierungsbezirke Wiesbaden 3795,38 M. (4215,97 M.,
Aachen 3451,95 M. (3590,92 M.), und Sigmaringen 3065,77 M. (3257,16 M.) ;
sowle auf dem Lande bei den Regierungsbezirken Breslau 2459,96 M.
(2487,92 M.), Stralsund 2257,81 M. (2140,34 M.) und Potsdam 2236,21 M.
(2213,51 M.) Die niedrigen Ziffern haben in den Städten der Regie-
rungsbezirke Stade 1922,14 M. (1974,13 M.), Arnsberg 1913,84 M.
(1978,97 M.) und Schleswig 2145,76 M. (2190,98 M.), sowie auf dem
Lande bei den Regierungsbezirken Arnsberg 1453,83 M. (1462,29 M.),
Trier 1473,52 M. (1509,92 M.) und Münster 1580,08 M. (1599,21 M.)
In den Stadtkreisen insbesondere stellt sich das Durchschnittseinkom-
men eines Zensiten auf 2741,40 M. (2786,47 M.) Am niedrigsten stehen
dabei Rixdorf mit 1458,42 M. (1458,56 M.), Oberhausen mit 1467,95 M.
(1489,47 M.), Linden mit 1591,20 M. (1572,40 M), Königshütte in Ober-
schlesien mit 1630,40 M. (1634,24 M.) sowie Spandau mit 1697,87 M.
(1706,29 M.) Die hóchsten Stellungen nehmen ein Bonn mit 4756,58 M.
(4964,91 M.) Wiesbaden mit 4209,88 M. (4390,15 M.), Charlottenburg
4124,95 M. (4053,83 M.) Frankfurt a. M. mit 4114,74 M. (4790,61 M.)
und Aachen mit 3750,12 M. (3877,60 M.).
51*
Miszellen.
804
c) Einkommen und Einkommensquellen der Zensiten
mit mehr als 3000 M. Einkommen.
Das veranlagte Einkommen der Zensiten in den Einkommensstufen
von mehr als 3000 M. beträgt 4099996 632 M. (4038157053 M.). Es
ist daher gegen das Vorjahr um 1,28 Proz. gewachsen, also etwas schwächer
als das Einkommen der Zensiten überhaupt. Es sondert sich nach den
(für diese Zensiten besonders zusammengestellten) Einkommensquellen
in folgender Weise:
M. M.
I. Einkommen aus Kapitalvermögen 1237093711 (1208 059 567)
I. o » Grundvermögen 996253083 ( 967880570)
II. T » Handel, Gewerbe und Bergbau 1475083154 (1496 726 722)
IV. 5 » gewinnbringender Beschäftigung 1084 406 191 (1036 694 129)
An Schuldzinsen, dauernden Lasten und sonstigen gesetzlichen Ab-
zügen sind 692839507 M. (661203935 M.) in Abzug gestellt.
d) Das Sollaufkommen der Einkommensteuer.
Das Sollaufkommen der Einkommensteuer beträgt 170193484 M.
(168127 100 M.) Dieses verteilt sich auf die Städte mit 128 238 941 M.
(126 520247 M.) und auf das Land mit 41954543 M. (41 606853 M.).
Es ist mithin gestiegen von je 100 überhaupt auf 101,23 (106,14), in
den Städten auf 101,36 (105,84) auf dem Lande auf 100,84 (107,09).
Der Steuerbetrag des einzelnen Zensiten stellte sich im Durch-
schnitt
1) in den Städten auf 2,14 Proz. (2,16 Proz.) des veranlagten Einkommens
2) auf dem Lande „ 2,23 „ (2,25 er " D
3) überhaupt „ 1,99 „ (2,01 e A up D
Auf den Kopf der Bevölkerung entfallen in den Städten 853 M.
(8,61 M.), in den Stadtkreisen 11,10 M. (11,27 M.), auf dem Lande
2,15 M. (215 M.) und überhaupt 4,93 M. (4,94 M.).
An Einkommensteuer bringen die einzelnen Einkommensgruppen
der Zensiten auf, und zwar
die Zensiten mit einem
Einkommen von:
in den Städten
über 900— 3000 M. auf dem Lande 18 449601 „ (18 181 059 ,,),28,82(28,81)Proz.
überhaupt 49045744 » (47 601342 ,.)]
in den Städten 19 792 498 ,, (18 999 296 „, 2|
» 3000— 6000 „„aufdemLande 6583936 , ( 6423272 ,,)/15,50(15,12) „
beat 26376434 , (25422568 „, "f
in den Städten 12 699 170 ,, (12410298 ,,)
„ 6000— 9500 „ bs dem Lande 2941956 ,, ( 2862002 ,, N 9,19( 9,08) »
überhaupt 15641 126 ,, (15272300 ,,)
In den Städten 25 216 290 ,, (24 888 270 ,, d
» 9500— 30500 , sauf dem Lande 4801650 , ( 4811820 ,),17,64(17,67) „
überhaupt 30017 940 ,, (29 700090 ., MI
in den Städten 18648 240 ,, (19 177 900 ,,)
» 30 500—100000 , ‘auf dem Lande 3996 600 „ (4000500 ,,)/13,31(13,79) „
\überhaupt 22644 840 ,, (23 178 400 =,
in den Städten 21 286 600 ,, (21 624 200 »)
„ 100000 M. auf dem Lande 5180800 , ( 5 328 200 .,)/15,55{16,08) „
lobersupt (26 952 400 „, jl
30 596 143 M.
26 467 400 ,,
(29 420 283 M.)
Miszellen. 805
e) Die Befreiungen nach 88 18 und 19 des Einkommen-
steuergesetzes.
Auf Grund des $ 18, nach dem bei Zensiten mit einem Einkommen
bis 3000 M. für jedes Kind unter 14 Jahren der Betrag von 50 M.
von dem an sich als steuerpflichtig veranlagten Einkommen in Abzug
zu bringen ist, sind unter 3309696 (3210831) Zensiten, deren Steuer-
veranlagung sich auf 49045744 M. (47601342 M.) beläuft, 284139
(269156) freigestellt. Davon entfallen auf die Städte 133 713 (124889)
und auf das Land 150426 (144267). Gemäß $ 19, wonach die Be-
rücksichtigung besonderer, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der
Steuerpflichtigen wesentlich beeinträchtigender, wirtschaftlicher Verhält-
nisse bei einem steuerpflichtigen Einkommen bis 9500 M. gestattet ist,
sind von den hierbei in Betracht kommenden 3678673 (5566 506)
Zensiten, die bei obigem Einkommen zu einer Gesamtsteuer von
61093304 M. (88296210 M.) veranlagt worden sind, 19252 (16664)
Zensiten freigestellt. An dieser Zahl sind die Städte mit 9901 (8209)
und das Land mit 9351 (8455) Zensiten beteiligt.
II. Die Ergänzungssteuer 1899—1901 und 1902-1904.
1. Die Veranlagungsperioden.
Das Ergänzungssteuergesetz vom 14. Juli 1893, das mit dem 1. April
1895 in Kraft trat, setzt im $ 37 eine Veranlagungsperiode von 3 Jahren
fest, jedoch mit der Beschränkung, daß die erste Veranlagungsperiode
nur für das erste Geltungsjahr 1895 und für die folgenden Steuerjahre
1896—99 die Bestimmung der Veranlagungsperiode durch Königliche
Verordnung stattfinden soll. Auch die zweite Veranlagung hat nur für
ein Steuerjahr (1896) Gültigkeit gehabt. Sodann ist durch Königliche
Verordnung vom 31. August 1896 für die Steuerjahre 1897—98 eine
besondere Periode festgesetzt. Mit dem Jahre 1899 ist die erste und
mit dem Jahre 1902 ist die zweite vom Gesetz vorgesehene 3-jährige
Veranlagungsperiode eingetreten. Die neue Veranlagung hat unter fernerer
Beibehaltung der durch einen 5-proz. Zuschlag erhöhten Steuersätze ein
Mehr von 69902 (42021) Zensiten und 2733 466,40 M. (2289 912,60 M.)
an Steuer ergeben.
2. Zahl der Zensiten und gesamte Kopfzahl der ergän-
zungssteuerpflichtigen Bevölkerung.
Es sind zur Ergänzungssteuer in der Veranlagungsperiode 1902 —
1904 im ganzen 1 297 485 (1899—1901: 1227583) Zensiten oder 1902 —
1904: 3,76 (1899—1901: 3,72) Proz. der Gesamtbevölkerung veranlagt.
Davon treffen auf die Städte 616 917 (569596) Zensiten oder 4,10
(4,08) Proz, auf die Stadtkreise insbesondere 339 812 (296556) Zen-
siten oder 3,83 (3,84) Proz. und auf das Land 680568 (657 987) Zensiten
oder 3,49 (3,46) Proz. Die veranlagte Bevölkerung, einschließlich der
Angehörigen der Zensiten, beträgt
806 | Miszellen.
in den Städten 1951479 (1825 973) Köpfe
auf dem Lande 2821 336 (2765652) „
zusammen 4772815 (4591625) Köpfe
oder auf einen Zensiten in den Städten 3,16 (3,21), auf dem Lande
4,15 (4,20) und überhaupt 3,68 (3,74) Köpfe. Sonach gehören durch-
schnittlich zu einem Zensiten in den Städten 2,16 (2,21) und auf dem
Lande 3,15 (3,20) Angehörige.
In den Jahren 1895, 1896, 1897—98, 1899— 1901 hatte die ver-
anlagte Bevölkerung in den Städten je 13,85; 13,49; 13,29; 13,08 Proz,
auf dem Lande je 14,33; 14,30; 14,38; 14,55 Proz. und insgesamt 14,14;
13,97; 13,93; 13,92 Proz. der Gesamtbevölkerung betragen. In den
Städten wächst also die ergänzungssteuerpflichtige Bevölkerung, ein-
schließlich der Angehörigen nicht so rasch als die Gesamtbevölkerung;
auf dem Lande ist sie verhältnismäßig etwas ausgedehnter als in den
Städten und hat in den beiden Veranlagungsjahren 1897 — 98 und 1899—
1901 auch dementsprechend zugenommen, während im letzten Veran-
lagungsjahr 1902 eine kleine Abnahme zu verzeichnen ist. Ohne Zweifel
haben wir hier die Rückwirkung der auf die Aufschwungsepoche 1899 —
1900 folgende Depression zu beobachten.
Zur Ergänzungssteuer sind veranlagt mit einem Einkommen:
von nicht mehr als 3000 M. 946674 (913 662) Zensiten
von mehr als 3000 „ 350811 (313 921) e
Von den letzteren entfallen:
auf die Städte 264 683 (236 186) Zensiten
auf die Stadtkreise 183 222 (157 906) »
auf das Land 86 128 ( 77 735) M
3. Veranlagtes Vermögen der Zensiten.
Das gesamte ergänzungssteuerpflichtige Vermögen der Zensiten
beträgt 75 657476 085 M. (70042198554 M.) Von diesem entfällt
auf die Städte 47 581 434 248 M. (43 361 440 961 M.)
auf das Land 28076041837 „ (26680757593 „)
Das Durchschnittsvermögen eines Zensiten stellt sich daher
in den Städten auf 77 127,77 M. (76 126,66 M.)
auf dem Lande „ 41253,84 , (40 549,06 ,)
überhaupt » 58310,87 „ (57057,00 ,)
In den Stadtkreisen insbesondere beträgt das Durchschnittsvermögen
102 822,69 M. (104823,49 M.), darunter in Frankfurt a. M. 186 000,89 M.
(197 306,11 M.) in Charlottenburg 174073,18 M. (161 326,26 M.) in
Essen 161752,36 M. (173401,38 MI, in Wiesbaden 14911734 M.
(147918,79 M), in Berlin 145 208,49 M. (148712,95 Mi, in Bonn
138 184,01 M. (133 681,55 M.), in Düsseldorf 133 041,97 M. (128 926,65 M.)
und in Aachen 125854,33 M. (138161,29 M.). Das steuerpflichtige
Vermögen sämtlicher Zensiten ist somit um 5620 Mill. M. oder um
8,02 Proz. gestiegen. Diese Zunahme beträgt in den Städten 4220 Mill. M.
oder 9,73 Proz, auf dem Lande 1400 Mill M. oder 5,23 Proz. und
beim einzelnen Zensiten durchschnittlich 1253,87 M. (1552,01 M.)
Gruppenweise geordnet, beträgt die Zahl der Zensiten mit einem
Vermögen von mehr als
Miszellen. 807
6000— 20000 M. 634398 (601 265) oder 48,89 (48,98) Proz. der Gesamtzahl
20000— 32000 ,, 228171 (217433) „ 17,59 (17,71) „ » »
32000— 52000 ,, 177633 (168896) ,, 13,69 (13,76) „ n n
52000— 100000 ,, 137 700 (129 382) „ 10,61 (10,54) „ " »
100 000— 200000 „, 66 844 ( 62226) „ 5,15 ( 5,07) „ n 5
200 000— 500000 ,, 35947 (32971) „ 2,77 ( 2,69) „ ^" HI
500 000—I 000 000 „, 10191 ( 9394) » 0,79 ( 0,77) „ i 5
I 000 000—2 000 000 ,, 4257 ( 3906) „ 0,38 ( 0,32) „ T »
2 000 000 » 2344 ( 2110) „ uri ede) D »
Ein Vermögen von mehr als 500000 M. besitzen nur 1,29 (1,26) Prók:
aller Zensiten. Vorstehende Gruppenbildung zeigt in allen Gruppen eine
Vermehrung der Zahl der Zensiten an, mit Ausnahme der Gruppen von
mehr als 6000—52000 M., deren Anteilsziffer der Zensiten sich ver-
ringert hat.
4. Vermógen und Vermógensarten der Zensiten mit mehr
als 3000 M. Einkommen.
Das veranlagte Vermögen der 350811 (313921) Zensiten mit mehr
als 3000 M. Einkommen betrügt:
in den Städten 39 442 630 248 M. (35 709 919 961 M.)
auf dem Lande 13779436837 , (12649535593 ») -
zusammen 53222007 085 M. (48 359 455 554 MI
Es sondert sich nach den einzelnen Vermögensarten folgendermaßen:
1. Kapitalvermögen 28 788 260 589 M. (25 590 413 165 M.)
II. Grundbesitz einschließlich d. Betriebskapitals 28 248 372 820 ,, (25 178757 165 ,,)
III. Anlage- u. Betriebskapital in Handel, Ge-
werbe und Bergbau 10 469 378442 , ( 9703 239 365 ,)
IV. Wert der selbständigen Rechte und Ge-
rechtigkeiten 134470012 „ ( 116591327 ,,)
In Abzug ist der Kapitalwert der Schulden mit 14418414778 M.
(12229545470 M.) gebracht. Das Gesamtvermögen aus den vier Ver-
mögensarten ist um rund 7051 Mill. M., dagegen der Kapitalwert der
Schulden nur um 2189 Mill. M. gewachsen, so daß das veranlagte Ver-
mögen um rund 4863 Mill. M. gestiegen ist.
Unterscheidet man auch hier wieder nach Stadt und Land, so er-
gibt sich für die Jahre 1902 (1899):
in den Städten auf dem Lande
ee, nn
I. ein Kapitalvermögen 23 235 803 882 M. (20820 212349 M.) 5 552456 707 M. ( 4 700 200 816
II. ,, Grundvermügen 17312223024 ,, (14 890 117 567 „) 10936 149 796 „ (10 288 639 598
Ill. , gewerbliches An-
lage- u. Betriebskapital 9034 151455 „ ( 8371565050 „) 1435 226987 „ ( 1331674315
IV. ein Wert der selb-
ständigen Rechte und
Gerechtigkeiten 67 694854 „ ( 60679 248 „) 66775158 „ ( 55912081
V. ein Kapitalwert der
Schulden 10 207 242 967 „ (8432654253 „) 4211171811 „ ( 3 796 891 217
5. Das Sollaufkommen der Ergänzungssteuer.
Das Sollaufkommen der Ergänzungssteuer beträgt 36 916 587,80 M.
(34183 121,40 M.) und verteilt sich
auf die Städte mit 23874 108,00 M. (21 837 450,60 M.)
» » Stadtkreise „ — 17739147,80 „ (15 844 437,20 „)
das Land » 13042479,80 „ (12345 670,80 ,)
DI
—
M.)
sel
»)
»)
»)
808 Miszellen.
Auf den Kopf der Bevölkerung entfallen in den Städten 1,59 M.
(1,56 M.), in den Stadtkreisen 2,00 M. (2,05 M.), auf dem Lande 0,67 M.
(0,65 M.) und überhaupt 1,07 M. (1,05 M.).
An Ergänzungssteuer bringen die einzelnen Vermögensgruppen der
Zensiten auf, und zwar bei einem Vermögen von mehr als
6000— 20000M. 3 341 050,40 M. (3 173 770,40 M.) oder 9,05 ( 9,28) Proz. des Gesamtsolls
20 000— 32000 „ 2425 979,00 , (2317 197,00 „) „ Bail 6,78) „ ,, n
32 000 — 52 000 DI A 605 576,20 » (3 426 820,60 LL ) » 9,77 (10,02) LL HI n
52000— 100 000 „ 4820741,00 ,, (4524 690,60 „) „ 13,06 (13,24) » » n
100 000— 200000 , 4677 497,00 „ (4350429,80 „) » 12,07(12,73) „ » D
200 000— 500000 ,, 5522 599,40 ,, (5 062 741,60 „ ) » 14,96 (14,81) n DI D
500 000—I 000 000 „ 3 635 358,00 » (3 346 280,60 » ) n 9,85( 9,79) n DI nm
I 000 000—2 000 000 » 3 056 965,80 » (2 804 199,40 » ) » 8,28 ( 8,20) LL HI n
2 000 000 » 5 830 821,00 „(5 176 984,40 ,,) , 15,79 (15,14) „ » n
Gegen das Vorjahr bleiben demgemäß sämtliche Gruppen der Zen-
siten mit einem Vermögen bis zu 200000 M. mit ihren Anteilsziffern
zurück, während die Vermögen von mehr als 200000 M. in stärkerem
Maße daran beteiligt sind. Die Vermögen über 500000 M. bringen
33,92 (33,14) Proz, die kleinen von nicht mehr als 32000 M. 15,62
(16,06) Proz. und die mittleren 50,46 (50,80) Proz, d. h. mehr als die
Hälfte des gesamten Steuersolls auf.
b) Ermäßigungen und Freistellungen nach 8 17 und 19
des Ergänzungssteuergesetzes.
Nach $ 17 Abs. 1 des Ergänzungssteuergesetzes werden diejenigen
Personen, deren steuerbares Vermögen den Gesamtwert von 6000 M.
nicht übersteigt, nicht zur Steuer herangezogen. Infolgedessen sind
von den einkommensteuerpflichtigen Zensiten 2709435 (2071740) zur
Ergänzungssteuer nicht veranlagt. Von ihnen entfallen auf die Städte
1844751 (1414157) und auf das Land 864684 (657583). Nach Abs. 2
des gleichen $ 17 sind diejenigen Personen steuerfrei zu lassen, deren
nach Maßgabe des Einkommensteuergesetzes zu berechnendes Einkommen
900 M. nicht übersteigt, sofern der Gesamtbetrag ihres Vermögens nicht
mehr als 20000 M. beträgt. Diese Bestimmung ist auf 295 752 (280682)
Personen angewendet worden, von denen 71229 (63 607) auf die Städte
und 224253 (217075) auf das Land entfallen. Diese letztere Ver-
günstigung ist durch Abs. 3 des $ 17 auf weibliche Personen, die
minderjährige Familienangehörige zu unterhalten haben, sowie auf vater-
lose, minderjährige Waisen und Erwerbsunfähige mit einem Jahres-
einkommen bis 1200 M. ausgedehnt. Demgemäß sind noch 1283 (1544)
Zensiten und zwar in den Städten 457 (516) und auf dem Lande 826
(1028) freigelassen.
Der 8 19 des Ergänzungssteuergesetzes bestimmt, daß Personen,
deren Vermögen 32000 M. nicht übersteigt, wenn sie zur Einkommen-
steuer nicht veranlagt sind, mit höchstens 3 M. jährlich, wenn sie zu
den ersten 4 Stufen dieser veranlagt sind, höchstens um einen um 2 M.
unter der von ihnen zu zahlenden Einkommensteuer verbleibenden Be-
trage zur Ergänzungssteuer herangezogen werden. Auch kann nach
Abs. 2 Steuerpflichtigen, deren Einkommensteuer auf Grund des $ 1?
Miszellen. 809
des Einkommensteuergesetzes ermäßigt wird, bei Veranlagung eine Er-
mäßigung der Ergänzungssteuer um höchstens 3 Stufen gewährt werden,
wenn das steuerpflichtige Vermögen nicht mehr als 52000 M. beträgt.
Mit Rücksicht auf die erstere Bestimmung sind zu den Ergänzungs-
steuersätzen von 3, 4, 7, 10 und 14 M. veranlagt 279479 (271199)
Zensiten) und zwar in den Städten 62426 (59231) und auf dem Lande
217053 (211968). Auf Grund des $ 19 Abs. 2 sind noch 353 (423)
Zensiten freigestellt.
III. Vergleichende Uebersicht über einige Hauptziffern für 1892—1902.
l. Die Einkommensteuer (1892—1902).
> Oh vais! $
Steuer- ag al Nicht- | Veranls- [Deber- | en
Se Ee "| physische | gungsoll | haupt | in den |auf dem | Proz. der
jahre | Zensiten | gungssoll |, ten Städten | Lande | Bevölke-
Mill. Mill. M. Mill. M. | Mill. | Mill. | Mill. rung
1892 2,4 124,84 2028 | 10,06 2,44 1,41 1,03 8,15
1896 2,65 127,08 1929 6,17 2,65 1,57 | 1,08 8,46
1897 2,17 134,95 2001 | 8,05 2,76 1,65 1,11 8,68
1898 2,91 146,74 2124 10,33 2,91 1,75 1,16 8,99
1899 3,09 159,56 2262 12,97 3,09 1,87 1,22 9,40
1900 3,38 174,39 2443 15,99 3,38 2,07 1,31 10,09
1901 3,65 186,89 2661 18,76 3,65 2,24 1,41 10,71
1902 3,76 188,84 2670 18,64 3,76 2,33 1,43 10,88
Veranlagungssoll der physischen | Das veranlagte Einkommen der physischen
Zensiten Zensiten
in den | auf dem " | in den auf dem
Ueberhaupt | Städten | Lande | Ueberhaupt | Städten Lande
Mill. M. | Mill. M. | Mill. M. Mill. M. Mill. M. Mill. M.
1892 114,79 84,32 | 30,47 5724,32 3873,32 1851,01
1896 120,31 89,77 | 30,54 6086,05 4183,28 1902,77
1897 126,90 95,18 | 31,72 6374,60 4410,10 1964,15
1898 136,41 103,04 33,37 6774,94 724,40 2050,54
1899 146,58 110,75 35,83 7257,81 5072,48 2185,33
1900 158,40 119,54 38,85 7841,29 5489,32 2351,97
1901 168,13 126,52 41,61 8376,06 5856,10 2519,95
1902 170,19 128,24 41,95 8559,88 6002,00 2557,88
Zahl der physischen Zensiten
mit mehr als 3000 M. Ein-| Proz. der Bevölkerung Re dieser
kommen Zensiten
K Ueber- | in den 'auf dem | Ueber- | in den auf dem
Ueber- | in den |auf dem | |
coa Dev Lande haupt | Städten | Lande
haupt | Städten | Lande | po; | Proz. | Proz. | Mill. M. | Mill. M.| Mill. M.
1892 | 316 889 | 237 756 79 133 | 1,060 | 2,010 0,438 | 3223,83 2473,92 | 749,91
1896 | 331 091 | 251 958 79133 | 1,056 | 1,976 0,425 |3371,81|2633,91| 737,91
1897 | 345 328 | 263 453 81875 | 1,084 | 2,012 0,437 3562,58 | 2792,36 | 770,22
1898 | 309 384 | 284 477 84 907 | 1,142 | 2,106 0,451 |3836,04 | 3032,09 | 803,95
1899 | 390 957 | 301 088 89 869 | 1,188 | 2,158 0,474 |4144,86 | 3278,05 | 866,81
1900 | 413 878 | 313 583 95 295 | 1,237 | 2,222 0,498 | 4444,68 | 3512,83 | 931,85
1901 | 435 696 | 334872 | 100824 1,219 | 2,279 0,521 |4709,36 | 3716,06 | 993,30
1902 | 449 681 | 346 399 | 103 342 | 1,301 2,304 0,529 |4792,84 | 3783,65 | 1009,19
810 Miszellen.
Einkommen der Zensiten mit mehr als 3000 M. aus:
III. Handel, Gewerbe und
I. Kapitalvermögen II. Grundvermögen Bergbau
Ueber- | in den ` auf dem| Ueber- | in den | auf dem Ueber- | in den |auf dem
haupt | Städten | Lande | haupt | Städten, Lande | haupt | Städten | Lande
Mill. M. | Mill. M. | Mill. M. | Mill. M. | Mill. M. | Mill. M. Mill. M. | Mill. M. | Mill. M.
1892| 891,72 | 716,88 | 174,84 | 755,36 | 388,95 | 366,41 | 982,80 | 867,04 | 115,77
1896| 912,46 | 736,67 | 175,79 | 755,29 | 426,19 | 329,10 | 1019,22 | 898,68 | 120,54
1897 | 942,85 ' 760,98 | 181,87 | 784,63 | 448,27 | 336,36 | 1106,02 974,39 | 131,64
1898 | 995,59 | 810,66 | 184,93 | 815,80 | 470,54 | 345,25 | 1206,18 | 1061,14 | 145,04
1899 | 1080,86 | 881,88 | 198,98 | 867,43 | 504,53 | 362,89 | 1304,12 | 1141,95 | 162,17
1900 | 1141,14 | 926,93 | 214,21 | 921,38 | 540,05 | 381,33 | 1418,41 | 1240,22, 178,19
1901 | 1208,06 | 978,24 | 229,82 | 967,88 | 575,69 | 392,19 | 1496,73 | 1298,81 | 197,98
1902 | 1237,09 997,87 | 239,22 | 996,25 | 607,07 | 389,18 | 1475,08 | 1280,42 | 194,67
' I
d S insen
IV. Aus gewinnbringender | SE an Sida
Beschäftigun | ; arunter Se zinsen
gung | Abzug der Schulden nach 8 9, I, 2
Ueber- | in den | auf dem, Ueber- | in den |auf dem | Ueber- | in den |auf dem
haupt Städten | Lande | haupt | Städten | Lande | haupt | Städten | Lande
Mill. M. Mill. M. Mill. M.) Mill. M. | Mill. M. Mill. M. | Mill. M. | Mill. M. Mill. M.
1892] 593,54 | 501.05 | 92,89 | 431,48 | 276,21 | 155,28 | 367,83 | 234,29 | 133,54
1896 | 684,85 | 572,37 | 112,48 482,50 | 325,78 | 156,72 | 410,47 | 276,79 | 133.67
1897 | 729,08 ! 608,72 ' 120,36 | 506,29 | 344,80 | 161,49 | 429,95 | 293,26 | 136,69
1898 | 818,47 689,74 | 128,73 | 533,04 | 370,08 | 162,97 | 450,78 | 313,59 | 137,18
1509 | 892,45 749,68 | 142,76 | 572,50 | 402,74 | 169,76 | 485,49 | 342,10 | 143,09
1900 | 963,75. 805,63 | 158,13 | 614,58 | 434,89 | 179,69 | 521,21 | 370,66 | 150,55
1901]|1036,59; 863,32 | 173,38 | 661,20 | 472,29 188,91 | 561,69 | 403,17 158,52
1902 | 1084,11 898,29 | 186,12 | 692,84 | 498,17 | 194,67 | 590,73 | 427,34 | 163,39
2. Die Ergànzungssteuer (1895—1904).
Gesamtzahl der Zensiten | Proz. der Bevölkerung | Gesamtveranlagungssoll
| Ueber- in den | auf dem
dem
, 2313 | haupt | Städten | Lande
haupt |Städten| Lande |\ wi. M. Mi. X.
Ueber-| in den jauf dem | Ueber-| in den laut
haupt | Städten | Lande |
]
1895
1,15 0,52 0,63 418 | 3,74 : 3,44 | 31,05 | 19,21 11,84
1896 1,17 0,53 0,64 4,14 | 3,72 3,43 31,06 | 19,23 | 11,83
1897—1898 | 1,18 0,54 0,64 4,11 | 3,70 3,12 31,83 | 19,88 11,95
1899—1901 | 1,23 0,57 0,66 4,08 | 3,72 | 3,46 34,18 | 21,84 12,35
1902—1904 | 1,30 0,62 0,68 4,10 | 3,76 3,49 36,92 | 23,87 13,04
Veranlagtes Vermögen der | Zahl der Zensiten mit mehr Proz. der Bevölkerung
Zensiten als 3000 M. Einkommen
J ZS: x |
Uebers | E deu [auf dem Ueber- | in den ‚auf dem Ueber- | in den |auf dem
haupt | Stüdten | Lande | haupt | Städte Lande | haupt | Städten | Lande
MIT ME, MR EE FR RANCE 1 IAURT RE :
1895 63 917,81 38 350,20 25 567,60 268 883 | 199 991 | 68892 | 0,873 1,606 | 0,975
1896 64 024,18 38 350,42 25 673,76 274 IOI | 204 440 | 69 664 | 0,875 | 1,603 | 0,355
1897—1898 |65 676,92 39 790,24 25 886,68 284 744 | 213 129 | 71615 | 0,894 1,827 0,382
1899—1901 [70 042,20 43 361,44/26 680,76 313 921 | 236 186 | 77 735 | 0,952 1,692 | 0,409
1902—1904 [75 657,48 47 58149128 076,04 350 811 | 264 683 | 86 128 | 1,015 | rue | 0,441
Miszellen.
811
Gesamtvermógen und Vermógensbestandteile der mit mehr als
Ueber-
haupt
Mill. M.
52 267,90|
1896 52 978,94
1897—1898 [55 069,63
1899—1901 [60 589,00
3000 M. veranlagten Zensiten.
I. Aus Kapitalvermógen
in den |auf dem| Ueber- | in den
Stüdten | Lande haupt | Städten
Mill. M. Mill. M. Mill. M. | Mil. M.
137 123, ilis 144,76,21 401, 51/17 224,06
37 833,42 15 145,52 21 765,5617 501,13
139 580,69 15 488,94 22 974,16 18 546,51
44 142,57 16 446,43 25 590, 51 20 820,21
1902—1904 167 640,48
49 649,87 17 990, 61 28 788,26 23 235,80
auf dem
Lande
Mill. M.
4177,45
4264,43 22 486,98 12 793,12| 9 693,86
4427,65)
4770,20,
5552,46
Aus Grundvermögen und
Betriebskapital
Ueber-
haupt
Mill. M.
II.
auf dem
Lande
| Mill. M.
22 309,15 12 551, 37| 9 758,38
in den
Städten
Mill. M.
23 148,50 13 302,13| 9 846,36
25 178,76 14 890,12 10 288,64
28 248,37|17 312, ‚22|10 936, 15
III. Anlage- und Betriebs-| IV. Wert selbständiger |
kapital in Handel, Gewerbe, Rechte und Gerechtig-
Kapit: wert der abzugs-
berechtigten Schulden
und Bergbau keiten
Ueber- | in den auf dem Ueber- | in den lauf dem Ueber- in den lauf dem
haupt |Städten | Lande | haupt | Städten! Lande | haupt | Städten | Lande
Mill. M. ‚Mill. M. „Mill. M. Mill. M. DE M. ‚Mill. M. Mill. M. | Mill. M. Mill. M.
1895 8 425,88/7291,96 | 1133,92.130,77 | 55,15 75,01 | 9 727,79, 6 314,42 3413,37
1896 8 612,68 7479,78 | 1132,90 113,72 | 59,38 54,38 |10 317,94) 6 876,07|344 1,87
1897—1898 | 8 835,99 7667,14 | 1168,85 110,99 | 64,91 46,08 110 778,75 7 219,321 3559,48
1899—1901 | 9 703,24 8371,57 | 1331,67 116,59 | 60,68 55,91 |12 229,55) 8 432,7513796,89
1902—1904 [ro 469,38 9034,15 1435,23|134,47 67,69 66,78 |14 418,41 IO 207,24 4211,17
Das gesamte Veranlagungssoll der Einkommen- und der Er-
gänzungssteuer beträgt 225 754 430,80 M. (221 071 805,40 M.) oder
6,53 M. (6,49 M.) pro Kopf der Bevölkerung.
812 Miszellen.
Nachdruck verboten.
XVII.
Die Methodik der Wirtschaftswissenschaft
bei Johann Heinrich von Thünen.
Von F. Lifschitz, Bern.
In unserem Zeitalter, in welchem ein Gárungsprozef sich wahr-
nehmen läßt, der dahin auslaufen dürfte, die hohe Synthese zu voll-
ziehen, mag als zweckmäßig betrachtet werden, die älteren Methodologen
der Wirtschaftswissenschaft im vollen Lichte erscheinen zu lassen. Dies
gilt um so mehr für diejenigen Methodologen, deren Methodik in der
Fachliteratur noch nicht zur Genüge festgestellt worden ist. Zu diesen
gehórt auch Johann Heinrich von Thünen.
Die Bedeutung Thünens für unsere Wissenschaft ist noch nicht
entsprechend gewürdigt worden. Es herrscht in der Fachliteratur zum
größten Teil die Meinung, als ob man es bei ihm mit einer Lehre
zu tun hätte. Allein wenn man sich mit dem „isolierten Staat“ ein-
gehend befaßt, so gewinnt man die Einsicht, daß wir hier einen viel-
seitigen systematischen Gedankenbau vor uns haben. Es ist weder ein
„Industriesystem“ schlechthin noch ein „Landwirtschaftssystem“, sondern
ein System, welches sich auf diesen beiden Zweigen des Wirtschaftslebens
aufbaut. Dieser leitende Gesichtspunkt verleiht seinem Aufbau die Er-
habenheit und die Größe. Dadurch ist begreiflich, daß Roscher!) ihn
als den „größten exakten Volkswirt der Deutschen“, Oncken?) und
Conrad?) als „Klassiker“ bezeichnet haben.
Es ist unter den Fachgenossen üblich geworden, wenn von Thünen
die Rede ist, von einem Gesetz zu sprechen, nämlich von dem „Trans-
portkostengesetz“. Damit aber wird man Thünen nicht gerecht. Denn
er hat nicht nur eine Lehre oder ein Gesetz aufgestellt, sondern viel-
mehr mehrere Gesetze und Lehren zu begründen versucht, wie eine
Landrententheorie, Wertlehre *), Handels- und Sozialpolitik, Bevölke-
1) In Georgika, Sammlung von Abhandlungen u. Vortrügen, herausgegeben von
Birnbaum, Bd. 1, S. 77, Leipzig 1870.
2) Vgl. dessen: , Was sagt die Nationalókonomie als Wissenschaft über Bedeutung
hoher und niedriger Getreidepreise ?“, 1901.
3) Siehe „Grundriß zum Studium der polit. Oek.“, 3. Aufl, S. 345.
4) Bezüglich der Wertlehre hat Conrad mit Recht Thünen als Vorlüufer der
„Wiener Schule“ bezeichnet; siehe u. O. A.; vgl. auch Bóhm-Bawerks „Kapital u.
Kapitalz.“, I. Teil.
Miszellen. 813
rungstheorie, Methodologie u.a. Freilich kann es hier nicht am Platze
sein, alle diese Theorien darzustellen, da es dazu einer umfassenden
Darlegung bedürfen würde. Es soll hier nur versucht werden, die Methodik
Thünens darzustellen.
Die Auffassung der Thünenschen Methode wird in der Fachliteratur
von Brentano!), Dühring?) Roscher?), Ingram), Oncken®),
Conrad®), Philippovich?), Grünberg8), Cohn?) u. a. als
die abstrakt-isolierend-deduktiv-mathematische, von an-
deren dagegen als die deskriptive bezw. induktive bezeichnet.
Zur letzteren Auffassung bekennt sich G. Schmoller!°P), an welchen
sich neuerdings auch R. Passow 11) angeschlossen hat. Wie wir sehen,
gehen die zwei Auffassungen über die Methode Thünens weit auseinander,
sie sind geradezu entgegengesetzt.
Diese entgegengesetzten Auffassungen über die Methode Thünens
mógen auffallen. Allein sie haben beide ihren Grund in der Form
und Darstellungsweise des „isolierten Staates“. Die Zahlen und Ziffern,
welche in der Thünenschen Konstruktion zum Vorschein kommen,
haben einzig und allein zu den beiden entgegengesetzten Auffassungen
veranlaft. Denn wenn Thünen mit Zahlen und Ziffern operiert, so
wurde daraus gefolgert, er verfahre induktiv; Ebenso wurde der
Schluß gezogen, Thünen verfahre mathematisch, indem er mit den
Zahlen und Ziffern als mit mathematischen Größen operiert. Zahlen
und Ziffern an sich sind nun aber weder induktiv noch deduktiv,
sondern das hängt ausschließlich davon ab, wie man sie ver- und an-
wendet — das wurde übersehen. Den frappantesten Beweis dafür liefert
die Statistik, auf deren Gebiete man sowohl induktiv als deduktiv ver-
fahren kann. Diese ausschließliche Form des „isolierten Staates“, d. h.
die Zahlen und Ziffern, mit welchen das Thünensche Werk ausgerüstet
ist, führte einerseits za der Auffassung einer mathematischen,
andererseits zu der der induktiven Methode Damit ist die Ur-
sache der entgegengesetzten Auffassung festgestellt und vollständig
erklärt.
Die Feststellung der Methode eines Denkers bietet Schwierig-
keiten verschiedener Art: erstens, wenn der betreffende Denker seine
Methode nicht selbst bezeichnet hat, oder wenn der Begriff und die
Charakteristik der methodischen Terminologie derart sich umgestaltet
hat, daß sie demjenigen Stand der Terminologie, bei welchem der be-
1) Vgl. dessen: „J. H. von Thünen‘“, 1867.
2) „Kritische Geschichte der Nationalökonomie“ ete., 2. Aufl., S. 317.
3) „Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland“, S. 896.
4) „Geschichte der Volkswirtschaftslehre‘, deutsch von Roschlau, S. 255.
5) „Geschichte der Nationalökonomie“, Einleitung, 1902.
6) „Grundriß‘ ete.
7) „Grundriß der polit. Oekonomie“, Bd. 1, 1899, S. 40.
8) „Handw. d. Staatsw.“, 2. Aufl, Art. „Thünen“,
9) „System der Nationalökonomie“, Bd. 1, 1585, S. 125—120.
10) In seinem „Grundriß‘“.
11) In „Zeitschr. für die gesamte Staatswiss.", 1902, S. 1—38.
814 Miszellen.
treffende Denker gedacht und geschrieben hat, nicht mehr entsprechen.
Hier laufen wir Gefahr, dem Denker unrecht zu tun, indem wir unbe-
wußt ihm unsere Auffassung unterschieben; zweitens, falls der betreffende
Denker seine Methode selbst bezeichnet, aber trotzdem dieser Methode
nicht entsprochen hat, so daß also seine wirkliche Forschungsweise gar
nicht die ist, welche er angeblich als die seinige betrachtet. Diese
Schwierigkeiten steigern sich um so mehr, wenn zwischen dem betref-
fenden Denker und dessen Forscher eine längere historische Periode
liegt. Denn der Satz „alles fließt“ hat auch im Bereich der Begriffe
seine Geltung. Man muß sehr vorsichtig sein, falls man der „Moderni-
sierung“ nicht anheimfallen will, und auf diese Weise den Ansichten
eines Denkers unsere eigenen Ansichten unter historischem Vorwand
unterzulegen.
Wir haben zunächst die Stellung Thünens zu dem deskriptiven und
induktiven Verfahren zu betrachten. Dieselbe ist am leichtesten aus
seiner Kritik und Auseinandersetzung mit den älteren Schriftstellern,
besonders Smith, abzuleiten.
Es muß hier darauf hingewiesen werden, daß die „klassische National-
ükonomie* seitens der historischen Schule angegriffen wurde,
weil sie „dogmatisch“ und nicht historisch-induktiv verfahren hätte.
Behalten wir diesen Punkt im Auge und lassen wir nun die Thünen-
sche Kritik über Smith Revue passieren.
„Adam Smiths Untersuchung über den Kapitalgewinn* — sagt
Thünen — „enthält zwar schätzbare Notizen über die Größe desselben
in verschiedenen Ländern und zu verschiedenen Zeiten, aber nur Weniges
und Unzulängliches über die Gesetze, wodurch die Höhe der Gewinnste
und der Zinsen bestimmt wird“ !) Wie man sieht, betrachtet Thünen
Smith als einen historisch-induktiven Nationalókonomen, und eben des-
halb findet er seine Methode als ungenügend, weil sie „Weniges und
Unzulàngliches über die Gesetze“ darbietet. Thünen bleibt dabei nicht
stehen. Er meint von Smith weiter, dal er nur die Erscheinung, das,
was vor Augen vorgeht, beschreibe ?). Ueber das, was Smith vom
Marktpreis sagt, meint Thünen: „Diese Erklärung ist aus dem Leben
genommen, das ist Tatsache. Aber was ist, müssen wir nun fragen,
damit für die Wissenschaft gewonnen?“®), Er fügt in diesem Zu-
sammenhang eine Note bei, die für seinen Standpunkt sehr charakte-
ristisch ist. Sie lautet folgendermaßen: „Dies heißt das Leben ab-
schreiben, aber Vernunft ist nicht darin, sagte ein Freund, dem ich
diese Sätze mitteilte“ 4). Thünen sucht diesen Umstand mit folgenden
Worten zu erklären: „A. Smith begnügte sich damit, die Tatsachen
und Erscheinungen, die sich ihm darboten, zusammenzustellen und zu
einer Uebersicht. zu vereinigen — und dies war zu seiner Zeit und bei
dem damaligen Stand der W issenschaft ein sehr verdienstliches Werk.
1) Vgl. „den isolierten Staat“, 1875, II. Teil, 1. Abt., 8. 55.
2) U. O. A., S. 56 und auch S. 71.
3) Ebenda, S. 60.
4) Ebenda.
es amem
Miszellen. 815
Den Grund der Erscheinungen zu erforschen, lag in dem vorliegenden
Fall noch nicht in seiner Aufgabe“ 1),
Wie wir sehen, haben wir es hier bei Thünen mit einer anderen
Auffassung der Smithschen Methode zu tun, nach der Smith als Tat-
sachennationalökonom zu betrachten ist. Auch Thünen, wie die
historisch-induktive Schule, befriedigt nicht die Methode
Smiths; beide postulieren eine andere Methode, beide finden sie für un-
zureichend, aber mit einem großen Unterschied. Während Thünen die
Smithsche Methode als historisch-induktiv hinstellt, welche von Smith
allzusehr gepflegt worden sei, so meinte die historische Schule über
Smith fast das Gegenteil, indem sie Smith als zu dogmatisch hin-
stellte und zu historisch-induktiven, archivalischen Arbeiten, um „Tat-
sachen“ festzustellen, aufforderte Hier kommt der schroffste Gegensatz
zwischen der historisch-induktiven Richtung und Thünen zum eklatanten
Ausdruck. Dadurch ist auch erklärlich, warum eben über Smiths
Methode zwei entgegengesetzte Meinungen gefällt worden sind. Diese
Stellungnahme Thünens zu der Smithschen Methode erklärt uns zur Ge-
nüge seine eigene Beziehung zu der historisch-induktiven Forschungs-
weise auf dem Gebiete der Wirtschaftswissenschaft, er will nicht die
„Tatsachen“, weil das, wie er meint, nichts anderes heile, als „das
Leben abschreiben“, ohne daß Vernunft darin sei, sondern er strebt zur
Theorie, zur Dogmatik. Das ist die Aufgabe, welche Thünen sich
gestellt hat, wie wir bereits kennen gelernt haben.
In dem bisherigen ist versucht worden, die Stellung Thünens zu
dem historisch-induktiven Verfahren darzutun. Es hat sich ergeben,
daß er gegen „das Leben abschreiben“ eingenommen ist. Dafür haben
uns die oben angeführten Stellen den Beweis geliefert. Es bleibt uns
nun übrig, uns seiner Forschungsweise selbst zuzuwenden und insbe-
sondere seinen positiven methodischen Erörterungen.
Schon der Name seiner Schrift „Der isolierte Staat“, wie auch die
ganze Konstruktion spricht dafür, daß er auf dem Standpunkt der
Isolierungsmethode, d.h. der mathematischen, steht. Bedenkt man
noch, daß er anfänglich für sein Werk die Bezeichnung „idealer Staat“
gewählt hat?), weil seine Untersuchung in ein ideales Verhältnis ver-
setzt?), das in der Wirklichkeit nicht vorhanden ist, und wenn man
noch hinzufügt, daß Thünen seinen „naturgemäßen Arbeitslohn“ in der
1) Ebenda, S. 64; es würe noch zu erinnern, wie sich Thünen zu Say in metho-
discher Beziehung stellt. Auch Say gehört zur „klassischen Dogmatik“. Bekanntlich
hat Say nicht besonderen historischen Sinn verraten, und er hat sich ungünstig über
das induktive Verfahren ausgesprochen, indem er meinte: „Die Kenntnis von Tatsachen
ohne die Kenntnis ihrer Verkettungsringe ist weiter nichts als der unverdaute Notizen-
kram eines Buchhalters.“ Vgl. Say-Morstadt, „Ausführliche Darstellung der
Nationalökonomie“ ete., Bd. 1, 1830, S. 12. Thünen sagt von Say in Bezug auf dessen
Erklärung der Konkurrenz, Say begnüge sich mit der Auffassung der Erschei-
nung, man müsse aber den Grund zu erforschen suchen. U. O. A., S. 135.
2) Vergl. H. Schumacher: „J. H. v. Thünen, Ein Forscherleben*, S. 71 und 72,
Rostock 1868.
3) Vergl. „Der isol. Staat", II. Teil, II. Abt., S. 1.
816 Miszellen.
Formel V/ap ausdrückt, und daß er sich mit der Erforschung dieses Ge-
setzes 20 Jahre beschäftigte!), so dürfte es schon aus diesen Gründen
allein erlaubt sein, bezügliche Rückschlüsse zu ziehen. Allein der „iso-
lierte Staat“ bietet für unser Problem so reichliches Material, daß wir
nicht gezwungen sind, uns auf die hier angeführten Beweise als auf
eine Hauptstütze zu berufen. Wir wollen eine ausführliche Angabe der
im „isol. Staat“ hie und da zerstreuten Stellen, welche sich auf die
Methode beziehen, hier wiedergeben.
„Noch bitte ich die Leser“ — sagt Thünen — „die dieser Schrift
ihre Zeit und Aufmerksamkeit schenken wollen, sich durch die im An-
fang gemachten, von der Wirklichkeit abweichenden Voraussetzungen
nicht abschrecken zu lassen, und diese nicht für willkürlich und zweck-
los zu halten. Diese Voraussetzungen sind vielmehr notwendig, um
die Einwirkung einer bestimmten Potenz — von der wir in der Wirk-
lichkeit nur ein unklares Bild erhalten, weil sie daselbst im Konflikt
mit anderen gleichzeitig wirkenden Potenzen erscheint — für sich dar-
zustellen und zum Erkennen zu bringen ?).*
Thünen wird nicht müde, die Methode der isolierenden Ab-
straktion zu befürworten; er befürwortet sie aus manchen Gründen:
sie verwirre nicht die Uebersicht 3), denn um den Einfluß verschiedener
Potenzen zu erforschen, müsse man sie aus dem Konflikt, worin sie in
der Wirklichkeit mit den übrigen Potenzen stehen, herausreißen, sie gleich-
sam frei machen, damit das, was jede — unter gegebenen Umständen —
für sich allein vermöge, sichtbar werdet). Er sagt unter anderem
ausdrücklich: „Hier zeigt sich die unendliche Wichtigkeit des oben ge-
gebenen Beweises, daß das, durch die Methode, nur eine Potenz als
wirkend, die anderen als ruhend oder konstant zu betrachten, erlangte
Resultat nicht ein unwahres, sondern nur ein unvollständiges, und darum
letzteres nur so lange ist, bis alle anderen mitwirkenden Potenzen einer
ähnlichen Untersuchung unterworfen sind — daß also jede Forschung
über einen noch so kleinen Punkt der Aufgabe ein Baustück zur Auf-
führung des großen Gebäudes werden kann“ 5).
Wir können nun vollständig begreifen, wohin Thünen methodisch
hinausgehen will. Wirtschaftliche Erscheinungen sind sehr kompli-
ziert, sie bestehen aus verschiedenen Potenzen und Faktoren. Um
die Gesetze festzustellen, haben wir nach Thünen jede Potenz zu
isolieren und dann gelangen wir zum richtigen Resultat. Wir haben es
mit einer mathematischen Wirtschaftswissenschaft bei ihm zu tun,
mit dem reinen mathematischen Verfahren. Er ist sich auch seiner
mathematischen Methode bewußt. Denn er meint, daß, solange der
mathematische Weg nicht betreten werden könne, drängt sich das Be-
dürfnis nach einer Erklärung auf®). Er sagt auch ausdrücklich, dab das
1) Schumacher, U. O. A., S. 239.
2) „Der isol. Staat“, I. Teil, Vorrede, S. XVIII—XIX, 1875.
3) Vergl. S. 17, I. Teil.
4) Ebenda, S. 155 und S. 7 des II. Teils, I. Abt.
5) Ebenda, S. 37.
6) Ebenda, S. 66, I. Teil.
Miszellen. 817
Prinzip, welches dem isolierten Staate seine Gestaltung gebe, auch in
der Wirklichkeit vorhanden sei, aber die Erscheinungen, die dasselbe
hier hervorbringe, zeigen sich in veränderten Formen, weil zugleich sehr
viele andere Verhältnisse und Umstände mitwirken. Aber sowie der
Geometer mit Punkten ohne Ausdehnung, mit Linien ohne Breite rechnet,
die doch beide in der Wirklichkeit nicht zu finden sind, so dürfen auch
wir eine wirkende Kraft von allen Nebenumständen und allem Zutälligen
entkleiden und nur so können wir erkennen, welchen Anteil sie an den
Erscheinungen hat, die uns vorliegen!). „Sollte nun das Verfahren“ —
sagt Thünen — „das wir in der physischen Welt für durchaus richtig
erkennen, in der Gedankenwelt unstatthaft sein; sollten wir nicht auch
hier von zwei zusammenwirkenden Potenzen erst die eine als allein
wirkend betrachten, und dann die andere auf gleiche Weise, als allein
wirksam der Betrachtung unterziehen dürfen ? — Gewiß läßt sich durch
Analogien die Richtigkeit dieses Verfahrens bis zur Wahrscheinlichkeit
erheben; aber schwerlich dürfte es auf diesem Wege gelingen, einen
strengen Beweis, der keine entgegengesetzten Ansichten zuläßt, dafür zu
liefern. Aber auf die absolute Richtigkeit kommt hier eben alles an.
Glücklicherweise finden wir den Beweis dafür in der Wissenschaft, die
nicht trügt — in der Mathematik“ 2). Er sagt weiter, daß seine Methode
die mathematische sei?) Und er meint: „Aber die Anwendung der
Mathematik muß doch da erlaubt werden, wo die Wahrheit ohne sie
nicht gefunden werden kann 117
Wir haben hier zur Genüge gesehen, daß die Methode Thünens die
mathematische ist. Allein es bedarf noch einer Erklärung, damit wir
ihm vollständig gerecht werden. Denn stellt man sich auf den Stand-
punkt der mathematischen Methode, so hat man sich über Zeit, Ort,
Klima, Bodenbeschaffenheit, Kulturzustand, Sitte, Recht, Staat etc,
kurzum über alle diejenigen Faktoren, welche das Wirtschaftsleben be-
einflussen, gesetzt, weil mathematische Wahrheiten für ewig und immer
gelten. Thünen gesteht aber zu, daß alle diese Faktoren die wirtschaft-
lichen Erscheinungen beeinflussen, also acceptiert auch er den Stand-
punkt der Relativität. Hier gerät er, wie es auf den ersten Blick
scheinen mag, in einen unüberbrückbaren Gegensatz !
Dennoch ist es nicht so. Wir haben seine Auffassung von den
wirtschaftlichen Erscheinungen etwas näher ins Auge zu fassen, damit.
wir über seine Konsequenz ins klare kommen. Wir glauben am besten
zu tun, wenn wir ihn mit seinen eigenen Worten sprechen lassen:
„Man kann und wird sagen: die Berechnungen über die Kosten der
Arbeit, über das Verhältnis des rohen zum reinen Ertrag mögen mit
noch so großer Genauigkeit aus der Wirklichkeit entnommen sein, so
sind sie doch nur für den einen Standpunkt, für dies eine Gut gültig.
Schon auf dem benachbarten Gute ist alles anders: hier ist nicht mehr
derselbe Boden, hier sind nicht mehr dieselben Arbeiten. Der Boden
1) Ebenda, S. 274.
2) Ebenda, S. 12, II. Teil, I. Abt.
3) Ebenda, 8. 14.
4) S. 177.
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 52
818 Miszellen.
kann schwerer oder leichter zu bearbeiten sein, die Arbeiter können
mehr oder weniger tätig oder kräftig sein; der Boden selbst erfordert
also eine größere oder geringere Quantität Arbeit, und die Arbeit selbst
kann nach Verschiedenheit der arbeitenden Kräfte wohlfeiler oder kost-
barer werden. Die von dem ersten Gute entlehnten Berechnungen
werden hier also nirgends genau zutreffen, und die Richtigkeit derselben
ist ganz an den Ort gebunden, von dem sie hervorgegangen sind. Aus
dem, was nur an einem Orte und sonst nirgends gültig ist, können
aber auch keine allgemeingültigen Gesetze hervorgehen 1)“.
Und er beseitigt diese Frage mit folgenden Worten:
„Ich antworte hierauf: Es ist allerdings wahr, daß diese Berech-
nungen schon auf dem benachbarten Gute nicht mehr vóllig zutreffen,
viel weniger also noch auf sehr entfernten Gütern unter einem anderen
Himmelsstrich, mit Arbeitern von einem anderen Nationalcharakter. Aber
ich frage: Wird der Landwirt, der lange auf einem Gute gewohnt, und
der durch die móglichst genaue Beachtung aller gemachten Erfahrungen
sich eine genaue Kenntnis der Kosten und des Reinertrags des Land-
baues verschafft hat — wird dieser Landwirt, nach einem anderen Gute
versetzt, von seinen auf dem ersten Gute erworbenen Kenntnissen nun
nichts gebrauchen kónnen? Wäre dies der Fall, so würde jeder Landwirt
mit Ortsveränderung seine Lehrjahre von neuem beginnen müssen, ehe
er die Wirtschaft zu führen verstünde, so kónnte keiner die Landwirt-
schaft anders als an dem Orte, wo er künftig wohnen sollte, erlernen.
Dies kann und wird man nicht zugeben wollen. Also muf auch in den,
an einem Orte erworbenen Kenntnissen etwas liegen, was allgemein
gültig und nicht an Zeit und Ort gebunden ist. Und gerade dies All-
gemeingültige ist es, was wir hier zu erforschen suchen“ 2).
In dieser Auseinandersetzung ist sein Standpunkt gegeben. Nach
Thünen haben wir die wirtschaftlichen Erscheinungen in zwei Gruppen
einzuteilen: in konstante und variable, oder, mit anderen Worten,
Thünen steht auf dem Boden der wirtschaftlichen Substanz,
d. h. daß in allen ökonomischen Erscheinungen nach dem Abzug „des
ewigen Flusses* des Wirtschaftslebens noch ein Teil zurückbleibt, der
ewig und immer, unwandelbar ist. Und gerade diesen Teil will er
erforschen. Das Wirtschaftsleben wird eigentlich von Thünen in zwei
Welten?) eingeteilt, in eine wechselnde und eine beharrende,
substanzielle. Das Allgemeingfiltige, Ewige, abgelóst von Zeit und Ort,
sucht er mathematisch zu erforschen. Es kann nicht als Widerspruch
betrachtet werden, wenn er einerseits mathematisch verfährt und
andererseits den Einfluß der verschiedenen Faktoren auf das Sozial-
wirtschaftsleben gelten läßt. Denn worauf es bei Thünen haupt-
sächlich ankommt, ist gerade das Allgemeingültige. Das All-
gemeingültige, Generelle, kann nicht durch das bloß aus ‚der Be-
1) S. 35, I. Teil.
2) Ebenda, S. 35—36, I. Teil.
3) Ich bediene mich absichtlich des Ausdruckes „zwei Welten“, weil nach meinem
Dafürhalten Thünen von Kant vieles übernommen hat. Es sei mir vorbehalten, auf
„Kant und Thünen‘ in einer besonderen Abhandlung zurückzukommen.
Miszellen. 819
obachtung entnommene Wissen ermittelt werden, weil die Beobachtung
nicht ausreichend für eine solche Arbeit ist!) Es müsse die Notwen-
digkeit der Erscheinung nachgewiesen werden?) Was wir aber in der
Erfahrung und Beobachtung anzutreffen vermögen, ist nichts als eine
Konstatierung einer Tatsache, d. h. das ist, aber nicht daß es so sein
muß und sein wird. Deswegen will Thünen vermittelst Vernunft-
gründen das Gesetz nachweisen 3).
Aus dem bisherigen ergibt sich, daß es ganz irrig und falsch ist,
die Thünensche Methode als die induktive zu bezeichnen. Damit ist
unser Problem gelóst. Es bleibt uns nur übrig, uns noch mit einer
Argumentation auseinanderzusetzen, welche als Beweisführung für die
Thünensche Induktion eine sehr große Rolle gespielt hat. Sie be-
steht im folgenden: Thünen legt bekanntlich seinen Forschungen im
„isolierten Staat“ das Gut T ellow zu Grunde, und von diesem leitet er
seine Sätze ab; da die Induktion eigentlich nichts anderes ist, als die
Ableitung des Dogmas vom Einzelfall so haben wir bei Thünen die
induktive Methode vor uns. Das ist der Kernpunkt der Argumentation,
die beweisen soll, daß Thünen induktiv verfahren hat. Dieses Argument
Scheint auf den ersten Blick bestechend zu sein. Allein wenn man ihm
näher tritt, so muß es als nicht stichhaltig erklärt werden. Es ge-
schieht hier eine Verwechslung von Einzelfall mit Induktion, was nicht
zulässig ist, wie sich sofort ergeben wird.
Gesetzt, wir haben eine wirtschaftliche Erscheinung zu untersuchen
und verfahren deduktiv, d. h. vom allgemeinen zum einzelnen. Diese
wirtschaftliche Erscheinung statten wir mit einer bestimmten Größe
aus, denn sonst, wenn wir sie nicht als eine bestimmte Größe fixieren,
sind wir überhaupt nicht im stande, sie zu untersuchen. Anderes ver-
mag auch nicht die Mathematik. Es muß also auch bei dem deduktiven
Verfahren ein einziger Einzelfall wenigstens gegeben sein. Es ist
schließlich gleich, ob dieser konkret vorhanden ist oder nicht, denn
wir können und dürfen vollständig behaupten, er ist vorhanden, obzwar
er nicht mit einem Namen, z. B. Gut Tellow, ausgestattet ist. Anders
werden wir mit unserer Untersuchung zu verfahren haben, wenn wir
induktiv vorgehen wollten. Wir müssen mehrere Einzelfälle sammeln,
und zwar mehr wie möglich aus verschiedenen Orten und Zeiten
und dann erst den Charakter der Erscheiuung feststellen. Diesen letzteren
Weg der Forschungsweise hat Thünen aber nicht eingeschlagen. Er
hat nicht von Mehreren und Verschiedenen an verschiedenen
Orten und Zeiten seine Gesetze abgeleitet, sondern von seinem Gute
Tellow und zwar in dem Sinne der Allgemeingültigkeit. Er hat an
Stelle einer bestimmten namenlosen Größe, eine Größe mit dem
Namen Tellow gesetzt, nicht Einzelfälle, sondern einen einzigen
Einzelfall untersucht, d. h. deduktiv verfahren. Auf diesem einzigen
Einzelfall hat er sein System aufgebaut, ein Verfahren, gegen welches
1) U. O. A., S. 17, II. Teil, I. Abt.
2) Ebenda.
3) Ebenda, 8, 41.
820 Miszellen.
sich die „historisch-induktive Schule“ gesträubt hat und zwar teil-
weise mit vollem Recht. Wenn aber trotzdem behauptet wird, Thünen
habe induktiv verfahren, so ist dieser Fehler darauf zurückzuführen, daß
man sich über das Wesen der Induktion und Deduktion nicht klar ist.
Geht man so weit wie die Behauptung, Thünen habe induktiv verfahren,
weil er alles von seinem Gute Tellow ableitet, so könnte man auch
sagen, es gebe keine deduktive Methode. Und in der Tat findet
Mill, daß jede Deduktion eine verkappte Induktion enthalte, was als
talsch betrachtet werden muß. Auch er verwechselt in dieser Beziehung
den einzigen Einzelfall mit der Induktion.
Wir sind am Schluß unserer Untersuchung angelangt. Daß die
Methode Thünens die mathematische ist, liegt nun außer Zweifel. Thünen
sieht in dieser Methode dasjenige Mittel, vermóge dessen man zur
richtigen Erkenntnis der wirtschaftlichen Erscheinungen gelangen könne.
Er unterscheidet nicht in methodischer Beziehung die Geisteswissen-
schaften von Naturwissenschaften!) Er glaubt Smith ent-
schuldigen zu sollen, daß er zu historisch-induktiv verfahren habe",
weil er die neuen, früher nicht geahnten Probleme nicht hàtte zeigen
können ë). Jetzt aber sei gerade die rechte Zeit, den neuen Weg der
Forschung zu betreten. Man muß dabei nicht vergessen, daß die erste
Auflage des „isolirten Staates“ im Jahre 1826 erschien und dal im
letzten Jahrzehnt seines Lebens das „nationale System“ von List,
Roschers ,Grundrif^ und Hildebrands „Nationalökonomie“ er-
schienen, diejenigen Werke, welche für unsere Wissenschaft von eminent
historischer Bedeutung geworden sind und durch welche für eine andere
Methode Bahn gebrochen wurde. Es vollzog sich dann ein Gärungs-
prozeß in methodischer Beziehung auf dem Gebiete der Wirtschafts-
wissenschaft, welchem Thünen gemäß seiner Methode abhold sein multe.
Dadurch ist die Vergessenheit erklärlich, in welche Thünen verfallen
ist, und zwar derjenige Thünen, welcher einen Wendepunkt in der deut-
schen Volkswirtschaftslehre hätte bilden sollen, denn mit ihm beginnt
die deutsche Wirtschaftswissenschaft als selbständige deutsche
Wissenschaft zu existieren. Ebenso ist das wiederaufwachende Interesse
an Thünen in der gegenwärtigen Literatur erklärlich, weil man jetzt
für Dogmen von Tag zu Tag günstiger gestimmt wird. Denn alles
ist historisch bedingt.
1) Vgl. oben.
2) Vel. oben.
3) „D. isol. Staat“, 8, 3, II. Teil, I. Abt.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 821
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
= theoretische Untersuchungen.
Handwörterbuch der Schweizerischen Volkswirt-
schaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Herausgegeben von
N. Reichesberg, Professor an der Universität Bern. Bern (Verlag Ency-
klopädie) 1902.
Von diesem neuen Nachschlagebuch liegt die erste Hälfte des
ersten Bandes vor, umfassend die Artikel „Ablösung der Reallasten —
Beamtenvereine“. Das ganze Werk ist auf drei starke Bände berechnet
und soll nach Umfang und Preis etwa die Mitte halten zwischen unserem
„Wörterbuch der Volkswirtschaft“ und dem „Handwörterbuch der Staats-
wissenschaften“. Es ist natürlich nicht möglich, jetzt schon ein Urteil
über das Werk abzugeben. Nur auf einige Punkte sei hingewiesen
Wie schon der Titel angibt, sollen nur die Verhältnisse der Schweiz.
besprochen werden. Es fehlen somit alle prinzipiellen Erörterungen
und fast ausnahmslos die Hinweise auf das Ausland. Aber auch die
Angaben über die Schweiz selbst erscheinen nicht immer völlig aus-
reichend. So fehlen über das Bäckereigewerbe alle statistischen Nach-
weise, Der Schutz der Bauhandwerker ist nur andeutungsweise behan-
delt. In dem Artikel „Außereheliches Kindesverhältnis“ dürfte die
Kindesanerkennung nicht bloß mittelbar erwähnt werden, wie es S. 370
No. 5 i. f. geschieht. Auch kleine Flüchtigkeitsfehler fehlen nicht. So
heißt es im Artikel , Arbeiterwohnungen“ S. 195 Carl Bücher, dagegen
ist S. 211 der Vorname richtig als Karl angegeben.
Auf der anderen Seite sei aber beispielsweise die Darstellung der
Bauernbefreiung in der Schweiz hervorgehoben, die in unseren Nach-
schlagebüchern nicht berücksichtigt ist. Auch sonst wird man sich
vielfach in interessanter Weise orientieren können. Eine große Bedeu-
tung wird aber das Reichesbergsche Werk für uns kaum erlangen können,
da es sich eben zu sehr auf die Verhältnisse der Schweiz beschränkt.
Wir behalten uns vor, nach Erscheinen der übrigen Bände diese
Ankündigung zu ergänzen.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Festschrift zu August Sigmund Sehultzes 70. Geburtstag, gewidmet von der
rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Kaiser-Wilhelms-Universitüt in Straß-
burg. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903. gr. 8. V—249 SS. M. 7,20.
822 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Lamprecht, Karl, Zur jüngsten deutschen Vergangenheit. Bd. II, 1. Hälfte:
Wirtschaftsleben. Soziale Entwickelung. Freiburg i. B., Herm. Heyfelder, 1903. gr. 8.
XVIII—520 SS. M. 7,— (A. u. d. T.: Deutsche Geschichte, II. Ergänzungsband,
1. Hälfte.)
Marx, Karl, Zur Kritik der politischen Oekonomie. Herausgeg. von Karl Kautsky.
2, Aufl. Stuttgart, J. H. W. Dietz Nachf., 1903. 8. XIV—203 SS. M. 3,50.
Menger, Anton, Neue Staatslehre. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. XII—335 SS.
M. 5,—. (Inhalt: I. Buch. Staat und Recht im allgemeinen. — II. Buch. Die Ordnung
des wirtschaftlichen Lebens und die Fortpflanzung im volkstümlichen Arbeitsstaat. —
III. Buch. Organisation des volkstümlichen Arbeitsstaates, — IV. Buch. Der Uebergang
zum volkstümlichen Arbeitsstaat.)
Roscher, Wilhelm, System der Volkswirtschaft. Bd. II: Nationalökonomik des
Ackerbaues und der verwandten Urproduktionen. Ein Hand- und Lesebuch für Staats-
und Landwirte. 13. vermehrte Aufl. bearbeitet von Heinrich Dade. Stuttgart und Berlin,
J. G. Cotta Nachf., 1903. gr. 8. XIV—864 SS. mit 1 graphischen Darstellung: Ver-
erbungsweise des bäuerlichen Grundbesitzes im Deutschen Reiche. M. 13,—.
Schmidt, Richard (Prof, Univers. Freiburg i. Bi Allgemeine Staatslehre.
Bd. II, Teil II. Die verschiedenen Formen der Staatsbildung, Abteilung II: Die Ent-
stehung der modernen Staatenwelt. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903. gr. 8. SS. V—VIII
u. 399—886. M. 14,50. (Schluß des Werkes.) "A. u. d. T.: Hand- und Lehrbuch der
Staatswissenschaften in selbständigen Bänden. Begründet von Kuno Frankenstein, fortges.
von Max v. Heckel, Abteil. III. Staats- und Verwaltungslehre, Bd. II, Teil II.)
Wagner, Ad. (GehRegR., Prof.), Das ethische und soziale Moment in Finanzen
und Steuern (enthalten in Soziale Praxis. Zentralblatt für Sozialpolitik, Jahrg. XII,
v^ 35, Berlin, 28. V. 1903.)
Comte. — Correspondance inédite d'Auguste Comte. 1* série. Cháteaudun, impr.
de la Société typographique, 1903. 8. 351 pag. fr. 7,50.
Condorcet, — Tableau historique des progrès de l'esprit humain. Versailles,
impr. Aubert, Paris, Steinheil, 1903. 8. VIII—470 pag. fr. 5,—. (Bibliotheque posi-
tiviste. Sommaire: Tableau historique etc. Jr partie: Prospectus d'un tableau historique;
re: partie: Fragments d'un tableau historique.)
Destrée, Jules, et E. Vandervelde, Le socialisme en Belgique. Avec un ap-
pendice contenant le programme et les statuts du parti ouvrier et une bibliographie du
socialisme belge. 2° édition. Paris, V. Giard & E. Brière, 1903. 8. 498 pag. (Table
des matières: Les institutions économiques. — L'effort politique: 1. L'année 1856; 2.
Les premieres années du parti ouvrier; 3. L'agitation revisionniste; 4. La revision; 5.
La première consultation du suffrage universel; 6. Les socialistes au Parlement: 7. A la
conquéte du pouvoir communal; 8. De 1896 à 1899; 9. La représentation proportionnelle;
10. La crise de 1902. — L'évolution industrielle: 1. Propriété collective et propriété
capitaliste; 2. Les profits des capitalistes; 3. Les objections; 4. Le collectivisme: Lettre
au „Courrier de Bruxelles“ 1895. — La question agraire. La question féministe:
1. Le socialisme et les femmes; 2. Dans le parti ouvrier. — Préoccupations intellectuelles,
esthétiques et morales, — Annexes.)
Kostyleff, N., Le problème de la vie en rapport avec les origines de la socio-
logie. Paris, V. Giard & Briere, 1903. 8. fr. 1,—.
Pareto, Vilfredo, Les systemes socialistes, Cours professé à l'Université de
Lausanne. 2 vols. Paris, Giard & Brière, 1902—03. gr. in-8. 406 et 492 pag. fr. 14,—.
(Table des matières: Principes généraux de l'organisation sociale. — Les systèmes socia-
listes en général. — Systèmes réels. — Les systèmes religieux. — Les systèmes théo-
riques. — Les systèmes mótaphysiques- communistes: Platon; Le socialisme populaire
contemporain de Platon; Les lois de Platon; Critique, ete. — Les systèmes méta-
physiques-éthiques. — Les systèmes mixtes, — Les systèmes scientifiques: More; Fourier;
Proudhon. — Les systèmes scientifiques: L'Etat isolé (Thünen); La terre libre; La
nationalisation du sol; Le socialisme municipal. — Les systèmes scientifiques: L'économie
Marxiste. — La théorie matérialiste de l’histoire et la lutte des classes.)
Polier, Léon, L'idée du juste salaire. Essai d'histoire dogmatique et critique.
Paris, Giard & Brière, 1903. gr. in-8. fr. 8,—.
Vandevelde, Em., Vive la commune. Bruxelles, impr. veuve D. Brismée, 1903
12. 24 pag. av. portr. fr. 0,50. (Bibliotheque de propagande socialiste.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 823
Annual Register, the. A review of publie events at home and abroad for the
year 1902. New series. London, Longmans, Green & C°, 1903. gr. 8. 476 and 167 pp.,
cloth. 18/.—. (Contents: English history. — Foreign and colonial history. — Chronicle
of events in 1902. — Finance and trade, by F. Harcourt Kitchin. — Obituary of eminent
persons deceased in 1902.)
Ward, Lester F., Pure sociology. A treatise on the origin and spontaneous
development of society. London, Macmillan, 1903. 8. XII—607 pp. 17/.—.
Giovannini, A., Lezioni di economia politica. Parma, L. Battei, 8. 199 pp.
Levy, J. A. De kleinhandel. Eene anti-Marxistische repliek. ’s Gravenhage,
Gebr. Belinfante, 1903. gr. 8. 6 en 104 blz. fl. 1,95.
Treub, M. W.F., Het wijsgeerig-economisch stelsel van Karl Marx. Eene critische
studie. Deel I. Amsterdam, Scheltema & Holkema, 1903. gr. 8. 12 en 443 blz.
2. 11,—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Moltke, O. Graf (Mitglied des Hauses der Abgeordneten), Nord-
amerika. Beiträge zum Verständnis seiner Wirtschaft und Politik. Berlin
(E. S. Mittler und Sohn) 1903. 8°. VI, 53 SS.
Wer immer die Zeit zu einer größeren Studienreise über See findet,
wird als Ergebnis eine erhebliche Erweiterung seines Anschauungs-
kreises auch über heimische Verhältnisse mit nach Hause bringen. Und
es ist außerordentlich erfreulich, daß außer den Praktikern, die ihre
wirtschaftlichen Zwecke verfolgen, von Jahr zu Jahr eine größere Zahl
von Männern der Wissenschaft und Politikern sich zu derartigen Ex-
kursionen entschließt. Doppelt erfreulich ist es, wenn sie das, was sie
mit verständnisvollen Augen gesehen, hinterher durch Veröffentlichung
weiteren Kreisen zu gute kommen lassen. In früherer Zeit finden wir
eine große und anregende Literatur aus der Feder fein beobachtender
Reisender; nicht nur die sogenannten empfindsamen Reisen, sondern
die merkantilistische bezw. kameralistische Schule regte auch speziell zur
wirtschaftlichen und sozialen Beobachtung an. Ich erinnere nur an die
Länderbeschreibungen von Arthur Young, La Rochefoucauld und andere
mehr. Dann kam diese Art des Schreibens längere Zeit wieder außer
Mode. Erst neuerdings haben die Neomerkantilisten auch die wirt-
schaftsgeographischen Zweige wieder aufgenommen und für die Praxis
auszunutzen gesucht.
Es wäre zu wünschen, daß wir von vielen Reisenden und über
viele Länder solche kurze Eindruckszusammenstellungen mit der Bei-
fügung des nötigen allgemeinen Materials an Zahlen und Daten er-
hielten, wie sie das Moltkesche Heftlein, das nebenbei gar angenehm
lesbar ist, bietet. Es gibt zunächst eine Uebersicht über den enormen
Aufschwung der Vereinigten Staaten gerade in der jüngsten Zeit und
knüpft daran die Erörterung einer Anzahl für unsere heimischen Ver-
hältnisse wichtiger Probleme, deren Ergebnisse mit meinen eignen An-
sichten meist übereinstimmen. So wünscht er, daß die wirtschaftliche
Prosperität in Amerika möglichst lange anhalten möge, weil nur dann
der innere Markt Amerikas genügend aufnahmefähig ist, um nicht seine
Industrien zu ruinösem Mitbewerb auf dem Weltmarkt zu zwingen.
Unter den Gründen, die den amerikanischen Wettbewerb außerordentlich
wirksam machen, hebt er die Verkehrsprobleme mit Recht hervor, die
Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen, die gute Organisation innerhalb
824 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der Betriebe, die großen mechanischen Transportvorrichtungen in allen
Stadien der (wirtschaftlichen) Produktion und neben der technischen
Leistungsfähigkeit der Eisenbahnen die noch billigeren Wasserwege.
Dies macht er zum Grund der Befürwortung einer energischen Kanal-
politik in Deutschland. Er wünscht in Deutschland, wo angängig,
amerikanische Methoden eingeführt zu sehen und fürchtet dann an-
gesichts der wissenschaftlichen und geschäftlichen Tüchtigkeit der
Deutschen auch in Zukunft keine ruinöse Konkurrenz, sofern wir nur
unsere eignen Kräfte energisch und einheitlich zusammenfassen. Er
hat das Land zweifellos mit richtigem Verständnis gesehen. Einige
der im ersten Abschnitte beklagten Schattenseiten der Eigenart des
modernen Amerikanertums würde er bei längerem Aufenthalte vielleicht
etwas abgemildert finden.
Einzelne kleine sachliche Irrtümer sind zu bemerken. Ein Terri-
torium „Columbia“ gibt es nicht (S. 11). Nicht alle amerikanischen Eisen-
bahnen sind ursprünglich reine Privatunternehmungen gewesen, sondern
namentlich im Süden einzelne von den Einzelstaaten erbaut und mit-
verwaltet (S. 14). Eisenbahnwagen von 50 000 und 60 000 kg Tragfähig-
keit gibt es meines Wissens nicht. Die größten dürfen 100 000 englische
Did — 45 000 kg Fracht tragen (S. 18). „Factories“ kann man wohl
nicht ins Deutsche mit ,Faktoreien* übersetzen (S. 20). Die Verquickung
der Großfinanz und -industrie scheint mir bei uns ebenso stark entwickelt
wie in Amerika, z. B. in der elektrischen Industrie (S. 21). Die Steel
Corporation ist eine Vereinigung einer Anzahl von Riesenunternehmungen
und Trusts, nicht Assoziationen. Ihr Kapital reicht heute schon an
11/, Milliarden Dollars heran (S. 21), da inzwischen eine Anzahl der
auf S. 22 genannten Konkurrenten aufgekauft sind.
Berlin. Ernst von Halle.
Speck, E., Handelsgeschichte des Altertums. Zweiter Band: Die
Griechen. Leipzig 1901.
Eine fleißige und mühevolle Arbeit, die aber doch leider das Be-
dürfnis einer Handelsgeschichte des Altertums nicht völlig zu befriedigen
vermag. Erst auf Seite 305 wendet sich der Verfasser der Handels-
geschichte zu, während er in den voraufgehenden sechs Abschnitten
Land und Volk, politische und soziale Entwickelung, die Kolonien, die
geistige und äußere Kultur der Griechen behandelt. Von Selbständigkeit
der Studien, eindringendem Verständnis und Durchdringung des Stoffes
ist dabei ebensowenig wie von einer Ausnutzung der Quellen selber
die Rede. Ueberall ist aus Quellen zweiter und dritter Hand ge-
schöpft, und wer den dritten, vierten und fünften Band von Eduard
Meyers monumentaler Geschichte des Altertums kennt, wird kaum zu
dem Buche von Speck greifen, um sein Wissen über die Kultur der
Griechen zu erweitern und zu bereichern. Die sechs Abschnitte über
die Handelsgeschichte selber haben mich mehr angesprochen, und doch
vermisse ich auch hier eine eigentliche genetische und allgemeingeschicht-
liche wie wirtschaftsgeschichtliche Behandlung. Gewiß ist mehr neues
und exaktes Material verarbeitet, als es noch des verdienstvollen Beers Ge-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 825
schichte des Welthandels zu Grunde liegt. Aber auch hier werden Auffas-
sungen verschiedener Forscher kritiklos nebeneinander gestellt, und eine
wirklich organische Auffassung des Wirtschaftslebens der Griechenwelt, die
Erkenntnis, wie im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Arbeitsteilung
der Handel erwachsen und wie mit der Wandlung der Grundeigentums-
verhältnisse und der Ausbildung neuer Wirtschaftsformen auch der Handel
sich qualitativ und quantitativ geändert hat, welche Stellung er als Glied
in der Kette der einzelnen wirtschaftlichen Tätigkeiten einnahm, wie er
die Preisgestaltung beeinflußt hat, wie weit er Bedarfs- und wie weit
er Spekulationshandel war, alles das vermissen wir schmerzlich, mit
einem Wort: es fehlt eine Untersuchung über die Stellung des Handels
in der griechischen Volkswirtschaft. Da diese aber fehlt, so bleibt
das Buch, obwohl es seinem Titel nach den großen geschichtlichen
Zusammenhängen gewidmet ist, doch eine echte und rechte Detailarbeit,
eine Anhäufung von Zahlen- und Tatsachen, ohne jedes Streben hin
nach der Einheit wirtschaftsgeschichtlicher Einzeltatsachen.
Halle a. S. Theo Sommerlad.
v. Detten, G. (LandgerR., Paderborn), Westfälisches Wirtschaftsleben im Mittel-
alter. Aus seinen Grundlagen und Quellen heraus entwickelt und dargestellt. Pader-
born, Junfermannsche Buchhdl., 1903. gr. 8. 186 SS. M. 2,50.
Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. In Verbindung
mit Fr. Holtze, G. Schmoller und A. Stölzel herausgegeben. XVI. Bd., 1. Hälfte.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1903. gr. 8 344 SS. M. 6,—. (Aus dem Inhalt:
Städtisches und territoriales Wirtschaftsleben im märkischen Odergebiet bis zum Ende
des XIV. Jahrhunderts, von P. van Nießen (S. 1—162). — Die Besiedlung des Oder-
bruches durch Friedrich den Großen, von Albert Detto (S. 163—205).
Garbe, Richard, Beiträge zur indischen Kulturgeschichte. Berlin, Gebr. Paetel,
1903. 8. VII—268 SS. M. 6,—-.
Geering, Traug. (HandelskSekret.) und (GymnasLehrer) Rud. Hotz, Wirtschafts-
kunde der Sehweiz. Mit einem geologischen Querprofil und 1 Eisenbahnkarte der Schweiz.
2. Aufl. Zürich, SchultheB & C°, 1903. gr. 8. geb. M. 2,40.
Großstadt, die. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Gehestiftung zu
Dresden, Winter 1902—1903. Dresden, v. Zahn & Jaensch, 1903. 8. 282 SS. (A. u. d.
T.: Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden, Bd. IX. Inhalt: Die Großstädte in Gegen-
wart und Vergangenheit, von Karl Bücher (Leipzig). — Die geographische Lage der
großen Städte, von Fr. Ratzel (Leipzig). — Die Bevölkerung der Großstädte, von Georg
v. Mayr (München). — Die wirtschaftliche Bedeutung der Großstädte, von H. Waentig
(Münster i. W.). — Die Großstädte und das Geistesleben, von G. Simmel (Berlin). —
Die geistige Bedeutung der Großstädte, von Th. Petermann. — Die politische und mili-
tärische Bedeutung der Großstädte, von D. Schäfer (Heidelberg).
Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte und Altertumskunde.
XIV. Jahrg.: 1902. Metz, G. Seriba, 1903. kl. 4. 592 SS. mit 22 Tafeln u. anderen
figürl. Anlagen. M. 15,—. (Aus dem Inhalt: Keltische Numismatik der Rhein- und
Donaulande, von R. Forrer (Straßburg i. E.). [I. Forts.] — Das große römische Amphi-
theater zu Metz, von (Major) E. Schramm, (Archivdir.) Wolfram und (Museumsdir.)
Keune [Metz]. — Zur deutschen Siedlungsgeschichte und zur Entwicklung ihrer Kritik
in den letzten Jahren, von (OLandesGerR.) Ad. Schiber (Kolmar i. E.). — Zur lothrin-
gischen Territorialgeschichte im Oberelsaß, von Theob. Walter (Rufach).
Knüll, Bodo, Historische Geographie Deutschlands im Mittelalter. Breslau, Ferd.
Hirt, 1903. gr. 8. VIII—240 SS. M. 4,—.
Markovié, Milan, Die serbische Hauskommission (Zadrüga) und ihre Bedeutung
in der Vergangenheit und Gegenwart. Leipzig, Duncker & Humblot, 1903. gr. 8. XI
—87 SS. M. 2,40.
Morgenroth, W. (Bibliothekar der Handelshochschule, Köln), Das Wirtschafts-
gebiet der rheinisch-westfälischen Großindustrie. Geographisch-statistische Skizze. Köln,
Druck von M. Du Mont-Schauberg, 1903. gr. 8. 53 SS.
826 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Popeseu, S. D., Wirtschaftsgeographische Studien aus Groß-Britannien. Leipzig,
O. Schmidt, 1903. 8. 178 pp `
Schippel, Max, Zuckerproduktion und Zuckerprämien bis zur Brüsseler Kon-
vention 1902. Eine wirtschaftsgeschichtliche und handelspolitische Darstellung. Stutt-
gart, J. H. W. Dietz Nachf., 1903. gr. 8. VIII—419 SS. M. 6,—.
Schultz, Alwin (Prof.), Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker vom
Mittelalter bis zur II. Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. München, R. Oldenbourg, 1903,
gr. 8. VIII—432 SS. mit Abbildgn. M. 9.—. (A. u. d. T.: Handbuch der mittelalter-
lichen u. neueren Geschichte. Hrsg. von (Proff. G. v. Below und F. Meinecke. Ab.
teilung IV. Hilfswissenschaften u. Altertümer.)
Suchsland, E.(OLehrer, Prof.), Los von den Konsumvereinen und Warenhäusem!
Eine Mahnung und eine Bitte an alle Vaterlandsfreunde zur Erhaltung des gewerblichen
Mittelstandes in Stadt und Land, als des Fundamentes unseres Staatswesens und unserer
Kultur. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses, 1903. gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Wegener, Leo, Der wirtschaftliche Kampf der Deutschen mit den Polen um
die Provinz Posen. Posen, Jos. Jolowiez, 1903. gr. 8. 208 SS. nebst 100 Seiten
statistischer Tabellen. M. 6.—.
Zernial, Hugo (SanitR.), Aus der alten Stadt. Neuhaldensleber Erinnerung-
blätter aus den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Neu-
haldensleben, C. A. Eyraud, 1902. VI—100 SS. 8. M. 1,20.
Bradley-Birt, F. B. (Fellow of the Royal Geographical Society, Indian Civil
Service), Chota Nagpore: a little known province. London, Smith, Elder & C°, 1903.
8. With a map and 40 full-page illustrations. 12/.6. (History of a distriet of India,
at the meeting place of the older and newer populations of Hindustan.)
Whigham, H. J., The Persian problem. An examination of the rival positions
of Russia and Great Britain in Persia. With some account of the Persian Gulf and the
Bagdad railway. London, Isbister, 1903. 8. 440 pp. with maps and illustr. 12/.6.
S. Bevólkerungslehre und Bevólkerungspolitik. Auswanderung
und Kolonisation.
Bolletino dell' Emigrazione, herausgegeben vom Ministero
degli Affari Esteri (R. Commissariato dell Emigrazione). Anno 1902.
Die andauernd grofe Auswanderung hat die italienische Regierung
genótigt, durch das Gesetz vom 31. Januar 1901 besondere Fürsorge-
einrichtungen für die Auswanderer zu treffen, zu deren Durchführung
das vorliegende Journal herausgegeben wird. Es wendet sich im
allgemeinen nicht, wie die entsprechenden englischen Publikationen,
unmittelbar an die Auswanderer, obgleich einzelne Hefte diesen auch
so sehr dienlich sein kónnen. Hauptzweck ist vielmehr, die italienischen
Behörden des In- und Auslandes fortdauernd über alle einschlägigen
Fragen auf dem Laufenden zu erhalten und ihnen die sachgemülle Unter-
stützung der Auswanderer zu erleichtern. Wir finden einen Aufsatz
Luigi Bodios, der über die ganze Auswanderungsfrage und ihre Be-
deutung für Italien orientiert, sodann Nachrichten über die Aussichten
italienischer Arbeiter in Deutschland, Frankreich, Afrika, und vornehm-
lich natürlich in Amerika. Daran schließen sich Berichte über die Lage
der Ausgewanderten in den Hauptorten, denen sie sich zuzuwenden
pflegen, und Ratschläge für die Ueberfahrt und die Wahl zwischen den
großen Verkehrslinien.
Das Vorgehen Italiens ist für uns um so beachtenswerter, als wir
ja auch neuerdings eine besondere Auskunftsstelle für Auswanderer
eingerichtet haben, die nach den letzten Nachrichten dezentralisiert
werden soll. Es dürfte sich empfehlen, alsdann zur Erleichterung des
Vebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 897
Verkehrs zwischen den einzelnen Stellen eine ähnliche Nachrichten-
sammlung einzuführen.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Zimmermann, Alfred, Die Kolonialpolitik der Niederländer. Berlin, E. S.
Mittler, 1903. gr. 8. XIV—304 SS. mit 1 Karte in Farbendruck. M. 6,50. (A. u. d.
T.: Die europäischen Kolonien. Bd. V.)
Annuaire de l’Etat indépendant du Congo. Colonial, administratif, commercial,
industriel et agricole. Publié avec l'autorisation de l'Etat indépendant du Congo. Ir
année, 1900. Bruxelles, imprim. L. G. Laurent, 1903. 8. 352— XII pag. toile.
fr. 2,50.
Berjont, J., De l’envahissement des étrangers en France. La Provence italienne.
Marseille, impr. spéciale de la Ligue, 1903. 8. 65 pag. (Extrait de matières: Naturali-
sations, — Criminalité. — Protection du travail national.)
Descamps, E. (prof. de droit des gens à l’Université de Louvain), L'Afrique
nouvelle. Essai sur l'état eivilisateur dans les pays neufs et sur la fondation, l'organi-
sation et le gouvernement de l'Etat indépendant du Congo. Bruxelles, J. Lebègue & C",
1903. 8. XVI—626 pag. fr. 7,50.
Lagrosilliére, J., La question de la Martinique. Paris, Mouvement socialiste,
1903. 8. 93 pag.
Régime minier, le, aux colonies. Documents officiels précédés de notices histo-
riques. Tome II: Madagascar. — Nouvelle-Calédonie. — Annam. — Tonkin. — Algérie.
— Tunisie. — Afrique continentale francaise. — Guyane française. — Côte d'Ivoire. —
— Côte d'or. — Rodhésie, — The British South Africa. Paris, Aug. Challamel, 1903.
8. fr. 20.—. (Publication de l’Institut colonial international de Bruxelles, VI* série.)
Annual summary of births, deaths, and causes of death in London and other
large towns, 1902. London, printed by Darling & Son, 1903. 8. LXXVII pp.
(Published by the authority of the Registrar-General of births, deaths and marriages in
England.) 1/.6.
Filomusi-Guelfi, G., Questioni di vitalità. Pavia, tip. succ. Bizzoni, 1903.
8. 35 pp.
Finot, G., La filosofia della longevità. Prima traduzione italiana aumentata sull
ultima originale di Vittorio M. Ovazza. Torino, fratelli Bocca, 1903. 8. 243 pp.
l. 3,50. (Contiene: I misteri della longevita. — Il corpo immortale. — Un essere
vivente resta sempre vivente. — Il terrore supremo della nostra vita. — La procreazione
artificiale. — Per gli innamorati della vita.)
Lenzi, Orazio, Crescete ed espandetevi: studio e conseguenze della teorica della
popolazione. Siena, tip. E. Torrini, 1903. 8. 74 pp.
van Houten, S, Herdrukken betreffende neo-malthusianisme en vrouwenrecht.
Haarlem, H. D. Tjeenk Willink & Zoon, 1903: gr. 8. 12 en 248 blz. fl. 1,90.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Acta Borussica. Denkmäler der preußischen Staats-
verwaltung im 18. Jahrhundert, herausgegeben von der
königlichen Akademie der Wissenschaften. Getreide-
handelspolitik. Zweiter Band: Die Getreidehandelspolitik und
Kriegsmagazinverwaltung Brandenburg-Preußens bis 1740. Darstellung
und statistische Beilagen von W. Naudé. Akten bearbeitet von G. Schmoller
und W. Naude. Berlin 1901.
Der von Friedrich dem Großen hochgeschätzte Abbe Fernando
Galiani, den Schmoller in seinem geistreichen Aufsatz über Roscher mit
Recht zu den praktischen Staatsmännern zählt, hat einmal gesagt, das
beste System in Bezug auf den Getreidehandel bestehe darin, über-
haupt keines zu besitzen. An diesen Ausspruch mußte ich denken, als
ich das hier anzuzeigende Buch studierte. Denn dieses entrollt uns
828 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
zumal von der Getreidehandelspolitik König Friedrich Wilhelms des
Ersten ein Bild, aus dem wir einen Praktiker im Sinne Galianis er-
kennen, der, zunächst den Bedürfnissen des Augenblicks zugewandt und
ohne weitausschauende Berechnung, eine Agrarpolitik trieb, die durch
seine gesamte innere Politik bedingt war und aus der wirtschaftlichen
Lage seiner Lande mit Notwendigkeit hervorging.
Daß sich aber dieses Bild mit festen Strichen und hellen Konturen
uns bietet, ist das Verdienst der Darstellung, die W. Naudé aus einer
12-jährigen unermüdlichen Sammlerarbeit hervorgehen ließ und der die
Bestände von 22 Archiven zu Grunde gelegt worden sind. Einen solchen
Mitarbeiter und einen solchen Darsteller, der nicht bloß Wirtschafts-
historiker, sondern ein echter rechter Historiker ist, gewonnen zu haben
ist das denkenswerte Verdienst des Mitherausgebers des Monumental-
werkes der Acta Borussica, der auch mit die Akten des vorliegenden
Bandes bearbeitet hat, Gustav Schmollers.
Die gesamte Arbeit ist nach dem Wortlaut der Vorrede nur in
wissenschaftlichem Interesse unternommen worden und darf doch tür
die Gegenwart aktuelles Interesse beanspruchen, da sie zur Klärung
der vorhandenen wirtschaftspolitischen Gegensätze beitragen wird. Be-
trachten wir deshalb ausführlicher als das wohl sonst bei einer Anzeige
zu geschehen pflegt, den Inhalt des Buches und die Hauptgedanken
der Darstellung.
Ein erstes Buch „städtische und territoriale Ge-
treidehandelspolitik im deutschen Nordosten“ charakte-
risiert die Getreidehandelspolitik des ausgehenden deutschen Mittelalters,
die auf städtischer Grundlage ruhte. Jede Stadt kämpfte gegen die andere
und das platte Land mit ähnlichen Mitteln, wie heute ein Staat gegen
andere mit Schutzzöllen. Daneben geht das Bestreben, jeden Zwischen-
handel zu unterdrücken. Ihr Gepräge erhält die städtische Getreide-
handelspolitik durch eine Vermittelungspolitik des Rates, die dahin
zielt, das Interesse des exportierenden Kaufmannes mit dem Interesse
der billiges Brot verlangenden gewerblichen Bürgerschaft zu verein-
baren. Gegenüber der städtischen Politik beginnt vom 15. bis 18. Jahr-
hundert eine territoriale Politik zu erstarken. Während die alten Kämpfe
im Gefolge der Stadtwirtschaftspolitik fortdauern, beginnt ein Kampf
des platten Landes mit den Städten um die freie Kornausfuhr, der dem
Territorialfürstentum Gelegenheit zu Eingriffen und eine Steigerung seiner
Macht bringt. In Brandenburg-Preußen haben erst Friedrich Wilhelm ].
und Friedrich der Große ein allen Klassen der Gesellschaft gerecht
werdendes System der Getreidehandelspolitik ins Leben gerufen. Die
Zeiten bis dahin sind von dem unausgeglichenen Gegensatz zwischen
Stadt und Land, Gewerbe und Landwirtschaft, Getreidekonsument und
Getreideproduzent erfüllt. Der märkische Adel, der sich im 16. Jahr-
hundert von dem Fehdeleben weg und der Landwirtsehaft zugewandt
hatte, war auf gesetzlichem und ungesetzlichem Wege die ausschlag-
gebende Macht des platten Landes geworden; er bekannte sich zu frei-
händlerischen Grundsätzen, um die Monopolpreise des einheimischen
Kaufmannes zu durchbrechen. Den Fürsten jener Tage fehlte freilich
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 899
oft die Macht, um in den Streit der Stände um die Handelspolitik ein-
zugreifen, namentlich die Wirtschaftspolitik Joachims II. ist eine durch-
aus schwankende, sie tut der Partei ihren Willen, die ihm seine Schulden
bezahlt. Will man ein Urteil über Brandenburgs Getreidehandelspolitik
im 16. Jahrhundert gewinnen, so wird man zu verschiedenem Eindruck
kommen, je nachdem man sie mit der Politik Philipps II. von Spanien
und der italienischen Fürsten jener Zeit, oder mit der Frankreichs,
Englands, der Päpste und Sachsens vergleicht. Die zweite Vergleichung
zeigt, wie unvollkommen Brandenburgs Politik war und daß sie von
der Partei getrieben wurde, die auf den Landtagen am stärksten lärmte:
sie war nur Teuerungs- und Augenblickspolitik, sie hat die wohlfeilen
Jahre nicht benutzt, um Vorrat für teuere Zeiten zu sammeln. Nur
ein Verdienst hat sie: die Einfuhr des neuen Kornzolls in der Mark,
die Anbahnung eines territorialen Zollsystems, und der neue Zoll der
Jahre 1569 und 1571 erscheint finanziell als sehr einträglich und tech-
nisch als einfach und vollkommen.
Das zweite Buch behandelt die Getreidehandelspolitik
unter dem Großen Kurfürsten. Der Kurfürst übernahm das
Streitobjekt zwischen Adel und Städten, die Kornausfuhr des Adels.
Die Versuche der Jahre von 1641 bis 1648, dauernd einen Getreide-
preis zu fixieren und einen Minimaltaxpreis für Getreide festzustellen,
mißglückten, es folgten dann in den 60er und 70er Jahren des 17. Jahr-
hunderts zahlreiche Sperrmaßregeln, die hin und wieder durch die Er-
teilung von Ausfuhrpässen unterbrochen wurden. Das zweite Kapitel
des zweiten Buches, das Organisation und Umfang der Ausfuhr be-
trachtet, gibt zu interessanten Bemerkungen über den Handelsverkehr
des 17. Jahrhunderts Veranlassung. Die Regierung des Großen Kur-
fürsten bezeichnet den tiefsten Stand des Königsberger Handels vom
16. bis zum 19. Jahrhundert, aber die Schuld trägt nicht der Kurfürst,
sondern die durch den 30-jährigen Krieg völlig gebrochene Kaufmann-
schaft der Stadt selber. Auch Pommerns Handel über See blieb unbe-
deutend, da drei Hemmnisse auf ihn drückten: der Mangel einer guten
Wasserstraße, die städtische Gildeverfassung und die hohen Schweden-
zölle, die seit 1630 auf den Ostseehäfen lagen und 4!/, Proz. des
Wertes aller Aus-, Ein- und Durchfuhr, oft aber noch mehr betrugen.
Der Elbexport war nach wie vor durch die Elbzölle geschädigt. Die
Festungsmagazine erlangten damals noch keine über die militärischen
Zwecke hinausgreifende volkswirtschaftliche Bedeutung für die gesamte
Agrarpolitik. Der agrarische Charakter der brandenburgischen Lande,.
der seit dem 30-jährigen Krieg wieder feststand, wurde erst im letzten
Jahrzehnt der Regierung Friedrich Wilhelms durch Neugründung von
Industrien etwas modifiziert, und wenn die Regierung diesen Wirtschafts-
verhältnissen Rechnung trug, so wurde sie im Getreideverkehr mehr
von dem Prinzip der Ausfuhrfreiheit als dem der Sperre geleitet, ob-
wohl auch entsprechend ihrer vermittelnden Stellung die Städte nicht
leer ausgingen. Zu Gunsten der städtischen Märkte wurden Getreide-
aufkauf, Niederlassung von Handwerkern und Hausieren auf dem platten
Lande verboten, freilich wieder auch die Bauern vor einer städtischen
830 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Ausbeutung geschützt. Und doch hat der Kurfürst inmitten der Inter-
essenkämpfe eine festere Stellung behauptet als Joachim II. und nament-
lich mit den Anfängen einer Magazinpolitik das nachgeholt, was andere
Territorialherren des 16. Jahrhunderts, vor allem August I. von Sachsen,
früher bereits geleistet hatten. Vergleicht man die Getreidepolitik des
17. Jahrhunderts in Brandenburg mit der der westeuropäischen Staaten,
so erscheint sie in einfacheren, schwerfälligen Formen, der Kurfürst
individualisiert nicht die einzelnen Landesteile, er urteilt nach allgemeinen
Eindrücken. Aber die politische und wirtschaftliche Entwickelung war
eben hier eine andere wie dort und die Bedingungen für eine eigent-
liche agrarische Schutzzollpolitik waren noch nicht vorhanden. Klagte die
Ritterschaft über niedrige Getreidepreise, so maß sie die Schuld den
inländischen Städten bei, und die gegen Ende der Regierung des Kur-
fürsten gelegentlich auftauchende Empfindung von der Schädlichkeit
der polnischen Konkurrenz verdichtete sich nicht zu irgendwelchen
praktischen Vorschlägen.
Das dritte Buch zeigt, wie die brandenburgisch-preußische
Getreidehandelspolitik von 1688 bis 1713 in vier Phasen
verläuft. Bis zum Jahre 1697 herrscht mit einer 2-jährigen Ausnahme
Ausfuhrfreiheit, ausschlaggebend in der Politik ist nicht Friedrich III,
sondern die beiden Danckelmans und Dodo vor Knyphausen. Die Mib-
wachsjahre von 1698 bis 1700 drängen die Staatsleitung unter dem
Einfluß des Feldmarschalls Barfus zum völligen Verbot der Kornaus-
fuhr. Als dann von 1701 bis 1707 die Ernten reich, die Getreidepreise
niedrig wurden, und doch zugleich der Absatz nach den ausländischen
Märkten stockte, da erstehen vielfach Projekte, die Ernteüberschüsse
zu magazinieren; sie sind freilich gescheitert, weil sie Magazine mit
genossenschaftlicher Grundlage und mit einem Fonds, den die einzelnen
Provinzen aus eigenen Mitteln aufbringen sollten, im Auge hatten. Nur
wenn der Staat als solcher die Errichtung öffentlicher Magazine in die
Hand genommen hätte, wäre der Erfolg erreicht worden, der später
einem Friedrich Wilhelm I. und Friedrich dem Großen zu teil geworden
ist. Als dann in den Jahren 1708 und 1709 in Pommern, der Neu-
mark und Ostpreußen eine furchtbare Notstandskrisis beginnt, vermag
die Regierung nicht den wirtschaftlichen Rückgang der östlichen Pro-
vinzen aufzuhalten, weil sie durch Parteiungen aller Art zerrissen ist.
Ein Vergleich der brandenburgischen Getreidehandelspolitik von 1688
bis 1713 mit der der westeuropäischen Staaten weist Aehnlichkeiten
mit der jedes dieser Staaten auf: mit England die Tendenz auf Freiheit
der Ausfuhr, mit Holland die auf Errichtung von Magazinen, mit Frank-
reich die Berücksichtigung der industriereichen Hauptstadt.
Das vierte Buch, das mir als das wichtigste und wertvollste
der gesamten Darstellung erscheint, ist der Getreidehandelspolitik
und Kriegsmagazinverwaltung Friedrich Wilhelms I.
von Preußen gewidmet.
An die beiden Aufgaben, die das politische Testament des Kónigs
von 1722 als die wichtigsten seiner Regierung bezeichnet, knüpft seine
Getreidehandelspolitik an: an die Wiederherstellung des Domünenwesens
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 831
die agrarische Schutzzollpolitik, an die Neuordnung der Armee die Kriegs-
magazinverwaltung, und die Anlage der Getreidemagazine. Unermüdlich
arbeitete der König an der Vergrößerung des Areals der Domänen, der
Verbesserung des Wirtschaftsbetriebes und der Steigerung der staat-
lichen Einnahmen aus den Aemtern. Da die Kammertaxe, mit deren
Hilfe die Höhe der Pachtungen bemessen wurde, konstant blieb, mußten
die Domänenpächter einen möglichst konstanten Getreidepreis sich
wünschen. Ein harter Kampf (wie heute der deutschen Landwirtschaft
von seiten der transozeanischen Gebiete und Rußlands) drohte damals
der preußischen Landwirtschaft von seiten Polens, dessen Korn auf
dem Getreideweltmarkt Amsterdam besser bezahlt wurde und das, da
die polnische Landwirtschaft unter günstigeren Produktionsbedingungen
wirtschaftete, auch wohlfeiler zu haben war als das preußische. Dieser Druck
wurde gerade seit der Domänenreform Friedrich Wilhelms I. besonders
empfunden, eine Herabdrückung des Getreidepreises unter die Kammer-
taxe war mit einem Rückgang der Domänenwirtschaft gleichbedeutend.
Als dann reiche Erntejahre dazu kamen, trat im Jahre 1721 in den
mittleren Provinzen, 1722 auch in Ostpreußen die agrarische Schutzzoll-
politik ins Leben. Das zweite Kapitel des vierten Buches behandelt
eingehend diese Politik in dem Zeitraum von 1721 bis 1740, die Ein-
fuhrverbote für polnisches Getreide, die Einrichtung von Speichermärkten
in den preußischen Städten, das Verbot des Konsums polnischen Getreides
in den mittleren Provinzen und der Einfuhr sächsischen, schwedisch-
vorpommerschen und mecklenburgischen Getreides zum Konsum im
Inlande und die mancherlei Gegensätze, die dem König dabei seitens
seiner Minister, der preußischen Kammer und der Königsberger Kauf-
leute erwuchsen. Hier wird auch der Unterstützung gedacht, die der
König durch den Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, einen der tüch-
tigsten Volkswirte der Zeit, erfuhr; wenn auch Einzelheiten aus der
Denkschrift dieses Fürsten vom 16. November 1722 sich auf die Dauer
nicht halten ließen (Bonitierung und Klassifizierung des Getreides, Preis-
fixierung, Markttaxen, Marktstunden, Pallisadierung des Speichermarktes),
so blieb doch ihr Grundgedanke bestehen: Die Unterdrückung der fremden
Konkurrenz und die Freihaltung des inneren Marktes für die heimische
Produktion. Eine Sperre von Provinz zu Provinz, wie sie in Frank-
reich, Spanien und Italien des 18. Jahrhunderts vorkamen, hat der
König nie geduldet. Selbst in Teuerungszeiten blieb der freie Getreide-
verkehr im Innern seiner Lande ausdrücklich bestehen. Wenn die
agrarische Prohibitivpolitik für die vielen wohlfeilen Jahre jener Zeiten
paßte, in Teuerungszeiten gewannen andere Tendenzen beim König die
Oberhand. Da schritt er gegen alles ein, was einer Getreidespekulation
nahe kam, und hier sind Zwangsverkäufe, Fixierung der Verkaufspreise,
Kornvisitationen und vor allem die Ausfuhrverbote und Ausfuhrzölle zu
verfolgen, die freilich nur im Notfall eingriffen und frei von jeder
fiskalischen Ausnutzung waren. Die Förderung der freien Ausfuhr lag
ebenso fest im Interesse der Domänenpächter und der Landwirtschaft
wie in dem der Seestädte und des Exporthandels, sie entsprach dem
wirtschaftlichen Zustand des Landes überhaupt, das noch wesentlich
832 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Agrarstaat war und dessen Hauptausfuhr in Getreide bestand. Freie
Ausfuhr und Fernhaltung fremder Konkurrenz durch Schutzzölle und
Einfuhrverbote sicherten dem Landwirt Produktenabsatz in gewöhnlichen
Zeiten. Gab es aber außergewöhnliche Zeiten (übervolle Erntejahre
mit allzu wohlfeilen und Mißwachsjahre mit allzu teueren Getreidepreisen),
so griff der König durch seine Magazine unmittelbar in die Preisgestal-
tung ein. Die Kapitel 5—7 schildern des Königs Magazinpolitik, die
Verwaltung, Behördenorganisation und Größe der Magazine, Einkäufe
und Verkäufe, für die nicht kaufmännische und fiskalische, sondern
wirtschaftspolitische Gesichtspunkte malgebend waren: ein Balancieren
des inländischen Getreidepreises, Hebung in allzu wohlfeilen, Herab-
drückung in allzu teueren Jahren. Der König hat das Programm aller-
dings nie völlig ausgeführt, erst der große König hob die Magazinpolitik
auf ihren Höhepunkt. Was man von beiden Herrschern und ihrer Stellung
zur Armee sagen kann, gilt nach Naudé auch von ihrer Magazinpolitik:
„Friedrich Wilhelm I. hat die Armee gerüstet, sein Nachfolger hat mit
ihr Siege errungen; er hat die Kriegsmagazine geschaffen, Friedrich
hat mit ihnen die Getreidepreise beherrscht.“
Der Darstellung folgen in einem fünften Buch Akten und Urkunden
zur Geschichte der Getreidehandelspolitik Friedrich Wilhelms I. Das
sechste Buch mit statistischem Inhalt teilt unter kritischer Beleuchtung
und statistischer Wertung im ganzen 26 bisher unbekannte Getreide-
preistabellen der brandenburgisch-preufischen Lande aus den Jahren
1624 bis 1740 mit. Dabei erscheint mir besonders wichtig, daß (wie
der Verfasser durch seine Ausführungen auf S. 504 ff. gegenüber der
mangelhaften Kenntnis, die Dieterici von dem brandenburgisch-preui-
schen Münzwesen des 17. und 18. Jahrhunderts hatte, bekundet) der
Wert einer richtigen Geldreduktion für preisgeschichtliche
Untersuchungen wiederum gebührend betont worden ist. Denn bei einer
fehlerhaften Reduktion der Preise wird selbst ein ausgiebiges statistisches
Material nicht genügen, um darauf Schlüsse über die Preisentwicke-
lung zu bauen.
So scharf aber auch Naudés Kritik eindringt, so weit ab liegt ihm
gleichwohl jede Hyperkritik. Nirgends in seiner Arbeit ist mir das
bezeichnender entgegengetreten als bei seinem Versuch auf S. 43—55,
die märkische Getreideausfuhr im 16. und 17. Jahrhundert zu berechnen.
Er verkennt keineswegs alle die Schwierigkeiten, die einer Berechnung
der Ansfuhr aus den bekannten Erträgen des Kornzolles während 13 Jahren
von 22 Jahren (1608—1640) entgegenstehen. Allein es erscheint ihm
doch möglich, auf Grund dieser Ueberlieferung, wenn auch nicht zu
gewissen Resultaten, so doch zu Vorstellungen über den Umfang der
Ausfuhr zu gelangen: bei unserer Unkenntnis über die Menge der
jährlich durch die Mark laufenden Durchfuhr und des unverzollt aus
der Mark gehenden Getreides bleibt nichts übrig als beides gegeneinander
zu balancieren.
Soll ich weiter noch einige allgemein geschichtlich bedeutsame Züge
der Darstellung herausgreifen, so gehórt meines Erachtens dahin vor
allem die richtige Wertung der politischen Faktoren inner-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 833
halb der Wirtschaftsgeschichte. Während auf S. 26 ein politischer
Faktor, die Schwäche der Staatsgewalt als die Hauptursache eines wirt-
schaftlich-sozialen Prozesses, der ausschlaggebenden Machtstellung des
märkischen Adels in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des
17. Jahrhunderts, erscheint, betont S. 77 ff. im Gegensatz zu seitherigen
geschichtlichen Darstellungen, daß nicht die Erwerbung der Souveränität
über das Herzogtum Preußen und die Steigerung der politischen Be-
deutung der brandenburgischen Lande den Königsberger Handel erweitert
haben. Dieser hat vom 16. bis 19. Jahrhundert nie tiefer gestanden als
in den Tagen des großen Kurfürsten, und doch trägt nicht er die Schuld,
sondern das Zeitalter des 30-jährigen Krieges, das den Wagemut der
Königsberger Kaufmannschaft gebrochen hat. Gewiß ein beachtenswerter
Beitrag zu jener durch Erdmannsdörffer begründeten Anschauung, der
sich auch Schmoller (Preußische Jahrbücher 25, 579) angeschlossen hat
und die die traurigen sittlichen Folgen des 30-jährigen Krieges höher
veranschlagt als die wirtschaftlichen. Zu jener richtigen Wertung der
politischen Faktoren innerhalb der Wirtschaftsgeschichte zähle ich end-
lich die Ausführungen auf S. 100—104, wo die verschiedene Stufe poli-
tischer Entwickelung, auf der sich Brandenburg und die großen national
geeinten westeuropäischen Staaten des 17. Jahrhunderts befanden, zur
Erklärung der weniger mannigfaltigen und vorgeschrittenen Getreide-
politik des ersteren herangezogen wird.
Damit berühre ich bereits einen zweiten charakteristischen und
allgemeingeschichtlich wertvollen Zug der Darstellung: überall ist die
vergleichende Methode angewandt, um ein allgemeines Urteil
über die Getreidehandelspolitik Brandenburg-Preußens zu gewinnen. Da
wird die städtische mit der fürstlich-territorialen Getreidehandelspolitik
des 16. Jahrhunderts auf S. 19—21, die Politik der europäischen Staaten
mit der Brandenburgs in der gleichen Zeit auf S. 48—52 verglichen,
die Politik Colberts, Cromwells und Jan de Witts auf S. 100—104 neben
die des großen Kurfürsten gestellt, auf S. 189— 192 begegnen die Aehn-
lichkeiten der Getreidepolitik Brandenburgs von 1688—1713 mit der
Englands, Hollands und Frankreichs. Und überall sind diese Ver-
gleichungen höchst wertvoll, denn sie bieten dem Verfasser die Mög-
lichkeit, gerecht und unparteiisch zu urteilen und manche Einseitigkeiten
der bisherigen geschichtlichen Auffassung zu modifizieren. Namentlich
wird auch die hergebrachte und leider auch heute noch oft übliche
irrige Annahme, als habe die merkantilistische Staatspraxis
sich nur der Industrie, nicht auch der Landwirtschaft angenommen,
durch diesen Band der Acta Borussica endgültig beseitigt: Das Schutz-
zollsystem, das Friedrich Wilbelm I. für Preußen begründet hat, kam
nicht lediglich der Industrie, sondern auch der Landwirtschaft zu gute.
Halle a. S. Theo Sommerlad.
Aninger, Richard, Hofgüll in der Wetterau. Hundert Jahre der Entwickelung
eines intensiven Betriebes. Auf Grund von Originalaufzeichnungen bearbeitet. Berlin,
Parey, 1903. gr. 8. IV—205 SS. u. 1 Bodenkarte. M. 3.—.
Archiv des Deutschen Landwirtschaftsrats, XXVII. Jahrg. Inhalt: Bericht über
die Verhandlungen der XXXI. Plenarversammlung des Deutschen Landwirtschaftsrats
Dritte Folge Bd. XXV (LXXX). 53
834 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
vom 3. bis 6. II. 1903. Im Auftrage des Vorstandes herausgeg. vom Generalsekretär
Dade. Berlin, P. Parey, 1903. gr. 8. III—024 SS.
v. der Goltz (GRegR. u. Prof) Landwirtschaftliche Taxationslehre. 3. Aufl
Berlin, Parey, 1903. gr. 8. XII—670 SS. M. 15.—.
Havenstein, P. (KammergerR.) Das Fischereirecht der Mark Brandenburg.
Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Fischereivereins für die Provinz Brandenburg.
Berlin, Frz. Vahlen, 1903. gr. 8. 130 SS. M. 2,50.
Hoffmann, Peter (DomünenDir.) Die statistischen Konstruktionen des groüh.
badischen RegAss. D' Mor. Hecht zu Gunsten des modernen Industriestaates in seiner
von der Universität Freiburg i. B. gekrónten Preisschrift: Die badische Landwirtschaft
am Anfange des XX. Jahrh. Eine Kritik. Berlin, W. Issleib, 1903. gr. 8. 79 $8.
Jahrbuch des Vereins der Spiritusfabrikanten in Deutschland und des Verein:
der Stürkeinteressenten in Deutschland. Jahrg. III: 1903. Berlin, Parey, 1903. gr. 8.
XVI—471 SS. (Ergünzungsband zur „Zeitschrift für Spiritusindustrie‘.)
Lehmann, Bodo (kais. Konsul z. D., Eberswalde), Bodenkredit und Hypotheken-
banken. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1903. gr. 8. 121 SS. M. 2,80.
Skalweit, B., Die ökonomischen Grenzen der Intensivierung der Landwirtschaft.
Betriebswissenschaftliche Untersuchungen auf Grund der Buchführung von 35 vorzüglich
geleiteten Betrieben in Mittel- und Nordwest-Deutschland. Berlin, P. Parey, 1903. gr. 8.
72 SS. M. 3.—.
Lecomte-Denis, M. (ingénieur civil des mines) La prospection des mines et
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Cavazza, Domizio (prof) e Luigi Zerbini, Corso scientifico popolare di con-
ferenze agrarie per i maestri e gli agricoltori: Agricoltura generale. Bologna, tip. L. Pon-
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Ghinetti, Guglielmo, L'alimentazione del bestiame rurale: trattato elementare
e conforme le moderne dottrine, con speciale riflesso agli animali bovini. Vol. I.
Milano, F. Vallardi, 1903. 8. XVI—201 pp. 1. 3.—.
5. Gewerbe und Industrie.
Die Schiffbauindustrie in Deutschland und im Aus-
lande. Tjard Schwarz und Ernst von Halle. Bd. 1 u. 2, je 285 Seiten
umfassend. Berlin (Mittler und Sohn) 1902.
Auf Veranlassung des Staatssekretärs des Reichsmarineamtes ist,
als es sich um die Aufstellung des großen Planes um Erweiterung der
Flotte handelte, eine umfassende Untersuchung der Leistungsfähigkeit
des deutschen Schiffsbaues veranlaßt, an der sich eine große Zahl
Marineoffiziere und -beamte beteiligten. Hieraus sind die beiliegenden
umfangreichen Bände hervorgegangen, welche ein überaus reiches Material
zur Beurteilung der bedeutsamen Industrie des In- und Auslandes bieten.
Die Bearbeitung des Ganzen ist von Herrn Marineoberbaurat Schwarz
———— um ee — MÀ —— mmm, REIR
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 835
und Professor von Halle in vortrefflicher Weise durchgeführt. Nicht
nur der Fachmann, sondern auch der Nationalökonom und Laie ver-
mögen aus dem übersichtlich vorgelegten Stoff reiche Belehrung zu
gewinnen.
In dem ersten Teile ist eine historische Uebersicht über die Ent-
wickelung des Schiffsbaues, besonders in dem 19. Jahrhundert gegeben,
der sich die Darstellung der Weltflotte und des Weltschiffsbaues im
letzten Menschenalter anschließt. Es folgen die beiden größeren Ab-
schnitte über die Einrichtungen der Hauptwerftbetriebe im Auslande
und der Anstalten zur Förderung des Schiffsbaues. Der zweite Teil
ist dem deutschen Schiffsbau speziell gewidmet, wobei die Unterneh-
mungsformen, die Einrichtung der Werften und besonders eingehend
die Personalverhältnisse behandelt sind. Namentlich der Abschnitt
über die Arbeiterverhältnisse ist für den Nationalökonomen von großem
Interesse. Das sechste Buch betrifft das Schiffsbaumaterial, das siebente
die Hilfsgewerbe, das achte und letzte den Geschäftsbetrieb. Es ist
nur zu wünschen, daß das hier Gebotene eine allgemeine Benutzung
findet, da der in Rede stehende Gewerbszweig in Deutschland in kurzer
Zeit eine außerordentliche Bedeutung gewonnen hat und in Zukunft
noch mehr gewinnen wird. J. C.
Ab-Yberg, Die Strikes und ihre Rechtsfolgen. Zürich, SchultheB & C°, 1903.
8. fr. 3.—.
Bericht der Bremischen Gewerbekammer über ihre Tätigkeit in der Zeit von
Anfang Mai 1902 bis dahin 1903 erstattet an den Gewerbekonvent am 28. V. 1903.
Bremen, Druck von A. Guthe, 1903. 8. 111 SS.
Dammer, Otto, Handbuch der Arbeiterwohlfahrt. Bearbeitet von genannten
Autoren, herausgeg. von Otto Dammer. Bd. II. Stuttgart, Ferdin. Enke, 1903. gr. 8.
490 SS. mit 23 Textfigur. M. 12,40.
Duimchen, Th., Die Trusts und die Zukunft der Kulturmenschheit. Berlin,
Joh. Räde, 1903. 8. 234 SS. geb. M. 3.—.
Fleischner, Lud w. (Lehrer an d. öff. dtsch. Kommunalhandelsschule, Budweis),
Gewerbepolitik. Ein Hand- u. Hilfsbuch für Gewerbetreibende, Genossenschaften und
Innungen. Leipzig, H. Klasing, 1903. gr. 8. VII—94 SS. geb. M. 2,40.
Jahresbericht des Gewerbeaufsichtsbeamten des Fürstentums Reuß ä. L. für
1902. Berlin, gedruckt in der Reichsdruckerei, 1903. gr. 8. 21 SS. M. 1,25.
Jahresberichte der k. preußischen Regierungs- und Gewerberäte und Berg-
behórden für 1902. Berlin, R. v. Deckers Verlag, 1903. gr. 8. LV—688 SS. mit
Tabellen und Abbildungen. Amtliche Ausgabe.
Veründerungen im Stande der Gewerbe wührend der beiden Perioden 1898/99
und 1899/1900. Auf Grund der von den Handels- und Gewerbekammern gelieferten
Gewerbekatasterausweise. Bearbeitet vom k. k. Arbeitsstatistischen Amte im Handels-
ministerium. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1903. Roy-4. LXVI—386 SS.
Verhandlungen, kontradiktorisehe, über deutsche Kartelle. Die von der
deutschen Regierung angestellten Erhebungen über das inländische Kartellwesen in
Protokollen und stenographisehen Berichten. Heft 1. Berlin, Frz. Siemenroth, 1903.
gr. 8. 315 SS. M. 4,50. (Inhalt: Einleitende Sitzung vom 14. XI. 1902. — Sitzung
vom 26./27. II.: Das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat.)
Verzeichnis der von dem kaiserl. Patentamt im Jahre 1902 erteilten Patente.
Herausgegeben vom kaiserl. Patentamt. Berlin, C. Heymanns Verlag, 1903. Lex.-8.
716 SS. M. 31.—. (A. u. d. T.: Register zu den Auszügen aus den Patentschriften,
Jahrg. 1902.)
Charmeil, A., Les associations professionnelles ouvrières en France, de 1789 à
nos jours. Paris, Giard & Briere, 1903. 8. 169 pag.
53*
836 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dullin, Albert (membre de l'Office social de Lyon), L'hygiene et la séeurité
des travailleurs dans la législation francaise. Paris, A. Rousseau, 1903. 8. XI—350 pag.
It Ze
Fagnot, F., Le syndicalisme anglais. (Résumé historique. 1799—1902.) Paris,
Bellais, 1903. 8. 115 pag.
Guyot, Yves, Le trust du pétrole aux Etats-Unis. Paris, Guillaumin & C*, 1903.
8. fr. 1.—.
de Leener, Georges (assistant à l'Institut de Sociologie Solvay, ingén. civil des
mines), Les syndicats industriels en Belgique. Bruxelles, Misch & Thron, 1903. gr. in-8,
XXVIII—335 pag. Fr. 7,50. (Table des matieres: La théorie des syndicats industriels:
1. Organisation de l'industrie; 2. Progres industriel; 3. Evolution industrielle; 4. Le
monopole; 5. Le développement des monopoles modernes; 6. Les syndicats industriels.
— Les syndieats industriels en Belgique: 1. Les chambres de commerce: 2. Les bourses
aux marchandises; 3. Les ententes; 4. Les pools; 5. Les cartels; 6. Les trusts; 7. Le
développement des syndicats industriels en Belgique; 8. Les facteurs du développement
des syndicats; 9. L'Utilité des syndicats industriels; 10. La nécessité des syndicats in-
dustriels vis-à-vis de la coneurrence américaine; 11. Le danger des syndicats industriels;
12. La crise de 1901 et les syndicats industriels belges; 13. Le rôle de l'Etat dans le
développement des syndicats industriels; 14. Conclusions. — Résultats de l'enquéte sur
les syndicats industriels en Belgique: 1. Industrie houillere; 2. Industrie metallurgique;
3. Industrie des carrières; 4. Industrie textile; 5. Industrie verrière; 6. Industrie céra-
mique; 7. Industries chimiques; 8. Industries alimentaires; 9. Industries du bátiment;
10. Industries diverses. — Annexes.)
Lawson, W. R. (author of „Spain of to-day), American industrial problems.
Edinburgh, W. Blackwood & Sons, 1903. 8. 394 pp., cloth. Oz, (Contents: A preli-
minary survey: 1. American resources; 2. American energies; 3. Limitations. — Phy-
sical factors: 1. Soil and climate; 2. Ports and harbours. — Personal factors: 1. The
workman; 2. „The loss“; The organiser; 4, The financier. — Corporate factors: 1. The
bancs; 2. The trusts. — 3. The railways. — 4. Controlling or „securities companies; 5. Wall
street; 6. „The grain-pit". — National factors: Congress. — International factors:
1. The tariff; 2. Exports and imports; 3. America's best markets. — Typical industries:
1. Farming; 2. Mining; 3. Manufacturing; 4. Shipbuilding; 5. Shipping; 6. Iron and
steel. — Problems of the future.) ,
Meade, E. Sherwood, Trust finance: a study of the genesis, organization, and
management of industrial eombinations. New York, Appleton, 1903. 393 pp., cloth.
$ 1,50. (Contents: Régime of competition. — The regulation of competition from the
pool to the holding company. — The function of the promoter in modern industry. —
The promotion of the trust. — The sale of the stock. — The accumulation of samples
out of profits. — The reserve poliey of the industrial trusts. — The genesis of the
United States Steel Corporation. — The provision of new capital. — The conditions
of bond issue. — The funding poliey of the trusts. — The bonds of manufacturing
companies as investments. — The capitalization of the trusts. — etc.)
Procter, R. (Prof. of leather industries at the Yorkshire College, Leeds), The
principles of leather manufacture. London, E. & F. N. Spon, 1903. 8. 528 pp. cloth.
18/.—.
l Yynne, Nora, and Helen Blackburn, Women under the Factory Act. With
the assistance of H. W. Allason (solicitor) on certain technical points of law. London,
Williams & Norgate, 1903. 8. 214 pp. 1/.—.
Verga, E., Le corporazioni delle industrie tessili in Milano. Milano, tip. Go-
gliati, 1903. 8. 64 pp.
Volta (Dalla), Ricardo, I problemi dell’ organizzazione del lavoro, Firenze,
F. Lumachi, 1903. 12. IX—173 pp. 1. 2.—.
6. Handel und Verkehr.
Bericht über die Errichtung neuer Lagerhausgebäude in Leipzig. Leipzig, Druck
von Frankenstein & Wagner, Mai 1903. 80 SS. (Herausgeg. von der Handelskammer
Leipzig.)
Breymann W., Bildung und Aufgaben des Großkaufmanns. Hamburg, H.
Seippel, 1903. 8. 36 SS. M. 1.—.
Greve, Wilhelm, Seeschiffahrtssubventionen der Gegenwart. Hamburg, L.
Friederichsen & C°, 1903. gr. 8 123 SS. M. 3.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 837
Hamburgs Handel und Verkehr. Illustriertes Exporthandbuch der Börsenhalle
1901/03. 2 Bde. Hamburg, Verlag der A.-G. „Neue Börsenhalle“, gr. 8. 591; 366;
724 u. 403 SS. Mit Abbildgn. u. 2 Karten, geb. M. 10.—. (Aus dem Inhalt: Ham-
burgs Handel und Verkehr im 19. Jahrh., von E. Basch (Bibliothekar der Kommerz-
bibliothek). — Handel und Schiffahrt in Hamburg an der Jahrhundertwende, von W.
Zimmermann. — Hamburgs Reederei und überseeische Schiffsverbindungen. — Ham-
burgs Warenhandel, von Gütschow (I. Sekret. d. Hamburger Handelskammer.) — Das
Hamburger Assekuranzgeschäft, von E. Knittel und E. Gerson. — Die Hamburger
Fondsbörse 1895—1900, von G. Nordquist. — Das Hamburger Weingeschäft, von Max
Meyer. — Die neuere Entwickelung der Hamburger Brauindustrie, von Max Meyer. —
Das Tabakgeschäft in Hamburg, von V. Stender. — Hamburgs Großindustrie und
Kunstgewerbe, von E. Glinzer u. Ad. Hirschfeld. — Das Hamburger Kunstgewerbe, von
O. Schwindrazheim. — ete.)
Handel, Industrie und Schiffahrt im Bezirke der Korporation der Kaufmann-
schaft zu Königsberg in Preußen (Stadt Königsberg, Kreise Königsberg [Land] und
Fischhausen) im Jahre 1902. Bericht des Vorsteheramtes der Kaufmannschaft zu
Königsberg i. Pr. Königsberg, Hartungsche Buchdruckerei, 1903. gr. 8. VIII—178 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für das Herzogtum Anhalt zu Dessau für
1902. I. Teil. Dessau, Hofbuchdruckerei C. Dünnhaupt, 1903. gr. 8. 87 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Gera für 1902. Gera, Druck der Geraer
Verlagsanst. u. Druckerei, 1903. gr. 8. 102 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Mittelfranken 1902.
Nürnberg, Hofbuchdruckerei Bieling-Dietz, 1903. gr. 8. 391 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Nordhausen für das Jahr 1902. Nord-
hausen, Druck von Eberhardt, 1903. gr. 8. 114 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Oberfranken pro 1902.
Bayreuth, Druck von Lorenz Ellwanger, 1903. gr. 8. 208 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Schwaben und Neuburg
1902. Augsburg, Druck von Ph. J. Pfeiffer, 1903. gr. 8. VIII— 186 SS.
Nautischer Verein, deutscher. Verhandlungen des 34. Vereinstages, Berlin, den
23. und 24. II. 1903. Kiel, Druck der „Nord-Ostsee-Zeitung‘“, 1903. gr. 8. 213;
XXIV—32 $8.
Protokoll über die Verhandlungen des zweiten österreichischen Eisenbahner-
kongresses, abgehalten zu Wien am 7., 8. u. 9. XII. 1902 im Festsaale des „Arbeiter-
heims“. Wien, Redaktion des ,;Eisenbahner‘*, 1903. 8. 155 SS.
Reinshagen, Otto, Die Konkurrenzklausel der Handlungsgehilfen. Leipzig,
C. L. Hirschfeld, 1903. gr. 8. IV—48 SS. M. 1,40.
Schriften der Zentralstelle für Vorbereitung von Handelsverträgen. Heft 22.
Berlin, J. Guttentag, 1903. gr. 8. 58 SS. (Inhalt: Zollrückvergütung. Grundsätz-
liche Erörterungen von Etienne und Vosberg-Rekow.
Huisman, Michel (agrégé à l’Université libre de Bruxelles), L'évolution du
commerce en Belgique. Bruxelles, imprim. J. H. Moreau, 1903. 8. 35 pag. fr.
0,75.
Pierrot, J. A., et J. Melotte (ingénieurs des ponts et chaussées), Les ports
principaux du nord et de l'ouest de la France. Les ports d'écluse. Bruxelles, J.
Goemaere, 1903. 8. 66 pag. av. 4 planches hors texte. fr. 2,50.
Rapport de la Société nationale des chemins de fer vicinaux présenté par le
conseil d'administration. XVIII" exercice social, année 1902. Bruxelles, impr. J. B.
Schaumans, 1903. in-4. 155 pag. Av. diagraınme et une carte hors texte.
Annual statement of the trade in United Kingdom with foreign countries and
British possessions. 1902. Compared with the four preceding years. Compiled at the
Custom House from documents collected by that Department. Volume I: Abstracts and
detailed tables of imports and exports. London, printed by Wyman & Sons, 1903. gr.
Folio. X—858 pp. 6/.11.
Chittenden, Hiram Martin, History of early steamboat navigation on the
Missouri river. 2, vols. Cleveland (Ohio), Burrows brothers, 1903. 8. illustr., maps.
cloth. $ 6.—.
Dockham, C. A., American report and directory of the textile manufacture and
dry goods trade, United States, Canada, Mexico 1903. 19* ed. Boston, Dockham & C’,
1903. 8., cloth. $ 6.—.
838 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
English timber and its economical conversion. A handbook for timber merchants,
manufacturers, grovers, and others, by „Acorn“. London, Rider, 1903. 8. 216 pp. 3/.6.
Root, J. W. (author of „Tariff and trade“, „Studies in British national finance“,
etc.), The trade relations of the British Empire. Liverpool, J. W. Root, Commerce
Chambers, 1903. gr. 8. XVI—431 pp., cloth. 10/.6. (Contents: The basis of customs
union. — The working of the Canadian Preverential Tariff. — The foreign commerce
of Australia and New Zealand. — South Africa before and after the war. — The
foreign trade of India. — Crown colonies. — Miscellaneous possessions and protectorates,
— The colonial trade of the United Kingdom. — The foreign trade of the United
Kingdom. — General eonelusions. — Statistical appendix.)
Shoemaker, Michael Myers, The great Siberian railway from St. Petersburgh
to Pekin. London, Putnam's Sons, 1903. 8. VIII—243 pp. 9/.—.
Carnegie, Andrew, Het rijk van handel en nijverheid. Uit het Eng. vert.
door B. Hes. Groningen, Scholtens & Zoon, 1903. gr. 8. 360 blz. fl. 3,60.
7. Finanzwesen.
Lebensmittelzólle, die, und die indirekten Steuern. Wer sie zahlt und wem
sie nützen. Berlin, Expedition der Buchhandlung Vorwärts, 1903. 8. 16 SS. M. 1.—.
Stammhammer, Josef (Bibliothekar des juridisch-politischen Lesevereins, Wien),
Bibliographie der Finanzwissenschaft. Jena, Gustav Fischer, 1903. Lexicon-8. VI—415
S8. M. 12.—.
Voigtel, G. (Heidelberg), Die direkten Staats- und Gemeindesteuern im Groß-
herzogtum Baden, eine Darstellung ihrer Entwickelung und Ergebnisse von 1886 bis
1901. Jena, G. Fischer, 1903. gr. 8. 118 SS. M. 2,50.
Zolltarifsystem, das russische. Vergleichende Gegenüberstellung des neuen
allgemeinen Zolltarifs und des alten allgemeinen Zolltarifs bezw. des Konventionstarifs
mit vergleichendem alphabetischen Warenverzeichnis. Ihren Geschäftsfreunden und
Gönnern gewidmet von der Firma Gerhard & Hey, Leipzig, Berlin, Hamburg, Mai 1903.
Leipzig, Druck von Friedr. Grüber. Lex.-8. VII—93 SS. (Nicht im Handel.)
Henry, J., L’impöt sur les revenus professionnels, Alsace-Lorraine. Paris, Larose
& Louvain, 1903. 8. 103 pag.
East India (financial statement) 1903—1904, and proceedings of the legislative
council of the Governor-General thereon. London (& Calcutta), Eyre & Spottiswoode,
1903. Folio. 2/.—. (Parl. pap.)
Annuario dei ministeri delle finanze et del tesoro del regno d'Italia. Anno
XLI, 1902/03. Roma, tip. Elzeviriana, 1902. 8. LXVII—803 pp.
Garelli, A., Le imposte nello Stato moderno. Vol. I: L'imposizione personale.
Milano, U. Hoepli, 1903. 8. 478 pp. l. 8.—.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Die Diskontogesellschaft 1851 bis 1901. Berlin 1901.
260 SS.
Der vorliegende Prachtband enthält eine Denkschrift der Gesell-
schaft zu ihrem 50-jàhrigen Jubiläum. In der Vorbemerkung ist aus-
drücklich gesagt, daß sie nicht eine Geschichte der Diskontogesellschaft
zu geben beansprucht, sondern sich darauf beschrünke, die Entstehung
des Institutes und die hauptsächlichsten Momente seiner 5O-jährigen
Wirksamkeit zu schildern, wobei in einzelnen Abschnitten die verschie-
denen Tätigkeiten der Bank in ihrer Entwickelung selbständig zur Dar-
stellung gelangten. Es ist einleuchtend, dab der Entwickelungsgang des
bedeutsamsten Finanzinstitutes Deutschlands, wenn man von der Reichs-
bank und im gegenwärtigen Momente von der Deutschen Bank ab-
sieht, das größte allgemeine Interesse für sich in Anspruch nehmen
‚kann. Die staunenswerte Steigerung der Geschäftstätigkeit, die sich
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 839
jetzt auf alle Weltteile erstreckt, ist aus den Geschäftsberichten über-
sichtlich zusammengestellt, wobei den leitenden Persönlichkeiten ent-
sprechende Berücksichtigung zu teil geworden ist. J. C.
Bericht über die Verwaltung der Seidenberufsgenossenschaft für das Jahr 1902.
Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1903. gr. Folio. 28 SS.
Bericht des eidgenössischen Versicherungsamts über die privaten Versicherungs-
unternehmungen in der Schweiz im Jahre 1901. Veröffentlicht auf Beschluß des schwei-
zerischen Bundesrates vom 22. V. 1903. Bern, Schmid & Francke, 1903. gr. 4. LXXIX
—136 SS.
Derblich, Leo, Das österreichische Versicherungsrecht. Berlin, J. Guttentag,
1903. gr. 8. XI—107 SS. M. 4.—.
Hirsehberg, E.(Prof.), Arbeitslosenversicherung und Armenpflege. Ein Vortrag.
Berlin, L. Simion, 1903. gr. 8. 34 SS. M. 1.—-— (Volkswirtschaftliche Zeitfragen.
Heft 197.)
Jahresbericht der Papierverarbeitungs-Berufsgenossenschaft für das Jahr 1902.
Berlin, Holzmarkisr. 67, 1903. gr. Folio. 38 SS.
Knappe, Otto, Die Bilanzen der Aktiengesellschaften vom Standpunkte der
Buchhaltung, Rechtswissenschaft und der Steuergesetze. Für die gerichtliche und ge-
schäftliche Praxis bearbeitet. Hannover, C. Meyer, 1903. gr. 8. 122 SS. M. 3,50.
Lass, Ludw. (Prof.) und Gerh. Klehmet (kais. RegRäte im ReichsversAmt),
Grundriß der deutschen Arbeiterversicherung. Stuttgart, Ferd. Enke, 1903. gr. 8.
IV—163 SS. M. 4.—.
Ortskrankenkasse, vereinigte, der Handwerker. Köln. Geschäftsbericht über
das VII. Geschäftsjahr 1902. Köln, Druck von M. DuMont Schauberg, 1903. gr. 4.
15 SS. mit 8 Tabellen u. 1 graphischen Uebersicht.
Plenge, Joh., Gründung und Geschichte des „Credit Mobilier“. Zwei Kapitel
aus Anlagebanken, eine Einleitung in die Theorie des Anlagebankgeschüftes. Tübingen,
H. Laupp, 1903. gr. 8. XI—156 SS. M. 4.—.
Zentralgenossenschaftskasse, preußische, Bericht über das VIII. Geschäfts-
jahr vom 1. IV. 1902 bis 31. III. 1903. Berlin, Druck von Reinh. Pauli, 1903. 8. 82 SS.
van der Beken, La monnaie de Bruxelles en 1902. Bruxelles, J. Goemaere, 1903.
8. 19 pag. fr. 1.—.
Réveillaud, J. (avocat à la Cour d'appel) Le droit des héritiers de l'assuré en
matière d'assurance sur la vie (rapport-réduction). Paris, Arth. Rousseau, 1903. 8.
223 pag.
Rollin Conquerque, L. M., La monnaie du roi Antoine de Portugal à Gorinchem
(Goreum), 1583—1591. Amsterdam, Joh. Müller, 1903. gr. 8. 4; 161 en 80 blz. met
2 pltn. fl. 4,50.
Yercamer, Em., Etude historique et critique sur les jeux de bourse et marchés
A terme. Paris, Marescq, 1903. 8. 378 pag.
Annual report of the Comptroller of the currency to the second session of the
LVII* Congress of the United States, 1902. Washington, Government Printing Office,
1903. 8. 1075 pp.
Annual report (XXIX'*) of the Director of the Mint for the fiscal year ended
June 30, 1902. Washington, Government Printing Office, 1902. gr. 8. IV—370 pp.
with numerous plates.
Walsh, C. M., The fundamental problem in monetary science. London, Mac-
millan, 1903. 8. 7/.6.
Margini, Silvio, La cassa di risparmio modello all'esposizione di Milano.
Verona, R. Cabianca, 1903. 12. 46 pp. l. 1.—.
Jaarboek van het mijnwezen in Nederlandsch Oost-Indié. 31° jaarg.: 1902.
Batavia, Landsdrukkerij 1903. gr. 8. 167 blz, met 1 tab. en 4 krtn. fl. 3.—.
9. Soziale Frage.
Morgenstern, Hugo, Gesindewesen und Gesinderecht in Oester-
reich. I. Teil. Geschichtlicher Ueberblick. Statistik und wirtschaft-
liche Lage des Gesindes. (Mitteilungen des k. k. arbeitsstatistischen
Amtes im Handelsministerium. 3. Heft.) Wien (Hölder) 1902. 215 SS.
840 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Der Verfasser, dem wir schon die in der Manzschen Gesetzausgabe
herausgekommene Zusammenstellung der in Oesterreich geltenden 24
Dienstbotenordnungen verdanken, will in seiner weitangelegten Arbeit
— augenscheinlich sehr viel eingehender, als ich dies 1896 für Deutsch-
land getan habe — den Zustand des Gesinderechts und die Be-
strebungen zu seiner Reform in Oesterreich wissenschaftlich unter-
suchen. Um die Grundlagen zu einer sachgemäßen Kritik zu ge-
winnen, stellt er in dem vorliegenden I. Heft zunächst die geschichtliche
Entwickelung des Gesinderechts bis zum Jahr 1810 dar und gibt dann
auf statistischer Grundlage einen Ueberblick über die wirtschaftlichen
Verhältnisse des Gesindes in der Gegenwart. Obwohl es immer mißlich
ist, eine Arbeit, welche noch nicht abgeschlossen vorliegt, zu besprechen,
so möchte ich doch schon heute auf den Inhalt des vorliegenden ersten
Teils aufmerksam machen, da er interessantes Tatsachenmaterial in Fülle
zusammenträgt.
Aehnlich den deutschen Verhältnissen, verläuft die Entwickelung
des Gesinderechts im Mittelalter in Oesterreich auf rein lokaler Grund-
lage. Mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts hebt die polizeiliche Rege-
lung teils auf Grund der Reichspolizeiordnungen, teils auf Grund lokaler
Bestimmungen an, welche eine starke Einschränkung des Gesindes im
Interesse der Herrschaften bedingt, aber — wie der Verfasser zu-
treffend hervorhebt — wohl nie voll ausgeführt worden ist. Von be-
sonderer Bedeutung ist hier die Scheidung des städtischen (häuslichen)
und landwirtschaftlichen Gesindes, für welch letzteres im Gesinde-
zwangsdienst eine völlig selbständige Rechtsregelung geschaffen wird,
die im Zusammenhang der Entwickelung der gutsherrlich-bäuerlichen
Verhältnisse zur Darstellung gelangt. Die Ablösung dieser Gesinde-
zwangsdienste und die Neuordnung des Gesinderechts im allgemeinen
erfolgt in der Josefinischen Gesetzgebung. Diese scheidet auch für die
rechtliche Regelung Stadt- und Landgesinde. Für das Stadtgesinde
wird eine einheitliche Regelung im wesentlichen auf der Grundlage der
Vertragsfreiheit eingeführt; für das Landgesinde dagegen bleiben den
lokalen Verhältnissen angepaßt Sonderregelungen bestehen, die zwar
formell den Zwangsdienst aufheben, tatsächlich aber immer noch einen
starken Druck auf die Landkinder zur Uebernahme von Gesindediensten
auf polizeilichem Wege kennen. Die Darstellung der Ueberleitung dieses
Rechtszustandes in den noch heut bestehenden wird im vorliegenden
Heft nicht gegeben, sondern steht erst im nächsten in Aussicht.
Im zweiten Teil sucht der Verfasser die tatsächlichen Zustände des
Gesindewesens an der Hand der Statistik zu schildern. Die Ausbeute
aus dem vorhandenen statistischen Rohmaterial ist eine sehr ver-
schiedene für das häusliche und das landwirtschaftliche Gesinde; hin-
sichtlich des ersteren fließen die Quellen in neuester Zeit in Oesterreich
reichlich, jedenfalls reichlicher als in Deutschland; für das landwirt-
schaftliche Gesinde dagegen steht das österreichische Material an Reich-
haltigkeit und Zuverlässigkeit hinter dem reichsdeutschen wesentlich
zurück, obwohl Oesterreich mit einer landwirtschaftlichen Lohnstatistik
offiziellen Ursprungs aufwarten kann.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 841
Was die Statistik des häuslichen Gesindes anlangt, so zeigt
sich zunächst, und zwar in noch stärkerem Grade, als ich dies hin-
sichtlich der partikularen deutschen Statistik feststellen mußte, daß die
Ergebnisse der letzten größeren Statistik mangels Uebereinstimmung der
Begriffsbestimmungen mit den Ergebnissen früherer Zählungen nicht
vergleichbar sind. Und so baut sich denn die Untersuchung des Ver-
fassers im wesentlichen nur auf die zugleich als Berufszählung aus-
gestaltete Volkszählung von 1890 auf. Aus dem Vergleich mit früheren
Zählungsergebnissen macht der Verfasser wahrscheinlich, daß auch in
Oesterreich die Gesindehaltung abnimmt. Im übrigen trägt er mit Sorg-
falt die Einzelheiten der statistischen Erhebung für das Gesinde zu-
sammen und man wird ihm in seinen vorsichtig gezogenen Schlußfolge-
rungen zumeist zustimmen können. Interessant ist unter vielen anderen
Beobachtungen die Feststellung, daß in den polnischen Landesteilen,
speziell in Krakau und Lemberg, eine weit überdurchschnittliche Dienst-
botenhaltung üblich ist. Mit Recht schiebt der Verfasser dies auf
nationale Sitten, die aber doch nicht nur in dem Bedürfnis der Wohl-
habenden nach stärkerer Gesindehaltung sich ausprägen, sondern auch
ein Korrelat in der besonderen Neigung der unteren Volksschichten zur
Uebernahme von Gesindediensten ihren Ausdruck finden. — Zu den
Punkten, in denen die österreichische Gesindestatistik reichhaltiger als
die deutsche ist, gehören in erster Linie die Daten über die Gebürtig-
keit und die Wanderbewegung des Gesindes, über seinen Anteil am
Immobiliarbesitz, über die uneheliche Geburtenfrequenz. Ob aber bei
letzterer und vielleicht noch mehr bei der Kriminalität des Gesindes
volle Festigkeit der grundlegenden Begriffsabgrenzung herrscht; ob da
nicht häusliches und landwirtschaftliches Gesinde durcheinander ge-
worfen und insbesondere ob nicht überhaupt eine gewisse Willkürlich-
keit in der Feststellung der Berufszugehörigkeit herrscht, möchte ich
doch dahingestellt sein lassen.
Hinsichtlich des landwirtschaftlichen Gesindes versagt die
Volkszählung von 1890, soweit sie Berufszählung ist, fast vollständig,
indem bei der großen Masse der landwirtschaftlichen Arbeiter nur zwei
Gruppen: Hilfsarbeiter und Tagelöhner unterschieden werden. Nur aus
den Angaben der Haushaltungsstatistik läßt sich das landwirtschaftliche
Gesinde feststellen, aber entsprechend dieser Eingliederung nur in ganz
wenigen Kombinationen. Aus der Erhebung des Ackerbauministeriums
über die landwirtschaftlichen Lohnverhältnisse von 1894 kann zwar
manches interessante Material beigebracht werden; aber diese ganze
Erhebung ist nach Anlage und Durchführung mehr eine Enquete, als
eine statistische Aufnahme, und daher doch nur in beschränktem Um-
fang verwendbar. Immerhin ist es dem Verfasser auch mit diesem
Material gelungen, ein klares Bild von der Lage des landwirtschaftlichen
Gesindes zu geben und die Voraussetzungen seiner Haltung in scharf-
sinniger Weise zu ermitteln.
Als Ergebnis dieser seiner Ausführungen stellt der Verfasser hin-
sichtlich des häuslichen Gesindes den Satz auf: „Die Gestaltung der
Dienstbotenhauswirtschaft geht langsam, aber unvermeidlich einer starken
842 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Einschränkung im Sinne einer größeren Arbeitsteilung, einer Unter-
nehmerwirtschaft entgegen.“ Und für das landwirtschaftliche Gesinde
schließt er, „daß das Gesindewesen in seiner alten Weise als patri-
archalisches Verhältnis zum Dienstgeber, bei welcher das Gesinde
wie ein Familienglied behandelt wurde, im Absterben begriffen ist,
und langsam aber sicher einer freieren, kapitalistischeren Arbeits-
verfassung weichen muß“. Meiner Ansicht nach hat er diese Sätze
in ihrer Allgemeinheit nicht bewiesen; er selbst ist sich bewußt, daß
er bei aller Sorgfalt in der Ausnutzung des vorhandenen statistischen
Materials auf eigene und fremde, mehr oder minder subjektive Be-
obachtungen zur Ausfüllung der Lücken eben des statistischen Materials
angewiesen war. Aber ob die von ihm S. 169 ff. gegebenen Schilde-
rungen des städtischen Dienstbotenverhältuisses, bei denen ihm eben
statistisches Material, also Massenbeobachtungen fehlen, den Anspruch
mit Recht erheben dürfen, als typische anerkannt zu werden, er-
scheint mir sehr zweifelhaft. Aber dabei kommt eben wieder das mil-
liche Moment in Betracht, daß wir es mit einer nicht abgeschlossenen
Publikation zu tun haben, und ich halte es nicht für ausgeschlossen,
daß der Verfasser den hier im ersten Heft schuldig gebliebenen Beweis
dieser Ansichten im zweiten noch nachzubringen versuchen wird. Jeden-
falls würde ich in die eingehende Auseinandersetzung meiner abweichen-
den Ansicht erst eintreten, wenn mir der zweite Teil seiner Arbeit vor-
liegt. Im ganzen berechtigt uns das erste Heft, die Fortführung der
Arbeit mit lebhafter Anteilnahme zu erwarten.
Aachen. W. Kähler.
Soudek, Richard, Die deutschen Arbeitersekretariate. Volks-
wirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlungen, herausgegeben
von Prof. Dr. W. Stieda. 7. Heft. Leipzig (Jäh & Schunke) 1902.
Die Wirksamkeit der deutschen Arbeitersekretariate ist noch wenig
bekannt, und deshalb hat sich der Verf. ein Verdienst dadurch erworben,
daß er sie zum Gegenstand einer Abhandlung gemacht hat. Das erste
Arbeitersekretariat wurde in Nürnberg im Jahre 1894 errichtet. Es
wurde jederzeit vorzüglich geleitet und diente mit Recht bei Neu-
gründungen als Vorbild. Soudek macht einige interessante Angaben
über seine Entstehungsgeschichte, sowie über die des Frankfurter Se-
kretariats. Dürftig ist aber der Abschnitt, in dem ähnliche Veranstaltungen
in Deutschland und im Auslande besprochen werden. Die katholischen
Auskunftsstellen, die „Volksbureaus“ der Hirsch-Dunkerschen Gewerk-
vereine und die städtischen Auskunftsstellen werden nur erwähnt. Von
Einrichtungen des Auslandes sind die schweizerischen Arbeitersekretariate
angeführt, obwohl sie auf ganz anderer Grundlage beruhen, wie die in
Frage stehenden deutschen Einrichtungen. Daran schließt sich eine
Bemerkung über den durch eine Vereinigung von Studenten gegründeten
Rechtsschutzverein in Kopenhagen und zum Schluß wird das deutsche
Arbeitsamt in Eger erwähnt. ` Gerade diese ausländischen Einrichtungen
sind zum Vergleich wenig geeignet.
Der Schwerpunkt der Tätigkeit der deutschen Sekretariate liegt in
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 843
der juristischen Auskunfterteilung. Sie wollen den Arbeiter vor aus-
sichtslosen und kostenreichen Prozessen warnen und ihn daran gewöhnen,
erst zum Sekretariat zu gehen und dann zum Rechtsanwalt, wenn es
nötig ist. Die Auskunft soll kostenlos an jedermann erteilt werden;
erst seit einem Jahre macht das Arbeitersekretariat in Halle eine Aus-
nahme und berücksichtigt nur noch organisierte Arbeiter und solche,
die sich nicht organisieren können. Die Zahl derer, die, ohne Arbeiter
zu sein, bereitwilligst Auskunft auf ihre Fragen erhalten haben, ist nach
Angabe der Berichte nicht klein. Zweifellos haben die Sekretariate der
Arbeiterschaft besonders in Fragen, die die Versicherungsgesetze be-
trafen, große Dienste geleistet.
Nicht ohne Vorsicht sind die arbeitsstatistischen Leistungen der
Sekretariate zu betrachten und zwar schon aus dem Grunde, weil viel-
fach von ihnen Erhebungen veranstaltet werden, denen kleine Sekretariate
in der Regel nicht gewachsen sind; wenn es sich z. B. um Feststellung
der Lohnhöhe oder der Arbeitslosigkeit durch Umfrage handelt. Auch
bei gutem Willen werden keine einwandfreien Resultate zu liefern sein.
Alle Anerkennung verdienen meines Erachtens die sozialstatistischen
Leistungen des Nürnberger Sekretariats; besonders erwähnt seien darunter
die „Haushaltungsrechnungen Nürnberger Arbeiter“.
Die Beziehungen der Sekretariate zu den Behörden haben sich
außerhalb Preußens leidlich gut gestaltet. In Süddeutschland ist ihre
Tätigkeit mehrfach anerkannt worden, besonders durch die Gewerbe-
inspektoren. Den preußischen Behörden sind die deutschen Arbeiter-
sekretariate wohl schon aus dem Grunde nicht sehr sympathisch, weil
sie sozialdemokratische Einrichtungen sind.
Der „Vorwärts“ äußerte sich über die Arbeitersekretariate im ver-
gangenen Jahre (31. August 1902), wie folgt: „Eine der bedeutendsten
Einrichtungen, welche die organisierte Arbeiterklasse auf sozialpolitischem
Gebiete in den letzten Jahren geschaffen hat, sind die Arbeitersekretariate.
Zunächst bloß als Auskunftsstellen für die gewerblichen Streitigkeiten
der Arbeiter, für Arbeiterschutz und Arbeiterrecht gedacht, sind sie
heute bereits wichtige Faktoren der Sozialpolitik geworden. Sie sind
die Vorläufer der reichsgesetzlichen Organisation der Arbeit unter einem
Reichsarbeitsamt und haben als solche noch eine wichtige Rolle in den
Kämpfen der nächsten Zukunft.“ Dochow.
Drucksachen des Beirats für Arbeiterstatistik. Ver-
handlungen Nr. 1: Protokolle über Verhandlungen des Beirats für
Arbeiterstatistik vom 22. Oktober 1902. Berlin (C. Heymann) 1903.
Am 13. März 1902 hatte die Kommission für Arbeiterstatistik ihre
letzte Sitzung abgehalten. Laut Bestimmungen vom 30. April desselben
Jahres trat an ihre Stelle ein Beirat für Arbeiterstatistik, der am
22. Oktober seine erste Sitzung abhielt, über die ein Protokoll im
Druck vorliegt. i
Der Beirat besteht aus 1 Vorsitzenden und 14 Mitgliedern, von
denen 7 der Bundesrat und 7 der Reichstag wählt. Im wesentlichen
fallen ihm dieselben Aufgaben zu, wie der aufgelösten Kommission;
844 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
nach $ 2 der erwähnten Bestimmungen hat er das kaiserliche statistische
Amt bei Erfüllung der ihm auf dem Gebiete der Arbeiterstatistik zu-
gewiesenen Aufgaben zu unterstützen.
Nach dem Bericht des Vorsitzenden, Präsidenten des kaiserlichen
statistischen Amtes, Dr. Wilhelmi, bestand die Tätigkeit der neu er-
richteten Abteilung für Arbeiterstatistik (Erlaß vom 24. März 1902)
darin, die von der Kommission unvollendet übernommenen Arbeiten
weiter zu führen. Die Erhebung über die Arbeitszeit der Gehilfen und
Lehrlinge in solchen Kontoren des Handelsgewerbes und kaufmännischen
Betrieben, die nicht mit offenen Verkaufsstellen verbunden sind, liegt
im ersten Stadium beendet vor. Die Erhebung über die Arbeitszeit der
Gehilfen und Lehrlinge im Fleischergewerbe und über Arbeitszeit in
Fuhrwerksbetrieben ist so weit gefördert, daß sie voraussichtlich bis
Anfang 1903 abgeschlossen werden kann. Mit Beginn der Schiffahrt
im Frühjahr soll die Erhebung über die Dauer der im Binnenschiffahrts-
gewerbe üblichen Arbeitszeiten ihren Anfang nehmen.
Die Abteilung für Arbeiterstatistik hat die weitere Aufgabe, arbeits-
statistische Daten und sonstige für die Arbeitsverhältnisse bedeutsame
Mitteilungen zu sammeln, zusammenzustellen und periodisch zu ver-
öffentlichen. Zu diesem Zweck soll eine monatlich erscheinende Zeit-
schrift herausgegeben werden. Die verbündeten Regierungen haben
weitgehendes Entgegenkommen zugesagt. Die Beschaffung des aus-
ländischen Materials soll auch auf jede Weise erleichtert werden. Be-
sonderer Wert soll auf die Statistik des Arbeitsmarktes im Reich
gelegt werden. Deshalb sind bereits mit dem Verbande deutscher
Arbeitsnachweise Verhandlungen zur Vorbereitung einer nach einheit-
lichen Grundsätzen abzufassenden Arbeitsnachweisstatistik eingeleitet.
Ferner sollen die Arbeitsnachweise der Fachverbände, die Krankenkassen,
die städtischen statistischen Aemter und andere zur Unterstützung
herangezogen werden. Der Vorsitzende konnte mitteilen, daß er all-
seitig Bereitwilligkeit zur Mitarbeit gefunden habe, sein vorläufig ent-
worfener Plan für die Zeitschrift wurde einem Ausschuß des Beirats
zur Durchberatung überwiesen.
Der württembergische Präsident von Schicker bezeichnete in seinem
Referat die Ergebnisse der schon erwähnten Erhebung über die Arbeits-
zeit in kaufmännischen Kontoren als so günstig, wie es bisher noch
bei keiner Erhebung der Fall gewesen. Mit Bezug auf die Angriffe
des deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes gegen die Grund-
lagen dieser Untersuchung bemerkte er, daß es sich lediglich um Fest-
stellung der Arbeitszeit handle und nicht darum, festzustellen, was
für irgend eine Klasse von Personen wünschens- und erstrebenswert
sei, sondern ob die Arbeitslast der Bediensteten in einer gewissen
Art von Betrieben eine derartige sei, daß dadurch deren Gesundheit
gefährdet werde und der Staat eine Veranlassung habe, einzugreifen.
Und das sei nach seiner Ansicht auf Grund der bisher gewonnenen
Resultate nicht der Fall. Der Referent stellte den Antrag auf Ver-
vollständigung der Erhebung, der auch angenommen wurde. Von einer
materiellen Diskussion wurde abgesehen.
nn gn
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 845
Nachdem die Wahl der Ausschüsse des Beirats vorgenommen,
wurde die Sitzung geschlossen.
Seebach. Dochow.
Reporton Railway Laborinthe United States. Prepared
under the Direction of the Industrial Commission by Samuel Mc Cune
Lindsay.
Der Bericht bildet einen Teil der gegenwärtigen umfangreichen
Erhebungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse Nordamerikas. Er
schildert die Lage der Eisenbahner mit größter Ausführlichkeit. Aus-
gehend von der Vorbildung, die verlangt wird, prüft er die Tätigkeit
der einzelnen Beamtenklassen; Arbeitszeit und Löhne der verschiedenen
Gesellschaften werden hierbei verglichen. Den wesentlichsten Teil der
weiteren Ausführungen bilden sozialpolitische Erörterungen über die
Vereine und Organisationen der Arbeiter und über die Fürsorge-
einrichtungen der Eisenbahnunternehmer: Versicherung, Haftpflicht,
Pensionseinrichtungen. Zum Vergleich sind überall die ausländischen
Verhältnisse herangezogen, allerdings nicht immer ganz korrekt. So
ist auf S. 960 No. 9 die Form der Beitragsleistung zu unserer Alters-
und Invaliditätsversicherung unrichtig dargestellt.
Die eingehendere Benutzung der interessanten Arbeit wird leider
durch den überaus schlechten Druck übermäßig erschwert, der sich
sonst kaum in den Publikationen englisch sprechender Länder zu finden
pflegt.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Schriften des deutschen Vereins für Armenpflege
und Wohltätigkeit. 60. Heft: Die Erweiterung des Handarbeits-
unterrichts für nicht vollsinnige und verkrüppelte Personen, von
T. Chr. Hansen.
Im Auftrage der Provinzialverwaltung von Schleswig-Holstein hat
Verf. 1901 die Taubstummen- und Idiotenanstalten in Finland und
Schweden besucht, um Ermittelungen über den dort üblichen Hand-
arbeitsunterricht, insbesondere im Weben, anzustellen. Der ausführliche
Bericht über die besuchten Anstalten spricht sich sehr günstig aus.
Man hat in jenen Ländern teilweise hervorragende Erfolge erzielt. Wohl
das leuchtendste Beispiel einer aufopfernden Fürsorge gibt das Schulheim
für blinde Taubstumme und blinde Schwachsinnige in Wenersborg (S. 18).
16 blinde Taubstumme und 12 blinde Schwachsinnige hat man dort im
Laufe der Jahre erzogen, und man hat es so weit gebracht, daß einzelne
völlig der drei Sinne Beraubte Kunstwebereien anzufertigen verstanden
und fähig waren, Farben und Muster auseinanderzuhalten. In einem
Falle vermochte einer der Unglücklichen einen erheblichen Teil seines
Unterhalts selbst zu verdienen.
Gegen einen entsprechenden Handfertigkeitsunterricht in unseren
Anstalten haben die Leiter derselben erhebliche Bedenken geltend ge-
macht, die Verf. ebenfalls mitteilt. Gesundheitliche, erzieherische und
verwaltungstechnische Gründe werden für dieselben herangezogen, neben
846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
denen erst die pekuniäre Frage (Kosten der Webstühle etc.) und die
schwierige Absatzfähigkeit hervorgehoben werden. Diese Einwendungen
sind sicherlich durchaus beachtenswert. Auf der anderen Seite machen
aber die Ausführungen des Verf. einen so günstigen Eindruck, daß
man immerhin wünschen möchte, es könnte ihnen in der einen oder
anderen Weise näher getreten werden.
Halle a. S. G. Brodnitz.
Bericht über das Diakonissenhaus Bethanien zu Berlin für das Jahr 1902.
Berlin 1903. 8. 99 S8. (Als Manuskript gedruckt.) ^
Kohn, Albert, Unsere Wohnungsenquete im Jahre 1902. Im Auftrage des Vor-
standes der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute, Handelsleute und
Apotheker. Berlin, Verlag der Ortskrankenkasse, 1903. gr. 8. 35 SS.
Ostwald, Hans, Die Bekümpfung der Landstreicherei. Darstellung und Kritik
der Wege, die zur Beseitigung der Wanderbettelei führen. Stuttgart, Rob. Lutz, 1903.
8. 278 SS. M. 5.—.
Peabody, Francis, G. (Prof), Jesus Christus und die soziale Frage. Ueber-
setzt von E. Müllenhoff. Gießen, J. Rieker, 1903. gr. 8. V—328 SS. M. 5.—.
Wagner (OBürgermstr.), Die Tätigkeit der Stadt Ulm a. D. auf dem Gebiete der
Wohnungsfürsorge für Arbeiter und Bedienstete (Häuser zum Eigenerwerb). Ulm,
J. Ebner, 1903. gr. 8. VII—124 SS. mit 20 Taf., kart. M. 2,50.
Labbé, P., Un bagne russe (Ile de Sakhaline). Paris, Hachette & C^, 1903. 8.
272 pag.
Burdett's Hospitals and charities, 1963: Year-book of philanthropy and hospital
annual. London, Scientific Press, 1903. 8. 5/.—.
Coronna, Nunzio (prof), Matrimonio e divorzio. Napoli, tip. N. Jovene & C.,
1903. 8. 150 pp. 1. 1.—.
W oord, een ernstig, tot het Nederlandsche volk of het sociale vraagstuk, uit een
christelijk en maatschappelijk oogpunt besehouwd. Utrecht, Kemink & Zoon, 1903. 8.
52 blz.
10. Gesetzgebung.
Agahd, K., Gesetz betr. Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, vom 30. HL
1903. Ausführliche Erläuterungen zum Gesetz und Vorschläge zu seiner Durchführung.
Jena, G. Fischer, 1903. 8. 143 SS. M. 0,90. (Schriften der Gesellschaft f. soziale
Reform. Heft 10.)
Entwurf, vorläufiger, eines Gesetzes über Familienfideikommisse nebst Begrün-
dung. Im amtlichen Auftrage veröffentlicht. Berlin, Druck und Verlag der „Post“
1903. gr. 4. 212 SS. M. 6.—.
Entwurf eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag nebst den Entwürfen
eines zugehörigen Einführungsgesetzes und eines Gesetzes, betreffend Abänderung der
Vorschriften des Handelsgesetzbuchs über die Seeversicherung. Anfgestellt im Reichs-
justizumte. Amtliche Ausgabe. Berlin, J. Guttentag, 1903. gr. 8. 207 SS. M. 3.—.
v. Mayr, Rob. (Privdoz.), Der Bereicherungsanspruch des deutschen bürgerlichen
Rechtes. Leipzig, Duncker & Humblot, 1903, gr. 5. IX—750 SS. M. 17.—.
Nodnagel, L. (GOSchulR.), Das höhere Schulwesen im Großherzogtum Hessen.
Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, Gießen, Emil Roth, 1903. gr. 8. VII-
328 SS. M. 6.—.
Pinner, Albert (JustR., Rechtsanw., Berlin), Das Reichsgesetz zur Bekämpfung
des unlauteren Wettbewerbs vom 27. V. 1896 nebst den ergänzenden Bestimmungen des
Bürgerlichen Gesetzbuchs. Kommentar. Berlin, J. Guttentag, 1903. gr. 8. 153 SS. `
M. 5.—.
Pollak, Rud. (Privdoz.), System des österreichischen Zivilprozeßrechtes mit Ein-
schluß des Exekutionsrechtes. I. Teil. Wien, Manz, 1903. gr. 8. XXIV—468 SS.
M. 8.—.
Riedinger, Paul (Refer), Der Besitz an gepfündeten Sachen. Zugleich ein
Beitrag zur Lehre von der rechtlichen Stellung des Gerichtsvollziehers. Breslau,
W. Koebner, 1903. gr. 8. III—103 SS. M. 2.—.
——— ——— MM Á— dm NME
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 847
Thiele, M. (OLandesGerR., Königsberg), Die neuen Reichszivilgesetze nebst den
preußischen Ausführungsgesetzen und Verordnungen in ihrem gegenseitigen Zusammen-
hange. 2. Aufl. Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1903. Lex.-8. VIII—1568 SS. M. 10.—.
Turnau, W. und K. Förster (Reichsgerichtsräte), Das Liegenschaftsrecht nach
den deutschen Reichsgesetzen und den preußischen Austührungsbestimmungen. 2. Aufl.
2 Bde. Paderborn, F. Schöningh, 1902—1903. Lex.-8. Hfzb. (Inhalt: Bd. I. Das
Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. M. 19; Bd. II. Die Grundbuchordnung.
M. 16,50.)
Auquier, Camille (greffier du conseil de prud'hommes de Charleroi) Recueil
de jurisprudence des conseils de prud'hommes de la Belgique, à l'usage des chefs d'in-
dustrie, fabrieants, entrepreneurs, exploitants, etc. Charleroi, impr. F. Henry-Quinet,
1903. 8. 140 pag. fr. 5.—.
Bezancon, Hector (avocat à la Cour d'appel), La protection légale des employés
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Scemanna, Jacques (avoeat du barreau de Tunis), Les hypotheques en Tunisie.
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to local authorities issued by the Local Government Board for Scotland. London, Eyre
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Rothera, Ch. L., A practical guide to the Licensing Act, 1902, with notes and
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Franceschini, Gaetano (prof.), Il patrocinio gratuito nel diritto giudiziario
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Rebera, Guido, Diritto ferroviario. Vol. I. Milano, tip. Civelli, 1902. 8.
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Arbeidswet, de nieuwe. Voor-ontwerp. (Entwurf) Wageningen, drukkerij
„Vada“, 1903. gr. 8. 96 blz. fl. 0,45.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Brandt (Bürgermstr., kgl. Amtsanwalt, Amtsvorsteher, ete.) Der preußische Ge-
meindevorsteher, Amts- und Gutsvorsteher. Eine systematisehe Darstellung der bei der
Amtsführung dieser Beamten in Anwendung kommenden Reichs- und Landesgesetze,
Verordnungen, Erlasse ete. Ursprünglich hrsg. von (StadtR.) Otte. 9. Aufl. Leipzig,
C. E. M. Pfeffer, 1903. gr. 8. XVI—465 SS. u. Geschäftskalender. 32 SS. M. 5.—.
Breslau. -— Verwaltungsbericht des Magistrats der kgl. Haupt- und Residenz-
stadt Breslau für die drei Rechnungsjahre vom 1. IV. 1898 bis 31. III. 1901. 2 Teile.
Breslau, Druck von GraB, Barth & C°, 1903. Lex.-8. XV—768 u. 316 SS.
Charité-Annalen, Herausgeg. von der Direktion des kgl. Charité-Kranken-
hauses zu Berlin. Redigiert von (GenerArzt, GOMedR.) Schaper, (GRegR.) Müller.
Jahrg. XXVII. Berlin, Hirschwald, 1903. gr. 8. V-—714 SS. mit 3 Portr. u.
1 Tafel etc.
Dortmund. — Haushaltspläne der städtischen Verwaltung zu Dortmund für das
Rechnungsjahr 1903 (1. IV. 1903—1904). Dortmund, Druck von Fr. W. Ruhfus, 1903.
4. 393 SS.
Gemeindeverwaltung und Gemeindestatistik der Landeshauptstadt Brünn.
Bericht des (Bürgermeisters) August (Ritter) v. Wieser für das Jahr 1901. Brünn,
C. Winiker, 1903. gr. 5. XI-—452; III—174 u. III—233 SS. mit 11 Tabellen, geb.
M. 4,50.
Gemeindeverwaltung, die, der k. k. Reiehshaupt- und Residenzstadt Wien
im Jahre 1900. Bericht des Bürgermeisters Karl Lueger. Wien, Wilh. Braumüller,
1903. gr. 8. XXIX—474 SS. mit 21 Abbildgn.
Hof- und Staatshandbuch des Großherzogtums Oldenburg für 1903. Oldenburg,
Schulze, 1903. gr. 8. XXVIII—466 SS.
Rubow, W., Die hinterpommersche Landgemeinde Schwessin, die Lage ihrer
Landwirte und ihr Interesse an den Getreidezöilen. Berlin, L. Simion, 1903. gr. 8.
M. 2.—. (A. u. d. T.: Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 195/190.)
848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes,
Sanitätswesen, das, des preußischen Staates während der Jahre 1898, 1899 und
1900. Im Auftrage Sr. Exe. des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-
angelegenheiten bearbeitet von der Medizinalabteilung des Ministeriums. Berlin,
R. Schoetz, 1903. gr. 8. XIV—658 u. 199 SS. M. 20.—.
Annuaire de l’administration de l’enregistrement des domaines et du timbre pour
1903. (50° année.) Châteauroux, impr. Mellotée, 1903. 8. 232—XXXII pag. fr. 4.—.
Cocheris, Jules, Situation internationale de l'Egypte et du Soudan (juridique
et politique). Paris, Plon, Nourrit & C^, 1903. gr. in-8. 616 pag.
Gollier, Théoph. (ancien attaché à la légation de Belgique à Tokio), Essai sur
les institutions politiques du Japon. Paris, L. Larose, 1903. 8. fr. 4.—.
Leguey, M. (rédacteur au ministère des cultes), Les congrégations autorisées.
Jurisprudence et statistique. Paris, Duerocq, 1903. 8. XIII—231 pag.
India list and India Office list for 1903. London, Harrison, 1903. 8. 10/.6.
Mae Donald, Arthur, Hearing on the bill to establish a laboratory for the
study of the criminal pauper and defective classes. Washington, Government Printing
Office, 1902. 8. 309 pp. (Publieation of the Committee on the judiciary.)
Police (Scotland). XLV" Annual report of H. Maj. Inspector of Constabulary for
Scotland, 1902. London, Eyre & Spottiswoode, 1903. 8. 2/.—.
Rawles, W. A., Centralization tendencies in the administration of Indiana. New
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Redlich, Jos. (of the faculty of law and political science in the Univers. of
Vienna), Local Government in England. Translated with additions by Francis W.
Hirst (of the Inner Temple, Barrister-at-law). 2 vols. London, Macmillan & C°, 1903.
8. 21/.—.
Rowntree, J., and A. Sherwell, Publie control of the liquor traffic: Review
of Scandinavian experiments in light of recent experience. London, Richards, 1903. 8.
328 pp. 2/.6.
Strachéy, J. (Sir), India, its administration and progress. 3" edition revis. and
enlarged. London, Maemillan, 1903. Roy.-8. 538 pp. 10/.—.
Ulmann, Alb. (member of American Historieal Association), A landmark history
of New York. New York, D. Appleton & Cr, 1903. 12., cloth. $ 1,25. (Special
anniversary edition to commemorate the 250" anniversary of the establishment of burgher
government.)
Regolamento d'igiene pubblica e di polizia sanitaria per la città di Napoli.
Napoli, senza tipogr. 1903. 8. 63 pp.
Verslag aan de Koningin van de bevindingen en handelingen van het genees-
kundig staatstoezicht in het jaar 1901. 'sGravenhage, Gebr. Belinfante, 1903. 4.
348 blz.
12. Statistik.
Allgemeines.
Lippert, Gustav, Ueber die Vergleichbarkeit der Werte von internationalen
Warenübertragungen. Eine Untersuchung auf dem Gebiete der internationalen Handels-
statistik. Wien, W. Braumüller, 1903. gr. 8. 189 SS. M. 3,60.
Deutsches Reich.
Kollmann, Paul, Statistische Beschreibung der Gemeinden des
Fürstentums Lübeck. Oldenburg 1901. 360 SS.
Im Jahre 1897 erschien von dem Verfasser die statistische Beschrei-
bung der Gemeinden des Großherzogtums Oldenburg, welche an dieser Stelle
seiner Zeit eingehend gewürdigt wurde. Das vorliegende Werk be-
handelt in der gleichen Weise das zu Oldenburg gehörige Fürstentum
Lübeck und zeigt dieselben beachtenswerten Vorzüge. Die Haupteigen-
tümlichkeit der Arbeit besteht darin, daß bis auf die einzelnen Gemeinden,
die hier allerdings meist mehrere wiederum bis zu einem gewissen Grade
selbständige Dorfschaften umfassen, zurückgegangen wird, und dadurch
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 849
das Zellenleben des staatlichen Organismus in einer sonst nicht erreichten
Weise statistisch zur Darstellung gelangt. Dem verdienten Leiter des
Oldenburgischen Statistischen Bureaus gebührt hierfür der besondere
Dank der Statistiker und Nationalökonomen. J. C.
Beiträge zur Armenstatistik. I. Armenstatistik einiger deutscher Städte für das
Jahr 1896/97. Herausgeg. nach einer Erhebung der Konferenz deutscher Städte-
statistiker im Auftrage des Instituts für Gemeinwohl in Frankfurt a. M. von Chr. J.
Klumker. Jena, G. Fischer, 1902. gr. 8. L—260 u. 41 SS.
Handbuch der Kirchenstatistik für das Kónigreich Sachsen. Nach dem Stande
vom 1. I. 1903. Neue Folge. 19. Ausgabe. Nach handschriftlichen Angaben ete. be-
arbeitet von Arthur Kolbe. Dresden, Ramming, 1903. gr. 8. VIII—412 SS. M. 8,50.
Jahrbuch für Bremische Statistik. — Herausgeg. vom Bremischen statistischen
Amt. Jahrg. 1902: Zur Statistik des Schiffs- und Warenverkehrs im Jahre 1902.
Bremen, G. A. v. Halem, 1903. gr. 8. X—327 SS.
Kürschners Staats-, Hof- und Kommunalhandbuch des Reichs und der Einzel-
staaten. Herausgeg. von Hermann Hilscher. Achtzehnte Ausgabe: 1903. Leipzig, G.
J. Góschen, o. J. (1903.) gr. 8. 1267 SS., geb. M. 6,50.
Mitteilungen des statistischen Amts der Stadt Magdeburg. Nr. 12. Der Magde-
burger Wohnungsmarkt Ende Oktober 1902. Im Auftrage des Magistrats der Stadt
Magdeburg bearbeitet von Heinrich Silbergleit (Direktor des statistischen Amts der
Stadt Magdeburg). Magdeburg, Druck von R. Zacharias, 1903. Lex.-8. 31 SS.
PreuBische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Heft 177. Die endgültigen Er-
gebnisse der Volkszählung vom 1. XII. 1900 im preußischen Staate sowie in den
Fürstentümern Waldeck und Pyrmont nebst einem aktenmäßigen Berichte über die
Ausführung dieser Zühlung. I. Teil. Berlin, Verlag des kgl. statistischen Bureaus, 1903.
Imp.-4. LXII—431 SS.
Rückblick, statistischer, auf die königlichen Theater zu Berlin, Hannover,
Kassel und Wiesbaden für das Jahr 1902. Berlin, Druck von Mittler & Sohn, 1903.
gr. 8. 42 SS.
Statistik, die, der Bewegung der Bevölkerung, sowie die medizinische und ge-
burtshilfliche Statistik des Großherzogtums Baden für das Jahr 1900. (XIX. Jahrg.
des Sonderabdrucks aus den statistischen Mitteilungen für das Großherzogt. Baden.)
Karlsruhe, Ch. Fr. Müllersche Hofbuchdruckerei, o. J. (1902.) Lex.-8. 86 SS.
Statistik der oberschlesischen Berg- und Hüttenwerke für das Jahr 1902.
Herausgeg. vom Oberschlesischen Berg- und Hüttenmännischen Verein. Zusammen-
gestellt und bearbeitet von dem Geschäftsführer des Vereins H. Voltz. Kattowitz,
Selbstverlag des Vereins, 1903. gr. 4. 90 SS.
Statistik des Unterrichts- und Erziehungswesens im Königreich Württemberg auf
das Schuljahr 1901/02. Stuttgart, Druck von W. Kohlhammer, 1903. Lex.-8. 63 SS.
Untersuchung, statistische (des statistischen Amtes in Dresden), über die Ur-
sachen der ungewöhnlichen Steigerung der Ausgaben für das Dresdener Stadtirren- und
Siechenhaus. Dresden, Buchdruckerei der Dr. Güntzschen Stiftung, o. J. (1903). Lex.-8.
73 SS. (Nicht im Handel.)
Frankreich.
de Neymarck, A., Une statistique nouvelle sur le morcellement des valeurs
mobilières (chemins de fer, rentes, banque de France, crédit foncier, etc.). Paris, Guil-
laumin & Oe, 1903. 8. fr. 1,50.
England.
First Report of the Departmental Committee ap-
pointed to inquire into the Ventilation of Factories and
Workshops. London (Eyre and Spottiswoode) 1902.
Nachdem das neue englische Fabrikgesetz von 1901 dem Staats-
sekretár das Recht gab, besondere Ventilationsvorschriften zu erlassen,
wurde eine Kommission unter Leitung des Dr. Haldane ernannt, welche
Dritte Folge Bd, XXV (LXXX). 54
850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die tatsächlichen Ventilations- und Luftverhältnisse in den verschiedenen
Industriezweigen zu prüfen und auf Grund ihrer Feststellungen Ver-
besserungsvorschläge zu machen hatte. Der erste Bericht über diese
Untersuchungen liegt jetzt vor. Die Herren haben sich einen besonderen
Apparat konstruiert, mit dessen Hilfe Luftproben überall entnommen
und im Laboratorium untersucht werden können. Konstruktion und An-
wendung werden durch Zeichnung und Beschreibung erläutert. 264 Proben
wurden in den verschiedensten Fabriken in ganz England entnommen
und ihre genaue Analyse wird mitgeteilt.
Das Urteil der Kommission geht dahin, daß die größeren Unter-
nehmer ausreichend für ihre Angestellten auch in dieser Beziehung
sorgen, obgleich sie teilweise mit der Abneigung mancher Arbeiter gegen
die frische Luft zu kämpfen haben. Das hängt in manchen Fällen wieder
mit der Mangelhaftigkeit der Heizeinrichtungen zusammen. Es wird
deshalb eine durchgehende Temperatur von mindestens 600 F (12.44? R)
verlangt.
Besonders wird darauf hingewiesen, daß der jedem Arbeiter zur
Verfügung stehende Luftraum an sich nicht maßgebend ist. Denn die
ungesündeste Luft fand sich in einer Fabrik mit 10000 Kubikfuß Luft
pro Person, d. h. dem 40-fachen des vorgeschriebenen Mindestraumes.
Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Inhalt der Luft an Kohlen-
säure. Deshalb schlägt die Kommission vor, eine Vorschrift zu erlassen,
dal in keinem Betriebe die Luft auf 10000 Volumina mehr als 12, und
bei künstlichem Licht mehr als 20 Volumina Kohlensáure enthalten dürfe.
Alle Fabrikinspektoren sollen mit einem besonderen Luftprüfungsapparat
ausgerüstet werden. Von den Prüfungsresultaten sind die Betriebsleiter
zu unterrichten und zwar, bei wiederholt ungünstigen Ergebnissen, unter
Strafandrohung.
Die Durchführung dieser Vorschläge wäre eine erfreuliche Erweite-
rung der Fabrikinspektion, wenn sich ihre strikte Innehaltung wohl
auch nicht immer wird erzwingen lassen.
Halle a. S. G. Brodnitz
Agricultural statisties 1902. Report on the agricultural returns relating to
acreage and produce of erops and number of live stock in Great Britain with summaries
for the United Kingdom, British possessions and foreign countries, and particulars of
prices, imports and exports of agrieultural produce. London, printed by Wyman &
Sons, 1903. gr. 8. XL—264 pp. with 2 maps. 1/.5. (Publication of the Board of
Agriculture.)
Judicial statisties, England and Wales, 1901. Part II: Civil and judicial sta-
sisties. Edited by John Macdonell (Master of the Supreme Court). London, Eyre &
Spottiswoode, 1903. Folio. 2/.2. (Parl. pap.)
London statistics, 1901—2. Vol. XII. London, P. S. King & Son, 1903. Folio.
CXXVIII—444 pp. (Publication of the London County Council.)
Twenty years. railway statistics 1853 to 1903. With the addition of 27 pages
showing the percentage of expenses to receipts, gross and net earnings, ete, year by
year for past 20 years of prineipal railways. London, Mathieson & Sons, 1903. 12.
195 pp. 1/.2.
Oesterreich-Ungarn.
Genossenschaften, die gewerblichen, Niederösterreichs in den Jahren 1897 bis
1900. II. Die Genossenschaften Niederösterreichs außerhalb Wiens. Verfaßt vom sta-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851
tistischen Bureau der niederösterr. Handels- und Gewerbekammer. Wien, Verlag der
Kammer, 1903. 4. VII—329 SS. (A. u. d. T.: Statistische Mitteilungen der nieder-
österr. Handels- und Gewerbekammer. Heft 6.)
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für das Jahr 1902.
Heft 1: Statistik der Ernte des Jahres 1902. Wien, Druck und Verlag der k. k. Hof-
und Staatsdruckerei, gr. 8. IV—293 SS. mit 5 Diagrammen, 2 Tafeln u. 8 Karten.
Statistik des auswärtigen Handels des österreichisch-ungarischen Zollgebietes im
Jahre 1902. Bd. II: Spezialhandel und Bd. III: Vormerkverkehr, Durchfuhr. Wien,
Druck und Verlag der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1903. Lex.-8. VIII—845 und
VI—507 SS. (Verfaßt und herausgeg. vom statistischen Departement im k. k. Handels-
ministerium.)
Dänemark.
Tabelværk til Kobenhavns statistik Nr 13. Tabellarisk Fremstilling as Be-
folkningens Fordeling efter kon og alder, civilstand og trossamfund (Glaubens-
bekenntnis) etc. paa Grundlag of Folketaelling en den 1. Febr. 1901 ved Cordt Trap
(Chef for Staden Kobenhavns statistiske kontor. Kobenhavn, April, 1903. gr. 4. 77 pp.
Holland.
Bijdragen tot de statistiek van Nederland. Nieuwe volgreeks, n° XII: Uitkomsten
der beroepstelling in het Koninkrijk der Nederlanden gehouden op den 31. XII. 1899.
12 deelen, 'sGravenhage, Gebr. Belinfante, 1902. 4. (Inhoud: Deel I. Provincie Noord-
brabant ; deel II. Provincie Gelderland ; deel III. Provincie Zuidholland; deel IV. Pro-
vincie Noordholland; deel V. Provincie Zeeland; deel VI. Provincie Utrecht; deel VII.
Provincie Friesland ` deel VIII. Provincie Overijssel; deel IX. Provincie Groningen;
deel X. Provincie Drenthe; deel XI. Provincie Limburg; deel XII, 1* aflevering (Ab-
teilung): De negen groepen van gemeenten in het Rijk; XII, 2° aflevering: Totaal voor
het geheele (ganze) Rijk.
Sch weiz.
Eisenbahnstatistik, schweizerische, für das Jahr 1901. XXIX. Bd. Bern,
Buchdruckerei Körber, April 1903. gr. Folio. 235 SS. (Herausgeg. [in deutscher und
französischer Sprache] vom schweizerischen Eisenbahndepartement.)
Asien (China).
China. — Imperial Maritime Customs. I. Statistical series, n° 2: Customs Ga-
zette. N° CXXXVI, October-December 1902. Shanghai, Kelly & Walsh und London,
King & Son, 1903. 4. 300 pp. $ 1.—. (Publication of the Inspector General of
Customs.)
China. Imperial Maritime Customs. I. Statistical series, n® 3 and 4: Returns of
trade and trade reports for the year 1902. Part. I. Report on the trade of China
(44'^ issue); Abstract of statistics (28'^ issue). Shanghai, Kelly & Walsh, and London,
King & Son, 1903, 4. 33 pp. $ 1.—. (Published by order of the Inspector General
of Customs.)
13. Verschiedenes.
Uebersicht der gesamten staats- und rechtswissen-
schaftlichen Titeratur des Jahres 1901, zusammengestellt
von Otto Mühlbrecht. Jahrgang 34. Berlin (Puttkammer u. Mühlbrecht)
1902. 280 SS. Dasselbe für 1902. Jahrgang 35. 276 SS.
Die monatlich erscheinenden und jahrweis gesammelten Uebersichten
Mühlbrechts b.'ngen jährlich etwa 4000 Neuerscheinungen aus dem
deutschen, frar:ösischen, englischen, italienischen, niederländischen,
skandinavischer. und spanischen Sprachgebiet. Die beiden letzten Jahr-
gänge schließen sich ihren Vorgängern gleichartig an und bilden ein
54*
852 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gutes Hilfsmittel zum Nachschlagen, so daß wir auch diese Anzeige
mit der üblichen Empfehlung schließen können.
Aachen, W. Kähler.
Bericht über den VIII. internationalen Kongreß gegen den Alkoholismus, ab-
gehalten in Wien, 9.—14. IV. 1901. Redigiert von Rud. Wlassak. Leipzig, F. Deuticke,
1902. gr. 8. 587 SS. M. 5.—.
Cook, Frederic, A. (Arzt u. Anthropologe der belgischen Südpolarexpedition),
Die erste Südpolarnacht 1898—1899. Bericht über die Entdeckungsreise der ,Belgica“
in der Südpolarregion. Mit einem Anhange: Ueberblick über die wissenschaftlichen
Ergebnisse. Deutsch von Anton Weber (k. Lycealprof.). Kempten, Jos. Köselsche Buch-
handlung, 1903. gr. 8 XXIV—415 SS. Mit zahlreichen Vollbildern, schwarzen und
farbigen Illustrationen. M. 10.—.
Delitzsch, Fr., Im Lande des einstigen Paradieses. Ein Vortrag. Stuttgart.
Deutsche Verlagsanstalt, 1903. gr. 8 58 SS. mit 52 Bildern, Karten und Plänen.
M. 2.—.
Denkwürdigkeiten und Erinnerungen eines Arbeiters. Herausgeg. und mit
einem Geleitwort versehen von Paul Góhre. Leipzig, E. Diederichs, 1903. gr. 8. XII
—391 SS. M. 4,50. (A. u. d. T.: Leben und Wissen, Bd. II.)
Herzberg, J., Geschichte der Juden in Bromberg. Zugleich ein Beitrag zur
Geschichte der Juden des Landes Posen. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen
dargestellt. Frankfurt a. M., J. Kauffmann, 1903. gr. 8. 106 SS. mit Illustrationen.
M. 2,50.
Kapptein, Theodor, Emil Frommel. Ein biographisches Gedenkbuch. Leipzig.
H. Seemann Nachf. 1903. gr. 8. 472 SS. mit Portr., geb. M. 4.—.
Norden, Walter (Privdoz. der mittelalterl. Geschichte, Univ. Berlin), Das
Papsttum und Byzanz. Die Trennung der beiden Müchte und das Problem ihrer
Wiedervereinigung bis zum Untergang des byzantinischen Reichs (1453). Berlin, B. Behr,
1903. gr. 8. XX—704 SS. M. 16.—.
Radó, S., Das Deutschtum in Ungarn. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1903.
gr. 8. 95 SS. M. 1,50.
Simon, Oskar (GORegR.), Das gewerbliche Fortbildungs- und Fachschulwesen
in Deutschland. Ein Ueberblick über seine Entwickelung und seinen gegenwürtigen
Stand. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1903. gr. 8. 60 SS. M. 1,75.
Sozialpolitik, die, der deutschen Zentrumspartei. Gesammelte sozialpolitische
Flugblätter des Volksvereins für das katholische Deutschland. M.-Gladbach, Verlag der
Zentralstelle des Volksvereins, 1903. gr. 8. 124 SS. M. 0,50.
Uebersicht über das Fortbildungsschulwesen und die gewerblichen Unterrichts-
anstalten der Stadt Berlin. Jahrg. XX, Februar 1903. Berlin, Druck von Gebr.
Grunert, 1903. gr. 8. 238 SS. Mit 2 Tabellen in Quer-Folio.
Weber, Simon (Prof. der Apologetik, Freiburg i. B.), Die katholische Kirche in
Armenien. Ihre Begründung und Entwickelung vor der Trennung. Ein Beitrag zur
christlichen Kirchen- und Kulturgeschichte. Freiburg i. B., Herdersche Verlagsbuchhdlg.,
1903. gr. 8. XX—532 SS. M. 9.—.
Zolger, Ivan, Das kommerzielle Bildungswesen in England. Wien, Alfr.
Holder, 1903. gr. 8. XVI—215 SS. M. 5,20. (A. u. d. T.: Das kommerzielle Bildungs-
wesen der europäischen und außereuropäischen Staaten, von Fr. Diabaë und Ivan
Zolger, I.)
Aulard, A. (profess. A l'Université de Paris), La Révolution française et les con-
grégations, Exposé historique et documents. Paris, Ed. Cornély, 1903. 8. 340 pag.
fr. 3,50.
Bentzon, Th., Promenades en Russie. Paris, Hachette & C'*, 1903. 8. 339 pag.
fr. 3,50. (Table des matières, extrait: En Petite-Russie. — Autour de Tolstoi. — Bains
de mer en Crimée. — Femmes russes. — Docteur et femme de lettres. — Industries
de village.)
Hello, E. Philosophie et athéisme. Nouv. édition. Paris, Perrin & C", 1902.
8. 339 pag.
Die periodische Presse des Auslandes. 853
de Lesdain (le comte attaché à la légation de France à Pékin), En Mongolie
(15 juin — 22 septembre 1902). Paris, A. Challamel, 1903. 8., illustré. Fr. 3,50.
Oll&-Laprune, L. (membre de l'Institut Le prix de la vie. 10° édition.
Saint-Cloud, imprim. Belin frères, 1903. 8. XIV—490 pag.
Suran, Th., Les esprits directeurs de la pensée française du moyen âge à la
Révolution. Paris, Schleicher frères, 1903. 8. fr. 3.—.
Paul, Alex., The vaccination problem in 1903 and the impracticability of com-
pulsion. London, P. S. King, 1903. 8. VII—130 pp. 2/.6.
De Giulj, Enrico, Commento alla legge sulla igiene e sanità pubblica. 2 voll.
Milano, Soc. editr. libraria, 1902—1903. 8. X—518 & VIII—468 pp. 1. 21.—.
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de législation comparée. XXVII""* année, 1903, Avril:
A. France, colonies: Loi modifiant le tarif des douanes en ce qui concerne les poivres.
— Loi portant fixation du budget général des dépenses et des recettes de l'exercice 1903.
— Décret fixant le prix de vente des tabacs dans les zones et subdivisions de zones. —
Décret fixant les conditions d'application de la taxe de dénaturation des alcools en Corse.
— Les revenus de l'Etat, situation au 1*' avril 1903. — Le commerce extérieur, mois
de Mars 1903. — Les octrois en 1901. — B. Pays étrangers: Pays divers: Situation
des principales banques d'émission à la fin du Le trimestre de 1903; Les émissions
publiques en 1902. — Allemagne: La dette hypothécaire en Prusse. — Etats-Unis: La
dette publique de 1800 à 1902; La circulation monétaire de 1860 à 1902. — Portugal:
Le commerce extérieur de 1898 à 1902. — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle, 62* année, 1903, Mai: Le centenaire
d'Edgar Quinet et les cultivateurs danois, par Ernest Martineau. — A propos d'un
almanach („Free trade almanac“), par Emile Macquart. — Le mouvement agricole:
(Paleool et la reproduction de l'énergie musculaire). — Revue des principales publications
économiques en langue française, par Rouxel. — Les manifestations nouvelles du muni-
eipalisme. — La viticulture dans le midi, par Paul Bonnaud. — Lettre du Mexique,
par J. Ch. T. — L’aceroissement du loisir, par Frédér. Passy. — Chez le marchand de
tablearv par Frédér. Passy. — Fédération libre échangiste internationale, par G. de
Molina i et Jules Fleury. — Bulletin: Les caisses d'épargne dans l'Etat de New York
en 190 , rar M. de Malarce. — Société d'économie politique (réunion du 5 mai 1903):
Communication: La situation économique de la République Argentine; Discussion: Le
rapport de la Commission d'enquéte anglaise sur les subventions accordées à la marine
marchande. — Chronique: Une statistique des bénéficiaires de la protection dressée par
M. Atkinson; La tolérance religieuse en Russie. Le massacre de Kitchinef; [’anti-
polonisme en Allemagne, ete. — etc.
Journal de la Société de statistique de Paris. XLIV'® année, N° 5, Mai 1903:
Procès-verbal de la séance du 15 avril 1903. — L'état sanitaire de l'armée française en
1900, par (le D") Lowenthal. — Note sur le calcul de la mortalité, par G. Cauderlier
(art. 1). — Chronique trimestrielle des banques changes et métaux précieux, par Pierre
des Essars. — etc.
Revue d'économie politique. XVII* année, no. 4, Avril 1903: L'aleool et son
cartell en Allemagne, par A. Souchon (Prof. à la faculté de droit de Paris). — Une
nouvelle loi de la population, par Franz Oppenheimer. — Les coopératives hollandaises,
par Henry Hayem (suite 1). — Chronique législative. — ete. — N°5, Mai 1903:
La hausse des salaires, par Ch. Gide. — Banques de dépót et banques de spéculation.
Comparaison des systèmes de banque anglais et allemand, d’après Adolf Weber, par
Raphaél Georges Lévy. — La déeadence de l'industrie liniere et la concurrence victorieuse
de l'industrie cotonniere, par Albert Aftalion. — Chronique législative, par Edmond
Villey. — Revue des revues américaines, par Paul Reboud. — Revue des revues
françaises d'économie politique, par Henry Truchy. — etc.
854 Die periodische Presse des Auslandes.
Revue internationale de sociologie. XI* année, n° 4, Avril 1903: Paul de Lilien-
feld, par René Worms. — L'économie sociale à l'Exposition universelle de 1900, par
Charles Gide. — Société de sociologie de Paris, séance du 11 mars 1903: Les classes
sociales. Discussion par H. Monin, Massillon Coicou, Hervé Blondel, Gaston Pinet. —
Mouvement social: La législation ouvrière en Italie, par Filippo Virgilii: 1. L'office du
travail; 2. Le travail des femmes et des enfants; 3. Caisse nationale de prévoyence pour
les invalides et les vieillards; 4. Contrats agraires et contrat de travail. — Revue des
livres. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal, edited by the Commercial Department of the Board of
Trade. Vol. XI, n? 323—339, Febr. 5, 1903: British trade abroad: Hayti, Espirito
Santo. — Openings for the establishment of a portland cement industry in Ireland. —
Danish carrying trade in 1901. — The metallurgical industry of Russia. — Coal industry
of the United States in 1901. — Openings for British trade. — The changes in the
monthly trade aecounts. — Foreign trade of the United Kingdom in January, 1903. —
Trade of foreign countries and British possessions. — British trade abroad: Egyptian
Soudan, Italy, Crete, Buenos Ayres. — Trade of Cape colony, ten months. — Import
trade of the Transvaal, eleven months. — The toy trade of Germany. — Wine production
in Franee in 1902. — Cotton goods trade of the United States of America. — British
trade abroad: Switzerland. — Trade of Cape colony, eleven months. — Cotton cultivation
in Central Asia. — Trade of Natal in 1902. — Oil trade of South Italy. — Commercial
mission to Siberia. — Foreign trade of the United Kingdom in February, 1903. —
Annual meeting of the association of Chambers of Commerce. — Import trade of the
Transvaal in 1902. — Trade of the Argentine Republie in 1902. — Agricultural
improvements in the Spanish province of Biscay. — Russian trade with China. — Con-
dition of trade at Vladivostock. — Trade of Bulgaria in 1902. — British trade abroad:
Adana, Southern Nigeria, Pensacola. — Mineral production of Canada in 1902. —
Development of the towns of Harbin and Dalny : (Economic changes in the Far East). —
Trade of Iquitos in 1902. — Rates of import duty leviable on motor vehicles in certain
foreign countries and British possessions. — Foreign trade of the United Kingdom in
March, 1903. — Cotton goods trade of the United States of America. — Monazitic sand
in Brazil. — British trade abroad: Thessaly, Somaliland protectorate. — The Canadian
furniture industry. — Production of Landolphia rubber in Uganda. — Limes in the
West Indies. — Trade of Egypt in 1902. — British trade abroad: Constantinople, Mexico.
— Import trade of the Transvaal in January, 1903. — Trade of Cape colony in 1902.
— Mining industry of the Primorsky province: Eastern Siberia. — American competition
in the iron and steel industries. — Tariff changes and eustoms regulations. — Shipping
and transport. — Minerals, metals, and machinery. — Yarns and textiles. — Agri-
eulture. — Miscellaneous. — Statistical tables. — Government publications. — etc.
Nineteenth Century, the, and after. N° 316. June 1903: Imperial reciprocity,
1) by (Sir) Herbert Maxwell; 2) by (Sir) Gilbert Parker; 3) by Benjamin Taylor. —
Home rule without separation, by (Sir) Henry Drummond Wolff. — The bond-hay
treaty, by P. T. McGrath. — Conquest by bank and railways, by Alfred Stead. — Free
libraries, by J. Churton Collins. — Marriage with a deceased wife's sister, by (Mıs.)
Chapman. — An unpopular industry, by (Miss) Catherine Webb. — The increase of
cancer, by Alfred Wolff. — Industries for the blind in Egypt, by (the countess) of Meath.
— Lord Kelvin on science and theism. — etc.
Westminster Review, the. June 1903: A South African Salmagandi, by W. J.
Corbet. — The Irish University question as affecting women, by F. S. — American
imperialism to date, by an American. — One possible construction of the socialist pro-
gramme, by Adams. — Republies versus woman, by Ignota. — The enigma of life, by
Mabel Jayne. — The education of physically and mentally defective children, by R. J.
Lloyd. — Last words of Herbert Spencer, by E. B. McCormick. — Mr. Syme on „the
soul", by Forester. — The suicide of the race, by W. R. Mae Dermott. — etc.
C. Oesterreich.
Deutsche Worte. Monatshefte, herausgeg. von Engelbert Pernerstorfer. Jahrg.
XXIII, 1903, Heft 4, April: Sozialismus und Landwirtschaft. Vortrag des Dr. Ed. David,
Mitglied des hessischen Landtages, aus Mainz, gehalten in Wien am 16. I. 1903. — ete.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Ge-
Die periodische Presse des Auslandes. 855
sellschaft österreichischer Volkswirte. Bd. XII, 1903, Heft 2 und 3: Das Recht der
öffentlichen Arbeiten, von Th. Bresiewiez. — Zur Ausgestaltung des rechts- und staats-
wissenschaftlichen Studiums in Oesterreich, von (Prof.) A. v. Halban (I. Art.). — Die
Reform der österreichischen Hauszinssteuer, von F. (Frh.) v. Myrbach-Rheinfeld. —
Verhandlungen der Gesellschaft österreichischer Volkswirte. — Die vorgeschlagene Ein-
führung des Grundbuchsystems in Griechenland von C. D. Carusso. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Maggio 1903: La situazione del mercato monetario.
— Il movimento dei fittaioli nella bassa Lombardia, per R. Soldi. — Conseguenze econo-
miche del diboscamento in Italia, per E. Branzoli-Zappi. — La statistica nell" insegna-
mento universitario, per A. Contento. — Il bilancio della banea d’Inghilterra, per
G. François. — I contratti agrari ed il contratto di lavoro agricolo in Italia, per
P. Sitta. — Attorno allo stato di previsione dell’ entrata, per L. Nina. — Cronaca: (per
Pindipendenza della magistratura, per F. Papafava. — etc.
Rivista della beneficenza pubblica delle istituzioni di previdenza e de igiene sociale.
Anno XXXI, n° 4, Aprile 1903: Ancora sui malati cronici nei riguardi della beneficenza
ospitaliera, per Giovanni Pugliese. — Per gli educatori correzionali, per (avvoc.) Giulio
Benelli. — L'assistenza materna all' infanzia illegittima, per Tullio Minelli. — Appunti
sopra una questione interessante i monti di pietà, per Carlo Vitali. — Cronaca: Il monte
di pietà di Bergamo; La case operaie a Siena; Il sanatorio milanese pei tubercolosi ;
Società italiana di beneficenza in Vienna; Le scuole per le infermiere in Inghilterra;
Società di beneficenza nazionale di Buenos Ayres; I spedali riuniti di Pistoia e la
relazione del commissario Ant. Corrodi; Ospedale italiano Garibaldi in Rosario de Santa
Fe nell anno 1902; Gli inizi di una nuova istituzione benefica a Milano; Per un nuovo
ospedale a Ferrara. — etc.
G. Holland.
Economist, de, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. LIItieste jaarg., 1903.
Mei: Vóór of tegen gemeentelijk bedrijf, door P. H. van der Kemp (art. I. — De
coöperative suikerfabriek te Sas van Gent, door Georges de Leener. — Nieuwe uitgaven.
— De internationale geldmarkt, door C. Rozenraad. — Economische kroniek: Hollän-
disehe Finanzen; Holländische Einfuhrzölle auf Mehl; Wiederbeanstandung der Auf-
hebung der Getreidezölle in England. — Economische nalezingen en berigten: Die
Brüsseler Zuckerkonvention gegenüber der neuen Zuckergesetzgebung in Oesterreich-
Ungarn. — ete.
H. Schweiz.
Monatssehrift für christliche Sozialreform. Begründet von weiland Frh. Karl
v. Vogelsang. Jahrg. XXV, Kr 5 (Basel 1903): Entwickelungstendenzen im modernen
Kleinhandel. — Wirtschaftliche Tagesfragen, von Sempronius: Die wirtschaftliche Lage
von Europa; Italiens wirtschaftliche Entwickelung; Dr Schäffle und die „agrarische
Gefahr“. — Zeitschriftenschau, von (NationalR.) C. Decurtius (Truns) — Für die
sozialen Vereine, von Frz. Xav. Schmidt (Freiburg, Sehweiz): Skizze XIII. Stand und
Ursachen des Alkoholismus; Skizze N. Der Alkoholismus in seinen Folgen. — ctc.
Schweizerische Blätter für Wirtsehafts- und Sozialpolitik. Jahrg. XI, 1903,
Heft 9: Die Hagelversicherung in der Schweiz, von A. Bohren (Zollikofen). — Kinder-
arbeit in Gewerbe und Industrie und Kinderschutz, von Bruno Volger. — Soziale
Chronik. — Miszellen: Die Schwindsucht in den Mietswohnungen. — etc.
M. Amerika.
Yale Review, the. A quarterly journal for the scientific discussion of economie,
political, and social questions. Vol. XII, no 1, May 1903: Comment: The taxation of
mortgages; The southern negro; Congress and Anti-trust Legislation; The proposed
Political Science Association. — The beginnings of an official European code of private
international law, by Simeon E. Baldwin. — Economie investigation in the United
States, by Jacob H. Hollander. — Increasing and diminishing costs in international
law, by Franeis Walker. — The anthracite strike commission’s awards, by Peter Roberts.
— Suicide in the United States, 1897—1901, by William B. Bailey. — Notes. —
Book reviews. — etc.
856 Die periodische Presse Deutschlands.
Die periodische Presse Deutschlands.
Arbeiterfreund, der. Zeitschrift für die Arbeiterfrage. Organ des Zentral-
vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen. Hrsg. von (Prof.) V. Bóhmert (Dresden).
XLI. Jahrg., 1903. 1. Vierteljahrsheft: Einige Hauptlehren und Erfahrungen aus der
Armen- und Wohlfahrtspflege in den beiden letzten Jahrhunderten, von (Prof.) V.
Bóhmert. — Der Ausstand der Bergarbeiter in den Anthracitkohlenbergwerken der Ver.
Staaten im Jahre 1902, von Max Georg v. Loeben. — Einiges über Armen- und Wohl.
fahrtspflege in Frankreich, von (StadtR. D’ med.) Waldsehmidt (Charlottenburg). — Die
Spar- und Vorschußkassen für die Bediensteten bei den österreichischen Privatbahnen,
von W. — Deutsche Arbeitsstätten in ihrer Fürsorge für Angestellte und Arbeiter:
1. Die Mühlenbauanstalt und Maschinenfabrik vorm. Gebr. Seck in Dresden u. Schmiede-
berg. — etc.
$
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgeg. vom k. preuß. Ministerium der öffent-
lichen Arbeiten. Jahrg. 1903, Heft 3, Mai und Juni: Der wirtschaftliche Charakter des
Extraordinariums der preußischen Staatseisenbahnverwaltung, von Offenberg (GehORegk.,
Berlin). — Die Eisenbahnen der Erde, 1897—1901. — Binnenwasserstraßen und Eisen-
bahnen zwischen Manchester und Liverpool und der Manchester Seeschiffkanal, von
Bindewald (Hauptm. a. D., Königsberg i. Pr.). V. Der Manchester Seeschiffkanal. f) Der
Kanal und seine Wettbewerber von 1897 bis 1901 (Schluß). — Erweiterung und Ver-
vollständigung des preußischen Staatseisenbahnnetzes im Jahre 1903. — Der Etat der
preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung für das Etatsjahr 1903, von Schremmer (Geh.
RechnR. im Minist. d. öff. Arbeiten). — Verkehrsentwickelung des Eisenbahndirektions-
bezirks Berlin in der Zeit vom 1. IV. 1896 bis zum 31. III. 1901, von (Reg. u. BauR.)
Platt (Berlin). — Die bayerischen Staatseisenbahnen und Schiffahrtsbetriebe im Jahre
1901. — Wohlfahrtseinrichtungen der kgl. bayerischen Staatseisenbahnen im Jahre 1901.
— Die Eisenbahnen der australischen Kolonien Viktoria, Westaustralien und Neuseeland.
Betriebsjahr 1900/01. — ete.
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1903, N° 9 u. 10, Mai: Ferntische und
Meldetische nach den Schaltungen der Aktiengesellschaft Mix & Genest und der Deutschen
Telephonwerke R. Stock & C°. — Aus der amtlichen Denkschrift über die Entwickelung
des Kiautschougebiets in der Zeit vom Oktober 1901 bis dahin 1902. — Das Post-
anweisungsamt. — Weltausstellung in St. Louis 1904. — Entscheidungen des Reichs-
gerichts, betreffend die Beförderung postzwangspflichtiger Gegenstände durch expresse
Boten. — Grundsteinlegung des reichseigenen deutschen Posthauses in Shanghai. —
Geschichtliche Entwickelung der niederländischen Staatstelegraphie. — Der Teltowkanal.
— Die Erschließung der Tschadseeländer. — etc.
Archiv für öffentliches Recht. Bd. XVIII, 1903, Heft 1. Aufsichtsbehörden und
Krankenkassen, von (StadtR.) H. v. Frankenberg (Braunschweig). — Das Aufsichtsamt
für Privatversicherung, von (Rechtsanw.) Fuld (Mainz). — Zur Annahme öffentlichen
Rechtes im Bürgerlichen Gesetzbuch, von Glässing (Beigeordneter, Darmstadt). — etc.
Archiv, allgemeines, statistisches, herausgeg. von Georg v. Mayr. Bd. VI, Er-
günzungsheft: Die deutsche Städtestatistik am Beginne des Jahres 1903, dargestellt
nach den Veröffentlichungen der statistischen Aemter deutscher Städte. Tübingen,
H. Laupp, 1903. 122 SS. [Beitrag des statistischen Amtes der Stadt Dresden für die
deutsche Städteausstellung in Dresden 1903.)
Jahrbücher, landwirtschaftliche. XXXII. Bd., 1903, Heft 1: Die Frostbeschä-
digungen am Getreide und damit in Verbindung stehende Pilzkrankheiten, von (Prof.)
P. Sorauer (Berlin). — Grundlagen der landwirtschaftlichen Buchhaltung. (Mit Wieder-
gabe der Buchhaltungsmethoden von Howard, Aereboe und v. Tilly) von Hans Tanger-
mann. — Einige Bemerkungen über den Zweck und die Durchführung von Feld-
düngungsversuchen, von F. W. Dafert. — Heft 2: Die Kremper Marsch in ihren
wirtschaftlichen Verhältnissen, von Jak. Struve. — Bericht über die Saatreinigung--
maschinenprüfung der Maschinenprüfungsstation der Landwirtschaftskammer zu Kóniz-
berg i. Pr., erstattet durch (UnivProf.) Gisevius. — Untersuchungen über die Be-
stockung des Getreides, von W. Rimpau (AmtsR., Schlanstedt).
. Masius’ Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht etc.
Neue Folge. Jahrg. XV, 1903, Heft 3, 4/5 und 6: Das Neueste von den Abwehrmal-
Die periodische Presse Deutschlands. 857
regeln gegen die Tuberkulose. — Die sogenannte Beleihung von Versicherungsscheinen
durch Lebensversicherungsanstalten. — Entscheidungen des Privatversicherungsamts. —
Oesterreichische Versicherungsstatistik. — Die Schadenschätzung in der Hagelversiche-
rung. — Abtretung, Verpfändung oder Aufrechnung? Die zivilrechtliche Bedeutung der
Abweichungen von den allgemeinen Versicherungsbedingungen. — Ueber Pfandrechte
an Lebensversicherungsforderungen. — Die Beitragspflichtigen in der Arbeiterversiche-
rung. — Die Rückversicherer im Konkurse des Erstversicherers. — Die Feuerrückver-
sicherung. — Die reichsgesetzliche Regelung der Besteuerung der privaten Versicherungs-
gesellschaften. — Das Versicherungsgeschäft im Jahre 1902. — Die Neger und die
Lebensversicherung. — Die Konnossementsklauseln. — Das Sachverständigenverfahren
der Privatfeuerversicherungsgesellschaften. — Ein neuer Beitrag zur Syphilisfrage. —
Die Versicherung gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit. — Sterblichkeitsverhältnisse
im Deutschen Reich während des Jahres 1901. — Das Wetterschießen. — etc.
Neue Zeit, die. Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie. Jahrg. XXI,
Bd. U, N' 32 u. 33, vom 9.—16. Mai 1903: Potemkinsche Dörfer. — Glossen zum
Kongreß von Bordeaux, von B. Kritschewsky. — Die Genfer Arbeitskammer. Ein Bei-
trag zur Frage des Arbeitsnachweises, von Jean Sigg. — Die Wurmkrankheit im Ruhr-
kohlenbecken, von Otto Hué. — Die Krisis und die Bevölkerungsbewegung in Deutsch-
land, von Menikophilos. — Wirtschaftliche und politische Wandlungen in der Schweiz,
von Otto Lang (Zürich) [Art. 1]. — Jena oder Sedan? (Militärischer Roman, von Frz.
Adam Beyerlein), von Rudolf Krafft, (Referat. — Aus den Anfängen der sozialistischen
Belletristik, von H. Thurow.
Politisch-anthropologische Revue. Monatsschrift für das soziale und geistige
Leben der Völker. Jahrg. II, Nr 3, Juni 1903: Ueber die morphologischen und physio-
logischen Grundlagen der Vererbungserscheinungen, von V. Herecker. — Zur Vor-
geschichte Europas, von Moritz Hoernes. — Die Verwandtenehe in ethnologischer Be-
deutung, von Arthur Ruppin. — Rassenforschung in der Geschichtsschreibung, von
Albrecht Wirth. — Entwickelungsmoral, von Chr. v. Ehrenfels. — Das Kinderschutz-
gesetz im deutschen Reichstag, von Arthur Dix. — Ueber den Einfluß der Mittelschule
auf unseren Volkstypus, von A. Vierkandt. — Politische Anthropologie. (Eine Selbst-
anzeige), von Ludw. Woltmann. — ete.
PreuBische Jahrbücher. Hrsg. von Hans Delbrück. Bd. 112, Heft 3, Juni 1903:
Tolstois sittliche Weltanschauung, von Alma v. Hartmann (Groß-Lichterfelde). — Die
Männerrechtler, von Outis. — Wien und seine Zukunft, von B, Molden (Wien). —
Heinrich v. Treitschke und Robert v. Mohl 1859— 1865, von Dietrich Kerler (O.-Biblio-
thekar, Würzburg). — Die Janitscharen, von Heinrich Schurtz T (Bremen) — Das
moderne Krankenhaus, von L. Posner (Prof. der Medizin, Berlin). — Der Stahltrust, von
Hjalmar Schacht (Berlin). — Politische Korrespondenz: Die Wahlbewegung, von D. — etc.
Rechtsschutz, gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. VIII, N° 4, April 1903:
Die Uebereinstimmung bildlicher Warenbezeichnungen, von (RegR.) M. Wille (Berlin).
— Die Anmeldungen auf falschen Namen, von F. Damme. — Zur Frage der literarischen
Neuheit der Erfindung, von Julius Ephraim. — Sind die Bestimmungen der $8 823,
824 und 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches auch zur Bekämpfung des unlauteren Wett-
bewerbes anwendbar, von (Rechtsanw.) Paul Schmid (Berlin) — Das Prioritütsrecht für
Patente in der Union. Bericht der Kommission des südwestdeutschen Zweigvereins des
Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums. —- Internationaler Rechts-
schutz: Patentschutz in den Verein. Staaten. — ete.
Reiehsarbeitsblatt. Herausgeg. vom kais. statistischen Amt, Abteilung für
Arbeiterstatistik: Jahrg. I, 1903, N° 2: Arbeitsmarkt: Der Arbeitsmarkt im Monat
April 1903 nach Berichten der Industrie; Der Beschäftigungsgrad im April 1903 nach
den Naehweisungen der Krankenkassen; Die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsnachweise
im April 1903; Der Arbeitsmarkt im Auslande. — Arbeitsvermittlung und Arbeitslosig-
keit: ErlaB des k. Staatsministeriums des Innern in München, betr. die Tütigkeit der
gemeindliehen Arbeitsämter 1902; Die Geschäftstätigkeit des städtischen Arbeitsamtes
in München im Jahre 1902. — Arbeitsbedingungen: Die Arbeits- und Lebensvernält-
nisse der unverheirateten Fabrikarbeiterinnen in Berlin; Die Arbeitszeit der Fabrik-
arbeiterinnen im Großherzogt. Baden; die Produktions- und Lohnverhältnisse im Berg-
baurevier Dortmund. — Arbeiterschutz: Der Jahresbericht der preußischen Gewerbe-
aufsichtsbeamten für 1902; Erlasse. — Arbeitsstreitigkeiten. — Wohnungswesen: Woh-
nungsverhältnisse in Preußen und Sachsen, insbesondere Bau von Arbeiterwolinungen ;
858 Die periodische Presse Deutschlands.
Grundsätze für die Aufstellung von Entwürfen und die Ausführung von Mietwohnhäusern
für Arbeiter, untere und mittlere Beamte. — Gesetzgebung. — Die Tätigkeit der Ge-
werbegerichte: Uebersicht über die Geschäftstätigkeit der Gewerbegerichte im Deutschen
Reich für 1901: Die Tätigkeit des Gewerbegerichts Berlin als Einigungsamt im April
1903. — Tabellen zur Arbeitsmarktstatistik: Die Bewegung der Mitgliederzahl der
Krankenkassen im April 1903 nach Orten und nach Regierungsbezirken; Die Orts-
krankenkassen nach Regierungsbezirken ; Die Vermittlungstätigkeit der Arbeitsnachweise
im Monat April, a) nach Arbeitsnachweisen; b) nach Berufsgruppen. — etc.
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reiches. Herausgeg. vom kaiserl.
statistischen Amt. Jahrg. XII, 1903, Heft 2: Auswürtiger Handel des deutschen Zoll.
gebiets 1902. — Zollfreie Schiffsbaumaterialien 1899—1902. — Die Erzeugnisse der
Bergwerke, Salinen und Hütten, 1902. Vorläufige Mitteilung. — Zur Statistik der
Preise: 1. Viehpreise in 10 deutschen Städten 1898—1902 nach Monaten; 2. Viehpreise
in 10 deutschen Städten im ersten Vierteljahr 1903; 3. Kleinhandelspreise von Schweine-
fleisch, Speck und Schweineschmalz in 24 preußischen Städten 1883—1902; 4. Groß-
handelspreise von Getreide in Mannheim 1898—1902 nach Monaten; 5. Roggen- und
Weizenpreise an deutschen und fremden Bürsenplätzen im ersten Vierteljahr 1903;
6. Getreidefrachten zwischen überseeischen Ländern und Mannheim 1888—1902. — Be-
stand der deutschen Kauffahrteischiffe am 1. I. 1902. — Verunglückungen (Verluste)
deutscher Seeschiffe 1900 und 1901. — Die Schiffsunfälle an der deutschen Küste 1901.
— Verkehr im Kaiser Wilhelm-Kanal 1902. — Seeverkehr in den deutschen Hafen-
plätzen 1901. — Seereise deutscher Schiffe 1901. — Krankenversicherung 1901 und
1896—1901. — Kriminalstatistik: Heer und Marine, 1902. — Nachtrag zur Statistik
der Reichstagswahlen von 1898: Ersatzwahlen. — Zur Konkursstatistik für das I. Viertel-
jahr 1903. Vorläufige Mitteilung. — Die Finanzen der deutschen Bundesstaaten. —
Zur Statistik der Streiks und Aussperrungen (1902 und I. Quartal 1903).
Zeitschrift des kgl. preußischen statistischen Bureaus. Jahrg. XLIII, 1903.
II. Abteilung: Die Gebaltsverhültnisse der preußischen Volksschullehrer nach dem
Lehrerbesoldungsgesetze vom 3. III. 1897. Auf Grund der schulstatistischen Erhebung
vom 27. VI. 1901 bearbeitet von A. Petersilie (GRegR. u. Prof.). — Die Bewegung
der Fideikommisse in Preußen im Jahre 1901, von (RegR.) F. Kühnert.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Jahrg. X, Heft 2—4, Februar bis April 1903:
Die deutschen Kleinbahnen im Jahre 1901. — Aenderung der norwegischen Vorschriften
für elektrische Anlagen. — Gesetz, schweizerisches, vom 24. VI. 1902, betr. die elek-
trischen Schwach- und Starkstromanlagen. — Einiges über das Entwerfen elektrischer
Straßen- und Kleinbahnen, von A. Hecker (Wiesbaden). — Vereinfachte Güterabfertigung
im Kleinbahnbetriebe, von O. Behrens. — Statistik der deutschen Kleinbahnen für die
Monate Dezember 1902 und Januar bis Februar 1903. — ete.
Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Herausgeg. von (Prof.) Julius Wolf (Breslau).
Jahrg. VI, Heft 5, Mai 1903: Aberglaube und Verbrechen, von (OLandesGerR.) A.
Löwenstimm (Art. II, Schluß). — Ueber räumliche Projektionen sozialer Formen, von
Georg Simmel (Prof., Berlin. — Kulturgeschichte, von (Prof.) Georg v. Below (Tü-
bingen). — Internationale Rechtsgemeinschaften, von (Rechtsanw.) Fuld (Mainz). —
Sozialpolitik: Arbeitsbeschaffung für Arbeitslose statt Arbeitslosenversicherung, nach
C. A. Schmid (Zürich). — Miszellen: Englische Vorkehrungen gegen die amerikanische
Umarmung, von Herm. Sacher; Die angebliche Wirkung hoher Kindersterblichkeit im
Sinne Darwin’scher Auslese, nach Fr. Prinzing. — ete.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena,
TION
32101 067873164